Mispel, der Kobold
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Der Satz, daß Reichthum glücklich mache, hat sich schon lange widerlegt, und das Leben des grundreichen, jungen, blühenden und glühenden Julius bestätigte ihn auch nicht. Die Unzufriedenheit stand mit ihm auf, und die Zufriedenheit war nicht einmal in seinen Träumen zu finden. Seine Freunde hatten ihn betrogen, seine Geliebte ihn getäuscht, und auf Goldsäcken vertrauerte er ungeduldig seine Tage. Die Abwechselungen des Lebens machten ihm keine Freude mehr, und er, der Vielgereiste, Vielbekannte, vegetirte endlich in seinem Hause, wie die Auster in der Schale. – Reichthum allein macht nicht glücklich, der Irrthum ist erwiesen, und ein unserm Zeitgeiste anklebendes Vorurtheil, das ein Dasein übernatürlicher Geschöpfe läugnet, ist nicht minder irrig. Denn gewiß ist’s, daß Julius, vom Spleen der Langeweile befangen, einst auf einem seiner Speicher unter altem Geräthe herumstöbernd, ein Kästchen fand, antik und bestäubt, und seiner Schlüssel entbehrend, in welchem er, nachdem er es mit Gewalt geöffnet, ein sitzendes Männchen entdeckte, das nur spannenlang und in altspanische Tracht gekleidet war. Der kleine, ziemlich häßliche Gefangene erschreckte den Finder dermaßen, daß er im Begriffe war, das Kästchen zuzuschlagen, aber der Bewohner desselben ließ ein so feines und demüthiges: „Bitte, bitte!“ vernehmen, daß das Mitleid des neugierigen Julius rege wurde. – „Darf ich denn nicht heraus kommen?“ fragte das Männchen durch die offenstehende Deckelspalte, und erwiderte auf Julius Gegenfrage, wer denn der Herr wohl sei? „Ich bin nur ein armes, kleines, hinkendes Teufelchen, gefällig wie jenes, das Herr Lesage einst ziemlich indiskret porträtirte, ein Teufelsbanner hat mich vor etwa zweihundert Jahren hier eingesperrt, und da er zu Deiner Familie gehörte, junger Herr, so wäre es nur eine anständige Galanterie von Dir, wenn Du mich frei ließest.“ – Julius traute kaum seinem Ohre, und um einmal einen Teufel zu sehen, öffnete er behutsam den Deckel, und husch! – saß ihm gegenüber auf einer ausgespannten Wäschleine der kleine Puppenmann im Federhut, Mantel und Kragen, und schlenkerte lustig die Beine, die ihm vom langen Sitzen wohl eingeschlafen sein mochten. – „Grand merci!“ ließ er sich gegen den staunenden Julius vernehmen: „Du bist ein fideler junger Herr, und ich will Dir dankbar sein, ob es mir gleich eine Kleinigkeit wäre, ein paar niedliche Fledermausflügel auszuspannen und von dannen zu fliegen. Sage, womit kann ich Dir dienen?“ – Mit diesen Worten klapperte er mit harten Thalern in seinem Säcklein. – „Verzeihen Sie, mein Bester,“ versetzte Julius artig aber achselzuckend: „Dergleichen Zeug hab’ ich selbst im Ueberfluß, und Alles, was man sich damit verschaffen kann.“ – „Willst Du Gelehrsamkeit?“ fragte der Kleine weiter: „heraus damit. Von diesem Schatze kann ich Dir noch viel abgeben.“ – „Was man davon in’s Haus braucht, habe ich selbst,“ meinte Julius. – „Was hältst Du von der Schönheit und ihrer Gunst?“ fuhr das Teufelchen lachend [90] fort. – „Nichts da“, eiferte Julius: „ich habe Erfahrungen gemacht. Venus schwingt stets den Pantoffel, und ich möchte doch selbst Herr meines Schicksals und meiner Thaten sein.“ – Der kleine Hinkebein lächelte noch skurriler als zuvor. „Du bist herrschsüchtig, mein Guter,“ sprach er: „Aber die Langeweile ist gerade so eigensinnig wie Du. Laß ab vom Kampfe mit ihr. Beliebt Dir vielleicht zum Zeitvertreib ein Bischen zu commandiren? So eben ist hier nebenan ein Feldmarschalls-Dienstchen vakant geworden.“ Julius lächelte beifällig, denn ihm eröffnete sich ein nie geahntes Paradies, und das Koboldchen machte auf sein Kopfnicken hin den nöthigen Hokuspokus.
Die Trommeln wirbelten, die Fahnen flogen und in großer Uniform stand Julius vor dem salutirenden Heere. Er rieb sich die Augen, und konnte auf das wüthende Hurrah! Nur mit einem steifen Bücklinge antworten. Die Obersten und Adjutanten fragten glückwünschend nach seinen Befehlen. Die Generale umstanden ihn mit demüthiger Vertraulichkeit, und seinem Adjutanten, der sich zu ansehnlicherer Länge gestreckt und das ungestaltete Füßlein in einen mächtigen Reiterstiefel verborgen hatte, machten die niederen Staabsoffiziere die Cour. Julius strahlte vor Vergnügen heller als der Stern auf seiner Brust, und das glänzende Waffenspiel, die lärmende Musik, die Feldherrngewalt schienen ihm herrliche Säulen seines künftigen Glückes. Mispelchen, sein wunderthätiger Freund, commandirte aus seinem Munde, lehrte ihm die nöthige Repräsentation, und bald war in allen Gesellschaften nur von dem liebenswürdigen neuen Feldmarschall die Rede. Tausend schöne Augen winkten ihm, tausend weiße Hände boten sich ihm, wie lockende Früchte aus der Ferne dar; er war aber nur allein für seinen hohen Stand eingenommen, und manövrirte und exercirte, daß es eine Lust war. Monate lang hatte das blanke Festleben gedauert, da stellte sich sein Trübsinn wieder ein, den Bemühungen des dankbaren Mispel zum Trotz. – „Das ewige Maschinenwesen!“ brummte Julius öfters in den Bart, und die Soldaten jubilirten, denn nun wurden ihrer Rast- und Ruhetage immer mehrere. – „Du mußt Dich zerstreuen,“ sprach das Teufelchen; „was begehrst Du, kranke Seele?" – „Ach,“ rief Julius, „das Feldmarschalliren wäre schon recht, existirte nur die verdammte Langeweile nicht. Davor schützen aber, wie ich merke, nicht Epaulette, nicht Stern noch Stab. Ich wollte wahrhaftig, es gäbe Krieg. Wo soll der aber herkommen?“ „Will gleich welchen machen,“ tröstete Mispel, klatschte in die Hände, und flugs war der Teufel los, des Königs Manifest über die Gränze, die Marschordre da. „Im Felde ist der Mann noch was werth!“ jauchzte Julius, und ritt seinen Truppen vor auf der Bahn der Ehre und des Ruhms. Das Glück wich nicht von ihm. Mispelchen agirte treu als Adjutant, Spion und Hexenmeister, und eine Schlacht, vorbereitet mit der größten Kunst, sollte den besten Lorbeerzweig zu des Feldmarschalls Ruhmeskrone fügen, als am Vorabend der Erbprinz bei dem Heere eintraf, und seines Vaters Wunsch zufolge, den sogenannten Oberbefehl übernahm. Freilich hatte Julius dennoch Alles zu thun und zu schaffen, und der junge Prinz war noch mit seiner Toilette beschäftigt, als der Feldmarschall schon die Schlacht eröffnete, in eigener Person, auf dem zum Rosse umgewandelten Mispel mehrere glänzende Angriffe leitete, und Wall und Verhau mit Sturm wegnahm. Seine Tapferkeit errang den bedeutenden Sieg; aus war der Kampf, als der Prinz auf dem Felde erschien, und bald nach ihm die väterliche Majestät in der bequemen achtspännigen Kalesche. – „Hast brav gefochten,“ sprach der König mit Freudenthränen, den Sohn umhalsend; „aber so ist es einmal; so erben sie fort in unserm Stamme, die Herrschertugenden. Heil dem Prinzen, dem Sieger, der gleich Cäsar nur kam, sich umsah und überwand.“ – „Heil dem Sieger!“ brüllte das folgsame Heer und Volk, und ein Regen von Orden und Bändern fiel auf des Prinzen wohlwattirte Brust. – „Leidest Du das?“ fragte den versteinerten Feldmarschall sein Roß. – Und er, glühend vor Unwillen, widersprach dem lauten Jubel, forderte Ehre und Lohn für sich, – und erhielt von der Kalesche herab, – die ungnädige Entlassung. – Entrüstet fuhr der König ab, hohnlachend verließen den Gefallenen Offiziere und Gemeine. „Du hast kein Glück als Landgeneral,“ sprach zu dem Zürnenden das Mispelchen; „willst Du’s etwa auf der See tentiren? Einen Admiral habe ich für Dich in der Tasche.“ – Und kaum dachte sich Julius das „Ja“, so war schon Alles geschehen.
Als er die Kanonenschlünde um sich her donnern hörte, alle Schiffe auf der weiten Rhede flaggen sah, die Raaen von Matrosen beladen, wie der Baum von Früchten; als er das Admiralschiff bestieg, und sich auf der großen Treppe von den wichtigsten Unterbefehlshabern empfangen sah, da wurde ihm das Herz weit, und er dankte mit verstohlenem Augenwink seinem treuen Mispel, der in Affengestalt auf dem Geländer saß, und lustig ein Wimpel schwang. – „Gottlob!“ sagte Julius in seiner prächtigen Kajüte zu sich selbst: „Hier ist’s besser. Der bequeme Ueberrock drückt nicht wie die enge Uniform, die Schuhe nicht wie die bespornten Stiefel, und der Jabot, der der Sitte gemäß aus der Weste bauschen muß, dünkt mir angenehmer als der Galanteriekram, den ich früher auf der Brust trug. Und welche despotische Gewalt steht mir hier zu Gebote? Hier auf dem Meere ist Niemand über mir, und, bin ich am Lande, nur der Senat des freien Volks, dem ich diene, und nicht ein verzärtelter Prinz, oder ein neidischer König. Mispelchen habe Dank, hier bin ich glücklich!“ – Mispelchen, der Affenrolle getreu, fletschte die Zähne und lachte possierlich, denn er wußte wohl, daß gar zu bald die Reize der neuen Seewelt für Julius abgeblüht haben würden. – Richtig. Einige Wochen noch, und Punsch und Cigarren schmeckten dem Admiral nicht mehr. Der seemännische Brauch behagte ihm nicht mehr, und er verwünschte seine Instruktionen, die ihm befahlen, als ruhiger Beobachter die freie See zu halten, sich aber durchaus in kein Gefecht einzulassen, ohne fernere Weisung. – „Dort liegen die feindlichen Schiffe!“ zürnte er; die Lauerer wagen sich nicht an uns heran, und wir vergehen hier als langweilige Tagdiebe.“ Die Ungeduld [91] wuchs von Tag zu Tag. Das Fernrohr brachte der Admiral nicht vom Auge, und endlich schwamm der Feinde Flotte heran. „Die wäre verloren“, meinte Mispel, der von Zeit zu Zeit mit durch’s Fernrohr sah; „wenn Du nur nicht retiriren müßtest.“ – „Wer sagt das?“ fragte Julius heftig und voll Kampfbegierde; „danken muß mir’s das Land, wenn ich einen vollen Sieg erringe, und diese Gelegenheit lasse ich nicht vorbeigehen. Der Kapitän lasse die Signale aufziehen! Zur Schlacht rüste sich die Flotte, und Sie, werthester Mispel, geben ein bischen acht auf mich. Die Feinde sind verloren und uns fehlt nur ein ziemlicher Sturm, um sie gänzlich zu zerstreuen.“ – „Den will ich gleich machen“, erwiderte das Teufelchen dienstfertig, kratzte sich hinter den Ohren, und der Wind sprang plötzlich um, wüthete gegen die feindliche Flotte, und ein tüchtiges Unwetter zog mit Donner und Blitz am Horizont herauf. Vom Orlogschiffe donnerten die Lärmkanonen, flatterten die Signale auf und nieder. – Die Schlacht begann, und Julius siegte unter dem Toben der Elemente. Was seinen Kriegern entkam, ging im Meeresstrudel oder unter den Meilenweit nachreichenden Zündraketen, die Mispelchen austheilte, zu Grunde. – Die frohe Botschaft sandte Julius zur Heimath, und erhielt, statt Lohn und Ruhm, die Weisung, sich vor der Nation zu stellen und erschießen zu lassen, weil er seinen Instruktionen zuwider gehandelt. Er fiel aus den Wolken und über seinen armen Teufel her, der ihn nicht gewarnt. – „Ei, was weiß ich von Euren Gesetzen!“ schalt dieser; „ich bin nicht Jurist. Aber, damit Du Dich von meiner Ehrlichkeit überzeugst, will ich Dich mit heiler Haut zu retten suchen.“ „Was willst Du jedoch beginnen?“ „Man sucht unfern von hier einen König. Möchtest Du vielleicht“ – – Freudentrunken sprach Julius sein Bejahen aus, und während er an die Lust dachte, gar keinen Herrn über sich zu haben, hatte er schon die Krone auf dem Kopfe.
Welche Lust, Regent zu sein! Aus dem Balkon des Schlosses stand Julius der Erste, und sah vornehm, – er war schon an Wunder gewöhnt, dem Prunk- und Festzuge zu, den sein treues Volk ihm brachte. Alle Zünfte, mit Gaben ihres Fleißes beladen, triumphirten an ihm vorüber, und unter dem Krönungsmantel klopfte ihm höher das Herz, als das tausendstimmige „Vivat!“ ihm gebracht wurde, als die Mützen flogen und der Weihrauch in balsamischen Säulen empordampfte. „Nun werde ich doch zufrieden sein,“ sprach er leise vor sich hin und klopfte dankbar dem als Page dastehenden Mispel auf die Schulter; „nun bin ich doch frei und meinem Winke stehen alle Freuden des Erdballs zu Gebot.“ – Und da er nun hineinging in den weiten Saal, in welchem die Stände seines Reichs versammelt waren, ihre Huldigung ihm darzubringen, da mehrte sich sein Vergnügen und sein stolzes Bewußtsein – „Heil dem Könige!“ sprachen die Pairs und Repräsentanten des Landes; „doppelt Heil ihm, gibt er bald dem Reiche eine Mutter und kräftige Söhne, Erben seiner Vorzüge!“ – Diese Anspielung war nicht nach seinem Geschmacke, und mit einem kurzen: „J’y penserai,“ entließ er die Getreuen, eine Epoche beginnend, die jeden Tag mit Rosen seinen Weg bestreute. Jagd und Ball, Concert und Illumination, Fackelzug und Heerschau, folgten rasch aufeinander. In langen Zügen schlürfte er den Becher der Wonne; aber so wie dieser der Neige sich näherte, so füllte auch seine Brust sich mit einer Leere, die je länger, je unbehaglicher wurde. Der Teufelspage verschwendete all seinen Scharfsinn, um neue Freuden zu ersinnen, aber auch des Teufels Scharfsinn hat Gränzen, wie jeder geschaffene Geist. – „Mir gefällt’s hier nicht mehr“, sagte Julius einst im trüben Unmuthe, „ich will reisen, nach Jahren erst mein Erbe wiedersehen.“ – „Wenn’s nur angeht,“ meinte Mispel achselzuckend. „Welche Sprache!“ zürnte der unwillige König; man spanne an, man fülle die Chatoulle; morgen schon will ich fort.“ – Da versammelten sich die Stützen des Thrones abermals und sprachen ein gebieterisches „Nein“, weigerten sich, die Chatoulle zu füllen, und ihn von dannen zu lassen. – Julius stand wie verdutzt. „Wer ist denn hier der Fürst?“ rief er, „Ihr oder ich?“ – „Die Verfassung, Herr!“ antwortete der unerschrockene Sprecher, „sie spricht durch unsern Mund. Des Hausvaters Platz ist bei den Seinen; anders wäre es, hätten Ew. Majestät dem Wunsche des Volkes nachgegeben, der Ehe Band geknüpft, und einen Erben uns geschenkt, den wir bewachen könnten als Pfand des künftigen ungestörten Friedens.“ – „Vermessene!“ schalt der König! „Zwang soll ich leiden? Ich werde niemals mich vermählen, und reisen, wenn es mir beliebt.“ – „So werden wir einen andern Herrn wählen,“ erwiderten die Abgeordneten, „denn das erlaubt uns das Gesetz im vorliegenden Falle.“ – Sie gingen davon um den Ohnmächtigen abzusetzen. – „Rathe, hilf!“ sprach Julius, vor Wuth zitternd zu Mispel. – Der Kobold zuckte die Achseln und schwieg. – „Soll ich denn immer Unterthan sein und selbst im Hermelin eines Popanzes Knecht?“ fragte Julius heftig weiter; „lieber wollt’ ich über Heiden regieren, als ferner hier mich necken lassen.“ – „Zu Befehl,“ versetzte der treue Kobold; „zu Damask ist man um einen Sultan in Verlegenheit. Beliebt auch da zu kosten?“ „Herrlich!“ rief Julius, dem alle Märchen der Tausend und Einen Nacht vor’s Gedächtniß traten und schon lag er auf weichen Polstern im Kiosk der Sultane von Damaskus.
Die Neuheit der Gegenstände versetzte den Exkönig in eine Art von Taumel. Vor seinen Fenstern wiegte sich in hoher Luft die Palme, schöne Itschaglans servirten ihm Kaffee und Opium; der Chasnadar bot die Schlüssel zum Schatze, der Kislar Aga die des Harems an; feierlich schweigend umringten ihn seine Kapidschipaschis, und Alles hing nur an dem Zucken seiner Wimpern. Der dienstbare Kobold saß als Papagei auf der Stange. „Ich will ausreiten!“ befahl der Herr und vor seiner Thüre schnaubte das Roß, der Papagay flatterte auf seine Faust, und federgeschmückte Trabanten geleiteten den unumschränkten Fürsten. – Aber, wo er sich auch hinwendete, floh Alles von den Straßen; Thüren und Fensterladen schlossen sich. Kein menschlich Gesicht ließ sich vor dem Herrscher sehen. – „Was ist das?“ fragte er. – „Seit der letzten Plünderung sind die [92] Leute so scheu,“ antwortete der Wessyr. – „Wer plünderte?“ – „Die Wachen Deines Vorfahren, Herr.“ – „Ungestraft?“ – „Herr, die Gerechtigkeit schläft, wenn sie muß. Die Leibwache zählt Tausende und der Sultan ist nur Ein Mann.“ – Julius stutzte und kehrte straks um, aus den öden Gassen und dem leeren Bazar. – „Ich will Zeitvertreib!“ sprach er zu seinem Mispelchen. – „ Besieh Deine Schätze, Dein Serail,“ erwiderte Papchen; „laß Tänzerinnen und Gaukler kommen, oder Einigen, deren Gesicht Dir etwa zuwider ist, den Kopf abschlagen.“ – „Pfui“, donnerte Julius, und dies Wort setzte alle Umstehende in solchen Schrecken, daß sie auf ihre Stirn zu Boden fielen und riefen: „Herr, warum zürnst Du? Befiehl und unser Leben nimm, wenn es Dir ein Lächeln abzuschmeicheln vermag.“ – „Heuchlerbrut!“ brummte Julius zwischen den Zähnen und folgte dem vorwatschelnden Verschnittnen zu den Frauen des Harems. – Welche Reihenfolge von abgehärmten, frechen und phlegmatischen Gesichtern! nirgends Liebe, nirgends Reiz; pure Sklaverei. Julius, die stumm und zitternd Dastehenden musternd, sagte dieses dem Kislar Aga, der seine Peitsche schüttelte, und meinte, er getraue sich wohl, die Damen zärtlicher zu machen. Verächtlich drehte sich Julius ab und ging hinweg. –
„Schon der Zugang zu dem Weiberkerker ist finster wie die Hölle“, sprach er, das schwarze Pfortengewölbe betrachtend. – „Der Platz ist merkwürdig“, entgegnete der Neger grinsend; „hier ward Sultan Hussein ermordet, da er zu seinen Weibern fliehen wollte.“ – Julius schauderte. – „Wer war dieser Hussein?“ fragte er. – „Dein vorletzter Vorfahr“, versetzte der Eunuch; „der Letzte, o Herr, ward in dem Schatzgewölbe erdrosselt, was Dir der Chasnadar bezeugen wird, denn er selbst hat die Trabanten angeführt.“ – „Scheußlich!“ schrie Julius; „ist denn Damask eine Mordgrube und bin ich von Missethätern umringt?“ – „Allah ist gerecht!“ sagte der Kislar Aga, sich demüthig verbeugend; „des Menschen Leben ist aber kurz und seit undenklichen Zeiten kein Fürst von Damaskus eines natürlichen Todes gestorben.“ – Wie vor einem Verpesteten floh Julius vor dem schwarzen Unglücksvogel und rief seinem Kobold zu: „Fort Mispel, fort mit mir! Lieber in eine Einsiedelei der Wüste, als länger hier verweilen, wo der Knecht dem Herrn mit dem Schwerte gebietet.“ – „Nach Gefallen!“ krähte der bunte Vogel; „halte Dich an meinen Schwingen fest. Am Berg Sinai steht just eine Anachoretenwirthschaft ledig. Ehe Dein Mund dem schönen Damask „Adieu!“ zurückrufen mag, sind wir dort!“
Für Julius, den Diogenes der Wüste, waren die Sorgen der unkultivirten Welt ein Unding geworden, so wie ihre Bedürfnisse. Das benachbarte Kloster sandte ihm Lebensmittel; in der Verlassenschaft seines Vorgängers fand er Lumpen zur Bedeckung, ein Moosbett zur Ruhe, ein Kopfkissen von Stein, und ein coptisches Sentenzenbuch, das er – Dank sei’s dem Koboldchen, das ihn häufig besuchte, – bald verstand. Der Welt müde, lebte er geraume Zeit in der Ruhe eines Weisen, und achtete sich glücklich, keinem Menschen unterthan zu sein in seiner dürftigen Beschränktheit. Lange hörte Mispelchen bei seinen Visiten nur die Versicherung aus Julius Munde, daß er zufrieden sei. Nach und nach wurden aber die Unterhaltungen einsilbiger; Julius gähnte und der Kobold nicht minder. – „Du hast wieder Langeweile,“ sagte endlich Mispel; „und, meiner Treu, ich bin davon angesteckt. Wie kann man es Dir denn recht machen, Du Unbestand?“ – „Ei,“ versetzte Julius: „wie sollte man auch nicht unwirsch werden? Sieh einmal den Himmel an, der ewig blau und klar ist, ohne Veränderung und ohne Regen. Sieh diese Klosterkost; ewig dieselbe abgeschmackte Küche. Das Buch hier weiß ich auswendig; zur Bearbeitung gibt sich der dürre Boden nicht her. Dies Kleid wird in die Länge unerträglich, und zudem … wäre ich nur, wie ich mir schmeichelte, mein eigener Herr! Aber die Beduinen sind’s, Verehrtester, die mir von Zeit zu Zeit wegnehmen, was ich sammelte, meinen Brunnen durch ihre Kameele verunreinigen, und mir beim leisesten Widerstand den Tod androhen. – „Ach!“ – er schwieg mit einem Seufzer. – „Was soll ich denn für Dich thun?“ fragte Mispel lachend! „Fünfmal that ich Dir zu Willen. Ein sechstesmal nur vermag ich noch Deinen Stand zu ändern. Merke jedoch auf: Behagt Dir auch die neue Sphäre nicht, so bist Du mein Serviteur ohne Widerrede, und ich werde Dir in meiner Heimath ein Bedientenkämmerchen anweisen lassen. Bedenke also genau und wähle.“ – „Das lange Fasten hat meinen Geist schwach gemacht,“ versicherte Julius! „Ich weiß nicht mehr, was ich will und was ich soll. Aber um Alles in der Welt; aus dieser Streusandbüchse schaffe mich fort. Wäre ich nur ein geringer Mann, hätte ich sogar Weib und Kind, ich würde glücklicher sein, als in dieser Einsamkeit, in welcher selbst Deine seltne Nase mir alltäglich wurde. – „Topp!“ jauchzte das Koboldchen! „in diesem Augenblicke ersäuft bei Ceylon ein Gärtner, der, exotische Gewächse zu holen, den Ocean überschiffte, und schon wieder auf der Heimkehr begriffen war. Tröste Du die Hinterbliebenen.“ – „Wen?“ – „Die Frau, die Kinder, den Hausfreund.“ – „Gott bewahre mich!“ rief der entsetzte Julius, der sich beim Worte genommen sah; aber in diesem Augenblicke stürzte eine Araberhorde herbei, um dem armen Julius den Garaus zu spielen. Dieser hatte nun nichts Eiligeres zu thun, als sich in sein Schicksal zu fügen. Mispel verwandelte sich daher in riesigen Spuck, nahm den Schützling unter den Arm, schlug sich mit ihm durch die Beduinen, und setzte ihn in Deutschland, mit einem Ränzchen bepackt, vor einem niedlichen Hause nieder.
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Freundliche Gesichter sahen aus den hellen Fenstern, freundliche Arme umschlangen bald den Hausfreund-remplaçant. Eine sehr hübsche Frau küßte ihm den Staub von der Stirne, zwei winzige Blondköpfe nahmen Ränzel und Wanderstab ihm ab. Treue Freundeshand streckte sich ihm aus der Thüre entgegen, und im Nu saß er an dem kleinen Tische, besetzt mit Früchten und Wein, in der zierlichen von Reben umrankten Stube; – nicht ein Fremdling unter Fremden, sondern ein Hausvater unter den Seinen. Und also vergingen ihm die Tage in himmlischer Freude und Lust, daß er nimmer daran dachte, wie er nicht der Gärtner gewesen, sondern der ehescheue Julius. Ein wohlthätiger Zauber hatte ihn umgarnt, seine Brust erweitert, und ein ganzes Paradies darinnen angepflanzt, schöner als die Blumen seines Gartens, in dem er arbeitete, als sei das von Jugend auf sein Handwerk gewesen. Er hatte die Frauen gehaßt, aber hier fand er nur Treue und Liebe; er hatte den Freund mißtrauisch beobachtet, aber er fand ihn immer wie das klare Gold so probehaltig. Die Kinder hatten sich in [101] sein Herz genistet, als ob’s die eigenen wären, und er fühlte sich glücklich und zufrieden. Dies sagte er ohne Scheu und Zögern dem dienstbaren Kobold, der als Freiherr von Spinnenkram einst bei ihm einkehrte und tête-à-tête nach seinem Wohlbefinden fragte. „Welch ein Thor war ich!“ rief Julius; „auf der goldnen Mittelstraße findet man das Glück, und Liebe und Freundschaft lügen doch nicht wie die Schattenbilder, die sich dafür ausgeben. Ich habe das große Loos gewonnen. Die Arbeit macht mich glücklich; mich erfreut Gattin und Freundeswort, und ich bin Herr im Hause, worin mir weder Prinz, noch Admiralität, noch Landstand, noch ein Kislar Aga, am allerwenigsten ein schmutziger Beduine zu befehlen hat. Mispelchen, Herzchen, nun dank ich Ihnen erst, und dispensire Sie von jedem weitern Dienste.“ – „Du täuschest Dich, fürcht’ ich,“ entgegnete der winzige Freund spöttisch; „die Heuchelei der Weiber ist ohne Ende. Der sich der Herrschaft über sie rühmt, steht gewiß unter dem Pantoffel.“ – Julius lachte. – „Und ihre Treue?“ – fuhr Mispel fort. – „Lauter und rein.“ - ,,Und der Hausfreund?" – „ Ein ächter Mann von altem Schrot und Korn, der während meiner – meines Vorgängers Abwesenheit allein mein Hauswesen aufrecht hielt. Lassen Sie daher jeden Spott, denn ich bin glücklich.“ – So eben schwebten die blühende Frau, die herrlichen Kinder herein; der Freund kam als Gast zum frugalen Mahle, und bei der Gärtnerburschen fröhlichem Saiten- und Flötenspiel tafelte hier ein zufriedener Verein. Nur das Koboldchen war verdrüßlich, denn es hatte sich, wie es grämelnd einsah, total geirrt. Es hatte geglaubt, den Lebensüberdrüssigen in ein ehelich Fegfeuer zu setzen, um ihn alsdann zu seinem Leibeigenen zu gewinnen, und hatte in der Eile fehlgegriffen. Er brütete daher über einem Plane, wie dem Glücke seines Protégés am Besten beizukommen sei.
„Rathe einmal, was ich in diesem Kästchen verwahrt halte?“ fragte Julius’ Gattin, als er am nächsten Tage von der Arbeit zum Mittagsmahle kam. Julius betrachtete das niedliche Nähkästlein aufmerksam, ohne zu errathen. Aber eine Stimme, die aus dem Innern drang, half ihm aus dem Traume. „Bitte, bitte, lieber Herr, – lispelte sie – mach’ auf, und glaub’ der Frau kein Wort.“ – „Ei, Mispelchen, wie kommst du denn in den engen Karzer?“ fragte Julius verwundert. – „Auf die leichteste Art von der Welt, “versetzte die Frau lächelnd! „Das boshafte Wesen wollte Unkraut unter den Waizen säen, und ’s ist ihm mißglückt. Kam es etwa nicht vor einer Stunde in feiner Barongestalt, und that so schön und freundlich, um mich zu berücken? Erzählte es mir nicht etwa die wunderlichsten Dinge von Dir, und wollte mich überreden, Du seist gar nicht mein rechter Mann, sondern ein unbeständiger verlarvter Wildfang? Bot er mir nicht etwa Gold, Perl und Edelstein, und muthete mir zu, Dir die Treue zu brechen? Ich merkte aber die Tücke, und mein Mutterwitz belehrte mich, daß dahinter der Böse stecken müsse. Und ich schmeichelte und plauderte, und eh’ sich die Hand umkehrte, hatt’ ich’s heraus, daß Monsieur Asmodi unter dem Freiherrnrocke hause. Er läugnete auch endlich nicht, und da ich mich ungläubig stellte, als er von seiner Zaubermacht sprach, und ihm verhieß, ihm nur zu vertrauen, wenn er vor meinen Augen sich in dieses Kästlein logirt haben würde, – da ging der Einfältige in die Falle. Den Deckel schlug ich zu; und ein frommer Spruch, den die Großmutter mich einst lehrte, hält den Schelm darinnen fest. Jetzt aber, lieber Mann, trage schleunig das kleine Ungethüm in’s Wasser, wo’s am tiefsten ist, damit es vor der Hand Niemand schade. Der Schlüssel zu dem Kerker schmilzt dort in der Herdesflamme.“ – Julius stand verdutzt, bis endlich sein Grimm ob der Bosheit des Geistes wach wurde. Vergebens verschwendete dieser alles Flehen. „Nein Du mußt gezüchtigt sein, Du Teufelsbrätchen,“ rief der erzürnte Gatte: ,,wär’s nur um Deiner Thorheit willen, Du dummer Gnome!“ und schleuderte das Kästchen, in dem es gräulich schnarrte und knurrte, in die Fluth. Die Frau aber sprach sanft und ernst zu ihm: ,,Bring’ mir keine solche Gesellschaft mehr in mein frommes Haus. Nicht immer möchte der Spuck so folgsam sein. Und merk es Dir, Geliebter! Arbeit, Freundschaft, Treue und selige Liebe sind himmlische Wächter des Herdes, denen kein unsaubrer Geist zu nahen hat. Jetzt aber nimm diesen Kuß und Alles sei vergessen!“ – Julius wand sich lächelnd aus der süßen Umarmung, und flüsterte vor sich hin: „Das hätte mir einmal vor Zeiten eine Frau sagen sollen! Und diese, – so sanft und weich sie mit mir spricht, – diese erlangt doch Alles von mir, was sie auch will. Ich merk’s wohl, daß ich nicht Herr im Hause bin. Aber soll ich das angenehme Pantöffelchen schmälen, da doch der Mispel sogar vor ihm in’s Kästchen kroch? Weg mit der Erinnerung an frühere Zeiten. Treu will ich wandeln den Pfad, auf den mein Schicksal mich geführt, König meiner Blumen, Vater meiner Kinder sein, und ewig halten an Liebe und Freundschaft!“
Und er hat es nie bereut.