Textdaten
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Autor: Arthur Kleinschmidt
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Titel: Die Frau eines Thronfolgers
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 21, 24, 26–27
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Mary Anne Fitzherbert.
Faksimile nach einem Kupferstich aus dem Werke „Memoirs of Mrs. Fitzherbert“.

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Die Frau eines Thronfolgers.
Von Arthur Kleinschmidt.
(Mit Portrait von Mary Anne Fitzherbert auf S. 21.)

In jedem Menschenleben tritt eine Stunde unwiderruflicher Entscheidung ein, sie schlägt klar vernehmlich für jeden aufmerksam Lauschenden. Hören wir aber nicht darauf und treffen unsere Wahl nicht bewußt, so haben wir unsern Kurs auf immer verloren und stranden. Freilich ist das Buch des Lebens für die Augen Zahlloser mit unleserlicher Schrift geschrieben; sie müssen erst die bittersten Erfahrungen durchkosten, ehe sie den Kreuzweg erkennen, an dem sie irre gingen, und ihr Herz wird zum Märtyrer ihres Aberglaubens.

Mary Anne Smythe, über deren wechselvolle Schicksale wir im Nachfolgenden berichten, wurde am 26. Juli 1756 als Tochter Walter’s Smythe, Esq. von Brambridge, geboren; die irische Familie Smythe, seit 1661 mit der Baronetswürde geziert, zählte zu den besten der Grafschaft Durham. Im Juli 1775 heirathete Mary Anne Edward Weld, den Oheim des 1837 verstorbenen Cardinals Thomas Weld, wurde aber noch in demselben Jahre zur Wittwe und beglückte 1778 mit ihrer Hand Thomas Fitzherbert, Esquire von Swinnerton in Staffordshire und von Norbury in Derbyshire; aber auch diese Ehe löste der unerbittliche Tod rasch, so glücklich auch die jungen Gatten waren, schon am 7. Mai 1781 starb Fitzherbert, und der Wittwe hinterblieb eine Rente von fast 2000 Pfund Sterling. In Richmond traf die jugendliche Frau, schon zweimal Wittwe, mit dem englischen Thronerben zusammen; sie zählte jetzt 28 Jahre, der Prinz von Wales erst 22.

Georg hatte eine schlechte Erziehung genossen, seine bedeutenden Geistesanlagen waren eher unterdrückt als gefördert worden. Der argwöhnische Vater, König Georg III., die dritte hannöverische Null dieses Namens auf dem britischen Throne, hielt den lebhaften Prinzen ängstlich vom öffentlichen Leben fern, und dieser vertrieb sich, sobald er mündig war, die Zeit mit allerlei noblen Passionen, durch seinen Oheim, den Herzog von Cumberland, darin unterrichtet.

Unter Liebeshändeln, Gelagen und Schlemmereien verbildete sich Georg’s Charakter mehr und mehr. Nach Tradition der britischen Thronfolger machte er der väterlichen Regierung lebhafte Opposition, stimmte mit den enragirten Whigs gegen die Tories, und dafür setzten seine politischen Freunde mehrmals eine Bill zur Zahlung seiner Schulden Seitens des Parlaments durch. Georg war unendlich populär, wie meist Kronprinzen sind; seine hohe anziehende Gestalt hatte etwas Imponirendes; er galt für den elegantesten Gentleman und für den schönsten Mann des vereinigten Königreichs, lebte lustig in den Tag hinein, nahm sich Shakespeare’s Prinz Heinrich zum Vorbilde, und die Nation hoffte, als Monarch werde er einst ein zweiter Heinrich V. werden. Auf seinen Geist und sein Wissen wirkte fördernd der intime Umgang mit den ersten Größen des Landes, James Fox, Edmund Burke und Richard Sheridan; aber auch manche Schattenseite war die Folge dieses Verkehrs, denn Sheridan führte ein Prasserleben, spielte und trank, bis er im Elend endete, und Fox scheute vor keiner Vergeudung an Kraft und Geld zurück, manchmal tausend Guineen am Spieltische verlierend.

Auf seiner Jagd nach Abenteuern begegnete der Prinz von Wales der Wittwe Fitzherbert, die alsbald tiefen Eindruck auf den verwöhnten Frauenkenner machte; sie konnte sich noch zu den schönsten Töchtern des durch Frauenreiz so hochbegnadeten Albion rechnen, und eine Volksballade besang sie eben als „das süße Mädchen von Richmond Hill“. Ihre Gestalt war von vollendeter Eleganz, schlank und doch voll, ihr reizendes Antlitz trug einen kindlich reinen Stempel, seelenvolle schwarze Augen strahlten in die Welt hinein, von hohen feinen Bogen überwölbt und von langen Wimpern beschattet, dem lieblichen Munde standen die schwellenden Lippen gar zu verführerisch, die Nase war wie nach einem griechischen Modelle geformt, und um diesen prächtigen Kopf fluthete die üppigste Lockenfülle. Mit Schönheit verband Mary Anne die feinsten Formen des Umgangs, eine seltene Bildung, und wer in eingehendem Gespräche das Glück genoß, in ihren Geist Einschau halten zu dürfen, gestand sich, sie sei ein auserwähltes Weib.

Rasch näherten sich Georg und Mrs. Fitzherbert, mächtig von einander angezogen. Ihr schmeichelte es, vom künftigen Könige all ihren Mitschwestern vorgezogen zu werden; ihr gefiel seine ritterliche Erscheinung, die Kunst, als vollendeter Kavalier die Welt zu blenden; und dieses Ideal schien nur für sie zu leben, deren Herz heiß für ihn glühte. Trotzdem wies sie alle Verführungskünste mit ungewöhnlicher Festigkeit zurück und ließ nicht einen Moment in der Verteidigung nach; mochte er seine beliebte Maske annehmen und sich als Schwerkranker einschließen oder mit Selbstmord drohen. Ihre Weigerungen brachten sein Blut zum Sieden; er setzte Himmel und Erde in Bewegung, sie zu besitzen, ohne jedoch seinem Ziele um einen Schritt näher zu rücken. Voll Verzweiflung sah er, wie Mrs. Fitzherbert auf den Kontinent abreiste, um seinen ungestümen Werbungen zu entrinnen; bei seinem Freunde Fox und dessen Freundin Miß Armitstead schüttete er das übervolle Herz aus und rief in hysterischer Anwandlung, er wolle England verlassen, der Krone entsagen, seine Juwelen und Besitzthümer verkaufen und aus dem Erlöse mit Mary Anne in Amerika leben.

Während der Reise blieb er in stetem Briefwechsel mit der Angebeteten, und kaum war sie Ende 1785 heimgekehrt, als er von neuem Sturm auf ihr Herz lief, wiederum aber mit derselben Standhaftigkeit der Tugend abgewiesen wurde. So erkannte er, daß er sie nur dann sein Eigen nennen dürfe, wenn er sie zu seiner Gemahlin erhebe. Dieser Möglichkeit aber stand das britische Gesetz entgegen. Georg durfte nur heirathen, wenn beide Häuser des Parlaments zustimmten, und erst mit 25 Jahren; eine Katholikin durfte er überhaupt nie wählen. Das Gerücht, Georg’s Leidenschaft setze sich über dies Alles hinaus, bewog Fox, ihm am 10. December 1785 in einem ausführlichen Mahnbriefe die traurigen Folgen eines verzweifelten Schrittes darzulegen. Fox erinnerte den Prinzen daran, daß ihn die Ehe mit einer Katholikin vom Throne ausschließe und sein Vater mit Freuden diese Gelegenheit ergreifen werde, um seinem Lieblingssohne Friedrich, Herzog von York, die Krone zu vererben; auch beleuchtete er den alteingewurzelten Volkshaß gegen den Katholicismus. Er stellte ihm vor, wie eine wirkliche Ehe somit unmöglich sei, und welche eigentümliche Lage geschaffen würde, wenn die Frage eine offene bleibe, ob der Prinz von Wales Ehemann sei oder nicht? Wie sehr aber, so meinte er, würde sich die Sache noch verschlimmern, wenn aus einer so zweifelreichen Ehe Kinder entsprössen! Fox wies darauf hin, von einer legalen Heirath könne überhaupt erst die Rede sein, wenn Georg 25 Jahre zähle – also in zwei Jahren, erst dann könne er dem Parlamente seinen Heirathsentschluß mittheilen, wäre er aber dann schon mit einer Dame ohne Parlamentskonsens vermählt, so entstünden hieraus Streitigkeiten und Verwicklungen ohne Zahl, zumal wenn etwa der Erstgeborene der vom parlamentarischen Gesichtspunkte aus ungesetzlichen Verbindung dem ältesten Sohne einer etwaigen zweiten Ehe die Erbfolge bestreiten würde, welche Verantwortung aber lade Georg auf sich, wenn er Frau und Kinder in eine so fragliche Stellung bringe und auf sie den Schatten der Illegitimität fallen lasse; darum möge er von einer Scheinehe abstehen, die keinem der beiden Kontrahenten Ehre machen könne. Der große Parlamentsredner schloß mit der Versicherung, Mrs. Fitzherbert sei nach einstimmigem Urtheile von unsträflichem Charakter und den einnehmendsten Manieren; während er aber sonst durchaus nicht gegen die Verbindung königlicher [26] Prinzen mit Unterthaninnen sei, sehe er jetzt in Georg’s Plan das ärgste Beginnen, das seine Feinde ersinnen könnten. Noch in der Nacht des 11. December beantwortete der Thronerbe den Brief des Freundes, indem er das Gerücht einer Heirath kecklich Lügen strafte. Ein langer heftiger Streit erhob sich, ob dennoch eine Vermählung stattfand oder nicht. Für Ersteres bürgt nicht allein der ehrenhafte, stolze Charakter der Mrs. Fitzherbert, sondern auch, neben anderen Zeugnissen, ein Geständniß auf dem Sterbebette. Ein Geistlicher der Hochkirche, Mr. Burt von Twickenham, erklärte seiner Familie, als er den Tod nahen fühlte, er habe Georg mit Mrs. Fitzherbert getraut und dafür 500 Pfund Sterling erhalten. Die Trauung fand in London am 21. December 1785 in Gegenwart zweier Zeugen katholischen Glaubens statt, der eine war der Bruder der Braut, John Smythe, der andere Mr. Harry Errington, ihr Verwandter aus der ersten Ehe; beide Zeugen unterzeichneten den Trauakt. Gewiß hat Mrs. Fitzherbert diese Ceremonie durch ihre Beharrlichkeit erlangt, und Lord Holland ist sehr im Irrthum, wenn er behauptet, Georg habe darauf bestanden, nicht sie. Die Ehe wurde geheim gehalten. War sie gültig und gesetzlich? Ein Prinz schloß sich vom britischen Throne aus, wenn er eine Katholikin heirathete: Mrs. Fitzherbert war eine Katholikin, eine strenge irische Katholikin, die um keine Krone ihrem Glauben entsagt hätte, ein englischer Prinz durfte nicht vor seinem fünfundzwanzigsten Jahre heirathen. Georg war dreiundzwanzig, er bedurfte der Einwilligung der Eltern und des Parlaments. Georg hatte sie nie eingeholt und hätte sie nie erlangt. Somit war die Ehe, die Mary Anne arglos eingegangen war, ungesetzlich und vom Standpunkte des britischen Rechtes verwerflich, hingegen in Mary Anne’s Augen und in denen der ganzen katholischen Kirche legitim. Bei dem zweifelhaften Charakter einer solchen Verbindung war es ein Glück zu nennen, daß sie kinderlos blieb. Der Prinz theilte den Vollzug der Heirath selbst seinen intimsten Vertrauten nicht mit. Aber unter das Volk schlichen sich Gerüchte, freilich nur um die Köpfe zu verwirren, und diese Unsicherheit des Urtheils fand in der Presse ein Echo; es tauchten Pamphlete auf, deren eines vom Radikalen Horne Tooke ausging und großes Aufsehen erregte: ohne Umschweife bezeichnete er die Ehe als legal und Mrs. Fitzherbert als Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin von Wales.

1787 fiel der erste Schatten auf Mary Anne’s junges Glück; es kam im Unterhause die Unordnung der Finanzen des Thronfolgers zur Sprache, seine Freunde beantragten abermalige Zahlung seiner Schulden durch das Parlament und Erhöhung seines Einkommens. Am 20. April brachte der Alderman Newnham, einer von Londons Repräsentanten, im Hause der Gemeinen den Antrag ein, Georg besser zu dotiren, wandte sich direkt an William Pitt als Kanzler der Schatzkammer und bat ihn, mitzutheilen, ob die Minister dazu geneigt seien. Pitt erwiderte, ohne Befehl des Königs könne er hierin nichts unternehmen, worauf der Alderman anzeigte, er werde am 4. Juni dem Hause in Hinsicht auf den Prinzen einen Antrag vorlegen. Georg’s Freunde arbeiteten mittlerweile für ihn. Gern hätte Pitt die Diskussion vermieden, um das Königshaus nicht zu kompromittiren, doch unterstützte Fox den Alderman von London. Da trat im Unterhause Pitt’s Anhänger, Mr. Rolle, am 27. April auf und spielte auf eine heimliche Ehe des Prinzen an, worauf sich in der Sitzung des 30. Fox erhob, um das Gerücht für „eine niedrige malitiöse und allen Grundes baare Verleumdung“ zu erklären, denn „unmöglich habe sich der Vorfall je ereignet, er werde nur verbreitet, um des Prinzen Charakter in der Meinung des Landes herabzusetzen“. Als Rolle zugab, die Ehe sei vom legalen Standpunkte aus unmöglich, könne aber doch in gewissen Formen stattgefunden haben, entgegnete Fox: „Ich leugne dies hinsichtlich des Faktums wie des Gesetzes. Das Faktum konnte nicht nur nie legal eintreten, sondern ereignete sich überhaupt niemals irgendwie; es war Alles von Anbeginn eine niedrige und bösartige Unwahrheit“. „Sprechen Sie auf Autorität hin?“ warf Rolle ein, und Fox stand nicht an, zu bekennen: „Ja, auf direkte Autorität hin“. Diese Erörterung im Parlamente war die tiefste Demüthigung, die Mrs. Fitzherbert treffen konnte, und sie war in der That wie geknickt. Der intimste Freund ihres Gatten hatte öffentlich in Abrede gestellt, daß sie sein Weib sei, ja er hatte erklärt, er sei zu dieser Behauptung von ihm direkt autorisirt. Ihre Freunde gaben sich edelsinnig alle erdenkliche Mühe, ihr den nagenden Schmerz zu verscheuchen, und nie war ihr Salon so besucht wie jetzt, aber sie ließ sich nicht betäuben. Fox war weit entfernt, absichtlich zu lügen, er war vielmehr selbst vom Prinzen belogen worden und wußte nichts von der Ehe; der Erzbischof Cantuar von Canterbury, der Primas des Reichs, schrieb dem Diplomaten Eden, Fox habe bei den Gemeinen mehr gesagt, als er verantworten könne. Mary Anne bestürmte ihren Gemahl, er müsse offen der Verleugnung von Fox entgegen treten, und ihn versetzte ihre Entschiedenheit in große Unruhe. Er ließ den Grafen Charles Grey rufen, bat ihn, im Parlamente Fox’ Aussage zu widerlegen und für Mary Anne zu reden, und beichtete ihm in heftiger Bewegung, er sei vermählt. Grey lehnte den Auftrag ab, worauf Georg ausrief: „Nun denn, will Niemand, so muß Sheridan dran!“ Dieser stotterte aber im Parlamente nur einige verlegene Worte des Respekts für Mary Anne, ohne Fox’ Darlegung irgendwie zu bestreiten. Der große Lustspieldichter war in solchen Verwicklungen nicht bewandert. Es wurde Georg herzlich schwer, seine Gattin von seiner Schuldlosigkeit an Fox’ Auftreten zu überzeugen, so meisterhaft sich auch „der erste Gentleman“ der Zeit aufs Lügen verstand und so hart er auch Fox bei ihr verurtheilte. Freilich wagte er es nicht, Fox selbst zu tadeln, und ließ feige nach wie vor den Ruf seiner Frau antasten. Fox verlor den Glauben an den Prinzen, der in solcher Weise Mary Anne, ihn und die Welt belog.

Mary Anne’s beleidigter Stolz bäumte sich gegen Fox auf, der doch unschuldig an Allem war; sie verzieh ihm bis zum Grabe nicht und würdigte ihn keines Wortes mehr. Der Prinz zeichnete indessen Mrs. Fitzherbert, um sie zu beruhigen, öffentlich noch mehr aus als bisher und fuhr fort, bei ihr so beharrlich den Freund zu desavouiren, daß sie, die bereits gesonnen war, mit ihm abzubrechen, ihm Glauben schenkte.

Gar manchen herben Schmerz bereitete ihr die Flatterhaftigkeit des Prinzen, der schon im Oktober 1788 den Spuren einer Mrs. Fitzgibbon folgte. Man sprach davon, er werde, sobald ihm die Regentschaft für den geisteskranken Vater zufalle, Mrs. Fitzherbert zur Herzogin machen und eine Prinzessin heirathen, und plötzlich erfuhr sie durch seinen Brief aus Brighton, daß er ohne ihr Wissen dorthin gereist sei; er lag eben im Banne einer ihrer Landsmänninnen, der schönen Gräfin Francis Jersey, Tochter des Bischofs von Raphoe. Was wollten aber diese vorübergehenden Neigungen des untreuen Gemahls gegen den Plan bedeuten, abermals eine Ehe einzugehen?

Dieser schwerste Schlag stand der Verlassenen noch bevor. Dem Prinzen war die Zahlung seiner ungeheuren Schulden unter der Bedingung versprochen worden, daß er sich bessere und heirathe, aus diesem einzigen Grunde erklärte er sich dazu bereit, hatte nichts gegen die Wahl seiner ihm völlig gleichgültigen Kousine Karoline von Braunschweig-Wolfenbüttel und kümmerte sich nicht weiter um Mary Anne. Karoline aber konnte ihr Schicksal aus dem brutalen Empfange entnehmen, den ihr Georg im St. James-Palaste bereitete; es war das Vorspiel zur Trauung, bei der er betrunken neben ihr stand, und das Wort, welches er seinem Freunde Lord Malmesbury bei der ersten Begegnung zurief: „Harry, ein Glas Brandy, mir wird übel!“ gellte ihr Tag und Nacht in den Ohren. Sie sollte beispiellos unglücklich werden. – Jetzt trat das Dilemma ein, vor dem Fox in seinem Mahnbriefe den Prinzen gewarnt hatte. In den Augen der Katholiken blieb Mrs. Fitzherbert Georg’s rechtmäßiges Weib, und Karoline wurde seine Geliebte; der König in spe ging eine Bigamie ein, denn er war verheirathet und konnte von einer Katholikin nicht geschieden werden. Seiner Nichtswürdigkeit gegenüber stach die Haltung der Majestäten und ihres Hofes eigenthümlich ab; Mrs. Fitzherbert’s edler Sinn, ihre Uneigennützigkeit und Liberalität, ihr ehrbarer Wandel, ihre liebenswerthen Manieren machten sie nicht nur in der Gesellschaft wie im Volke populär, sondern verschafften ihr auch die einmüthige Hochachtung des Königshauses, das ihr unbegrenzte Theilnahme widmete, die warme Zuneigung eines Thomas Moore, des Schöpfers von „Lalla Rookh“, und des gewaltigen Lord Brougham. Die unselige Ehe des Prinzen mit Karoline von Braunschweig-Wolfenbüttel wurde schon im Mai 1796 getrennt; in grausamer Selbstironie nannte die Prinzessin später ihre größte Schuld ihren Ehebruch mit dem Gemahle der Mrs. Fitzherbert. Mary Anne dagegen erhielt aus Rom die Erlaubniß, wieder mit ihm zu leben, und versöhnte sich mit ihm. Die nun folgenden Jahre waren nach ihrer Aussage ihre [27] glücklichsten, wenngleich die Finanzen des Prinzen wie die ihrigen oft höchst ungeordnete waren. Georg begegnete ihr voll Achtung, gab ihr freilich noch immer manchen Grund zur Eifersucht.

Ein Vorfall, der scheinbar keinen Bezug darauf haben konnte, trübte die guten Beziehungen; eine Freundin Mary Anne’s, Lady Horatia Seymour, ging nach Italien, um ihre gebrochene Gesundheit wieder herzustellen, und übergab ihre kleine Mary Georgiana der Obhut von Mary Anne. Die Oheime des Kindes forderten dasselbe, als es etwa sechs Jahre zählte, zurück, Mary Anne verweigerte die Auslieferung, aber die Oheime wurden im Mai 1806 in Folge einer Bill zu Vormündern bestellt. Man traute Mrs. Fitzherbert als Katholikin nicht, denn man fürchtete, sie würde dem Mädchen katholische Grundsätze beibringen. Sie wandte sich an das Oberhaus und verlangte die Vormundschaft nicht für sich, sondern für die nächsten Verwandten der Kleinen, die Familie Hertford, für die auch der von dem Kinde entzückte Prinz sprach, worauf die Peers auf Antrag des Kanzlers den Hertfords die Vormundschaft übertrugen. So kam Georg oft mit der Marquise Hertford zusammen, die auf ihn viel Einfluß gewann. Inzwischen begann die Gesundheit von Mrs. Fitzherbert zu leiden; der Prinz vernachlässigte sie und setzte sie bei Hoffesten und dergleichen hintan. Die königliche Familie verzögerte immerfort den Bruch, doch erfolgte er um 1806, und die Gatten sahen sich nie wieder. Mit welchen Gefühlen mag sie schon früher seine Thronbesteigung und den skandalösen Scheidungsproeeß gegen ihre Nachfolgerin verfolgt haben! Georg IV. gab sich jetzt alle Mühe, die Briefe und Papiere zurückzuerhalten, die in Mary Anne’s Händen lagen und die er als vernichtende Beweise seiner Schuld fürchtete. Einmal kam in seinem Auftrage Sir William Knighton zu ihr, den sie gar nicht kannte, sie lag krank darnieder, er erzwang den Zutritt, doch gelang es ihr, den Lästigen zu entfernen, ohne ihm die Papiere einzuhändigen. Als Georg IV. seine ruhmlose Regierung beschloß, sprach er im Todeskampfe viel von Mary Anne’s Bild; sie schrieb ihm, erhielt aber kein Gegenzeichen alter Gesinnungen.

Zum dritten Male Wittwe, siedelte sie nach Brighton über, wo der neue Monarch Wilhelm IV. sie alsbald besuchte. Diesem biederen Seemannskönige unterbreitete sie ihren Ehepakt und wichtige Briefe, ihn zu Thränen rührend. Wilhelm sprach ihr sein Erstaunen darüber aus, daß sie solche Dokumente besessen, aber trotz Demüthigung und Leid nicht benutzt habe, er bot ihr an, sie in jeder Weise zu unterstützen, und wollte ihr den Titel einer Herzogin verleihen, sie aber lehnte die Rangerhöhung mit dem stolzen Worte reinen Bewußtseins ab: „Ich will bis zum Grabe den fleckenlosen Namen Mrs. Fitzherbert führen.“ Der König bestand hingegen darauf, daß sie für seinen Vorgänger Trauer anlege, kam ihr, als sie ihren Gegenbesuch im Pavillon von Brighton abstattete, an den Wagen entgegen, war ihr bei dem Aussteigen selbst behilflich, führte sie bei seiner Familie ein und stellte ihr alle Mitglieder besonders vor. Er erwies ihr dauernd Aufmerksamkeiten wie keiner anderen Unterthanin, als sie von einer Pariser Reise zurückkehrte, schmückte er sie mit Juwelen; oft kam sie im vertrautesten Zirkel mit der Königsfamilie zusammen; diese Ehren wurden ihr erwiesen, weil Wilhelm und die Seinen in ihr die gekränkte Gemahlin und Wittwe Georg’s IV. erblickten. Ueber ihre Papiere verfügte sie für den Fall ihres Todes, denn sie fürchtete einen Mißbrauch derselben. Ihr hoher Sinn duldete nicht, daß fremde Blicke in ihr Allerheiligstes eindrängen; wie viel Tausende hätten die Papiere, untrügliche Beweisstücke, den Augen des neugierigen Publikums vorgelegt! Sie stand ehrenhaft davon ab.

Sie rief den Herzog von Wellington, Britanniens Wehr, und Lord Albemarle zu sich und verbrannte vor ihren Augen die Korrespondenz mit Georg und ihrem treuen Berather, dem Herzoge von York, behielt nur einen kleinen Theil ihrer Papiere, um ihren Ruf gegen Anfechtung schützen zu können, und versicherte den beiden Zeugen, weiter habe sie nun keine Briefe und Dokumente; was daher an solchen nach ihrem Tode auftauchen sollte, sei falsch und von ihnen als Fälschung zu bezeichnen. In Gegenwart Wellington’s und Sir William Knighton’s, welche die Nachlassenschaft Georg’s IV. vertraten, und der Lords Albemarle und Stourton[WS 1] legte sie die wenigen letzten Dokumente im Juni 1833 bei dem bekannten Banquier Coutts nieder, von dem sie später an Mr. Edward Southwell-Keppel gelangten; vergebens gab sich Lord William Stourton’s Bruder, Mr. Charles Langdale, Mühe, sie im seinen Besitz zu bringen, um durch ihre Veröffentlichung das Andenken einer theuren Freundin von den Verdächtigungen zu reinigen, welche Lord Holland in den 1854 erschienenen Memoiren der Whig-Partei auf sie wälzte.

Mrs. Fitzherbert lebte in Brighton in sehr guten Verhältnissen, von Seiten des Königs mit 6000 Pfund Sterling Jahresrente ausgestattet. In ihren letzten Jahren steigerten sich ihre körperlichen Leiden, sie suchte 1833 in Aachen Heilung, fand sie jedoch nicht und überwinterte in Paris. Sobald sie anlangte, begrüßte sie der Herzog von Orleans, durch seines Vaters, Ludwig Philipp’s, Hände war einst 1785 die Korrespondenz des Prinzen von Wales mit der seinen Huldigungen auf den Kontinent entfliehenden Mrs. Fitzherbert gegangen. König Ludwig Philipp und Königin Maria Amalie empfingen die alte Freundin mit aufrichtiger Herzlichkeit, sie lehnte alle Festlichkeiten ab, bewegte sich jedoch in der Königsfamilie, als sei es ihre eigene, und Ludwig Philipp überbot sich in Aufmerksamkeiten. Im Jahre 1834 kehrte sie nach England zurück, wo Wilhelm IV. seine Auszeichnungen in reichem Maße erneuerte. Sie sah viele Freunde und Freundinnen ins Grab sinken, längst waren die unglückliche Gemahlin ihres Gemahls und seine einzige Tochter dahin geschieden, als der Tod wie ein lange ersehnter Freund auch an sie herantrat und am 29. März 1837 im einundachtzigsten Jahre ihres Lebens ihre Leiden endete.

Nicht allein ihre Schönheit hatte auf Georg gewirkt; aus ihrem Geiste sprang auch mancher Gedanke in den seinen hinüber; sie gab ihm manchen Rath in der Politik, ohne je die Rolle einer leitenden Favoritin zu erzielen oder auch nur zu erstreben. Sie war das Opfer einer fürstlichen Laune, alle Blüthen ihres Lebens konnten die Dornen nicht verdecken, die in ihrem Wege lagen, und nie durfte sich Mary Anne, weder als junge Frau noch als Greisin, verhehlen, daß sie auf schwankendem Boden stand, ihre Stellung ungewöhnlich und der Mißdeutung ausgesetzt war. War auch die Royal Marriage Act nach Lord Brougham’s Ausspruch „die unseligste aller Akte, das schlechteste aller menschlichen Gesetze“, ja nach Wilberforce geradezu „verfassungswidrig und ein Hohn gegen die Majestät des britischen Reiches“, so bestand sie doch zu Kraft, und Englands Prinzen mußten ihre persönlichen Neigungen ihr zum Opfer bringen, thaten sie dies nicht, so handelten sie als Egoisten und versetzten ihre Gattin lebenslänglich in eine schiefe Stellung.

Ich will die Leser nun noch an zwei Gräber führen, welche zwei Wesen bergen, die das Leben einander feindlich gegenüberstellte und durch denselben charakterlosen Wüstling züchtigte, das eine liegt in England, das andere in der mütterlichen Erde Deutschlands. In der katholischen Kirche zu Brighton erhebt sich Mary Anne Fitzherbert’s Denkmal, gesetzt von jenem Kinde, das konfessioneller Haß von ihrem Herzen riß und das nun zu einer Mrs. Dawson Damer herangewachsen war; die bescheidene Inschrift lautet nur „Mary Fitzherbert“, aber die Hand der Statue trägt drei Ringe, um zu bezeugen, daß Mary Anne ebenso das Weib des Königs gewesen sei wie das ihrer ersten Gatten. Hier in Deutschland aber im Dome zu Braunschweig steht in der Welfengruft ein Sarg, mit verblichenem Purpur überzogen; die drinnen dem jüngsten Tage entgegenschläft, sprach als heißesten Scheidewunsch aus, sie ferne von England, daheim, zu bestatten und die Worte über ihre Hülle zu setzen: „Hier ruht Karoline von Braunschweig, die mißhandelte Königin von England.“ Lord Byron aber rief dem nichtswürdigen „ersten Gentleman“ Europas, als er in Windsor an der Asche Heinrich’s VIII. und Karl’s I. stand, die Georg überdauernden Verse, des Sängers Fluch, zu:

„Ein Heinrich seinem Weib, ein Karl der Nation,
Vereint er Beid’ in einziger Person.
Umsonst, daß sie Justiz und Tod zu Staub gemacht,
Ein Königsvampyr stirbt, ein anderer erwacht.
Was hilft das Grab? Der Beiden Blut und Staub spie’s aus
Und machte den Regenten Georg daraus.“



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Lord William Stourton; Vorlage: Nourton