Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
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Band 11 (1888), Seite 286290
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Marseille. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 286–290. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Marseille (Version vom 03.12.2024)

[286] Marseille (spr. -ssǟj, hierzu Stadtplan), Stadt und Seehafen im südlichen Frankreich, Hauptort des Departements der Rhônemündungen, erste Seehandelsstadt

Wappen von Marseille.

Frankreichs und der ganzen Mittelmeerküste, nach London und Liverpool das bedeutendste Küstenemporium Europas, ist amphitheatralisch auf felsigem Terrain in der Form eines Hufeisens um den alten Hafen herumgebaut, ein ehemals viel tiefer ins Land eindringendes, länglich viereckiges Becken mit engem Eingang, dem die Stadt ihre Gründung durch die Phokäer verdankt, die hier die heimatliche Felsenküste wiederfanden. Die Lage von M. ist wie zur Entwickelung einer großen Handelsstadt geschaffen. Der treffliche, leicht zu verteidigende Hafen liegt nahe der für keine Stadtanlage geeigneten, ungesunden Rhônemündung, vor den Anschwemmungen des Flusses geschützt, aber aller Vorteile teilhaftig, die er gewährt, das natürliche Aus- und Eingangsthor des ganzen Rhônebeckens nach dem Mittelmeer hin, der Endpunkt der großen althistorischen Handels- und Völkerstraße im Rhônethal aufwärts nach Deutschland, Nordfrankreich und Nordeuropa überhaupt, zu welchen Ländern, wie die Reisen des Pytheas zeigen, schon das griechische M. Beziehungen unterhielt. So war und ist M. die Vermittlerin zwischen den Gestadeländern des Mittelmeers und dem Orient einerseits, Frankreich und Westeuropa anderseits. Da es seitwärts des Rhônebeckens, nicht in demselben liegt, so ist es niemals der Mittelpunkt einer dasselbe umfassenden politischen Einheit gewesen.

[Stadtteile, Straßen, Plätze.] Die Stadt M. zerfällt in drei Teile: die Altstadt auf der östlichen und nördlichen Seite des Hafens, gegenwärtig der Sitz der Industrie, der maritimen Bevölkerung und der weniger bemittelten Klassen, das Quartier der eigentlichen Marseiller; die bischöfliche Stadt auf der

[Beilage]

[Ξ]

MARSEILLE.
Maßstab 1 : 20 000.
Erklärung:
Arc de Triomphe D2,3
Banque D5
Bibliothèque E4
Boulevard de la Madeleine EF3
Boulevard Baille EFG5,6
Boulevard Longchamp F2
Bourse D4
Cathédrale B3
Château du Pharo A4
Cimetière, Ancien D2
Conserv. de Musique E4
Douane C4
Faculté des Sciences E3
Fort St. Jean AB4
Fort St. Nicolas B5
Gare Maritime BC1,2
Hôtel de Ville C4
Jardin Zoologique G2
Lycée E4
Musée (Pal. de Longchamp) G2
Marché du Temple D2
Notre Dame de la Garde C6
Observatoire FG2
Palais de Justice CD5
Place d’Aix D3
Place de la Bourse D4
Place de Ferréol D5
Place St. Michel E4
Poste D5
Prado E6
Préfecture D5
Promenade (Pierre Puget) C5
Rue Cannebière D4
Rue de la Republique C2,3
St. Victor B5
St. Vincent E3
Temple protestant D5
Théâtre, Grand D4
Théâtre du Gymnase E3
Théâtre Chave F4

[287] gegenüberliegenden Seite des Hafens, die im Mittelalter um die Abtei St.-Victor angelegt ward; endlich, beide Stadtteile verbindend, die allmählich herangewachsene Neustadt, welche sich südlich an den vom Fort Notre Dame de la Garde gekrönten Hügel anlehnt und von den beiden andern Stadtteilen durch eine lange Verkehrsader getrennt wird, die nacheinander die Namen Rue d’Aix, Cours Belzunce, Cours St.-Louis und Rue de Rome trägt und mit schönen Baumreihen bepflanzt ist. Während des Baues des Hafens Joliette wurde der nördlich von der Stadt gelegene Hügel, auf welchem das alte Lazarett stand, abgetragen und an seiner Stelle sowie auf dem dem Meer abgewonnenen Terrain ein weiterer

Karte der Umgebung von Marseille.

Stadtteil nördlich von der ältern Stadt angelegt, welcher die eigentliche Seestadt bildet. Die große, breite Rue de la République zieht sich mitten durch diesen Stadtteil und verbindet den alten mit dem neuen Hafen. Die schönste Straße in der eigentlichen Stadt ist die vom Ende des alten Hafens quer über die oben erwähnte große Verkehrsader in die Neustadt führende Straße La Cannebière, der Stolz der Marseiller („Si Paris avait une Cannebière, Paris serait un petit Marseille“, sagt ein Sprichwort der Marseiller), zugleich öffentlicher Platz, Bazar und Spaziergang. Die Straßen von M. sind im allgemeinen breit, mit guten Trottoirs versehen und mit schönen Gebäuden besetzt; die öffentlichen Plätze sind regelmäßig und geräumig angelegt. Die bedeutendsten der letztern sind: Place de la Bourse, ziemlich in der Mitte der Stadt, Place St.-Michel, auf dem Plateau im O. der Stadt, Place de St.-Ferréol, Place Neuve, der Platz des Justizpalastes, mit einer Statue des Redners Berryer, u. a. Die schönsten Straßen und Plätze sind in der Neustadt gelegen, welche sich von Tag zu Tag vergrößert. Zugleich wird die Stadt, welche früher durch ihre Unreinlichkeit verrufen war, sauber und gesund. Eine 83 km lange Wasserleitung mit großartigen Kunstbauten (darunter der 3700 m lange Tunnel durch die Gebirgskette Taillades und der imposante Aquädukt von Roquefavour, welcher aus drei übereinander stehenden Arkadenreihen zusammengesetzt ist und in einer Länge von 382 m über das Arcthal hinwegsetzt) führt der Stadt Wasser von der Durance (9000 Lit. in der Sekunde) zu und ist durch 400 Brunnen und 1800 Auslaufstellen der Bevölkerung zugänglich gemacht.

[Bauwerke.] An hervorragenden öffentlichen Gebäuden, namentlich aus früherer Zeit, ist M. nicht sehr reich. Doch sind unter den Kirchen zu erwähnen: die neue Kathedrale (auf hoher Terrasse an Stelle der demolierten alten Bischofskirche erbaut), eine Basilika im byzantinischen Stil, und die alte berühmte Wallfahrtskapelle Notre Dame de la Garde, 1214 auf dem gleichnamigen von einem Fort gekrönten Hügel erbaut, jetzt ebenfalls durch einen größern, in romanischem Stil aufgeführten Neubau ersetzt. Der letztere, welcher 1864 eingeweiht wurde, zeichnet sich durch eine große Vorhalle, einen Glockenturm von 45 m Höhe, im Innern durch die Verkleidung mit weißem karrarischen Marmor und eine schöne Kuppel aus. Von der Terrasse und der Turmgalerie genießt man die wundervollste Aussicht auf die malerisch gelegene Stadt, das Meer, die Inseln und die Berge umher. Bemerkenswerte Kirchen sind ferner: Notre Dame du Mont Carmel in der alten Stadt; St.-Victor, das Überbleibsel der ehemaligen Abtei gleiches Namens, mit alter unterirdischer Kapelle und Katakomben; die moderne Kirche St.-Joseph und die neue gotische Kirche St.-Vincent. Auch die protestantische Kirche ist ein hübsches modernes Gotteshaus. Andre interessante Bauwerke sind: das Stadthaus mit Skulpturen von Puget; der Justizpalast, 1858–62 erbaut, mit schönem Saal (des Pas Perdus); der neue bischöfliche Palast; das Präfekturgebäude mit reichgeschmückter Fassade (Reiterstandbild Ludwigs XIV.) und schönen Prachtgemächern; die Börse (1854–60 an der Rue Cannebière erbaut) mit reicher ornamentaler Verzierung und einem 1120 qm fassenden Hauptsaal; das große Theater (von 1784), im Innern neuerlich restauriert; der Triumphbogen an der Rue d’Aix, mit Skulpturen von David d’Angers und Ramey; das Fort St.-Jean am Eingang des alten Hafens und das gegenüberliegende Fort St.-Nicolas, in dessen Nähe sich auch auf einer ins Meer vorspringenden Anhöhe das ehemals kaiserliche Château du Pharo befindet; ferner das prächtige, im Renaissancestil erbaute Palais de Longchamp am Ostende des gleichnamigen Boulevards (1869 vollendet), mit 2 Pavillons, in welchen das naturhistorische Museum und die Gemäldegalerie untergebracht sind, dann einem Mittelbau mit schöner Fontäne; endlich der Neubau der Kunstschule, das große Schlachthaus, die Markt- und die Fischhallen. Die beliebtesten Spaziergänge sind im Innern der Stadt: die Allée Meilhan; der Boulevard Longchamp, welcher in dem zoologischen Garten endet, 1855 eröffnet, 6 Hektar umfassend, von schöner Anlage; der Cours Belzunce, mit einer 1852 errichteten Bronzestatue des Bischofs Belzunce, welcher sich während der Pest 1702 hilfreich erwies; der Cours Pierre Puget, gleichfalls in einen schönen, auf felsiger Anhöhe gelegenen öffentlichen Garten auslaufend, in welchem eine Säule die Büste Napoleons I. trägt. [288] Promenaden außerhalb der Stadt sind: Der Prado, mehr als 4 km lang, mit schönen Alleen bepflanzt und von Villen in seiner ganzen Ausdehnung umsäumt, von der Stadt zum Meer beim Château des Fleurs vorbeiführend, letzteres mit Hippodrom, Schießstätte und einem schönen, 50 Hektar großen Park. Am Ende des Prado befindet sich das der Stadt gehörige Schloß Borelli mit archäologischem Museum (s. unten), Wettrennplatz und schönen Parkanlagen, weiter die Promenade de la Corniche, welche sich längs der Küste in einer Ausdehnung von 7 km hinzieht, eine prachtvolle Aussicht auf das Meer gewährt und zahlreiche schöne Villen enthält. Im übrigen ist die nächste Umgebung der Stadt kahl und vegetationslos; erst etwas entfernter ist der Boden gut bebaut und mit Gärten und Weinbergen sowie mit zahlreichen (über 4000) Landhäusern, sogen. „Bastides“, meist zweistöckigen Gebäuden mit kleinen Gärten, bedeckt.

[Bevölkerung.] Die Bevölkerung von M., welche 1801 erst 90,500, 1835: 148,597 Seelen betrug, belief sich 1861 schon auf 260,910, 1881 auf 360,099 (wovon 269,340 auf das eigentlich städtische, 90,759 auf das weitere Gemeindegebiet kommen), endlich 1886 auf 376,143 Einw. und ist somit nach Paris und Lyon die größte Stadtbevölkerung in Frankreich. Unter der Bevölkerung von M. befinden sich zahlreiche fremde Staatsangehörige, namentlich etwa 40,000 Italiener, der Religion nach etwa 15,000 Protestanten und 3000 Juden. Der Typus des Menschenschlags ist schön; ein feuriges Auge, eine rasch accentuierte Sprache, lebhafte Gebärden unterstützen die ausdrucksvolle Physiognomie. Die Hauptbeschäftigung bilden Handel und Schiffahrt; doch ist M. nicht nur ein großer Hafen- und Handelsplatz, sondern auch der Sitz einer wichtigen Industrie, deren Entwickelung der Handel teilweise seinen hohen Aufschwung verdankt. Der wichtigste Gewerbszweig ist die Seifenfabrikation, die im 16. Jahrh. von Savona und Genua hierher verpflanzt worden ist. Dieselbe beschäftigt in der Stadt und Umgebung 85 Etablissements mit gegen 5000 Arbeitern und produziert jährlich Seife im Wert von 85 Mill. Frank. Als Hilfsgewerbe dient der Seifenfabrikation die Produktion von vegetabilischem Öl (in 40 Fabriken mit 2000 Arbeitern, welche namentlich Sesam und Erdnüsse verarbeiten) und von Soda. Bedeutende Industriezweige sind weiter: die Zuckerraffinerie (2 Etablissements mit 2450 Arbeitern); die metallurgische Industrie in Eisen und Blei (Erze aus Italien, Algerien, Spanien), Weißblech und Metalllegierungen; die Lederfabrikation, früher in noch höherer Blüte (jetzt 25 Gerbereien mit 1700 Arbeitern, Rohmaterial aus Marokko, Algerien etc.); die Wollwäscherei; die Behandlung und Präparierung von Weinen aus Languedoc und Var zum Export nach den Antillen, Indien und Algerien; die Fabrikation von Kerzen, Mehl (100 Mühlen mit 800 Arbeitern), Zündhölzchen, Weinstein, Flechtwerk und Matten (namentlich aus Esparto), Juwelierarbeiten, Stöpseln, Bier, Kesselschmiedewaren, Konserven, Salzfleisch, Konditorwaren, Teigwerk, Tabak, Papier, Hüten, Marmorarbeiten und Ziegeln. Die Schiffkonstruktion ist gegenwärtig auf die Reparatur von Schiffen beschränkt, da sich der eigentliche Schiffbau von der Stadt weggezogen hat. Von Bedeutung ist auch die Fischerei, besonders der Kabeljaufang; 1885 liefen 31 Schiffe mit 4294 Ton. vom Fischfang ein und brachten eine Ausbeute von 3,7 Mill. kg Stockfisch mit.

[Handel und Schiffahrt.] Seine Größe und Bedeutung verdankt jedoch M. zunächst seinem Handel und seiner Schiffahrt, welche sich beide in den schon jetzt großartigen Hafenanlagen konzentrieren. Die Stadt besitzt zwei Häfen: den Alten Hafen, ein von der Natur gebildetes, gegen den Mistral (Nordwestwind) geschütztes Becken von 28 Hektar Oberfläche, welches bis 600 Handelsschiffe von einer seiner geringen Tiefe (4–7 m) entsprechenden Größe fassen kann, und den Hafen Joliette, 1853 in einer Flächenausdehnung von 22 Hektar angelegt und mit dem Alten Hafen durch einen Kanal verbunden. Hierzu kamen in weiterer Folge die Bassins Lazaret (16 Hektar), Arenc und National (je 24 Hektar), alle drei in den letzten Jahren eröffnet, ferner ein nasses und zwei Trockendocks an dem Verbindungskanal zwischen den beiden Häfen, so daß die Gesamtfläche der Hafenanlagen 114 Hektar beträgt, während die Kais eine Längenentwickelung von 9055 m haben. Dennoch genügten weder die Bassins und Kais noch die Docks den Bedürfnissen der Schiffahrt, wie auch der Mangel an einem Vorhafen sich sehr fühlbar machte. Es wurde daher schon seit 1863 die Vergrößerung des Hafens in Aussicht genommen und den auszuführenden Arbeiten ein weit ausgreifendes Projekt zu Grunde gelegt, welches folgende Objekte umfaßt: ein Bassin von 64 Hektar Oberfläche zwischen dem Bassin National und dem Kap Pinède, ein zweites Bassin von noch größern Dimensionen zwischen den Kaps Pinède und Janet, beide Bassins durch Molen von 300–520 m Länge getrennt; eine Verlängerung des Dammes vom Hafen Joliette und von den daran befindlichen Bassins zu den neuen Bassins; einen Vorhafen, gebildet durch den Damm der Bassins und durch einen Wellenbrecher von 2800 m Länge; ein Trockendockbassin mit 12 Werften sowie ein nasses Dock; neue leicht gebaute Magazine (Hangars); Herstellung von Schienenwegen auf den Hafendämmen. Nach Vollendung aller dieser Arbeiten wird kein Hafen der Welt bei direkter Verbindung mit dem Meer eine gleiche Wasserfläche und eine ähnliche Ausdehnung der Kais aufweisen. Vor dem Hafen von M. breitet sich die Reede, südöstlich vom Kap Croisette, nordwestlich vom Kap Couronne begrenzt, aus. Von der offenen See führen in dieselbe vier Zufahrten zwischen den der Reede vorgelagerten kleinen Inseln Ratoneau und Pomègues, der mit einem runden Turm als Wahrzeichen versehenen Klippe Canoubier und dem Felseneiland If (s. d.). Die Reede von M. ist durch vier Leuchttürme bezeichnet, darunter eine Leuchte erster Ordnung auf dem Felsen Planier. Vom Hafen gehen Schiffahrtsverbindungen nach den verschiedensten Richtungen aus. Der regelmäßige Dienst der Paketboote für Passagiere umfaßt Linien nach Nizza, Cette, Barcelona, Ajaccio, Bastia, Genua, Livorno, Neapel, Algier, Oran, Philippeville, Tunis. Unter den Schiffahrtsgesellschaften steht obenan die Compagnie des services maritimes des Messageries, welche Linien nach Italien, Malta, Griechenland, der Türkei, Syrien, Ägypten, Algier, Spanien, nach dem Schwarzen Meer, der untern Donau, dem Suezkanal, Ostindien und Australien unterhält. Außerdem bestehen noch zahlreiche andre Gesellschaften für einzelne Schiffahrtskurse. In Verbindung mit den Seekommunikationen steht als Landverkehrsweg die Eisenbahn von Paris über Lyon nach M. und weiter über Toulon und Nizza nach Italien, mit mehreren Zweigbahnen. Die Ergebnisse des Handels und der Schiffahrt von M. waren 1885 folgende: Auf der internationalen Schiffahrt sind im ganzen 4280 handelsthätige Schiffe mit einem Tonnengehalt von 3,152,058 Ton. und einer Bemannung von 119,785 Personen [289] eingelaufen und 4162 Schiffe mit 2,999,570 T. und 124,112 Mann ausgelaufen. Davon trugen 2040 ein- und 2329 ausgelaufene Schiffe (mit 1,780,186, resp. 1,992,684 T.) die französische Flagge. Der Dampferverkehr ist in starker Progression der überwiegende geworden; es sind nämlich 2804 Dampfer mit 2,782,263 T. eingelaufen und 2829 Dampfer mit 2,718,971 T. ausgelaufen. Der Herkunft und dem Ziel nach kam der Hauptanteil auf Algerien, dann Italien, die Türkei, Großbritannien, Spanien, Ostindien und Rußland. Zu den obigen Ziffern kommen aber noch die Küstenfahrer, mit deren Einschluß sich der Gesamtverkehr 1885 auf 7392 eingelaufene Schiffe mit 3,961,622 T. und 6792 ausgelaufene Schiffe mit 3,749,351 T. belief. Die Handelsmarine von M. bestand zu Anfang 1886 aus 688 Schiffen mit einem Tonnengehalt von 276,494 T. (darunter 293 Dampfer mit 245,177 T. und 68,328 Pferdekräften). Der Wert der eingeführten Waren betrug 1885 im Generalhandel 973, im Spezialhandel 737 Mill. Frank, der Wert der Ausfuhrartikel 623, resp. 390 Mill. Fr., so daß sich der Gesamtumsatz des Generalhandels mit 1596 und der des Spezialhandels mit 1127 Mill. Fr. beziffert. Im J. 1882 betrugen die analogen Ziffern 2023 und 1315 Mill. Fr. Die erhobenen Zölle betrugen 50,6 Mill. Fr. Die Hauptartikel der Einfuhr sind dem Wert nach (in Millionen Frank): Seide aus Italien (115), Ölsaat (115), Getreide und Mehl (105), der eigentliche, aber nach dem Ausfall der Ernte in Frankreich außerordentlich schwankende Hauptartikel des Handels von M., hauptsächlich aus Rußland, Ostindien und Nordamerika, Algerien, der Türkei und Rumänien, Früchte (74), Häute und Pelzwerk (52), Vieh (39), Olivenöl (37), Rohzucker (32), Wein (29), Schafwolle (27), Baumwollwaren (27), Kaffee (21), ferner Baumwolle, Seidengewebe, gemeines Holz, Indigo, Thee, Tabak und Tabaksfabrikate etc.; die der Ausfuhr: Baumwollwaren (57), Schafwollwaren (34), Leder (33), Öl (29), Lederwaren (22), Rohseide (22), Häute und Felle (19), Wein (18), Metallwaren (16), Getreide und Mehl (16), Schafwolle, Kaffee, Kleider und Wäsche, Seidengewebe, raffinierter Zucker, Branntwein und Likör, Thee. Durch die Kabotage wurde außerdem ein Warenverkehr von 2,5 Mill. metr. Ztr. in der Einfuhr und von 3,1 Mill. metr. Ztr. in der Ausfuhr vermittelt, wobei Wein, Holz, Salz, Erze, Kohle und Zucker die wichtigsten Import-, Getreide und Mehl, Seife, Wein, Fässer, Zucker, Schwefel, Öl und Ölkuchen, Kohle und Baumaterialien die wichtigsten Exportartikel waren. Die Zahl der im Hafen von M. ein- und ausgeschifften Personen beträgt jährlich ca. 240,000. Von größter Bedeutung für den Handel von M. sind die ausgedehnten Docks und Entrepots, welche sich insbesondere zwischen den Bassins Arenc und Joliette befinden und 230,000 Ton. fassen können. Für die Vermittelung der Handels- und Schiffahrtsgeschäfte dienen außer der Filiale der Bank von Frankreich, der Sparkasse und Börse sowie den Schiffahrtsgesellschaften eine große Zahl von Banken, Kreditinstituten und Seeversicherungsgesellschaften. Namentlich hat sich im letzten Jahrzehnt mit der Entwickelung Algeriens auch der Handel und Verkehr mit dieser Kolonie, der ganz und gar in M. monopolisiert ist, gehoben und hat derselbe sehr wesentlich zur Entwickelung von M. beigetragen, während der Verkehr mit dem Orient, namentlich für Passagiere, in Abnahme begriffen ist. Große Hoffnungen bezüglich des weitern Aufschwunges von M. werden auf den Verkehr mit den französischen Kolonien, insbesondere Madagaskar, Westafrika und Hinterindien, gesetzt. Ein Projekt, dessen Verwirklichung für M. von weittragender Bedeutung wäre, betrifft die Herstellung eines Schiffahrtskanals vom Rhône zum Hafen von M. Dem städtischen Verkehr von M. dienen Pferdebahnen und Omnibusse.

[Öffentliche Anstalten.] Von Wohlthätigkeitsanstalten gibt es 4 Spitäler, darunter das große Hospital St.-Esprit, ein Irrenhaus und zahlreiche humanitäre Vereine. Auch besitzt M. Seebäder. An Unterrichtsanstalten gibt es außer einer Fakultät für Wissenschaften (sciences) eine Schule für Medizin und Pharmazie, ein großes und kleines Seminar, ein Lyceum, eine Schule der schönen Künste, eine höhere Mädchenschule, eine Spezialschule für orientalische Sprachen, ein Musikkonservatorium, eine höhere Handelsschule, eine hydrographische Schule und eine Schule für Schiffsjungen und Matrosen, ein Blinden- und Taubstummeninstitut für beide Geschlechter, 21 freie Mittel- und zahlreiche Primärschulen. Zu den Bildungsanstalten gehören außerdem eine Bibliothek mit 100,000 Bänden und 1400 Manuskripten, mit welcher ein Münzkabinett (mehr als 10,000 Medaillen enthaltend) sowie ein reiches Archiv von Kommunalurkunden verbunden ist; ein Museum für Archäologie (im Schloß Borelli), welches hauptsächlich Funde aus der Umgebung, eine interessante Sammlung phönikischer, griechischer, römischer und altchristlicher Altertümer enthält; ferner eine Gemäldegalerie und ein naturhistorisches Museum (beide im Palais de Longchamp untergebracht); ein zoologischer und botanischer Garten, eine Sternwarte, ein neuerrichtetes Observatorium für das Studium der Fauna und Flora des Meers und mehrere Theater (darunter Grand Théâtre und Gymnase). Die Stadt besitzt auch Gesellschaften für Agrikultur, Gartenbau, Statistik, Medizin, Pharmazie und Kunst. M. ist der Sitz des Generalkommandos des 15. Armeekorps, des Präfekten, eines Tribunals erster Instanz, eines Handelsgerichts sowie zahlreicher Marine- und Finanzbehörden, einer Ackerbau- und Handelskammer (der ältesten in Frankreich, 1599 von Handelsleuten gegründet), einer Filiale der Bank von Frankreich, einer Börse, zahlreicher Konsuln fremder Staaten (darunter auch eines deutschen Berufskonsuls), eines Bischofs, je eines Archimandriten des griechisch-orthodoxen und unierten Ritus, eines reformierten Konsistoriums und eines Rabbinats.

[Geschichte.] M. ist eine der ältesten Städte Europas und wurde um 600 v. Chr. von Phokäern aus Kleinasien im Gebiet der Salyer gegründet. Es hieß griechisch Massalia, lateinisch Massilia und war ein aristokratischer Freistaat mit blühendem Handel. Griechische Kunst und Wissenschaft wurden eifrig gepflegt, und die griechische Sprache herrschte noch bis 300 n. Chr. Die Stadt, eine Rivalin Karthagos, hielt in den punischen Kriegen zu Rom und ward hierfür durch Beistand gegen die Ligurier (154), dann gegen die Salluvier (123), deren Gebiet M. geschenkt wurde, belohnt. Im J. 49 v. Chr. wurde die Stadt nach hartnäckiger Verteidigung von Cäsar erobert und ihres Gebiets zum größten Teil beraubt, doch behielt sie eine bevorzugte Stellung unter den Städten Galliens. Zur Zeit der Völkerwanderung wurde es eine Beute der verschiedenen Frankreich erobernden Völkerschaften, der Burgunder, der West- und der Ostgoten. Dann gehörte es zum fränkischen Reich der Merowinger und Karolinger; später kam es an Burgund und Arelat, wurde aber unter Ludwig dem Blinden (889–903) von den Sarazenen zerstört. [290] Unter Konrad dem Friedfertigen von Burgund wiederhergestellt, ward es besondern Statthaltern unterstellt, die sich gegen Ende des 10. Jahrh. unter dem Titel Vicomtes von M. unabhängig machten. Die Vicomté wurde bald in eine Menge einzelner Teile zersplittert; die Bürger kauften dieselben nach und nach an sich, und M. wurde 1214 eine Republik. Als aber darauf Karl von Anjou, Ludwigs IX. von Frankreich Bruder, Graf von Provence wurde, unterwarf er sich M. 1423 eroberte und verwüstete Alfons V. von Aragonien die Stadt. René, Graf von Provence, baute sie wieder auf, und nach dem Tod seines Nachfolgers, des Grafen Karl von Maine, ward sie 1481 der Krone Frankreichs einverleibt. Sie verteidigte sich 1524 tapfer gegen den Connétable Karl von Bourbon und 1536 gegen Kaiser Karl V. Auf der Seite der katholischen Liga stehend, war sie die hartnäckigste unter allen französischen Städten. 1575 erfolgte endlich die Übergabe an Heinrich III., welche die Einwohner noch bis in die neueste Zeit jährlich durch eine Prozession feierten. Ludwig XIV. beraubte die Stadt 1660 ihrer Freiheiten, und M. war seitdem eine gewöhnliche See- und Handelsstadt. 1720 und 1721 litt es sehr durch die Pest, welche sich von einem Schiff aus in der Stadt verbreitete. In M. allein sollen damals 60,000 Menschen gestorben sein. In der ersten französischen Revolution war es durchaus republikanisch gesinnt. Die Hefe des Volkes und losgelassene Galeerensklaven bildeten jene Marseiller Föderierten, welche 1792 in Paris so viele Greuelthaten vollbrachten. 1793 erhob sich M. für die Girondisten, wurde aber mit Gewalt dem Schreckensregiment unterworfen. Der Handel der Stadt, welcher seitdem sehr gesunken war, hat in neuerer Zeit, besonders seit der Eroberung Algiers und der Vollendung des Suezkanals, einen großartigen Aufschwung genommen. Am 23. März 1871 kam es in M. auch zur Errichtung einer Kommune, welche die Vereinigten Staaten von Frankreich proklamierte, aber 4. April gestürzt wurde. M. ist der Geburtsort des Pytheas und Petronius sowie von A. Thiers. Vgl. Brückner, Historia rei publicae Massiliae (Götting. 1826); Teissier, Histoire du commerce de M. 1855–84 (1878 u. 1887); Mathieu, M., statistique et histoire (Mars. 1879); Saurel, M. et ses environs (Par. 1884).


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 555
korrigiert
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[555] Marseille. Im Hafen von M. sind 1888: 8360 Schiffe mit 4,883,872 Ton. ein- und 7996 Schiffe mit 4,816,701 T. ausgelaufen. Vom Gesamttonnengehalt (9,700,573) entfielen 6,179,620 T. auf die französische Flagge. Die Reederei von M. umfaßt 233 Dampfer und 61 Segelschiffe. Davon besitzen die Compagnie des services maritimes des Messageries 57 Dampfer von 106,604 T., die Compagnie générale transatlantique (Fraissinet u. Komp.) 24 Dampfer von 20,920 T., die Société générale de transports maritimes 17 Dampfer von 22,246 T. Der Warenverkehr beim Zollamt von M. hatte einen Wert von 1002,5 Mill. Frank in der Einfuhr und von 663 Mill. Fr. in der Ausfuhr. Während im Zeitraum 1880–87 der Warenumsatz des Marseiller Hafens sich ziemlich gleichblieb, ergibt sich für 1888 eine erhebliche Steigerung, denn die Einfuhr betrug 2,838,204 T. (gegenüber 1887: mehr 247,479 T.), die Ausfuhr 1,786,746 T. (gegenüber 1887: mehr 110,867 T.). Die ordentlichen Einnahmen der Stadt beliefen sich 1887 auf 15,2 Mill. Fr., darunter aus dem Oktroi 121/2 Mill. Fr.


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 604605
korrigiert
Indexseite

[604] Marseille. Im Hafen von M. sind im J. 1889: 8555 Schiffe (6155 französische und 2400 fremde) von 4,724,081 Ton. eingelaufen und 8390 Schiffe (5974 französische und 2416 fremde) von 4,672,596 T. ausgelaufen. Im Vergleich zum Vorjahr hat die [605] Frequenz des Marseiller Hafens um 589 Schiffe zu-, dagegen der Tonnengehalt um 303,896 T. abgenommen. An dem Gesamttonnengehalt der Schiffahrtsbewegung von M. waren die Dampfer mit 871/2, die Segelschiffe mit 121/2 Proz. beteiligt. Die einheimische Reederei von M. umfaßt 240 Dampf- und 53 Segelschiffe. Der Warenverkehr beim Zollamt von M., welcher im J. 1888 in der Einfuhr 2,838,204, in der Ausfuhr 1,786,746 T. betragen hatte, hat sich in der Einfuhr um 241,517 T. (bei 9 Proz.) vermindert, beim Export dagegen um 34,960 T. (2 Proz.) vermehrt. Die Abnahme der Einfuhr ist auf den verringerten Verkehr mit den Häfen des Schwarzen Meeres (um 90,000 T. weniger, hauptsächlich wegen der verminderten Getreideeinfuhr, die im ganzen um 171,000 T. abnahm), mit England (um 128,000 T. wegen der durch die erhöhten Kohlenpreise reduzierten Kohleneinfuhr), mit Britisch-Indien und Nordamerika (gleichfalls wegen der verminderten Getreideeinfuhr) zurückzuführen. Mit den spanischen Häfen nahm der Verkehr wegen gesteigerter Weineinfuhr (infolge der schlechten französischen Weinlese) zu. Der Verkehr mit den italienischen Häfen zeigt eine Abnahme um 102,000 T., eine natürliche Folge der handelspolitischen Beziehungen beider Länder. Diese Abnahme wird allerdings durch die Zunahme des Verkehrs mit Algerien um 158,000 T. und mit Tunis um 65,500 T. ausgeglichen. Zur Vervollständigung der Hafeneinrichtungen ist im nördlichen Hafenbassin (Bassin National) ein neues Magazin (hangar) mit 11,500 qm Grundfläche erbaut worden.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 602
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[602] Marseille. Der Verkehr des Hafens von M. hat im J. 1890 im Vergleich zum Vorjahr eine erhebliche Zunahme erfahren. Die Zahl der eingelaufenen Schiffe betrug 8614 von 4,871,209 Ton. (gegen 8555 Schiffe und 4,724,081 T. im Vorjahr). Ausgelaufen sind 8685 Schiffe von 4,831,742 T. (gegen 8390 Schiffe von 4,672,592 T.). Vom Tonnengehalt der eingelaufenen Schiffe kamen auf die große Fahrt 920,142, auf die Küstenfahrt 3,951,067 T.; auf die französische Flagge 3,020,284, auf fremde Flaggen 1,850,925 T.; auf Dampfer 4,406,502, auf Segelschiffe 464,707 T. Vom Tonnengehalt der ausgelaufenen Schiffe kamen auf die große Fahrt 591,884, auf die Küstenfahrt 4,239,858 T., auf die französische Flagge 2,986,976, auf fremde Flaggen 1,844,766 T.; auf den Dampferverkehr 4,376,269, auf den Segelschiffahrtsverkehr 464,373 T. Der Verkehrszuwachs kam auf die Dampfschiffe, welche im Eingang um 194 von 201,002 T., im Ausgang um 195 von 187,581 T. zugenommen haben, wogegen die Segelschiffe sich im Einlauf um 135 von 53,874 T., im Auslauf bei einer Vermehrung um 50 Schiffe um 28,435 T. vermindert haben. Die einheimische Reederei von M. umfaßt 55 Segelschiffe und 252 Dampfschiffe von zusammen 236,596 T. Eine der bedeutendsten Industrien von M. ist die Seifenfabrikation. Schon im J. 1823 gab es in M. 23 Seifenfabriken, welche 700 Arbeiter beschäftigten und jährlich 40 Mill. kg Seife im Werte von 30 Mill. Frank produzierten. Gegenwärtig bestehen in M. 80 Fabriken mit einer Produktion von 100 Mill. kg im Werte von 50 Mill. Fr. Von dieser Produktionsmenge werden 10 Mill. kg ins Ausland exportiert, 22 Mill. kg zu Schiffe in französische Mittelmeerhäfen und 68 Mill. kg per Bahn ins Innere Frankreichs transportiert. Da die Gesamtproduktion Frankreichs an Seife auf 185 Mill. kg im Werte von 120 Mill. Fr. geschätzt wird, kummt auf M. allein mehr als die Hälfte der gesamten französischen Seifenproduktion.