Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Arbeitshäuser“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 757758
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Arbeitshäuser. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 757–758. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Arbeitsh%C3%A4user (Version vom 24.11.2024)

[757] Arbeitshäuser. Man kann drei Arten von Arbeitshäusern unterscheiden: 1) Anstalten, in welchen die Zwangsarbeit als Mittel der Bestrafung dient, und welche neben der Bestrafung zugleich die sittliche Besserung der Sträflinge erzielen wollen (Korrektions- und Strafanstalten). Die Strafe des Arbeitshauses, welche im 16. Jahrh. in England zuerst methodisch angewandt und vor 1871 in mehreren deutschen Staaten verhängt wurde, ist in Deutschland durch das Reichsstrafgesetzbuch abgeschafft worden. Die Landespolizeibehörde soll jedoch befugt werden, gewisse Personen (Bettler, Prostituierte) nach Verbüßung der Haftstrafe bis zu zwei Jahren in ein Arbeitshaus unterzubringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu verwenden. Bei Ausländern kann an Stelle der Unterbringung in ein Arbeitshaus Verweisung aus dem Bundesgebiet eintreten. 2) Zwangsarbeitshäuser [758] für hartnäckige Bettler und gemeinschädliche Müßiggänger, in welchen diese durch Zwang zum Fleiß angehalten werden. Hierher können nach ihrem Wesen und Zweck die heutigen deutschen A., dann nach ihrem Hauptcharakter die englischen A. (workhouses) gerechnet werden, welche letztern in der englischen Armenpflege eine große Rolle spielen. Die Einrichtung des englischen Werkhauses stützt sich vorzüglich auf die Abschreckungstheorie. Sie ist darauf berechnet, von der Inanspruchnahme öffentlicher Hilfe möglichst abzuschrecken und durch eignen Erwerb die Aufnahme in A. zu vermeiden. 3) A., in welche arbeitsfähige Arme sich freiwillig aufnehmen lassen oder im Sinn einer humanen Armenpflege untergebracht werden. Dieselben können ebensowohl Privat- wie öffentliche Anstalten sein. Zu gunsten solcher A. sagt man, daß hier der Verdienst die durch Gemeinsamkeit der Benutzung etc. sehr ermäßigten Kosten der Unterstützung einigermaßen decken könne, und daß es durch die Einrichtungen der Anstalt wohl zu ermöglichen sei, dem Unterstützten die Lust an der Arbeit zu erhalten, welche ihm zugleich das Bewußtsein sichere, noch nicht zur Klasse der Almosenempfänger heruntergesunken zu sein. Da arbeitswillige, aber erwerbslose Menschen menschenfreundliche Teilnahme verdienen, so darf das Werkhaus mit Anstalten für Verbrecher und Müßiggänger niemals in Verbindung gebracht werden; es ist vielmehr alles aufzubieten, um das Ehrgefühl dieser schuldlos Unglücklichen zu schonen. Der Zweck der Verbringung in die Anstalt kann ein temporärer sein, man kann dieselbe anderweiter Unterstützung so lange vorziehen, bis es gelungen ist, den Armen wieder Arbeitsgelegenheit zu verschaffen. Die Anstalt, welche dem Arbeiter außer Heizung und Beleuchtung auch Werkzeuge und Materialien gewährt, soll jedem arbeitsfähigen Armen je nach dessen Fähigkeit Arbeit und so viel Verdienst verschaffen, daß er sich nähren kann. Diejenigen Armen aber, welche wegen Kränklichkeit oder hohen Alters nicht mehr zu arbeiten im stande sind, gehören nicht in A., sondern in Versorgungshäuser andrer Art. Die Kosten können durch die gemeinschaftliche Benutzung der Werkstätten im Werkhaus ermäßigt werden; Beschäftigungsarten, die zu viel Raum in Anspruch nehmen, sind auszuschließen. Der Kostenersparnis wegen sind Beschäftigungen vorzuziehen, die nur einfache Werkzeuge erfordern, oder man schafft vorzugsweise solche an, die von vielen benutzt werden können, wie Spinnräder, Webstühle, Drehbänke, Nähmaschinen, Gerätschaften zu Verfertigung von Holz- und Strohwaren. Hierbei geben Lokalverhältnisse, namentlich die Rücksicht auf Konkurrenz mit bereits bestehenden Gewerbsbetrieben, und die der Anstalt zu Gebote stehenden Mittel den Ausschlag. Stets muß der Austritt aus diesem Verhältnis dem Arbeiter frei stehen, unordentliche und unfleißige aber werden des bösen Beispiels wegen aus der Anstalt entfernt. Die Wohlthätigkeit der A. kann oft sehr erhöht werden, wenn dieselben zugleich den Verkauf der in ihnen gefertigten Gegenstände übernehmen; aber auch hier wird dem Arbeiter daneben der eigne Verkauf gestattet werden können, in welchem Fall ein verhältnismäßiger Teil des Erlöses für Benutzung von Werkzeugen, Feuerung und Licht an die Anstalt abzugeben ist. Je nach dem Bedürfnis und den Mitteln der Anstalt läßt sich mit ihr eine Einrichtung zu gemeinschaftlicher Verköstigung der Arbeiter sowie eine Freischule für die Kinder derselben, sowohl als Bewahranstalt wie auch als förmliche Unterrichtsanstalt, verbinden. Oft hilft die Anstalt dem Arbeiter dadurch, daß sie ihm Werkzeuge nach Hause leiht. Unter sonst gleichen Verhältnissen verdient überhaupt die Beschäftigung in der eignen Wohnung des Arbeiters den Vorzug. Beachtenswert in dieser Hinsicht sind die Bemühungen der Frauenarbeitsvereine, einzeln stehenden bedürftigen Frauen durch Einrichtung von Verkaufsstellen (Bazaren) lohnenden Erwerb zu schaffen. Der Lette-Verein in Berlin hat schöne Erfolge in dieser Beziehung aufzuweisen. Vgl. auch Asyl.