Liebenstein und Sternfels am Rhein

CXV. Das Campo Santo in Pisa Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
CXVI. Liebenstein und Sternfels am Rhein
CXVII. Rouen
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LIEBENSTEIN und STERNFELS am RHEIN
(Kloster Bornhofen, in der Tiefe)

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CXVI. Liebenstein und Sternfels am Rhein.




Unser Auge hat sich schon an so viel Herrlichem geweidet! Wir haben alle Welttheile durchreist, die brennenden Wüsten betreten, gebetet am heiligen Grabe, in den Trümmern der Thebais die Urhieroglyphe des Christenglaubens gefunden, durchwandert die unterirdischen Tempel Indiens, und ausgeruhet auf den Grabhügeln von Sardis. Wo Noah’s Dankopfer rauchten, stiegen auch unsere Gedanken zur Allmacht empor, und die Schluchten des Himalaja sind uns bekannt geworden, wie die Thäler der Alpen: – und doch, nachdem wir so viel gesehen haben, kehren wir immer mit neuer und ungeschwächter Vorliebe zu den reizenden Ansichten des Vaterlandes zurück. –

Eine der anmuthigsten liegt vor uns. Herrliche zeigte uns schon das Rheinthal von Mainz bis Bingen – das lachende Rheingau, – das einer Idylle gleicht, voller Anmuth und heiterer Pracht. Von da an wird der Charakter der Gegend ernst und elegisch. Hatto’s mährchenhafter Mäusethurm, der, gespenstig, einsam in den Wogen steht, macht gleichsam die Scheidewand zwischen dies- und jenseits, [65] zwischen dem Reiche des Heitern und der Schwermuth. Höhere Berge drängen den Strom enger zusammen, und immer dunkler spielen die Wellen im tiefen Schatten der Wände. Reben bedecken jedes sonnige Plätzchen, alles übrige ist hoher, dichter Wald; nur zuweilen drängen sich schroffe, einzelne Felsspitzen an das Licht des Tages, selten kahl, meistens mit malerischen Ruinen verfallener Burgen oder Kapellen gekrönt. Tiefe Stille herrscht, und man könnte sich eben so gut auf einem Meerarm des schottischen Hochlandes, oder an Norwegens Felsenküsten denken. Einige hie und da zerstreute Fischerhütten ausgenommen, erspähet das Auge auf weite Strecken hin keine menschliche Wohnung; uralte Volkssagen und Aberglauben bevölkern jede Kluft mit Ungeheuern, und jede Höhle mit Kobolden und Geistern. – Erst an St. Goar und Goarshausen vorbei schifft man in eine freundlichere, offnere Gegend. Wiesen und Gärtchen finden Raum an den Ufern, sich auszubreiten; weiter werden die Bogen, die der Strom um die Berge beschreibt, und die Felsen treten zurück und erheben ihre Häupter tiefer aus dem Forste.

Da wo der Rhein der Stadt Boppart zueilt, eine Viertelstunde von derselben entfernt, finden wir die Stelle, die unser köstliches Bild bezeichnet. Auf von ihrem untersten Fuße bis zu den äußersten Spitzen mit Reben dicht bewachsenen, hohen Felsenpyramiden stehen die Ruinen zweier Burgen, „Liebenstein und Sternfels“ – bekannter unter dem Namen „die Brüder.“

Eine schauerliche Sage knüpft sich an diese malerischen Trümmer.

Auf Liebenstein hauste im zwölften Jahrhundert ein reicher Ritter. Zwei Söhne und ein Mädchen, eine an Kindesstatt angenommene Waise, waren die Freude seiner alten Tage. Die Waise blühete auf zur schönen Jungfrau, und die beiden Brüder liebten sie mit gleicher Gluth: – lange heimlich, bis endlich der Vater es merkte. Dieser drang in die Pflegetochter, einen zu wählen. Aber sie wollte keinen betrüben. Als der ältere ihre Unentschlossenheit sah, überwand sein Edelmuth die Leidenschaft. Er schwur Verzicht seiner Liebe und warb mit Glück für den Bruder. Doch hin war der Friede seines Herzens! Darum verließ er die väterliche Burg und ging an den Hof des Pfalzgrafen, dort bei Turnier und Kampfspiel Vergessenheit seiner Leiden zu suchen.

Nun geschah es, daß der heilige Bernhard die Rheinlande durchzog und einen Kreuzzug predigte nach Palästina. Seine feurige Beredtsamkeit machte, wohin er kam, die Schlösser und Burgen an Rittern und Reisigen leer: – schaarenweise strömten sie herbei, überall wehete das Kreuz. Auch der Bräutigam der schönen Elise gelobte den ritterlichen Zug, ehe er die Maid zum Altar führe. Weder die Thränen dieser, noch die Bitten des Bruders und des alten Vaters, vermochten etwas über den Entschlossenen. Er brachte das Fähnlein seiner Knechte zum Kaiser Konrad, der in Frankfurt das Kreuzfahrerheer sammelte, und zog mit ihm von dannen. –

Voll Hoffnung der Wiederkehr baute der alte Ritter auf dem benachbarten Felsen eine stattliche Burg und taufte sie Sternfels. Sie sollte die Wohnung des jungen Paares seyn, während sein Erstgeborner das Stammschloß erbe. – Noch vor der Vollendung des Baues starb der Ritter, und der älteste Sohn kehrte auf die väterliche Burg [66] zurück. Jahre vergingen hierauf ohne Kunde von dem nach Palästina Gezogenen; endlich kam sie; aber welche für die arme Elise! – Ihr Bräutigam schrieb aus Venedig: er kehre heim als Gatte einer schönen und reichen Griechin! Der Betrogenen brach das Herz und sie versank in Schwermuth; und der über die Schandthat empörte ältere Bruder forderte den Pflichtvergessenen bei seiner Heimkehr zum Zweikampf auf. Schon floß das Blut beider aus tiefen Wunden; da warf sich die verlassene Jungfrau zwischen sie und stiftete mit himmlischer Milde Versöhnung. Hierauf nahm sie den Schleier. – Todt und einsam blieb’s fortan auf Liebenstein; aber auf Sternfels hörte der Lärm des frohen Lebens nicht auf. Aus Nah und Ferne kamen die Ritter und Grafen, um der Schönheit und Anmuth der jungen Griechin zu huldigen. Ihr Gemahl ahndete nichts Arges: aber zu des Bruders Ohren fanden schändliche Gerüchte den Weg. Es ward nicht schwer für diesen, die Wahrheit zu erforschen: die Schande seines Bruders war nur zu gewiß. Noch ehe er aber diesen überzeugen konnte von seinem Unglück, war das verbrecherische Weib mit einem ihrer fremden Buhlen entflohn und verschwunden. – Die beiden Ritter gelobten sich nun, ein eheloses Leben zu führen und dem Kloster in der Tiefe, in dem die arme Elise als Nonne verkümmerte, all ihre Habe zu vermachen. So erlosch ihr Stamm mit ihrem Tode, und unter dem Zahn der Zeit verfielen der Brüder unbewohnte Burgen.