CXXXXVIII. Leipzig Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CXXXXIX. Roveredo
CL. Mitylene
  Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
[Ξ]

ROVEREDO

[26]
CXXXXIX. Roveredo.




In Roveredo begrüßt der Reisende, der aus Tyrol über den Brenner in Hesperien einzieht, die erste italische Stadt. Sie liegt in der Mitte eines Bergkessels, über dessen Ränder sich die beschneiten Gipfel der Hochalpen amphitheatralisch erheben, an dem kleinen, aber reißenden Leno, der sich weiter abwärts mit der Etsch vereinigt.

Roveredo, mit 9000 Einwohnern, ist ein blühender, wohlhabender Ort. Der Verkehr ist groß, und auf den bedeutenden Märkten tauschen die Bewohner der Gebirge mit denen der lombardischen Ebene ihre Produkte um. Die geschützte Lage des engen Thals gibt ihm schon südliches Klima: an den sonnigen Bergwänden kommen Orangen und Citronen im Freien fort. Maulbeerbäume gedeihen vorzüglich und auch noch in den höhern Thälern, und die Seide der Gegend gehört zu der besten Italiens. Ihre Verarbeitung beschäftigt in der Stadt allein 1500 Menschen. Die Spinnerei Bettini, mit 500 Arbeiterinnen, ist eine der berühmtesten Italiens.

Die Stadt selbst ist offen: aber über derselben, auf einem Felsen, liegt ein uraltes, großes Kastell, welches sie und die Straße vollkommen beherrscht. Die Veste ist merkwürdig wegen ihrer originellen Bauart. Ein ungeheurer Thurm, dessen Seitenmauern bis zum Boden des Thales reichen und die tief in den Felsen eingelassen sind, scheint einer noch ältern als der Römerzeit anzugehören. An ihrer Basis sind die Mauern 16 Fuß dick, und sie versprechen eine eben so unverwüstliche Dauer als der Felsen, auf dem sie ruhen. – Roveredo hat ein hübsches Theater, ein Gymnasium, mehre Wohlthätigkeitsanstalten und 3 Klöster.

Ausflüge von hier aus in die Gebirge sind belohnend, vorzüglich der auf den Monte Baldo. Man macht die Tour bis zum Fuße des Berges bequem zu Wagen; das Ersteigen des siebenthalbtausend Fuß hohen Gipfels geschieht ohne große Beschwerden in 5 Stunden. Die Aussicht ist eine der umfassendsten in ganz Italien. Sie erstreckt sich über die ganze venetianisch-lombardische Ebene, die Kette der Appenninen, die engenäischen Höhen, das adriatische Meer, den Gardasee und seine reizende Umgegend, und nur gegen Norden hemmen ewig beschneite Alpenrücken mit ausgezackten Gipfeln den Fernblick.

Von Roveredo bis Verona (7 Meilen) bleibt die Straße an der Seite der Etsch. Bei St. Marko wird man von dem furchtbar erhabenen Schauspiele eines Bergsturzes (dem Steinmeer) überrascht. Immer zwischen Felsen und dem Strome hingedrängt, öffnet sich hinter Chiusa, 3 Stunden von Verona, die Landschaft plötzlich, die letzte Stufe der Alpen ist verlassen und man betritt die gesegnete, lombardische Ebene.