Magda Irschick
Magda Irschick.
Immer mehr verflacht sich das Niveau unserer Bühne; selbst die Anstandsrücksichten, welche die ersten Theater bisher dem höheren Drama gegenüber beobachteten, treten zurück gegen die Dictatur des höchsten Potentaten, der jetzt in Theatersachen gebietet, des Cassenrapports. Der Cassenrapport ist das A und O, der Anfang und das Ende; wenn er spricht, müssen alle Dramaturgen schweigen, ja ein ganzes Collegium von Preisrichtern vermag nicht gegen ihn aufzukommen und die von ihm preisgekrönten Stücke nicht auf die Bühne zu bringen, wenn er sein Veto einlegt.
Natürlich steht besonders die Tragödie mit dem Cassenrapport auf gespanntem Fuße. Es hängt damit zusammen, daß die Zahl begabter Tragödinnen immer mehr im Abnehmen ist. Die anmuthigen Lustspieltalente, die Ingénues jeder Art, wachsen stets von Neuem aus der Erde; das ist ein Gedränge von artigen, allerliebsten, niedlichen Persönchen, welche durch ihre Liebenswürdigkeit die Kritik entwaffnen, sobald sie sich auf den Brettern zeigen; auch an sentimentalen Liebhaberinnen fehlt es nicht, welche über den Augenaufschlag einer Thekla und Ophelia mit der nöthigen Schwärmerei verfügen; aber die eigentlichen Tragödinnen, die Heldinnen, die jenem Schicksal gewachsen sind, „welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt“, sind nahezu auf den Aussterbe-Etat gesetzt. „Ein Königreich für eine Heroine“, rufen selbst die königlichen Hoftheater aus, wenn sie überhaupt noch den Ehrgeiz besitzen, das erhabene Genre der Dichtkunst zu pflegen.
Eine Künstlerin vom echten Holz, aus dem man die Tragödinnen schnitzt, ist Magda Irschick; sie hat den Zug für das Schwunghafte und Große und in ihrem ganzen Wesen den Wiederhall, den das Macht- und Wuchtvolle des Trauerspiels von seinen Trägerinnen verlangt.
Magda Irschick ist an der blauen Donau geboren, im Jahre 1853 in Wien, als die Tochter eines geachteten Kunsttischlers. In schlichten bürgerlichen Kreisen aufgewachsen, empfing sie jene Anregungen, die für ihr künftiges Lebensgeschick so bedeutsam werden sollten, von dem Wiener Burgtheater, wo die Schauspielkunst stets in Blüthe gestanden hatte und in jener Zeit, in der Glanzepoche der Laube’sche Direction, recht frisch und fröhlich gedieh. Auf das junge Mädchen machte besonders Julie Rettich einen großen Eindruck. Die Freundin Friedrich Halm’s, eine liebenswürdige und kluge Frau, gehörte als Künstlerin nicht zur eigentlichen Laube’schen Schule, welche den poetischen Ausdruck auf der Bühne, im Interesse lebenswahrer Menschendarstellung, möglichst herabzustimmen und die Tragödie vom Standpunkte der Komödie und des bürgerlichen Schauspiels aus zu reformiren suchte. Julie Rettich war daher auch dem Altmeister der Wiener Burg nicht sehr genehm. Da er indeß mit dem Rufe einer so bedeutenden Künstlerin zu rechnen hatte, so gab er in seiner Schrift über das Wiener Burgtheater ein kleines Meisterstück dramaturgischer Sophistik, indem er zwar den Geist der Frau Rettich mit vieler Wärme anerkannte, aber doch meinte, daß dieser Geist ihrem eigentlichen Darstellungstalent im Wege gestanden habe. Jedenfalls war Frau Rettich eine Meisterin in einem schwunghaften und verständnißvollen Vortrag, und gerade diese Anregungen sollten für die junge Magda nicht verloren gehen. Ihre Begeisterung für die Bühne stieß im elterlichen Hause auf Widerspruch; Laube’s Autorität, der sie geprüft und in ihr ein schönes Talent entdeckt hatte, entschied indeß zu Gunsten ihrer Wünsche; denn auf die Entscheidung des dramaturgischen Altmeisters, die freilich sich nicht immer bewährt hatte, legten die Eltern Magda’s großes Gewicht.
Diese erhielt also die Erlaubniß, die künstlerische Laufbahn einzuschlagen. Laube wollte sie anfangs für kleine Rollen an der Burg behalten; doch sie sehnte sich von Hause aus nach einem größeren Wirkungskreise und nahm ein Engagement bei Maurice in Hamburg an, wo sie freilich mehr der heiteren Thalia huldigen mußte. Bogumil Dawison sah sie dort und überredete sie, mit ihm nach Amerika zu gehen: er brauchte für seinen Gastrollencyclus eine Partnerin, welche die ersten weiblichen Rollen spielte. Seine Wahl hatte den glücklichsten Erfolg: Magda Irschick gefiel den Amerikanern ungemein; das Zusammenspiel der Beiden war ein glückliches, denn ihr Naturell hatte eine unleugbare Verwandtschaft. Zwar das Declamatorische, das bei Magda glänzend in den Vordergrund trat, lag Dawison ferner; sein Organ hatte nicht die Fülle, sein Vortrag nicht die Breite, um es zu bewältigen; aber beiden gemeinsam war dasjenige, was man „Rasse“ nennen möchte, das eingeborene Feuer, welches die Stellen und Scenen des Affectes und der Leidenschaft, die Höhenpunkte der Tragödie mit hinreißender, blitzartiger Gewalt aufflammen ließ. Dawison erkannte auch das Talent seiner Begleiterin, die in New-York und im Westen Amerikas täglich mit ihm zusammenspielte und seine pecuniären Erfolge mit herbeiführen half, ohne jede künstlerische Eifersucht an. Bis an sein Lebensende correspondirte er mit ihr und ein silberner Lorbeerkranz, den er ihr als Zeichen seiner Verehrung widmete, schmückt noch heute ihr Zimmer.
Nach Dawison kam ein Schauspieler von durchaus verschiedenem Gepräge nach New-York: der preußische Hofschauspieler Hermann Hendrichs, ein Künstler, der durch die schöne Männlichkeit seines Wesens und das harmonische Gleichmaß seiner Darstellung stets einen wohltuenden Eindruck gemacht hat. Auch mit ihm spielte sie die weiblichen Hauptrollen in den Stücken, in denen er auftrat, und verließ mit ihm Amerika zum großen Leidwesen des New-Yorker Theaterpublicums, das ihr später bewies, daß es ihre künstlerischen Leistungen nicht vergessen hatte.
Nach Europa zurückgekehrt, trat sie in Berlin, Königsberg und Köln auf. In dieser Stadt nahm sie ein festes Engagement an und bildete sich ein größeres Repertoire, Publicum und Kritik zeigten ihr warmes Wohlwollen. Inzwischen hatte Clara Ziegler die Münchener Hofbühne verlassen, und der Regisseur derselben, Richter, durchreiste Deutschland, um einen Ersatz für sie zu finden. Er sah Magda Irschick in Köln als Maria Stuart und engagirte sie sofort für das Münchener Hoftheater an Stelle von Clara Ziegler. Als Brunhilde in der Geibel’schen Dichtung hatte sie einen durchschlagenden Erfolg. Sie trat dann unter anderem als Iphigenie, Medea, Jungfrau von Orleans, Thusnelda im „Fechter von Ravenna“, als Margaretha in den Shakespeare’schen Königsdramen auf und machte besonders mit der letzten meisterhaft durchgeführten Rolle auf das Münchener Publicum den größten Eindruck. In einer jener Separatvorstellungen, in welcher König Ludwig sich, ungestört von der mitgenießenden Menge, den Eindrücken künstlerischer Vorführungen hingiebt, sah er Magda und zeigte sich alsbald als begeisterter Mäcen der Künstlerin, welcher er zahlreiche Gnadenbezeigungen zu Theil werden ließ. Nicht die geringste darunter war ein zehnjähriger Contract am Münchener Hoftheater.
Sie hatte als Nachfolgerin der Clara Ziegler, als Liebling des Münchener Publicums jetzt einen Höhepunkt in ihrer künstlerischen Laufbahn erreicht. Als Mitglied eines gutgeleiteten Theaters ersten Ranges, als prima inter pares in einem vortrefflichen Ensemble, konnte sie ihr Repertoire erweitern durch Aufnahme der neuen Aufgaben, welche die von der Münchener Intendanz stets beachteten Werke der zeitgenössischen Dichter ihr stellten. In solcher Stellung ist eine gediegene und gleichmäßige Entfaltung des Talentes nach allen Seiten hin ermöglicht.
Doch es sollte anders kommen: der Friedensstörer war jener kleine Gott, den von Anakreon bis zu Ovid und Properz die alten Dichter besungen haben, dessen Geschosse indeß nicht blos die Herzen treffen, sondern auch in den Lebensverhältnissen manche Verwirrung anrichten. Magda reichte dem Neffen des Münchener Intendanten, dem Baron Perfall, ihre Hand – und Familienverhältnisse zwangen sie, den Contract mit der Hofbühne, zum großen Bedauern des dortigen Publicums, zu lösen.
Jetzt begannen ihre Schauspieltournées zuerst in Deutschland, wo sie in fast allen größeren Städten in ihren Hauptrollen auftrat, dann in Amerika, wohin sie sich im Jahre 1879 mit ihrem Gatten begab. Sie war die erste deutsche Künstlerin von Bedeutung, welche über das Felsengebirge bis an den Stillen Ocean vordrang und in San Francisco Triumphe feierte, wie neuerdings Franziska Ellmenreich. Ueber Mexico kehrte sie dann nach New-York zurück, spielte bei der Eröffnung des neuen deutschen Thaliatheaters die Medea unter großem Jubel und trat dann sechszigmal [631] bei fast immer ausverkauften Hause auf, gefeiert von der deutschen und amerikanischen Presse als eine Küntstlerin ersten Ranges. Mit Dollars reich beladen kehrte sie auf ihren Landsitz in Baiern zurück.
Im Jahre 1881 trat sie in Berlin auf und erzielte dort als Brunhilde in Geibel’s Tragödie großen Erfolg; daran schloß sich ein Gastspiel in Rußland. Das Jahr darauf nahm sie ein Engagement unter der Staegemann’schen Direction in Leipzig an, wo sie zuerst als Medea mit vielem Beifall auftrat. Doch Frau Magda Irschick, gewöhnt an die Freiheit des Gastspielwesens in zwei Welttheilen, fühlte sich durch die Bedingungen eines festen Engagements eingeengt, und da ein Unwohlsein von längerer Dauer hinzukam, so wurde der Contract auf ihren dringenden Wunsch wieder gelöst. Seitdem lebt sie auf ihrer Besitzung an dem schönen Schliersee in Baiern, doch lange wird ihre Wanderlust wohl nicht ruhen; wie wir hören, soll sie bereits wieder für Amerika einen Contract abgeschlossen haben, der sie zum dritten Male in der nächsten Saison über das Meer führt. Vor ihrem Scheiden beabsichtigt die Künstlerin noch auf einigen hervorragenden Bühnen Deutschlands aufzutreten.
Magda Irschick ist eine Darstellerin großen Stils, sie steht und fällt mit der Tragödie. Schon ihr schönes volltönendes Organ befähigt sie wie Wenige, der Sprache der Dichter gerecht zu werden. Es herrscht freilich jetzt, unter den Einflüssen der Laube’schen Schule, die Neigung, das Recht jener schönen Sprache auf der Bühne möglichst zu verkümmern, und je mehr man die Verse im Conversationston spricht, ihren Vollklang erstickt, ihre rhythmische Bewegung zu verbergen sucht, desto näher glaubt man dem Ideal der darstellenden Kunst zu kommen, für welches der dichterische Ausdruck nichts ist als ein nothwendiges Uebel. Wenn der Altmeister selbst die Verse bei den Proben mit hohlem Grabeston und verloschenem Colorit vortrug, so wandelte die Jünger ein Grauen an vor jener Erbsünde der Poesie, die sich bei einzelnen großen Dichtern, wie bei Schiller, gar nicht ganz ausrotten läßt.
Doch die Dichter machen ihre Verse nicht, damit sie auf der Bühne verstümmelt und ertödtet werden. Die dichterische Schönheit hat ihren eigenen Zauber, verlangt ihr volles Recht: wenn die Verse eines Goethe, Schiller, Grillparzer, Halm mit einem volltönenden und modulationsfähigen Organ vorgetragen werden, dann wird erst eine der Lebensbedingungen der dramatischen Dichtung erfüllt. Dies ist bei Magda Irschick stets der Fall und ein entschiedener Vorzug dieser Künstlerin. Freilich ist ihr oft der Vorwurf gemacht worden, daß sie in Bezug auf das sprachliche Colorit zu viel thue, daß sie zu sehr liebe, sich auf den rhythmischen Wellen der Declamation zu schaukeln und durch den Wohlklang ihres Organs einen gewissen Zauber auszuüben, daß sie hier und dort in eine singende Vortragsweise verfalle. Doch wer hat nicht den Fehler seiner Vorzüge? Frau Irschick bringt dafür auch alle poetischen Stimmungen ihrer Rolle zu ergreifendem Ausdruck: den düstern Groll der Medea, die zarte Hingebung der Griseldis, die leidenschaftliche Glut der Brunhilde weiß sie schon durch die sprachliche Beleuchtung wirksam hervorzuheben. Wo es eben dem tragischen Medusenblick gilt, da versagen Frau Irschick niemals ihre Mittel. Auf der tragischen Höhe hat sie stets etwas Imponirendes; die aufflammende Leidenschaftlichkeit einer Brunhilde und Medea wiederzugeben, vermag sie wie Wenige. In letzterer Rolle glänzt sie namentlich in jener Scene des zweiten Actes der Grillparzer’schen Dichtung, wo sie vergeblich durch ihr Saitenspiel Jason an sich zu fesseln sucht, der sich nur mit Kreusa beschäftigt, und wo die wilde Gluth der Eifersucht in ihrer Seele aufflammt: das ist die Situation, die unser Bild darstellt. Doch auch die edle Haltung einer Iphigenie mit schöner Plastik der Diction und der Attitüden, die zarteren Gemüthsstimmungen einer Griseldis darzustellen, ist ihr nicht versagt. In ihrer Elisabeth im „Essex“ weiß sie die psychologischen Nüancen fein herauszuarbeiten.
Eine eigenartige Schöpfung ist ihre Geierwally. Das Naturkräftige, Derb-Wilde dieser Gestalt ist ihr Element; dazu kommt, daß sie durch langen Aufenthalt in den oberbaierischen Bergen das volksthümliche Colorit studirt hat, das ihr für diese Rolle des wilden Bauernkindes sehr zu statten kommt. Jedenfalls kommen auch die grellen Accente, welche Frau von Hillern in diesem etwas wüst-genialen Erzeugniß ihrer Muse anschlägt, zu ihrem vollen Recht.
Als Jungfrau von Orleans zeigt die Darstellerin heroischen Schwung, und als Sarema in der „Rose vom Kaukasus“ weiß sie der Heldin ein farbenprächtiges, romantisches Colorit zu geben und den Ausdruck hingebender Liebe, elegischer Klage um das verlorene Glück der Heimath mit der Begeisterung heißlodernder Kampfeslust glücklich zu vereinen.
Wir haben die Hauptrollen erwähnt, welche Frau Magda Irschick bei ihren Gastrollen vorzuführen pflegt. Ihr Repertoire ist noch viel reichhaltiger, gleichwohl muß man bedauern, daß sie nicht durch ein festes Engagement an einer ersten Bühne Gelegenheit und Muße findet, in dasselbe noch mehr Gestalten aus den Schöpfungen neuer Dichter aufzunehmen. Dies Zusammenwirken der dichtenden und darstellenden Talente ist so förderlich für den Fortschritt der dramatischen Kunst, daß man nur mit Bedauern wahrnehmen kann, wie hervorragende schauspielerische Kräfte sich durch ein feststehendes Gastspielrepertoire selbst beschränken. Denn im Exiren neuer Rollen bewährt und steigert sich die schöpferische Kraft, während die beständige Wiederholung derselben Rollen leicht zur Ueberladung mit Nüancen verführt, in denen sich der zurückgedrängte Trieb nach neuer Gestaltung zu bewähren sucht.
Doch Frau Magda Irschick ist einmal an die transatlantischen Wanderschaften gewöhnt, und so muß man ihre freizügigen Neigungen gewähren lassen. Sie ist eine glänzende Vertreterin der deutschen Tragödie, und es ist erfreulich, daß sie das schöne Wort der deutschen Dichtung dort verkündet von Ort zu Ort, so weit die deutsche Zunge reicht in den Landen, über denen das Sternenbanner der großen Republik weht.