Land und Leute/Nr. 17. Das Gespensterkloster in Schwaben

Textdaten
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Autor: Ed. Förster
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Titel: Land und Leute/Nr. 17. Das Gespensterkloster in Schwaben
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 756–760
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reisebericht aus der Artikelserie Land und Leute, Nr. 17: Kloster Maulbronn
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Land und Leute.
Nr. 17. Das Gespensterkloster in Schwaben.
Von E. Förster.

Ein köstlicher Spätsommertag war es, einer der wenigen freundlichen dieses kühlen, trüben, weinfeindlichen Jahres, als eine heitere Gesellschaft von Männern und Frauen von Stuttgart aus nach dem nahen, vielbesuchten alten Kloster Maulbronn fuhr.

Durch eine offene steinerne Vorhalle, auf welche mächtige Linden ihre Schatten warfen, traten wir in die wohl zufällig offene Klosterkirche. Man erkennt sogleich die verschiedenen Bauzeiten des Langhauses und des Chors aus dem zwölften Jahrhundert gegenüber der spätern Vorhalle und der noch spätern gothischen Südseite. Ein colossales leidlich erhaltenes altes Marienbild, das an einem der Pfeiler angebracht ist, zog zunächst die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich. Der Kirchendiener war inzwischen erschienen und hatte sich zu uns gesellt. Er gab die Erklärung, daß das Bild den heiligen Christoph vorstelle.

„Ja aber, bester Mann,“ erwiderte ich, „das ist ja offenbar ein Frauenbild; St. Christoph hatte einen langen Bart und keine Brust, an der er ein Kind hätte nähren können.“

„O,“ antwortete er, „das haben Andere auch schon gesagt, es sei die Madonna; ich aber sage, die Jungfrau Maria war so groß nicht, so groß war nur der heilige Christoph!“

Dagegen ließ sich nichts ausrichten; ich meinte nur, am Ende sei die Bavaria in München auch ein heiliger Christoph. Der Mann führte uns in’s Chor, wo uns die Chorstühle mit den seltsamen Holzschnitzereien fesselten. Mehr aber beschäftigte uns ein räthselhafteres Menschenwerk unter und vor den Chorstühlen. Da sind die dicken Dielen, ja selbst an deren Stelle gelegte starke Steinplatten stellenweis bis zur Durchlöcherung ausgewetzt. Hier schien mir unser Führer nach etwas rationelleren Grundsätzen zu erklären, als beim heiligen Christoph. „Diese Löcher sind noch aus der alten, katholischen Zeit,“ sagte er, „wo die Mönche hier Hora sangen. Das Horasingen muß ein langweiliges Geschäft sein, und gewiß sind die alten Herren darüber oft ungeduldig geworden und haben, wenn’s zu lang gedauert, mit den Füßen zu arbeiten und zu scharren angefangen, und so haben sich nach und nach die Löcher gebildet. Noch zu rechter Zeit ist die Kirche protestantisch geworden, sonst wären die frommen Väter gar durchgefallen.“

„Mir sind noch mehrere Beispiele der successiven Wirkung anhaltender Frömmigkeit bekannt,“ sagte ich. „Dem heiligen Petrus in der Peterskirche zu Rom muß, obschon er von Erz ist, von Zeit zu Zeit ein neuer Schuh angezogen werden, sobald der alte durchgeküßt ist; in der St. Lorenzkirche vor den Mauern Roms sind die Marmorstufen um sein Grab durchgekniet, und eine Madonna in der Marcuskirche zu Venedig verbraucht auch viel Schuhmacherarbeit, um die Andacht der Frommen auszuhalten.“

„Ja, ja,“ meinte der Mann; „aber hier giebt es doch noch andere Sehenswürdigkeiten; denn das Kloster ist sehr alt und hat viele und große Schicksale erlebt. Sehen Sie,“ fuhr er fort und wies nach einem halbverlöschten Gemälde oben an der Südwand der Kreuzung, „da kniet der Gründer des Klosters, Ritter Walther von Lomersheim aus Eckweiler. Es ist eine sonderbare Geschichte.

Der Ritter hatte das Kloster in Eckweiler gründen wollen; aber den Mönchen, die er aus Kloster Neuburg im Elsaß berufen, gefiel der Platz schlecht; sie packten ihre Geldsäcke auf einen Esel, nämlich auf einen Maulesel, und zogen weiter und beschlossen, da, wo der Esel stehen bleiben würde, da wollten sie auch bleiben und Gottes Fingerzeig darin erkennen und ihm da eine Wohnstatt erbauen. Nun kamen sie an eine Stelle im Walde, da immer viel Raub und Mord verübt worden, und wären gern ohne Aufenthalt weitergezogen; aber es war da auch eine frische Quelle; und ob nun aus Gottes Fügung, oder weil der Maulesel durstig war und das Plätzchen schattig und kühl – kurz, er blieb stehen und wollte auch nicht mehr weiter, und die Mönche sahen, das sei die Stelle, wo sie das Kloster erbauen sollten; und weil der Maulesel an dem Brunnen stehen geblieben, nannten sie den Ort Mulenbrunnen oder Maulbronn, wie er noch heißt bis auf diesen Tag.

Freilich, leicht ist es den Mönchen nicht geworden, ihr Werk auszuführen. Denn als sie mitten im Bau waren, kamen die Räuber und bedrohten sie mit Feuer und Schwert, nicht weiter zu

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Kloster Maulbronn.
Originalzeichnung von Theodor Pixis in München.

[758] bauen, denn sie fürchteten von der Gottesstatt für ihr Handwerk. Da sagte einer der Mönche und schwor’s den Räubern zu, der Bau solle unvollendet bleiben. Damit gelang es, die Räuber zu verblüffen, so daß sie die Mönche unbehelligt ließen. Diese aber bauten lustig weiter, und bald riefen die Glocken die Andächtigen zum Gottesdienst. Da kamen aber auch die Räuber wieder und wollten Rache nehmen für den Betrug. Die Mönche aber zeigten ihnen oben an der Chorwand die leere Stelle – sehen Sie sie, dort links vom Crucifix? – und unten den Stein, der noch hier liegt, und sagten: ‚Vollendet ist die Kirche nicht und soll es nie werden; denn der Stein wird niemals eingesetzt!‘ Und damit mußten die Räuber abziehen. Da oben aber sehen Sie in der Wand die zum Schwur erhobene Rechte, eine Kelle, ein Winkelmaß und einen Spaten zum Andenken an die betrogenen Räuber. – Das Kloster ist aber bald sehr reich geworden, hat herrliche Gründe erhalten mit Obstbäumen, Feldern, Weinbergen, fischreichen Seen und mit Wäldern voll Hirschen, Rehen und Hasen; und viele Mönche sind hier eingezogen, und was an die Kirche, die, wie Sie sehen, gar schlicht und einfach ist, der Cistercienser Regel gemäß, nicht gewandt werden durfte, das haben sie dann auf ihren Leib gewendet, an ihre Wohnung, an Küche, Keller, Speisesaal, Spaziergang und Garten, wie Sie sich noch überzeugen können, wenn die Herrschaften mir folgen wollen.“

Das thaten wir denn mit Vergnügen und überzeugten uns bald, daß die frommen Väter gegen ihr zeitliches Wohl sich nicht gleichgültig verhalten haben und daß es kein Wunder gewesen, wenn sie im Chorstuhl beim Gedanken an die übrigen Klosterräume hie und da zu scharren begonnen haben. Da ist gleich hart an der Kirche der kleine Keller, größer als der dritte Theil der Kirche bis zum Chor, und weiterhin der große Keller, in welchem der kleine einigemal Platz haben würde. Der Speisesäle oder Refektorien waren drei, zwei für den Sommer, einer für den Winter.

Das ältere Sommerrefectorium liegt ganz in Trümmern, das neuere aber vom Anfang des dreizehnten Jahrhunderts ist noch ziemlich gut erhalten, und macht mit seiner einen Reihe hoher, schlanker Säulen und seinen leichten Wölbungen, den hohen Fenstern, Wandpfeilern und Nischen einen sehr heitern und festlichen Eindruck und somit seinem ausdrucksvollen Namen „Rebenthal“ alle Ehre. Unser Führer machte uns darin auf eine Säule aufmerksam, die, mit zwei Seitenöffnungen versehen, als Brunnen und zwar für rothen und für weißen Wein gedient haben soll. Er hatte auch vorher in der Kirche uns ein anderes Denkmal der Zechlust der fröhlichen Brüder gezeigt, an dem Chorgewölbe nämlich die Buchstaben: A. V. K. L. W. H. und Noten darunter, nach welchen die Mönche in’s Gloria hinein gesungen haben:

„Alle voll! Keine leere! Wein her!“

Bei allen Klöstern und Stiften bildet der sogenannte Kreuzgang einen Glanzpunkt der Gesammtanlage. Der Maulbronner gehört zu den schönsten in Deutschland; der ältere Theil, zunächst der Kirche, ist zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts erbaut. Die übrigen drei Abtheilungen stammen aus dem vierzehnten Jahrhundert.

„Also dies ist,“ begann einer meiner Reisegesellschafter „die bedeutungsvolle Stelle, an der unser würdiger Freund, Justinus Kerner, in frühester Knabenzeit seine Geisterjagd begonnen, die ihn später so berühmt gemacht. Sein Vater war in den neunziger Jahren Oberamtmann von Maulbronn, und wenn er nächtlicher Weile mit einer kleinen Laterne oder beim trügerischen Schimmer des Mondes von seinen Spielkameraden nach Hause ging, wählte der neunjährige Junge mit Vorliebe den Weg durch die Klosterkreuzgänge, in der Hoffnung, daß einmal einer der ehrwürdigen alten Kuttenträger mit langem Bart und dem schwarzen Gürtel der heiligen Jungfrau aus einem der eingesunkenen Gräber aufstehen und ihm erscheinen möchte. Auf jene Zeit bezieht sich sein bekanntes Gedicht:

„Würde wahrlich nicht erschauern,
Schwebtet ihr aus Grabesmauern,
In den Kutten, schwarzen, weißen,
In den Bärten, langen, greisen,
Im Gesichte Geistertrauern.
Schläfer, auf zum Rebenthale!
Dort im bunt bemalten Saale
Warten Euer die Pokale,
Warten auf dem Eichentische
Wildpret und gebackne Fische.“ etc.

„Sollte mich sehr wundern,“ fiel unser kundiger Führer ein, „wenn die Beschwörungsformel des seligen Herrn Doctor Kerner keine Wirkung gehabt hätte! Er hat Geister genug gesehen, wie er mir selber gesagt, als er vor einigen Jahren noch einmal hier war, und in Kloster Maulbronn war nie Mangel an Geistern und Gespenstern, vornehmlich als die schwarze Katze hier ihr Wesen getrieben.“

„Hu! das wird interessant und gruselig,“ sagte lachend eine der Damen, „erzählen Sie uns von der schwarzen Katze! Bei Sonnenschein ist’s nicht so bedenklich, wie im Mondenlicht.“

„Sehen Sie,“ hub der Schlüsselmann an, „wenn Sie den seligen Herrn Doctor Kerner gekannt haben, so wird er Ihnen gewiß von seinem alten Matthias, dem Kutscher des Herrn Oberamtmanns, erzählt haben und was der Alles erlebt und gesehen. Ich hab’ den auch noch recht gut gekannt, und mir hat er’s mehr als einmal zum Besten gegeben. Der hat verschiedentlich mit eigenen Augen den längst verstorbenen Prälaten Weiland im weißen Frack mit schwarzen Aufschlägen die Treppe herunter und in die Prälatenkutsche einsteigen sehen. Es hatte nämlich der Prälat Weiland für den üblichen Jahresbesuch bei dem katholischen Prälaten von Bruchsal sich – zum Angedenken an die alten weiß mit schwarz gekleideten Cistercienser von Maulbronn und vielleicht um seinem katholischen Herrn Collegen eine Artigkeit zu erweisen – einen weißen Frack mit schwarzen Aufschlägen machen lassen; ist aber plötzlich erkrankt, so daß er den Besuch aufgeben mußte. Um sich aber gewissermaßen zu entschädigen für das gestörte Glück, ließ er den schwarz-weißen Habit sich gegenüber über dem Bett aufhängen und betrachtete ihn von früh bis spät, bis sein Auge brach; und weil sein letzter Blick daran haften geblieben und sein letzter Gedanke der Besuch bei dem Herrn Prälaten in Bruchsal gewesen, hat er nach seinem Tode noch immerfort den weißen Frack mit den schwarzen Aufschlägen anziehen und in die Prälaturkutsche steigen müssen. Ich habe diese Prälatenkutsche noch gekannt, die jetzt längst zu ihren Vätern versammelt ist. Es war ein großes Gebäude, eine Kutsche wie ein kleines Haus, in welcher die Prälaten ihre Staatsvisiten abstatteten. Sie wurde von vier starken Pferden gezogen, den Vorreiter nicht gerechnet. Es soll eine Pracht gewesen sein! Sie wurde nur zwei- oder dreimal im Jahr angespannt; in der Zwischenzeit wohnten Fledermäuse darin, und Katzen hatten da ihr Lager aufgeschlagen, und vornehmlich die schwarze, bucklige Teufelskatze ohne Schwanz.“

Er sah uns dabei Eins um das Andere an, und als er bemerkte, wie wir die Ohren spitzten, fuhr er fort: „ Ja, die alte, böse, schwarze Katze! von der läßt sich was erzählen. In den festverschlossenen Zimmern hat es gerumpelt und getobt, als ob eine Schlacht mit Holzfällen geliefert würde, und wenn man aufschloß und sah in die Stube, war nichts darin, als die schwarze Katze; und die verschwand vor Aller Augen wie Pulverdampf. In Schlappschuhen hörte man die Geister treppauf, treppab gehen; Tische, Bänke, Stühle, Krüge wurden von unsichtbaren Händen aufgehoben und durch’s Fenster in den Garten geworfen, oder eigentlich nicht geworfen, sondern gleichsam durch die Luft getragen und langsam auf den Boden niedergesetzt.“

„Was Kuckuk,“ rief ich, „da haben wir ja schon die Seherin von Prevorst mit den interessanten Erlebnissen, die uns unser würdiger Freund von Weinsberg von ihr erzählt hat.“

„Es muß doch sehr ernsthaft gewesen sein,“ fuhr der Schließer fort; „denn Prälat Schlotterbeck hat wegen des Gepolters und wegen der schwarzen Katze das Prälatenhaus verlassen und eine andere Wohnung bezogen; Militär ist requirirt worden gegen den Teufelsspuk, und eine Commission fürstlicher Räthe wurde von Stuttgart hierher gesandt, die nach gründlicher Prüfung der Umstände in der schwarzen Katze die Quelle alles Unheils und aller bösen Anschläge sah. Die Regierung setzte nach deren Bericht einen Preis von vierzig Gulden auf ihren Kopf. Verdient hat sie Niemand; aber die schwarze Katze ist verschwunden, und seitdem –“

„Spukt es nicht mehr?“ frug ich.

„Wenig nur,“ antwortete er, „man könnte sagen, fast gar nicht mehr. Doch ganz sicher ist man nicht, und unheimlich ist’s noch immer in dem alten Gemäuer bei finstrer Nacht oder bei Mondenschein, wo man lange Processionen durch den Kreuzgang hat ziehen sehen, freilich von Ratten, sagen sie, die der Durst zum Brunnen treibt; aber man weiß schon, was für Ratten das sind.“

[759] Aus dieser Geister- und Gespenster-Sphäre und -Atmosphäre geleitete uns unser einsichtsvoller Führer den Kreuzgang entlang nach der Ostseite und zeigte uns dort ein dunkles Gemach, wo wir beim Schein einer angezündeten Kerze das Bild eines Mönchs mit der Ruthe in der Hand auf der Mauer erkannten. „Es gab nicht immer Hammelskeulen,“ sagte er, „Wein und Fische für Jeden im Kloster; zuweilen mochte einer oder der andere der heiligen Männer an die Kutte nicht gedacht haben, in die er seinen Leib gesteckt, und dann wurde er hier in stiller Abgezogenheit dieser Kammer daran erinnert; davon hieß sie die ‚Geißelkammer‘. – Heiterer sieht es drüben aus, weiter rechts, wenn’s gefällig ist. Freilich liegen Grabsteine auf dem Fußboden, und darunter wird an Todtengebeinen kein Mangel sein; es war aber doch kein eigentlicher Begräbnißplatz, außer etwa zu besondern Ehren; es war der Capitelsaal, wo die geistlichen Herren Rath pflogen, bei hellem Tageslicht, das durch die großen, offenen Fenster zu ihnen hereingeschienen – denn hier, sehen Sie, ist nie ein Fensterrahmen befestigt gewesen. Allgemein bewundert man die Reihe der schönen Säulen, die das prächtige Sterngewölbe wie einen Sternenhimmel tragen.“

Zwischen Geißelkammer und Capitelsaal führt ein kleiner Gang in einen schönen, lichten, mit einem gerippten Tonnengewölbe überdeckten Corridor, aus welchem man links in die Prälatur, rechts in einen reizvollen Garten gelangt. Wir gingen rechts. Wie lieblich ist die Stelle! Mauern und Geländer mit blühenden, grünenden Rankengewächsen bedeckt, zur Seite ein frischer, plätschernder Brunnen, vor uns Blumenbeete, weiche Rasenplätze, fruchtbeschwerte Pflaumen-, Aepfel- und Birnenbäume, Wege und Wiesenplätze übersäet mit dem abgefallenen, überreifen Obst, das ungeachtet seiner Güte in seiner Ueberfülle dem Verderben Preis gegeben war. Dazu nun ein überraschend malerischer Anblick der Ostseite der Kirche, der Prälatur zur Rechten und eines alten halbverfallenen Thurmes zur Linken. Wie ist es hier so heimlich und gemüthlich! Das mochten auch Andere außer uns empfunden haben; denn hier und da im Grase saßen Gäste, die sich’s wohl sein ließen im lichten Sonnenschatten, im Genuß des behaglichsten Daseins.

„Endlich,“ sagte ich, „sind wir zur Stelle, an unserem eigentlichen Reiseziel! Es ist nicht so gemüthlich und harmlos, wie es augenblicklich den Anschein hat, bei diesem Segen Gottes über und um uns und bei der allgemeinen Lebenslust in uns. Nehmen Sie Platz, meine Damen, aber auch allen Muth zusammen, dessen Sie fähig sind; denn wir haben es hier mit größeren Ereignissen zu thun, als mit der Jagd auf die schwarze, schwanzlose Katze in der Prälatenkutsche! Ist’s nicht so, vortrefflicher Schließer dieses geheimnißvollen Thurmes? Sagen Sie uns, was ist’s mit diesem Thurme und welche Geschichte spielt hier?“

Während ich mein Skizzenbuch zur Hand nahm, um das in der That sehr malerische Bild vor mir wenigstens in allgemeinen Zügen für die Erinnerung fest zu halten, begann unser kundiger Führer: „Eine grauliche Geschichte, mein Herr! ja, eine sehr grauliche Geschichte hat hier gespielt! Gottlob, daß die Zeiten vorüber sind, wo sie spielen konnte! Wie die Schrift sagt: ‚Er geht herum wie ein brüllender Löwe,‘ ich meine den † † † mit Schwanz und Pferdefuß, und wie er zum Dr. Martin Luther selig gekommen, der ihm aber das Tintenfaß an den Kopf geworfen, so ist er hier auch in diesen Thurm gekommen, zu dem Dr. Faust von Knittlingen, unseligen Angedenkens, der ihm leider das Tintenfaß nicht an den Kopf geworfen, sondern seine Seele verschrieben hat, und zwar mit seinem eignen Blute statt der Tinte, dafür, daß ihm der Böse von Allem Wissenschaft gegeben hat, was auf der Erde und in der Erde ist – von dem, was über der Erde ist, im Himmelreich, hat er nichts zu wissen begehrt – und daß er sich wünschen könnte auf Erden, wohin und was er wollte, so sollte es ihm werden, dreißig Jahre lang. Nach Ablauf aber dieser Frist gehöre ihm, dem † † †, die Seele des Doctors. Nun war zu der Zeit der Prälat Entenfuß Abt von Maulbronn, auch aus Knittlingen gebürtig und ein Jugendfreund des Doctor Faust. Er hat ihn öfters zu sich eingeladen – gewiß ohne seine geheime Verbindung zu kennen – und wenn dann Faust zum Besuch kam, wurde er in diesen Thurm einquartiert, der ehedem ganz hübsche Zimmer hatte und von da an bis zur Stunde der Doctor-Faust-Thurm genannt worden ist. Hier hat er, so oft er da war, sein höllisch Spiel getrieben, die schwarze Kunst, und hat das Vieh im Stall, die Tauben auf dem Dach, die Trauben am Rebstock verhext, daß sie die Pestilenz bekommen und abgestorben sind, wie das Laub im Spätherbst. Er hatte immer einen schwarzen Pudel bei sich, den er Mephisto rief, mit feurigen Augen und rother Zunge. War er mit ihm allein im Thurm, dann zog der Pudel seinen schwarzen Pelz aus und stand in seiner höllischen Gestalt neben ihm und half ihm beim Goldmachen und anderen Hexenkünsten. Mehr als ein Mal hat man ihn in einem weiten Mantel zum Fenster hinaus in die weite Luft fliegen sehen, obwohl der Abt Entenfuß um seines eigenen Rufes willen all diesen Geschichten keinen Glauben hat schenken wollen. Und doch haben ihn ganz zuverlässige Leute auch in Venedig vom Marcusthurm frei fortfliegen sehen! Nun, der Krug geht so lange zu Wasser, bis – die dreißig Jahre um sind, und dann hat auch der Abt Entenfuß daran glauben müssen!

Und einstmals – es ist spät im November gewesen und wüstes Wetter dazu – ist Doctor Faust wieder zum Besuch in Maulbronn und hat im Thurm sein Wesen gehabt, und der Herr Abt ist bei ihm gewesen ohne Arg, und wie er ihm gute Nacht sagt, um nach der Prälatur zurück zu gehen, sagt Doctor Faust zu ihm: ‚Höre, Freund Entenfuß, erschrick nicht, wenn Du’s heut Nacht hier im Thurm poltern und lärmen hörst, mein Hund ist den ganzen Tag über schon so ungebehrdig gewesen, daß ich fürchte, ich bekomme später noch Händel mit ihm.‘ Richtig! nach Mitternacht hört der Abt ein fürchterliches Poltern im Thurm, mit Ach und Krach, als wie bei einer blutigen Rauferei, und wäre wohl hinüber gegangen, um nachzusehen, hätte ihm der Doctor nicht voraus die Andeutung gegeben. Als aber am andern Morgen der Doctor nicht wie gewöhnt zum Frühstück kommt, geht der Abt in den Thurm und sieht mit Schrecken die gräuliche Bescheerung. Stühle und Tische liegen halb zerbrochen am Boden, zerfetzte Bücher dazwischen, die Lampe in Stücken, Gläser, Büchsen in Scherben unter Todtenschädeln und Thiergerippen – ein gräulicher Anblick! Im Kamin noch ein paar glimmende Kohlen und darauf der halbversengte Pelz des schwarzen Pudels; Blutflecken an der Wand neben dem Kamin – man sieht sie noch heutigen Tags – vom Doctor keine Spur! Er hatte mit dem † † † auf Tod und Leben gerungen. Der aber war mit ihm durch den Kamin nach einem andern Feuer abgezogen!“

Wir mußten nun der herannahenden Stunde unserer Rückreise denken, beschenkten und verabschiedeten daher unsern kenntnißvollen Führer und gingen nach dem Wirthshaus, wo wir erfahren sollten, daß man auch neben dem Kloster noch verstehe zu leben und leben zu lassen.

„Was ist aber jetzt aus der alten Abtei geworden? Vielleicht können Sie uns davon berichten,“ wandte ich mich an den Wirth, der den Tisch ordnete und intelligent genug aussah, um auf die Frage Rede zu stehen.

„Sind Sie nicht mit unserm Herrn Ephorus Bäumlein bekannt? Der hätte Ihnen sehr gründliche Belehrung geben können; er hat auch eine sehr gelehrte Schrift über das Kloster herausgegeben. Ich habe sie gelesen und mir Einiges daraus gemerkt. Weiß nicht, ob es Ihnen genügen wird. So viel ich mich erinnere, haben sich in alten Zeiten mehrere große Herren, ich glaube der Pfalzgraf bei Rhein und der Herzog von Würtemberg um die Ehre gestritten, das Kloster zu beschirmen. Schließlich hat der Kaiser Maximilian den Herzog Ulrich von Würtemberg als Schirmherrn von Maulbronn eingesetzt. Dieser war der Lehre Luther’s zugethan und hat sich viel Mühe gegeben, die Reformation im Kloster einzuführen. Das ist ihm aber nicht gelungen, und erst unter seinem Nachfolger, Herzog Christoph, ist der erste protestantische Abt, Prälat Valentin Wanner, im Jahre 1550 eingesetzt und die Klosterschule nach evangelischer Ordnung gegründet worden. – Im dreißigjährigen Krieg, der auch an manchem Steine im Klostergebäu gerüttelt, bekamen die Katholischen zeitenweis die Oberhand und die Maulbronner ihre alten Klosterbrüder wieder zu sehen. Es war aber doch nur Märzenschnee und ist bald wieder zerflossen. Nach dem westphälischen Frieden ist Maulbronn wieder protestantische Klosterschule geworden und geblieben.

Die jungen Leute, die man durch eine Art Mönchskutte auf gesetzten Wegen zu halten gesucht, haben sich aber die tollsten und schlechtesten Streiche zu Schulden kommen lassen und eine Ehre [760] darin gesehen, die Klostergesetze zu übertreten; die alten Leute, Professoren und Prälaten, sind in ihrer Würde halb erstickt, oder haben sich durch Thorheiten lächerlich gemacht, wie der Professor Mayer, den mein Vater noch gekannt hat, mit dem, zum Entsetzen seiner gestrengen Ehehälfte und zum lauten Halloh der Klosterjugend, eines Tages sein Gaul – er ritt gern spazieren – im Schritt durch- und nach Hause ging, trotz alles Rufens, Schreiens und Protestirens des gelehrten Reiters.

Sie können sich eine Vorstellung von diesem Professor Mayer und dem Ansehen machen, in welchem er bei der Jugend stehen mußte, wenn ich Ihnen die Geschichte erzähle, die in Maulbronn noch heute nicht vergessen ist. Das war im Jahre 1796, als die Franzosen unter Desaix in die Gegend kamen, und zwar nicht als willkommene Gäste. Professor Mayer hatte einen schönen Vorrath von Schinken und Würsten im Schlot hängen und, um seine Schätze zu retten, bereits die Leiter auf den Heerd gestellt und capitulirte nur noch mit seiner Gattin, die sich entschieden dieser ungastlichen Maßregel widersetzte, um Uebergabe des Schlüssels zur Speisekammer, als er plötzlich die französischen Chasseurs im Hofe sah und, im kattunenen Schlafrock und mit der Zipfelmütze wie er war, auf die Leiter in den Schlot emporstieg, um mit den Schinken und Würsten nun zunächst sich zu retten. Aber schon waren die Chasseurs in der Küche, sahen die Leiter, fingen an daran zu rütteln und frugen: ,Was ist das’? Und Thereschen, die Frau Professorin, gab sogleich Bescheid: ,Es ist mein Mann so eben hinaufgestiegen, um für die Herren Franzosen eine kleine Collation von Schinken und Wurst herabzuholen.’ Und der Herr Professor mußte nun mit möglichst guter Miene selbst seine kostbaren Schätze den Räubern mit der Bitte, fürlieb zu nehmen, ausliefern, worauf sie ihn wie im Triumph auf ihren Armen in sein Studirzimmer trugen und in seinen Armstuhl unter Lachen und Danksagungen niedersetzten und mit den geräucherten Schätzen von dannen ritten.

Neben solchen Schöppenstädter Lächerlichkeiten herrschte aber im Kloster eine gewaltige Vornehmheit. Ein Luxus ist an der Tagesordnung gewesen, wie bei Grafen und Fürsten, und so zahlreich war die Dienerschaft, daß Einer hätte der Schleppträger des Andern werden müssen, nur um eine Beschäftigung zu haben. Da gab es einen Klosterchirurgus, der zugleich Famulus war, und einen Unterfamulus, den Gegen- oder Küchenschreiber, den Speisemeister sammt Köchin und Magd, den Küfermeister, den Hausschneider, der zugleich Meßnerdienste besorgte, den Ueberreiter, den Klosterboten, den Thorwart, mehrere Nachtwächter, den Werkmeister, den Zimmermann, den Hof- und Weingartenmeister, den Gärtner, den Waldmeister nebst dem Waldknecht, den Todtengräber und Gott weiß was noch sonst für Gesinde.

Jetzt ist aus der Klosterschule ein theologisches Seminar geworden, in welchem tüchtige junge Leute gebildet werden, die, nachdem sie vorher die Seminarien von Blaubeuren und Urach besucht, hierher kommen, von hier nach Schönthal und dann auf die Universität Tübingen gehen. – Aber die Herrschaften werden Appetit haben. Friedrich, die Suppe!“