Kunst-Erinnerungen aus Dresden

Textdaten
Autor: Carl Bertuch
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Titel: Kunst-Erinnerungen aus Dresden
Untertitel:
aus: Journal des Luxus und der Moden
Herausgeber: Carl Bertuch
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1807
Verlag: Landes-Industrie-Comptoir
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Erscheinungsort: Weimar
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Katalog der Ausstellung siehe Verzeichniß der am Friedrichstage den 5ten März 1807 in der Königl. Sächsischen Akademie der Künste öffentlich ausgestellten Kunstwerke
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Kunst-Erinnerungen aus Dresden.
Dresden d. 28. Febr. 1807.     

Seit zwei Tagen bin ich hier in Dresden, und lebe unter interessanten Künstlern und ihren Werken, lieber Gustav, ein Genuß, den ich immer zu den höchsten rechnete, der mir aber jetzt doppelt wohl thut, weil er mich aus der traurigen Stimmung reißt, in die mich auf meiner Reise alles versetzte. Alles ist erschöpft, alles leidet gränzenlos, und dennoch in allen öffentlichen Blättern die glänzendsten Phrasen, wie glücklich man im Schooße des Friedens ruht. Vortrefflich, daß wir armen Teutschen für die Lection, die man uns giebt, noch die Ruthe küssen müssen!

Gestern am frühen Morgen führte mich eine freundliche [237] Pappelallee vor dem Seethore zu dem als Mensch und Künstler gleich ausgezeichneten liebenswürdigen Historienmaler, Hrn. v. Kügelchen. Du kennst seinen Namen aus seinen früheren Arbeiten und aus seinem Aufenthalte in Petersburg schon längst. Ja seinem Attelier sah ich zwei herrliche ideale Köpfe in Oel:

Christus. Der schöne Kopf von Annibale Carracci, auf der Dresdner Gallerie veranlaßte wohl diese neue Darstellung. Hr. v. K. fand im erstern mehr den hehren göttlichen Menschen, den philosophischen tiefblickenden Stifter einer neuen Religionslehre, als den Mann, dessen hingebendes Herz die ganze Menschheit umfaßt, der die Kinder kommen läßt, um sie zu seegnen, und selbst seine Feinde liebt. – Diese innige Verschwisterung des Gemüths mit dem Verstande wollte Hr. v. K. ausdrücken, und hat einen schönen idealen Kopf geliefert, der in der großen Sammlung der Christus-Köpfe einen ruhmvollen Platz einnimmt.

Moses als Repräsentant seines Glaubens, ist das Seitenstück zum Christuskopf, ein kräftiger edler männlicher Kopf, vom jugendlichem Feuer beseelt, das aus den erhabenen, von weißem Haar und Bart umflossenen Gesichtszügen hervorstrahlt.

Hoffentlich wird ein dritter Kopf, Mahomed, diesen kleinen interessanten Cyclus schließen.

Aus dem reichhaltigen Portefeuille, aus welchem Hr. v. K. mit nachsichtsvoller Gefälligkeit gegen mich Dilettanten, mir viele seiner geistreichen Entwürfe zeigte, bemerke ich Dir unter vielen andern zwei, grau in grau gezeichnet. [238] Der erste Entwurf ist in die Geschichte Belisaire’s gelegt. Der unglückliche blinde Feldherr irrt mit seinem kleinen Führer umher. Nahe am Meere hat sie ein Ungewitter überrascht, und in einer Höhle Schutz suchend, erblicken wir sie darin. Die stürmische See im Hintergrunde verkündet die Gefahr. Ungebeugt auch hier, streckt der große Mann mit unveränderter Ruhe seine Hand über den kleinen Führer zur Beruhigung aus, welcher sich mit kindischer Furcht zusammen beugt. Eine einfach große Composition, die des Contrastes wegen viel Wirkung thun kann. Die zweite Composition: David spielt vor Saul. Der junge schöne Jüngling rauscht in den Saiten, und regt das tiefbrütende Gemüth Sauls so auf, daß dieser aufmerksam sich etwas aufrichtet, den Tönen zuzuhören. Die reine sorgenlose Unschuld, die K. in die Gesichtszüge Davids legte, gegen die von Gewissensbissen schwermüthige Miene Sauls gehalten, machten einen bleibenden Eindruck auf mich.

Herr v. Kügelchen’s großes Talent als Portraitmaler ist allgemein anerkannt. Ich sah von ihm vor kurzem die eben so wahr als geistreichen Portraits von vier geistreichen Männern. Professor Fernow, Seume, A. Müller (durch seine ästhetischen Vorlesungen in Dresden bekannt) und Oehlenschläger (ein talentvoller junger Dänischer Dichter, jetzt in Paris) vier Köpfe, jeder durch eine höchst bestimmte Individualität interessant, und durch Ks. Pinsel treu wiedergegeben.

Ungern durch meinen kurzen Aufenthalt gepreßt, verließ ich Hrn. v. K. Attelier und suchte Hrn. Hartmann aus Stuttgard auf, der seit mehrern Jahren schon in Dresden lebt. Seine theoretischen Kenntnisse, seine practischen Verdienste in der Kunst eignen ihn ganz, mit [239] Ruhm eine Professorstelle der Akademie dort zu begleiten, und hoffentlich wird bei Besetzung der jetzt durch Herrn Schenaus Tod vacanten, das Directorium, oder wer sonst ernennt, um der guten Sache willen vorzüglich auf ihn Rücksicht nehmen. Hr. Hartmann beendigte eben ein großes verdienstvolles Gemälde: die drei Marien am Grabe Jesu; Figuren in Lebensgröße. In einer Höhle links erblickt man das geöffnete Grab. Darauf ruht ein Engel in Lichtgestalt, von einem weiten Gewande umwallt, in der einen Hand die Palme des Friedens haltend, mit der andern aufwärts deutend: er ist auferstanden. Vor dem Grabe knieet Maria, eine blonde, sanfte, edle Gestalt, in lavende blauem Gewand, von einem goldfarbenen Tuche umgeben. Dahinter die beiden übrigen Weiber mit Salben und Spezereien, blau, roth und grün gekleidet. Diese prismatischen Farbenübergänge sind höchst reizend, und bringen großen Effect im Colorit hervor. Nach meinem Gefühl (was keine Kritik seyn soll) würde sich für diese höchst interessante Zusammenstellung des ganzen Farbenzaubers mehr eine heroische oder andere stark sich hervorhebende Scene geeignet haben, als dieser auf eine wehmüthige Stimmung der Seele vorzüglich wirkende Gegenstand, der das Auge weniger bestechen, als das Gemüth ergreifen und rühren soll, und wo gedämpftere Farben bei der Correktheit und Schönheit der Hartmannischen Formen dem Ganzen nicht zum Nachtheil gereicht haben würden. Das ganze Gemälde[1] ist für jeden Kunstfreund um so erfreulicher, da der jetzige Zeitgeist oder vielmehr Würgengel nicht bloß Menschen, sondern auch die Kunst tödtet, und der ausgezeichnete Künstler aus [240] reinem Enthusiasmus für die Kunst allein noch etwas Großes schafft, denn auf pecuniären Gewinn kann er bei großen Arbeiten leider nicht mehr rechnen.

Noch lernte ich diesen Morgen Hrn. Friedrich aus Schwedisch-Pommern kennen, einen höchst interessanten Landschaftsmaler. Seine rege feurige Phantasie, sieht man, ist nicht durch einen südlichen heitern warmen Himmel, durch üppige, reiche, lachende Gegenden gebildet worden, sondern nordische Erhabenheit und Größe, die das Gemüth des Künstlers, so wie des Dichters leicht zur Wehmuth, ja bis zur melancholischen Schwermuth leiten, die geistig ausgedrückt, uns innig ergreift und rührt, wirkten auf ihn. Friedrichs Phantasie isolirt am liebsten, nimmt z. E. einzelne Felsen, einen Berg, eine Wasserfläche u. s. w., die der Künstler als ganze Landschaft darstellt, und sein tiefbewegter Sinn beschäftigt sich vorzüglich gern mit Gräbern, Crucifixen und heiligen Bildern, die er stets auf eine überraschende Art in seine herrliche Landschaften verwebt. Diese Landschaften haben gewöhnlich, wie gesagt, den Charakter einfacher Größe und sind in Sepia, vorzüglich [241] in Klarheit der Behandlung der Licht-Effekte, meisterhaft ausgeführt.

Ich führe Dir zum Beleg einige große Landschaften in Sepia von ihm an und wünschte, daß teutsche Kunstliebhaber, da Hrn. Friedrichs Preise sehr billig sind, seine interessanten Compositionen recht bald für ihre Portefeuilles kaufen möchten. – So sah ich in Sepia groß ausgeführt:

1. Eine ruhige Seefläche vom vollen Monde beleuchtet. Im Vordergrunde auf einigen Felsenstücken nichts als ein großes Anker. Drei Schiffe sind auf der Meeresfläche vertheilt. – Der ruhige Frieden des Bildes ergreift bei dem längern Beschauen wunderbar.

Das Gegenstück zu dem vorigen:

2. Die stürmische See. Dieselbe Wasserfläche vom Sturm bewegt. Weiße schäumende Wellenköpfe blitzen allenthalben aus dem dunkeln Wassergrunde hervor. Weiße Sturmvögel durchkreuzen den dunkeln nordischen Wolkenhimmel. Drei mächtige Eichen auf einem Stück Gestade im Vorgrunde stehend, haben schon durch die vielleicht hundertjährigen Stürme ihre schönsten Aeste verloren, doch wie drei große unerschütterliche Helden Charaktere, widerstehen sie selbst mit Kraft dem Element.
3. In der Mitte eines großen Luft-Raums erblickt man den Gipfel eines Felsen-Gebirgs mit Tannen besetzt, und auf der obersten Spitze ein großes Crucifix, welches eben von den ersten Strahlen der

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aufgehenden Sonne aus der Tiefe herauf erleuchtet wird.
4. Ein Gottesacker mit gothischer Kirche, aus Fr. Geburtsort. Die meisten Leichensteine bezeichnen Verwandte von Friedrich, die da ruhen. In der Mitte ein geöffnetes Grab, wo man unsern Friedrich selbst eben eingesenkt hat. Weibliche Verwandtinnen sitzen am nächsten Grabhügel und weinen; der Geistliche hält eben die Gedächtniß-Rede. Aus dem Grabe schwebt im Lichtstrahl die Seele als Schmetterling aufwärts, und gesellt sich zu mehreren in den obern Regionen flatternden Psychen. – Man kann nicht ohne Wehmuth dem jungen lebenden Künstler gegenüber, diese melancholisch-gemüthvolle Composition betrachten.
Zur Aufheiterung zeigte uns Fr. einen Cyclus von vier Landschaften, reich an poetischer Erfindung, worin er die vier Tages- und Jahreszeiten, so wie die vier Perioden des menschlichen Lebens vom Kinde bis zur Auflösung im Alter durch eingeflochtene Staffage, so wie durch die ganze Haltung der Landschaften, höchst genialisch bezeichnete. Bitte unsern verehrten F – w darum, sein beredter Mund wird sie Dir besser als ich entwickeln.

Lebe wohl, Gustav. Verläßt mich das Flußfieber, was mich jetzt gefesselt hält, bald, und ich kann noch einige Künstler hier besuchen, so erhältst Du einen zweiten Brief. –

C. B.     




  1. Ein anderes verdienstvolles Gemälde, denselben Gegenstand, wie Hr. Hartmann behandelnd, vom Hrn. Rösler, hat ein Kunstfreund in der Beurtheilung der Dresdner Ausstellung in diesem Journalstück bereits unpartheiisch erwähnt, deswegen ich die darüber angeführte Stelle wegstreiche. – Herrn Matthäi des jüngern Ermordung des Egisthus, muß ich gestehen, hat mich nicht so gefesselt, wie jenen Kunstfreund. Ich möchte das Bild der Nebensachen wegen schön finden. Allein die Hauptgruppe, wo mit Tiegerwuth Orest und Pylades den Egisthus nicht zu ermorden, sondern zu erwürgen und zu zerfleischen scheinen, wo die krampfhaften Verzuckungen der Hauptgruppe an die Karikatur gränzen, kann ich unmöglich schön finden.
    Spätere Anmerkung.