Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Mineralogie“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 649651
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Mineralogie. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 649–651. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Mineralogie (Version vom 13.12.2021)

[649] Mineralogie (früher auch Oryktognosie), der Teil der Naturgeschichte, welcher sich mit den einfachen anorganischen Naturkörpern, den Mineralien, im Gegensatz zu den Gesteinen beschäftigt. Die M. betrachtet diese einfachen Körper der anorganischen Natur nach ihren sämtlichen Eigenschaften, gruppiert sie denselben entsprechend und beschreibt ihre Abarten, ihr Vorkommen, ihre Entstehung und Umwandlung in andre Mineralien. Die M. zerfällt in einen allgemeinen oder vorbereitenden Teil, welcher die Eigenschaften der Mineralien überhaupt zu erörtern bestimmt ist, und aus dessen Grundprinzipien die Klassifikation (Systematik) der Mineralien sich ergibt. Der zweite, beschreibende (physiographische) Teil bespricht dann die einzelnen durch ihre Eigenschaften unterschiedenen Mineralien in der auf obige Weise gewonnenen systematischen Anordnung.

Die Geschichte der M. hebt, auch wenn wir die ersten Anfänge, welche in einer Registrierung einzelner [650] Beobachtungen über technisch wichtige Mineralien, Edelsteine, Erze, Bau- und Statuenmaterial, bestanden, unberücksichtigt lassen, schon früh an. Aristoteles (384–332 v. Chr.) liefert bereits eine Systematik, indem er die Mineralien in orykta (Steine) und metalleuta (Erze) teilt. Theophrastos (390 bis gegen 300 v. Chr.) behandelte die Edelsteine, Dioskorides (um 50 v. Chr.) und Galenos (um 150 n. Chr.) die medizinisch ausnutzbaren Eigenschaften der Mineralien. In Plinius’ „Historia naturalis“ (23–79 n. Chr.) beziehen sich fünf Bücher auf die Mineralien. Im Mittelalter gab der Araber Avicenna (980–1036) ein System, nach welchem die Mineralien in Steine, schmelzbare Substanzen, schweflige, d. h. brennbare, und in Salze zu teilen sind. Für lange Zeit epochemachend waren die zahlreichen Werke G. Agricolas (1490–1555), eines Arztes zu Joachimsthal, welcher eine große Anzahl von Einzelbeobachtungen über die äußern Kennzeichen der Mineralien (Schwere, Glanz, Farbe, Spaltbarkeit) registrierte und ein für die nächste Zeit herrschendes System aufstellte. Nach ihm zerfallen die Mineralien in Erden, Konkretionen, Steine und Metalle, eine Einteilung, die auch in den Schriften des Schweizers Gesner (1516–65) und des Italieners Cesalpino (Cäsalpinus, 1519–1603) adoptiert ist. Der Däne E. Bartholin lieferte 1670 Beobachtungen über die Spaltungsgestalt des Kalkspats, seine Doppelbrechung und das Aufbrausen mit Säuren. Steno (geb. 1631 zu Kopenhagen, gest. 1686 in Schwerin) und Guglielmini (geb. 1655 zu Bologna, gest. 1710 in Padua) publizierten einzelne Beobachtungen über die Streifungen der Kristallgestalten und die Konstanz der Kantenwinkel, während Linnés (1707–78) Einfluß auf die M. gering war; wiesen ihm doch schon seine Zeitgenossen die Unhaltbarkeit seines Mineralsystems nach. Immer wichtiger wurden nun die Beobachtungen über die chemische Natur der Mineralien. Boyle (geb. 1627 in Irland, gest. 1691 in London), Becher (geb. 1635 zu Speier, gest. 1682 in London), Bromell (1679–1731 in Stockholm), Henkel (geb. 1679 zu Merseburg, gest. 1744 in Freiberg), vor allen aber die Schweden Wallerius (1709–85) und Cronstedt (1702–65) lieferten eine Reihe von Einzelbeobachtungen. Der letztere brachte die Lötrohrversuche in ein System, während schon der oben citierte Bartholin das Lötrohr selbst angewandt hatte. Den eigentlichen Grund zur chemisch-wissenschaftlichen Behandlung der M. legten aber, ebenfalls in Schweden, Bergmans (1735–84), Scheeles (1742–86) und Gahns (1745–1818) genauere chemische Analysen der Mineralien. Vauquelin in Frankreich (1763–1829), Klaproth in Deutschland (1743–1817; „Beiträge zur chemischen Kenntnis der Mineralien“, 1795–1815) u. a. wurden zu Hauptförderern dieses Zweigs der M. Ihnen folgten Fuchs (1774–1856), Berzelius (geb. 1779, gest. 1848 in Stockholm), die beiden Rose (Heinrich 1795–1864, Gustav 1798–1873), Mitscherlich (1794–1863), Rammelsberg (geb. 1813) u. a. Wie zuerst in Schweden die chemische Seite der M. zur Geltung kam, so ging von Frankreich der Anstoß zu einer wissenschaftlichen Behandlung der eigentümlichen äußern Formen der Mineralien aus. Romé de l’Isle (1736–90) wurde durch seinen „Essai sur la cristallographie“ (1772) der Schöpfer der Kristallographie, die aber erst durch Hauy (1743–1823) ihre wissenschaftliche Begründung erhielt, indem derselbe 1784 in seinem „Essai d’une théorie sur la structure des cristaux“ den mathematischen Zusammenhang unter den Kristallformen der Mineralien von gleicher chemischer Zusammensetzung nachwies. Er ging dabei von den „Blätterdurchgängen“ aus und leitete alle abweichenden Kristallflächen derselben von den „Dekreszenzen“ oder mangelhaften Ausfüllungen ab. Etwa gleichzeitig erhielt die wissenschaftliche M. von Sachsen aus den mächtigsten Anstoß durch Werner (1750–1817). Sein Schriftchen „Von den äußern Kennzeichen der Mineralien“ (1774), ein Muster in Schärfe u. Klarheit des Ausdrucks und der Folgerichtigkeit, wurde epochemachend. Von Freiberg[WS 1] aus verbreiteten zahlreiche Schüler Werners dessen Methode und Mineralsystem nicht nur über Deutschland, sondern über die ganze Erde. Unter seinen Schülern war es zuerst Christian Samuel Weiß (1780–1856), der die mathematische Behandlung der Kristallographie Hauys, aber unabhängig von obigem Ausgangspunkt und unter Zugrundelegung der Achsenverhältnisse der Kristalle weiter ausbildete. Er stützte sich dabei auf die durch Wollaston (1809) mittels des Reflexionsgoniometers ermöglichte genaue Winkelmessung. 1815 stellte er zuerst die noch jetzt angenommenen sechs Kristallsysteme fest, welche in ähnlicher Weise von Mohs, Naumann, Haidinger u. a., teilweise mit wesentlichen Modifikationen der Bezeichnung etc., weiter ausgebaut wurden, wogegen Neumann, Quenstedt, Rose sich enger an Weiß’ Verfahren anzuschließen fortfuhren, endlich eine selbständige Bearbeitungsweise, namentlich durch den Engländer Miller (1839) vertreten, auch nach Deutschland (besonders nach Wien durch Haidinger, Grailich, v. Lang und Schrauf) verpflanzt wurde. Besondere Verdienste um die Physiographie der Mineralien haben sich noch Hausmann, Breithaupt, Karsten, Leonhard, Descloiseaux erworben. In der Systematik errang allmählich die auf chemischen Grundsätzen beruhende Anordnung der Mineralspezies einen heute fast unbestrittenen Sieg. S. Mineralien und Kristall.

[Litteratur.] Breithaupt, Handbuch (Dresd. u. Leipz. 1836–47, 3 Bde.); Hausmann, Handbuch (Götting. 1828–47); J. D. Dana, System of mineralogy (5. Aufl., mit Nachträgen von Brush und E. S. Dana, Lond. 1883); Derselbe, Manual (3. Aufl. 1878); Naumann, Elemente der M. (12. Aufl. von F. Zirkel, Leipz. 1885). Ferner die Lehrbücher von Kenngott (5. Aufl., Darmst. 1880), G. Leonhard (2. Aufl., Leipz. 1860), Blum (4. Aufl., Stuttg. 1874), Quenstedt (3. Aufl., Tübing. 1877), Senft (in Leunis’ „Synopsis“, 3. Bd.; 2. Aufl., Hann. 1875), Tschermak (2. Aufl., Wien 1885), Bauer (Berl. 1886); Groth, Tabellarische Übersicht der Mineralien nach ihren kristallographisch-chemischen Beziehungen (2. Aufl., Braunschw. 1882); Hornstein, Kleines Lehrbuch der M. (3. Aufl., Kassel 1882). Speziell die Kristallographie behandeln: Naumann, Lehrbuch der Kristallographie (Leipz. 1829–30); Derselbe, Elemente der Kristallographie (das. 1856); Rose, Elemente der Kristallographie (3. Aufl. von Sadebeck, Berl. 1873); Schrauf, Atlas der Kristallformen (1. Bd., Wien 1865–78); Quenstedt, Grundriß der Kristallographie (Tübing. 1873); Groth, Physikalische Kristallographie (2. Aufl., Leipz. 1885); Goldschmidt, Index der Kristallformen (Berl. 1886 ff., 3 Bde.). Tabellen und Hilfsmittel zur Bestimmung rühren unter andern von Kobell (12. Aufl., Münch. 1884), Weisbach (3. Aufl., Leipz. 1886), Fuchs (2. Aufl., Gießen 1875), Hirschwald (Leipz. 1875) her. Die beste Mineralchemie ist Rammelsbergs „Handbuch“ (2. Aufl., Leipz. 1875; Ergänzungsheft [651] dazu, 1886, durch welche übrigens die 1. Aufl., das. 1860, nicht ersetzt, sondern nur ergänzt wird) und desselben „Chemische Natur der Mineralien“ (das. 1886). Für das Studium der Bildung und Umbildung der Mineralien sind am wichtigsten: Breithaupt, Paragenesis der Mineralien (Freiberg 1849); Blum, Die Pseudomorphosen (mit 4 Nachträgen, Stuttg. 1843–79); J. Roth, Allgemeine und chemische Geologie (Berl. 1879–87, 2 Bde.). Die wichtigsten mineralogischen Zeitschriften sind: „Neues Jahrbuch für M., Geologie und Petrefaktenkunde“ (Stuttg., seit 1833); „Mineralogische Mitteilungen“ von Tschermak (Wien, seit 1872); „Zeitschrift für Kristallographie und M.“ von Groth (Leipz., seit 1877); „The Mineralogical Magazine“ (Lond., seit 1876); „Bulletin de la société minéralogique de France“ (Par., seit 1878). Vgl. Kobell, Geschichte der M. (Münch. 1864); Riemann, Taschenbuch für Mineralogen (Berl. 1887). Vgl. auch die Artikel Mineralien und Kristall.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Freiburg