MKL1888:Lieber
[772] Lieber, Franz, staatswissenschaftlicher Schriftsteller, geb. 18. März 1800 zu Berlin, trat 1815 unter die freiwilligen Jäger des Regiments Kolberg, focht bei Ligny und Waterloo und wurde 20. Juni beim Sturm auf Namur schwer verwundet. Nach Berlin zurückgekehrt, widmete er sich dem Studium der Medizin, ward aber 1819 als Demagog polizeilich verfolgt und ihm der fernere Besuch einer preußischen Universität untersagt. Letzteres Verbot ward zwar im folgenden Jahr aufgehoben, und L. nahm hierauf, nachdem er inzwischen (1820) in Jena promoviert, sein Studium in Halle von neuem auf; doch sah er sich noch fortwährend polizeilichen Belästigungen ausgesetzt, daher er bald darauf nach Dresden ging, wo er sich dem Feldmessen und Situationszeichnen widmete. Im Herbst 1821 begab er sich nach Marseille und schiffte sich dort als Philhellene nach Griechenland ein, begab sich jedoch nach mehreren Monaten großer Entbehrung von Missolunghi nach Rom, wo er im Hause Niebuhrs freundliche Aufnahme fand und sein „Tagebuch meines Aufenthalts in Griechenland im Jahr 1822“ (Leipz. 1823) schrieb. Er kehrte mit Niebuhr über Neapel nach Deutschland zurück und gedachte in Halle seine medizinischen Studien zu vollenden, ward aber, als man 1824 neue Untersuchungen gegen die Liberalen einleitete, in Köpenick gefangen gesetzt und erst nach mehreren Monaten auf Niebuhrs Verwenden wieder freigegeben. L. lebte nun eine Zeitlang in Berlin, wo er seine im Gefängnis gedichteten „Wein- und Wonnelieder“ unter dem Namen Arnold Franz (Berl. 1825) herausgab, darauf in der Familie des Grafen von Bernstorff in Mecklenburg und kehrte mit ihr nach Berlin zurück. Da ihm hier ein neuer Arrest drohte, entfloh er nach London und ging von da 1827 nach den Vereinigten Staaten, wo er in Boston eine Turnanstalt und eine Schwimmschule nach Pfuels Grundsätzen einrichtete und in Verbindung mit einigen andern die „Encyclopaedia Americana“ (Philad. 1829–33, 13 Bde.) herausgab. 1835 erhielt er die Professur der Geschichte und Staatsphilosophie zu Columbia in Südcarolina, 1858 eine Professur am Columbia College in New York. Bei Ausbruch des Bürgerkriegs legte er sein Amt nieder; er starb 2. Okt. 1872. Noch sind von seinen Schriften zu erwähnen: „Letters to a gentleman in Germany“ (Philad. 1834), welche in England unter dem Titel: „The stranger in America“ (Lond. 1835) erschienen; „Reminiscences of an intercourse with Niebuhr the historian“ (1835; deutsch von Thibaut, Heidelb. 1837); „Essay on subjects of penal law“ (Philad. 1838); „Manual of political ethics“ (Bost. 1838–39, 2 Bde.; neue Ausg., Philad. 1875, 2 Bde.); „Essays on property and labour“ (New York 1842); „On civil liberty and selfgovernment“ (Philad. 1853, 2 Bde.; neue Ausg. 1874; deutsch von Mittermaier, Heidelb. 1860). Nach seinem Tod erschienen von ihm: „Miscellaneous writings“ (Philad. 1881, 2 Bde.). Liebers Biographie gaben Thayer (Philad. 1873) und Th. S. Perry (deutsch bearbeitet von Holtzendorff, Stuttg. 1885) heraus. – Sein Sohn Oskar Montgomery L., geb. 1830 zu Boston, studierte in Freiberg den Bergbau und hat sich in Amerika als Geolog einen Namen erworben.
[566] Lieber, Ernst, deutscher Politiker, geb. 16. Nov. 1838 zu Kamberg in Nassau, studierte 1858–61 in Würzburg, München, Bonn und Heidelberg Philosophie und Rechtswissenschaft, erwarb sich den juristischen Doktorgrad und lebt als Privatmann in Kamberg, wo er in der Kommunal- und Provinzialverwaltung mehrere Ämter bekleidet. Seit 1870 Mitglied des Abgeordnetenhauses, seit 1871 des Reichstags, schloß er sich der Zentrumspartei an und gehört zum demokratischen Flügel der Ultramontanen.