MKL1888:Eisenbahnbetriebssicherheit

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Eisenbahnbetriebssicherheit“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 19 (Supplement, 1892), Seite 222226
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Eisenbahnbetriebssicherheit. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 19, Seite 222–226. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Eisenbahnbetriebssicherheit (Version vom 13.12.2022)

[222] Eisenbahnbetriebssicherheit. Die Hauptgesetzbücher für die Sicherheit des Eisenbahnbetriebs sind in Deutschland: das Bahnpolizeireglement und die Signalordnung für die Eisenbahnen Deutschlands, beide vom 30. Nov. 1885 (in Kraft getreten 1. April 1886). Diese beiden Verordnungen sind vom Reichskanzler in Gemäßheit der vom Bundesrat auf Grund der Artikel 42 und 43 der Reichsverfassung gefaßten Beschlüsse erlassen. Beide enthalten die grundlegenden und einheitlichen Bestimmungen über den betriebssichern Zustand der Bahnanlagen, den Zustand und die Unterhaltung der Betriebsmittel, die Handhabung des Betriebes, die Befähigung und Pflichten der Bahnpolizeibeamten und schließlich im besondern die allgemein zur Anwendung gelangenden Signale für den Zugbeförderungsdienst.

Von ganz besonderer Wichtigkeit ist zunächst der dauernd und fraglos betriebssichere Zustand der Eisenbahn und aller Nebenanlagen, und hier wieder steht in erster Linie der gute Zustand des Eisenbahnkörpers (Damm oder Einschnitt), der Brücken und des Oberbaues. Für die Konstruktion des Bahnkörpers, der Brücken und des gesamten Oberbaues, einschließlich der Weichen, Drehscheiben, Schiebebühnen und andrer hierher gehöriger Einrichtungen, sind überall von den Landesaufsichtsbehörden Normalbestimmungen erlassen, von welchen nicht abgewichen werden darf, und welche im Projekt bei jeder Neuanlage der landespolizeilichen Prüfung und nach Fertigstellung der Bahn der landespolizeilichen Abnahme unterliegen.

In den letzten Jahren ist bei den immer gesteigerten Anforderungen an die Betriebsleistungen der großen Überlandbahnen, die den internationalen Verkehr vermitteln, und der Forderung, immer schneller zu fahren, sowie bei den leider mehrfach vorgekommenen großen Unglücksfällen viel über die Haltbarkeit und Tragfähigkeit der zur Verwendung gekommenen Schienen gestritten worden. Die preußische Staatseisenbahnverwaltung verwendet auf den Hauptbahnen jetzt eine breitbasige Schiene aus Gußstahl von 9 m Länge, 134 mm Höhe, 58 mm Kopfbreite, 105 mm Fußbreite und 11 mm Stegstärke. Die Schiene wiegt 33 kg auf den laufenden Meter. Diese Schiene wird auf gewalzten eisernen Lang- oder Querschwellen oder auf hölzernen Querschwellen verlegt. Die letztere Art ist die häufigere. Die 9 m lange Schiene wird in diesem Falle mit sogen. schwebendem Stoß auf je 11 Schwellen verlegt, von denen jede eine eiserne, 10 mm starke Unterlagsplatte erhält. Noch vor wenigen Jahren wurden nur 10 Schwellen auf die 9 m lange Schiene verwendet, auch die Schiene selbst war in den Hauptabmessungen geringer; so z. B. betrug die Höhe nur 1301/2 mm und die Stegstärke nur 10 mm. Die zumeist aus Kiefernholz bestehenden Schwellen werden vor der Verwendung mit einer Lauge aus Chlorzink und Kreosotöl imprägniert. Die Längsverbindung von Schiene an Schiene wird durch sehr kräftige und rationell konstruierte Laschen hergestellt, die Befestigung auf den Schwellen erfolgt durch Hakennägel und Schrauben. Dieser Oberbau muß als vollkommen ausreichend selbst für die mit 90 km Geschwindigkeit fahrenden Züge bezeichnet werden. Es kommen auch thatsächlich auf den preußischen Staatsbahnen, wie überhaupt in Deutschland, sehr wenig Unfälle vor, welche auf Schienenbrüche oder sonstige mangelhafte Beschaffenheit des Oberbaues zurückzuführen sind. Wenn in den letzten Jahren mehrfach vor Gericht und in der Öffentlichkeit die Unredlichkeit einiger Schienenwalzwerke bei der Herstellung und Lieferung von Schienen verhandelt worden ist, so sind derartige Vorkommnisse gewiß außerordentlich bedauerlich, sie lassen aber trotzdem den Schluß nicht zu, daß bei den deutschen Eisenbahnen geflickte oder sonst mangelhaft hergestellte Schienen zur Verwendung kommen und dadurch die [223] Betriebssicherheit der Eisenbahnen herabgemindert würde. Einmal stellen thatsächlich unsre großen Schienenwalzwerke in Deutschland ausgezeichnetes Material her, dann aber sind die Lieferungsbedingungen sämtlicher Eisenbahnen sehr strenge; die Überwachung der Herstellung, die Vornahme der vorgeschriebenen Zerreißungs-, Biegungs- und Bruchproben sowie die gesamte Abnahme zunächst im Werke selbst, sodann auf der Verwendungsstelle erfolgt durch wissenschaftlich vorgebildete und durchaus gewissenhafte höhere Beamte. Außerdem aber haben die Walzwerke stets eine mehrjährige Garantie zu leisten, d. h. sie müssen für alle Walzfehler, ganz besonders aber für alle Schienenbrüche, die innerhalb dieser Zeit gefunden werden, derart haften, daß sie kostenfrei eine neue Schiene liefern und die alte beseitigen müssen. Bei den preußischen Staatsbahnen beträgt zur Zeit die Dauer der Garantiezeit 5 Jahre. Außerdem trägt für das rechtzeitige Auffinden von Schienenbrüchen sehr viel die bei allen Bahnen übliche Bestimmung bei, daß diejenigen Unterbeamten und Arbeiter (Weichensteller, Bahnwärter, Streckenrevisoren, Bahnarbeiter u. a.), welche einen derartigen Bruch entdecken, eine angemessene Geldprämie erhalten.

Nach amtlichen Ermittelungen sind in den 7 Jahren 1884–91 überhaupt 3,012,903 Stück neue Schienen für die preußischen Staatseisenbahnen geliefert und innerhalb dieses Lieferungsumfanges von je 10,000 Stück 1,8 Stück gebrochen und ersatzpflichtig geworden. Von dem Walzwerk des Bochumer Vereins sind von der obigen Gesamtzahl 329,076 Stück Schienen geliefert, von denen auf je 10,000 Stück 0,724 Stück gebrochen und ersatzpflichtig geworden sind.

Übrigens geht die preußische Staatsbahnverwaltung bereits damit vor, den Oberbau noch erheblich zu verstärken. Es werden jetzt Schienen von 41 kg Gewicht auf das Meter hergestellt, welche 138 mm Höhe, 72 mm Kopfbreite, 110 mm Fußbreite und 14 mm Stegstärke haben. Diese Schienen werden bereits versuchsweise auf einigen Strecken eingelegt. Mit diesen erheblichen Verstärkungen wird ungefähr die vielfach besprochene sogen. Goliathschiene, wie sie in Belgien und England teilweise zur Verwendung kommt, erreicht. Diese Verstärkung geschieht einmal zu noch weiterer Erhöhung der Betriebssicherheit, dann aber wegen der in Aussicht stehenden Erhöhung der Tragfähigkeit der Güterwagen von 200 auf 300 Ztr. und der damit verbundenen Vergrößerung der Wagenraddrucke.

Wenn naturgemäß derartige Verbesserungen nur nach Lage der hierfür aufzuwendenden Geldmittel allmählich zur Durchführung gelangen können, so kann man doch schon jetzt behaupten, daß die auf den deutschen Bahnen zur Zeit vorhandenen Oberbausysteme den Anforderungen selbst an eine erhöhte Betriebsleistung genügen, und daß in der Beschaffenheit des Oberbaues keine Befürchtung für Betriebsgefährnisse zu finden ist.

Von großer Wichtigkeit ist ferner die allen Anforderungen an die erhöhten Betriebsleistungen der Bahnen genügende Stabilität und Sicherheit der eisernen Brücken. Auch hier sind für die preußischen Staatsbahnen und in ähnlicher Weise auch für sämtliche übrigen deutschen Bahnen Bestimmungen über Prüfung der Projekte in den höchsten Instanzen der Landesaufsichtsbehörden vorgeschrieben. Ferner bestehen Bestimmungen über die Revision und fortlaufende Unterhaltung der Brücken. Über jede einzelne Brücke wird ein Revisionsbuch geführt, aus welchem alle Einzelheiten der Konstruktion, Herstellung und Unterhaltung zu ersehen sind. Über jede Revision wird ein Protokoll aufgenommen und dem Revisionsbuch einverleibt. Außer den täglich durch Bahnmeister und Bahnwärter bei ihren Streckengängen vorzunehmenden Beobachtungen finden alljährlich durch den Eisenbahnbauinspektor eingehende Revisionen statt in Bezug auf lose Niete, schadhaft gewordene Verbindungsteile, Auflockerungen der Lagersteine und des Mauerwerks überhaupt, tadellosen Ölfarbenanstrich etc. Die gefundenen Mängel werden sofort beseitigt. Ferner müssen die vorgesetzten Eisenbahnbetriebsämter mindestens alle 5 Jahre außerordentliche Revisionen mit Belastungsproben und Durchbiegungsmessungen vornehmen, um danach den Gesamtzustand der Brücke zu prüfen und etwanige Erneuerungen einzuleiten. Diese Prüfungen werden in Deutschland sehr gewissenhaft ausgeführt, und es ist auch hier Thatsache, daß durch Brückeneinstürze Unfälle noch nicht herbeigeführt sind. Der im Sommer 1891 in der Schweiz bei Mönchenstein erfolgte Einsturz einer eisernen Brücke über die Birs mit seinen überaus traurigen Folgen steht vereinzelt da und ist Anlaß gewesen, nicht nur in der Schweiz, sondern in allen Staaten des Kontinents verschärfte Bestimmungen über Bau, Konstruktion und besonders Revision der eisernen Brücken zu erlassen, so daß die Wiederkehr eines derartigen Unglücksfalles nicht zu befürchten ist. S. Brücke.

Wenn nun der gute Zustand des Eisenbahnkörpers mit allen Nebenanlagen in erster Linie für die Betriebssicherheit von hoher Bedeutung ist, so ist dies nicht minder der Fall bei den Betriebsmitteln, d. h. bei den Lokomotiven und Wagen. Selbstverständlich sind auch hier bei allen Bahnen eingehende Bestimmungen über Unterhaltung und Revisionspflicht erlassen.

Hinsichtlich der Beschaffung der Achsen und Radteile gilt bei den preußischen Staatsbahnen die Bestimmung, daß für Achsen, Räder, Radreifen, Kurbelzapfen, Trieb- und Kuppelstangen eine zweijährige und für alle übrigen Teile eine einjährige Garantiezeit vorgeschrieben ist. Die Garantiezeit beginnt nach dem ersten Monat der Inbetriebnahme der betreffenden Teile.

Achsenbrüche und Radreifenbrüche lassen sich trotz schärfster Kontrolle und täglicher genauer Revision nicht ganz vermeiden, da hauptsächlich plötzlich eintretende große Kälte den Grund für diese Unfälle abgibt. Die durch den schnellen Temperaturwechsel hervorgerufene starke Zusammenziehung bringt Spannungen, besonders in den Radreifen hervor, denen das Material häufig nicht gewachsen ist. Indessen gehören Achsenbrüche auf der Fahrt zu den Seltenheiten, während Radreifenbrüche wohl häufiger vorkommen, aber nicht allemal eine Entgleisung des betreffenden Wagens bewirken, da einmal der Wagen auf den übrigen gesunden Rädern noch eine Weile, bis zur nächsten Station, läuft, besonders aber weil infolge der neuern, sehr guten Befestigungsart durch Sprengringe das ab- oder angebrochene Stück nicht gleich herabfällt, sondern so lange auf dem Rade festgehalten wird, bis der Wagen auf einer Station ausgesetzt werden kann. Auf sämtlichen Bahnen des Vereins deutscher Eisenbahnen sind an Achsenbrüchen, und zwar zusammengerechnet bei voller Fahrt auf freier Strecke, beim Durchfahren eines Bahnhofs, bei der Revision, bei einem Zusammenstoß oder einer Entgleisung vorgekommen im J. 1886: 159, 1887: 173, 1888: 185 und 1889: 166. Hiervon kommen etwa 1/3 auf volle Fahrt auf freier Strecke.

[224] Radreifenbrüche sind vorgekommen auf je 100 Mill. geförderte Achskilometer:

im Jahr 1884 35
1885 41
1886 47
1887 34
1888 40
1889 34
1890 31.

Auf je 10,000 im Betrieb vorhanden gewesene Radreifen kommen an Brüchen:

im Jahr 1884 25
1885 29
1886 33
1887 26
1888 31
1889 27
1890 23.

Eine sehr wichtige Bestimmung für die Sicherheit des fahrenden Zuges enthält das neue, 1. April 1886 zur Einführung gelangte Bahnpolizei-Reglement. Danach müssen alle Personenzüge, welche mit einer Geschwindigkeit von 60 km in der Stunde und mehr fahren, mit einer durchgehenden Bremse ausgerüstet sein. Diese Bestimmung bedeutet eine wichtige Errungenschaft, welche sich in ihren Folgen sofort als überaus segensreich erwiesen hat. Thatsächlich sind heute schon sämtliche Personenzüge, auch die mit einer geringern Geschwindigkeit fahrenden, mit durchgehenden Bremsen ausgerüstet. Die preußische Staatsbahn hat für die Züge der Hauptbahnen die Luftdruckbremse von Carpenter und für die Züge auf Nebenbahnen die Reibungsbremse von Heberlein zur Einführung gebracht; außerdem findet auf der Berliner Stadtbahn die Vakuumbremse von Hardy Anwendung. Die süddeutschen Staaten (z. B. Bayern, Württemberg, Baden) haben die Luftdruckbremse von Westinghouse, während die sächsische Staatsbahn die Luftdruckbremse von Schleiffer eingeführt hat. Nach den in den letzten Jahren wiederholt vorgenommenen ausführlichen Bremsversuchen ist, wie es scheint, von allen diesen und andern Systemen dasjenige von Westinghouse als das beste in Bezug auf schnelle und sichere Wirkung, einfache Konstruktion und Handhabung nunmehr endgültig erkannt worden. Es ist daher auch die preußische Staatsbahnverwaltung bereits in Unterhandlungen begriffen, um die vor einigen Jahren angenommene Carpenterbremse in die Westinghousesche umwandeln zu lassen.

Die durchgehenden Bremsen haben in erster Linie den Vorteil, daß sie durch einen einzigen kurzen Handgriff des Lokomotivführers zum Anziehen gebracht werden und dann unter ausreichendem und überall gleichem Druck zur Wirkung kommen, während früher erst der Lokomotivführer zum Bremsen pfeifen mußte, und dann jeder einzelne Bremser mehr oder weniger schnell und kräftig seine Bremse anzog. Ein weiterer großer Vorteil ist der der Selbstthätigkeit bei Zugzerreißungen. Zerreißt ein Zug während der Fahrt, so werden beide Zugteile sofort selbstthätig gebremst; ein Aufeinanderlaufen kann also nicht stattfinden. Schließlich kann der Zug von jeder Wagenabteilung aus durch die Reisenden selbst sofort gebremst werden, was in Gefahrfällen, die nicht vom Zugpersonal, wohl aber von den Reisenden bemerkt werden, von größter Wichtigkeit ist.

Ein dritter Faktor, welcher von hoher Bedeutung für die Betriebssicherheit der Eisenbahnen ist, ist das Signalwesen. Dies ist für die Eisenbahnen Deutschlands durch die bereits erwähnte Signalordnung vom 30. Nov. 1885 in einheitlicher, grundlegender Weise neu geregelt worden. Hiernach sind für die einzelnen Verwaltungen eine Reihe von Reglements und Verordnungen erlassen, welche alle für die Bedürfnisse der verschiedenen Bahnen notwendigen Signalvorschriften im einzelnen enthalten. Bei zweigeleisigen Bahnen fahren die Züge im allgemeinen (in Deutschland jetzt durchweg) rechts, d. h. sie fahren auf dem in der Fahrtrichtung rechts gelegenen Geleise. Die Zugfolge ist nicht mehr, wie früher, durch bestimmte Zeitintervalle abgegrenzt, sondern geschieht jetzt allgemein in Stationsdistanz, d. h. es darf der folgende Zug nicht eher die Station verlassen, bis der vorangegangene die nächste Station passiert hat. Da nun die Bahnhöfe (Stationen) häufig sehr weit auseinander liegen und dadurch eine im Interesse des Verkehrs wünschenswerte schnelle Zugfolge sehr behindert würde, so hat man zwischen die entfernt voneinander liegenden Bahnhöfe sogen. Signal-Zwischenstationen eingeschoben, welche gleichfalls mit sichtbaren Fahr- und Haltesignalen und mit elektrischen Sprechapparaten ausgerüstet sind, mit erstern, um den Zügen dieselben Fahrzeichen zu geben, wie die eigentlichen Stationen, und mit letztern, um die Zugmeldungen zu besorgen. Die durch diese Signal-Zwischenstationen geschaffenen Bahnabschnitte haben eine ungefähre Länge von 3–6 km. Es besteht hierbei nun das Gesetz, daß niemals in einen solchen Bahnabschnitt ein zweiter Zug hineingelassen werden darf, bevor der erste nicht wieder heraus ist, was der ersten Station durch die sogen. telegraphische Rückmeldung bekannt gegeben wird.

Steht der Abfahrt eines Zuges nichts entgegen, so wird derselbe zunächst bis zur nächsten Station abgeläutet, d. h. es wird durch einen Läute-Induktor ein aus mehreren Schlägen bestehendes Glockensignal abgegeben, welches sämtliche Streckenwärter und Zwischenstationen bis zur nächsten Hauptstation von der Ankunft eines Zuges benachrichtigt. Dieses Signal kann bis zu 10 Minuten vor Abgang des Zuges gegeben werden. Fährt der Zug in dieser Zeit nicht ab, so muß das Läutesignal wiederholt werden. Kurz (1–3 Minuten) vor der Abfahrt selbst erfolgt die telegraphische Meldung an die nächste Zwischenstation, daß der Zug kommt. Nähert sich der Zug der Zwischenstation, so hat diese die Meldung weiter abzugeben, und hat der Zug die Station passiert, so muß sofort die Rückmeldung erfolgen; es steht dann der weitern Zugfolge nichts entgegen. Diese Zugmeldedepeschen sind sehr kurz und können sehr schnell gegeben werden.

Bei eingeleisigen Bahnen ist das Verfahren ein anderes, da Zugkreuzungen nicht auf freier Strecke, sondern nur auf den Bahnhöfen stattfinden können. Hier müssen daher die Züge „angeboten“ werden, d. h. die ablassende Station muß bei der nächsten anfragen, ob der Zug kommen kann, und darf die weitern Meldungen dann erst abgeben, wenn eine zustimmende Antwort erfolgt ist.

Die hauptsächlichsten sichtbaren Signale für den Zugbeförderungsdienst sind die Bahnhofs-Einfahrtssignale und die Zwischenstationssignale. Beides sind 8–15 m hohe, weithin sichtbare Mastbäume, an deren obern Ende sogen. Flügel derart angebracht sind, daß man die mit denselben gegebenen Fahrzeichen vom Zuge aus stets rechts sieht. Bei Nacht werden diese Fahrzeichen durch entsprechende Lichtsignale am Mast gegeben. In den letzten Jahren sind die sogen. Vorsignale in erhöhtem Maße zur Einführung gekommen. Diese sind selbstthätig mit dem Hauptsignal derart verbunden, daß der Lokomotivführer an dem 500–600 m vorauf stehenden Vorsignal bereits erkennt, ob er „Fahrt“ oder „Halt“ am Hauptsignal vorfinden wird. Dies erleichtert dem Führer natürlich sehr, seine Vorbereitungen zu treffen, so daß er [225] unbedingt am Hauptsignal den Zug erforderlichen Falles zum Halten bringen kann.

Von der allergrößten Bedeutung für die Betriebssicherheit sind die seit den letzten 10 Jahren in großem Umfange zur Durchbildung und Einführung gekommenen Zentralweichen- und Signalstellwerksanlagen. Diese Stellwerke haben in erster Linie den Zweck, die Bedienung verschiedener räumlich getrennter Weichen und Signale von Einem Mittelpunkt zu ermöglichen und somit den Dienst der betreffenden Weichensteller leichter und ungefährlicher zu machen. Dann aber werden die Signale mit den Weichen in eine solche Abhängigkeit voneinander gebracht, daß niemals ein Signal gezogen werden kann, wenn nicht vorher sämtliche zu durchfahrende Weichen richtig gestellt worden sind, und daß ferner feindliche Fahrstraßen sich gegenseitig ausschließen.

In den Stellwerken hat der Weichensteller in einem leicht zu übersehenden kleinen Raum eine Anzahl von Stellhebeln, die aufrecht stehen und dicht nebeneinander gelagert sind, durch einfache Handgriffe und ohne irgend einen Weg zurücklegen zu müssen, zu bedienen. Die Hebel für die Signale und Weichen sind äußerlich leicht erkenntlich gemacht durch besondern Farbenanstrich (die einen rot, die andern blau) und gewöhnlich auch durch eine andre Art des Handgriffs. Außerdem trägt jeder Hebel auf einem unterhalb des Handgriffs befindlichen, leicht in die Augen fallenden Schild seine genaue Bezeichnung. Bei der örtlichen Placierung stehen die Hebel für die Signale an beiden Enden der Hebelreihe, während diejenigen für die Weichenhebel sich in der Mitte befinden. Auf den Signalhebeln stehen ferner die Nummern derjenigen Weichen angegeben, welche in der Reihe, wie sie verzeichnet sind, umgestellt werden müssen, bevor das betreffende Signal gezogen werden kann. Die Aufträge zum Stellen der Weichen und Ziehen der Signale erhält der Stellwerkswärter auf telegraphischem oder mündlichem Wege durch den diensthabenden Stationsbeamten. Das Stellwerkshäuschen befindet sich zumeist nicht zu ebener Erde, sondern ein Stockwerk hoch und ist ringsum mit Fenstern versehen, so daß der Wärter seinen Bezirk von hier aus gut übersehen kann. Die Verbindung der Signal- und Weichenhebel miteinander ist also eine solche, daß kein Signalhebel umgelegt werden kann, bevor nicht die Umlegung der auf dem Signalhebel bezeichneten Weichenhebel erfolgt ist. Sobald daher ein Fahrsignal gegeben werden soll, müssen zuvor die auf dem betreffenden Signalhebel verzeichneten Weichenhebel umgelegt werden. Bevor dies nicht geschehen ist, ist es dem Wärter unmöglich, den Signalhebel zu bewegen, d. h. derselbe ist mechanisch und selbstthätig so verriegelt, daß selbst unter Aufwendung von großer Kraft der Signalhebel nicht bewegt werden kann. Ist er aber in vorschriftsmäßiger Weise auf Fahrt gezogen, so werden durch diese Bewegung sämtliche vorher richtig eingestellten Weichen verriegelt und können nun nicht mehr, solange das Fahrzeichen am Maste steht, in eine andre Lage gebracht werden. Bei Stellwerken, wo die Verschlußvorrichtungen nicht unmittelbar von den Signalhebeln, bez. den damit verbundenen Handfallenhebeln aus, sondern durch besondere Hebel (Verriegelungshebel, Verschlußknebel) bewegt werden, müssen letztere erst umgestellt oder umgedreht werden, bevor der eigentliche Signalhebel bewegt werden kann.

Ferner stehen die Signalhebel wie die Weichenhebel so untereinander in Wechselbeziehung, daß Fahrsignale für Züge, die sich gegenseitig gefährden würden, niemals gleichzeitig gegeben werden können. Man nennt dies: die Fahrstraßen schließen sich gegenseitig aus. Dieses Abhängigkeitsverhältnis wird zum Teil schon erzielt durch die für die verschiedenen Signale voneinander abweichende Weichenhebelverriegelung, zum Teil bestehen Verschlußvorrichtungen zwischen den Signalhebeln selbst.

Wenn alle Signalhebel sich in der Ruhelage befinden, also alle Signale „Halt“ zeigen, so können die Weichenhebel beliebig umgelegt werden, was für das Rangieren, das allemal unter dem Schutze der Haltesignale geschehen muß, notwendig ist. Ferner können, wenn ein Signalhebel umgelegt, d. h. Fahrzeichen gegeben ist, auch diejenigen Weichen umgestellt werden, welche für die Fahrtrichtung ohne Einfluß sind, während die vom Zuge zu durchfahrenden oder die von Nebengeleisen nach dem betreffenden Fahrgeleise führenden Weichen, soweit dieselben in das Stellwerk einbezogen, fest verriegelt sind.

Daß derartige Einrichtungen für die Sicherheit der in die Bahnhöfe einfahrenden Züge von einer hohen Bedeutung sind, ist einleuchtend. Bei großen Bahnhöfen, wo mehrere Linien zusammenlaufen, finden auch für die ausfahrenden Züge gleiche Sicherheitseinrichtungen statt. Die Sichtsignale werden in ähnlicher Weise gegeben, u. die Abhängigkeit der Signal- und Weichenhebel im Stellwerk ist dieselbe, wie vorauf geschildert. Bei eingeleisigen Bahnen ist die spitz befahrene Eingangsweiche auch bei den kleinern Bahnhöfen durch ein einfaches Stellwerk gesichert, so daß die Weiche allemal richtig eingestellt sein muß, bevor das Signal auf „Fahrt“ gezogen werden kann. Eine weitere, außerordentlich wichtige Einrichtung, die gleichzeitig mit den Stellwerken verbunden ist und in den letzten Jahren einen hohen Grad von Vervollkommnung erreicht hat, sind die sogen. Spitzenverschlüsse. Dies sind Vorkehrungen, welche den festen Anschluß der Weichenzungenspitze an die Mutterschiene bewirken, ein Klaffen verhindern und den Weichensteller direkt merken lassen, wenn ein Hindernis für den festen Anschluß der Zunge vorhanden ist.

Bei umfangreichen oder weit entfernt von dem Stationsbüreau liegenden Stellwerken stehen mit diesen häufig elektrische Block- oder mechanische Verschluß- und Freigabevorrichtungen in Verbindung, welche das Ziehen der Signalhebel auf Fahrt nur mit Zustimmung oder Hilfe der Station gestatten. Gleiche Vorrichtungen finden auch Anwendung, um bei einander folgenden Stellwerksanlagen eine richtige Reihenfolge in Bedienung der Signale zu sichern. Die für jedes Stellwerk erlassenen besondern Dienstanweisungen sind für die Bedienung dieser Anlagen maßgebend. In dem Stellwerksraum ist ferner ein Morseapparat, häufig auch ein Fernsprecher aufgestellt, durch welchen Anweisungen von dem diensthabenden Stationsbeamten an den bedienenden Weichensteller zu erteilen sowie die Meldungen[WS 1] des letztern zu erstatten sind. Die Vorschriften über die Bedienung dieser Verständigungsmittel sind ebenfalls in der besondern Dienstanweisung des betreffenden Stellwerks enthalten.

Diese komplizierten Stellwerksanlagen, von welchen hier nur die wichtigsten Funktionen erörtert sind, müssen selbstverständlich in allen ihren Teilen aufs sauberste und gewissenhafteste unterhalten werden, damit durch Versagen einzelner Teile nicht Stockungen im Betrieb eintreten. Auch hierin sind die Vorschriften auf den deutschen Bahnen, besonders [226] innerhalb der preußischen Staatsbahnverwaltung, sehr streng. Diese Anlagen stehen fortlaufend unter der Aufsicht der Eisenbahnbauinspektoren. Alle 7 Tage muß der zuständige Bahnmeister eine genaue Prüfung der ihm unterstellten Anlagen vornehmen, während halbjährlich eine sich auf alle Einzelheiten erstreckende eingehende Revision durch einen höhern Beamten des Eisenbahnbetriebsamts oder der anderweit vorgesetzten Behörde bewirkt werden muß. Über jedes Stellwerk wird ein Revisionsbuch geführt, aus welchem alle Einzelheiten der Anlage zu ersehen sind und in welches alle Revisionsprotokolle aufgenommen werden.

Die ältesten Stellwerke nach englischem Muster (System Saxby und Farmer) sind 1868 und 1869 in Braunschweig und Stettin ausgeführt. Diese ersten Versuche befriedigten wenig. Erst seit 1875 kann man von einer allgemeinen Einführung bei den deutschen Bahnen reden. Zur Zeit gibt es keinen größern Bahnhof in Deutschland, der nicht an allen Gefahrpunkten mit derartigen Sicherheitsanlagen ausgerüstet ist. Unter vielen guten Anlagen gelten die von Jüdell in Braunschweig und Gast in Berlin, und bezüglich der elektrischen Sicherungen die von Siemens u. Halske in Berlin mit als die besten.

In der noch dürftigen Litteratur steht an der Spitze das Werk von Kolle, „Die Anwendung und der Betrieb von Stellwerken zur Sicherung von Weichen und Signalen“ (Berl. 1888).

Eine ganze Reihe andrer mechanischer Einrichtungen gibt es noch, welche zur Erhöhung der Betriebssicherheit zur Verwendung kommen, von denen hier nur noch die sogen. Schienenkontakte oder Radtaster erwähnt werden sollen. Dies sind Einrichtungen, welche zur Anwendung kommen auf Strecken, bei denen die Züge eine gewisse Fahrgeschwindigkeit nicht übersteigen dürfen, wie z. B. bei starken Gefällsstrecken oder bei Einfahrten in Kopfstationen. Durch diese Apparate wird auf elektrischem Wege auf einer Registrieruhr in der nächstbelegenen Station die Fahrgeschwindigkeit jedes Zuges angegeben. Hat ein Lokomotivführer die zulässige Fahrgeschwindigkeit überschritten, so wird er zur Verantwortung gezogen und bestraft.

Wenn man von allen diesen in den Dienst der Eisenbahn gestellten Mitteln thatsächlich sagen kann, daß sie von wirklicher Unfehlbarkeit sind, so bleibt doch der Mensch, der diese Mittel zu handhaben hat, vermöge seiner menschlichen Fehlbarkeit der schwächste Punkt in dem großen Organismus des Eisenbahnbetriebs. Wenn in einem Eisenbahnbetrieb alle Vorgänge stets programmmäßig verlaufen würden, so wäre die Handhabung der Sicherheitseinrichtungen, einmal nach allgemeinen Dispositionsvorschriften geregelt, schließlich eine einfache und mechanische. Dies kann aber niemals der Fall sein, da Tausende von Zufälligkeiten Abweichungen vom Programm herbeiführen. Es wird also immer die Notwendigkeit vorhanden sein, durch menschliche Geistesthätigkeit die entstandenen Störungen unschädlich zu machen und auszugleichen. Häufig aber sind mit den ja thatsächlich auch einfachen Handhabungen nur untergeordnete Organe betraut, deren Verstandesthätigkeit bei einer besonders komplizierten Unregelmäßigkeit nicht ausreicht, um schnell und sicher das Richtige im gegebenen Augenblick zu treffen. Neben der Fahrlässigkeit und dem Irrtum steht aber auch der Mensch noch unter dem Einfluß einer andern Macht, das ist die Gewohnheit. Auch diese Macht fordert ihre Opfer! Daher sind die Ursachen der meisten Eisenbahnunfälle auf Irrtümer, Fahrlässigkeiten und gewohnheitsmäßige Handhabungen, die gerade in dem vereinzelten Falle hätten unterlassen werden müssen, zurückzuführen. Hier wird der Punkt sein, wo der Hebel einzusetzen ist, um nach Möglichkeit Wandel zu schaffen. Sowohl die unzulängliche Besoldung, welche einesteils bessere Elemente von diesen untern Stellen des Eisenbahndienstes fernhält und andernteils den vorhandenen Angestellten nicht die Mittel übrigläßt, um sich die erforderliche Pflege und körperliche wie geistige Erholung zu gestatten, als auch in einzelnen Fällen die zu lange tägliche Dienstdauer dieser Beamten wird häufig schuld daran tragen, daß eine Reihe kleiner Versehen oder Unterlassungen begangen werden, welche, wenn sie in unglücklicher Weise zufällig zusammentreffen, erhebliche Unfälle herbeiführen können. Die preußische Staatsbahnverwaltung ist deshalb auch bereits mit der Verbesserung der Lage der Unterbeamten vorgegangen. Aufbesserung der Gehalte einiger Unterbeamtenklassen des Außendienstes, Schaffung von Funktions-, Stellen- und Teuerungszulagen sowie Herabsetzung des 12–16stündigen Dienstes auf einen 8–10 stündigen sind bereits zur Einführung gelangt, weiteres wird vorbereitet.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Meldun-|den