Malerische Wanderungen durch Kurland/Die Jagd auf dem Pappen-See
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Während der Zeit des Seebades in Liebau, ist die Jagd auf dem Pappen-See am Ende des Julymonats, für den Jagdliebhaber ein sehr vorzügliches Vergnügen. Ich befand mich an jenem Ort in einer frohen Gesellschaft, die eben eine solche Jagd verabredet hatte, und auch mich daran Theil zu nehmen, einlud.
Der Pappen-See ist sechs Meilen von Liebau entfernt. Wir fuhren daher kurz vor Mittag von dort aus, um noch vor dem [110] Abend einen Krug unweit dem See zu erreichen. Das Wetter war schön und der Weg, die ersten drei oder vier Meilen auf festem Sande, hart an der Ostsee, vortreflich. Ein leichter Ostwind wehte uns Kühlung zu, und die kräuselnden Wellen bespielten die Räder unsers Wagens, aus dem wir die vorbeysegelnden Schiffe kollegialisch begrüßten; denn da die Küste flach und fest ist, so fuhren wir zuweilen ganz im Wasser. Hin und wieder erblickten wir Badehütten und manche Najade entschlüpfte in diese, je näher wir ihnen kamen — doch oft nicht zeitig genug, um unsern Blicken die Wahrheit der Bemerkung zu entziehn: daß die Maler wohl Recht haben, ihre Gestalten in nasse Gewänder zu hüllen. Doch konnten wir auf unserm fortrollenden Fuhrwerke, welches in seiner Muschelgestalt dem Wagen des Neptuns auch darin ähnlich war, daß es — nur freylich etwas nah am Ufer — die Fluten theilte, nicht gar zu lange die Ideale der vor uns plätschernden Najaden festhalten — weil eine sehr irdische Gestalt, welche die Zeichen des festen Landes nur zu [111] stark an sich trug, die Illusion nicht selten unterbrach und das Bad zu einer Wäsche umgestaltete. — Auch einige schimmernde Bruchstücke des goldenen Zeitalters glänzten uns hier am Strande entgegen, und zwar in der patriarchalischen Unschuld, mit welcher sich Männer und Weiber ganz nahe neben einander in die Fluten warfen. Das Meer ist freylich ein ansehnliches Feigenblatt, das jenes der Eva an Größe und Weiche übertrift; doch es haftet weniger, als das paradisische Blatt und die Erbsünde, die sich’s zur Hülle nahm. Weiter von der Stadt verschwanden die Badegestalten immer mehr und mehr. Hin und wieder erinnerte das Geripp eines alten Wracks, daß eben dasselbe Meer, welches die Graziengestalt eines holden Mädchens wie ein leichtes Gewand umfloß, auch das feste Gebäude eines Schiffs zertrümmern kann, so wie auch wieder dem Meere gleich, jene Schöne vielleicht die glatte Oberfläche nur in den Frühlings- und Sommertagen trägt, wo die Stürme schweigen, aber wenn erst das Herbst-Aequinoctium des Ehestandes [112] passirt ist, wie das Meer braust und tobt.
Wir verließen endlich den Strand, und geriethen nun in immer tieferen Sand, der den Weg äußerst beschwerlich machte. Nur Schritt vor Schritt gelangten wir weiter, und da man noch unterwegs in einem Kruge verweilte, so brach schon die Nacht herein, als wir in einem Walde, wo die Passage immer enger wurde, eben die Bemerkung machten, daß wir den rechten Weg verfehlt hätten. Der Pappen-See konnte nicht fern mehr seyn, das mußte man aus dem Geschrey der Schnepfen, Wasserhüner und anderer Sumpfvögel schließen, die lärmend in schauerlichen Tönen die Stille der Nacht unterbrachen. Aber da jener See sich über eine Meile in die Länge erstreckt, so war es nicht leicht, einen Ausweg aus dem dichten Walde zu finden, um den nächsten Krug zu erreichen. Endlich erblickten wir ein Nachtfeuer — riefen nach der Gegend hin, aber niemand antwortete. Ich richtete meine Schritte zum Feuer und fand ein paar Bauern um dasselbe gelagert, die, über meinen [113] Anblick erschrocken, auf die Frage: warum sie nicht geantwortet? — erwiederten: sie hätten uns für Genossen des Teufels gehalten, der sich fast alle Abend das Vergnügen mache, hier laut zu rufen, man antworte ihm aber nie, und darum wär’s uns eben so gegangen. Ein gutes Trinkgeld überzeugte diese Geisterseher von unserer ächten Menschlichkeit; und so kamen wir mit Hülfe eines Führers — der den ganzen Weg über nicht müde wurde, von den bösen Streichen des Satans zu erzählen, welcher für gewöhnlich in Gestalt eines schwarzen Hundes auf seiner Großmutter spazieren ritte, und diese gar einmal in dem See habe ersäufen wollen, und dergl. — endlich in dem ersehnten Kruge an.
Wie manchem einsamen Reisenden mag dieser Aberglaube nicht schon lebensgefährlich geworden seyn: hier, wo in einem schmalen Erdstrich im tiefen Walde, auf der einen Seite das Meer, auf der andern ein schrecklicher Morast liegt, der den Anfang des Pappen-Sees macht! Doch so ein Platz eignet sich schon zum Heiligthum des Aberglaubens, [114] der am liebsten in dichter Finsterniß weilt, und den das Wunderbare wie ein tiefes Meer — und die Furcht, wie das Geschrey der Sumpfvögel umgiebt. Indessen bey den jetzigen Erscheinungen von Gattinnen, Katzen und Hunden, die an der Tagesordnung sind, und den beynah ganz verloren gegangenen Beschwörungsformeln, wird man mir Dank wissen, jene in der treuherzigen Erzählung eines Bauern — der keine Mittel hat, sich durch die Edition der Erscheinungen seiner Angehörigen berühmt zu machen — wieder aufgefunden zu haben.
In dem Pappen-Seeschen Kruge fanden wir alles schon zu unserm Empfange bereit. In dem Gastwirthe dieses Kruges erschien der Nachtrag zu der furchtbaren Erzählung unsers Führers; denn gerade so mußte seiner Großmutter die Schreckensgestalt erschienen seyn, nur ward sie hier zum Glück durch ein Paar weibliche Wesen, die sich sogleich als Wirthinnen verriethen und denen es nicht an freundlicher Bildung gebrach, gemildert. Wir schliefen sanft nach unserer abentheuerlichen Reise, und kaum graute [115] der Morgen, als schon der Jägerruf uns weckte. So schnell als möglich ging es nun zum See, der ein paar hundert Schritte von unserm Nachtlager entfernt war. Die Sonne stieg eben am Horizont herauf und vergoldete die spiegelglatte Wasserfläche, die ausgebreitet zu unsern Füßen lag. Hin und wieder erhoben sich darin kleine Wälder von Rohrgewächsen. Gegen vierzig sogenannte Blockböte mit ihren Führern erwarteten uns. Diese Fahrzeuge sind aus hohlen Baumstämmen gezimmert, und wer darin nicht zu stehen gewohnt ist, verliert leicht das Gleichgewicht und schlägt über, oder wirft gar mit dem Boot um. Doch zwey solche an einander befestigte Boote sind um desto sicherer, und deshalb hatte man auch dafür gesorgt. So waren wir bald zur Abfahrt bereit. Fünf und zwanzig Böte ungefähr waren allein von den Treibern besetzt, die übrigen nahmen die Jäger mit ihren Gewehren ein. Der See ist über eine Meile lang und eine halbe Meile breit, und an den meisten Stellen nur zwey bis drey Fuß tief, hat aber morastigen Grund. Größere und kleinere [116] mit Schilf und Rohr bewachsene Inseln scheinen auf seiner Oberfläche zu schwimmen. Einige derselben umfassen einen Flächeninhalt von mehrern hundert Schritten. Sie sind der Sitz einer zahllosen Menge von Wasservögeln aller Art.
Die Jagd pflegt in der Art Statt zu finden, daß sich auf der einen Seite einer solchen Rohrfläche, die Böte der Jäger den Böten der Treiber gegen über stellen; nun werden mit lautem Geschrey und wilden Ruderschlägen, die im Sumpf und Rohr versteckten Wasservögel aus ihren Schlupfwinkeln gescheucht und von den Jägern erlegt. Unsre kleine Jagdflotte stieß vom Lande ab, und die Menge der kleinen schwarzen Böte in dem glatten, vom Schein der Sonne erleuchteten See, zwischen den Flecken von grünem Rohr und Schilf, gewährte, einen herrlichen Anblick. So dachte ich mir eine Flotte der Wilden auf dem See Ontario — und meine Phantasie versetzte mich in jene Gefilde, aus welchen Chateaubriant in seiner Atala eine himmlische Erscheinung in’s Daseyn rief.
[117] Eine unzählbare Menge grauer und weißer Möven kreiste vor und um uns her. Sie ließen sich in ihrer Jagd auf die Wasserbewohner nicht stören. Mit Blitzesschnelle fielen sie aus der Luft herab — tauchten in’s Wasser, erhaschten ihre Beute und flogen mit dieser davon — von andern mit lautem Geschrey verfolgt, die ihnen den Fang beneideten. „So machen es ja auch die neidischen Menschen“ — dachte ich: „sie schreyen über jeden Besitz des andern, lärmen und toben, und verlieren gerade dadurch die Zeit und Gelegenheit, das selbst zu erwerben, was sie an andern beneiden.“
Die Böte umkreisten jezt eine der Rohr- und Schilfinseln — und die Jagd begann. Aber gerade die Menge der Wasservögel hinderte den glücklichen Fortgang der ersteren. Niemals habe ich die besten Schützen so häufig fehlen gesehn, als hier. Die große Anzahl des Wildes, das Gekreische, mit dem es rund umher auffliegt, oder über das Wasser fortzieht, die Flintenschüsse von allen Seiten — das Geschrey der Treiber — das Schwanken der kleinen Böte und zum Theil [118] auch die Gefahr, der man im Schilfe ausgesetzt ist von andern getroffen zu werden oder sie zu treffen; alles das trägt dazu bey, einen aus der Fassung zu bringen; und so wird dadurch die Bemerkung bekräftigt, daß Überfluß gerade den Genuß eines Vergnügens stört, statt ihn zu befördern. Ein solches Treiben wird eine Mast genannt. Bis zum Mittag hatten wir deren mehrere mit Erfolg geendet, und — jedes Boot war mit erlegtem Wilde versehn. Nun landeten wir an einer trockenen Insel. Hier wurde die Flotte neben einander gestellt, und unter dem freyen Himmel ein heiteres Mittagsmahl unter Scherz und Gesang verzehrt, und mit Erzählungen lustiger Jagdabentheuer gewürzt; bald darauf aber die Jagd von neuem begonnen.
Gegen Abend zogen die Schwäne, die hier erst im October gejagt zu werden pflegen und jezt daher auch sorgältig geschont wurden, aus dem Rohr auf die Fläche des Sees. Oft erblickte man sie zu zehn bis zwölf auf einem Fleck. Wie leuchtende Erscheinungen traten sie aus dem Grünen hervor, [119] doch, wenn der Zug der Böte ihnen zu nahe kam, erhoben sie sich mit klopfenden Schwingen, und ihr schwerer Flug brauste durch die Luft dahin; nur die Mütter, besorgt um die schutzbedürftige Brut, schwammen ins Rohr zurück. Diese hatten das Schicksal der Leda, die der zärtliche Schwan verließ, als ihre Tugend den Schwanengesang vollendete.
Die Strahlen der untergehenden Sonne flammten über die Spitzen des im kühlen Abendwinde schwankenden Rohrs, und zogen über die Schilfinseln eine magisch zitternde Beleuchtung: da suchten wir das verlassene Ufer und — den wirthlichen Krug zu erreichen — und traten am andern Morgen, mit Beute beladen, unsern Rückweg nach Liebau wieder an.