Textdaten
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Autor: Adolf Loos
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Titel: Kulturentartung
Untertitel:
aus: Adolf Loos: Sämtliche Schriften in zwei Bänden – Erster Band, herausgegeben von Franz Glück, Wien, München: Herold 1962, S. 271–275
Herausgeber: Franz Glück (1899–1981)
Auflage:
Entstehungsdatum: 1908
Erscheinungsdatum: 1962
Verlag: Herold
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Erscheinungsort: Wien
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft: erstdruck nicht aufgefunden, und daher möglicherweise in „trotzdem“ zum ersten mal gedruckt. Wohl für den „märz“ geschrieben.

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KULTURENTARTUNG
(1908)

Hermann Muthesius, dem wir eine reihe instruktiver bücher über englisches leben und wohnen verdanken, hat die ziele des deutschen werkbundes dargelegt und seine existenz zu begründen versucht. Die ziele sind gut. Aber gerade der deutsche werkbund wird sie nie erreichen.

Gerade der deutsche werkbund nicht. Die mitglieder dieses bundes sind menschen, die versuchen, an die stelle unsrer gegenwärtigen kultur eine andre zu setzen. Warum sie das tun, weiß ich nicht. Aber ich weiß, daß es ihnen nicht gelingen wird. In die speichen des rollenden rades der zeit hat noch niemand mit plumper hand einzugreifen versucht, ohne daß ihm die hand weggerissen wurde.

Wir haben unsere kultur, unsere formen, in denen sich unser leben abspielt, und die gebrauchsgegenstände, die uns dieses leben ermöglichen. Kein mensch, auch kein verein, schuf uns unsere schränke, unsere zigarettendosen, unsere schmuckstücke. Die zeit schuf sie uns. Sie ändern sich von jahr zu jahr, von tag zu tag, von stunde zu stunde. Denn von stunde zu stunde ändern wir uns, unsere anschauungen, unsere gewohnheiten. Und dadurch ändert sich unsere kultur. Aber die leute vom werkbund verwechseln ursache und wirkung. Wir sitzen nicht so, weil ein Tischler einen sessel so oder so konstruiert hat, sondern der tischler macht den sessel so, weil wir so oder so sitzen wollen. Und daher ist – zur freude eines jeden, der unsere kultur liebt, – die tätigkeit des werkbundes wirkungslos.

Man kann die ziele des deutschen werkbundes nach Muthesius in zwei worte fassen: güte der arbeit, schaffung [272] des stiles unserer zeit. Diese ziele sind ein ziel. Denn wer im stile unserer zeit arbeitet, arbeitet gut. Und wer nicht im stile unserer zeit arbeitet, arbeitet schlampig und schlecht. Und das ist recht so. Denn schlechte form – so nenne ich die, die nicht dem stile unserer zeit gemäß ist, – wirkt versöhnlich, wenn man das gefühl hat, daß sie doch bald hin wird. Wenn aber der schund für die ewigkeit gearbeitet wird, dann wirkt er doppelt unästhetisch.

Der bund will dinge, die nicht im stile unserer zeit sind, für die ewigkeit arbeiten. Das ist schlecht. Aber Muthesius sagt auch, daß durch das zusammenarbeiten im deutschen werkbund der stil unserer zeit gefunden werden soll.

Das ist unnötige arbeit. Den stil unserer zeit haben wir ja. Wir haben ihn überall dort, wo der künstler, also das mitglied jenes bundes, bisher seine nase noch nicht hineingesteckt hat. Vor zehn jahren gingen diese künstler auf neue eroberungen aus und versuchten, nachdem sie schon die tischlerei heruntergebracht hatten, sich der schneiderei zu bemächtigen. Die mitglieder des damals noch nicht bestehenden bundes gehörten der Secession an, trugen gehröcke in schottischen stoffen mit samtaufschlägen und steckten ein stück pappendeckel in den stehumlegkragen – marke „ver sacrum“ –, das, mit schwarzer seide überzogen, die illusion einer dreimal um den hals gebundenen krawatte erweckte. Mit einigen kräftigen aufsätzen[H 2] über diese fragen trieb ich die herren aus der schneider- und schusterwerkstatt und rettete auch andere noch nicht von den „künstlern“ verseuchte gewerbe vor der unerbetenen invasion. Der schneidermeister, der sich diesen kultur- und kunstbestrebungen so [273] willfährig gezeigt hatte, wurde verlassen, und die herren nahmen ein abonnement bei einem renommierten wiener schneider.

Wird man leugnen wollen, daß unsere lederwaren im stile unserer zeit sind?! Und unsere eßbestecke und gläser?! Und unsere badewannen und amerikanischen waschtische?! Und unsere werkzeuge und maschinen?! Und alles, alles – es sei wieder gesagt –, was den künstlern nicht in die hände gefallen ist!

Sind diese sachen schön? Ich frage nicht danach. Sie sind im geiste unserer zeit und daher richtig. Sie hätten niemals in eine andere zeit hineingepaßt und hätten auch nicht von anderen völkern verwendet werden können. Folglich sind sie im stile unserer zeit. Und wir in Österreich können uns in dem stolzen bewußtsein wiegen, daß diese dinge, außer in England, in keinem lande des erdballs in gleicher güte erzeugt werden.

Aber ich gehe weiter. Ich sage es frei heraus, daß ich meine glatte, leicht gebogene, exakt gearbeitete zigarettendose schön finde, daß sie mir ein inniges ästhetisches vergnügen bereitet, während ich die von einer dem werkbunde angehörigen werkstätte (entwurf professor soundso) gearbeitete scheußlich finde. Und wer einen stock mit silbernem griff aus solcher manufaktur trägt, ist für mich kein gentleman.

Die dinge, die in kultivierten ländern im stile unserer zeit – den der deutsche werkbund erst suchen will – gearbeitet werden, betragen rund gerechnet neunzig prozent. Zehn prozent – dazu gehört unsere tischlerarbeit – sind uns durch die künstler verlorengegangen. Gewiß, diese zehn prozent gilt es wieder zu gewinnen. Man muß nur selbst im stile unserer zeit fühlen und denken. Das [274] andre macht sich dann von selbst. Für die modernen menschen kann man das Hans Sachs-wort variieren: die zeit, die sang für sie.

Vor zehn jahren, gleichzeitig mit dem Café Museum, schuf Josef Hoffmann, der den deutschen werkbund in Wien vertritt, die inneneinrichtung des verkaufsladens der apollokerzenfabrik am hof. Man pries das werk als einen ausdruck unserer zeit. Heute wird das niemand mehr behaupten wollen. Die distanz von zehn jahren hat uns gezeigt, daß es ein irrtum war. Und so wird man nach weiteren zehn jahren klar und deutlich sehen, daß die heutigen arbeiten in dieser richtung mit dem stile unserer tage nichts gemein haben. Gewiß, Hoffmann hat die laubsägearbeit seit dem Café Museum aufgegeben und hat sich, was die konstruktion anlangt, meiner art genähert. Aber heute noch glaubt er, mit merkwürdigen beizen, mit aufpatronierten und eingelegten ornamenten seine möbel verschönern zu können. Der moderne mensch jedoch hält ein untätowiertes antlitz für schöner als ein tätowiertes, und wenn die tätowierung von Michelangelo selber herrühren sollte. Und mit dem nachtkästchen hält er es ebenso.

Um den stil unserer zeit finden zu können, muß man ein moderner mensch sein. Aber menschen, die jene dinge, die bereits im stile unserer zeit sind, zu ändern suchen oder andere formen an ihre stelle setzen möchten – ich verweise nur auf eßbestecke – zeigen damit, daß sie den stil unserer zeit nicht erkennen. Sie werden vergeblich danach suchen.

Vor allem aber empfindet der moderne mensch die verquickung der kunst mit dem gebrauchsgegenstande als die stärkste erniedrigung, die man ihr antun kann. [275] Goethe war ein moderner mensch. Ich vermisse sein wort – er und Bacon und Ruskin und könig Salomo werden auf der mauer der kunstschau zitiert –, das vor allem wegen seines direkten hinweises dort nicht fehlen dürfte: „Die kunst, die dem alten seine fußboden bereitete und dem christen seine kirchenhimmel wölbte, wird jetzt auf dosen und armbänder verkrümelt. Diese zeiten sind schlechter als man denkt.“

Anmerkungen (H)

  1. [457] Das originalmanuskript enthält eine anmerkung über die wiener festzugsbauten, von der aber das ende abgerissen ist. Der erhaltene text lautet: „Man denke sich die wiener festzugsbauten in stein und bronze. Nur der gedanke, daß der schund in einigen tagen abgetragen würde, daß er nicht als ewiges denkmal zur schande unserer stadt bestehen bleibe, hat es vermocht …“
  2. [457] siehe die aufsätze über die jubiläums-ausstellung von 1898 in diesem bande.