Textdaten
Autor: Alexander Solomonica
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Titel: Meine Freundschaft
Untertitel:
aus: Die Fackel Nr. 309/310, S. 25–27
Herausgeber: Karl Kraus
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 31. Oktober 1910
Verlag: Die Fackel
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Erscheinungsort: Wien
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Quelle: Internet Archive, Commons
Kurzbeschreibung:
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Meine Freundschaft
Von Alexander Solomonica

H., einer meiner Bekannten, war mir sehr anhänglich, und ich ihm nicht minder zugetan. Wir sprachen zwar nie über dies gegenseitige Verhältnis, doch es hatte sich unzweifelhaft in das Gleichmaß des Vertrauens von selbst gefunden. Unsere Freundschaft war, so darf ich sagen, unser Widerschein, ein Flammenspiel an der Wand, das sich nicht wegwischen ließ, wenn irgend eine Hand darüber fuhr. Die Liebe zu dem gleichen Mädchen hätte sie nicht zerstört, sie vielleicht in eine lautere Feindschaft verwandelt, sie schlimmstenfalls einem tragischen Konflikte zugeführt. Der Gedanke, daß sonst ein äußerer Anlaß, und wäre es selbst der Tod, der Harmonie etwas anhaben könnte, lag mir fern, ich hielt ihn der Erwägung nicht wert und bin dessen gewiß, daß auch er verächtlich über ihn gelächelt hätte.

Aber als ich gestern mit ihm sprach, da hatte sich unterdessen eine unbegreifliche Veränderung vollzogen. Ich bemerkte, daß alle Herzlichkeit aus unserer Rede gewichen war. Mißtrauen erfüllte sie, es hatte sich Heuchelei in ihr eingenistet, und vergebens bemühte ich mich, ihrer Herr zu werden. Auch ein Versuch von seiner Seite, mit einem schnellen Lachen den alten Ton zu finden, mißglückte. Ich mußte erkennen, daß es sich um keine vorübergehende Verstimmung handelte; sie wäre sogar, hätten wir jetzt gleich die Sprache darauf gebracht, nicht verflogen, sondern gewiß für immer besiegelt worden. Obgleich sie grundlos zu sein schien, fühlte ich ihre Unwiderruflichkeit. Aber indem ich mich fragte, wie ich je hatte mit ihm befreundet sein können, erschrak ich in einem Atemzuge darüber, daß es mit dieser Freundschaft nun endgültig vorbei war. Als ich dann schärfer zusah, erkannte ich – dies ging mir sehr nahe –, daß jene Heuchelei von mir allein ausgegangen war. Ich hatte sie auf ihn nicht einmal übertragen, sie nur in die Gegenrede hineingedeutet. In Wahrheit war plötzlich eine unsichtbare Mauer zwischen uns, von der meine Worte zurückprallten, und sein Gesicht blieb mir verschlossen.

Im Schwindel, der mich ergriff, tastete ich vergebens nach der Hoffnung, es wäre ein Traum. Denn nie zuvor hatte mich so ohne Gnade die Wirklichkeit gestreift. Doch weiß der Himmel, hinter welchem Traume ich mich verborgen hielt, so ahnte ich [26] nicht, daß ich selbst die Wirklichkeit gewesen war. Ich hörte irgend einen Klang verstummen, aber ich horchte wohl, von einer Wallung umfangen, nur mit halbem Ohre hin. Mir war’s, als hätte ich den Einsatz meiner Kraft verspielt, doch der Schlaf lag mir noch auf den Lidern, nun bin ich erwacht und meine Schwäche ist verflogen. Ich denke sogar mit Genugtuung daran, wie gleichgültig mir der Freund geworden ist. Eine meiner Launen hat ihm einen bösen Streich gespielt, darum bemüht er sich jetzt, wie ich weiß, vergebens, den Anlaß zu unserer Entfremdung zu finden. Ich ärgerte mich vielleicht über den Ausdruck seines Gesichtes, oder es verriet mir plötzlich ein Augenzwinkern die Distanz, um die ich mich in der Zwischenzeit von ihm entfernt hatte. Wie dem auch sei, an die Marschroute, die ich mir selbst vorschrieb, bin ich gebunden. Sind doch seit jeher meine Launen das Einzige, das mich zur Pflicht gemahnt, denn ich mache sie mir zur Pflicht. Ängstlich bin ich bestrebt, jeder einzelnen zu Willen zu sein, und selbst meine Gefühle gehorchen da aufs Wort. Vor ihnen habe ich Respekt, denn sie allein lassen mich an die Macht des Schöpferischen glauben. Wohl hielt ich unsere Freundschaft für unzerstörbar, da ich sie aber einer Laune opferte, erweist sich mir das, was mich als Ohnmacht schreckte, als eine Probe meiner Macht. Ich werde mir wollüstig bewußt, daß eine leise Regung meines Willens dem Tode gewachsen ist. Ihm trotzte die Freundschaft, war sie doch unser Widerschein, den nun ein Hauch des Gedankens für immer erlöschen machte. Ich enttäuschte ein Vertrauen, das selbst der Ewigkeit gespottet hätte, denn es entsprang einer Harmonie; aber an meiner flüchtigsten Laune wurde es zuschanden.

Und doch, da mich dieses Bewußtsein mit unerhörter Freude, mit grimmiger Sicherheit erfüllt, entsinne ich mich dessen, was war, und ich werde wieder irre. Da bin ich nervös und rebellisch, als gelte es, eine Drohung abzuwehren, die ich nicht kenne, sondern nur dumpf, als Ahnung empfinde. Was zwingt mich jetzt, mir die Züge deines Antlitzes vorzustellen? Sie sind verzerrt, aber mich dünkt, ich hätte sie entstellt. Mit einmal scheinen sie mir wieder liebenswert zu sein. Doch es ist nur ein flüchtiges Erinnern, das mich täuscht und verwirrt! Nein, ich ertappe mich dabei, wie ich’s zum Vorwand nehme, weil mir ein Widerspruch befiehlt, das [27] Überwundene zu erstreben. Darum halte ich jetzt über die vergangene Freundschaft lebhaftere Zwiesprache mit dir, als je, da wir noch wirklich Freunde waren. Ja, ich bitte dich, mir zu verzeihen, mich nicht zu verlassen. Weißt du noch, wie grenzenlos wir einander vertrauten? Noch immer habe ich keine Geheimnisse vor dir, doch ich selbst bin an Geheimnissen arm. Willst du mir nicht die deinen anvertrauen? Aber ich sehe es dir an, unaufhörlich denkst du an Untreue und Verrat. Wie? Ich besinne mich, auf meine Pflicht, auf meinen Willen. Noch spreche ich, wie ich es einst gewohnt war, zu dir, doch du hörst mich nicht mehr. Die Entfernung wächst zwischen uns, ich winke dir aus der Ferne und blicke nicht hin, um zu sehen, ob du den Gruß erwiderst.