Textdaten
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Autor: Julius von Wickede
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Titel: Kriegerleben in Algerien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18–19, S. 206–209;219–221
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[206]
Kriegerleben in Algerien.[1]
Von Julius v. Wickede.

Noch standen am heutigen Morgen die Sternbilder an dem tiefdunkelblauen afrikanischen Himmel, da schmetterten schon die Trompeten das Signal zum Antreten und mit lautem „vite, vite, sacre nom de dieu!“ und ähnlichen Flüchen trieben die ungeduldigen Capitaine und Lieutenants ihre Soldaten in die Reihen. Glaubten die Chasseurs doch selbst schon, in nächster Stunde vielleicht würde es wieder ein tüchtiges Gefecht mit den Kabylen geben, und nicht wenig trug diese Hoffnung dazu bei, ihren frohen Eifer zu vermehren. Gar manche der braven Bursche hatten sich nicht einmal Zeit gelassen, ihren schwarzen Kaffee, der im Feldkessel am Wachtfeuer gekocht, ohne Milch und Zucker das Frühstück bildete, in Eile hinunterzustürzen, sondern traten den Marsch in gänzlicher Nüchternheit an, höchstens ein trocknes Stücklein des steinharten alten Schiffszwiebacks, von dem jeder Soldat eine Portion bei sich trug, mit höchster Anstrengung der Zähne beim Marschiren selbst zerkauend. Was denkt aber der Chasseur in Algerien auch viel an Frühstück und anderweitige Bedürfnisse, wenn er nur Hoffnung hat, seine Büchse tüchtig auf die verhaßten Kabylen, die schon so viele seiner Kameraden heimlich überfallen, und dann ohne Weiteres grausam ermordet haben, abfeuern zu können. Diesmal aber sollte diese Hoffnung gar arg getäuscht werden, denn viele Stunden schon, Berg auf, Berg ab, in den steinigen Schluchten des Atlas hatte der Marsch gedauert, und von den Feinden wollte sich auch nicht die mindeste Spur entdecken lassen. Was half es, wenn die Patrouillen, die vorn und zu beiden Seiten marschirten, auch noch so eifrig spähten und spähten, auch nicht das leiseste Zeichen von irgend einem Kabylen konnten sie entdecken. Schien es doch wirklich, als wenn die ganze Gegend auf viele Meilen weit und breit ganz von Feinden leer wäre, so wenig ließ sich eben eine Spur von denselben auffinden und doch war vor einigen Tagen noch durch theuer bezahlte und daher zuverlässige Späher die sichere Nachricht gebracht worden, daß ein sehr starker feindlicher Trupp in räuberischer Absicht hier in der Gegend herumschweife. Aber in der Kunst, gerade da zu sein, wo man sie am Wenigsten erwartet, hingegen sich jeder etwaigen Aufsuchung auf das Schlauste zu entziehen, haben es die Kabylen und Hajuten in Algerien wirklich zu einer außerordentlichen Vollkommenheit gebracht und gerade dies verleiht ihnen eine weit höhere feindliche Bedeutung, wie alle ihre anderweitigen kriegerischen Eigenschaften.

Wollten die Kabylen sich aber an dem Morgen nicht zeigen, so wurden die Chasseurs bald von einem andern, ihnen ungleich unangenehmeren Feind geplagt, nämlich der immer mehr steigenden Sonnenhitze. Die ersten drei bis vier Stunden war der Marsch wirklich angenehm gewesen, denn kühl und kräftigend wehte die Morgenluft, geschwängert mit Wohlgerüchen aller Art, aus den vielen blühenden Sträuchen und Blumen an den Bergabhängen. Aber schon gegen neun Uhr fing die Sonne an immer glühender und glühender zu werden, immer senkrechter fielen ihre Strahlen auf die armen Chasseurs; dazu marschirte man jetzt in einem engen Thal, auf beiden Seiten von steilen Felsenwänden eingeschlossen, so daß auch nicht der mindeste Luftzug eindringen und die furchtbare Hitze etwas mildern konnte. Wirklich als wenn man in einem Schmelzofen sich befände, so drückend war die Luft, so sehr widerstrebte förmlich die Lunge, dieselbe einzuathmen, und mit schwerem Druck legte sich diese Gluthitze auf den ganzen Körper. Dazu mußten die Chasseurs den vollgepackten Tornister mit darauf befestigtem gerollten Capotemantel, die mit achtundvierzig scharfen Patronen gefüllte Cartouche, den Brotsack mit Zwieback, Reis und etwas gesalzenem Hammelfleisch auf zwei Tage und ihre sämmtlichen Waffen mit sich herumschleppen. Wie trieften aber auch dieselben vor Schweiß, gleichsam als wenn sie aus dem Wasser gezogen wären, so durch und durch geschwitzt von oben bis unten waren die Meisten von ihnen. Noch aber marschirten Alle rüstig, wenn auch gerade nicht mehr lustig, fort, und wenn auch die frohen Gesänge und muntern Witzeleien, die man anfänglich hören konnte, allmälig immer mehr und mehr verstummten, zu lauten Klagen ober Murren war es bisher noch nicht gekommen. Waren die Chasseurs, größtentheils Söhne der französischen Baskenlande oder der Provence und Gascogne, hier und da auch von Corsika, doch schon von Jugend auf an ziemliche Hitze gewöhnt, und ein zweijähriges Feldleben in Algerien hatte sie außerdem schon recht sehr im Ertragen von Strapazen und Beschwerden aller Art abgehärtet. Was solchen Mühseligkeiten nicht gewachsen war, hatte man entweder zum Depôt nach Frankreich zurückgeschickt, oder der Tod hatte in den Lazareths eine schnelle Beute daran gefunden, der Rest aber, der am heutigen Tage den Eilmarsch machen mußte, konnte schon etwas vertragen und war durch und durch abgehärtet. Wollte aber wirklich ein oder der andere Chasseur sich allzusehr dem Eindruck der Hitze oder gar der Müdigkeit hingeben, so erhielt er so kräftige Ermahnungen von den Offizieren und Unteroffizieren, oder ward gar mit solcher Menge von Flüchen und Strafdrohungen von denselben überschüttet, daß er gewiß seine äußersten Kräfte anspannte, um noch rüstig mit fortmarschiren zu können. Der französische Soldat wird im Dienst stets sehr strenge und rücksichtslos behandelt und von Schonung desselben ist in Algerien nie viel die Rede.

Immer steiler und beschwerlicher ward nun aber der Weg, immer glühender und glühender fielen die Sonnenstrahlen in den engen Bergkessel. So ungeduldig der Commandant, der auf seinem kleinen muthigen Berberhengst vorn an der Spitze der Kolonne ritt und oft mit einem unwilligen en avant, en avant!“ die Marschirenden zur größeren Eile antrieb, auch oft auf seine Uhr sah, denn es schien, als müsse er zur vorgeschriebenen Stunde ein bestimmtes Ziel erreichen, so wollte es doch nicht gelingen, den Marsch noch mehr zu beschleunigen. Endlich gegen Mittag,

[207]
Das französisch-afrikanische Hülfskorps nach dem Orient.

Chasseur d’Afrique.  Artillerie.  Spahis.  Zouave.
 Leichte Infanterie.
Chasseur d’Orleans.  Tirailleur der Eingebornen.

wo wirklich die Hitze eine fast unerträgliche Höhe erreicht hatte, und selbst die Läufe der Büchsen von den Sonnenstrahlen so erhitzt waren, daß man kaum noch die bloße Hand darauf legen konnte, mußte der Commandant sogar das Signal zum Halt und dann zur Rast geben lassen. Wenn er auch einige tüchtige Flüche dabei wetterte, es half doch nichts, gerastet mußte einige Zeit werden, oder die Mannschaft wäre zu Grunde gegangen. Drei Stunden wurden zur Ruhe bestimmt, dann sollte der Marsch wieder fortgesetzt werden, und zwei Drittel der Soldaten durfte in dieser Zeit sich dem Schlafe hingeben, während abwechselnd das [208] übrige Drittel mit der Büchse in der Hand wach bleiben mußte, um einen etwaigen heimlichen Ueberfall der Kabylen zu verhüten. Gerade solche von starken Märschen und großer Hitze erschöpfte Mannschaft heimlich zu überfallen und dann ohne Weiteres niederzuhauen, pflegen die Kabylen gar sehr zu lieben, und führen solche That häufig mit nicht geringer Schlauheit und Schnelligkeit aus. Gar viele französische Soldaten in Algerien sind auf diese Weise schon der Rachsucht ihrer unermüdlichen Feinde zum Opfer gefallen.

So wie die Mannschaft Halt gemacht hatte, war es das erste Geschäft aller Chasseurs, sich der von Schweiß triefenden Uniformen und der Wäsche zu entledigen und solche zum Trocknen in der Sonne auf dem Boden auszubreiten, während sie selbst, sonst fast ganz nackt, nur die langen dicken Mäntel anbehielten. Solche Trocknung der Kleider ist fast die einzige Behaglichkeit, die sich der Soldat bei den Streifzügen in Algerien verschaffen kann, und wenn irgend Zeit oder Umstände es erlauben, pflegt man dieselbe nie zu unterlassen, da es nicht allein sehr unbehaglich, sondern für die Gesundheit auch schädlich ist, sich gänzlich naß zum Schlafen hinzulegen. Während nun ein Drittel der Soldaten dies Geschäft besorgte, ein anderes Drittel, die Büchsen in der Hand, als Postenkette um den ganzen Lagerplatz ausgestellt wurde, war das letzte Drittel beschäftigt in aller Eile möglichst viele grüne Büsche und Sträucher, die an der Bergwand wuchsen, mit den Hirschfängern abzuhauen. Kaum einige Minuten dauerte es – denn französische Chasseurs, die bereits mehrere Jahre in Algerien stehen, sind in allen solchen Verrichtungen ungemein gewandt und schnell – so kamen die Ausgeschickten schon, mit ganzen Armen voll solcher grünen Sträucher wieder daher. Kleine Hütten, eben groß genug, daß zwei Mann mit Kopf und Brust darunter kriechen und so Schutz vor den Sonnenstrahlen finden konnten, wurden nun schnell zusammengeflochten, und so wie dies geschehen, legte sich die gesammte Mannschaft, mit Ausnahme der Wachen, zum Schlafen nieder. Förmlich in Reih und Glied, nach den Compagnien geordnet, standen diese kleinen grünen Hütten, in denen immer zu zwei und zwei Chasseurs zusammen bis an die Brust sich verkrochen, während sie die Beine lang daraus hervorstreckten. Der Tornister wurde zum Kopfkissen genommen, ein Sacktuch noch über das Gesicht gebreitet, um solches besser gegen die Sonnenstrahlen, die sich durch die einzelnen Löcher der Laubgeflechte hindurchdrängten, zu schützen, und alle Vorbereitungen zum Schlafen waren fertig. Nicht über zehn Minuten dauerte es, nachdem die Glieder auseinandergetreten waren, und im festen Schlummer versunken, lagen schon Alle lang ausgestreckt auf dem harten Felsboden, der ihnen jetzt eine mehr ersehnte Ruhestätte darbot, wie es das beste Bett je gethan hatte. Nur die armen Doppelposten, die unablässig in bestimmter Weite auf und niederschritten, mußten wach bleiben, und warfen oft mit müden Augen gar neidische Blicke auf ihre schon so sanft schlafenden Kameraden. Wollte aber ein solcher Posten auch nur einen Augenblick stehen bleiben, so trieb sogleich der laute, gerade nicht allzu freundliche Zuruf der wachhabenden Offiziere ihn wieder zur munteren Bewegung an. Es ist das einzige Mittel, um solche sehr ermüdeten Soldaten, die auf Posten sind, vor dem Einschlafen zu schützen, daß man ihnen nie gestattet, auch nur eine Minute stehen zu bleiben, sondern sie unaufhörlich in Bewegung erhält. Von dem Munterbleiben und der beständigen Aufmerksamkeit dieser Posten hängt aber die Sicherheit der ganzen Mannschaft ab, denn auf dem Bauche im Gebüsche fortkriechend und mit der Schnelligkeit und Geräuschlosigkeit einer Schlange sich nähernd, suchen die Kabylen oft heranzuschleichen, um die sich unbesorgt der Ruhe hingebenden Soldaten niederzuhauen. Jede und auch nur die allergeringste Vernachlässigung bei diesem Wachdienst wird daher in Algerien ungemein hart bestraft und selbst die Offiziere, die zur Aufsicht commandirt sind, trifft nicht geringe Verantwortlichkeit, sobald sie ihre Pflicht nur im Allermindesten vernachlässigen. So ein Felddienst auf den äußersten Grenzen Algeriens, in der Nähe der Kabylen, ist weder für die Offiziere noch Soldaten eine Kleinigkeit, sondern erfordert nicht geringe Anstrengungen aller Art.

Nach drei Stunden, von denen jeder Chasseur zwei Stunden geschlafen und eine Stunde Posten gestanden hatte, wurde wieder zum Antreten geblasen und mit der großen Schnelligkeit, welche französischen leichten Truppen eigen ist, standen die Compagnien bald wieder geordnet. Welch’ sehnsüchtige Blicke warfen manche Chasseurs noch nach den kleinen grünen Hüttchen, deren Zweige übrigens schon von der Sonnenhitze schnell verdorrt aussahen und wie gern hätten sie noch einige Stunden so fortgeschlafen, aber wehe dem noch Müden, der nicht mit der vollsten Aufmerksamkeit jetzt wieder auf den Dienst achtete oder gar noch etwas schläfrig sich zeigte, derbe Flüche, oder gar selbst einige Strafwachen würden ihm gewiß zu Theil. Mit neuer Eile ging es jetzt wieder fort, Berg auf, Berg ab, und der Commandant schien das durch die Mittagsrast Versäumte möglichst nachholen zu wollen, so unablässig konnte man sein Allons donc vite, vite, sacre dieu vorn an der Spitze der Kolonne vernehmen, sobald der Marsch nur einen Augenblick stocken wollte, da der ungebahnte Weg allzugroße Hindernisse darbot.

Schon eine Stunde war man wieder so fortmarschirt, da tauchten am fernen Horizont, wo die Thalschlucht auf einer großen Hochebene ausmündete, plötzlich mehrere Reiter auf. Mit Spannung sah die Tête der marschirenden Soldaten auf diese Gestalten, und selbst der Commandant hielt seinen Hengst eine Weile an, um das kleine Handfernglas besser vor die Augen bringen zu können. Nur fünf Reiter waren es, die in vollem Lauf ihrer Rosse über die Ebene dahergebraust kamen, und bald konnte man sie an ihren weitflatternden rothen Burnussen als Spahis in französischen Diensten erkennen. Es war gewiß eine gar wichtige Meldung, welche dieselben brachten, denn gleich Schimmeln fast, so waren ihre Rosse von Schaum weiß gefärbt und doch konnte man jetzt immer deutlicher und deutlicher erkennen, wie heftig die Reiter die scharfen Räder ihrer Bügelschaufeln den schon ermüdet scheinenden Thieren in die blutenden Flanken stießen, um solche noch immer zu rascherem Laufe anzutreiben. Beim Commandanten, der ungeduldig den Spahis entgegensprengte, um ihre Nachricht desto eher zu erfahren, angekommen, rissen diese mit heftigem Ruck ihre keuchenden Thiere fast auf die Hinterfüße zusammen, und der Aelteste derselben machte dann in schlechtem gebrochenen Französisch seine Meldung. Wahrlich, dieselbe war wichtig genug, um solche Eile zu erfordern, zugleich aber sehr unerfreulich. Ein starker Trupp Kabylen, wohl an die 200 – 300 Mann, hatte ungefähr zwei Stunden von diesem Platze entfernt, eine französische halbe Grenadier-Compagnie überfallen und auf der Stelle zusammengehauen. Die Grenadiere gehörten einem Regimente an, was erst seit wenigen Monaten aus Frankreich gekommen und deshalb noch nicht mit der eigenthümlichen Beschaffenheit der afrikanischen Kriegsführung bekannt genug war. Die starke Hitze hatte sie ermattet und zu einer Ruhe verführt, ohne daß sie dabei die nöthige Vorsicht beobachtet, sich hinlänglich durch ausgestellte Posten zu schützen. Schien die Gegend doch so ruhig und sicher zu sein, und hatten die vorher zum Rekognosciren ausgeschickten Patrouillen doch weit und breit keine Spur von irgend wie einem Feinde entdecken können, unbesorgt hatte die Mannschaft nebst den zwei Offizieren sich deshalb zum Schlafen hingelegt, und selbst die paar Schildwachen, die man ausgestellt, waren von der furchtbaren Hitze so überwältigt worden, daß sie bald nach einander auch einschliefen. Diesen Zeitraum hatten die Kabylen, die schon lange der marschirenden Truppe aus weiter Ferne nachschlichen, um womöglich die Gelegenheit zu einem heimlichen Ueberfall abzulauern, geschickt zu benutzen gewußt. Mit der ihnen eigenthümlichen Schlauheit und Geräuschlosigkeit, hatten sie sich an die Schlafenden herangeschlichen, dieselben plötzlich überfallen und dann, bevor die Ueberraschten noch rechtzeitig ihre Waffen ergreifen und sich gehörig zur Wehr setzen konnten, sie ohne Weiteres niedergehauen. So lautete die Meldung der Spahis, die den Grenadieren in einiger Entfernung nachgeritten und so dem Ueberfall glücklich entgangen waren. Uebrigens hatten die Kabylen auch sie verfolgt und zwei der Reiter bluteten aus leichten Wunden, die ihnen die nachgesandten Kugeln der Feinde zugefügt hatten, während auch das schöne, edle Roß des Einen, solche Wunde an der Brust hatte, daß es bald darauf todt niederstürzte.

Welche Aufregung brachte aber diese Nachricht unter den Chasseurs hervor! Müdigkeit und Hitze, Hunger und Durst waren auf der Stelle vergessen, nur das glühende Gefühl, die ermordeten Kameraden so bald wie möglich zu rächen, beseelte Alle. An zweihundert funfzig der kräftigsten und ausdauerndsten Chasseurs wählte der Commandant nun in aller Eile aus, obgleich fast die ganze Mannschaft sich als Freiwillige dazu meldete, und bestimmte sie, nach dem Ort des Ueberfalls hin zu marschiren, [209] während die übrigen Compagnien sich hier auf der Stelle lagern sollten. Ein klarer Bach, der hier floß, gab Wasser zum Kochen und zum Stillen des brennenden Durstes, einige mächtige Platanenbäume, die an seinen Ufern standen, gewährten der Mannschaft genügenden Schatten und machten so den Platz für dieselben zum Nachtlager sehr geeignet. Damit übrigens die zur Expedition bestimmten Chasseurs besser marschiren konnten, ließen dieselben auf Befehl des Commandanten ihre Tornister auf dem Lagerplatz zurück und nahmen nur den zusammengerollten Mantel und die Patrontasche mit, dann ging es im eiligen Schnellschritt wieder fort. Mochten die Sonnenstrahlen jetzt auch noch so heiß brennen, die braven Burschen empfanden das jetzt viel weniger, so lebendig war in ihnen das Verlangen, ihre ermordeten Kameraden zu rächen. Welch furchtbarer Anblick bot sich nun aber dem Auge dar, als man nach ungefähr 11/2 Stunden des angestrengtesten Marschirens, bei dem es wirklich zu bewundern war, daß die Leute dasselbe aushalten konnten, an dem Platze des Ueberfalles anlangte. In einer Reihe, wie zum Spott von den Kabylen ausgebreitet, lagen die Leichen der ermordeten vierzig Grenadiere, alle gänzlich nackt und ihrer Kleidungsstücke beraubt. Die Köpfe waren sämmtlichen Körpern abgeschnitten und dieselben sonst auch noch auf die empörendste Weise verstümmelt und geschändet. Manchen waren die Bäuche aufgeschnitten, so daß die Gedärme weit heraushingen, Andere hatte man ihrer sonstigen Gliedmaßen beraubt und auf die roheste Weise, die wir gar nicht beschreiben mögen, den frechsten Hohn damit getrieben. In welche Wuth brachen aber nun die Chasseurs bei diesem Anblick aus, der freilich auch jedes Herz empören mußte, wie verwünschten sie in allen möglichen Flüchen, an denen die französische Sprache so überreich ist, die feigen Mörder, und gelobten feierlichst, die blutigste Rache an denselben zu nehmen und nie wieder einem Kabylen Pardon zu schenken. Gerade durch derartige Vorkommenheiten hat der ganze kleine Krieg an den Grenzen Algeriens den sehr grausamen Charakter erhalten, den er jetzt unläugbar besitzt und der so sehr viel dazu beiträgt, selbst die französischen Soldaten, die längere Zeit an demselben Theil nehmen, mit verwildern zu helfen. Von gegenseitigem Pardongeben ist bei diesen kleinen Kämpfen und heimlichen Ueberfällen selten viel die Rede und fast immer wird jeder Feind, den man mit den Waffen in der Hand antrifft, sogleich ohne viel Umstände niedergehauen.

[219] Es war jetzt kaum eine Viertelstunde vergangen, daß die Chasseurs bei den ermordeten Grenadieren angekommen waren und trotz Hitze und Ermüdung, wollten sie sich eben mit Aufbietung ihrer letzten Kräfte anstrengen, die Spuren der Mörder zu verfolgen, um diese wo möglich noch einzuholen, als wieder ein Trupp Spahis in vollem Lauf ihrer Rosse angesprengt kam. Sie brachten eine versiegelte Meldung von dem Brigadegeneral, der den nächsten französischen Posten befehligte, und auch schon von dem Ueberfall unterrichtet war, an den Commandanten der Chasseurs, dem sie zugleich auch zur weiteren Verfügung gestellt wurden. Es war in dem Briefe ein förmlicher Operationsplan enthalten, um während der Nacht womöglich den feindlichen Kabylentrupp zu umzingeln und zu vernichten, zugleich aber auch der Befehl, daß die Chasseurs bis auf Weiteres hier lagern und während dieser Zeit die ermordeten Grenadiere möglichst sorgsam begraben sollten. So mußte denn der Durst nach Rache vorläufig noch aufgeschoben werden, was manchem gar zu ungeduldigen Chasseur gar nicht recht scheinen wollte, obgleich sie dadurch Hoffnung hatten, dieselbe auf sichere Weise befriedigen zu können. Mit regem Eifer machten die braven Bursche sich nun daran, mittelst ihrer Hirschfänger und einiger Feldbeile und Grabscheite, welche die Spahis mitgebracht hatten, eine weite Grube zu graben und da viele fleißige Hände sich dabei regten, so ward dieselbe noch vor dem bald einbrechenden Abend beendet. Sorgsam mit grünen Palmenblättern [220] und Myrthensträuchen, die an den Bergabhängen wuchsen, bedeckt, wurden die Leichen der vierzig ermordeten Soldaten nun in diese Grube gelegt und dann die Erde wieder darüber geschüttet. Zum Schutz gegen die vielen Schakals und Hyänen, die in der Gegend herumschwärmten und so gern die Leichen aus den Gräbern herauswühlten, wurden nun noch eine Menge großer Felsblöcke, die unweit davon lagen, auf diese Gruft gewälzt und dieselbe so möglichst zu schützen gesucht. In nächtlichem Dunkel mußte diese letzte Arbeit noch geschehen, so viel Zeit hatte das Graben der weiten Grube hinweggenommen. Eine dreimalige Salve aus den Büchsen von zwanzig Chasseurs krachte nun zum Schluß noch über dem Grabe und gab dem ganzen Begräbniß die letzte kriegerische Weihe. Wie manche Hoffnung der in Frankreich armen zurückgelassenen Mutter, die in dem ermordeten Sohn die letzte Stütze ihres Alters fand, mochte hier nun für immer mit Erde bedeckt sein.

Die Chasseurs hatten den ganzen Tag, außer hie und da etwas trocknen Schiffszwieback, noch nicht das Mindeste genossen und so war es denn jetzt ihre erste Sorge sich die Bivouakfeuer anzuzünden, um in den kleinen Feldkesseln etwas Reis und Hammelfleisch zu kochen. Lustig flammten denn auch bald die Feuer in den dunklen Abend hinein und der Rauch der großen Myrthensträuche, mit denen man dieselben, in Ermangelung von anderem Brennholz nährte, verbreitete einen gar eigenthümlichen Wohlgeruch. Fast wie in einer katholischen Kirche, wenn die Chorknaben den Weihrauchkessel schwenken, roch es an diesen Feuern in den fernsten Schluchten des Atlas-Gebirges. Eine außergewöhnliche Stille herrschte, aber sonst war von Lachen und Witzeleien und lustigem Gesang an diesem Abend auch nicht das Mindeste zu hören. Wie geht es sonst an den nächtlichen Bivouakfeuern der französischen Truppen in Algerien häufig so munter und vergnügt zu, und es will des Geplauders und Gesinges oft bis in die späte Nacht hinein gar kein Ende nehmen. Diesmal aber war es fast, als wenn die sonst so munteren Chasseurs finstere Trapisten geworden wären, so schweigsam und ernst verzehrten sie ihre spärliche Reisportion mit dem winzigen Stücklein gesalzenen Hammelfleisch, und selbst Michelet le bon enfant, der ewig schwatzlustige Gascogner, der beliebteste Spaßmacher des ganzen Bataillons, bei dem er als Trompeter diente, wollte heute seine sonst immer so bewegliche Zunge gar nicht recht rühren. Der gehabte Anblick der so grausam verstümmelten Leichen, der Gedanke an das traurige Ende so vieler tapferer Kameraden, hatte die Soldaten nicht wenig verstimmt. Viel mochte wohl auch die große körperliche Ermüdung und Abspannung zu dieser finsteren Schweigsamkeit derselben beitragen, denn die Chasseurs hatten heute wirklich das fast Unglaubliche geleistet und nahe an zwölf Stunden und dazu oft bei einer Hitze von gewiß einigen dreißig Grad Berg auf, Berg ab marschirt, und da wird zuletzt auch der sonst abgehärtetste Feldsoldat etwas müde in seinen Knochen und schläfrig in seinen Gedanken. Wie bald streckten sich denn auch jetzt alle Chasseurs, mit Ausnahme der vielen ausgestellten Doppelposten, an den Wachtfeuern aus, den Schlaf zu suchen und im Augenblick auch zu finden. Wußten sie doch nicht, wie lange sie denselben ungestört genießen sollten, denn daß es in dieser Nacht noch zu einem Zusammentreffen mit den Kabylen kommen werde, hofften Alle gar dringend. Gar mancherlei Vorkehrungen zu einer nächtlichen, geheimnißvollen Expedition machte der Commandant noch, wie denn auch alle Chasseurs den Befehl erhielten, sich so niederzulegen, daß sie sogleich ihre Waffen bei der Hand hätten.

Kaum drei bis vier Stunden mochte der Schlaf der Leute schon gedauert haben und die mitternächtliche Stunde eben herangekommen sein, da tönte das laute Halte-la-qui-vive eines Posten, womit er zwei sich ihm nähernde Menschen zum Stillstehen brachte. Als gute Freunde gaben dieselben sich zu erkennen und sagten dem Corporal, der beim ersten Anruf des Postens sogleich mit seiner Patrouille dahin marschirt war, die Losung, worauf dieser sie an das Bivouakfeuer des Commandanten, der von dem Ruf auch aus dem Schlafe erwacht war, hinführte. Zwei Eingeborene eines mit den Franzosen eng verbündeten Stammes waren es, die der Brigadegeneral mit heimlicher Botschaft an den Commandanten geschickt hatte. Kaum hatte derselbe den kleinen Zettel mit den wenigen in französischer Sprache darauf geschriebenen Worten mühsam bei dem Schein des nur spärlich noch fortglimmenden Wachtfeuers entziffert, als er erfreut aufsprang und mit Lebhaftigkeit den unterdeß auch munter gewordenen Offizieren, die mit ihm um dasselbe Feuer herumlagen, befahl, sogleich in aller Eile und Stille die Soldaten zu wecken, da man Hoffnung habe, endlich nun die Kabylen umzingeln zu können. Wie kam jetzt plötzlich neues Leben in alle Kreise der Soldaten, „Aux armes, aux armes, nous faisons une expedition“ hieß es halblaut von Seiten der die Schläfer aufweckenden Offiziere. Alle Müdigkeit schien bei diesen wenigen Worten unter den schnell aufspringenden Soldaten verschwunden zu sein, so hurtig regten und tummelten sich dieselben. Die Aussicht, jetzt endlich die ermordeten Kameraden rächen zu können, gab ihnen neue Kräfte wieder und in wenigen Minuten standen, trotz der großen Dunkelheit, die herrschte, die Glieder wieder geordnet da, und der Abmarsch konnte beginnen. Möglichste Geräuschlosigkeit war Allen anempfohlen worden wie auch das Rauchen aus Pfeifen und Cigarren verboten wurde. Bevor übrigens der Marsch angetreten ward, mußten alle Chasseurs noch einmal sorgfältig die Ladungen ihrer Büchsen untersuchen und die Zündhütchen aufsetzen, um sogleich zum Schießen bereit zu sein.

Es war eine schöne, tiefdunkle Nacht und die Sternbilder funkelten am wolkenlosen Himmel mit prächtigem Glanze. In den Myrthen- und Aloesträuchen, deren Blüthen oft einen balsamischen Wohlgeruch ausstreuten, blitzten Millionen hellglänzender Fruchtköcher gleich strahlenden Diamanten, und der leuchtende Schein derselben half wirklich oft mit den sonst sehr dunklen Pfad zu erhellen. Heiser heulten dabei die Schakals und Hyänen oft aus großer Nähe, gleichsam als witterten sie schon die fette Beute, die ihnen noch in dieser Nacht zu Theil werden sollte. Es war ein sehr beschwerlicher Pfad, den die Truppen, von den beiden Eingeborenen an der Spitze geleitet, jetzt machen mußten und nur im Bergsteigen wie auch nächtlichen Marschiren so geübte Soldaten, wie diese Chasseurs es waren, konnten denselben bei der tiefen Dunkelheit zurücklegen. Ein Bergstrom schien es zu sein, der im Sommer ausgetrocknet war, wie man deren in Algerien so häufig findet, in dessen Bett man marschiren mußte, und ganz mit großen und kleinen Steinen war der Weg bedeckt, die den Soldaten oft nicht geringe Hindernisse bereiteten. Immer steiler und steiler fing der Pfad allmälig an aufzusteigen, immer schwieriger und mit scharfen Felstrümmern übersäet ward der Weg. Oft tönte ein zwar nur halblautes, dafür aber desto ingrimmigere „sacristie“ oder „sacre mill de tonnerres“ oder ein „trente de dieu“ eines Provencalen aus den Gliedern der Chasseurs, wenn hie und da vielleicht ein Soldat über einen Stein gefallen war, oder sich etwa die Schienbeine arg zerschunden hatte.

Eine gute Stunde mochte diese angestrengte Kletterparthie vielleicht gedauert haben, als ein schwacher rosiger Saum am fernen Horizont verkündete, daß der Tag bald anbrechen werde, als man endlich auf einer kleinen Hochebene, die ganz von hohen Felsmassen eingeschlossen war, anlangte. Ein kalter empfindlicher Wind blies von den Gipfeln derselben und berührte unangenehm die Körper der Soldaten, die erst vor so kurzer Zeit so viel noch von Hitze hatten leiden müssen. An so etwas müssen dieselben beim algerischen Felddienst sich schon gewöhnen und bei Tage glühende Hitze, des Nachts aber eisige Kälte auf den Hochebenen der Gebirge kommt häufig vor. Eine kleine Rast ward hier vom Commandanten befohlen, denn er mußte erst ein bestimmtes Signal zum Weitermarsch abwarten, und fröstelnd hüllten sich die Soldaten sogleich in ihre weiten Capotemäntel und warfen sich dann der Länge nach so ohne Weiteres auf den Felsboden hin, um wo möglich eine Viertelstunde noch den Schlaf genießen zu können, so angegriffen waren Alle. Wie eine Katze so leise verschwand jetzt Einer der Eingeborenen, die bisher Beide als Führer gedient hatten, in der schon hier auf der Höhe etwas lichter werdenden Finsterniß, um die Gelegenheit zum Angriff gegen die Kabylen mit ausspähen zu helfen. Nach ungefähr einer halben Stunde kehrte er ebenso geräuschlos wieder zurück und die Meldung, die er dem Commandanten brachte, schien diesen nicht wenig zu befriedigen. Ganz leise und mit möglichster Vermeidung auch nur des geringsten Geräusches, wurde jetzt wieder aufgebrochen und eine gute Strecke noch auf der Ebene fortmarschirt, bis man hinter einer hervorspringenden Felswand nochmals Halt machte. Immer mehr begann jetzt übrigens die Dunkelheit zu schwinden und schon rötheten sich die oberen Spitzen der Berge in rosigem [221] Glanze und zeigten so auf zwiefach malerische Weise ihre wunderbar zerrissenen Formen. Auf der Hochebene selbst lag noch ein halbdunkler Schimmer gebreitet, der aber immer lichtgrauer und lichtgrauer ward und immer mehr einen freien Ueberblick gestattete.

Plötzlich schlängelte sich in ziemlicher Entfernung eine hellstrahlende Rakete an dem noch grauen Himmel empor, der gleich darauf eine zweite und dritte nachfolgten. Ein freudiges „Enfin“ von den Lippen des Commandanten begrüßte das schon lange von demselben erwartete Signal zum Gefecht. Jetzt zuckte ein mächtiger Flammenschein am Ende der Hochebene auf, seine rothe Gluth mit der Morgendämmerung mischend. Ein Donar (Zeltdorf) der Kabylen war es, was, von den Spahis in Brand gesteckt, aufflammte. Ein wildes Kampfgetöse, Schießen, Stechen, einzelne Commandowörter oder Trompetensignale, doch Alles so miteinander vermischt, daß man die einzelnen Töne nicht gut unterscheiden konnte, erscholl nun bald von der Flammenstätte her. Mit welch freudiger Ungeduld lauschten die Chasseurs diesen Tönen, wie gerne wären sie im raschen Lauf an den Ort des Gefechtes hingeeilt, um an demselben mit Antheil nehmen zu können, wenn nicht die strengste Disciplin sie in Reih und Glied gefesselt hätte. Doch nur wenige Minuten vergingen noch, dann sollten auch ihre Büchsen bald blutige Arbeit finden. In wilder Eile kam ein großer Trupp fliehender Kabylen über die Ebene dahergelaufen, womöglich hier einen Ausweg vor den sie verfolgenden Spahis zu finden. Ungefähr an 300 bewaffnete Männer, dann auch mehrere Weiber und Kinder, konnte man in der jetzt schon ziemlich hellen Morgendämmerung erkennen. Vergebens war das Bemühen der Fliehenden, hier einen Durchbruch zu gewinnen, nur die Büchsen der Chasseurs starrten ihnen entgegen. An zweihundert Schritt mochte der regellose Haufe der Kabylen wohl schon herangekommen sein, da erscholl der Befehl des Commandanten, die Salve zu geben und sogleich krachten die Büchsen des ersten Gliedes in den feindlichen Schwarm hinein. Gar mancher Kabyle stürzte todt zusammen, oder wälzte sich schwer getroffen in seinem Blute, während der Rest, als ihm ein so verderblicher Empfang hier geworden, nach allen Seiten auseinanderstäubte, um wo möglich anderweitig die Rettung zu versuchen. Doch wie die Geister der Rache, saßen ihnen jetzt die kleinen dunkelen Gestalten der Chasseurs auf den Fersen. „Les Tirailleurs en avant“ hieß das Kommando und sogleich eilten im gewohnten Schnellschritt die Tirailleurszüge der Chasseurs vorwärts, um die einzelnen Feinde zu verfolgen und aufzureiben.

Welche Kampfeslust und Rachsucht beseelte die französischen Soldaten, wie war jetzt, wo es endlich zu dem so heiß ersehnten Gefecht mit den Feinden kam, auch die letzte Spur von Müdigkeit verschwunden. „Ecrasez ces chiens noirs - pas de quartier ces assassins“ rief es laut in den Gliedern derselben und so stürmten die Tirailleurs fort. Von allen Seiten umzingelt, hinter sich die Säbel der Spahis, die unbarmherzig Alles, was sie erreichen konnten, niederhieben, vor sich die ebenso verderblichen Büchsen der Chasseurs, blieb den Kabylen nichts Anderes mehr übrig, wie in wüthendem Vernichtungskampf doch noch Rettung zu versuchen, oder wenigstens ihr Leben so theuer als nur möglich zu verkaufen. Ueberall konnte man nun auf der Ebene die einzelnen Gruppen der Fechtenden erblicken, überall knallten Schüsse, blitzten Säbel, ertönten grimmige Flüche und Verwünschungen in arabischer oder französischer Sprache, schmetterten die Trompeten der Chasseurs die Signale. Die Kabylen sind starke, gewandte und sehr muskulöse Leute, und jetzt, wo die Verzweiflung ihre Kräfte noch verdoppelte, gaben sie wahrlich nicht zu verachtende Gegner für die französischen Truppen ab. Gar mancher Chasseur hatte genug zu thun, daß er sich mit dem Haubayonnet vorn auf seiner Büchse gegen den Yatagan des wie eine Katze so behenden Gegners hinreichend vertheidigte, und auch die langen Flinten der Kabylen streckten noch manchen Sohn der Gascogne und Provence darnieder. Was half den Verfolgten aber ihre auch noch so muthige Gegenwehr gegen die Uebermacht der von allen Seiten sie umringenden Feinde, immer spärlicher ward das Häuflein der Kämpfenden, immer größer die Zahl der als Leichen den Boden schon Bedeckenden. Aber immer noch ertönte das grimmige „Allein allek, allein allek“ der Kabylen, das „pas de quartier - poignardez - ces coquins - ces assassins“ der Franzosen. Besonders auch die Spahis hauten wüthend auf die Feinde ein und ihre krummen Säbel blitzten förmlich in dem Schein der jetzt schon ganz hell aufgegangenen Morgensonne.

Wohl eine Stunde oder noch etwas darüber mochte das Gefecht schon gedauert haben, als keine kämpfenden Kabylen mehr auf der Hochebene zu erblicken waren. Ungefähr die Hälfte derselben mochte sich einzeln durchgeschlagen und auf die hohen steilen Berge der Nähe, in denen eine Verfolgung unmöglich war, geflüchtet haben, der Rest, und unter diesen auch mehrere Frauen und Kinder, lag als Leichen auf dem Boden, dessen grüner Rasen an gar vielen Stellen mit Blut geröthet war. Pardon wird bei solchen Kämpfen gegenseitig fast nie gegeben, und besonders auch die Spahis in französischen Diensten zeichnen sich durch wilde Wuth aus und hauen ohne Weiteres Alles nieder, was ihnen vor die Klinge kommt, sei dies nun Weib oder Krieger, Greis oder Kind. Freilich wissen diese Spahis auch, daß, wenn sie das Unglück haben sollten, lebendig in die Hände ihrer Gegner zu fallen, sie nicht allein blos getödtet, sondern vorher auch noch auf die grausamste Weise gemartert werden, und es selbst die Frauen und Kinder nicht verschmähen, mit wilder Freude an dieser Quälerei Theil zu nehmen.

Da die Verfolgung der noch in die Felsenklüfte geflüchteten Kabylen doch zu nichts geführt und nur wahrscheinlich einzelnen Franzosen das Leben gekostet haben würde, so ließ der Commandant nun das Signal geben, daß die Tirailleurs, die theilweise weit bei der Verfolgung der einzelnen Feinde noch zerstreut waren, zurückkommen und sich wieder sammeln sollten.

Gleich gierigen Raben waren unterdeß die Spahis schon beschäftigt gewesen, die Leichen der Kabylen zu plündern, nachdem sie denselben ihrer Gewohnheit nach die Köpfe mit ihren Yatagans abgeschnitten und solche auf einen Haufen zusammengetragen hatten. An 187 feindliche Köpfe waren es, die hier auf solche Weise aufgeschichtet wurden.

Als die Chasseurs, von denen Einzelne Wunden und andere Spuren des Kampfes zeigten, nach und nach Alle zurückgekommen waren, wurde ein Appell abgehalten, um die Zahl der Fehlenden zu erfahren. Nicht ganz geringe war der Verlust, denn sieben Chasseurs waren todt und einige zwanzig mehr oder minder so verwundet, daß sie den Händen des Chirurgien-Majors übergeben und dann auf Tragbahren von ihren Kameraden in die nächste Ambulance getragen werden mußten. Auch von den Spahis waren mehrere geblieben und verwundet. Die Leichen der Kabylen überließ man als willkommene Beute den zahllosen Schakals, die bald damit fertig wurden. Die der Chasseurs und Spahis aber wurden zusammen in eine weite Grube gelegt und auf die schon vorhin beschriebene Weise begraben und mit dreimaligen Salven auf militärische Weise geehrt.

Während aber noch der größte Theil der Soldaten mit diesen Vorrichtungen beschäftigt war, hatten Andere einige der Hammel, die man im Donar der Kabylen erbeutete, geschlachtet, abgezogen und in großen Stücken an den schnell angezündeten Feuern gebraten. Das gab denn ein gar treffliches Frühstück nach den schmalen Bissen und der großen Anstrengung der letzten Tage, denn so viel er nur irgendwie essen mochte und wollte, konnte jeder Soldat von dem schönen, saftigen Hammelbraten sich mit dem Messer herabschneiden und sogleich aus freier Hand verzehren. So geht es nun einmal im afrikanischen Kriege, Mangel und Ueberfluß wechseln oft gar scharf miteinander ab. Viele Tage lang muß der Soldat oft hungern, daß ihm die Schwarte krachen und er den Leibriemen immer enger und enger schnallen muß, dann hat er wieder den fettesten Braten oder die köstlichsten Südfrüchte im größten Ueberfluß und vergeudet viel mehr wie er zu verzehren vermag.

Nach der Mahlzeit erfolgte ein mehrstündiger Schlaf, der den ermüdeten Chasseurs sehr erquicklich dünkte, dann wurde wieder angetreten und mit munteren Gesängen zu dem zurückgebliebenen Theil des Bataillons der Rückmarsch angetreten. War doch der Hauptzweck der Expedition jetzt glücklich erreicht und ein gefährlicher feindlicher Stamm so hart gezüchtigt worden, daß er auf lange Zeit gewiß nicht wieder die Waffen zu erheben wagte, natürlich also, daß die Chasseurs guter Dinge waren und alle eben erlittenen Strapatzen und Verluste gar leicht verschmerzten.



  1. Da ein großer Theil der Französisch-Algierischen Armee nach dem Orient eingeschifft ist, so dürfte die Art und Weise, wie diese Soldaten an den Krieg gewöhnt werden, unsere Leser wohl interessiren. Herr v. Wickede, der bekannte Verfasser militärisch-wichtiger Schriften, war selbst längere Zeit in Algier und kennt also die Armee und die dortige Kriegsführung aus eigener Anschauung.
    Die Redaktion.