MKL1888:Eisenbahnbetriebsleistungen

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Eisenbahnbetriebsleistungen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 19 (Supplement, 1892), Seite 219222
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Eisenbahnbetriebsleistungen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 19, Seite 219–222. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Eisenbahnbetriebsleistungen (Version vom 13.12.2022)

[219] Eisenbahnbetriebsleistungen. Die hauptsächlichste Aufgabe einer gut verwalteten Eisenbahn besteht darin, neben der Erreichung der denkbar größten Betriebssicherheit (s. S. 222) den steigenden Anforderungen des Verkehrs in Bezug auf die Personen- und Güterbeförderung unausgesetzt zu folgen. Das deutsche Eisenbahnsystem, das 1828 kaum 68 km Kohlenbahnen umfaßte, wies schon 1838 4 mit Lokomotiven betriebene Eisenbahnen von im ganzen 383 km Länge auf, 1848 schon 4365 km, 1858: 11,850 km und 1868 ungefähr 25,000 km, die damals bereits mit 5600 Lokomotiven und 150,000 Wagen aller Art betrieben wurden. Dieses große Werkzeug seiner zeitgemäßen Kultur konnte sich Deutschland mit seinen schwachen Hilfsquellen nur schaffen, sobald es Bedürfnis geworden war, und abgesehen von ganz geringen Irrtümern zur Zeit der großen Privatbahnbauten, ist thatsächlich der Ausbau des sich stetig weiter verzweigenden Eisenbahnnetzes lediglich dem Bedürfnis folgend vor sich gegangen, und sämtliche Bahnen haben bald nach ihrer Übergabe an den öffentlichen Verkehr ihre Betriebsleistungen zu immer größerer Höhe steigern müssen. Aber was bis 1868 geschehen war, kann erst als Anfang angesehen werden, denn in den folgenden 20 Jahren ist ein erheblich weiterer Schritt geschehen. Um die Betriebsleistungen und den Verkehr, über welche weiter unten nähere Angaben erfolgen, zu verstehen und im Verhältnis zu der Größe der Bahnen richtig beurteilen zu können, ist es notwendig, die gegenwärtige Gesamtlänge der Eisenbahnen der gesamten Erde zusammenzustellen und damit einige kurze Längenvergleiche zu verbinden, woran sich Schlüsse auf die weitere Entwickelung der Eisenbahnnetze anschließen lassen.

Die Eisenbahnen der gesamten Erde betrugen Ende des Jahres 1890: 595,767 km, d. h. ungefähr das 15fache des Erdumfanges am Äquator und 200,000 km mehr als die mittlere Entfernung des Mondes von der Erde. Im vorletzten Jahrzehnt unsers Jahrhunderts sind hinzugekommen 245,731 km; diese gleiche Zunahme für das letzte Jahrzehnt angenommen, wird die Gesamtlänge der Eisenbahnen der Erde am Ende des Jahrhunderts betragen: 840,000 km, d. h. mehr als das 21fache des Erdumfanges und mehr als das Doppelte der Entfernung des Mondes von der Erde. Wie sich die Eisenbahnlängen im J. 1888 auf die einzelnen Staaten verteilten, zeigt die Tabelle in Bd. 18, S. 220 u. 221.

Die Vereinigten Staaten von Nordamerika bauen in jedem Jahr ungefähr ebensoviel Kilometer Eisenbahnen, wie die ganze übrige Erde zusammen, und etwa 20mal mehr als der preußische Staat.

Um ein richtiges Bild der Betriebsleistungen in Bezug auf die Einnahmen und die prozentuale Verzinsung der Anlagekosten zu erhalten, gibt die nachstehende Tabelle das Gesamtanlagekapital und das Anlagekapital reduziert auf 1 km Bahnlänge für die Hauptstaaten und die gesamten Bahnen der Erde. Es beträgt das statistische Anlagekapital der Bahnen in:

Deutschland 10259015000 Mk. und 252268 Mk. auf 1 km
Österreich-Ungarn 6098170000 249922
England 17531903000 546369
Frankreich 11189610000 319575
Rußland 7095600000 263100
Italien 2431666000 237630
Belgien 1027298000 320930
Schweiz 850438000 282537
Gesamt-Europa 59948269000 306382
Verein. Staaten 43373346000 167909
Die übrigen Erdteile zusammen 54217593000 162399
Die ganze Erde: 128466000000 215700

Das gesamte Anlagekapital aller Eisenbahnen der ganzen Erde betrug Ende 1890 rund 128,5 Milliarden.

Aus vorstehender Tabelle ergibt sich auch, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika bei weitem am billigsten und England bei weitem am teuersten bauen, während Deutschland und Österreich-Ungarn sich am meisten dem Gesamtdurchschnitt nähern.

Im J. 1890 wurde der gesamte Verkehr auf den preußischen Staatsbahnen mit 9118 Lokomotiven u. 201,283 Wagen aller Art bewältigt. Von der Gesamtzahl der Wagen entfallen auf Personenwagen 14,597 Stück mit zusammen 648,249 Sitz- und Stehplätzen, auf Gepäckwagen 3957 Stück, auf Güterwagen 182,729 Stück. Außerdem waren der Postverwaltung gehörige 987 Stück Postwagen vorhanden. Die Beschaffungskosten dieser Betriebsmittel betrugen bei den Lokomotiven im ganzen 400,431,042 Mark und für 1 Stück 43,917 Mk., bei den Personenwagen 125,857,706 Mk. und für 1 Stück 8621 Mk., bei den Gepäckwagen 25,378,354 Mk. und für 1 Stück 6388 Mk., und bei den Güterwagen 521,525,353 Mk. und für 1 Stück 2854 Mk. Die Gesamtbeschaffungskosten für Lokomotiven u. Wagen betrugen 1,073,192,455 Mk. Im J. 1890 fand an Betriebsmitteln folgender Zu- und Abgang statt: Neu beschafft wurden an Lokomotiven 531 für 17,728,455 Mk., an Personenwagen 765 für 8,110,740 Mk., an Gepäckwagen 228 für 1,605,341 Mk. und an Güterwagen 10,892 für 28,946,760 Mk., während ausgeschieden wurden 212 Lokomotiven, 128 Personenwagen, 63 Gepäckwagen und 2603 Güterwagen. Es fand somit eine Vermehrung der Betriebsmittel statt um 319 Lokomotiven, 597 Personenwagen, 160 Gepäckwagen und 8289 Güterwagen. Diese Vermehrungen an Betriebsmaterial finden in ähnlichem Umfange, den Bedürfnissen entsprechend, aus den laufenden Mitteln des Betriebsetats und aus den hierfür bei den Baufonds für neue Linien besonders vorgesehenen Mitteln alljährlich statt. Bei dem in den letzten beiden Jahren aber durch den enorm gestiegenen Verkehr hervorgetretenen Wagen- und Maschinenmangel hat sich eine außergewöhnliche Beschaffung von Betriebsmitteln zur Notwendigkeit gemacht. Es sind deshalb durch Gesetz vom 20. Juni 1891 zur Beschaffung von Betriebsmitteln für die bereits bestehenden Staatsbahnen 53,800,000 Mk. besonders bewilligt worden. Die Beschaffungen aus diesem Fonds haben unter Heranziehung aller leistungsfähigen deutschen Fabriken bereits im Herbst 1891 in vollem Umfange begonnen, und man darf hoffen, daß nach erfolgter Fertigstellung dieser neuen Betriebsmittel und bei weiterer sachgemäßer Ergänzung aus dem laufenden Etat die begründeten Klagen über Wagenmangel verstummen werden. Die wichtigsten Zahlen der Betriebsleistungen auf den preußischen Staatsbahnen in den Jahren 1885–90 sind in nachfolgenden Tabellen dargestellt.

[220]
I. Leistungen der Betriebsmittel auf den preußischen Staatsbahnen 1885/86 bis 1889/90.
Leistungen der Betriebs­mittel 1885/86 1886/87 1887/88 1888/89 1889/90
a) Loko­motiven:          
 Lokomotiv­kilometer im ganzen 258282370 262881137 274258918 292821578 319122547
 Durch­schnittlich für 1 Lokomotive 31398 31132 31884 33615 35612
b) Personen­wagen:          
 Achs­kilometer im ganzen 1116287286 1154603050 1216927331 1275570918 1425294326
 Durch­schnittlich auf 1 Achse 37916 38536 29623 40524 43535
c) Gepäck­wagen:          
 Achs­kilometer im ganzen 378471822 383349478 397560124 421957160 454259517
 Durch­schnittlich auf 1 Achse 46141 45836 46558 48356 50167
d) Güter­wagen:          
 Achs­kilometer im ganzen 5148301404 5365653215 5721360593 6168870886 6563414411
 Durch­schnittlich auf 1 Achse 15317 15810 16657 17435 17633
e) Von sämt­lichen eignen Wagen:          
 Achs­kilometer im ganzen 6643060512 6903605747 7335848048 7866398964 8442968254
 Durch­schnittlich auf 1 Achse 17774 18277 19167 19967 20393
f) Von eignen und fremden Wagen, inkl. Post­wagen:          
 Zusammen Achs­kilometer 6657595177 6914811799 7350823993 7911589792 8555553034
 Auf 1 Kilo­meter mittlere Betriebs­länge 315686 321676 328940 344578 362251
g) Von vor­stehenden Gesamt-Achskilo­metern sind geleistet:          
 In Schnell­zügen 313673903 319035384 331424566 351441328 395951733
 In Personen­zügen 1117517940 1137891358 1188462390 1238786751 1361459204
 In gemisch­ten Zügen 448090845 451382982 460922375 486118758 480887068
 In Güter­zügen 4709428855 4930156041 5285960666 5730218114 6208994061
 In Arbeits- und Material­zügen 78883644 86346034 83983996 105024841 108260968
II. Personenverkehr der Jahre 1885/86 bis 1889/90 (nach Klassen getrennt).
  Klasse 1885/86 1886/87 1887/88 1888/89 1889/90
Anzahl der Personen I 1101858 1039800 1004345 1061165 1185329
II 17070370 17946964 19100216 20872096 23403536
III 88596512 97338286 106118254 111730879 123592690
IV 50987533 55547791 61194340 70348736 82886774
Militär 4056089 4204089 4257461 3844420 4116385
zusammen 161812362 176077750 191674616 207857296 235134714
Personen­kilometer I 101762356 101726910 95886708 104536589 124003313
II 853342370 858205055 898616182 945026099 1054039642
III 2134083708 2257865422 2338463397 2427106114 2687761426
IV 1677194709 1820633541 1932056806 2163356133 2494942522
Militär 286683998 309880547 346684281 310684830 345673908
zusammen 5033067141 5347861475 5610707374 5950709765 6706420811
In Prozenten der Personen­kilometer aller Klassen I 2,0 1,9 1,7 1,8 1,8
II 16,6 16,0 16,0 15,9 15,7
III 42,4 42,2 41,7 40,8 40,1
IV 33,3 34,1 34,4 36,3 37,2
Militär 5,7 5,8 6,2 5,2 5,2
Einnahmen: Mark I 8089606 7993060 7768874 8368801 9840276
II 45369682 46326728 47910950 50093753 54488038
III 71301908 75475877 77739104 80895137 86983762
IV 35196514 37571302 41002686 45470530 50312549
Militär 4291957 4711817 5219028 4746339 5279459
zusammen 164249667 172078784 179640642 189574560 206904084
In Prozenten der Einnahmen aus der Personen-Beförderung I 4,9 4,6 4,3 4,4 4,8
II 27,6 26,9 26,7 26,4 26,3
III 43,4 43,9 43,3 42,7 42,0
IV 21,5 21,8 22,8 24,0 24,3
Militär 2,6 2,8 2,9 2,5 2,6
Einnahmen für 1 Person: Mark I 7,34 7,69 7,74 7,89 8,30
II 2,66 2,58 2,51 2,40 2,33
III 0,80 0,78 0,73 0,72 0,76
IV 0,69 0,68 0,67 0,65 0,61
Militär 1,06 1,12 1,23 1,23 1,28
durch­schnittlich 1,02 0,98 0,94 0,91 0,88
Einnahmen für 1 Personen­kilometer: Pfennig I 8,05 7,89 8,10 8,01 7,94
II 5,44 5,40 5,33 5,30 5,17
III 3,34 3,34 3,32 3,33 3,24
IV 2,10 2,06 2,12 2,10 2,02
Militär 1,43 1,52 1,51 1,50 1,53
durch­schnittlich 3,26 3,22 3,20 3,19 3,09
Jede Person ist durch­schnittlich befördert (alle Klassen): Kilometer   31,10 30,37 29,27 28,63 28,52

[221] Ergibt sich aus Tabelle I die zunehmende Steigerung der Betriebsleistungen überhaupt, aus Tabelle II die des Personenverkehrs, so sind in nachfolgender Tabelle die wichtigsten Zahlen der Betriebsleistungen aus dem Güterverkehr (aus dem Vieh- und Kohlenverkehr besonders) zusammengestellt.

III. Güterverkehr der Jahre 1885/86 bis 1889/90.
  1885/86 1886/87 1887/88 1888/89 1889/90
a) Eilgut, Stückgut, gewöhnl. Frachtgut:          
Anzahl der Tonnen 86406992 91936423 98997354 108489989 116923024
Anzahl der Tonnen­kilo­meter 10866181275 11257375816 12090375816 13193773631 14203420418
Auf 1 Kilo­meter mitt­lerer Betriebs­länge für den Güter­verkehr Tonnen­kilo­meter 516664 524333 542476 576739 603562
Ein­nahmen im ganzen: Mark 416182707 433419744 464158688 502226382 540962491
Für 1 Tonnen­kilo­meter: Pfennige 3,83 3,85 3,84 3,81 3,81
b) Vieh-Verkehr:          
Anzahl der Tonnen 1243785 1383782 1378450 1407108 1477565
Anzahl der Tonnen­kilo­meter 182825354 215259741 255810229 266008102 297246942
Ein­nahmen im ganzen: Mark 15655315 17477860 17477790 17610116 19176792
Für 1 Tonnen­kilo­meter: Pfennige 8,56 8,12 6,83 6,62 6,45
c) Kohlen-Verkehr:          
Anzahl der Tonnen 44945859 46671995 49888006 54374724 56696018
Ein­nahmen: Mark 150958962 150284671 164795005 179849181 191214066

Hieran schließt sich eine Tabelle, welche die Übersicht über die Gesamteinnahmen und -Ausgaben sowie den Überschuß und in der letzten Spalte die prozentuale Verzinsung des Anlagekapitals gibt.

IV. Allgemeine Übersicht der Betriebsergebnisse in den Jahren 1885/86 bis 1889/90.
(In Millionen Mark.)
Etats­jahr Einnahmen: Ausgaben: Überschuß:
Aus dem Per­sonen­ver­kehr Aus dem Güter­ver­kehr Sons­tige Ein­nahmen Im ganzen Persön­liche Aus­gaben Säch­liche Aus­gaben Im ganzen Über­haupt In Proz. des Anlage­kapi­tals
1885/86 169 4531/2 341/2 657 183 1921/2 3751/2 2811/2 4,88
1886/87 177 4731/4 271/4 6771/2 186 1871/4 3731/4 3041/4 5,22
1887/88 1841/2 5171/2 281/4 7301/2 1901/2 1961/2 387 3431/2 5,77
1888/89 1943/4 5591/4 281/2 7821/2 197 2221/2 4191/2 363 6,02
1889/90 2121/2 604 391/2 856 215 2553/4 4703/4 385 6,26

Aus den beiden letzten Spalten ist das gewiß sehr erfreuliche Resultat zu ersehen, daß der reine Überschuß der preußischen Staatsbahnen in 5 Jahren von 2811/2 auf 385 Mill. Mk., und damit die Verzinsung des Anlagekapitals von 4,88 auf 6,26 Proz. gestiegen ist. Die preußischen Staatsbahnen wie überhaupt die gesamten deutschen Eisenbahnen bringen bessere Erträge als die englischen und amerikanischen Bahnen. Eine Zusammenstellung der gesamten Betriebsleistungen fremder Bahnen gegenüber den preußischen und deutschen Bahnen würde aber selbst bei den allernotwendigsten Zahlenangaben zu weit führen. Wir müssen uns auf die vorstehenden Tabellen für die preußischen Staatsbahnen beschränken, aus denen die Vergleiche in den verschiedenen Jahren und das Anwachsen des Verkehrs leicht zu ersehen sind.

Hier soll nur noch kurz die nach amtlichem Material festgestellte prozentuale Verzinsung des Anlagekapitals für die letzten 6 Jahre bei den preußischen, deutschen, englischen und amerikanischen Bahnen gegenübergestellt werden.

Jahr Preußen Deutschland England Amerika
Proz. Proz. Proz. Proz.
1885 4,88 4,35 4,02 3,36
1886 5,22 4,59 3,99 3,26
1887 5,77 5,10 4,00 3,40
1888 6,02 5,31 4,06 3,03
1889 6,26 5,51 4,21 3,03
1890 5,60 4,10 3,03

Die amerikanischen Bahnen kommen bei diesem Vergleich am schlechtesten weg, aber sie haben sich auch viel schneller entwickelt, nach dem Grundsatz, den Verkehr zu suchen und neuen Verkehr zu schaffen, während die europäischen Bahnen mehr bestrebt sind, den Bedürfnissen des bereits bestehenden Verkehrs Genüge zu leisten.

Zur Beförderung von 235 Mill. Menschen, 175 Mill. Ton. Gut auf den preußischen Staatsbahnen in einem Jahr, welche bei einer Einnahme von 856 Mill. Mk. 385 Mill. Mk. reinen Überschuß erzielte, waren 1889/90 an Beamten und Arbeitern vorhanden: 72,896 etatmäßige und 15,743 außeretatmäßige, also im ganzen 88,639 Beamte und 166,853 Arbeiter, d. h. auf 1 km mittlerer Betriebslänge 3,8 Beamte und 7 Arbeiter, auf 10,000 Lokomotivnutzkilometer 4,4 Beamte und 8,4 Arbeiter und auf 100,000 Wagenachskilometer 1 Beamter und 2 Arbeiter.

Wenn man in unsrer Zeit von den Betriebsleistungen der Eisenbahnen spricht, so darf eine wichtige und berechtigte Forderung des reisenden Publikums nicht unberücksichtigt bleiben, nämlich die Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit der Personenzüge, besonders der großen, schnell fahrenden Überlandzüge. Die vergleichenden Untersuchungen über die Eisenbahnverhältnisse verschiedener Länder haben sich neuerdings auch auf die Fahrgeschwindigkeit dieser Züge erstreckt. Nach dem Sommerfahrplan des Jahres 1890 (s. Tab. S. 222) nehmen die preußischen Staatsbahnen und demnächst fast gleichwertig die Eisenbahnen Norddeutschlands den ersten Rang auf dem europäischen Festland in betreff der durchschnittlichen Geschwindigkeit der Schnellzüge ein. Diese Geschwindigkeit ist bei den englischen Eisenbahnen allerdings größer. Bei genauer Untersuchung zeigt sich jedoch, daß auf den englischen Bahnen besonders schnell fahrende Züge nur auf einigen Hauptlinien, wie zwischen [222] London und Dover, London und Brighton und zwischen London und Edinburg, vorkamen, während auf den übrigen Linien erheblich langsamer gefahren wird.

Fahrgeschwindigkeit der europäischen Schnellzüge
(Sommer 1890).
Land Schnell­zug-Kilo­meter In Minuten Durch­schnitt­liche Geschwin­digkeit in der Stunde:
Kilo­meter
England 74599 77557 57,7
Preußen (Staats­bahnen) 56192 64673 52,1
Norddeutsch­land 57570 66413 52,0
Holland 12236 14780 49,6
Frankreich 95192 117316 48,7
Belgien 12977 16127 48,3
Dänemark 1606 2068 46,6
Süddeutsch­land 31409 40600 46,4
Öster­reich-Ungarn 37975 50698 44,9
Italien 21005 29688 42,5
Rußland 25773 41498 37,3
Schweiz 10190 16829 36,3
Schweden 6946 11483 36,3

Übrigens hat auch der häufig als schnellster Zug der Welt bezeichnete Schnellzug von London nach Edinburg der Great Northern Railway, der sogen. Flying Scotchman, welcher die 632 km lange Strecke in 8 Stunden 30 Min., also in der durchschnittlichen Geschwindigkeit von 74,4 km in der Stunde, zurücklegt, einen beachtungswerten Konkurrenten in einem Schnellzug der preußischen Staatsbahnstrecke Berlin-Hamburg gefunden. Derselbe durchfährt die 289,5 km lange Strecke in 3 Stunden 44 Min. mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 77,5 km in der Stunde, wobei noch zu beachten ist, daß die 7,3 km lange Strecke von Berlin-Friedrichstraße bis Charlottenburg der Berliner Stadtbahn nur mit einer Grundgeschwindigkeit von 45 km in der Stunde befahren werden kann. Wenn auch der englische Zug durch die größere Länge der durchfahrenen Strecke noch einen gewissen Vorsprung vor dem Berlin-Hamburger Schnellzug hat, so dürfte durch den letztern doch erwiesen sein, was bisher von manchen Seiten bezweifelt wurde, daß auf den preußischen Staatsbahnen dasselbe Maß von Geschwindigkeit wie auf den englischen Bahnen geleistet werden kann. Wenn eine solche Geschwindigkeit bei den preußischen Staatsbahnen gegenwärtig noch nicht in weiterm Umfang zur Anwendung kommt, so hat dies nur darin seinen Grund, daß eben, abweichend von den englischen Verhältnissen, die übrigen dabei wesentlich mitsprechenden Umstände, namentlich die durch die Rücksichtnahme auf das Publikum der Zwischenstationen und auf anschließende Seitenstrecken bedingten zahlreichern Aufenthaltspunkte, noch bei den meisten Strecken von überwiegendem Einfluß sind.

Das berechtigte Drängen des Publikums und das Streben der Eisenbahnbehörden geht aber dahin, für die den internationalen Überlandverkehr vermittelnden Züge auch Geschwindigkeiten einzuführen, welche hinter denjenigen vereinzelter englischer Züge nicht mehr zurückstehen werden.