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Meister übertrafen. Eine besondere Aufzählung und Beschreibung dieser Bilder würde ein Buch füllen und gehört nicht hierher. Von dem Eindruck, den sie machen, hat man bei der Betrachtung der Werke der neuern Kunst keine Ahnung. Man fühlt sich angeweht vom Geiste des christlichen Ernstes, der Frömmigkeit und Weihe, und von jenem tiefsinnigen Humor des Mittelalters, der in der phantasiereichen Vermischung naher Gegenstände mit überirdischen Dingen sich gefiel; so wie man nicht sattsam bewundern kann den hohen, kräftigen und wieder milden Ausdruck der Gestalten, der Krieger, Fürsten, Helden, Kirchenväter, Engel, Patriarchen, Märtyrer, Apostel und Heiligen, in den erhabensten Darstellungen des Himmelreichs Gottes, des jüngsten Gerichts, und des Triumphs des Todes. Es liegt in diesen alten Bildern die höchste Schönheit, obwohl unvollkommen, verborgen – eine noch höhere Schönheit, als sie Raphael und Leonardo erreichten. Ueberall ist das Ringen der genialsten und kühnsten poetischen Anschauung mit der Kindheit der Kunst bemerklich. – Man wandelt in diesen Gängen voll Todtenfeier und Unsterblichkeitspoesie wie im Zwielichte der Schöpfung, und die Fresken ziehen an einem vorüber wie wunderliche und tiefsinnige Träume über die Geheimnisse des Glaubens, der Offenbarung und der Ewigkeit.

Die meisten Gemälde sind, Dank sey’s der Reinheit und Milde des Pisanischen Himmels! noch unversehrt, und nur wenige lassen beklagen, daß so herrliche und ganz unschätzbare Kunstwerke der Witterung ausgesetzt sind, und für ihre künftige Erhaltung so gut wie gar nichts gethan wird.




CXVI. Liebenstein und Sternfels am Rhein.




Unser Auge hat sich schon an so viel Herrlichem geweidet! Wir haben alle Welttheile durchreist, die brennenden Wüsten betreten, gebetet am heiligen Grabe, in den Trümmern der Thebais die Urhieroglyphe des Christenglaubens gefunden, durchwandert die unterirdischen Tempel Indiens, und ausgeruhet auf den Grabhügeln von Sardis. Wo Noah’s Dankopfer rauchten, stiegen auch unsere Gedanken zur Allmacht empor, und die Schluchten des Himalaja sind uns bekannt geworden, wie die Thäler der Alpen: – und doch, nachdem wir so viel gesehen haben, kehren wir immer mit neuer und ungeschwächter Vorliebe zu den reizenden Ansichten des Vaterlandes zurück. –

Eine der anmuthigsten liegt vor uns. Herrliche zeigte uns schon das Rheinthal von Mainz bis Bingen – das lachende Rheingau, – das einer Idylle gleicht, voller Anmuth und heiterer Pracht. Von da an wird der Charakter der Gegend ernst und elegisch. Hatto’s mährchenhafter Mäusethurm, der, gespenstig, einsam in den Wogen steht, macht gleichsam die Scheidewand zwischen dies- und jenseits,