Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Arbeitslohn“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 758761
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Arbeitslohn. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 758–761. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Arbeitslohn (Version vom 09.06.2024)

[758] Arbeitslohn nennt man die Vergeltung, welche der Arbeiter für Vermietung seiner Arbeitskraft, bez. für Verkauf seiner Arbeitsleistungen zu Zwecken des persönlichen Genusses oder des Erwerbs erhält. Da nun für Erwerbszwecke weit mehr fremde Kräfte verwendet werden als für persönliche Dienstleistungen, so sind auch im allgemeinen die erstern bei Bildung und Regelung des Lohns entscheidend. Man unterscheidet realen und nominellen A. Letzterer, der in Geld veranschlagte A., gibt keinen vollständigen Aufschluß über die wirtschaftliche Lage des Arbeiters, da die Kaufkraft einer bestimmten Geldsumme nicht immer die gleiche ist. Dagegen läßt sich der reale A., d. h. die Summe der Unterhaltsmittel, welche der Arbeiter sich mit Hilfe seines Lohns beschaffen kann, zu Vergleichungen für verschiedene Zeiten und Orte benutzen. Nicht immer ist das Einkommen des Arbeiters reiner A. In demselben ist, wenn der Arbeiter Werkzeuge etc. selbst stellt, auch Kapitalrente enthalten. Unter normalen Verhältnissen muß der A. durch die Einnahmen des Arbeitgebers voll gedeckt werden. Er ist, ebenso wie Zins und Unternehmereinkommen, Reinertragsanteil an der Unternehmung, nicht etwa ein abgeleitetes Einkommen. Der Rechtstitel für Bezug des Lohns ist der abgeschlossene Vertrag, nicht aber das vom Arbeiter gebrachte Opfer oder seine Leistung, die freilich bei Bildung der Lohnhöhe bestimmend mitwirken können. Je nach der Art der Leistung, nach der Höhe des Lohns, der Sicherheit seines Bezugs, der Stellung des Arbeiters etc. bezeichnet man den A. als Salär, Gage, Honorar, Gehalt, Sold, Besoldung etc. Im gewöhnlichen Sinn versteht man unter demselben den Lohn der Handarbeiter, welcher infolge der Technik und der gesamten Wirtschafts- und Rechtsordnung die Existenzgrundlage des größten Teils der Bevölkerung, der „arbeitenden Klasse“, bildet, und auf den auch die üblichen Lohntheorien vorzüglich Anwendung finden, während bei andern Lohnarten mehr Abweichungen vorkommen. Der A. ist Naturallohn, wenn er in Naturalien, insbesondere in Gegenständen gereicht wird, die zum Unterhalt des Arbeiters dienen (Kost, Wohnung, Landnutzung etc.). Derselbe herrscht vor in Zeiten der Naturalwirtschaft mit ihrer größern Gleichförmigkeit in Wirtschaft und Verkehr und entspricht auch in solchen Zeiten dem Interesse von Arbeiter und Arbeitgeber. Die Lage des erstern wird gesichert, indem er erhält, was er gerade braucht, während der letztere durch Gewährung von Naturalien den Arbeiter leichter an sich fesseln und beaufsichtigen kann. Mit größerer Entwickelung des Verkehrs und der Arbeitsteilung und mit Gewährung der persönlichen Freiheit wird der Geldlohn möglich, notwendig und in der Regel für beide Teile vorteilhaft. Er stellt den Arbeiter unabhängiger und ermöglicht eine wirtschaftlichere Verwendung. Doch ist auch in der Geldwirtschaft die Verabreichung von Naturalien oft nicht zu umgehen, so in verkehrsarmen Gegenden, wenn Arbeitern eine billige und gute Bedarfsdeckung erschwert ist, wenn sie leicht eine Beute absichtlich gewährten Lotterkredits werden etc., [759] oder wenn die durch die ganze Arbeitsart bedingte familienhafte Zusammengehörigkeit eine selbständige Versorgung nicht gestattet (Dienstbote). Der Arbeiter hat weniger durch Preisschwankungen zu leiden, kann allerdings auch der Freiheit der Bewegung zum Teil verlustig gehen. Auch kann die Naturallöhnung durch gewissenlose Unternehmer mißbraucht werden, indem sie dem Arbeiter zu hohen Preisen Waren aufdrängen, welche er nicht gebrauchen kann und daher zu Schleuderpreisen verkaufen muß etc. Dieser unter dem Namen Trucksystem bekannten Ausbeutung sucht die moderne Gesetzgebung, meist durch Verbot, vorzubeugen, so die deutsche Gewerbeordnung von 1869, § 134, und die Novelle zu derselben von 1878.

Der A. ist Zeitlohn (Tag-, Wochen-, Jahreslohn), wenn die Arbeitskraft für eine bestimmte Zeit vermietet wird und letztere zur Bemessung der Lohnhöhe dient, wobei freilich nach erwiesener Leistungsfähigkeit und bekanntem Fleiß Unterschiede gemacht und Lohnklassen gebildet werden können. Der reine Zeitlohn ist einfach zu bemessen und bietet, weil der Betrag bestimmt ist, weniger Veranlassung zu Streitigkeiten bei der Bemessung. Dagegen macht sich bei ihm der Einfluß von individueller Tüchtigkeit und individuellem Fleiß nicht überall genügend geltend: der Arbeiter sucht seine Arbeitskraft zu schonen, der Arbeitgeber wünscht dieselbe möglichst anzuspornen. Dieser Widerstreit der Interessen ist in geringerm Maß vorhanden bei dem Akkordlohn oder Stücklohn, welcher sich nach der Leistung, der abgelieferten Stückzahl (Raum-, Gewichtseinheiten) bemißt. Bei demselben ist demnach das Interesse des Arbeiters mehr in unmittelbare Beziehung zum technischen Erfolg gebracht, die Lohnverteilung eine gerechtere und der Arbeiter in vielen Fällen mehr Herr seiner Zeit und selbständiger als bei dem Zeitlohn. Dagegen reizt der Akkordlohn zum raschen Überhinarbeiten an und beeinträchtigt, wenn die Kontrolle schwer, leicht die Güte der Leistung. Während er zur Überarbeitung Veranlassung geben kann, führt er keineswegs immer zu einer Erhöhung des Einkommens der Arbeiter. Letzteres kann sogar, wie dies in verschiedenen Zweigen der Hausindustrie geschehen, herabgedrückt werden. Aus diesem Grund wird auch der Akkordlohn als nur dem Unternehmer von Vorteil von vielen Arbeitern verworfen. Durchführbar ist der Akkordlohn nur da, wo sich die ganze Arbeit in bemeßbare einzelne Leistungen auflösen läßt. Im übrigen ist er nicht am Platz, wenn in erster Linie die Güte der Leistung in Betracht kommt, wenn häufige, nicht durch den Arbeiter veranlaßte Unterbrechungen der Arbeit vorkommen, wenn die Arbeitskraft nur im allgemeinen vermietet wird (Dienstboten) etc. Eine selbständigere Stellung nimmt der Arbeiter bei dem Gruppenakkord ein, bei welchem eine Gruppe von Arbeitern gemeinschaftlich die Ausführung von einfachen und zusammengesetzten Arbeiten gegen bestimmten Preis übernimmt. Derselbe bietet jedoch die Gefahr, daß er in die Afterunternehmung (marchandage) ausartet und die Arbeiter von einem klugen Führer ausgebeutet werden. Kommt es dem Arbeiter bei dem Akkordlohn nur auf die Menge von Leistungen an, so wird sein Interesse bei dem Prämien-, dem Tantieme- oder Kommissionssystem sowie bei der Arbeitsgesellschaft noch enger an den wirtschaftlichen Erfolg der Arbeit gefesselt. Das Interesse an Kostenerniedrigung wird wach erhalten durch Gewährung von Sparprämien für Minderverbrauch von Werkzeugen, Roh- und Hilfsstoffen. Das Anwendungsgebiet von solchen Prämien beschränkt sich auf die Fälle, in welchen die Ausgabe sich scharf berechnen läßt und die Ersparung in der Gewalt des Arbeiters liegt, ohne daß sie auf Kosten des Erfolgs der Unternehmung selbst ausgeführt wird. Das Interesse an der Ertragserhöhung kann gesteigert werden durch Gewährung von Prämien, welche nach einzelnen positiven Wirtschaftserfolgen bemessen werden. Solche Prämien können, wenn in einem Arbeitszweig allgemein eingeführt, eine Verkürzung des festen Lohns zur Folge haben. Dies wird jedoch nicht der Fall sein, wenn die Prämien in Kassen angesammelt und für Bedürfnisse einer höhern Kultur verwendet werden. Am vollständigsten wird das Interesse des Arbeiters an die Unternehmung gefesselt, wenn sein Lohn nach dem Reinertrag derselben bemessen wird, oder wenn gar der Arbeiter Anteil am Geschäft hat und auf Grund desselben auch Kapitalgewinn zieht (Arbeitsgesellschaft, industrial partnership). Diese Beteiligung am Reinertrag ist insbesondere dann berechtigt, wenn derselbe vorzüglich dem Geschick und dem Fleiß des Arbeiters zu verdanken ist. Die mehrfach versuchte industrial partnership hat meist keinen glücklichen Erfolg gehabt, da sie die Autorität in der Leitung zu sehr gefährdete und durch vielköpfige und mißtrauische Kontrolle die nötige Freiheit der Entschließung hemmte. Leichter ausführbar schon ist das Tantiemesystem (Gewinnquote ohne Anteil am Geschäft). Da der Arbeiter mit seinem Unterhalt auf den Lohn angewiesen ist, würde das reine Tantiemesystem nur am Platze sein, wo der Geschäftsertrag ein regelmäßiger ist oder eine Minimalgarantie geleistet wird. Im übrigen dürfte die Tantieme nur einen kleinern Teil vom Gesamtlohn (also neben Akkord- oder Zeitlohn) ausmachen. Dieselbe ist nicht am Platz, wo der Geschäftsertrag vorwiegend von Geschick und spekulativer Thätigkeit des Unternehmers und vom Kapital abhängt, wo sie eine das Geschäft lähmende Kontrolle bedingt, Mißtrauen hervorruft etc. In den wenigen Fällen, in denen sie anwendbar ist, erfordert sie neben genügender Übersichtlichkeit des Geschäfts ein hohes Maß sittlicher Tüchtigkeit.

Im allgemeinen gelten für die Bildung der Lohnhöhe die gleichen Bestimmgründe wie für diejenige des Warenpreises. Auch der Lohn wird zwischen zwei Grenzen durch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage bestimmt, und zwar erweist sich hierbei neben andern Trieben die Sorge für die eigne Person als mächtigster Beweggrund. Abweichungen werden dadurch bedingt, daß der Arbeiter seine Arbeitskraft nicht von seiner Person loslösen kann, mit dem Verkauf seiner Ware in eine gewisse Abhängigkeit gerät, sich immer in der Zwangslage zu verkaufen befindet, und daß endlich die Ausgleichung von Angebot und Nachfrage nicht so rasch und in der Art erfolgen kann wie bei Waren. Infolgedessen ist der Arbeiter im Konkurrenzkampf im allgemeinen nicht so günstig gestellt wie der Unternehmer, welcher auf Grund seines Besitzes, seiner Kenntnisse, Verkehrsbeziehungen etc. länger auszuharren vermag als der beschäftigungslose Arbeiter. Aus jener Besonderheit des Arbeitsverhältnisses erwächst aber auch die Notwendigkeit für den Staat, Schutzvorkehrungen zu treffen, wo die Persönlichkeit des Arbeiters gefährdet erscheint. Darum ist denn auch in den meisten Kulturstaaten der Arbeitsvertrag kein vollständig freier (Einschränkung von Frauen- und Kinderarbeit, Verbot des Trucksystems, Anordnung von Maßregeln zum Schutz von Leben und Gesundheit u. dgl.). Die unterste Grenze des Lohns ist der Wert der eignen Leistung für den [760] Arbeiter. Dieselbe kommt jedoch in seltenen Fällen zur Geltung. Ohne Besitz ist der Arbeiter darauf angewiesen, durch den A. seinen Unterhalt zu fristen; er muß in fremdem Dienst arbeiten, wenn er leben will. Die Liebe zum Leben bestimmt demnach die unterste Grenze und zwar der augenblickliche Unterhaltsbedarf das absolute Minimum des Lohns, eine Grenze, welche nicht selten praktische Bedeutung erlangt (Fälle der äußersten Not, in denen für die Zukunft nicht gesorgt werden kann). Für die Dauer muß jedoch der Lohn über diesem Satze stehen. Er muß ausreichen, um dem Arbeiter während seiner ganzen Lebensdauer, also auch in Zeiten der Krankheit und der Invalidität, den durchschnittlich nötigen Unterhalt für sich und seine Familie zu gewähren, eine standesgemäße Ausbildung der Kinder und die nötige Versorgung der Hinterbliebenen zu ermöglichen. Er muß also genügen, so daß das Arbeitergeschlecht ungeschwächt sich erhalten, fortpflanzen und die einmal errungene Kulturhöhe behaupten kann. Der individuelle Bedarf kann freilich unter oder über diesem Durchschnittssatz stehen. Eine angemessene Ausgleichung ermöglicht hier in den Fällen, in welchen sie vom Standpunkt der Gesamtheit aus besonders erwünscht ist, die Arbeiterversicherung (s. d.). Auch sind jene durchschnittlichen Kosten der Arbeit (die durch Sitte und Gewohnheit bedingte Lebenshaltung, engl. standard of life) nicht in allen Zeiten, Ländern und Arbeitszweigen gleich (Änderung der Kulturhöhe, Verschiedenheit der Bedürfnisse je nach Klima, Arbeitsart etc., Schwierigkeit und Dauer der Erlernung, Unterbrechungen der Arbeit, wie sie durch Arbeitsart, Notwendigkeit der Erholung, Lage des Arbeitsmarkts etc. bedingt werden, ohne eine anderweite Ausfüllung der Zeit durch Arbeit zuzulassen). Insbesondere ändern sie sich auch mit den Preisen der Unterhaltsmittel. Der Einfluß solcher Änderungen auf den Lohn ist ein ganz verschiedener, je nachdem dieselben dauernde oder vorübergehende sind. Eine vorübergehende Preissteigerung wird, weil sie leicht die Nachfrage nach Arbeit mindert und das Angebot von Kräften mehrt, meist den Lohn drücken, statt ihn zu steigern, und umgekehrt. Sinkt der A. unter den Satz der üblichen Lebenshaltung, so wird leicht die Sterblichkeit, insbesondere diejenige der Kinder, zunehmen, Arbeiter werden auswandern etc., und so wird das Angebot von Arbeitskräften früher oder später sich mindern. Sinken dabei Kultur und Lebenskraft der Arbeiter, so wird auch die Lebenshaltung selbst herabgedrückt. Steigt der Lohn über jenen Satz hinaus, so kann die Arbeiterzahl wachsen (frühere Heiraten, Mehrgeburten, Einwanderung, Minderung der Sterblichkeit); doch wird die Zahl keineswegs immer rasch bis zu dem Punkt zunehmen, daß nun der Lohn auf den alten Satz sinken muß. Bis die Neugebornen das Angebot erhöhen, kann leicht auch eine Änderung von Technik und Verkehr eine noch größere Mehrung der Arbeitsgelegenheiten bewirken. So können denn auch mit der Kultur, zumal wenn die Arbeiter Thatkraft und Charakterfestigkeit bewahren, Lebenshaltung und A. steigen. Nach Ricardo, welcher in den Kosten der Herstellung den „natürlichen Preis“ erblickte, kann der Lohn dauernd weder über die Kosten des Unterhaltsbedarfs steigen, noch unter dieselben sinken, weil in jenem Fall eine entsprechende Zunahme des Arbeiterangebots, in diesem eine Minderung stattfinde. Doch hatte Ricardo selbst jene Kosten als mit der Kultur veränderlich bezeichnet, wie denn auch der A. in Wirklichkeit von Zeit zu Zeit und von Ort zu Ort verschieden ist. Hiernach verliert das „eherne Lohngesetz“, wie es Lassalle mit einiger Übertreibung nannte, seine ihm für Agitationszwecke beigelegte Härte. Das Wahre an demselben ist, daß bei jeder sozialen Organisation der größte Teil der Menschheit immer auf Erwerb durch Arbeit wird angewiesen bleiben.

Die oberste Grenze des Lohns bildet der Wert, den die Leistung für den Arbeitgeber hat, bei Verwertung der Arbeit für Erwerbszwecke die Summe, welche mit Hilfe fremder Arbeit erzielt werden kann, oder die Rentabilität der Lohnarbeit für den Unternehmer. Diese Rentabilität ist unter anderm von der Zahlungsfähigkeit der Konsumenten, von der Gestaltung der Technik und des Verkehrs abhängig. Wird vom gesamten Volkseinkommen ein größerer Teil zum Ankauf von Arbeitsprodukten verwandt, so wird der Lohn steigen. Letzterer wird also durch Art und Produktivität der Unternehmungen eines Landes, dann durch die Richtung des Konsums bedingt. Hiernach ist auch die früher besonders in England vertretene Lohnfondstheorie nicht zutreffend, nach welcher jeweilig ein fest bestimmter Kapitalbetrag zur Lohnzahlung in der Hand der Unternehmer sich befindet, so daß bei gegebener Arbeiterzahl der A. ein fest bestimmter ist und derselbe auch durch Koalitionen nicht gesteigert werden kann. Einen naturgemäßen A. suchte auch v. Thünen ausfindig zu machen. Indem er von der Annahme ausging, daß der Lohn dann wahrhaft in der Natur begründet sei, wenn die Lohnarbeit mit der auf Kapitalerzeugung gerichteten Arbeit gleiche Belohnung erhalte, stellte er diesen Lohn in einer Formel dar, deren Richtigkeit jedoch angefochten wurde.

Ist auch der A. in den verschiedenen Arbeitszweigen ungleich hoch, so hat er doch die Tendenz zur Ausgleichung, wobei freilich die Gleichheit, wie dies schon A. Smith betont hat, eine relative ist. Ungleichheit in der Schwierigkeit der Erlernung, in den Anforderungen an moralische Eigenschaften und Geschick, in der Annehmlichkeit der Beschäftigung und in der Sicherheit der Existenz können natürliche Unterschiede bedingen. Aber auch innerhalb dieser Grenzen kann die Ausgleichung gehindert werden durch den Mangel an Kenntnis des Arbeitsmarkts andrer Orte und Produktionszweige, durch ungenügende Würdigung von Gefahren der Arbeit, Mangel an Thatkraft und Mitteln zur Auswanderung, Heimatsliebe, Schwierigkeit des Überganges zu einem andern Beruf, die um so größer, je ausgebildeter die Arbeitsteilung, etc. Viele dieser Hindernisse schwinden mit steigender Entwickelung von Kultur und Verkehr. Insbesondere kann ihnen auch durch Arbeiterkoalitionen entgegengewirkt werden, d. h. Verbindungen von Arbeitern, welche durch solidarische Unterstützungen (Hilfskassen, Studium des Arbeitsmarktes, Unterstützung bei Arbeitseinstellungen, Auswanderung, moralischer Druck auf die Arbeitgeber etc.) bessere Arbeitsbedingungen zu erzielen suchen.

Soweit die Arbeiter durch Selbsthilfe eine den Kulturforderungen entsprechende Lage nicht zu erringen vermögen, haben gesellschaftliche Mächte (Staat, Gemeinde, Kirche etc.) mit direkter und indirekter Wirksamkeit ergänzend einzutreten. Allerdings sind Lohntaxen, Lohngarantie, Recht auf Arbeit und Arbeitszwang heute zu verwerfen. An ihrer Stelle sind andre Maßregeln und Mittel der Arbeiterpolitik (vgl. hierüber Arbeiterfrage) in Anwendung zu bringen, unter denen die gesetzliche Regelung der Arbeiterversicherung (s. d.), sei es mit oder ohne Beitrittszwang, mit oder ohne Staatszuschuß, heute praktisch und auch schon [761] deswegen in den Vordergrund tritt, weil nicht sowohl ein hoher A. als vielmehr eine Sicherung der ganzen Existenz des Arbeiters von der größten Wichtigkeit ist.

Vgl. außer den unter Arbeiterfrage und Volkswirtschaftslehre angegebenen Werken: H. Rösler, Zur Kritik der Lehre vom A. (Erlang. 1861); Thornton, Die Arbeit, ihre unberechtigten Ansprüche und ihre berechtigten Forderungen (a. d. Engl., Leipz. 1870); Böhmert, Die Gewinnbeteiligung (das. 1878, 2 Bde.); „Gutachten über die Beteiligung der Arbeit am Unternehmergewinn“ („Schriften des Vereins für Sozialpolitik“, das. 1874); v. Scheel, Zur Geschichte und Kritik der Lehre vom A. (in Hildebrands „Jahrbüchern“, Bd. 9, S. 280 ff.); Leroy-Beaulieu, Essai sur la répartition des richesses, Kap. 14–18 (Par. 1881).