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DER SCHÖNSTE INNENRAUM, DER SCHÖNSTE PALAST, DAS SCHÖNSTE STERBENDE GEBÄUDE, DAS SCHÖNSTE NEUE GEBÄUDE, DER SCHÖNSTE SPAZIERGANG IN WIEN
Beantwortung einer rundfrage
(1907)

Der schönste innenraum: der Stephansdom. Sage ich damit etwas altes? Umso besser. Man kann es nicht oft genug sagen: wir haben den weihevollsten kirchenraum der welt. Das ist kein totes inventarstück, das wir von unseren vätern übernommen haben. Dieser raum erzählt uns unsere geschichte. Alle generationen haben daran mitgearbeitet, alle in ihrer sprache. Bis auf die unsere – denn die kann ihre sprache nicht sprechen. Und so ist dieser raum am herrlichsten, wenn die mitarbeiterschaft der letzten vierzig jahre nicht zu worte kommt. In der dämmerung, wenn man der kirchenfenster nicht gewahr wird. Dann aber strömt dieser raum auf einen ein, daß man – - -. Ich sehe, ich kann mich nicht ausdrücken, wie er wirkt. Aber vielleicht beobachte jeder das gefühl, das ihn erfaßt hat, wenn er nach dem durchschreiten die straße betritt. Es ist stärker als nach der fünften von Beethoven. Die dauert eine halbe stunde. St. Stephan braucht dazu eine halbe minute.

Der schönste palast: palais Liechtenstein in der bankgasse. Er ist so ganz unwienerisch, hat nichts von dem kleinlichen wiener barockstil. In dieser verzwickten kleinlichkeit mögen andere vorzüge erblicken. Hier tönt uns die machtvolle sprache Roms entgegen, unverfälscht, ohne die schnarrenden nebengeräusche eines deutschen grammophons. Geht vom Minoritenplatz durch die

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Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/260&oldid=- (Version vom 1.8.2018)