MKL1888:Liebe
[770] Liebe, das Gefühl, welches ein erstrebenswertes Gut in den Lebewesen erregt, und das in der Vereinigung mit demselben, sei es als herrschendes oder dienendes Glied, seine Befriedigung findet. Die Eigenschaften, welche den Wunsch der Vereinigung, resp. des Besitzes erwecken, können von mancherlei Art sein, in äußern und innern, körperlichen und geistigen Vollkommenheiten, Schönheit, Kraft und in solchen Vorzügen bestehen, die der liebende Teil vielleicht um so mehr bewundert, je weniger er sie selbst besitzt. Indem man den unwiderstehlichen Drang zur Vereinigung, der die L. kennzeichnet, wie eine elementare, physische Kraft betrachtete und sich dabei der gegenseitigen Anziehung der ungleichen Magnetpole, der Abstoßung der gleichartigen erinnerte, entstand das schon von Platon erörterte philosophische Theorem, daß zur L. eine polare Verschiedenheit, ein möglichst großer Gegensatz gehöre, was aber nur in einem sehr bedingten Sinn richtig ist, denn sonst müßten den [771] Gottlosen die innigste Gottesliebe, den Barbaren die höchste L. zur Kunst eigen sein. In dem Allgemeinbegriff der L. vereinigen sich aber so viele verschiedene Regungen, daß man mit Notwendigkeit gewisse Unterschiede und Grenzen ziehen muß, um nicht ganz fremde Begriffe zu vermischen. Im engern Sinn versteht man unter L. nur das Verhältnis lebender Wesen zu einander, und nur unter ihnen kann sie zu derjenigen Steigerung und Vollkommenheit gelangen, welche durch die Gegenseitigkeit der L. bedingt wird. Aber auch hier muß man wieder die aufopfernde L. der Eltern für ihre Kinder und die Erwiderung derselben seitens der letztern, die uneigennützige L. oder Sympathie für andre Personen, die man Freundschaft nennt, und die Geschlechtsliebe unterscheiden, die nur in vollkommener Gegenseitigkeit ihr Glück findet, weshalb auch die Alten eine einfache Personifikation derselben im Eros nicht für genügend hielten und die Personifikation der Gegenliebe (Anteros) hinzufügten. Die Geschlechtsliebe setzt schon an sich den in körperlichen und geistigen Verschiedenheiten ausgeprägten geschlechtlichen Gegensatz voraus und in vielen Fällen, wenn sie zu dauernder Befriedigung führen soll, auch einen gewissen Gegensatz der Charaktereigentümlichkeiten, so daß eine gegenseitige Ergänzung und Ausgleichung möglich wird, wie z. B. zwei heftige und unnachgiebige Persönlichkeiten niemals glücklich miteinander leben könnten. Bei der Geschlechtsliebe spielen aber außerdem eine Menge dunkler und instinktiver Regungen und Gefühle hinein, namentlich im Tierleben, woselbst eine deutliche Periodizität der Triebe, gewisse auf den Geruchssinn wirkende Anlockungsmittel, welche ein Sichfinden und Erkennen aus einiger Entfernung ermöglichen, Reiz- und Erregungsmittel für Auge und Ohr eine Rolle spielen. Wir sehen daselbst Schaustellungen der Körpervorzüge in Farben und Zeichnungen, Kraftentfaltung in den Kämpfen mit den Nebenbuhlern, Gesangsleistungen, Tänze und Vorführungen sonstiger Vorzüge einen berückenden Zauber auf das wählende Geschlecht ausüben, welches dort in der Regel das weibliche ist. Beim Menschen sind diese Naturtriebe durch Erziehung, Volkssitte, Erwerbsverhältnisse und Standesunterschiede in gewisse Schranken gebannt, die indessen häufig genug durch die elementare Gewalt der Leidenschaft umgerissen werden. Die verjüngende, auf die Natur zurückführende Kraft der L., welche dieselbe zu allen Zeiten zum Quell der Poesie gemacht hat, weiß die Hindernisse der Erziehung und Verfeinerung des Lebens zu überwinden; sie hat dadurch nicht an Reiz eingebüßt, sondern das Verhältnis der Liebenden zu einander wird im Gegenteil durch die Erschwerung ihrer Vereinigung mit einer Poesie des Sehnens, der Hingebung und Aufopferung umwoben, deren reinigende Wirkung der Natursohn wohl nur in den seltensten Fällen erfährt. Daß die Macht der Leidenschaft durch Hindernisse nur gesteigert wird, beweisen die verzweifelten Schritte so vieler Liebespaare, welche den gemeinsamen Tod der Unmöglichkeit, für einander zu leben, vorziehen. Das dunkle, triebartige Wesen der Geschlechtsliebe offenbart sich auch in gewissen Verirrungen derselben, so wenn z. B. verworfene Geschöpfe bessere Naturen unlösbar an sich ketten, wie es Prévost in „Manon Lescaut“ so unübertrefflich geschildert hat, oder wenn Personen des gleichen Geschlechts über die Freundschaft hinausgehende Empfindungen erregen. Solche Neigungen sind wohl in der Regel krankhafter Natur und daher milder zu beurteilen, als es meist geschieht. Im allgemeinen soll die L. einem natürlichen Antrieb folgen, und daher gehört die christliche Forderung der Feindesliebe auf ein ganz andres Gebiet, nämlich auf das der Selbstüberwindung. Vgl. Michelet, L’Amour (9. Aufl. 1876; deutsch von Spielhagen, 4. Aufl., Leipz. 1874); Teichmüller, Über das Wesen der L. (das. 1879); Mantegazza, Physiologie der L. (deutsch, 2. Aufl., Jena 1885); Derselbe, Hygiene der L. (deutsch, das. 1887); Duboc, Psychologie der L. (Hannov. 1874); Abel, Über den Begriff der L. in alten und neuen Sprachen (Berl. 1872).
Liebe, rechtsseitiger Nebenfluß der Weichsel in Westpreußen, entspringt westlich vom Geserichsee, tritt bei Marienwerder in die Weichselniederung und mündet als Alte Nogat in den Weichselarm Nogat.
[566] Liebe, Ludwig, Komponist, geb. 26. Nov. 1819 zu Magdeburg, empfing seine musikalische Ausbildung durch Aug. Mühling, Wachsmann, Baldewein und Spohr, wirkte lange Zeit in Straßburg i. E. und London, jetzt in Konstanz. L. komponierte eine Oper („Die Braut von Azola“), Kirchengesänge (Oratorium „Johannes“), Männerchöre und mehrere weitverbreitete Lieder für eine Singstimme („Mein Heimatthal“, „Auf Wiedersehn“ u. a.).