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Meine Freundschaft
Von Alexander Solomonica

H., einer meiner Bekannten, war mir sehr anhänglich, und ich ihm nicht minder zugetan. Wir sprachen zwar nie über dies gegenseitige Verhältnis, doch es hatte sich unzweifelhaft in das Gleichmaß des Vertrauens von selbst gefunden. Unsere Freundschaft war, so darf ich sagen, unser Widerschein, ein Flammenspiel an der Wand, das sich nicht wegwischen ließ, wenn irgend eine Hand darüber fuhr. Die Liebe zu dem gleichen Mädchen hätte sie nicht zerstört, sie vielleicht in eine lautere Feindschaft verwandelt, sie schlimmstenfalls einem tragischen Konflikte zugeführt. Der Gedanke, daß sonst ein äußerer Anlaß, und wäre es selbst der Tod, der Harmonie etwas anhaben könnte, lag mir fern, ich hielt ihn der Erwägung nicht wert und bin dessen gewiß, daß auch er verächtlich über ihn gelächelt hätte.

Aber als ich gestern mit ihm sprach, da hatte sich unterdessen eine unbegreifliche Veränderung vollzogen. Ich bemerkte, daß alle Herzlichkeit aus unserer Rede gewichen war. Mißtrauen erfüllte sie, es hatte sich Heuchelei in ihr eingenistet, und vergebens bemühte ich mich, ihrer Herr zu werden. Auch ein Versuch von seiner Seite, mit einem schnellen Lachen den alten Ton zu finden, mißglückte. Ich mußte erkennen, daß es sich um keine vorübergehende Verstimmung handelte; sie wäre sogar, hätten wir jetzt gleich die Sprache darauf gebracht, nicht verflogen, sondern gewiß für immer besiegelt worden. Obgleich sie grundlos zu sein schien, fühlte ich ihre Unwiderruflichkeit. Aber indem ich mich fragte, wie ich je hatte mit ihm befreundet sein können, erschrak ich in einem Atemzuge darüber, daß es mit dieser Freundschaft nun endgültig vorbei war. Als ich dann schärfer zusah, erkannte ich – dies ging mir sehr nahe –, daß jene Heuchelei von mir allein ausgegangen war. Ich hatte sie auf ihn nicht einmal übertragen, sie nur in die Gegenrede hineingedeutet. In Wahrheit war plötzlich eine unsichtbare Mauer zwischen uns, von der meine Worte zurückprallten, und sein Gesicht blieb mir verschlossen.

Im Schwindel, der mich ergriff, tastete ich vergebens nach der Hoffnung, es wäre ein Traum. Denn nie zuvor hatte mich so ohne Gnade die Wirklichkeit gestreift. Doch weiß der Himmel, hinter welchem Traume ich mich verborgen hielt, so ahnte ich

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Karl Kraus (Hrsg.): Die Fackel Nr. 309/310. Die Fackel, Wien 1910, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Fackel_Nr._309%E2%80%93310.djvu/27&oldid=- (Version vom 31.7.2018)