MKL1888:Aphrodíte
[678] Aphrodíte (lat. Venus), in der Mythologie der Griechen die Göttin der Liebe und Schönheit. Ursprünglich war sie wohl die Göttin alles Wachsens und Entstehens. Indem auch der Natur ein sehnsüchtiges Verlangen zugeschrieben wurde, ward aus ihr die Göttin der Liebe und allmählich die der Schönheit. Es scheint, daß der Ursprung ihrer Verehrung bereits in die Epoche zurückfällt, in welcher die Griechen noch mit den übrigen indogermanischen Völkern eine Einheit bildeten; denn wir finden bei der Mehrzahl dieser Völker eine ihr wesensverwandte Göttin. Aber diese ursprüngliche Gestalt ist auf den Inseln und dem Festland von Griechenland durch orientalische, besonders vorderasiatische und phönikische, Einflüsse stark verwischt worden, indem vielfach Züge der semitischen Aschera oder Astarte (Aschtaroth) in die A. hineingetragen wurden. Wie diese, wurde sie bewaffnet dargestellt auf Cypern, wo sie in Paphos, Amathus, Golgoi, Idalion, Salamis alte Verehrungsplätze hatte (daher heißt sie auch bei den Griechen Kypris, bei den Römern Cypria), auf der Insel Kythera (daher ihr Beiname Kythereia), in Sparta, Akrokorinth und anderswo. Als solche hieß sie Areia und wurde zur Gattin oder Geliebten des Ares, zu welchem sie auch schon insofern in Beziehung stand, als er Gott des Gewitters und somit auch der Befruchtung der Erde ist. Als Söhne des Ares und der A. nennt die Hesiodische Theogonie: Deimos („Furcht“) und Phobos („Schrecken“); aber sie fügt auch als Tochter die wiederhergestellte „Eintracht“, Harmonia, hinzu. Nur ihr Name, in dessen zwei ersten Silben das griechische Wort für Schaum (Aphros) gehört wurde, scheint zu der Sage Anlaß gegeben zu haben, daß sie aus dem Meer oder aus den ins Meer geschleuderten Genitalien des Uranos (s. d.) entstanden sei (Anadyomene). Die wahre Bedeutung des Namens ist unsicher; er ist möglicherweise nicht griechisch, sondern aus dem Orient entlehnt.
Fig. 1. Aphrodite von Knidos (München). | |
Wie Ares, konnte ihr auch Hephästos, welcher ursprünglich wohl Gott des Blitzes war, zum Gatten gegeben werden. Wie alle Vegetation aber sich auf drei Reiche erstreckt, so schied man auch eine dreifache A.: Urania (Venus caelestis), die himmlische, Pontia oder Thalassia (Venus marina), die Göttin des Meers, und Pandemos, die bei jeglichem Volk, also auf Erden, waltende. Als Urania wurde sie zur Tochter des Zeus als des lichten Himmels und der Dione, der weiblichen Ergänzung desselben, gemacht und gern auf den lichten Höhen der Berge verehrt, daher auch Akraia genannt. Als solcher dient ihr der Polos oder Modius, ein runder, hoher, scheffelartiger Aufsatz, das Abbild des Himmelsgewölbes, und in gleicher Anschauung die Schildkröte als Symbol. Als Pontia stand sie ursprünglich nur der Fruchtbarkeit der Tierwelt des Meers vor, ward aber allmählich zur Meergöttin überhaupt, besonders zur Göttin der Meeresstille und glücklichen Meerfahrt (Euploia) sowie der Häfen. So wurde Thalassa (das „Meer“) ihre Mutter genannt und sie selbst oft mit Poseidon zusammen verehrt. Als Göttin der Erde hat sie den aus einem Baum gebornen Adonis (s. d.), das Sinnbild der erblühenden und ersterbenden Natur, zum Geliebten. Sie verbirgt ihn (den Samen) in einem Kasten und gibt ihn der in der Unterwelt, dem Schoß der Erde, thronenden Persephone; diese will ihn für immer behalten, erst auf den Schiedsspruch des Zeus gibt sie ihn für zwei Drittel des Jahrs der A. zurück. Besonders ist sie die Göttin der Blumen, Bäume und Früchte, unter denen ihr Myrte, Rose, Anemone, Cypresse, Linde und Apfel, wie unter den Tieren der [679] Bock, der Hase, die Taube, der Sperling, die Schwalbe, der Iynx (s. d.), der Schwan, heilig sind. Aber auch der menschlichen Zeugung steht sie vor, ja sie wurde auch die Göttin der Hetären und Lustknaben, ähnlich wie im Mittelalter die büßende Magdalena die Schutzheilige der Dirnen war. Der Dienst der A. Pandemos wurde in Athen auf Theseus zurückgeführt. Als Göttin der Liebe hat sie in ihrem Gefolge die Peitho (Suada), die Chariten, den Himeros, Pothos, Hymenäos, vor allen aber den Eros, welchen der Mythus zu ihrem Sohn macht. Die Römer identifizierten die A. mit der altitalischen Göttin Venus (s. d.). Vgl. Roscher, Lexikon der Mythologie, Sp. 390 ff.
A. gehört zu den von der alten Kunst mit am häufigsten dargestellten Gottheiten. Die ältere Periode und die erste Blütezeit der griechischen Kunst (Pheidias) stellte sie bekleidet, teils thronend, teils stehend, dar.
Fig. 2. Aphrodite von Melos (Paris, Louvre). | |
Erst in der zweiten Blütezeit (Skopas und Praxiteles) wagte man die Göttin in ihrer nackten Schönheit zu zeigen, aber auch hier nur mit Motivierung der Nacktheit durch das Bad. Mit der Zeit stellte man die Göttin in ihrer Nacktheit nur um ihrer Schönheit willen dar, bis man ihr endlich alles Göttliche abstreifte und sie nur noch als schönes, häufig ganz genrehaft aufgefaßtes Weib erscheinen ließ. Ebenso stieg natürlich auch die Gesichtsbildung vom Ernsten und Würdigen zum Lieblichen und Anmutigen und von da zum Sinnlichen und Koketten herab. Dem spätern Ideal der A. ist das anmutige Oval des Gesichts, das Lächeln und besonders das schmale, schwimmende, die Liebessehnsucht ausdrückende Auge eigen. An Stelle der zierlichern Körperformen dieser jüngern Zeit bildete die ältere die A. mit kräftigern Formen von junonischer Fülle und großartiger Erscheinung. So war noch die berühmteste Statue der Göttin, die knidische A. des Praxiteles, aufgefaßt, von welcher uns Münzbilder und eine Statue des Vatikans eine Vorstellung geben, während die Münchener Kopie (Fig. 1) schon zärtlicher gestaltet ist. Berühmt war auch das Gemälde der A. Anadyomene von Apelles. Unter den uns erhaltenen Statuen behauptet den ersten Rang die durch Hoheit der Auffassung vor allen ausgezeichnete A. von Melos im Louvre (1820 auf der Insel Milo in der Umgebung des Theaters aufgefunden, Fig. 2), über deren Meister, Zeit und Auffassung die Wissenschaft noch zu keinem sichern Resultat gelangt ist, die aber jedenfalls nicht mit dem einen Apfel haltenden Fragment, welches ebenfalls in Milo gefunden wurde, ergänzt werden darf (vgl. Göler v. Ravensburg, Die Venus von Milo, Heidelb. 1879; Hasse, Venus von Milo, Jena 1882; Kiel, Venus von Milo, Hannov. 1882). Außer ihr sind als die berühmtesten Statuen namhaft zu machen: Die in Neapel befindliche A. von Capua, als Siegesgöttin (Venus victrix) dargestellt, den Fuß auf den Helm des Ares setzend, mit den Armen den Schild emporhebend, eine Nachbildung des Typus der melischen A., aber von sehr geringer Ausführung; die A. Medici zu Florenz, nach der jetzt als modern erwiesenen Inschrift ein Werk des Kleomenes aus Athen (im Portikus der Octavia zu Rom gefunden, früher in der Villa Medici daselbst, seit 1770 in Florenz; s. Tafel „Bildhauerkunst IV“, Fig. 5), und die im Bad kauernde A. im Vatikan (wahrscheinlich nach Dädalos von Sikyon), ein Beispiel der genrehaften Auffassung. Ist in den beiden letztern Statuen fast alles Göttliche abgestreift, so grenzt die A. Kallipygos zu Neapel (angeblich in den Kaiserpalästen zu Rom gefunden) trotz der Formvollendung beinahe an das Gemeine. Besondere Bildungen sind die meergeborne, die Schiffahrt schützende A. (daher im Chor der Nereiden und Tritonen in einer Muschel sitzend und ähnlich gebildet) und die kriegerische A., welche mit Ares sehr häufig so gruppiert wurde, daß sie denselben umfaßte oder ihm Helm und Schild hielt. In Sparta kannte man altertümliche Holzbilder von A., welche sie geharnischt zeigten, und noch in pompejanischen Wandbildern erscheint sie gelegentlich als den Schmuck ablegend und zur Lanze greifend. In Reliefs und auf geschnittenen Steinen wird sie gern mit dem Eros tändelnd oder von den Chariten geschmückt dargestellt, oder sie ist die kundige Liebesvermittlerin zwischen Paris und Helena. Diesen letztern Mythenkreis, zumal das Urteil des Paris, hat die antike Kunst unzählige Male behandelt. In Pompeji findet man dagegen den Mythus von Adonis (der verwundet in ihrem Schoß liegt) bevorzugt. In Szenen der Brautschmückung, des heitern Frauenverkehrs wird sie mit Vorliebe auf attischen Vasen eingeführt. Hier ist sie durch die Zierlichkeit und Haltung des Gewandes und durch Attribute (Spiegel, Blume, Taube, auch Iynx und Hase) kenntlich. Über die Aphroditedarstellungen des Altertums vgl. Bernoulli, A. (Leipz. 1874).