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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Die relativen Theorien verlangen die Strafe, damit in Zukunft Verbrechen nicht begangen werden; punitur, ne peccetur. Es wird nur nach dem Zwecke, nicht nach dem Grunde der Strafe gefragt. Generalprävention in dem Sinne, dass die Gesamtheit der Bürger von Verbrechen abgehalten werde, ist mit der D. weniger wie mit einem anderen Strafmittel erreichbar, weil für die grosse Masse der Satz gilt: aus den Augen, aus dem Sinn. Der Anblick auch nur der Aussenseite eines Gefängnisses kann als Mahnung wirken. Aber das, was auf einer Südseeinsel vorgeht, wird in den Vorstellungskreis der Allermeisten noch viel seltener eintreten als die Drohung einer im Inlande zu vollziehenden Strafe oder der inländische Strafvollzug selbst. Weil jede Vorstellung von dem gedrohten Übel fehlt, kann weder die Drohung noch der Vollzug im Inlande abhaltend wirken. Ob und wie häufig phantastische oder abenteuerlustige Gemüter durch Berichte von dem Leben in der Strafkolonie zu Verbrechen ermuntert werden, wie das für Frankreich behauptet wird, entzieht sich gegenüber einem in keiner Weise näher bestimmten Strafmittel jeder Beurteilung. Von den Möglichkeiten der Spezialprävention, welche Abhaltung des Bestraften vom Rückfall bezweckt, scheiden Abschreckung und Besserung ohne weiteres aus. Abschreckung durch Strafdrohung hat überhaupt wenig Wert, weil der Verbrecher entweder die gesetzliche Drohung nicht kennt oder sich mit der Hoffnung tröstet, nicht erwischt zu werden. Bei der D. kann der Abschreckung noch die Hoffnung entgegenwirken, schlimmstenfalls nach Erstehung der Strafe eine selbständige, wirtschaftliche Existenz in der Kolonie zu erlangen, während in der Heimat jede solche Hoffnung ausgeschlossen ist. Personen aber, auf welche abstrakte Strafdrohungen abhaltend wirken, bedürfen nicht der Bedrohung mit den schärfsten Mitteln, weil sie Strafe überhaupt scheuen. Die Abschreckung durch den Strafvollzug ist nicht möglich, weil der mit D. Bestrafte nicht noch einmal deportiert werden kann; die Aussicht auf Verschickung an einen anderen Ort mit noch ungünstigeren Lebensbedingungen würde wieder nur als Drohung wirken können. Besserung kann nicht bezweckt werden, denn der Deportierte soll auch nach Vollzug der Strafe Kolonisationszwecken dienen; für die Heimat ist es also gleichgiltig, ob er sich bessert oder nicht; würde man ihn für besserungsfähig halten, so brauchte man ihn nicht zu deportieren. Dass die fremde Luft und fremde Umgebung den Menschen innerlich umkehrt, ist auch nicht zu erwarten. Die D. soll den Verurteilten für immer von der Heimat fern halten; sie wirkt also lebenslänglich, wenn auch der Zustand des Strafzwanges i. e. S zeitlich beschränkt wird und der Verbrecher nach Ablauf dieser Zeit freier Kolonist wird. Die Lebenslänglichkeit nimmt dem Deportierten die Hoffnung auf die Heimkehr; damit aber verzichtet der Staat, abgesehen von der nur selten zu benützenden Möglichkeit der Begnadigung auf einen wichtigen Antrieb zur Besserung. Der Staat bekennt damit, dass er bei der D. auf den Besserungszweck verzichtet. Mit der äusserlichen Besserung durch Erziehung zum bürgerlichen Wohlverhalten steht es nur insoferne anders als die primitiven Verhältnisse die Gelegenheit zu vielen Delikten ausschliessen, für Rohheitsdelikte aber bei dem vorgeschrittenen Alter, in welchem sich die Deportierten nach Erstehung einer langen Strafzeit befinden, der günstige Boden regelmässig fehlt. Wenn die bedingt oder unbedingt Entlassenen in der Kolonie seltener rückfällig werden, so liegt das nicht am Besserungserfolg, sondern an den für Verbrechen weniger günstigen äusseren Bedingungen.

Es bleibt daher lediglich der Sicherungszweck. Die Heimat soll dauernd gegen die aus dem Rückfall entstehende Belästigung gesichert werden. Dieses Ziel kann nur gegenüber Personen verfolgt werden, die sich zur Kolonisationsarbeit eignen, und kann auch in dieser Beschränkung nur durch einen unverhältnismässigen Kostenaufwand erreicht werden. Als entscheidend muss man in dieser Hinsicht betrachten, dass das zur Überwachung erforderliche Personal umso schwieriger beschafft werden kann als schon in der Heimat der geeignete Ersatz der Gefängnisaufseher nicht leicht ist und dass die besseren, zuverlässigeren Elemente sich voraussichtlich nicht zum Vollzug in den Kolonien melden werden. Können auch Entweichungsversuche durch die insulare Lage des Vollzugsortes beschränkt werden, so ist doch selbst eine Insel nicht vollständig vom Verkehr abzuschliessen. Liesse sich auch die Briefpost durch Kriegsschiffe vermitteln, ein kaum ausführbarer Gedanke, so nötigt doch die Ein- und Ausfuhr von Waren zum Verkehr anderer Schiffe; ebenso kann das Landen von Schiffen fremder Nationen nicht absolut verhindert werden. Gelegenheit zum Entweichen und zur Begünstigung des Entweichens fehlt also auf einer Insel nicht vollständig.

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/274&oldid=- (Version vom 14.9.2022)