Textdaten
Autor: Eduard Schmidt-Weißenfels
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Karoline von Linsingen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 47–49, S. 796–802, 814–816, 834–836
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[796]
Karoline von Linsingen.

Aus dem Leben einer schwergeprüften Frau. Nach ihren Briefen und Aufzeichnungen.[1]

Von Schmidt-Weißenfels.


Im Frühjahr 1791 schickte der König Georg III. von England seinen dritten Sohn, William Heinrich, Herzog von Clarence, nach seinem hannöverschen Kurfürstenthum, damit er dort, fern den Verführungen des Londoner Hoflebens, eine Zeit lang seinen Aufenthalt nehme. Die besorgte königliche Mutter, eine geborene Prinzessin von Mecklenburg, hatte ihrem jungen, heißblütigen Liebling dafür einen besonderen Hofstaat theils hannöverscher, theils englischer Edelleute ausgewählt, deren Ergebenheit wie Trefflichkeit des Charakters sie geeignet erscheinen ließen, die Umgebung und Gesellschaft des Königssohnes zu bilden. Unter diesen Ehrenkavalieren genoß namentlich der Generallieutenant von Linsingen, Chef eines hannöverschen Infanterieregiments, ein oft und gern gesehener Gast des englischen Hofes, das Vertrauen der Königin, während der junge Lord Dutton durch innige Freundschaft mit Prinz William verbunden war. Der eine sollte bei diesem die Stellung eines Mentors, der andere die eines treuen Kameraden einnehmen.

In der Stadt Hannover wurde der Sohn des Landesherrn mit allen ihm gebührenden Ehren von seiten des dort lebenden Adels aufgenommen. Feste über Feste fanden ihm zu Ehren statt und auf denselben wurde ihm alles vorgestellt, was zur vornehmen Welt des Landes gehörte. Vom Anfang seines Aufenthaltes in Hannover gewann sich auch der Herzog durch die Schönheit seiner Jünglingserscheinung, durch seine feurige Lebenslust und die edle Art seines Benehmens die lebhafte Verehrung dieser Gesellschaft und zumal der jungen Damen, die in der gefühlvollen Ueberschwänglichkeit ihrer Zeit für ihn schwärmten.

General von Linsingen hatte seine sehr zahlreiche Familie, die sonst in Lüneburg wohnte, während seines außerordentlichen Dienstes beim Prinzen William nach Hannover kommen lassen. Gleich nach seiner Ankunft ließ sich der letztere bei derselben einführen, zumal er von seiten seiner Mutter einen Brief und eine brilliantengeschmückte Tuchnadel an die zweite Tochter des Hauses zu übergeben hatte.

Die Ursache dieser Auszeichnung für Fräulein Karoline von Linsingen war zunächst in der Freundschaft der Königin für den Vater zu suchen und dann auch in der Theilnahme, die sie seit Jahren gerade für diese seine Tochter hegte, ohne sie jemals gesehen zu haben. Aber er hatte ihr früher von ihren kindlichen Reizen und auffälligen Eigenthümlichkeiten ihres Wesens, poetischen Zügen und seltsam frühreifen Kundgebungen ihres Geistes so viel erzählt, daß die Königin begierig wurde, dies Mädchen zu sehen und sie ihm das Versprechen abnahm, es einmal mit nach London zu bringen. Sie drang auch beharrlich auf Erfüllung desselben, seitdem Karoline älter geworden war; doch der General wurde davon immer wieder durch seine Frau und deren Mutter abgehalten, welche nicht nur die Erziehung Karolinens im adeligen Fräuleinstift erst vollendet wissen wollten, sondern deren Natur auch für zu zart hielten, um den Aufregungen eines großen Hoflebens ohne Besorgniß ausgesetzt werden zu können. Die Königin mußte sich daher mit den dankerfüllten Briefen begnügen, welche das Stiftsfräulein an sie richtete, und sie sandte ihm darauf ihre geistreichen und gütigen Antworten, in denen sie dasselbe immer wieder in ihre unmittelbare Nähe zu locken versuchte.

Karoline war inzwischen zweiundzwanzig Jahre alt geworden und hatte das Stift verlassen. Sie war hochgewachsen und von eigenartiger Schönheit, elfenartig zart im Gliederbau und doch eine imponirende Erscheinung von weichen Linien und schwellenden Formen. Aschblondes Haar umrahmte ihr feines, weißes und matt leuchtendes Gesicht, dessen rosig angehauchte Wangen noch die sammetweiche Rundung der Kindheit bewahrt hatten, Stirn, Nase und der Mund mit begehrenden, frischrothen Lippen waren von vollendeter Regelmäßigkeit; aus ihren blauen, mit langen Wimpern besetzten Augen blitzte es wie elektrisches Funkenspiel.

Prinz William stand ihr bei der ersten Begegnung im Hause und in Gegenwart ihres Vaters und ihrer Geschwister mit einer Befangenheit gegenüber, die sonst ganz und gar nicht in seinem Wesen lag. Er war blöde wie ein ungeschickter junger Mann, der zum ersten Mal einer eleganten Dame in einem Salon allein gegenüber steht, er, der doch gewohnt war, sich in großen Hofgesellschaften zu bewegen. Wenn er seine hellen seelenvollen Augen auf sie richtete, fühlte er sich wie unter einem magischen Bann, und während sie, ihre erste Schüchternheit vor dem hohen Herrn bemeisternd, in anmuthvoller Bescheidenheit zu ihm sprach, brachte er kaum einen zusammenhängenden Satz hervor. Er war froh, als er wieder von ihr sich entfernen konnte und mit seinem Freunde Dutton das Haus des Generals verließ.

Draußen faßte ihn freilich ein heftiger Aerger, eine so klägliche Rolle vor einem Mädchen gespielt zu haben, dem er doch, als es vor ihm erschien, die lebhafteste Huldigung hätte erweisen mögen. Und schließlich beschäftigte ihn kein Gedanke mehr, als sobald wie möglich eine Gelegenheit zu suchen, mit Karoline wieder zusammenzutreffen und nachzuholen, was er bei ihr versäumt.

Es wurde ihm leicht, solche Gelegenheit zu finden. Auf den Festen, die ihm gegeben wurden, sah er auch Karoline wieder. Er sprach mit ihr, befangen aber doch in der selbstbewußter Art, die ihm seine Stellung gestattete. Er tanzte mit ihr, wie entrückt dem Boden, berauscht von dem Duft, den er um sie spürte. Er hätte, als der Tanz zu Ende, ihre kleine, seine Hand nicht loslassen mögen und er hielt sie in der That, als sei er daran mit der seinigen gefesselt. Erschöpft wie nach einer schweren Anstrengung fühlte er sich, als er sich endlich aus Schicklichkeit von ihr getrennt. Aber eine unwiderstehliche Macht trieb ihn bald wieder in ihre Nähe und sie zu neuem Tanze aufzufordern, um noch einmal die ungekannte Seligkeit zu durchleben, die er genossen, während sie im Tanz von seinen Armen umfangen war und ihr schönes Haupt sich dicht an seine Schalter geneigt hatte. Einen Zauber übte sie auf ihn aus, den er sich nur mit einer leidenschaftlichen Liebe zu ihr erklären konnte.

„Richard! Richard!“ sagte er in stürmischem Ungestüm zu dem jungen Lord Dutton, indem er ihm vertraulich gestand, wovon nach dem ersten Ball sein Herz und sein Kopf voll waren. „Das muß wohl eine wahre Liebe sein wie sie die Dichter verherrlichen, wie sie ein Petrarca für seine Laura fühlte, und von der ich noch keine Ahnung gehabt, trotzdem ich schon manches schöne Mädchen zu lieben geglaubt. Aber das war ja nichts Aehnliches; es waren leichte Brisen gegen diesen Sturm. Es ist eine Raserei, Freund, und ich weiß nicht, wie dies enden soll. Fliehen wäre das Beste. Doch warum fliehen vor dem Glück? Denn es ist trotz allem ungeheuren Aufruhr in mir ein unaussprechliches Glück.“

„Beruhige Dich, William!“ antwortete ihm Dutton. „Es sind erste Eindrücke einer allerdings merkwürdig lieblichen und berückenden Erscheinung. Wenn Du sie öfter siehst, wird der Zauber seine Macht verlieren. Eine Hexe ist sie ja doch nicht.“

„Aber ich bin von ihr wie behext.“

Er brauchte sie nicht zu sehen, um dies insofern an sich zu spüren, als es ihm unmöglich war, ohne den Gedanken an sie und die heftigste Sehnsucht nach ihrem Anblick einen Tag zu verleben, floh er auch selbst mit der heitersten Gesellschaft in die Wälder zu wilden Jagden. Immer sie, deren Bild ihn umschwebte, deren Athem er, wo er auch war, zu fühlen vermeinte! Und wenn er es vermochte, suchte er die Begegnung von neuem mit ihr. Es war auch, als komme sie ihm entgegen, ohne doch im geringsten die sittige Zurückhaltung eines wohlerzogenen Mädchens zu verleugnen. Aber ein Blick, den sie beide tauschten, und es entstand eine Anziehungskraft des einen auf den andern, der sie nicht zu widerstehet vermochten. Sie flogen gleichsam zu einander, und es konnte in der Gesellschaft bald nicht mehr übersehen werden, daß der Prinz in den Banden der Leidenschaft für Fräulein von Linsingen sei und diese Leidenschaft ihm erwidert werde. Trotzdem war zwischen beiden noch kein Wort von Liebe gesprochen worden. Mit einer Willenskraft, zu der er die höchsten Anstrengungen aufbot, hielt der Prinz mit der Aeußerung dessen gegen Karoline zurück, was er für sie empfand. Aber was bedurfte es auch der Worte? Wenn sie sich sahen, so lasen sie gegenseitig in ihrer [797] Seele und deren Geheimniß, daß eine die andere zu ihrer völligen Ergänzung ersehne, wurde ihnen bald offenbar.

Der General hatte in seiner Ehrfurcht vor dem Königssohn nicht gewagt, gegen ihn Vorstellungen wegen der zu erkennbaren Leidenschaft für seine Tochter zu erheben und ebenso wenig besaß er die Energie, sie aus dem gefährlichen Bannkreis dieser Leidenschaft zu entrücken. In der hohen nervösen Erregung, die er an Karoline wahrnahm, befürchtete er das Schlimmste, wenn er durch ihre Entfernung einen Gewaltstreich gegen sie ausführte, der ihr Herz treffen mußte. In seiner Besorgniß wandte er sich aber freimüthig an seine königliche Freundin in London und rieth ihr, durch Zurückberufung des Prinzen das in ihm entfachte Feuer noch rechtzeitig verglimmen zu lassen. Die Antwort der Königin wollte die Angelegenheit nicht als so ernsthaft aufgefaßt haben; vielmehr drückte sie eine gewisse Freude darüber aus, daß ihr Sohn durch eine Liebe zu solchem Mädchen von leichtsinnigen Verbindungen abgehalten würde.

Linsingen fühlte dadurch sein Gewissen auch beruhigt; es blieb wolkenloser Himmel über den Liebenden und sie fanden unbehindertes Wiedersehen, das ihren Herzensbund festigte. Respekt und Etikette ließen überall, wohin auf einem Gartenfest oder in Ballsälen der Prinz seine Schritte lenkte, freien Raum um ihn [798] und, wenn er es haben wollte, um ihn und Karoline, mit der er Zwiesprach suchte. Seine in die Seele bohrende, lange schweigende Leidenschaft konnte endlich nicht mehr in Zaum und Zügel bleiben. Sie brach wie eine gewaltsam zurückgehaltene Fluth desto ungestümer hervor, als die Schranke gefallen. Seine Geständnisse und seine Schwüre überraschten das Mädchen nicht, noch setzten sie sie in Verwirrung, sondern sie riefen volle Erwiderung von ihren bebenden Lippen. Kein Bedenken auch, kein Ernüchtern danach, nur bei jeder Gelegenheit neu wiederholte Schwüre, daß sie beide für das Leben sich angehören wollten. Der Prinz war auch sogleich entschlossen, seinen Schwur zu erfüllen. Vor seiner Begeisterung dafür verstummten Lord Duttons freundschaftliche Versuche besonnener Vorstellungen. Er selbst wurde von dieser Begeisterung angesteckt und empfand in der Nähe Karolinens etwas von dem, was William den "unentrinnbaren Zauber“ nannte. Einen neuen, ihm nicht minder zugethanen Freund hatte der Prinz in dem jüngeren Bruder Karolinens, Ernst, gefunden, der seine Schwester wie ein höheres Wesen verehrte und in seinem feurigen Ungestüm entzückt über Williams Absicht war, sich mit Karoline zu vermählen. Diese selbst gab dazu ihre Einwilligung in der traumhaften Seligkeit, in der sie unter der Liebe Williams lebte, und ein junger schottischer Priester Namens Parsons erklärte sich aus Ergebenheit für den Prinzen, in dessen Gefolge er war, zur Vollziehung der Ehe bereit. Alles wurde im tiefsten Geheimniß dazu vorbereitet und der Aufenthalt in Pyrmont, wo der Geburtstag Williams festlich begangen werden sollte, zur Ausführung des Planes bestimmt.

Mehr als ein Jahr war bereits versflossen, seit der Herzog von Clarence sich im hannöverschen Lande befand, und in den heißen Augusttagen war es, daß er nach dem reizvollen Bade von Pyrmont sich begab. Sein älterer Bruder, der Herzog von York, wollte ihn dort besuchen; große Gesellschaften sollten gegeben werden. William aber lebte nur der Erwartung, dort seine heimliche Ehe mit Karoline einzugehen. Dutton und Ernst trafen mit Parsons alle Vorbereitungen dazu, und der Prinz selber fand auf seinen Ausritten in die Umgebung zufällig eine einsam gelegene Waldkapelle, die ihm für die Trauungsfeier geeignet erschien. In der Frühe seines Geburtstages, am 21. August, ehe noch die Gesellschaft von Pyrmont aus dem Schlafe war, sollte die Vermählung vollzogen werden.

Am Abend zuvor besuchte die ganze feine Welt des Badeorts die Theatervorstellung. „Don Carlos“ wurde gegeben. Der Prinz William wohnte mit Karoline und all seinem Gefolge der Aufführung bei. Er konnte sich in der Aufregung, in die ihn die nahe Erfüllung seines so stürmisch ersehnten Glücks versetzte, kaum beherrschen. Seine trunkenen Blicke hingen an den Augen der Geliebten, die nicht minder bewegt war. Jedes von der Bühne herabfallende Wort, das sie auf sich und ihr Verhältniß zu William beziehen konnte, erhöhte den Schlag ihres Herzens.

Zum Glück waren Lord Dutton und Ernst neben ihnen, um sie zu rechter Zeit in dem Selbstvergessen das über sie kam, dadurch zu beschützen, daß sie durch eine Bewegung die Blicke der Gesellschaft auf sich und von den unvorsichtigen Liebenden ablenkten.

Für den Abend war Tanz angeordnet, Karoline kehrte in ihre Wohnung zurück, um dafür Toilette zu machen. Sie kleidete sich ganz in Weiß; ihr einziger Schmuck war ein grüner Kranz mit Perlen durchflochten und das Ordenskreuz ihres Fräuleinstiftes, das sie nur bei feierlichen Gelegenheiten zu tragen pflegte. Auf dem Balle stellte sich ihr der inzwischen angekommene Herzog von York vor, der, locker in seinen Sitten und an Eroberungen galanter Art gewöhnt, ihr den Hof zu machen Lust hatte. Aber Prinz William drängte ihn hastig ab und stellte ihm Karolinens ältere Schwester Julchen vor, die er zum Tanz sich auch erkor und nach englischer Sitte für den ganzen Abend als Tänzerin behielt.

Der Etikette gemäß führte der General seine Tochter Karoline dem Prinzen William zu. Der ehrwürdige, gütige Greis legte lächelnd, als wolle er ihnen ausdrücken, wie glücklich er sie damit mache, ihre Hände in einander. Sie zitterte unter dem Geheimniß, das sie vor ihm verbarg, und verwirrt beugte sie sich nieder, um ihres Vaters Hand zu küssen.

„Du giebst mich ihm für das Leben!“ hauchte sie hin und ihr leuchtendes blaues Auge hob sich so sprechend auf ihn, daß er, wie ihre Gedanken errathend, in Rührung zu ihr sagte: „Wären doch Eure Wünsche zu erfüllen! Aber es geht ja nicht.“

Er wandte sich ab.

„Es geht ja nicht!“ klang es in ihren Ohren nach, und in ihrem Herzen antwortete es jubelnd darauf: „In wenig Stunden wird es sich dennoch erfüllen!“

Und gleichwohl wirkte es traurig nach, was ihr Vater zu ihr gesprochen.

Der Prinz bemerkte den leisen Schatten, der auf ihr Antlitz gefallen. „Karoline!“ rief er aus und preßte mit Ungestüm ihre Hand heimlich an sich. „Was ist Dir? In Deiner Seele liegt etwas, was ich noch nicht kenne. Fühlst Du Reue? Hast Du Bangen, Mißtrauen, trübes Ahnen?“

„Nein, nein, William,“ erwiderte sie ihm. „Es muß ja alles gut werden!“

„Ja, bei Gott! Kann mein Schwur und Wille es bewirken, so wirst Du glücklich werden, wie Du es erträumst, indem Du mir vertrautest. Du wirst glücklich werden, Karoline, weil ich es durch Dich werde, einzig durch Dich nur werden kann.“

In diesem Augenblick trat der Herzog von York mit sonderbarem Lächeln zu dem Paare heran und sagte zu seinem Bruder:

„Aergert Dich etwas, William? Du bist ja so aufgeregt. Ei, ei, ich glaube, Fräulein von Linsingen ist schuld daran! Ah, mein Fräulein, wie reizend sind Sie! Könnte man sich das Bild der Unschuld vollkommener denken?“

Da blitzte es wild auf in Williams Auge, und eben sollte ein zorniges Wort den Spötter treffen, als Karolinens Bruder zum Glück dazwischen kam und den Prinzen fragte, ob der Tanz beginnen solle.

Dieser nickte und sofort spielte die Musik. York schwang übermüthig seine Dame im Reigen, und auch William schwebte mit Karoline dahin. Aber er grollte noch in hervorgestoßenen Worten seinem Bruder und sie hatte Mühe, ihn so weit zu beruhigen, daß sein Benehmen nicht größeres Aufsehen erregte, als bei einigen Personen schon geschehen war.

York indessen schien es boshafterweise darauf abgesehen zu haben, sich eifersüchtig auf seinen Bruder wegen dessen Tänzerin zu zeigen. Nach dem Tanz äußerte er so laut, daß William und Karoline es hören mußten, zu Julchen:

„Könnte man nicht wähnen, daß mein Bruder sich stolz wie ein Bräutigam am Arme Ihrer Schwester fühle? Sehen Sie doch! Und wie verschämt sie erglüht! Ah, das ist ja reizend!“

Der Prinz zog, um nicht seinem Jähzorn zu verfallen, schnell die in der That tief erröthete Geliebte mit sich zu der offen stehenden Thür des Saales, welche in die Allee des Parkes hinausführte. Jeder Herr geleitete wohl während der langen Pausen, die zwischen den Tänzen stattfanden, seine Dame in die würzige und erquickende Luft des Parkes, so daß auch die Entfernung des Prinzen nicht auffallen konnte. Er freilich entzog sich dem Gewühl und lustwandelte abseits mit seiner Braut; der Zorn in seiner Brust verhallte bald und das seligste Entzücken hielt beide umfangen.

Ernst und Dutton hielten sich als getreue Eckarts in ihrer Nähe. Der Prinz rief sie unter einer alten Linde heran und in der Ueberschwänglichkeit seiner Gefühle drückte er sie an sein Herz und ließ sie schwören, treu in aller Weise zu ihm zu halten, zu ihm und seinem Weibe.

„O,“ rief er, „denkt immer an diese Stunde, wenn Ihr straucheln solltet! Ich kann es nie im Arme dieses Engels; aber Ihr beiden - wenn das furchtbare Schicksal mir einst dieses Weib entreißen sollte, dann seid mir Posas, und ich will Euch der dankbarste Carlos sein!“

Er kniete im Dunkel der breiten, tief hängenden Blätterkrone nieder und hob die schönen, großen Augen zum Sternenheer, als rufe er die göttliche Macht zur Zeugin seines Eides an. Dann sprang er auf, drückte die Geliebte an sich und schritt mit ihr in einen Seitenweg.

„Wenn es möglich wäre, Theure,“ zitterte es noch aus seiner heißen Brust heraus, „daß Trennung jemals uns beschieden sein sollte, dann ist Kummer, Elend und Jammer unser Los, so lange wir leben. Glaube mir, Karoline, wir werden uns ewig lieben, auch dann; weil es zwischen Dir und mir nur eine Liebe giebt, die sich in einem ewig dem anderen entgegensehnt.“

Innig umschlungen blieben sie schweigend eine Weile stehen.

Bald nachdem sie den Ballsaal wieder betreten, trennte sich die Gesellschaft. Als Karoline dann zu Hause ihren Eltern „gute Nacht“ gesagt, sah sie den Vater in sein Zimmer gehen, um dort irgend etwas vor Schlafengehen noch zu besorgen. Sie eilte ihm nach.

[799] „Vater!“ flüsterte sie bewegt ihm zu. „Noch einmal: gute Nacht!“

Der General schüttelte wie vorwurfsvoll sein graues Haupt gegen sie.

„Wie aufgeregt Du bist, Karoline! Es ist nicht gut für Dich, so viel Feste und Bälle mitzumachen. Besser auch,“ setzte er seufzend hinzu, „der Prinz wäre fort von hier. Ich hoffe wenigstens, daß Du die von ihm vorgeschlagene Morgenpartie Deinerseits unterlassen wirst.“

Karoline erschrak leicht.

„Das geht nicht, Vater; es ist fest abgesprochen. Wie würde der Prinz sich gekränkt fühlen, käme ich nicht mit Ernst zum Rendezvous!“

Wieder seufzte der Greis, und seine Tochter besorgt betrachtend, entgegnete er sanft:

„Es wäre Dir gewiß dienlicher, wenn Du lange schliefest, als so früh wieder auf den Füßen zu sein, um die Sonne aufgehen zu sehen. Bedenke, daß morgen das Geburtsfest des Prinzen gefeiert wird und der Tag also auch Dir wieder viel Anstrengung kostet.“

Sie erwiderte nichts darauf, sondern ging mit gesenktem Haupte in ihr Schlafzimmer, sich dem kurzen Schlummer bis zu der Zeit zu überlassen da Ernst nach der Verabredung sie wecken lassen sollte. Unter dem Vorwand, den Sonnenaufgang sehen zu wollen, gedachten die Geschwister, um vier Uhr fortzureiten. Zur Hochzeit!

Karoline schlief wenig und hatte in unruhigen Träumen dabei einen Kampf mit ihrem Gewissen zu bestehen. Es war bald nach drei Uhr, als sie emporfuhr aus diesen Aengsten und sitzend aus ihrem Bett sich sammelte und nochmals mit sich zu Rathe ging. Doch es gab kein Schwanken mehr in ihr. Noch war draußen kaum ein bleicher Streifen am Himmel, der den neuen Tag ankündigte; aber sie sah eine glänzende Sonne strahlen hinter den aufgethanen Pforten ihrer Zukunft, welche sie an der Hand Williams durchschreien sollte. Es war ein entzückend schöner Traum, der sie wachend umfing. Sie zündete die Kerze an und kämmte vor dem kleinen Spiegel ihres Waschtisches das Haar, das in langem Gewirr über ihre Schultern fiel. Sie ordnete es sorgsam, sie träumte weiter und sah im Spiegel holdseliges Lächeln ihre Züge verklären.

Unten im Hof, wohin ihr Fenster ging, hörte sie die Stimme des Bruders, der pünktlich auf Posten war. Er befahl, die Pferde zu satteln. Sie legte die letzte Hand an ihre Kleidung, und als Ernst bald darauf in ihr Zimmer kam, fand er sie zu seiner Verwunderung reisefertig. Sie empfing ihn in fieberhafter Unruhe, so daß er zärtlich seinen Arm um ihre Schultern legte und sie um Fassung und Muth bat.

„Ja, ja,“ rang es sich aus ihrer Brust. „Ich komme, ich komme, Ernst. Die Sonne geht auf!“

Sie stand wie angewurzelt trotz alledem.

Er senkte seine leuchtenden Blicke in ihre geweiteten, starrenden Augen und beugte sich nieder, einen Kuß auf ihre Lippen zu drücken. Da wandte sie sich zurück und wehrte ihm mit ihrer Hand. Er verstand sie und lächelte. An diesem Tage war sie heilig; auch der Bruderkuß wäre ein Raub an dem Geliebten gewesen, in dessen wartende Arme sie eilen wollte. Sie stürzte über die Schleppe ihres Reitrocks weg förmlich die Treppe hinunter. Unten scharrten die Pferde und wieherten in die frische, sich goldende Morgenluft. Georg, der treue Diener des Generals, hielt sie an den Zügeln. Kaum im Sattel, sprengte sie auch im Galopp davon, Ernst bald neben ihr mit seinem feurigen Renner, Georg dahinter.

Nach einer halben Stunde scharfen Rittes waren sie im Walde zur Stelle und Karoline glitt vom Pferde in die Arme des ihrer schon harrenden Prinzen. Er führte sie in ein Bauernhaus, in dessen Nähe auch die Kapelle sich befand. Die Leute dort waren von Ernst am Tage zuvor auf den Besuch vorbereitet worden. Parsons und Lord Dutton kamen von dorther dem Brautpaar entgegen. Der Prinz geleitete Karoline zu dem Zimmer, in dem sie ihre Toilette machen sollte. Er kniete da vor ihr nieder, schaute sie minutenlang sprachlos an und verließ sie darauf.

Bald konnte sie in dem Gemach den Geliebten im bräutlichen Schmuck empfangen, den er für sie hierher hatte bringen lassen. Es war ein feines, blendend weißes Kleid und ein goldener, sehr breiter Gürtel mit Diamantenschloß. Er umarmte sie mit Ungestüm, und immer noch kam kein Wort von seinen Lippens wortlos war auch sie; weihevoll bewegt und beglückt waren sie beide.

Ernst trat herein und hielt einen Kranz von frischer, blühender Myrthe in seiner Hand, den William sogleich ergreifen wollte, um ihn der Braut ins Haar zu drücken. Doch der Bruder wollte ihn nicht hergeben.

„Nein,“ rief er in freundschaftlichem Streit und barg den Kranz hinter sich vor dem andringenden Räuber. „Ihr hattet beide dies schöne Sinnbild vergessen, ohne das keine Tochter unseres Hauses getraut werden darf. Theurer Prinz, gehört es denn mit ihr nicht auch Ihnen? William, Bruder,“ setzte er ganz erschüttert hinzu, „Du giebst ihr heute alles, führst sie in einen Himmel voll Seligkeit. O, laß mich doch etwas für das holde Wesen thun, das ich Dir heute ganz übergebe, das ich mir raube, Dir auvertraue.“

Er sprach wie der Vertreter seines und ihres Vaters, und der Prinz ließ dies Recht gelten, führte ihn zu der Braut, aus deren Augen Thränen der Rührung perlten, und ließ ihn den Kranz in ihre Locken setzen. Sie hatte knieend diesen Schmuck hingenommen. Der Prinz und Ernst hoben sie auf, dann gingen sie mit ihr aus dem Hause hinüber nach der Kapelle, wo an dem würdig hergerichteten Altar der schottische Priester, Lord Dutton, Georg und des Prinzen Leibdiener Jackson ihrer warteten. Dort kniete das Brautpaar nieder und erhielt den priesterlichen Segen. Laut und feierlich beantwortete William die letzte Frage vor der Schließung des ehelichen Bundes, aber so heftig zitternd wie sie. Als sein Weib nach allen Vorschriften der schottischen Hochkirche trat sie an seinem Arm aus der Kapelle in die von der Frühsonne durchfunkelte, einsame Waldnatur, und vor allen Zeugen, nachdem er ihnen gedankt, sagte er da zu ihr:

„Unser Bund ist ewig. Wenn auch das Schicksal uns kalt umschatten sollte, Du bist mein, ich bin Dein treuer Gatte. Erhalte Dich mir; mein Leben lebt in Deinem heißgeliebten Leben.“

Sie mußten eilen, um noch rechtzeitig und in passender Kleidung in Pyrmont zu erscheinen, wo bei der Tante des Prinzen, der Herzogin von Braunschweig, vormittags Kour stattfinden und er die Glückwünsche der Gesellschaft entgegennehmen sollte. Auf verschiedenen Wegen begaben sich die Neuvermählten nach der Badestadt zurück. Karoline erschien dann in dem kleinen Zuge der erlesenen Gäste, die sich der Herzogin vorstellten. Als sie William neben seinem Bruder in allem Glanze seines Standes stehen sah, zog ein Krampf ihr Herz zusammen. Sie, die sich so ehrerbietig vor ihm verneigte, war sein Weib, stand ihm auf der Welt am nächsten und ihr Platz hätte neben ihm sein müssen. Aber mit Wonne erfüllte sie wieder, wenn sie selbst regierende Fürsten und Fürstinnen ihm huldigen sah, der Gedanke, daß sie die Seine war und dermaleinst vor aller Welt es sein würde.

Dermaleinst! Davon hatte sie mit ihm, er mit ihr bisher nicht viel gesprochen, wie das Geheimniß ihrer Ehe und wann es den beiderseitigen Eltern enthüllt werden sollte; nicht mehr, als daß sie zuerst dem General, ihrem Vater, sich entdecken wollten, um dann unter seiner schützenden Fürsprache die Verzeihung des Königs und der Königin zu erringen. In Wahrheit flogen ihre Gedanken noch nicht über das beseligende Glück hinaus, sich anzugehören, ihre Seelen durch einen Priesterspruch nun vereinigt zu wissen, und es regte sich kein Wünschen in ihnen, aus dem zauberischen Bannkreise ihres Geheimnisses herauszutreten.

Der Winter verging und es wurde wieder Sommer, ohne daß in ihrem Verhältniß sich etwas geändert hätte. Sie verriethen in der Familie Linsingen nicht mehr, als daß sie verliebt ineinander waren, und da man hier so viel schon seit anderthalb Jahren hatte sehen oder errathen können, so erregte es weiter kein Aufsehen. Selbst der General machte sich keine Sorgen mehr darum und gönnte den jungen Letten ein Herzensspiel, dessen Gefährlichkeit, wie er hoffte, sich vermindern würde, je länger es in der Aussichtslosigkeit, in der es ihm erscheinen mußte, währte. Um seinerseits indessen noch dazu beizutragen, suchte er bekannten jungen Männern mehr als früher sein Haus zu öffnen in der festen Hoffnung, daß der eine oder der andere der hübschen ritterlichen Herren durch eine energische Werbung allen Träumereien Karolinens ein Ende bereitet würde. Infolge dessen waren in der That mehrere Herren in der Linsingenschen Familie Hausfreunde geworden, von denen Franz von Alten und Werner v. d. Busche unverkennbare Absichten auf Karolinens Hand hatten.

Sie ahnten nicht, welch Hinderniß ihren Bemühungen entgegenstand, und sahen das vertrauliche Benehmen des Prinzen William gegen Karoline nicht als eine Beeinträchtigung ihrer Hoffnungen [800] an. Karoline hütete sich auch wohl, sie ihnen durch eine Erklärung zu nehmen, welche ihr Geheimniß bloßgestellt haben würde, bewahrte aber im übrigen ihre stille, mädchenhafte Zurückhaltung. Für sie hatte dies Umwerben etwas Komisches, während der Prinz es allmählich doch lästig fand und eine Eifersucht darüber in ihm aufstieg, die zu unterdrücken ihm häufig sehr schwer wurde.

Auch in diesem Sommer nahm der Prinz seine Sommerfrische in dem Modebade Pyrmont und mit ihm natürlich die Familie des Generals. Bald jährte es sich, daß er mit Karoline vermählt war, und er dachte nun daran, bei günstiger Gelegenheit sich dem Vater seiner Gemahlin endlich zu entdecken, um der ewigen Verstellung und der eifersüchtigen Regungen gegen die jungen Freunde der Familie überhoben zu sein.

Eines Nachmittags machte eine Gesellschaft von Herren und Damen dem Prinzen William zu Gefallen einen größeren Spazierritt in den schönen Sennerwald. Auch Karoline und Lord Dutton, Alten und Busche waren dabei. Ihr wurde gar seltsam zu Muth, als die Kavalkade den Weg anschlug, den sie fast ein Jahr zuvor zur heimlichen Trauung in der alten Kapelle zurückgelegt. Es war das erste Mal, daß sie wieder in die Nähe dieser ihr heiligen Stätte kam. Der Prinz hatte es seit seinem Aufenthalt in Pyrmont vermieden, mit ihr sich dahin zu begeben; es sollte nach seinem Wunsche erst an seinem Geburtstage, dem Tage ihrer Trauung, geschehen. Warum jagte er jetzt, allen voran, dahin?

Kurz vor der Kapelle hielt er und sprang vom Pferde, was eine Aufforderung für seine Begleitung war, dasselbe zu thun. Er leistete Karoline den Ritterdienst, sie herabzuheben, und führte sie dann bis zur Thür. Da der Schlüssel fehlte, lief er selbst, ihn aus dem nahen Bauernhause zu holen. Er schloß hastig auf, stürzte in der Kapelle gegen den Altar und küßte in Ekstase die Stufe desselben. Die ihm nachfolgende Gesellschaft gerieth darüber in hohes Erstaunen. Karoline ihrerseits erblaßte und fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Lord Dutton sah es, eilte zu ihr und sagte laut, um die Umstehenden über die Ursache ihrer Bewegung zu täuschen:

„Nein, die müssen wir wieder suchen!“

Er zog sie dabei mit sich zur Thür.

„Was denn? Was denn?“ fragten ihn Alten und Busche zusammen, sichtlich erschrocken über den Anblick, den ihnen Karoline bot.

„Fräulein von Linsingen,“ log Dutton weiter, „hat unterwegs ihre Brillantnadel verloren.“

„O, die müssen wir wiederfinden!“ riefen die beiden jungen Herren und eilten auch sogleich hinaus, um sich auf ihre Pferde zu werfen und den Waldweg mit spähenden Augen abzureiten.

Inzwischen war der Prinz wieder ruhiger geworden, hatte sich vom Altar fortbegeben und war zu Karoline getreten.

„Reiten Sie nicht neben einander!“ warnte der besorgte Freund, der beobachtet hatte, welches Aufsehen der ganze Vorgang bei den Zuschauern machte. „Schon zu viel haben Sie verrathen, mein Prinz.“

William ließ sich bereden und trennte sich von Karoline, die an Lord Duttons Seite inmitten der Kavalkade heimritt. Bald trafen sie auf die beiden Herren, die in vollem Eifer nach der Nadel suchten.

„Verzeihen Sie,“ sagte Karoline, ihr Pferd anhaltend, „es war ein Irrthum. Ich habe die Nadel gar nicht angesteckt gehabt.“

Nun wandten sich die zwei zu der von ihnen Geliebten, ritten gleich Dutton neben ihr, scherzten und geriethen in einen Uebermuth, der Karoline höchlich verstimmte. Vor ihrer Wohnung sprangen die lustigen Herren flugs vom Pferde, um ihr beim Absteigen zu helfen. Aber ihnen zuvor kam der Prinz, mit geröthetem Antlitz, funkelnden Augen, bebend vor Zorn, er riß Karoline beinahe vom Pferde, indem er mit heißem Athem ihr zuflüsterte:

„O, laß heute von keiner anderen Hand Dich berühren, als von der meinigen!“

Er konnte seine Leidenschaftlichkeit nicht so beherrschen, daß Alten und Busche, die unweit von ihm standen, sein Gebahren nicht hätten auffällig finden müssen. Sie sahen sich fragend an, dann den Prinzen, dann Karoline, die vor Verlegenheit bis in die Schläfen errötet war. Sie sah, wie der Puder in den Haaren Williams, weil er sie beim Absteigen ungestüm an sich gedrückt, ihr dunkelgrünes Reitkleid mit weißen Flecken bedeckt hatte, und eilte in ihr Haus, um dies den Augen der übrigen zu Pferde haltenden Gesellschaft so viel als noch möglich zu verbergen.

Wunder konnte es nach diesen Scenen nicht nehmen, daß die Zeugen derselben ihre Gedanken darüber gegenseitig äußerten. Es ging den Abend ein Gewisper und Gezischele durch die Gesellschaft; die Herren von Alten und v. d. Busche bezähmten sogar ihren Aerger so wenig, daß sie als Gäste des Generals selbst vor dem Prinzen und Karoline ihre Glossen machten. Der Prinz vernahm einige Worte des Herrn von Alten zu seinem mitleidenden Freunde, die ihm anzüglich erschienen und ihn derartig in Aufregung versetzten, daß er zu Lord Dutton lief und mit diesem wegen einer Forderung an Alten sprach. Karoline hatte es bemerkt und ahnte, was da im Werke. Sobald es ohne Aufsehen geschehen konnte, eilte sie zu dem Prinzen und Dutton, um den ersteren zu bitten, nichts zu übereilen, wenn ihm ihr Leben lieb sei. Auch Dutton beschwor seinen Freund, sich zu beruhigen und von seinem Vorhaben abzustehen, um Karolinens Ruf nicht durch einen solchen Skandal zu kompromittiren. Dies entschied. Er warf nur einen stolzen, strafenden Blick auf Herrn von Alten, als dieser ihm wieder in den Weg kam, und der junge Mann mochte ihn zu deuten wissen.

Unmöglich konnte jetzt mit der Enthüllung des Geheimnisses vor dem General noch gezögert werden, da die Gerüchte, die von Mund zu Mund gingen, auch zu ihm und seiner Familie gedrungen sein mußten. Nach einer leidenschaftlichen Erneuerung ihrer Schwüre, wozu sie bei einem Alleinsein im Zimmer des Generals, der ausgegangen war, eine glückliche Gelegenheit fanden, entschloß sich der Prinz, den verhängnißvollen Schritt zu thun und sich dem General zu vertrauen.

In demselben Moment kam dieser zufällig auch nach Hause. Er hatte eine fast verstörte Miene und beim Anblick der bestürzt vor ihm Stehenden schwoll die Ader auf seiner Stirn.

„Ich treffe Eure königliche Hoheit gerade recht,“ redete er ihn bei aller schuldigen Ehrerbietung mit Strenge an, "um endlich aus väterlichem Pflichtgefühl die Bitte an Sie zu richten, den Umgang mit meiner Tochter gänzlich zu vermeiden“

„Zu spät,“ fiel ihm der Prinz hier ins Wort und seine Blicke baten um Verzeihung. „Wir sind vermählt, unauflöslich.“

„Ist es möglich!“ stammelte der Greis entsetzt.

Seine Tochter fiel ihm zu Füßen und hob ihre Hände flehend zu ihm empor. Thränen rollten über ihre bleichen Wangen.

„Seit einem Jahr bereits,“ setzte William hinzu.

„Prinz! Prinz! Was haben Sie getan!“

„Was mir mein Herz gebot. Es wird ewig für Karoline schlagen. Vernichtung droht nur allem Endlichen, meiner Liebe nicht. Kein König wird mich von diesem meinem Weibe reißen können.“

„O mein Vater!“ schluchzte sie. „Ich bin eins mit ihm. Ohne ihn müßte ich vergehen.“

„Nein, nein!“ fuhr der General auf. „Diese Ehe ist ungültig, sie muß getrennt werden, Du mußt ihr entsagen.“

„Dann verantworten Sie die Folgen!“

Mit diesen wild ausgestoßenen Worten stürmte der Prinz aus dem Zimmer.

„O mein Gott! Was wird geschehen?“ schrie sie und wollte hinter ihm hereilen.

„Halt!“ gebot der Vater, der todtenblaß geworden war. Er griff nach seinem Hut und verließ das Zimmer, dessen Thür er abschloß, um Karoline gefangen zu halten.

Von furchtbarer Ahnung erfaßt, eilte er nach den Zimmern, die William in demselben Hause bewohnte. Die Thüren standen offen; der Prinz hatte nur einen Vorsprung von einigen Minuten. Und hierher war er in der That geflohen. Die Ahnung des Generals betrog ihn auch nicht. Er fand den Prinzen, wie er eben eine Pistole emporrichtete, um sie auf sich abzufeuern. Mit einem Satz fiel der Greis in den Arm des Verzweifelten; der im selben Augenblick krachende Schuß traf nicht mehr den Prinzen, sondern abgelenkt streifte er die rechte Hand des Retters. Der junge Mann stand beschämt vor seinem Mentor, aus dessen Wunde das Blut auf den Boden tropfte. Dienerschaft brach schreckensbleich herein; die Frau des Generals stürzte aus ihrer Wohnung herzu und vor ihrem Gemahl auf die Kniee, jammernd unter Händeringen:

„Ein Zweikampf! Du und Prinz William! Und Du getroffen!“

„Ruhig!“ sagte der Greis, der sich gefaßt hatte und die Pistole in seiner Hand hielt. „Eine Unvorsichtigkeit meinerseits, nichts weiter! Redet keinen Unsinn, das bitte ich mir aus! Am besten, es wird überhaupt nicht weiter von dieser Sache gesprochen. Die Pistole ist zufällig losgegangen und die Schramme an meiner Hand ist nicht der Rede wert.“

[814] Prinz William reiste nach England. Er wollte seinen Eltern beichten und ihre Einwilligung zu der Ehe mit Karoline von Linsingen erstreiten. Siegesgewiß nahm er Abschied von ihr, hundertmal betheuernd, daß er ihr seinen Schwur halten und sie bald als seine Gattin öffentlich begrüßen werde. Sie glaubte ihm und seiner Liebe; aber es war doch Trauer in ihrem Herzen. Die Trennung erfüllte sie mit düsteren Besorgnissen. Es war ein Wendepunkt ihres Lebens, sie sah jetzt plötzlich die Wirklichkeit, die sie bangen machte.

Der General hatte die Entscheidung dem Könige anheimgestellt. Er selbst wollte nicht mit rauher Hand in das Liebesglück der beiden eingreifen; aber er fürchtete im Stillen, daß seine Tochter schwer werde büßen müssen.

Um sie unter den obwaltenden Umständen allen peinlichen Begegnungen zu entheben, reiste er mit ihr von Pyrmont ab und brachte sie nach dem stillen Driburg. Sie kam als eine Kranke dort an, und wie der fieberhafte Zustand, in den sie nun verfiel, verlaufen würde, war unberechenbar. Ein Arzt und Georg, der Diener, hüteten und pflegten sie, außer ihrem Vater. Wildes Phantasiren brach häufig bei ihr aus; aber es war nicht nur das einer schwer Kranken, sondern traumhafte Gesichtserscheinungen in ihrem magnetischen Zustand waren dabei. Sie sah William, die königliche Familie im Schlosse zu Windsor, Scenen darin mit ihm über sie, seine Gemahlin; sie sprach gleichsam mit hinein, liebeglühend und doch bereit, ihm zu entsagen, weil es von ihm seitens des Königs gefordert wurde. Wenn sie dann aus diesem Zustand des Hellsehens erwachte, so griff eine Erschöpfung ihres Körpers und Geistes Platz, in welcher sie regungs- und wortlos mit wunderbar großen und glänzenden Augen tagelang im Bette lag, wie wartend, wie ersehnend, daß die Visionen von neuem [815] kämen, von denen ihr nur dunkle Erinnerungen zurückblieben. Was sie sah und worüber sie derartig sich ausließ, spielte sich aber in der That im Schlosse zu Windsor zur selben Zeit ab. Prinz William hatte sich vertrauensvoll seiner Mutter zuerst entdeckt. Sie war erschrocken, doch sie zürnte ihm nicht. Sie erkannte theils ihre Mitschuld daran, daß das Liebesspiel ihres Sohnes mit Karoline, zu dem sie ja förmlich ermuntert hatte, so ernste Bedeutung und geheiligte Gebundenheit erhalten; theils konnte sie ihre merkwürdige Theilnahme für des Generals Tochter auch in diesem Fall nicht verleugnen; sie würde daher ihren Segen zu der Heirath gegeben haben. Doch der König! Bei seinem halsstarrigen Charakter und seiner strengen Denkart, bei seiner durch Wahnsinnsanfälle gesteigerten Reizbarkeit war nicht zu erwarten, daß er die Thatsache einer solchen Ehe seines dritten Sohnes ruhig hinnehmen werde, nachdem er eine ähnliche seines Erstgeborenen vor Jahren verflucht.

Die Königin übernahm es gleichwohl, für ihren William beim Vater ein gutes Wort einzulegen. Aber es kam, wie sie vorausgesehen. Der König war außer sich, erging sich in den härtesten Ausdrücken über seinen Sohn und auch gegen den abwesenden General von Linsingen, erklärte die Ehe für null und nichtig, und es war seine Art nicht, seinen Sinn zu ändern. Nicht, daß er hierbei den geistesgestörten Mann zeigte, seine Gründe waren unwiderleglich vernünftig. Das liederliche und verschwenderische Leben des Prinzen von Wales, seines ältesten Sohnes, und dessen heimliche Ehe mit der Witwe Fitzherbert[2] hatten so böses Blut im englischen Volke gemacht, daß man sogar forderte, derselbe solle der Nachfolge auf dem Thron für unwürdig erklärt werden. Vom zweiten Sohn, dem Herzog von York, versprach man sich ebenfalls nicht viel Gutes, wogegen Prinz William wegen seines freimütigen Charakters und weil er im Dienst der Flotte das Zeug zu einem Seehelden bewiesen hatte, ungemein populär war. So war er der Liebling der königlichen Familie, so war er auch bereits der Liebling des englischen Volkes, und für die Zukunft der Dynastie rechnete man daher unter den obwaltenden Umständen schon auf ihn. Durch eine Mißheirath seinerseits mußte man besorgen, daß er in den Augen des Volks starke Einbuße erleide und die dynastischen Interessen vollends zu Schaden bringe. Georg III. hatte einen sehr begreiflichen Ingrimm darüber, daß in seinem Hause solche unebenbürtigen Heirathen Mode werden zu wollen schienen. Er kündigte seine Entschließung dem Sohne an, aber Prinz William schwur, niemals in eine Scheidung zu willigen, lieber sich von seinem Vater enterben und verstoßen zu lassen. Es gab die heftigsten Scenen. Die Mutter sah endlich keinen anderen Ausweg, als sich an den General von Linsingen zu wenden, um seine Tochter zu bestimmen, ihren Rechten auf den Prinzen großherzig zu entsagen.

So blieb die Angelegenheit in der Schwebe, bis anfangs November an Brief von Lord Dutton, der in Hannover zurückgeblieben war, an William antraf und ihm von der Erkrankung Karolinens und ihrem Aufenthalt in dem stillen Städtchen Driburg meldete. Jetzt hielt es den Prinzen nicht länger bei den Seinen. Er sagte seiner Mutter, daß, wolle man ihn nicht zum Aeußersten treiben, er zu der Geliebten zurückkehren müsse. Die kluge Frau, auch voller Mitgefühl für ihn und Karoline, erachtete es fürs Beste, nachzugeben und des Königs Widerspruch gegen diese Reise damit zu beheben, daß sie als Zweck derselben eine gütliche persönliche Auseinandersetzung ihres Sohnes mit seiner Gemahlin wegen ihrer Entsagung vorschützte. Sie verlangte dies auch ausdrücklich von William und gab ihm Briefe sowohl an den General wie an Karoline mit, die so schonend als möglich ihnen die Notwendigkeit einer Trennung der Ehe zu Gemüth führen sollten, wofür Karoline das Opfer der Entsagung um des Glücks des Königssohnes in der Zukunft willen bringen und damit den höchsten Beweis ihrer Liebe geben möge.

Der Prinz eilte auf den Flügeln seiner Sehnsucht nach Driburg und trat mit dem General an das Bett Karolinens. In diesem Wiedersehen vergaßen sie die Welt.

William hatte die ihm mitgegebenen Briefe übergeben. Der General las das an ihn gerichtete Schreiben in der Stille seines Zimmers und als er eine Gelegenheit fand, ohne des Prinzen Anwesenheit mit seiner Tochter zu sprechen, wagte er, ihr den Inhalt mitzuteilen. Sie hörte es ruhig an und lächelte schmerzlich. Dann nahm sie ihren Brief der Königin hervor und las ihrem Vater folgende Stelle daraus vor:

„Ich baue als edles Weib fest auf das Herz eines anderen edlen Weibes; ich schicke Ihnen noch einmal meinen Sohn, ohne Furcht, denn ich weiß, Sie werden ihn mit Treue den mütterlichen Händen, seinen Pflichten und seinem Vaterlande zurückgeben.“

Ihr Vater schüttelte mit feuchtem Auge sein graues Haupt.

„Was wirst Du thun, mein armes Kind?“ fragte er sie dann und forschte in ihrem durchleuchteten, bleichen Gesicht.

„Das Rechte, mein guter Vater,“ antwortete sie ihm sinnend. „Ja, das Rechte!“

Mehr sagte sie nicht, und mit dem Prinzen sprach sie so wenig ein Wort darüber, wie er über die an sie gestellte Zumuthung seiner Eltern. Den ganzen Tag, einen nach dem andern, verbrachten sie in ihrem Liebesglück, als sei es unbedroht. Der General hatte nicht den Muth, sie daraus zu reißen. Oft sah er ihnen zu, wie sie Hand in Hand in wonneseligem Schweigen bei einander waren, und ahnend, daß die Prüfung nicht ausbleiben könne, seufzte er kummervoll. „Gott, gieb ihnen Kraft und Stärke!“

Drei Wochen blieb der Prinz in Driburg. Dann kam Lord Dutton aus Hannover; er hatte einen Befehl des Königs erhalten, William sofort zur Rückreise zu nöthigen und ihn zu diesem Behufe bis zum englischen Kriegsschiff zu geleiten, das ihn von Stade an der Elbmündung nach England bringen sollte. Der Prinz mußte sich nun wohl von Karoline trennen, die er in der Schwäche einer Schwerkranken gefunden und die in der Zeit seiner Anwesenheit von Tag zu Tag merkwürdig wieder erblüht war. In all ihrer lieblichen Schönheit, die Formen wieder gerundet, mit schwellenden Lippen und rosigen Wangen stand sie vor ihm, in süßer Scheu und mädchenhaftem Bangen. Und so von ihr scheiden! Er preßte sie stürmisch an sich und sie ließ ihr Haupt an seiner Brust ruhen. Er bat sie, stark zu sein, ihm zu vertrauen, ihm allein, durch nichts sich bestimmen zu lassen, ihre Einwilligung in eine Scheidung, wie es des Königs Wille sei, zu geben.

Still und ohne einen Einwand hörte sie ihm zu.

„Nein, theures Weib,“ fuhr er in flammender Beredsamkeit fort, „der Sturm darf uns nicht schrecken. Ich halte das Steuer in fester Hand und so theilt unser Lebensschiff die brausenden Wogen. Wir kommen ans Ziel, in den Hafen. Und wie glücklich werden wir unser Dasein gestalten!“

Er jubelte seiner erträumten Zukunft entgegen, mit ihr von der glänzenden Höhe seines Standes in die idyllische Friedseligkeit eines Privatlebens sich zu flüchten, und er schwor es, wenn man sich dem widersetze, jedes Band zu zerreißen, das ihn an Eltern, Verwandte und das Vaterland knüpfte, um sich dem Glück seiner Liebe, um sich der einzig Geliebten hinzugeben fürs ganze Leben.

Da kamen ihr Vater und Dutton herein. Traurig, als sei es eine Todesbotschaft, meldeten sie, daß der Wagen zur Abreise bereit stehe. Eine furchtbare Anstrengung hielt sie aufrecht in seinen Armen. Mit mühsam errungener Fassung erwiderte sie sein bebendes Lebewohl. Bewußtlos fast lag sie an seiner Brust, die Augen geschlossen.

„Karoline! Karoline!“ rief er sie leidenschaftlich zu sich.

Sie schlug die Augen auf und sah, daß der Schatten einer Ahnung in den seinigen war, einer Furcht vor dem Kommenden. Nur einen Moment; dann entwand er sich ihr, hoffnungsselig lächelnd, und ging. Aber er breitete noch einmal seine Arme gegen sie und eine unwiderstehliche Macht trieb sie, sich hineinzustürzen. Der Stern auf seiner Brust drückte schmerzhaft ihre Stirn dabei. Sie schreckte zurück; sie starrte auf diesen harten Metallstern. Ein glühendes Küssen noch, und er flog zur Thür hinaus.

Sie war allein. Eine gräßliche Einsamkeit, in der sie schauderte. Sie hörte die Pferde sich in scharfem Trabe entfernen, den Wagen schnell dahinraste. Ihre Kraft brach und sie sank auf einem Sofa zusammen.

„Vorbei!“ schluchzte sie. „Es ist vorbei!“

Als ihr Vater, der dem Prinzen das Geleit bis vor das Haus hatte geben müssen, wieder hereintrat, fand er sie leblos auf dem Sofa. War es nur Ohnmacht, oder wirklich der Tod? Der verzweifelnde Mann beugte sich über sie.

Kein Athmen, kein Schlag ihres Herzens. Er rief nach Hilfe, nach dem im Hause wohnenden Arzte. Man brachte Essenzen, Salze; der Arzt horchte an ihrer Brust und vernahm in Staunen um die Erstarrte ein unheimliches Knistern, auch ein Pochen im [816] Sofa. Er bestrich ihr kaltes Antlitz – und, gottlob! sie schlug die Augen auf und bewegte sich. Eine lange Ohnmacht war es, aus der sie endlich erstand.

Er war fort, der mit seiner Gegenwart einen magischen Zauber auf sie ausgeübt, wie sie auf ihn. Vorbei, vorbei! hatte sie im Herzensschrei ausgestoßen, als er sie verlassen. Das Rechte zu thun, hatte sie sich vorgenommen, als sie den Brief der Königin an sie gelesen, und ihr Entschluß war gefaßt unter all den Liebesbetheuerungen, die sie mit dem Prinzen austauschte. Ihn lieben, das war ein höheres Gesetz als ihr Wille; ihn ewig lieben, das war ihr Glaube, ihre Religion. Aber auf seinen irdischen Besitz verzichten, um seinem Aufsteigen zum Throne kein Hinderniß zu sein, seiner Person entsagen, um das höchste Opfer für ihn zu bringen – das war das Rechte, was sie thun mußte. Ihr Ideal sollte er bleiben – den Menschen, der es verkörperte, wollte sie aufgeben, festen Sinnes, unbedingt, um alles für ihn und für sich klar zu machen.

So erklärte sie ihrem Vater ihren Entschluß, so schrieb sie selbst der Königin ihre Entsagung der Rechte an den Herzog von Clarence. Vorbei! Jeden Brief, den sie seit der Trennung von William aus London erhielt, sandte sie unerbrochen zurück. Lord Dutton, der wieder nach Hannover zurückgekehrt war und den der Prinz gleichsam zu seinem Gesandten bei ihr bestellt hatte, versuchte, ihr dann Briefe desselben aufzunöthigen und, des Schwures in jener Augustnacht eingedenk, ein getreuer Posa seines Carlos zu sein. Aber auch des Freundes Vermittlung war umsonst. Karoline wies ihn sanft und bestimmt zurück.

„Dutton,“ sagte sie zu ihm, „erschweren Sie meine Prüfung nicht. Sprechen Sie seinen Namen nicht mehr aus zu mir; schreiben Sie ihm, daß er keine Briefe mehr an mich achte. Ich erbitte es von seiner Liebe. In meinem Herzen lebt er weiter, aber für die Welt ist er mir ein Todter, muß er es sein.“

Und der junge Lord ehrte ihren Willen, suchte er gleich, wo er nur konnte, ihr zu nahen und um sie zu sein.

Derweil betrieb die Königin in London unter ihres Gemahls strenger Aufsicht die gerichtliche Scheidung. Bei ihrer Kenntniß des Charakters Georgs III. war unmöglich anders zu handeln, und wenn sie die Angelegenheit in der Führung behielt, so war sie wenigstens im Stande, dabei so schonend als möglich zu verfahren. Der König hatte einen besonderen Gerichtshof für den Fall eingesetzt und demselben die Entsagungsurkunde Karolinens und die Zustimmung ihres Vaters übergeben. Das mußte genügen, denn mit Prinz William war in keiner Weise über die Sache zu reden. Er weigerte sich mit aller Entschiedenheit seines heftigen Charakters, in die Scheidung zu willigen und durch die Entsagungsurkunde Karolinens sich bestimmen zu lassen. Er wußte, daß die Arme von seiner Mutter bedrängt worden war und aus Liebe zu ihm das Opfer zu bringen sich entschlossen haben mußte. Seine Proteste, nahm sie dieselben auch nicht an, erhielt er auch alle seine Briefe an sie ungelesen zurück, hielt er dafür desto trotziger gegen seine Eltern aufrecht. Er hoffte unerschütterlich, zu siegen und dem geliebten Weibe doch die allein würdige Stellung an seiner Seite zu verschaffen, sobald die Verhältnisse sich nur günstig dafür gestalteten. Und dies konnte so jeden Tag möglich sein. Der König litt immer wieder von Zeit zu Zeit an Geistesstörung und seine grenzenlos starrsinnige Politik erhielt mehr und mehr Züge eines Despotismus, der in England verhängnißvoll werden konnte. Man sprach daher schon wieder von Einsetzung einer Regentschaft. Würde dieselbe dem Prinzen von Wales übertragen, so konnte William sicher sein, daß ihm sein Bruder nicht wehren würde, zu thun, was er selber gethan. Lebte der doch noch immer, trotz Fluch und Grimm des Vaters darüber, in seiner Ehe mit der schönen Fitzherbert. Zeit gewonnen, war also für ihn alles gewonnen.

Das Gericht handelte unterdessen nach dem Gebot des Königs. Eines Tages erhielt Prinz William das Urtheil einfach zugefertigt. In seiner Wuth zerriß er das Aktenstück und warf die Fetzen davon ins Feuer. Das Urtheil hatte keinen Werth für ihn. Aber diese Entscheidung regte ihn so sehr auf, daß er in dem Ungestüm seines Wesens sich durch ein wildes Genußleben zu betäuben suchte. Eine unglückliche Liebe ist leicht geneigt, in einer anderen Ersatz und wenigstens den Trost des Mitgefühls zu erstreben. William kannte seit der Zeit, daß er wieder in London lebte, die anmuthige junge Schauspielerin Dora Jordans. Jetzt übertrug er seine vom Ziel gewaltsam abgelenkte Leidenschaft auf sie. Aber weder der König noch die Königin beunruhigten sich deshalb; ein solches loses Verhältniß des Prinzen hatte nicht die folgenschwere Bedeutung einer Ehe, wie mit Karoline von Linsingen, und war unter Umständen sogar von Werth. Am liebsten hätte die Königin nun auch Karoline anderweitig gebunden gesehen, um die ihr dornenvolle Angelegenheit dadurch völlig ausgetragen zu wissen und keine Rückschläge mehr befürchten zu brauchen. Sie meinte es in dieser Hinsicht gut und aufrichtig mit der Tochter ihres alten Freundes und suchte auf diesen, nachdem er von dem richterlichen Scheidungsspruch unterrichtet worden, dahin einzuwirken, daß er eine andere Vermählung Karolinens vermittle, wofür sie so zartfühlend als möglich ihre Erkenntlichkeit in Aussicht stellte.

Karoline errieth diese Absichten, wie edel sich ihr Vater auch in seinen Versuchen benahm, sie schnell einer Wiedervermählung geneigt zu machen. Sie ahnte, daß er hierbei die Wünsche der Königin von England befolgte. Das Mißtrauen aber, welches diese damit gegen ihre freiwillige und großherzige Entsagung verrieth, empörte sie. Sie dachte auch nicht daran, einem der Bewerber um ihre Hand, deren es noch verschiedene gab, Gehör zu schenken. Die beiden früheren Verehrer von ihr, Alten und von dem Busche, waren freilich infolge der Entdeckung des Liebesverhälnisses zwischen Karoline und Prinz William zurückgetreten und auch nicht mehr die täglichen Gäste im Hause des Generals, aber nicht minder vornehme Partien waren es, die sich, trotz der Gerüchte über ihre unglückliche Liebe, Karoline darboten. Lange glaubte man, daß Lord Dutton auch zu diesen Bewerbern gehöre, und Karoline begünstigte sogar durch ihr Benehmen gegen den Mitwisser ihres Geheimnisses diese Täuschung über seine Absichten, weil sie dadurch andere Freier zurückhielt.

War es die Energie des Willens, welche Karoline für die Trennung von William aufgeboten hatte, sie erstarkte auch körperlich sichtlich, während doch die seelische Heimsuchung geeignet gewesen wäre, eine so zarte und sensitive Natur völlig zu zerrütten. Erst nach Jahr und Tag ergriff die still wuchernde Krankheit ihrer Seele auch den Körper. Ein schleichendes Fieber zehrte an ihr. Somnambule Zustände stellten sich dazu ein, die ihre Umgebung in Erstaunen und Furcht versetzten. Immer mehr griff die Schwäche um sich und niemand bezweifelte, daß sie bald durch den Tod erlöst sein werde.

Rathlos standen die Aerzte um ihr Krankenbett. In der That, sie sahen nur ihre Auflösung vor ihren Augen sich langsam vollziehen. Der Athem wurde schwächer und hörte dann auf. Bleich, regungslos lag sie da, das rührende Bild einer edlen Dulderin, die ausgelitten. Auf ihrem Todtenbett weinten Vater und Mutter, die Geschwister, die Freunde des Hauses. Die Anzeige ihres Hinscheidens wurde an Prinz William gesandt und an ihren Bruder Ernst, der zur Zeit den Feldzug in Frankreich mitmachte.

Man bahrte sie auf und bedeckte ihren offenen Sarg mit Blumen und Kränzen. Das feierliche Begräbniß sollte am Mittag stattfinden. Einer der Aerzte, der junge Doktor Meineke, hatte sich vorher in das Todtengemach begeben, um noch einmal die Verklärte zu betrachten. Seit ihrem Tode war er voller Unruhe, als mahne ihn sein Gewissen an eine Schuld. Er hatte den letzten Blick der Sterbenden gesehen und wie über diese großen, hellen, eigentümlich aufblitzenden Augen plötzlich die Lider sich zum Verschluß gesenkt. Warum, hatte er sich nachträglich gefragt, waren diese Augen nicht, wie immer bei Sterbenden, gebrochen, ehe sie sich schlossen? Dann erinnerte er sich seltsamer Erscheinungen in den letzten Nächten vor ihrem Tode, während er allein bei ihr gewacht. Im Bett der Kranken hatte er ein Knistern vernommen, ein Rauschen, während sie doch unbeweglich dalag. Es war dann still geworden; nachher aber vernahm er an der Wand, wo das Bett stand, wieder ein Rauschen und Scharren, ein Klopfen sogar, wie schwache Hammerschläge, bis er sich mit seinem Gesicht über die Schlummernde beugte, sein Athem unwillkürlich sie anhauchte. Dann hörte das gespenstische Geräusch auf. Doch da er keine vernünftige Erklärung für das Vernommene fand, so grübelte er nicht weiter darüber nach. Erst am Tage, der für die Beerdigung bestimmt war, kamen diese Erinnerungen wieder über ihn und beschäftigten ihn so lebhaft, daß er sich zu der Leiche begab, um seine angestiegenen Zweifel darüber zu beschwichtigen, ob sie denn wirklich todt sei. Und indem er sie lange aufmerksam betrachtete, glaubte er es nicht mehr.

[834] Meineke ließ die anderen Aerzte rufen, ältere und erfahrene Herren, und sprach ihnen von seiner Vermuthung, daß hier ein Fall von Scheintod vorliegen könne. Sie lachten ihn aus, untersuchten nochmals die Leiche und erklärten, daß sie sich überzeugt hielten, eine Todte vor sich zu haben. Er wandte sich trotzdem mit seinem Widerspruch an den General, und erschrocken bestimmte derselbe, daß die Beerdigung unter solchen Umständen um einen Tag verschoben werden solle. Aber vierundzwanzig Stunden später befand sich die Leiche noch in demselben Zustande. Kein Lebenszeichen an ihr war zu bemerken. Doktor Meineke bat gleichwohl abermals um Aufschub des Begräbnisses. Mehr als tags zuvor war er in Unruhe, und es konnten seine Gedanken sich nicht von dem eigentümlichen Eindruck loslösen, den der letzte Blick der Sterbenden und sein Funkensprühen auf ihn ausgeübt. Ja, wie er durchdringend seinen Blick aus ihre geschlossenen Lider heftete, so war ihm, wie er einmal unter der einbrechenden Dunkelheit noch bei ihr wachte, als leuchteten diese Funken durch die Augendecken.

Ungläubig gegen seine fort und fort erhobenen Zweifel an dem wirklichen Tode Karolinens, that man doch aus Gewisensangst seinen Willen und verschob die Beerdigung von einem Tage immer wieder zum andern. Alle Mittel, die man Meineke anwenden ließ, eine Wiederbelebung zu ermöglichen waren und blieben erfolglos. Und dennoch wurde er in seinem Glauben nicht wankend, denn kein Zeichen von Verwesung stellte sich ein. Er verließ das Zimmer, in dem der Sarg mit der blumengeschmückten Todten sich befand, nicht Tag noch Nacht. Oft hielt er seine schauerliche Wacht allein, und dann richtete er laute Worte an das starre, bleiche Gesicht im Sarge, wie ein Beschwörer. Die Sache erregte Aufsehen in Hannover; die Freunde und Bekannten der trauernden, in Bangen gehaltenen Familie liefen herzu, um ihre Neugier am Anblick der unentstellt Aufgebahrten zu befriedigen, und die Behörde wollte endlich auf die Proteste des jungen Arztes nicht länger Rücksicht genommen wissen. Ueber zwei Wochen hatte man es gethan.

Und in dem Augenblick, wo auf ihren Sarg der Deckel gehoben werden sollte, trotz einer letzten, auffällig inständigen Bitte Meinekes dagegen, sah er den langsamen Aufschlag ihrer Augen. Mit dem freudigen Schrei „Sie lebt!“ stürzte er auf sie zu.

Und mit einem aus Freude und Entsetzen gemischten Gefühle sahen die Anwesenden wie sich Glied um Glied der Todesbraut wieder belebte, wie sie sich endlich, unterstützt von dem triumphirenden jungen Arzt, in ihrem weißen Kleide emporrichtete und die Blumen dabei von ihrem Haupte niederfielen.

„Ja, ich lebe!“ kam es nun von ihren Lippen – „Ich lebte, als Ihr mich für todt hieltet, und hörte alles, was Ihr an meinem Sarge sprachet. Er, er ist mein Retter!“ Dabei leuchteten ihre Augen hell auf gegen den Arzt, der sie in seinen Armen hielt und trunkenen Blickes dies von ihm dem Tode abgetrotzte Leben betrachtete, dessen erster Laut ein Dank an ihn war.

Der Sarg wurde nun schnell mit dem Bett vertauscht und Doktor Meineke behandelte die vom Tode Erstandene weiter. Er galt nun alles im Hause, und Karoline sah in ihm denjenigen, dem sie wie ihrem Herrn über Leben und Tod gehörig geworden sei. Sie hatte während ihrer Todtenstarre, die einem hypnotischen Zustande entsprach, mit vollem Bewußtsein alles gehört, was um sie und über sie gesprochen worden, ohne fähig zu sein, eine Muskel zu rühren. Es war danach nicht erstaunlich, daß sie Meineke eine willenlose Hingebung für ihre Rettung bezeigte. Als nach einigen Wochen Karoline vollständig genesen war, bat er sie um ihre Hand, und sie nahm seine Werbung an. Von ihrem früheren Ehebunde wußte er nichts und erfuhr er auch nichts.

Für ihn war sie nur diejenige, die vom Tode auferstanden, die er einem neuen Leben zurückgegeben, und diese die Seine nennen zu dürfen, beglückte ihn.

Auch sie war glücklich durch seine Liebe und Werbung. Eine stille Heiterkeit kam über ihr Gemüth und eine Freude an dem neugewonnenen Leben, in welchem sich der wackere bürgerliche Mann als ihr Führer angeboten.

Niemals, seitdem die gerichtliche Scheidung ausgesprochen, hatte der Prinz wieder den Versuch erneuert, Karoline einen Brief von sich zukommen zu lassen. Als er ihre Todesnachricht erhielt, hatte er brieflich den General von Linsingen seinen Schmerz darüber in leidenschaftliche Ausdrücken bezeigt. Dann war ihm durch Ernst, mit dem er in freundschaftlicher Verbindung geblieben, mitgetheilt worden, daß seine Schwester nur einem Scheintod verfallen gewesen, durch den Doktor Meineke gerettet worden sei und sich nun mit ihm aus Dankbarkeit verheiraten werde.

Der Prinz geriet über diese Nachricht außer sich. Trotz seines dauernden Verhältnisses mit Dora Jordans, in dem er Ersatz für die zerstörte Verbindung mit Karoline gesucht, betrachtete er diese noch immer als das ihm gehörige Weib, mit dem sich zu vereinigen ihm auch noch als Hoffnung vorschwebte. Nun aber riß ihn die Furcht hin, sie an einen anderen verlieren zu sollen, und er schrieb ihr einen leidenschaftlichen Brief, in dem es u. a. hieß:

„Ich habe Antwort von Ernst. In wenigen Worten, die kalt dastehen wie der Tod, und die er, den Tod erwartend, auf den Vorposten bei Valenciennes nur mit Crayon mir schreibt. Hoffend, meine Nachrichten wären falsch, fragte ich den treuen wahren – Deinen, meinen Bruder. ‚Sie ist,‘ schreibt er, ‚entschlossen, sich nicht der Konvenienz zu opfern, sich dem Manne zu geben, der ihr das Leben rettete, dem einzigen, der nach Ihrem Verlust ihr Herz erwärmen konnte, und der sie mit einer Leidenschaft liebt, die nur der Ihrigen nachsteht.‘ – Sie ist entschlossen, so sagt der, der Dich nach Deinem William allein kennt. Ich weiß, was das heißt. Du liebst nicht jenen Mann, drei Jahre tödten Deine Liebe nicht. Du bist nur dankend, willst nicht zwei Unglückliche machen und vergißt mein Elend. Kannst Du das? Bedenke den Ahnenstolz der Deinen, Deiner Landsleute, laß mich Dich fortreißen. – Mein Wort gab ich, nicht Dir zu schreiben, nicht breche ich es heute, mach mir diesen Vorwurf nicht; denn für das Unerhörte gab ich es nicht. – Hier liegt Deine Entsagung, dieser furchtbare Beweis Deiner Liebe für mich, hier liegt Dein Brief an meine Mutter, den Du vor drei Jahren schriebst, und ich sollte Dir glauben, Du liebtest heut einen andern? Weib, dem kein anderes gleicht, Weib, das allein mein Herz füllte und ewig füllen wird, Weib mit der Feuerseele, Du liebst für die Ewigkeit, und nur William, nur Deine erste Liebe kann Dir genügen. Oder willst Du – gräßlich, abscheulich – es mir unmöglich machen, je wieder Dein zu werden? Heilig ist das Wort, das ich, durch Dich verleitet, den trauernden Eltern gab; aber ich gab es nur bedingungsweise, Du kannst es lösen, und noch ist alles, wie es war. Die Nation liebte mich vormals, jetzt betet sie mich an, mein Bruder ist in meiner Hand, und diese Insel ist nicht meine Welt, wenn sie Dich nicht vergöttert, wie ich. Noch besser wie ehemals können wir unsere Wünsche erreichen – unsere, unsere, sage ich – denn, Weib meiner Jugend, sie sind noch jetzt auch die Deinigen. – – Von Dir will ich alles hören; ich will Wahrheit aus Deinem Munde, Du kannst mich nicht täuschen. Schreibst Du mir nicht, so hält, so bindet mich nichts. Ich komme und reiße Dich vom Altare – wer wird’s wagen, mir mein Weib zu entreißen? Mein Gefühl, meine Angst erstickt mich! – – – –

Löse Deine Bande, sei mein – oder ich fluche der Tugend selbst. Ich fluche Dir, der Heiligkeit unserer Liebe, ich fluche Deiner Gewalt über mich, ich fluche mir, daß ich meine gesetzmäßigen Rechte an Dich nicht geltend machte und nahm, was mein war, um es nie wieder verlieren zu können. O Weib, Weib! Ewig bin ich Dein – nie nennt eine andere Deinen William den Ihren.“

In folternder Ungeduld erwartete er die Wirkung dieses liebestürmenden Briefes. Fest entschlossen war er zum Aeußersten, wenn Karoline es wollte. Dann war Dora Jordans nichts mehr, ein Mond nur gegen die Sonne, die ihre unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn wieder übte. Vater und Mutter mußten dann vor seiner Liebe sich beugen, oder er gab sie und alle seine Rechte an den Thron dahin. Das Scheidungsurtheil hatte ihm nichts gegolten – was fragte er nach diesem Stück Papier? Karoline war sein Weib und nun mußte sie auf die letzte große Frage sich entscheiden, ob sie ihm, ob sie einem anderen gehören wollte.

[835] Und sie entschied. Sie sandte ihm den Brief, den er wie sein Urtheil von ihr begehrt.

„So mußtest Du,“ schrieb sie ihm, „das heilige Wort brechen, das Du der verehrungswürdigsten Mutter gabst – so mußtest Du noch einmal alle Wunden meines Herzens aufreißen, in dem Du ewig leben wirst! – Hier steht mein Bekenntniß, hier hast Du die Wahrheit. Aber nun höre auch meinen festen, meinen unerschütterlichen Entschluß, den mir der Tod, aber keine Macht der Welt ändern kann. Was Dir Ernst schrieb, ist wahr, und indem Du dies liest, bin ich schon das Weib eines andern. Vielleicht hätte ich nicht so schnell gehandelt; aber Dein Brief sagt mir, daß ich eilen muß. Der Mann, der mein Leben rettete und dem ich es nun weihe, liebt mich mit einer Leidenschaft, die der Deinigen gleich sein würde, wenn unserer Liebe je etwas gleichen könnte. Elend auf immer würde sein Leben sein, wenn ich mich weigerte, die Seine zu werden. Er ist edel, brav, gut, aber er hat nicht die Kraft, nicht die Stärke, nicht das Feuer meines verlorenen Williams; er ist nicht Held wie Du im schönsten Sinne des Wortes. Ohne mich ist er verloren, verbunden mit mir erhalte ich ihn der Welt, den Seinigen, der Tugend. Ja, er hat mein Herz erwärmt – ich liebe ihn mit der innigsten Frenndschaft und ich bin bereit, ihm alle die Kleinigkeiten zu opfern, die die Welt Glück nennt. O William! Wie kannst Du mich an den Adelsstolz meiner Landsleute erinnern, wie kannst Du glauben, daß der mich hindern wird, etwas zu thun, was ich als recht erkenne! Ist Dir das Herz und der Sinn Deiner Karoline schon so fremd geworden? Was opfere ich denn dem Manne, dem ich leben will? Stand ich denn nicht weit tiefer unter Dir, wie er unter mir? Und ich entscheide nicht, wen von uns das Schwerste trifft. Nie – oder sehr spät hörst Du wieder von mir; ich bin todt für Dich und will es sein. Ich erleichtere Dein Schicksal, wenn Du mich für unwiederbringlich verloren hältst …

Jetzt scheide ich von allen Ansprüchen auf Glück. Ich lebe nur noch für andere und in ihnen. Ich trete ab und bin von heute an todt für Dich. Lebe wohl! Mann meiner einzigen, meiner ewigen Liebe – William, Heinrich, Bruder, Gatte, Freund – o, es giebt keinen Namen, Dich zu nennen, wie mein Herz Dich nennt. William, nichts trennt unsere Seelen. Aber zum letzten Male – Himmel, zum letzten Male! – sagt es Dir Deine Karoline.“

Der Prinz hatte mit Thränen in den Augen diese Antwort gelesen. Er fühlte, daß sie ihm verloren war für diese Welt, daß nun für immer alles vorbei! – –

Es folgten sich viele Jahre. Unter den napoleonischen Kriegsstürmen eröffnete sich ein neues Jahrhundert. Sie stürzten den Kurfürstenthron in Hannover, warfen Oesterreich und Preußen zu Boden, und England wurde von der europäischen Welt durch den Ingrimm des Eroberers abgesperrt, der es zu Tode treffen wollte. Die Beziehungen zwischen dem Herzog von Clarence und Karoline hatten vollständig aufgehört, und so hätte nach menschlichem Ermessen in beiden die Gluth endlich ersterben, ihr Liebesroman sich mehr und mehr in schwindenden Erinnerungen verflüchtigen müssen.

Vollends unter der Prosa des Lebens für Karoline. Sie hatte durch ihre Verheirathung mit Doktor Meineke sich aus der vornehmen Welt in die bürgerliche, aus dem luxuriösen Leben in ein höchst bescheidenes und anspruchsloses begeben. Der Vater hatte ihr bei der Menge seiner Kinder nur eine geringe Mitgift geben können und Doktor Meineke, so tüchtig er war in seinem Beruf, erstrebte doch vergeblich in Hannover eine einträgliche Praxis als Arzt. Er siedelte deshalb, auch um sich und seine junge Frau den peinlich werdenden Gesellschaftsbeziehungen mit der Linsingenschen Familie und deren vornehmen Bekanntenkreise zu entziehen, nach Berlin über, ohne indessen dort mehr Glück zu haben. Die unruhigen Zeiten, dann der unglückliche Krieg Preußens trugen das Ihrige dazu bei, daß er mit seiner inzwischen durch zwei Kinder vermehrten Familie nicht aus den Sorgen um die Existenz herauskam. Unter solchen Umständen nahm er eine Stellung als Direktor einer nett angelegten Kohlenbrennerei des Grafen Salms zu Blansko in Mähren an, um dort seine chemischen Kenntnisse zu verwerthen. Das Gehalt, welches er bezog, betrug nur 700 Gulden, aber es gab doch als sicheres Einkommen dem verzagt und mißmuthig gewordenen Mann eine gewisse Beruhigung.

Es war nicht anders möglich, als daß Karoline schwer unter dem Opfer litt, das sie aus Dankbarkeit gegen ihren Lebensretter gebracht. Aus der Stille ihres Zimmers sandte sie, wenn sie mit ihrem Sohn Heinrich und ihrer Tochter Jettchen allein war, oft ihre stummen Klagen gen Himmel. Der Gegensatz zwischen dem beseligenden Traum, in dem sie sich einst gewiegt, und der nüchternen Wirklichkeit, von der sie sich fort und fort umfangen sah, war zu groß, und gegen die mürrische Launen des Gatten immer wieder anzukämpfen, überstieg ihre Kräfte nur zu häufig. Dennoch beschäftigte diese Sorge sie unaufhörlich , und mit dem schmalen Wirtschaftsgelde verstand sie so gut hauszuhalten, als sei sie einst nicht allen solchen kleinlichen Rechnungen entrückt gewesen.

Niemand mehr war auf der Welt, dem sie ihr volles Vertrauen schenken konnte, als ihr Bruder Ernst, der Mitwisser ihres Herzensgeheimnisses. In treuer Liebe hielt er nach wie vor zu ihr. Ihre Eltern waren todt, ihre Geschwister in die verschiedensten Lebensverhältnisse übergetreten und ihr meist durch die langjährige Trennung entfremdet geworden. Ernst allein, der in militärischen Diensten Englands ehrenvoll emporgestiegen, suchte sie, wie in Berlin, so auch einmal in dem entlegenen Blansko auf. Er war es auch, der während seines bleibend gewordenen Aufenthaltes in England und bei seinem ungetrübten Freundschaftsverhältniß zum Prinzen William Andeutungen an sie gelangen ließ, daß derselbe ihr das lebhafteste Andenken bewahrt habe und seine Liebe zu ihr noch nach mehr als einem Jahrzehnt ihn völlig erfülle. Es beglückte sie diese Mittheilung, ohne sie zu überraschen.

Ihr Bruder hatte eine auffallende Aehnlichkeit ihres zehnjährigen Sohnes Heinrich mit dem Prinzen William gefunden und wollte denselben nach England geschickt haben, um für ihn zu sorgen. Offenbar steckte dahinter ein Wunsch des Prinzen, ebenso wie hinter dem brüderlichen Bedrängen Karolines um das Bild des schönen Knaben. Sie errieth dies und schlug deshalb sowohl die eine wie die andere Bitte ab. Sie wollte sich streng vor einer That der Pflichtverletzung bewahren. Ihre Kinder waren ihr außerdem der Inbegriff ihres Lebens. Heinrich zumal, eben wegen seiner großen Aehnlichkeit mit Prinz William, war ihr Liebling. Von ihm sich zu trennen, wäre ihr unmöglich gewesen, mindestens so lange er noch im Kindesalter stand. Im Sommer 1810 starb er aber und mit ihm senkte sie die höchste Freude ins Grab, die ihr das Leben noch vergönnt hatte.

Ihre Sorge und ihre Liebe drängte sich jetzt auf ihre Tochter Jettchen zusammen, die schon zur Jungfrau heranreifte. Bald warb auch ein junger Bergverwalter in der Nähe von Blansko, Namens Teubner, um das treffliche Mädchen, und es war ein Tag des Glücks im Dasein der Mutter, als die Hochzeit der beiden jungen, sich liebenden Leute stattfand. Aber in das heimliche Entzücken, mit dem sie gleichsam die Wirkungen ihres Segens zu dieser Verbindung beobachtete, mischte sich nun auch auf einmal die Ahnung, daß sie nicht mehr lange Zeugin davon sein werde. Der Tod nagte fühlbarer in ihrer Brust; gefaßt sah sie, nun sich in ihrem Leben nichts mehr, woran ihr lag, erfüllen konnte, der Ruhe des Grabes entgegen.

In den Stunden, in den Nächten, in denen sie mit ihrem schleichenden Leiden allein war, überließ sie sich mehr als je den fernen Erinnerungen ihres Liebeslebens und feierte jeden der ihr unvergeßlich gebliebene Gedenktage in demselben. Bald daß sie in Briefen an ihren Schwiegersohn Teubner, bald daß sie in langen Ergüssen an ihren Bruder Ernst in England ihre Seele von dem befreite, was sie in anffluthenden Erinnerungen bewegte.

Einem Antwortschreiben ihres Bruders fand sie einmal einen Brief beigelegt, der sie in einen wonnigen Schrecken versetzte. Auf den ersten Blick erkannte sie, wer der Absender war. Mit zitternden Händen hielt sie den Brief und betrachtete ihn mit strahlenden Augen, wie einst in jenen Tagen, da sie im Himmel ihrer Liebe, in den Hoffnungen ihrer Jugend schwelgte. Es war ein Brief von Prinz Williams Hand. Er wagte es, ihn zu senden, und nach siebzehn Jahren! Er konnte es versuchen, noch in die melancholische Idylle ihres Matronenlebens mit seiner im Herzen erhaltenen Liebe zu ihr einzubrechen! Sie vermochte ja deutlich durch das feine Papier seine Schrift zu lesen, einen abgebrochenen Satz nur, aber welchen Inhalts!: „Weib meiner Jugend, sind wir denn ganz getrennt? Soll ich –“

Schnell legte sie den Brief aus der Hand, um nicht mehr dem Zauber desselben zu verfallen. Unerbrochen sandte sie ihn ihrem Bruder wieder zurück.

Prinz William hatte sich kurz zuvor, im Jahr 1811, unter dem Druck der Vorstellungen der königlichen Familie und um die [836] Bedingung zur Aufbesserung seiner geringen Apanage zu erfüllen, von Dora Jordans endlich getrennt, und es wirft ein häßliches Licht auf den Charakter des so schwärmerischen Prinzen, daß das verstoßene Weib gebrochenen Herzens nochmals auf die Bühne hatte zurückkehren müssen, um sich und ihre Kinder zu ernähren. Das war das jammerwürdige Los derjenigen geworden, mit der er fast zwanzig Jahre lang ein Liebesleben geführt, das ihm Karoline versagt hatte. Schmählich und in Armuth gestoßen, mußte Dora es büßen, eines Prinzen Geliebte geworden zu sein. Wie war es nur möglich, daß nun der Prinz noch wieder diejenige zu sich zurückrufen wollte, die ihm feierlich entsagt und gleichsam ihr zweites Leben weit weg aus seinen Kreisen und in Aermlichkeit gesucht hatte? Zudem war seine Thronfolge ihm auch wieder nähergerückt. Man verlangte nämlich in England, da inzwischen sein ältester Bruder die Regentschaft für den unheilbar irrsinnig gewordenen und in Windsor eingesperrten Vater erhalten, daß Prinz William eine standesgemäße Ehe eingehe. Aber wie konnte er sich dann an seine geschiedene Gattin wenden, die wegen ihrer Unebenbürtigkeit ihm hatte entsagen müssen? Es drängen sich Fragen auf, deren Beantwortung heute niemand mehr möglich ist. In Karoline aber hatte er mit seinem Versuch, wieder mit ihr in Verbindung zu treten, die zurückgedrängte Leidenschaft für ihn in frevelhafter Weise wieder lebendig gemacht. Den Scheintod dieser Leidenschaft brach er damit, und die mächtig wieder hervorquellenden Erinnerungen der Kranken an den Traum ihres Jugendlebens umgaukelten sie, indeß sie körperlich mehr und mehr der Auflösung entgegenging. Das Feuer, in dem einst ihr Herz geglüht, loderte von neuem auf und verzehrte es. In wunderbarer Weise fand ihr Mädchentraum, aus dem sie so jäh in eine nüchterne Wirklichkeit gerissen worden, seine Fortsetzung nach vielen Jahren und sein sie beseligendes Ende mit ihren letzten Athemzügen. Das Ideal, von dem sie geblendet gewesen, erschien in lichtem Glanz wieder an ihrem Sterbebett. Im Traum sah sie William, wie er, ermüdet von der Schlacht, einsam am Wachtfeuer des Lagers sitzt und ihrer gedenkt. … Sie sah ihn …

„Unnennbar süß, in Wehmut halb verloren,
Umspielt ein Lächeln seinen schönen Mund;
‚Verschmähst Du noch,‘ so klang zu meinen Ohren
Sein Zauberlaut, ‚der treusten Liebe Bund?
O nahe Dich, Geliebte! Hat mein Leiden
Bewegt denn endlich Deinen strengen Sinn?
Du findest hier mich, wo zu stillen Freuden,
Zu sanften Schmerzen nun geweiht ich bin.‘
     Sein Laut erstarb. – Willst Du mir ahnend winken,
Mein dunkles Los? Er bot mir sanft die Hand;
Ich wollte liebend an die Brust ihm sinken –
Da kam der morgen und mein Traum verschwand.“

In diesem Traum, den sie in einem Gedicht beschrieben, gab sie ihm die Antwort auf seine letzte ungestüme Frage: „Weib meiner Jugend, sind wir denn ganz getrennt?“

Mit Sehnsucht nach dem Tode fragte sie zurück:

„Willst Du mir ahnend winken, mein dunkles Los?“

Und im Traum von ihm entschlummerte sie im Sommer 1815, um nicht wieder zu erwachen. Todt ein zweites Mal und wirklich todt mit 45 Jahren. Genau zur selben Zeit starb in einem kleinen Hause von St. Cloud, wohin sie sich aus England wegen Schulden geflüchtet, die arme Dora Jordans. Prinz William aber heirathete 1818 die Prinzessin Adelheid von Sachsen-Meiningen, bestieg als Wilhelm IV. den englischen Thron, und als König sorgte er auch für die Kinder Doras.


  1. Herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von *** (Leipzig, Duncker u. Humblot 1880).
  2. Vergleiche den Artikel „Die Frau eines Thronfolgers“ in Nr. 2 des Jahrgangs 1887 der „Gartenlaube“.