Kolonien und Deportation
Literatur:
- 1. Deutsche Literatur:
- a) Allgemeines:
- v. Holtzendorff, Die Deportation als Strafmittel in alter und neuer Zeit und die Verbrecherkolonien der Engländer und Franzosen 1859;
- Heindl. R. Meine Reise nach den Strafkolonien 1913;
- Fabri F., Bedarf Deutschland d. Kolonien? 1879 (3. Aufl. 1889);
- Strosser u. Stursberg, Über Strafkolonien 1880;
- Lucasi, Goltdammers Archiv 32 (1884) S. 153 ff.;
- Strosser, Gutachten f. d. Verein d deutschen Strafanstaltsbeamten i. Blätter f. Gefängniskunde 21 (1886) S. 111 ff.;
- a) Allgemeines:
[256]
- v. Sichart, Gutachten ebenda S. 148 ff.;
- Aschrott, Strafensystem und Gefängniswesen in England 1887 S. 36 ff.;
- Krauss i. Blätter f. Gefängniskunde 22 (1887) S. 90 ff.;
- Aschrott i. Zeitschr. f. ges. Strafrechtswissenschaft 8 (1888) S. 34 ff.;
- v. Holtzendorff im Handbuch f. Gefängniswesen von v. Holtzendorff u. Jagemann 1 (1888) S. 427 ff.;
- Krohne, Lehrbuch d. Gefängniskunde (1889) S. 267;
- Kriegsmann, N. H., Einführung in die Gefängniskunde 1912 (Bibliothek d. Kriminalistik I) S. 333 ff.;
- Lammasch i. Gerichtssaal 44 (1891) S. 219;
- Bonnecke i. Verhandlungen der 15. Generalversammlung des Gefängnis-Vereins für Schlesien und Posen 1894;
- Bruck, Fort mit d. Zuchthäusern! 1895;
- Frank, Freiheitsstrafe, Deportation u. Unschädlichmachung 1895;
- Freund i. Preuss. Jahrb. 81 (1895) S. 502;
- Bruck, Neu-Deutschland u. s. Pioniere 1896;
- Bruck, die gesetzliche Einführung d. Deportation i. Deutschen Reiche 1897;
- Bruck i. Mitteil. d. J.K.V. 6 (1897) S. 363;
- Freund ebenda S. 336 ff.;
- v. Liszt ebenda S. 518;
- Freund i. Verh. d. 24. deutschen Juristentags 2 (1897) S. 53 ff.;
- Bornhak ebenda 1 (1897) S. 134 ff.;
- Bruck i. D.J.Z. 3 (1898) S. 428;
- Korn ebenda S. 374 ff.;
- Korn, Ist die Deportation unter d. heutigen Verhältnissen als Strafmittel praktisch verwendbar 1898;
- Priester, die Deportation 1899;
- Mittermaier i. Z. f. ges. Strafrechtswissensch. 19 (1899) S. 85 ff.;
- Mittermaier ebenda 20 (1900) S. 613 ff.:
- Bruck, Die Gegner d. Deportation 1901;
- v. Liszt, Gutachten f. d. 26. deutschen Juristentag 1 (1902) S. 292,
- Bruck i. Blätter f. Gefängniskunde 38 (1904) S. 241 ff.;
- Wagner, Die Strafinseln 1904;
- Heimberger, Zur Reform d. Strafvollzugs 1905 u. i. d. D.J.Z. 10 (1905) S. 49;
- Gennati, Blätter f. Gefängniskunde 39 (1905) S. 407 ff.;
- M. E. Mayer, Gutachten f. d. 28. deutschen Juristentag 1 (1905) S. 180;
- Treu, Strafjustiz, Strafvollzug u. Deportation 1905 u i. Zeitschr. f. Sozialwissenschaft 1905 S. 407 ff.;
- Bruck, Noch einmal die Deportation u. Deutsch-Südwestafrika 1906;
- Heimberger, Strafkolonien (Neue Zeit- u. Streitfragen, herausg. v. d. Gehestiftung) 1906;
- Kahl, Das neue St.G.B. 1907 S. 20;
- Kohler, Moderne Rechtsprobleme (Natur u. Geisteswelt Bd. 128) 1907 S. 49;
- Wettstein, Die Strafverschickung in deutsche Kolonien 1907;
- Mittermaier i. Vergleichende Darstellung d. deutschen u. ausländ. Strafrechts 3 (1908) S. 369;
- Goldschmidt ebenda 4 (1908) S. 326;
- Kohler, Gedanken über die Ziele d. heutigen Strafrechts 1909 S. 28;
- Leonhard, Die modernen Strafrechtsideen u. d. Strafvollzug 1910 S. 110 ff.;
- Olshausen i. Verh. d. 30. deutschen Juristentags 2 (1910) S. 355;
- Kahl ebenda S. 387, 388;
- Sternberg i. Arch. f. Rechts- u. Wirtschaftsphilosophie 4 (1911) S. 139 ff.
- b) Mitteilungen über die D. in einzelnen fremden Staaten:
- Frankreich: Blätter f. Gefängniskunde 11 S. 323, 326; 24 S. 401; 39 S. 346; 40 S. 303.
- Italien: ebenda 11 S. 128.
- Portugal: ebenda 27 S. 62; 33 S. 353.
- Russland: ebenda 33 S. 451; 34 S. 138 ff.; 38 S. 531.
- Im alten Rom: Kleinfeller in Pauly’s Realencyclopädie d. klassischen Altertums 2. Aufl. unter deportatio, exilium, relegatio.
- b) Mitteilungen über die D. in einzelnen fremden Staaten:
- 2. Ausländische Literatur:
- Lucas, Observations sur l’établissement permanent en Angleterre de la déportation et sur l’utilité en France d’un établissement transitoire. 1855;
- Beltrani-Scalia Il sistema penitenziaria d’ Inghilterra e d’ Irlanda 2. ed. 1874 S. 12 ff.;
- Régime, Des établissements pénitentiaires (Enquête Parlementaire) 1876 S. 398 ff.;
- Lucas, De la transportation pénale ou la politique du débarras 1878; Notice publiquée par les soins du ministre de la Marine sur la transportation pendant les années 1871–73 Bulletin de la société génerale des prisons 1878 S. 326 ff., 499 ff.;
- Desportes et Lefébure, La Science pénitentiaire au congrès de Stockholm 1880 S. 86 ff.;
- Bertheau, De la transportation des récidivistes incorrigibles 1881;
- Schoumacker et César Etienne, Les récidivistes devant la transportation 1881;
- Hardouin, Des colonies pénales i. Bulletin de la société génerale des prisons 1885 S. 323, 448 ff ;
- Moncelon, Le bagne et la colonisation pénale à la Nouvelle Calédonie 1886;
- Berton, Code de la rélégation et des récidivistes (Kommentar z. Ges. v. 27. Mai 1885) 1886;
- Tarde, La philosophie pénale 2. ed 1891 S. 521;
- Foinitzki et Bonet-Maury, La transportation Russe et Anglaise 1895.
- Du Cane, The punishment and prevention of crime 1885 S. 110 ff.;
- Kennan, Siberia and the Exile-System 1891;
- Tallack, Penological and preventive principles 1889 S. 191 ff;
- Hawes Ch. Im äussersten Osten (Übersetzung 1895).
- Francesco Lastres y Juiz, La colonisacion penitenciaria de las Marianas y Fernando Póo 1878 –
- Pears, Transactions of the first Internat. Prison Congress London 1872; Le Congrès Pénitentiaire International de Stockholm 1878, Comptes-Rendus des séances publiés par Guillaume 1 S. 180 ff, 590 ff ; Actes du Congrès Pénitentiaire Internationale de St. Petersbourg 1890 1 S. 329 ff ; Actes du Congrès Pénit. Internat. de Paris 1895; 7. Session de l’union internationale de droit pénale à Lisbonne 1897 i. Mitteilungen d J.K.V. 6 S. 5, 497 ff.;
- Witté, La deportation et la transportation en Russie, Mitteilungen d. J.K.V 10 (1902) S. 103 ff.; 9. Session de l’union internationale de droit pénal à St. Petersbourg 1902 ebenda 11 S. 224 ff.
- 3. Versammlungen:
- Die Rheinisch-Westfälische Gefängnisgesellschaft 1879, 1892, 1895, 1905 Jahresberichte Bd. 52, 65, 68 u. 78;
- Verein d. deutschen Strafanstaltsbeamten 1886, Blätter f. Gefängniskunde 22 (1887) S. 181 ff.;
- der 24. deutsche Juristentag 1898, Verhandlungen 4 (1898) S. 309 ff.
- Die internationalen Gefängniskongresse zu London, Stockholm, Petersburg, Paris u. Lissabon: s. unt. 2.
Das Verhältnis der beiden Einrichtungen „Kolonien und Deportation“ wird durch die Antwort auf drei Fragen bestimmt: Ist die Deportation in Kolonien überhaupt zweckmässig; eignen sich unsere deutschen Kolonien als Deportationsorte; soll eine Kolonie für den Zweck der Deportation erworben werden? Um zu der Antwort auf diese Fragen zu gelangen, muss die Deportation vom historischen, philosophischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und soziologischen Standpunkte [257] aus betrachtet werden. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Erfolge der Freiheitsstrafe in ihrer heutigen Gestalt nicht voll befriedigen.
I. Die D. als eine zur Strafe erfolgende Verschickung von Verbrechern in fremde Länder hat sowohl im Altertum als in neuerer Zeit ausgedehnte Anwendung gefunden. Die Verbannung war im Altertum teils ein Mittel, sich politischer Verbrecher zu entledigen, teils diente sie zur Verwirklichung eines Standesstrafrechts zugunsten der Angehörigen höherer Stände und ist deshalb ganz ungeeignet, zum Ausgangspunkt für die Bewertung eines modernen Strafmittels gemacht zu werden. In der neueren Zeit aber war es hauptsächlich der Mangel an geeigneten Strafanstalten im Inlande, der zur D. als Notbehelf greifen liess; eine Ausnahme machte Russland nur insofern, als dort die Zwangsansiedelung in Sibirien zugleich eine Schutzwehr gegen das zukünftige Vordringen östlicher Völker herstellen sollte. Durch die seit dem Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts eingetretene Zunahme der freiwilligen Einwanderung in Sibirien ist jenes Bedürfnis weggefallen; ein Ukas v. 12/25. Juni 1900 hat die D. als Strafe aufgehoben England ist zum Aufgeben der D. nach Nordamerika durch den Widerstand der Vereinigten Staaten gezwungen worden. Wenn die praktischen Engländer nach weiteren Erfahrungen in Australien es trotz ihres Kolonialbesitzes vorgezogen haben, auf die D. zu verzichten und die übrigen Freiheitsstrafen zu verbessern sowie die sonstigen Mittel der Verbrechensbekämpfung auszubauen, so haben sie damit anderen Völkern eine eindringliche Lehre gegeben. In Frankreich hat das letzte Menschenalter nach Aufwand ausserordentlich grosser Kosten die Überzeugung reifen lassen, dass die D. den gehegten Erwartungen nicht entspricht und dass es besser sei, die Menschen nicht soweit kommen zu lassen, bis sie zur D. reif sind. Spanien verlor durch die Wegnahme von Kuba und der Philippinen seine Hauptgebiete für Strafkolonien; nach dem Verkaufe der Marianen an das Deutsche Reich blieb nur noch Nordafrika, welches bei der Nähe des Mutterlandes kaum als Kolonialland betrachtet werden kann. Überall lieferte das Bestehen von Strafkolonien einen Grund, die Gefängnisverbesserung hinauszuschieben, dagegen schuf der Wegfall der Strafkolonien einen Antrieb zur Verbesserung des heimischen Strafvollzugs. Die Strafkolonien erweisen sich geschichtlich als vorübergehender Notbehelf und zugleich als Hemmschuh der Entwickelung.
Im Deutschen Reiche ist die Frage vielfach von Gefängnisgesellschaften verhandelt worden, im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wurde sie dadurch, wenigstens vorübergehend, brennend, dass sich um das Jahr 1901 innerhalb des deutschen Kolonial-Bundes ein Deportations-Ausschuss bildete, der 1906 eine Petition an den deutschen Reichstag betr. Einführung der fakultativen Strafverschickung richtete.[1] Der Reichstag hat diese Petition der Regierung als Material überwiesen.[2] Ein erneuter Antrag des Abg. v. Liebert wurde abgelehnt.
II. Philosophisch betrachtet soll die Strafe immer ein empfindliches Übel sein. Nach den absoluten (Gerechtigkeits-) Theorien wird gestraft, weil ein Verbrechen begangen worden ist; punitur, quia peccatum est. Die Strafe soll also ein verdientes Übel sein. Nach dem Zweck der Strafe wird nicht gefragt, weil man über ihre Wirkung hinwegsieht. Von dieser abstrakten Grundlage aus lässt sich jede Art von Übel als Strafmittel rechtfertigen, sobald es durch Gesetz für eine Gruppe von Handlungen gedroht wird, welche ihrer Art und Schwere nach dieses Übel als verdient erscheinen lassen. Auch die D. kann so als ein verdientes Übel hingestellt werden, z. B. für gewohnheitsmässige, gewerbsmässige, Rohheits-Delikte. Jedoch fehlt für die Gestaltung und Dauer hier dem Gesetzgeber wie dem Richter noch mehr als bei irgend einer anderen Strafart ein objektiver Massstab. Der Richter kann sich nicht einmal durch Anschauung der Vollzugsbedingungen einen subjektiven Massstab bilden; ebenso ergeht es den Personen, welche bei der Gesetzgebung mitwirken. Richter und Gesetzgeber wären in Ermangelung jeden Massstabes von vornherein genötigt, bei der Bestimmung des Umfangs der Strafe darauf zu verzichten, dass sie dem Merkmal „verdient“ entspricht. Vom Standpunkte der Gerechtigkeitstheorie aus, mag man die Gerechtigkeit als rechtliche, moralische oder göttliche verstehen, ist die D. als Strafmittel hiernach unbrauchbar.
[258] Die relativen Theorien verlangen die Strafe, damit in Zukunft Verbrechen nicht begangen werden; punitur, ne peccetur. Es wird nur nach dem Zwecke, nicht nach dem Grunde der Strafe gefragt. Generalprävention in dem Sinne, dass die Gesamtheit der Bürger von Verbrechen abgehalten werde, ist mit der D. weniger wie mit einem anderen Strafmittel erreichbar, weil für die grosse Masse der Satz gilt: aus den Augen, aus dem Sinn. Der Anblick auch nur der Aussenseite eines Gefängnisses kann als Mahnung wirken. Aber das, was auf einer Südseeinsel vorgeht, wird in den Vorstellungskreis der Allermeisten noch viel seltener eintreten als die Drohung einer im Inlande zu vollziehenden Strafe oder der inländische Strafvollzug selbst. Weil jede Vorstellung von dem gedrohten Übel fehlt, kann weder die Drohung noch der Vollzug im Inlande abhaltend wirken. Ob und wie häufig phantastische oder abenteuerlustige Gemüter durch Berichte von dem Leben in der Strafkolonie zu Verbrechen ermuntert werden, wie das für Frankreich behauptet wird, entzieht sich gegenüber einem in keiner Weise näher bestimmten Strafmittel jeder Beurteilung. Von den Möglichkeiten der Spezialprävention, welche Abhaltung des Bestraften vom Rückfall bezweckt, scheiden Abschreckung und Besserung ohne weiteres aus. Abschreckung durch Strafdrohung hat überhaupt wenig Wert, weil der Verbrecher entweder die gesetzliche Drohung nicht kennt oder sich mit der Hoffnung tröstet, nicht erwischt zu werden. Bei der D. kann der Abschreckung noch die Hoffnung entgegenwirken, schlimmstenfalls nach Erstehung der Strafe eine selbständige, wirtschaftliche Existenz in der Kolonie zu erlangen, während in der Heimat jede solche Hoffnung ausgeschlossen ist. Personen aber, auf welche abstrakte Strafdrohungen abhaltend wirken, bedürfen nicht der Bedrohung mit den schärfsten Mitteln, weil sie Strafe überhaupt scheuen. Die Abschreckung durch den Strafvollzug ist nicht möglich, weil der mit D. Bestrafte nicht noch einmal deportiert werden kann; die Aussicht auf Verschickung an einen anderen Ort mit noch ungünstigeren Lebensbedingungen würde wieder nur als Drohung wirken können. Besserung kann nicht bezweckt werden, denn der Deportierte soll auch nach Vollzug der Strafe Kolonisationszwecken dienen; für die Heimat ist es also gleichgiltig, ob er sich bessert oder nicht; würde man ihn für besserungsfähig halten, so brauchte man ihn nicht zu deportieren. Dass die fremde Luft und fremde Umgebung den Menschen innerlich umkehrt, ist auch nicht zu erwarten. Die D. soll den Verurteilten für immer von der Heimat fern halten; sie wirkt also lebenslänglich, wenn auch der Zustand des Strafzwanges i. e. S zeitlich beschränkt wird und der Verbrecher nach Ablauf dieser Zeit freier Kolonist wird. Die Lebenslänglichkeit nimmt dem Deportierten die Hoffnung auf die Heimkehr; damit aber verzichtet der Staat, abgesehen von der nur selten zu benützenden Möglichkeit der Begnadigung auf einen wichtigen Antrieb zur Besserung. Der Staat bekennt damit, dass er bei der D. auf den Besserungszweck verzichtet. Mit der äusserlichen Besserung durch Erziehung zum bürgerlichen Wohlverhalten steht es nur insoferne anders als die primitiven Verhältnisse die Gelegenheit zu vielen Delikten ausschliessen, für Rohheitsdelikte aber bei dem vorgeschrittenen Alter, in welchem sich die Deportierten nach Erstehung einer langen Strafzeit befinden, der günstige Boden regelmässig fehlt. Wenn die bedingt oder unbedingt Entlassenen in der Kolonie seltener rückfällig werden, so liegt das nicht am Besserungserfolg, sondern an den für Verbrechen weniger günstigen äusseren Bedingungen.
Es bleibt daher lediglich der Sicherungszweck. Die Heimat soll dauernd gegen die aus dem Rückfall entstehende Belästigung gesichert werden. Dieses Ziel kann nur gegenüber Personen verfolgt werden, die sich zur Kolonisationsarbeit eignen, und kann auch in dieser Beschränkung nur durch einen unverhältnismässigen Kostenaufwand erreicht werden. Als entscheidend muss man in dieser Hinsicht betrachten, dass das zur Überwachung erforderliche Personal umso schwieriger beschafft werden kann als schon in der Heimat der geeignete Ersatz der Gefängnisaufseher nicht leicht ist und dass die besseren, zuverlässigeren Elemente sich voraussichtlich nicht zum Vollzug in den Kolonien melden werden. Können auch Entweichungsversuche durch die insulare Lage des Vollzugsortes beschränkt werden, so ist doch selbst eine Insel nicht vollständig vom Verkehr abzuschliessen. Liesse sich auch die Briefpost durch Kriegsschiffe vermitteln, ein kaum ausführbarer Gedanke, so nötigt doch die Ein- und Ausfuhr von Waren zum Verkehr anderer Schiffe; ebenso kann das Landen von Schiffen fremder Nationen nicht absolut verhindert werden. Gelegenheit zum Entweichen und zur Begünstigung des Entweichens fehlt also auf einer Insel nicht vollständig. [259] Zwecke, die einzeln nicht erreichbar sind, können auch verbunden nicht mit Aussicht auf Erfolg verfolgt werden. Ein Strafmittel aber, welches nur einem Zweck und selbst diesem nur unvollkommen dient, auch nur auf einen eng beschränkten Personenkreis anwendbar ist, rechtfertigt nicht die Anwendung ausserordentlicher Mittel, die dadurch dem allgemeinen Kampfe gegen das Verbrechen entzogen werden.
III. Für die rechtliche Betrachtung ist der Zweck und die Entstehung der Schutzgewalt in den Kolonien erheblich. Soweit der Kolonialbesitz auf Schutzverträgen zwischen Häuptlingen einzelner Stämme und dem Reiche oder Kaufleuten beruht, die Rechtsvorgänger des Reichs sind, wäre die Benutzung des Schutzgebietes für eine Strafkolonie rechtswidrig, weil sie, angesichts der Unmöglichkeit, Entweichungen ganz zu verhüten, die Eingeborenen den rechtswidrigen Angriffen derer preisgeben würde, welche das Inland sich wegen der Wahrscheinlichkeit des Rückfalles vom Halse geschafft hat. Eine solche Einrichtung wäre gerade das Gegenteil des versprochenen Schutzes. Aber auch dann, wenn einzelne Stämme ihre Rechte durch Aufstand verwirkt haben, könnte die Verwirkung nicht so ausgelegt werden, dass sich die Schutzpflicht des Reichs in ihr Gegenteil verkehre und das Reich dazu berechtigt wäre, die Einwohner einer Landplage durch den Abschaum der inländischen Bevölkerung auszusetzen. Der vertragsmässigen Schutzpflicht ist das Reich durch den Aufstand nicht ledig geworden; nur die zugunsten der Eingeborenen vereinbarten Bedingungen, ihre besonderen Rechte sind verwirkt. In solchen Gebieten endlich, welche, wie die Karolinen, Palau und die Marianen, vom Reiche durch Vertrag mit einem Kulturstaat (Spanien 1899) erworben wurden und welche damit unter die volle Souveränität des Reichs getreten sind, bereitet doch der Zweck und die rechtliche Natur des Schutzverhältnisses der D. ein Hindernis. Die Schutzgewalt des Kaisers (Schutzgebietsges. § 1) schliesst allerdings sämtliche staatliche Hoheitsrechte in sich; das Reich kann in den Schutzgebieten alle Massregeln ergreifen, welche die Lösung der staatlichen Aufgaben mit sich bringt. Aber eine Grenze zieht der selbstgesetzte Zweck des Schutzes oder der Wohlfahrtspflege. Das Schutzgebiet hat nicht den Zweck, das Deutsche Reich gegen seine eigenen inneren Feinde, nämlich gegen verbrecherische, zum Rückfall neigende Elemente, zu schützen. Eine solche Auslegung des Wortes Schutzgebiet wäre der reine Hohn auf das Verhältnis zwischen Reich und Schutzgebiet. Diese Schwierigkeit liesse sich nur dadurch beseitigen, dass das Schutzgebiet, welches nicht in jeder Beziehung Inland ist, durch vollständige Einverleibung in das Reich seiner Schutzgebietseigenschaft entkleidet würde, eine Massregel, die nur erwähnt zu werden braucht, um der Verwerfung sicher zu sein.
Dazu kommt, dass auch die fremden Staaten, welche in der Nachbarschaft der deutschen Schutzgebiete Kolonien besitzen, wegen der erfahrungsmässig bestehenden Neigung der Deportierten zu Fluchtversuchen und der Unmöglichkeit, die Flucht schlechthin zu verhindern, sowie wegen des besonders gefährlichen Charakters solcher Leute die Einrichtung einer Strafkolonie als eine Gefährdung für die Ruhe in der eigenen Kolonie ansehen müssten. Für jeden rechtswidrigen Angriff eines aus dem deutschen Schutzgebiet entflohenen Deportierten wäre das Reich verantwortlich, weil es durch die Einrichtung der Verbrecherkolonie bewusst die Möglichkeit dazu geschaffen hat und weil seine Überwachungsorgane oder Überwachungsmassregeln versagt haben.
Hinsichtlich der zur D. Verurteilten selbst ist zu beachten, dass sie zwar die deutsche Staatsangehörigkeit behalten, aber das wichtigste damit verbundene Recht, das Recht des Aufenthaltes im Heimatsstaate und die Möglichkeit, politische Rechte im Heimatstaate auszuüben, dauernd, auch für die Zeit nach Erstehung der Strafe verlieren würden. Der Wirkung nach ist damit die Staatsangehörigkeit nahezu aufgehoben. Die Einführung der D. würde also auch die Schaffung einer neuen Straffolge bedeuten. Diese könnte man als unvermeidlich billigen, wenn die Hauptstrafe empfehlenswert wäre; aber man muss sich die Folge zum Bewusstsein bringen, weil diese die Eigenart der Strafe (oben II) mitbestimmt.
IV. Wirtschaftliche und soziologische Erwägungen greifen derart ineinander, dass sie nur verbunden gewürdigt werden können. Dabei ist von statistischen Grundlagen ganz abzusehen, weil weder die Voraussetzungen der Strafe feststehen und schon deshalb jede Berechnung der mutmasslichen Verbrecherziffer ausgeschlossen ist, noch ein bestimmter Ort ins [260] Auge gefasst werden kann, um Produktionsmöglichkeiten und Kolonisationskosten zu veranschlagen, ohne in Willkür zu verfallen. Auch die den Erfahrungen anderer Staaten entnommenen Ziffern sind als Grundlage für eine abstrakte Beurteilung nicht verwertbar. Ohne Statistik lässt sich behaupten, dass der Kreis der zu deportierenden Personen nicht schlechthin durch strafrechtliche Merkmale (z. B. Verbrechensart, Rückfallsziffer u. dergl.) bestimmt werden kann. Vielmehr spielt hier auch die körperliche Tüchtigkeit zur Kolonistenarbeit eine Rolle, denn Leute, deren Gesundheit durch Alkohol, geschlechtliche Ausschweifungen, Vagabundenleben zerrüttet ist, oder die sich wegen sonstiger körperlicher Gebrechen nicht zu landwirtschaftlicher Arbeit eignen, würden die Erreichung der Kolonisationszwecke nur hindern. Solche Gründe werden besonders bei den weiblichen Angehörigen des gewerbs- und gewohnheitsmässigen Verbrechertums die Auswahl sehr beschränken; diese werden noch mehr als die männlichen Verbrecher vorwiegend der städtischen Bevölkerung angehören und sich noch seltener wie die männlichen Verbrecher zur landwirtschaftlichen Arbeit eignen. Immerhin wird die Frauenarbeit auch in der Strafkolonie nicht ganz zu entbehren sein und sind weibliche Verbrecher nicht von der D. schlechthin auszuschliessen. Mit der Frauenfrage hängt weiter die Frage der Fortpflanzung zusammen. Verbrecher und Verbrecherinnen liefern nur einen moralisch und physisch schlechten Nachwuchs. Auch von der D. liederlicher Dirnen, zu der man früher gegriffen hat, ist in dieser Hinsicht nichts Gutes zu erwarten. Dadurch, dass die häusliche Gemeinschaft erst nach der Entlassung aus der Strafe eintritt, wird an dem Wert des Nachwuchses gar nichts geändert. Will man aber die Fortpflanzung durch Entmannung ganz unterdrücken, um nicht ein neues Verbrechergeschlecht heranwachsen zu lassen, so nimmt man den Deportierten ein gutes Teil von Interesse an der Arbeit und von Strebsamkeit; man wird damit die wirtschaftlichen Erfolge der Verbrecherkolonie nur schädigen. Besondere Schwierigkeiten erwachsen, sobald einzelne Verurteilte den zeitlich begrenzten Teil der Strafe verbüsst haben. Es würde dem Zweck der D. widersprechen, die Deportierten wieder in die Heimat zu entlassen. Lässt man sie, was wirtschaftlich das Beste wäre, auf der Stelle sitzen, welche sie als Sträflinge bearbeitet haben, so ergeben sich bald Reibereien zwischen den Sträflingen und den entlassenen Kolonisten; ausserdem muss die Strafkolonie wegen Verbrauchs des Platzes allmählich weiter rücken, und, wenn sie auf einer Insel gegründet ist, auf eine andere Insel übertragen werden. Will man aber die entlassenen Kolonisten nicht an ihrem bisherigen Platze dauernd ansiedeln, sondern z. B. nach einer anderen Insel verbringen, so beraubt man sie der Früchte ihrer bisherigen Tätigkeit, indem man sie nötigt, an einem andern Platze von vorne anzufangen, eine Aussicht, die in der Strafkolonie nur entmutigend wirken und den Erfolg der Kolonisation nur ungünstig beeinflussen kann.
Nötigen nicht die fortdauernden Klagen der Gewerbetreibenden über die Konkurrenz der Gefängnisarbeit dazu, dieser Arbeit wenigstens einen Teil der Arbeiter durch die D. zu entziehen? Gibt man solchen Klagen deshalb nach, weil sie insoferne begründet sind, als die Gefängnisarbeit billig und schlecht ist, so wird diese immer mehr und mehr auf eine wenig produktive und unerfreuliche, darum nicht erzieherische Tätigkeit wie Matten- und Korbflechterei, Säcke flicken u. dergl. eingeschränkt; die Gefangenen lernen nichts, womit sie sich nach der Entlassung ehrlich fortbringen können und der Staat trägt dadurch selbst zur Vermehrung der Rückfälle bei. Aber daraus folgt nicht die Notwendigkeit der D., sondern negativ, dass jene Klagen nicht unbeschränkt berechtigt sind. Niemand hat ein Recht darauf, dass der andere nichts arbeitet oder darauf, dass der Staat sein wichtigstes Strafmittel durch unproduktive Arbeit entwerte. Positiv aber folgt aus den Klagen, dass der Staat möglichst Urproduktion betreiben muss. Gelegenheit dazu gibt das Bedürfnis nach Urbarmachung von bisher nicht angebauten Landstrecken (Moor- und Heideland). Die hierfür aufgewendeten Kosten kommen dauernd dem Inlande zugute, während die für die D. zu machenden Aufwendungen wegen der mit der D. verbundenen Missstände und wegen der beschränkten Gelegenheit nach verhältnismässig kurzer Zeit preisgegeben werden müssen. Überwachungskosten von gleicher Höhe werden im Inlande eine bessere Überwachung ermöglichen, weil die Besoldung niedriger sein kann und die Transportkosten wegfallen, für die gleiche Summe also eine grössere Zahl von Wächtern angestellt werden kann. Die Überwachung wird aber auch erfolgreicher sein, weil die Festnahme von Flüchtlingen im Inlande leichter ist, denn der Flüchtige muss streben, [261] aus dem Überwachungsbezirk herauszukommen, um sich mit Hilfe moderner Verkehrsmittel dem Strafvollzug dauernd zu entziehen. An Orten mit modernen Verkehrseinrichtungen aber erleichtern Polizei und Dichtigkeit der Bevölkerung die Festnahme. Diese Aussicht wird wieder die Fluchtversuche beschränken.
V. Muss hiernach die erste der drei Fragen unbedingt verneint werden, so sind die beiden anderen Fragen gegenstandslos. Gleichwohl sollen sie eine ganz kurze Berücksichtigung erfahren, weil hierdurch die Gründe für die Verneinung der Hauptfrage Unterstützung finden. Die weit verbreitete Ansicht, dass von den deutschen Schutzgebieten nur eine Südseeinsel in Betracht komme, fusst teils auf den in den Südseeinseln vorhandenen günstigen klimatischen Verhältnissen, teils auf der Erwägung, dass eine insulare Lage die Fluchtgefahr erheblich vermindere. Könnte von diesem Standpunkt aus die Frage nach dem Vorhandensein eines geeigneten deutschen Schutzgebietes auch bejaht werden, so treffen doch, wie schon gezeigt und wie hinsichtlich der Strafzwecke ohne weiteres klar ist, alle grundsätzlichen Bedenken gegen Strafkolonien, auch im Falle der Wahl einer Insel zu. Die längste Erfahrung mit Ponape (1910) lehrt überdies, dass das Reich heute noch auf den Südseeinseln mit Aufständen rechnen muss. Auf welche Seite sich die deportierten Verbrecher bei einem Aufstande schlagen würden, ist leicht zu erraten. Aber schon die Möglichkeit einer Verstärkung von Aufständischen durch Deportierte müsste von der Verwirklichung der Deportationsgedankens abhalten. Wollte man um dieser Gefahr willen die zum Straforte bestimmte Insel zunächst von allen Eingeborenen säubern, indem man diese zur Auswanderung auf andere Inseln zwingt, so würde man voraussichtlich eine lange und ergiebig fliessende Quelle von Unruhen erschliessen. Auf einem menschenleeren Korallenriff endlich kann man die Strafkolonie gleichfalls nicht gründen.
Sollte an das Reich jemals die Versuchung herantreten, irgend ein Gebiet zu dem ausgesprochenen Zwecke der Gründung einer Strafkolonie zu erwerben, so wäre die Gelegenheit von der Hand zu weisen. Auf diesem Wege wäre höchstens das aus dem Wesen der Schutzgebiete entnommene rechtliche Bedenken zu beseitigen. Alle übrigen Bedenken dagegen würden bestehen bleiben, ja noch vermehrt werden, weil die Kosten des Erwerbes zu den sonstigen Kosten der Einrichtung einer Strafkolonie und der D. geschlagen das Anlagekapital so erhöhen würden, dass das Unternehmen von vornherein als unwirtschaftlich zu bezeichnen wäre. Das zur Gründung von Strafkolonien geeignete Land ist eine Utopie, ein Nirgendland in des Wortes schärfster Bedeutung.
Eine ganz andere Frage als die hier erörterte ist die Frage nach der Zweckmässigkeit der Deportation von schwarzen Verbrechern aus einer Kolonie in eine andere oder auch von einem Ort der Kolonie an einen entfernten anderen Ort der gleichen Kolonie.[3] Eine solche „Überführung“ soll sich bewährt haben; sie wird sich jedoch auch nur solange bewähren, als sie sich auf seltene Fälle beschränkt und keine Anhäufung von schwarzen Verbrechern verursacht.
VI. Der Kampf gegen das Verbrechertum ist ein Kampf mit zwei Fronten, gegen die heranwachsende verbrecherische Jugend auf der einen Seite, gegen das ausgewachsene gewerbs- und gewohnheitsmässige Verbrechertum auf der andern Seite. Ein erfolgreicher Kampf auf der ersten Seite wird für die Zukunft den Feind auf der anderen Seite von selbst schwächen und einen Erfolg auch nach dieser Richtung hin gewährleisten. Nicht umgekehrt. Sucht man sich durch die D. der gefährlichsten Verbrecherelemente zu entledigen, so besteht die Wahrscheinlichkeit, dass man die dringendste Gefahr für beseitigt hält und Staat wie Gesellschaft infolgedessen den Kampf auf der andern Front nur lässig betreibt, also mittelbar den zweiten Feind verstärkt. Jedenfalls aber tut die D. den Anfängen des Verbrechertums nicht von selbst Abbruch.
Wenn die D. in früheren Zeiten als Notbehelf Vernunft war, so ist sie längst Unsinn geworden, denn sie war, ähnlich der Verurteilung zu einer in fremden Staaten zu erstehenden Galeerenstrafe, nur ein rohes Mittel, um den Mangel an System im Strafvollzug und an geeigneten Vollzugseinrichtungen zu verdecken.