Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Hobbes“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 583584
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Hobbes. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 583–584. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Hobbes (Version vom 25.05.2024)

[583] Hobbes, Thomas, Philosoph und Publizist des Staatsabsolutismus, geb. 5. April 1588 zu Malmesbury, studierte seit dem 14. Jahr in Oxford Mathematik und Aristotelische Philosophie, siedelte aus Haß gegen die 1641 ausgebrochene Revolution, von welcher er seine Landsleute durch das Beispiel der Geschichte mittels seiner (Lond. 1628) veröffentlichten Übersetzung des Thukydides vergebens abzuschrecken versucht hatte, (1641) nach Paris über, wurde Lehrer des Prinzen von Wales (des nachherigen Königs Karl II.) und schrieb zur Verteidigung der von den Stuarts begünstigten Staatsomnipotenz die Werke: „De cive“ (Par. 1642, Amsterd. 1647; deutsch von J. H. v. Kirchmann, Leipz. 1873), „Human nature, or the fundamental elements of policy“ (Lond. 1650), „Leviathan seu de materia, forma et potestate civitatis ecclesiasticae et civilis“ (engl., das. 1651; lat., Amsterd. 1668; deutsch, Halle 1794, 2 Bde.), denen nach seiner 1655 erfolgten Rückkehr nach England die weitern philosophischen Schriften: „Elementorum philosophiae sect. I.: De corpore“ (engl., Lond. 1655), „Sect. II.: De homine“ (engl., das. 1659; beide lat., Amsterd. 1668), „De corpore politico, or the elements of law moral and political“ (Lond. 1659) und „Quaestiones de libertate, necessitate et casu, contra D. Bramhallum“ (verfaßt 1646; engl., das. 1659) folgten, außer welchen er noch historische (z. B. eine Geschichte des Bürgerkriegs Englands) und physikalisch-mathematische (z. B. ein „Decameron physiologicum“) verfaßt, auch im hohen Alter den Homer übersetzt hat. Karl II. setzte ihm nach seiner Thronbesteigung (1660) eine Pension von 100 Pfd. Sterl. aus, die er fortan in ländlicher Zurückgezogenheit auf dem Landsitz seines ehemaligen Zöglings, des Grafen von Devonshire, genoß. Er starb daselbst 4. Dez. 1679.

H.’ Philosophie ist eine Tochter der Baconschen; einzige Erkenntnisquelle ist nach ihm der äußere Sinn (Sensualismus), einziger Gegenstand der Erkenntnis die Körperwelt (Materialismus). Doch unterscheidet H. zweierlei Arten von Körpern, natürliche und künstliche. Jene machen den Gegenstand der Natur- oder theoretischen Philosophie (philosophia naturalis), diese den Gegenstand der Staats- oder praktischen Philosophie (philosophia civilis) aus. Zu jenen rechnet H. (wie schon Bacon gethan hatte) auch die menschliche Seele, die er einen feinern Körper, und deren innere Vorgänge (Empfindungen) er Bewegungen (der Nerven- und Hirnmasse) nennt; als der vornehmste unter diesen Vorgängen gilt ihm der Staat, der durch das Zusammenwirken menschlicher Willens-, wie der natürliche Körper durch ein solches physischer Naturkräfte zu stande kommt. Dem Zerstörungswerk der sich selbst überlassenen Naturkräfte setzt die unverbrüchliche Naturordnung unter dem Naturgesetz, dem unvermeidlichen „Krieg aller gegen alle“ der sich selbst überlassenen Menschenwillen setzt die, einmal errichtet, gleichfalls unveränderliche Staatsordnung unter dem Staatsgesetz ein Ziel. Wie die Naturordnung eine natürliche, so ist der Staat eine künstliche (durch die Menschen selbst eingesetzte) Sicherheitsanstalt, durch welche dem Kampf dort der Natur-, hier der einzelnen Willenskräfte ein Ende gemacht wird. Da für die menschlichen Willen eine überlegene Obergewalt, wie sie für die Naturkräfte in der Natur selbst besteht, nicht vorhanden ist, so muß eine solche durch die Menschen, um ihrer eignen Selbsterhaltung willen, mittels Übereinkunft geschaffen und derselben (dem Herrscher) die nämliche unbedingte Zwangsbefugnis gegenüber den Einzelnen (den Unterthanen) eingeräumt werden, welche die Naturordnung faktisch gegen die einzelnen Kräfte in der Natur ausübt. Die Gewalt des Herrschers (der übrigens ebensogut ein Einzelner wie eine ganze Versammlung sein kann, H. hält aber erstere Form für die vorteilhaftere), obwohl ursprünglich durch Vertrag auf denselben übertragen, ist absolut und unwiderruflich (gegen die Lehre des Grotius), die durch dieselbe festgesetzte Ordnung (Staatsgesetzgebung) einzige Norm sowie der Staatswille selbst einzige Quelle des Rechts, jede Auflehnung gegen dieselbe Revolution (gleichviel aus welchem Grund) und als solche widerrechtlich und verbrecherisch. Auch die Religion, da sie ihren Bekennern unmöglich das Recht verleihen kann, einen Staat im Staat zu bilden, macht hiervon keine Ausnahme. Letzteres zog [584] ihm besonders die Feindschaft der Geistlichkeit (der katholischen sowohl als der anglikanischen) zu, deren Folge sogar eine Anklage wegen Gottlosigkeit im Parlament war, gegen welche er eine scharfsinnige Verteidigungsschrift: „Historical narration concerning heresy and the punishment thereof“, verfaßte. H. hat insbesondere den französischen Encyklopädisten und spätern Positivisten zum Vorbild gedient, dagegen unter seinen dem Absolutismus und Materialismus abgeneigten Landsleuten wenig Anklang gefunden. Zu seinen Gegnern gehörten Sharrock, Clarke und Cumberland, unter den Deutschen Mendelssohn (in seinem „Jerusalem“) und Ans. Feuerbach („Anti-Hobbes“, Gieß. 1798). Seine sämtlichen Werke erschienen Amsterdam 1668 in 4 Bänden, seine „Moral and political works“ London 1750 (deutsch, Halle 1793 ff.). Molesworth gab seine „Complete works, with life, Latin and English“ (Lond. 1839–1845, 11 Bde.) und „Opera latina“ (das. 1844–45, 5 Bde.) heraus. H. selbst verfaßte noch als 84jähriger Greis seine Selbstbiographie in Versen; nach seinem Tod erschien seine Lebensbeschreibung von John Aubrey (Charlestown; lat. von Rich. Blackburn, das. 1681). Vgl. Sigwart, Vergleichung der Rechts- und Staatstheorien des Spinoza und des H. (Tübing. 1842), Mayer, Thomas H. Darstellung und Kritik seiner Lehren (Freiburg 1885); Robertson, Thomas H. (Lond. 1886).