Textdaten
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Autor: Adolf Loos
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Titel: Kultur (Loos)
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aus: Adolf Loos: Sämtliche Schriften in zwei Bänden – Erster Band, herausgegeben von Franz Glück, Wien, München: Herold 1962, S. 263–266
Herausgeber: Franz Glück (1899–1981)
Auflage:
Entstehungsdatum: 1908
Erscheinungsdatum: 1962
Verlag: Herold
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Erscheinungsort: Wien
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Originalsubtitel:
Originalherkunft: erstdruck in der zeitschrift „märz, halbmonatsschrift für deutsche kultur“, herausgeber Ludwig Thoma, Hermann Hesse, Albert Langen, Kurt Aram, zweiter jahrgang, 1908, heft 20, zweites oktober-heft, s. 134. Dieser aufsatz sollte eigentlich, chronologisch richtig, mit dem aufsatz „die überflüssigen“ den platz tauschen.
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[263]
KULTUR
(1908)

Es mag für den deutschen nicht sehr angenehm sein, zu hören, er solle seine eigene kultur aufgeben und die englische annehmen. Aber das hört der bulgare auch nicht gern und der chinese noch weniger. Mit sentimentalitäten ist dieser frage nicht heizukommen. Der ruf nach einem nationaldeutschen stil mag in unklaren köpfen bei der kleidung noch einige verwirrung anrichten, auch bei betten und nachttöpfen. Aber bei kanonen herrschen die englischen formen.

Der deutsche mag sich überdies trösten. Es ist seine eigene kultur, der die engländer im neunzehnten jahrhundert die bahn brechen. Es ist die germanische kultur, die im inselreiche wie ein mammut in den tundren unversehrt in eis gehalten wurde und nun frisch und lebendig alle übrigen kulturen niederstampft. Im zwanzigsten Jahrhundert wird nur eine kultur den erdball beherrschen.

In alten zeiten hatten viele kulturen friedlich nebeneinander platz. Von jahrtausend zu jahrtausend, von jahrhundert zu jahrhundert verringerten sich die kulturen. Im fünfzehnten jahrhundert verloren die germanischen völker ihre kultur und wurden gezwungen, die romanische anzunehmen, die bis zum neunzehnten jahrhundert Europa beherrschte. Ich habe vor zehn jahren[H 1] diese bei den kulturen zu charakterisieren versucht. Die romanische: die kultur der katze, die germanische: die kultur des schweines.

Das schwein ist des germanen vornehmstes haustier. Es ist das reinlichste tier, wie der germane unter den [264] europäern der reinlichste mensch ist. Es ist ein wassertier. Wasser ist ihm ein so starkes bedürfnis, daß es keinen halben tag ohne bad aushalten kann. Der begriff der reinlichkeit ist wohl jedem tiere fremd, aber die haut des schweines dürstet nach feuchtigkeit. Die romanen und orientalen haben dafür kein verständnis, und so verkommt das schwein bei ihnen und wird gezwungen – es ist die unerhörteste tierquälerei –, sich in seinem eigenen unrat zu wälzen. Und bei den juden gilt das schwein gar als unrein. Beim deutschen bauern schläft es mit der familie. Es ist von allen tieren das unentbehrlichste. Seine haut ist nackt wie die der menschen. Und die anatomen studierten, bevor sie sich an den menschlichen leichnam wagten, am schwein.

Der romane ist, wie ich sagte, anderer ansicht. Das schwein macht sich schmutzig und geht nachher ins wasser. Romanische kultur predigt: Mache dich nicht schmutzig, dann brauchst du kein wasser. Es war schon ein romanisierter germane, der sein söhnchen lehrte: Das muß ein schönes schwein sein, das sich alle tage waschen muß. Das kulturideal der romanen ist die katze. Die katze ist ein richtiges drecktier. Von allen tieren haßt sie das wasser am meisten. Den ganzen tag über leckt sie den schmutz, der sich an ihrem fell ansammelt, und daher geht sie jedem schmutz ängstlich aus dem wege. Der engländer aber, der repräsentant der germanischen kultur, macht sich immer schmutzig. Im stall, zu pferde, im feld, in wald und flur, auf bergen und yachten. Er greift überall selbst zu und überläßt das nicht bezahlten knechten. Er reitet. Der romane läßt sich vorreiten. Fuchsjagd und karussel. Der engländer lehrte uns, unsere berge zu besteigen, und tausend dinge, bei denen man sich [265] schmutzig macht. Aber er badet heute noch, so wie unsere vorfahren im vierzehnten jahrhundert. Auch auf dem inselreiche haben zwei kulturen nebeneinander durch jahrtausende platz gehabt, die englische und die schottische. Die schottische erwies sich als die stärkere, da sie der germanischen kulturanschauung mehr entspricht. Die engländer sind schotten geworden.

Die engländer sind ackerbauern, die schotten viehzüchter. Der germane fühlt sich am wohlsten im gebirge. Hier behält er seine eigenart am besten. Der pflug kam durch die slawen nach Europa, wie denn auch den pflug in allen germanischen sprachen ein slawisches wort bezeichnet. Er verlangt die ebene, und der mann, der hinter dem pflug geht, braucht hohe stiefel, mit denen man wohl reiten, aber schlecht marschieren kann. Die germanen aber sind ein marschvolk. Der germane trägt den bundschuh. Zu pferde tuts ein leibriemen. Wer aber schnürschuhe trägt und marschiert, braucht hosenträger. Wer reitet, braucht seine knie und schenkel nicht und trägt sie im engen futteral. Wer aber marschiert, der braucht freie knie und weite hosen. Oder am besten gar keine.

In der ebene braucht man glattes tuch, in den bergen rauhes. Die kleidung Werthers ist tot. Sie hatte noch zu viel slawisches. Reithosen und reitstiefel, blauer tuchrock und reithut. Diese kleidung starb daran, daß man sie zur festkleidung bestimmte. Sie wurde zum frackanzug, der in der kultivierten welt das tageslicht scheut, den aber der deutsche professor noch heute zum gaudium der straßenjugend trägt, wenn er zu seinem minister geht.

Doch der neue Werther verblüfft die welt in schnürschuhen und schottischen strümpfen, kniehose und rock aus rauhem stoff. Bis nach hundert jahren der deutsche [266] professor in diesem kleide seine aufwartung beim minister machen wird. Dann aber wird Lotten ein mann entgegentreten, der eine weite hose bis unter die achselhöhle trägt, durch achselspangen festgehalten.

Der amerikanische arbeiter hat die welt erobert.

Der mann im overall.

Anmerkungen (H)

  1. [456] siehe den aufsatz „die plumber“, s. 70 ff. dieses bandes.