Land und Leute/Nr. 44. Tölz in Oberbayern

Textdaten
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Autor: Benno Rauchenegger
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Titel: Tölz in Oberbayern
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 440–443
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reisebericht aus der Artikelserie Land und Leute, Nr. 44
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Bilder aus Tölz.
Originalzeichnung von G. Sundblad.

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Land und Leute.

Nr. 44. Tölz in Oberbaiern.

Unter den Orten des baierischen Hochlandes, welche in den jüngsten Jahren durch einen Schienenweg dem allgmeinen Verkehre näher gerückt wurden, befindet sich auch der Markt Tölz. Der Glanz sommerlicher Hoflager hat seit Jahrhunderten diese echt bajuwarische Niederlassung nicht mehr überstrahlt, und so ist dieselbe trotz ihres begründeten historischen Anspruches auf besondere Rücksichtnahme bescheiden im Hintergrunde der saisonmäßigen Verkehrsplätze geblieben, bis der Ruf der Krankenheiler Bäder sie in der Erinnerung der Mitwelt wieder aufgefrischt hat.

Doch nicht allein die leidende Menschheit, auch der Tourist wendet sich gern gen Tölz, das Eigenartiges genug bietet. Wenn man vom Bahnhofe aus den Weg zum bedeutend tiefer liegenden Markte einschlägt, so präsentirt sich allerdings nicht viel mehr als eine Reihe jener grauen, steinbeschwerten Dächer, die unsere Gebirgsbauten kennzeichnen, und nur ein paar spitze Kirchtürme lassen auf eine höhere Bedeutung des Platzes schließen.

Die Hauptstraße des Marktes bietet einen originellen Anblick; dicht an einander gedrängt, mit der Giebelseite nach vorwärts, stehen die einfachen im richtigen Gebirgsstil gehaltenen Häuser so traulich beisammen, als wollten sie dem Wanderer von vornherein das patriarchalische Gesellschaftssystem versinnbildlichen, welches gewissermaßen in den Bergen noch immer fortlebt. Kleine und stattliche Gebäude reihen sich ohne besondere Rangordnung an einander; die respectable Breite der Straße verräth eine mehr städtische Anlage; sie führt in so rascher Neigung zum Isarstrande abwärts, daß man beim Hinunterfahren einige ängstliche Bedenken kaum zu unterdrücken vermag, zumal das Pflaster stark an das Gerölle eines Bergabhanges erinnert. Der größere Theil des Marktes liegt auf dem Hügel, der sich rechts von der Isar erhebt, und eine mächtige hölzerne Brücke verbindet denselben mit dem kleineren Theile, der sich auf einem gleichfalls erhöhten Terrain fortsetzt und bis zu den oben erwähnten Bädern ausbreitet.

Die Lage von Tölz ist schon insofern eine besondere, als hier das weitgedehnte obere Isarthal bis zu seinen Anfängen abgeschlossen [442] erscheint; die Umrahmung des Thales mit waldigen Hügeln und sehr respectablen Höhen vervollständigt das Bild, und an einer Menge von reizenden Aussichtspunkten, die im steten Wechsel der Formen das Bergland charakterisiren, fehlt es nicht.

Wie fast bei allen größeren Ortschaften des baierischen Hochlandes befindet sich auch bei Tölz eine Calvarienberganlage, die nicht nur das Ziel frommer Wanderungen der Ortsangehörigen bildet, sondern auch als natürliches Belvedere jeden Naturfreund anzieht. Eine wundervolle Aussicht in das Isarthal lohnt den mühelosen Aufstieg bis zum Kreuz und der Quelle; der Markt liegt in seiner ganzen Ausbreitung zu Füßen des Beschauers, und wie ein blinkendes, verschlungenes Band zieht sich die Isar in Schlangenwindungen durch das Thal, in welches nicht allein die freundlichen grünen Hügel mit ihren schimmernden Häuschen und Kirchthürmen, sondern auch die trotzigen, kahlhäuptigen Bergriesen hereinschauen, unter denen der Scharfreiter und die Benediktenwand am meisten bekannt sein dürften.

Reist man mit der Post von Tölz nach Mittenwald, so erreicht man zunächst das große Pfarrdorf Länggries (Lengries). Dieser Ortsname kommt daher, weil in dieser Gegend das breite Thal in seiner Sohle von der Isar versandet, „vergriest“ ist. Die Länggrieser und Tölzer sind durch ihren regen Holzhandel weit und breit berühmt und fahren auf ihren Flößen auf der Donau bis Wien hinunter.

Jeder Spaziergang in der Nähe von Tölz, meist durch herrliche Wälder, führt an einen Punkt, der neue landschaftliche Reize erschließt. Die Tölzer wußten den Naturgenuß mit anderen Genüssen recht praktisch zu verbinden; denn die bedeutendsten dortigen Biergärten, Bürgerbräu und Bruckbräu, können unbedenklich als Belvederes ersten Ranges bezeichnet werden, und daß sich beim frischen Trunk unter schattigen Bäumen die Reize einer schönen Umgebung weniger einnehmend gestalten, wird auch der strengste Aesthetiker nicht behaupten, sofern echt germanisches Blut in seinen Adern fließt. Dabei muß noch erwähnt werden, daß Tölz schon seit Jahrhunderten den Ruhm genießt, ein vorzügliches Bier zu produciren, ja es war lange Zeit hindurch die Metropole der Bierbrauerei; im Jahre 1651 zählte der Markt bereits 21 Brauereien, und gewichtige Ladungen des beliebten Getränkes gingen dortmals auf Flößen weithinein in’s Land. Die allmächtige Concurrenz, namentlich von Seite der Münchner, hat zwar auch das Tölzer Bier nicht verschont, allein in der Heimath wird demselben, wie man sich denken kann, noch mit gleicher Pietät gehuldigt, und wer ein echt baierisches „Bierleben“ schauen will, findet es mit allen seinen Originalitäten in einem der genannten Gärten an sommerlichen Feiertagen voll entwickelt.

Die beigefügte Illustration zeigt ein solches Sonntagsbild. Städter und Landbewohner in buntem Gemisch bevölkern die Tische; Gegensätze ganz besonderer Art stellt das Ungefähr an einander; hier der Stadtherr mit seiner Dame, welche eigentlich mehr des Naturkneipens halber beim schäumenden Krug sitzen und offenbar im Geiste bei jenen Bergriesen weilen, die aus der Ferne hereinsehen; dort der biedere Länggrieser mit dem grünen Hut und der nie fehlenden Pfeife; den guten Mann, sowie das stattlich geputzte Weib an seiner Seite, interessirt es, ob seinem vis-à-vis aus der Residenz der Stoff auch gehörig munde, und mit Ernst und Würde versucht er die bajuwarische Leistungsfähigkeit in’s gehörige Licht zu setzen, wobei ihn sein „Gegentheil“ nachdrücklichst unterstützt. Den Urtypus der Bergbewohner, die kräftigen Flößer, sieht man zahlreich vertreten; es sind derbe Gestalten, welche von Sonnenbrand und Wetterschauern gehärtet und durch Mühen aller Art unempfindlich geworden sind; in der rauhen Schale steckt ein guter Kern, und dem Völkchen ist eine Gemüthstiefe eigen, wie sie eben nur bei wahren Naturkindern gefunden wird. Ein conservativer Zug geht durch das Leben der bäuerlichen Bevölkerung; sie hängen mehr den Gewohnheiten der „alten guten Zeit“ als den Gewohnheiten und Anschauungen der neueren Zeit an, haben sie doch eine historische Vergangenheit hinter sich, wie wenige ihrer Stammesverwandten.

Vor Jahrhunderten war die Floßfahrt auf der Isar das Hauptverkehrsmittel vom Welschland her nach Baiern bis zur Donau und nach Ungarn hinunter. Manche kostbare Fracht schwamm auf dem Rücken des ungestümen Flusses dahin, und hohe Reisende, Kaiser und Fürsten, verschmähten nicht, auf solche Art zu reisen. Daß dieser Verkehr von außerordentlichem Einflusse auf die Wohlhabenheit der Gegend war, versteht sich von selbst und rasch blühte insbesondere der Hauptort Tölz empor; vor der Erbauung Münchens schon war er zu einer gewissen Blüthe gelangt, und von Tölz aus wurde die werdende Stadt mit Holz und Steinen versorgt. Noch heute ist Tölz der Hauptstapelplatz für die Flöße, welche allwöchentlich in stattlicher Zahl der Hauptstadt zuschwimmen; außer Gyps und Kohlen ist es jedoch nur noch das Brennholz, welches die Ladung der Flöße bildet. Die Zeit ist längst vorüber, in welcher man solche Beförderung als Reisemittel gebrauchte, obschon eine Flußfahrt durch das Isarthal bis gegen München eine Fülle von landschaftlichen Reizen bietet, die geradezu überraschen; die steil abfallenden Ufer sind bis dorthin meistentheils mit der üppigsten Waldvegetation bekleidet, und blühende Ortschaften, sowie altehrwürdige Burgen und Klöster unterbrechen da und dort das herrliche Grün der Hügelreihen, die bis an’s Flußbett herandrängen. Die Zusammenstellung der Flöße erfolgt zumeist schon weiter oben, wo die Bergabhänge bis zum Walchensee oder hart an die Jachen reichen, und Tölz bildet dann eine erste Station, die nicht umgangen zu werden pflegt. Die ehemalige culturgeschichtliche Bedeutung des alten Gebirgsplatzes erhellt aus der Wichtigkeit des fortdauernden Verkehrs zu Wasser und zu Land hinlänglich, aber auch die Weltgeschichte hat den Namen Tölz vielfach in ihren Jahrbüchern verzeichnet.

Im zwölften Jahrhundert schon finden wir den Namen des Bischofs Conrad von Tölz auf’s Innigste mit den deutschen Angelegenheiten verbunden; Herr Conrad war nicht nur ein Kirchenfürst, welcher die geistliche Würde zu Ansehen und Macht zu bringen wußte, er war auch ein streitbarer Held, der das Schwert zu führen verstand und dafür sorgte, daß selbiges nicht in der Scheide rostete. Wie er sich zur Curie verhielt, zeigt sein Ausspruch: „Der Papst hat denen Teutschen nichts zu schaffen!“ Wenn auch kein mächtiger Herr, so doch ein hochberühmter Held war ferner der Feldhauptmann Kaspar Winzerer von Tölz, der von Kaiser Max mit den goldenen Sporen geschmückt worden war und bald da, bald dort streiten half. So kämpfte er die Schlacht bei Pavia an der Spitze von drei Fähnlein Landsknechten unter Frundsberg mit; er betheiligte sich am Bauernkrieg als Kriegshauptmann des baierischen Landesaufgebotes, am Türkenkrieg etc. und erwarb sich dauernden Ruhm. Als Greis von siebenundsiebenzig Jahren veranstaltete er mit dem jungen Frundsberg ein Turnier zu Brannenburg; beim Schwertkampf wurde er verwundet, und bald darauf starb der edle Recke. Im Schwedenkriege haben sich die Tölzer vor allen Landsleuten hervorgethan, und das Schwedenmahl in Tölz steht mit Blut im Buch der Geschichte verzeichnet. Nachdem der Markt schon zu verschiedenen Malen von Schwedenhorden gebrandschatzt worden war, beschlossen endlich die Bürger, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Man gab den Schweden eine große Gasterei, aber um Mitternacht tönte die Sturmglocke, und nun fiel jeder Hausvater mit seinen Gesellen und Knechten über die im Hause liegenden Feinde her und machte sie unschädlich. Der ganze Isarwinkel erhob sich darauf, und am 26. Mai 1632 wurden die noch im Lande befindlichen Schweden angegriffen und aufs Haupt geschlagen.

Daß die Chronik von Tölz auch von dem schwarzen Tod und von der Pest zu berichten weiß, mag insofern interessiren, als man das Hochgebirge gewöhnlich nicht für geeignet zur weiteren Ausdehnung ansteckender Krankheiten hält; besonders arg hauste die Pest im Jahre 1634. In dem berühmten Bauernaufstande des Jahres 1705, als das Volk an der oberen Isar den Entschluß faßte, die Hauptstadt München, wo Graf Löwenstein die kurfürstlichen Prinzen gefangen hielt, zu befreien, spielte Tölz die Hauptrolle, und der Jägerwirth von Tölz war der Unterhändler, welcher die Verschwörung im Gang hielt und zwischen München und Tölz vermittelte. In der Geschichte existirt wohl kaum ein tragischeres Beispiel von ländlichem Patriotismus, als das des Weihnachtsfestes 1705, an dem sich in nutzlosem Kampfe die Oberländer Bauern opferten. Die Tölzer Schützen hatten insbesondere schrecklich gelitten; ihr Führer, der Jägerwirth, wurde ergriffen und am 17. März 1706 auf dem jetzigen Marienplatze in München enthauptet und geviertheilt. Später statteten die Panduren unter Trenck noch einige Besuche in Tölz ab; als der Adjutant Trenck’s von den erbitterten Bauern erschossen worden war, kam Trenck selbst nach Tölz, dessen Magistrat alle Mittel aufwenden mußte, den Markt vor dem Untergange zu retten. Die Trenck’schen führten dazumal ihren Raub auf zweiundzwanzig Flößen nach München, ein Beweis dafür, [443] daß trotz aller Unglücksfälle doch noch etwas zu holen war. In den Franzosenkriegen verirrten sich zum letzten Mal fremde Kriegsvölker in die Berge, und auch von diesen nahmen die Bauern nicht Alles mit Geduld an, sondern wehrten sich ihrer Haut, so gut sie konnten.

Als wieder Ruhe und Friede im Lande einzog, widmeten sich die Oberländer ihren gewohnten Beschäftigungen, und heute leben sie in derselben Weise wie ehedem; im Munde des Volkes leben noch die Thaten der Ahnen fort und erfüllen die Herzen der jungen Welt mit jenem heimathlichen Stolze, der die Grundlage zur Erhaltung des eigenartigen Charakters der Oberländer bildet.

B. Rauchenegger.