Der schönste Innenraum… in Wien
Der schönste innenraum: der Stephansdom. Sage ich damit etwas altes? Umso besser. Man kann es nicht oft genug sagen: wir haben den weihevollsten kirchenraum der welt. Das ist kein totes inventarstück, das wir von unseren vätern übernommen haben. Dieser raum erzählt uns unsere geschichte. Alle generationen haben daran mitgearbeitet, alle in ihrer sprache. Bis auf die unsere – denn die kann ihre sprache nicht sprechen. Und so ist dieser raum am herrlichsten, wenn die mitarbeiterschaft der letzten vierzig jahre nicht zu worte kommt. In der dämmerung, wenn man der kirchenfenster nicht gewahr wird. Dann aber strömt dieser raum auf einen ein, daß man – - -. Ich sehe, ich kann mich nicht ausdrücken, wie er wirkt. Aber vielleicht beobachte jeder das gefühl, das ihn erfaßt hat, wenn er nach dem durchschreiten die straße betritt. Es ist stärker als nach der fünften von Beethoven. Die dauert eine halbe stunde. St. Stephan braucht dazu eine halbe minute.
Der schönste palast: palais Liechtenstein in der bankgasse. Er ist so ganz unwienerisch, hat nichts von dem kleinlichen wiener barockstil. In dieser verzwickten kleinlichkeit mögen andere vorzüge erblicken. Hier tönt uns die machtvolle sprache Roms entgegen, unverfälscht, ohne die schnarrenden nebengeräusche eines deutschen grammophons. Geht vom Minoritenplatz durch die
[Abb]erbaut nach entwurf von Domenico Martinelli
einem alten Kloster, 1913 abgerissen
[262] Abraham a Santa Clara-gasse zu diesem gebäude und hebt vor dem portal den kopf.
Das schönste sterbende gebäude: das kriegsministerium am hof. Oh, seht es euch gut an, ihr wiener, denn bald wird es nicht mehr sein. Jeder weiß, daß es bald fallen wird, aber keine hand erhebt sich, diesem frevel einhalt zu tun. Nun gut, so saugt euch den hof jetzt noch mit blicken ein, damit ihr ihn im herzen aufbewahren könnt. Dieses gebäude gibt den grundakkord für den platz. Ohne dieses gebäude gibt es keinen platz am hof mehr.
Das schönste neue gebäude. Zittert man nicht, wenn ein haus der inneren stadt abgebrochen wird, bei dem gedanken, welche scheußlichkeit sich an seiner stelle breit machen wird? Und so zitterte auch ich, als im vorjahre das eckhaus kärntnerstraße und himmelpfortgasse fiel. Aber welche freude: es erstand ein bau, der sich vorzüglich in den geist der kärntnerstraße einfügt, der wie die fortsetzung des alten inneren stadtstiles klingt, bescheiden, ruhig, vornehm. Dieses haus wird nicht in den kunstzeitungen abgebildet werden, man hält es nicht für künstlerisch genug. Und das, was die leute modern nennen, also ordinär, ist es auch nicht. Aber der mann im korrekten frack und der baumeister dieses hauses werden sich beide zu trösten wissen, wenn sie die provinzschneiderkommis und die modernen architekten unmodern schelten. Ich aber sage dem unbekannten erbauer meinen dank.
Der schönste spaziergang: der Beethovengang in Heiligenstadt im vorfrühling.
[Abb]in Wien. Eisenbeton, 1906/7 erbaut von stadtbaumeister