MKL1888:Alluvium
[385] Alluvium (lat., „angeschwemmtes Land“, Alluvionen, Alluvialbildungen, rezente Bildungen), im Gegensatz zu dem Wortlaut der Inbegriff aller Produkte der geologischen Jetztzeit, der Alluvialperiode, und nicht nur diejenigen Bildungen, welche Anschwemmungen darstellen. Neben den Quellabsätzen, den an Bäche, Flüsse, Seen und Meere gebundenen Absätzen, den Delta- und Dünenbildungen, würden nicht nur die durch die Gletscher transportierten Gesteine, die Torfbildungen, die Korallenkalke der heutigen Meere, sondern auch das Auswurfs- und Lavamaterial der heute thätigen Vulkane zum A. zählen, sofern sie nur während der jetzigen geologischen Periode gebildet wurden. Die Abgrenzung des Alluviums gegen die direkt vorausgehende Periode, das Diluvium, ist, wie immer bei zwei sich folgenden geologischen Perioden, schwierig und wird im wesentlichen von der Untersuchung ausgehen müssen, ob die fragliche Bildung unter den heute am Orte des Vorkommens herrschenden Bedingungen möglich ist oder nicht. Die längs der heutigen Küste sich hinziehenden Dünen, deren Sand der Sturm bald hierhin, bald dorthin weht, sind A.; Dünen, deren Höhenzug entfernt von der Küste liegt, und die kein Spielzeug der Winde mehr sind, müssen dem Diluvium zugezählt werden. Die Absätze der Flüsse sind bis zu Höhen, zu denen das Wasser erfahrungsmäßig, wenn auch selten, steigen kann, alluviale, die vom heutigen Flußlauf, auch abgesehen von etwanigen Korrektionen durch Menschenhand, nie mehr erreichbaren Hochgestade diluviale Erscheinungen. Die Endmoräne eines Gletschers ist selbst im Fall des Nichtzusammenhangs mit demselben noch als alluvial zu bezeichnen, wenn man anzunehmen berechtigt ist, daß der Periode des Rückgangs des Gletschers auch wieder eine solche des Vorschreitens folgen kann, die den momentan unterbrochenen Zusammenhang zwischen Moräne und Gletscher wiederherstellt; das Moränenmaterial der süd- und norddeutschen Ebenen wurde unter von unsern heutigen wesentlich abweichenden, also diluvialen, Verhältnissen abgelagert. Ebenso kann man trotz der vielen Spezies, die dem A. und dem Diluvium gleichzeitig angehören, von alluvialen Leitfossilien sprechen, sofern Einschlüsse in fraglichen Bildungen, den heutigen Tier- und Pflanzenformen derselben Lokalität vollkommen entsprechend, die betreffende Bildung als eine alluviale charakterisieren, während beispielsweise hochnordische Formen, in Bildungen Deutschlands aufgefunden, diese in das Diluvium verweisen. Nur die menschlichen Reste, welche man früher als bestes Leitfossil des Alluviums betrachtete, haben ihre Wichtigkeit in dieser Beziehung verloren, seit der Diluvialmensch außer Frage gestellt ist. Die Wichtigkeit des Alluviums liegt zunächst in den während der Alluvialperiode wirkenden geologischen Faktoren selbst, welche unendliche Massen von Gesteinsmaterial transportieren, bilden und umbilden. (Vgl. Fluß, Quellen, Gletscher, Vulkane, Dünen, Delta etc.) Außerdem aber liegt die hohe Bedeutung des Alluviums in theoretischer Beziehung darin, daß es der einzige geologische Zeitabschnitt ist, den wir nach Ursache und Wirkung, nach Prozeß und Produkt vollkommen erkennen und studieren können. Hiernach wird das A. zum eigentlichen Ausgangspunkt geologischer Forschung, wie dies Hoff („Geschichte der durch Überlieferung nachgewiesenen natürlichen Veränderungen der Erdoberfläche“, Gotha 1822) wohl zuerst formulierte, Lyell aber in seinen „Principles of geology“ (Lond. 1830, 12. Aufl. 1876) zum leitenden Prinzip erhob. Eine Periode geologischer Vorzeit ist nur dann als vollkommen bekannt und erkannt zu bezeichnen, wenn es gelungen ist, für alle während derselben gelieferten Produkte Analogien unter den Bildungen der geologischen Jetztzeit, des Alluviums, aufzufinden, nicht minder aber auch das Wirken aller heute thätigen Faktoren in der herrschenden Phase der Entwickelung des Erdkörpers ausnahmslos nachzuweisen.