Johann Heinrich Voß in Eutin

Textdaten
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Autor: Franz Siewert
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Titel: Johann Heinrich Voß in Eutin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 480–482
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Johann Heinrich Voß in Eutin.

Zur hundertjährigen Feier seines dortigen Rectoratsantritts.

„Das Oertchen ist freundlich, ohne Wall und Mauer. Jeder Garten grenzt mit See oder Feld, und rings herum ist Gottes schöne Welt einem nahe.“ So schildert Nicolovius das Städtchen Eutin, das in anspruchsloser Einfachheit, ein Bild des Stilllebens und der friedlichsten Ruhe gewährend, so ganz verborgen und abseits von dem lauten Geräusch und Treiben der Welt im Osten von Holstein, mitten in seinem prächtigen Schmuck vollwuchsigen Buchenwaldes, grüner Auen, goldener Kornfelder und zwischen zahlreichen wie Augensterne aus Flur und Baum herausblickenden tiefdunklen Seespiegeln liegt.

Vor hundert Jahren um unsere Zeit war es, als in das Städtchen ein Mann aus Otterndorf im Lande Hadeln seinen Einzug hielt, der sich kurz zuvor durch ein unsterbliches Denkmal deutschen Geistes und deutscher Fähigkeit einen hochgefeierten Namen erworben hatte. Das war Johann Heinrich Voß, der Dichter und große Verdeutscher der classischen Dichtkunst Griechenlands und Roms, der bescheidene Rector von Otterndorf, der seinen häuslichen Herd hierher verlegte, um das Rectorat der Eutiner Schule an Stelle des als Professor nach Kiel berufenen Jakob Christoph Rudolf Eckermann[WS 1] zu übernehmen.

Voß’ Wohnhaus in Eutin.
Nach der Natur aufgenommen.

Johann Heinrich Voß stand damals in der Blüthe seines Mannesalters und schaute auf ein bewegtes, nicht freudenreiches Leben zurück. Nach dunklen Jugendjahren voll Kälte und Druck hatte er den Frühling seines Lebens an der Georgia Augusta in Göttingen, dieser damaligen Fürstin unter den deutschen Hochschulen, verlebt und hier während eines dreijährigen Studiums das Gepräge für Leben, Dichtung und Wissenschaft erhalten, welches ihm wie ein unzerstörbarer Charakter sein Leben lang eigen blieb. Herausgetreten aus dem Kreise seiner Studiengenossen und dem Bunde seiner engeren Freunde,[1] die das gemeinsame Band des lauten Bekenntnisses zu Klopstock umschloß, hatte er einen dreijährigen Aufenthalt in Wandsbeck genommen und hier in ländlicher Stille der heiteren Muse, ernsten Forschungen auf den Gebieten der Alterthumswissenschaften und den Sorgen um seinen „Musenalmanach“ gelebt.

Die Wandsbecker Studirstube wurde zur Geburtsstätte seines epochemachenden Werkes, der Odyssee-Uebersetzung, und Wandsbeck die Wiege seiner zweiten Idyllenpoesie; denn in der Vermählung mit Ernestine Boie, der Schwester seines väterlichen Freundes, fand er einen festen, seinem ferneren Leben und Dichten neues Licht und Wärme gewährenden Mittelpunkt. Er hatte das Mädchen allein auf die vierhundert Thaler Erträgniß seines Musenalmanachs hin heimgeführt. Glückselige Zeiten! Die Wohnung des jungen Paares war klein; nur eine Kammer und „ein bretternes Lusthaus im Garten am Bach“ thaten sich den Anfängen ihrer Wirthschaft auf, aber dieses Heim faßte die ganze Liebe und den ganzen Homer, einen doppelten Himmel in sich. Und als erst dem häuslichen Glück die Wiege des Erstgeborenen erstand, da war die Freude groß im Voß’schen Hause, und noch nach zwanzig Jahren preist der Dichter jene Tage, „da er zugleich wiegte und an der Odyssee arbeitete, als unbeschreiblich sorglose und glückliche“.

Mit der Uebersiedelung nach Otterndorf in den hadelnschen Marschen kam einige Störung in sein stilles emsiges Schaffen; die schönste Zeit homerischer Glückseligkeit war damit vorbei. In Otterndorf waltete er mit hingebender Berufstreue des Amtes eines Magisters an der Lateinschule und sah sich in seiner Muße für homerische und dichterische Studien durch vermehrte Arbeitslast sehr beschränkt. Desto mehr aber begründete und rundete sich hier, wo dem Haus das Amt zur Seite getreten war, sein Leben am häuslichen Herde ab. Das Glück des Zusammenlebens mit Weib und Kind erhielt hier die Bedeutung, welche ihn über manche innere Mängel seiner Weltabgeschiedenheit hinüberrettete und welche er in seinen Poesien als Dichter des deutschen Hauslebens gefeiert hat.

Von „Natur“ war in dem Lande der Nebel und Moore kaum die Rede, wenigstens so lange man sich nicht in die eigenthümlichen Reize einer solchen Gegend eingelauscht und eingelebt hatte. Dazu fand Voß aber keine Zeit, und deshalb tragen auch seine hier entstandenen Idyllen („Der siebenzigste Geburtstag“, „Die Kirschenpflückerin“) nicht die Localfarbe der Landschaft, sondern erzählen völlig selbsterlebte Zustände, die zwar auch auf dem freien und naturfrischen Boden des Landlebens sich bewegen, aber doch mehr der Welt des Geistes angehören. Voß sehnte sich nach einer Veränderung; denn er wünschte nicht länger, wie er sagte, „in diesem Marschwinkel sein Froschleben fortzusetzen“. „Den ganzen Tag im Karren und kein Salz auf dem Brode,“ klagte er. Die Liebe Ernestine’s und die Götter Homer’s vermochten ihn einzig mit seiner sauren Amtsarbeit auszusöhnen.

Nachdem im Herbste 1781 die mit Angst und Freude gezeitigte „Odyssee“, ein Werk wahrhaft herculischer Mühen, im Drucke erschienen war, bewarb er sich um das erledigte Rectorat am Gymnasium in Eutin, dem idyllischen Orte, vor dem er sehnend stehen geblieben war, als er einmal vor Ernestinen eine Landkarte ausgebreitet und nach Städten gesucht hatte, wo man Hütten bauen möchte. Durch Vermittelung seines berühmten Freundes, des Dichters Grafen Fr. Leopold Stolberg, erhielt er das Eutiner Amt und zog jetzt in das Städtchen und in die herrliche Landschaft Ostholsteins, deren Boden ihm zu einem zweiten heimathlichen werden sollte, für dessen Vorzüge er noch eine tiefwurzelnde Liebe bis in’s späteste Alter bewahrte, da das grelle Abendroth seines Lebens im deutschen Süden verblich.

Am 21. Juli 1782 hatte er das Rectorat übernommen, und als Wohnung wurde ihm das von seinem Vorgänger innegehabte Haus in der Wasserstraße angewiesen. Der Raum dieser neuen Heimstätte war aber sehr beschränkt und dazu die Gasse so einsam, „nur von schwerwandelndem Hornvieh,“ wie er, homerischer Erinnerungen voll, seinem Freunde Brückner schrieb, „belebt“, wenn dieses beim Frühroth auf die Trift und Abends heimgetrieben wurde. Selten daß einmal der Peitschenknall eines Fuhrmannes, noch seltener der Zauberschall eines Posthornes ihre Stille unterbrach. Nachdem er sich für einige Zeit in einem Stockwerke des Rathhauses mit seiner Häuslichkeit niedergelassen hatte, wurde für ihn am 1. Mai 1784 das Haus des zur Landvogtei nach Neuenburg bei Oldenburg berufenen Stolberg angekauft und eingerichtet.

Dieses Haus, das heute noch die Wohnung des Rectors vom Eutiner Gymnasium ist, wurde der Schauplatz eines fast achtzehnjährigen bedeutungsvollen Wirkens unseres Dichters. In Fachwerk erbaut, kehrt es im Schatten einer alten Linde seinen hohen Giebel der Straße zu; Emanuel Geibel schildert es in seinem Gedichte „Eutin“ mit den schlichten, aber schönen Worten:

„— Nah dem Thor, im Lindenschatten, winkt uns dort
Am Bug der Gasse still zu stehn ein ander Haus,
Bescheidnen Aussehns, aber gern von mir gegrüßt:
Das Haus, in dessen seebespültem Garten einst
Am Sommerabend, voll idyllischer Heiterkeit
Aus irdener Pfeife Wölkchen dampfend, Heinrich Voß
Im Schlafrock zwischen Fliederbüschen wandelte —“

[481] Sein Inneres hat bis heute noch das Aussehen aus des Dichters Zeit behalten. Da liegt unten zu ebener Erde rechts das große Wohnzimmer, wo Ernestine unter ihren vier Buben waltete und sie die Sagen Homer’s lehrte, das Gartenzimmer mit der herrlichen Aussicht auf den stillen, in eine lauschige Natur versenkten Eutiner See, darüber Voß’ Studirstüblein, in dessen Fenster hinein freundlich der breitzweigige Birnbaum grüßt; neben diesem der „weit schauende Saal“, wo sich noch oft der alte Göttinger Freundschaftsbund erneuerte, sich Klopstock, Gleim, Miller, Brückner, Claudius, Wilhelm von Humboldt und andere damalige Stimmen des deutschen Dichterwaldes zum frohen Austausch von Gedanken und Gesinnungen zusammengefunden hatten. Hinter dem Hause dehnt sich bis zum See der wohlgepflegte baumreiche Garten aus, mit der Lindenlaube und den vier Linden am Ufer, wo die „Agnesbank“ ein schattiges Plätzchen zur stillen, sinnigen Betrachtung der das Auge entzückenden Natur bot.

Blick über den Eutiner See aus Voß’ Garten.
Nach der Natur gezeichnet von H. Wrage.

Und wie um das Haus herum, über See und Garten ein unnennbarer Zauber heiterster Anmuth ausgebreitet lag, so umschloß dieses Dichterheim auch im weitesten Umkreise eine Landschaft lieblichster Pracht, abwechselnd in lachenden Fluren, blitzenden Seen mit der überwältigenden Macht ungestörtester Waldeinsamkeit. Es ist erklärlich, daß unserem Dichter das weite Vaterland nirgends schöner gefallen wollte, als hier in diesem nordischen Heim; denn wo mochte der „niederdeutsche Theokrit“ auch ein sichereres Echo für seine Stimmungen finden, als in diesen abgerundeten, in sich befriedeten Formen des Wassers, in den grünen Hügelwellen und der Waldesstille, an den schilfbekränzten tief dunklen Seespiegeln, wo mehr Anregung zur stillen Einkehr in das eigene Selbst und zum ungestörten Aufblick nach dem Quell alles Trostes?

Wie sehr er die Schönheiten des eutiner Landes in sich aufgenommen, das zeigt uns am besten seine „Luise“, die unter den begeisterten Eindrücken der eutiner Landschaft empfangen und geboren ist. Ihr uns so lieblich anmuthender Hintergrund ist das getreue Conterfei der südwestlichen Umgebung des nahen Kellersees. Sie führt uns hier mit sinniger Treue in das malerisch an ihm belegene Dorf Malente – das Grünau der Dichtung – unter das Dach seines Pfarrhauses, aus dem uns ein Hauch des Friedens, fast der göttlichen Weihe entgegenweht, und wo wir in der „rosenwangigen Jungfer Luise“ des Dichters bräutliche Ernestine, in dem „ehrwürdigen Pfarrer von Grünau“ das Portrait seines Flensburger Schwiegervaters wiedererkennen.

Eutin wurde unstreitig zum Kern- und Höhepunkt auf der weiten ruhelosen Lebensfahrt des Dichters. Hier hat er zwanzig Jahre gelebt und sich unermüdlich der Erziehung seiner Knaben, seiner Muse und ernster Wissenschaft, sowie dem Verkehr mit zahlreichen Freunden gewidmet, unter welch letzteren der Dichter Graf Stolberg für ihn eine bedeutsame Stelle einnahm; an Harthörigkeit und allgemeiner Nervenreizbarkeit leidend und durch Stolberg’s Verlust im tiefsten Herzen verwundet, erbat sich Voß im Jahre 1802 Abschied und Pension.

Eutin war der Boden, auf welchem seine größten poetischen und wissenschaftlichen Werke erwuchsen, wo er den Homer vollendete, Virgil’s „Georgica“ übersetzte, wo überhaupt seine hervorragendsten wissenschaftlichen Arbeiten entstanden, die zum Theil bahnbrechend waren und von nachhaltiger Wirkung für die deutsche Sprache, Uebersetzungskunst und Poesie, für die bildende Kunst und Wissenschaft, und wo ferner seine ganze Lebensrichtung und Weltbetrachtung an den hereinbrechenden geistigen und politischen Stürmen der Zeit sich heranbildete.

Nur ungern sah man in Eutin den Mann scheiden, an dessen gefeierten Namen sich der Ruf des Städtchens und seines Gymnasiums knüpfte. Der Minister des Fürstbischofs von Eutin, Graf Holmer, schrieb ihm auf sein Abschiedsgesuch: „– meine eigene Empfindung werde ich dabei immer einer wichtigen Betrachtung aufopfern müssen; denn es wird mir unbeschreiblich wehe thun, dazu mitzuwirken, Sie von Eutin zu entfernen, dem es Vorzug war, Sie zu besitzen, und es mag im Wesentlichen noch so gut für die Eutiner Schule gesorgt werden, so steht derselben schon allein der Verlust nicht zu ersetzen, wenn sie Ihren Namen nicht mehr an der Spitze führen wird.“

[482] Voß hatte sich eine Pension von 600 Thalern erbeten, obwohl er nur einen Gehalt von 500 Thalern bezog. Der Fürstbischof bewilligte sie „ihm, der nur als ein Verreister anzusehen sei und der zu jeder Zeit die freundlichste Aufnahme zu gewärtigen habe“, und Voß versprach, wandle ihn einmal im Süden das Heimweh an, dann „wie ein treuer Storch“ seinen Sommerflug nach Eutin zurückzunehmen.

Der 3. September war der Scheidetag. Am Abend desselben sah sich der Dichter noch einmal im Kreise seiner Freunde Esmarch und Hensler[WS 2] aus Kiel, Boie aus Meldorf und Anderer. Unter allgemeiner Theilnahme und in eigener tiefinnerlicher Bewegung verließ er den mütterlichen Boden seines Dichterlebens, um sich in Jena anzusiedeln, dort mit Grießbach, Eichstädt und Thibaut im traulichen Verkehr, mit Goethe und Schiller in naher Verbindung zu leben und nur drei Jahre später sich zu einer regen Thätigkeit in Heidelberg niederzulassen, wo er als fünfundsiebenzigjähriger Greis starb. Mit Voß waren auch seine Freunde aus Eutin geschieden. Dieses Städtchen aber hegt und pflegt in treuer Pietät das Andenken des edlen Mannes und rüstet sich jetzt, den Tag festlich zu begehen, an welchem er ihm einst gegeben worden war.

Franz Siewert.     



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Christian Rudolf Eckermann
  2. Vorlage: Hendler