MKL1888:Eisenbahnverwaltung

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Eisenbahnverwaltung“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 5 (1886), Seite 467
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Eisenbahnverwaltung. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 467. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Eisenbahnverwaltung (Version vom 11.12.2022)

[467] Eisenbahnverwaltung, s. Eisenbahn, S. 438 ff. (deutsche Eisenbahnverwaltungsbehörden: S. 442).


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 230232
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[230] Eisenbahnverwaltung. Die Erkenntnis, daß die Eisenbahnen in erster Linie dazu berufen sind, den Interessen des allgemeinen Verkehrs zu dienen und dem entsprechend als öffentliche Wohlfahrtseinrichtungen, nicht aber als auf Erzielung möglichst hohen Gewinns gerichtete Unternehmungen zu betrachten sind, hat mit der steigenden Ausdehnung, Entwickelung und Bedeutung des Eisenbahnwesens für alle Lebensverhältnisse immer breitern Boden gewonnen. In dieser und der weitern Erwägung, daß derartige Wohlfahrtseinrichtungen namentlich in fest begründeten Staatswesen ihren Zweck am besten erfüllen, wenn sie nicht nur unter staatlicher Aufsicht, sondern unmittelbar unter staatlicher Leitung und Verwaltung stehen, ist man in den meisten Ländern Europas, und zwar nicht allein in denen mit monarchischer Staatsform, sondern auch in Ländern mit republikanischer Verfassung, wie Frankreich und die Schweiz, dazu übergegangen, die Eisenbahnen in immer größerem Umfange in das Eigentum u. die Verwaltung des Staates überzuführen. Daß einerseits die Vereinigung großer Eisenbahnnetze in privater Verwaltung eine Macht im Staate schafft, welche den auf Förderung der öffentlichen Wohlfahrt gerichteten Aufgaben und Bestrebungen desselben vielfach hindernd in den Weg zu treten vermag, daß anderseits aber auch durch das Nebeneinanderbestehen einer Anzahl mehr oder minder im Wettbetrieb miteinander befindlichen Privatverwaltungen den Bedürfnissen des öffentlichen Verkehrs keineswegs am besten gedient ist, in beiden Fällen vielmehr das Interesse an der Erzielung möglichst hoher Reinerträge zum Schaden jener Bedürfnisse meistens überwiegt, dafür werden die amerikanischen Verhältnisse wohl mit Recht als das schlagendste Beispiel betrachtet. Der dort noch in weitestem Umfang bestehende Wettbewerb hat nach sachkundigen Schilderungen zu einer Unsicherheit und Willkür geführt, welche die Vorteile desselben für den öffentlichen Verkehr vielfach illusorisch machen. Auch hat die Erfahrung zur Genüge gelehrt, daß jeder anfängliche Wettbewerb im Eisenbahnverkehr schließlich zu einer Vereinigung oder doch Verständigung der sich durch denselben schädigenden Teile und damit zu einer um so schärfern Handhabung des Gewinnprinzips führt. In Ländern, deren Staatsform fest gefügt ist und dem Wechsel herrschender Parteirichtungen (letztere sind nur zu häufig gleichbedeutend mit der Vertretung von Sonderinteressen aller Art) keinen bestimmenden Einfluß gewährt, wird deshalb nach dem Urteil hervorragender Staatsmänner und Volkswirte die Vereinigung sämtlicher Eisenbahnen unter staatlicher Verwaltung den Interessen der Gesamtheit am meisten entsprechen. Wie in der Industrie der Großbetrieb die wirtschaftlichste, weil intensivste Ausnutzung aller Betriebsmittel und -Kräfte ermöglicht, so im Verkehrswesen die Vereinigung und das Zusammenwirken möglichst aller Faktoren desselben. Aus diesem Gesichtspunkt wird vielfach die Überleitung der sämtlichen Eisenbahnen Deutschlands in [231] die Verwaltung des Reiches und ihre Verschmelzung mit Post und Telegraphie als das letzte, der wachsenden wirtschaftlichen und politischen Einsicht des kommenden Jahrhunderts vorbehaltene Ziel betrachtet.

Die vielfachen, teilweise mit großen Verlusten an Menschenleben und Material verknüpften Eisenbahnunfälle des Sommers 1891 haben die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung in der Presse und Litteratur wieder einmal in besonders hohem Maße auf das Eisenbahnwesen gelenkt. Mehrfach sind Zweifel darüber laut geworden, ob namentlich auch die deutschen Eisenbahnen in Bezug auf Betriebssicherheit und Leistungsfähigkeit allen Anforderungen entsprechen, welche einerseits im Interesse des ständig wachsenden Verkehrs und der in gleichem Verhältnis steigenden Schwierigkeit des Betriebs, anderseits im Hinblick auf die stetigen Fortschritte der Eisenbahntechnik, besonders in Bezug auf Signal- und Bremswesen, mit Recht gestellt werden können. In dieser Hinsicht vgl. den Art. „Eisenbahnbetriebssicherheit“. Ferner haben jene bedauerlichen Vorkommnisse zu einer erneuten Anregung der seit einer langen Reihe von Jahren in der Tages- wie in der Fachpresse und der wissenschaftlichen Litteratur mehrfach erörterten Frage geführt, ob die Vorbildung der Eisenbahnbeamten eine den steigenden Anforderungen vollkommen entsprechende und zweckmäßige sei. Diese Frage ist, wie früher, so auch jetzt wieder fast durchweg verneint worden. Haben frühere Stimmen sich meistens darauf beschränkt, gegen den Mangel einer fachmäßigen Vorbildung bei den höhern eigentlichen Verwaltungsbeamten zu polemisieren, so fehlt es jetzt nicht an Äußerungen von anscheinend sachkundiger Seite, welche in gleicher Weise die jetzige Art der Vorbildung der höhern Betriebsbeamten und endlich auch der Beamten des niedern Betriebs- und Verwaltungsdienstes als mangelhaft und unzureichend kennzeichnen. Während die Berg-, Forst-, Post- und Telegraphenverwaltungen von vornherein für eine fachmäßige Vorbildung ihrer höhern Beamten Sorge tragen und auch die allgemeine Verwaltung (Regierung) sowie die Zollverwaltung das Aufrücken in die höhern Stellungen von einer praktischen Durchbildung der betreffenden Anwärter abhängig machen, entnimmt die E., bei deren Umfang und Bedeutung eine gründliche theoretische und praktische Vorbildung nach dem Urteil unbefangener Sachverständigen erst recht geboten erscheint, nicht allein in Preußen, sondern auch in andern deutschen Staaten ihre höhern Beamten noch immer aus Berufskreisen, welche dem Eisenbahnwesen mehr oder weniger fern stehen, nämlich einesteils den Juristen, andernteils den Bau- und Maschinentechnikern, welche die für ihr Fach vorgeschriebene Staatsprüfung abgelegt haben. Als hauptsächlichste und schwerwiegendste Einwände hiergegen werden folgende geltend gemacht: Auf dem Gebiete der eigentlichen Verwaltung stehen die wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen den juristischen, auf dem Gebiete der Eisenbahntechnik die Aufgaben des eigentlichen Betriebsdienstes den bautechnischen an Umfang und Bedeutung weit voran. Die gegenwärtige, im wesentlichen rein formal-juristische Vorbildung der höhern Verwaltungsbeamten ist für die wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Aufgaben derselben weder notwendig noch förderlich, weil diese vor allem einen klaren Blick für die praktischen Bedürfnisse des wirtschaftlichen Lebens und rasches Eingehen auf dieselben, ohne Rücksichten formaler Natur, erfordern. Mit den betriebstechnischen Aufgaben verhalte es sich insofern ganz ähnlich, als auch hier das praktische Verständnis und Können weit wichtiger sei als das theoretische Wissen, noch dazu auf einem dem eigentlichen Betrieb fernliegenden Gebiete, der Bautechnik. Außerdem wird hervorgehoben, daß die wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Aufgaben einerseits und die betriebstechnischen Aufgaben anderseits schon jetzt ein so großes und schwieriges Gebiet umfassen, daß ihre völlige theoretische und, was besonders zu betonen, auch praktische Beherrschung ein eignes Studium für sich erfordert und nicht nur nebenbei in einer viel zu kurz bemessenen, im Grunde rein theoretischen Ausbildungszeit erworben werden kann, welche bei dem Mangel genügenden praktischen Verständnisses für den Auszubildenden anerkanntermaßen wenig oder gar keinen Wert hat. Es wird deshalb vielfach und gerade in fachmännischen Kreisen für beide Kategorien, Verwaltungsbeamte und technische Beamte, eine gründliche, von vornherein also bereits während der Studienzeit auf die spätern Berufsaufgaben gerichtete Vorbildung empfohlen, an welche sich die praktische Durchbildung in den verschiedenen Zweigen der Verwaltung, bez. des Betriebsdienstes anzuschließen haben würde, wobei noch betont wird, daß die Notwendigkeit einer solchen Vorbildung für die technischen Beamten um so dringlicher sei, als von ihrem theoretischen und praktischen Verständnis die Sicherheit des Betriebs und damit von Menschenleben und bedeutenden Werten in hohem Maße abhängig ist.

Als ein weiteres nicht zu umgehendes Erfordernis für eine den gesteigerten Anforderungen in Bezug auf Leistungsfähigkeit und Sicherheit des Betriebs entsprechende Entwickelung des deutschen Eisenbahnwesens wird, wie oben bereits angedeutet, eine bessere Vorbildung auch der im niedern Betriebs- und Verwaltungsdienst thätigen Beamten angesehen, welchen die Ausführung der von den obern Beamten gegebenen Vorschriften und Anweisungen obliegt und damit unmittelbar die Sicherheit des Betriebs und die ordnungsmäßige Abwickelung des gesamten Verkehrs anvertraut ist. Die größte Schwierigkeit und das bedeutendste Hindernis, welche hier einer als dringend notwendig betrachteten Verbesserung entgegenstehen, werden darin erblickt, daß auf der einen Seite die E. (gleich den meisten andern Zivilverwaltungen) zur Besetzung ihrer Subaltern- und Unterbeamtenstellen vorzugsweise, ja fast ausschließlich mit Militäranwärtern (zivilversorgungsberechtigten Unteroffizieren) bestimmungsmäßig verpflichtet ist, während auf der andern Seite der Bildungsgrad derselben in Bezug auf Begabung, Schulwissen und Erziehung in einem unverkennbaren (auch von der Heeresverwaltung schwer empfundenen) Rückgang begriffen ist, seit mit dem mächtigen Emporblühen von Handel und Industrie diese immer mehr, und bei lohnenden Aussichten naturgemäß die leistungsfähigsten Kräfte an sich ziehen. Ob durch die bisherigen Verbesserungen der pekuniären Lage der Unteroffiziere, namentlich durch Gewährung bestimmter, mit der Zahl der Dienstjahre steigender Prämien hierin eine Besserung eintreten wird, bleibt abzuwarten. Selbst wenn dies der Fall, wird immer noch der Übelstand bestehen bleiben, daß die zivilversorgungsberechtigten Militäranwärter in einem Lebensalter in die Zivilstellung eintreten, in welchem sie meistens nicht mehr die erforderliche geistige Spannkraft und Frische besitzen, um sich in die Aufgaben eines neuen Berufs vollständig hineinzuleben und sich für dieselben von ihren Anfängen an theoretisch [232] und praktisch gründlich vorzubereiten. Überdies gehen die zivilversorgungsberechtigten Militäranwärter nur zu häufig davon aus, daß die zurückgelegte militärische Dienstzeit zu der Anwartschaft auf einen möglichst bequemen (Ruhe-) Posten berechtige, eine Anschauung, welche gerade mit den Anforderungen des Eisenbahndienstes durchaus unvereinbar ist. Als ein weiteres in dem vorgeschrittenen Lebensalter begründetes Bedenken wird geltend gemacht, daß die Militäranwärter zum großen Teil verheiratet, oft bereits als mehrfache Familienväter in ihren neuen Beruf eintreten. Abgesehen davon, daß hierdurch eine zweckmäßige Ausbildung und Verwendung in verschiedenen Dienstzweigen und den verschiedenen Orten vielfach behindert wird, entstehen hieraus, da der Neueintretende natürlich mit dem niedrigsten Besoldungssatz beginnen muß, häufig von vornherein Notlagen, aus welchen herauszukommen sehr schwer fällt und selten gelingt.

Als Mittel zu einer durchgreifenden Besserung dieser Verhältnisse ist im Laufe vorigen Jahres an beachtenswerter Stelle empfohlen worden, die Zivilversorgungsberechtigung auf das allernotwendigste Maß, nämlich auf die Fälle wirklicher vorzeitiger Invalidität zu beschränken und jeden Zwang zu einer an sich ungerechtfertigten Bevorzugung der zivilversorgungsberechtigten Militäranwärter zu beseitigen, wozu (bei Wegfall des Anreizes der im Heere zu erdienenden Anwartschaft auf eine Zivilstellung) zunächst eine wesentliche Aufbesserung der gegenwärtigen Besoldung der Unteroffiziere, namentlich nach längerer Dienstzeit, erforderlich sein würde, um dem Heere ein wirklich tüchtiges, den auch hier gestiegenen Anforderungen entsprechendes Unteroffizierkorps zuzuführen und zu erhalten.

Als ein fernerer Mangel der jetzigen staatlichen E. wird vielfach die gegenwärtige Organisation derselben mit ihren drei Instanzen (Ministerium als Zentralinstanz, Eisenbahndirektion [Generaldirektion] als Mittelinstanz und Eisenbahn-Betriebsamt [Oberbahnamt] als unterste [Lokal-] Instanz) betrachtet, zumal es den beiden untern Instanzen in mancher Beziehung an der zu einem schnellen und wirksamen Eingreifen erforderlichen Selbständigkeit fehlt, ein schnelles Entschließen und Handeln aber gerade im Eisenbahnwesen not thut, um den vielfach wechselnden Bedürfnissen des Verkehrs und Betriebs überall rasch genügen zu können.