Jagderinnerungen aus dem Gebirge

Textdaten
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Autor: Guido Hammer
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Titel: Jagderinnerungen aus dem Gebirge
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 325–328
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Hirschjagd
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder Nr. 19
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[325]
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 19. Jagderinnerungen aus dem Gebirge.

Als ich mich vor Jahren durch das anhaltend schöne Herbstwetter hatte verlocken lassen, noch in der letzten Hälfte des Octobers das sächsische Erzgebirge zu besuchen, um dort einsame Waldnatur und Jagd zu genießen, schlug ich mein Domicil in der Nähe

Die Abfuhr des Hirsches.

der böhmischen Grenze bei einem mir befreundeten Forstmann auf. Obgleich der Wildbestand auf dessen Reviere durch mancherlei Umstände ein ziemlich zerstörter war und sich deshalb das Waidwerk meist nur auf Abschießung von Wechselwild, das zuweilen von Böhmen herübertrat, beschränkte, so lag doch gerade in dieser Art von Jagdbetrieb ein gewisser Reiz, weil doppelte Aufmerksamkeit und Mühwaltung dazu gehörte, wollte man seine Bestrebungen auf diesem Felde möglicherweise mit Erfolg gekrönt sehen. Da galt es denn unverdrossen hinaus auf den Anstand und Pirschgang zu gehen, auf ersterem aber, trat man des Abends an, bis zum Finsterwerden auszuhalten; ja, war Mondschein und man erwartete Hochwild, durfte man sich nicht scheuen, gleich die Nacht hindurch auf seinem Posten auszuharren, weil das Wild höchst unzuverlässig und nur spät Abends oder in der Nacht über die Grenze auf die daranstoßenden dürftigen Felder trat, die es aber schon in dämmernder Frühe wieder verließ, um sich die übrige Zeit fast ausschließlich in den Dickungen Böhmens zu verhalten. Deshalb blieben Versuche, am Tage dem Wilde durch Treibjagden oder mit dem Hunde Abbruch zu thun, fast immer vergebliche. Die nächtlichen Ausflüge aber boten mir gerade einen besonderen Genuß, weshalb ich sie denn auch während der mir vergönnten Zeit geflissentlich pflegte, und obgleich ich nicht ein einziges Mal dabei das Glück hatte zu Schuß zu kommen, so knüpfen sich doch nichtsdestoweniger liebe Erinnerungen an diese einsamen Gänge; denn welch herrliche Natureindrücke empfing dabei das Herz!

War ich geraume Zeit vor Sonnenuntergang, um durch späteres Kommen nichts rege zu machen, hinausgeschritten an die Grenze, um mich dort anzustellen, so blieb mir volle Muße – bei aller Vorsicht für etwa eintretende Eventualitäten – mich der Betrachtung der mich umgebenden herrlichen Natur hingeben zu können; denn so lange es nicht so dunkel wurde, daß man nur noch zur Noth soviel Büchsenlicht hatte um möglicherweise dabei schießen zu können, durfte ich doch nicht darauf rechnen. Wild zu Gesicht zu bekommen. Wie oft und mit welchem Genuß betrachtete [326] ich dann die scheidende Sonne, wenn sie, wie ein glühender Ball in der purpurgefärbten Atmosphäre schwimmend, tiefer und tiefer dem Horizont zuneigte, bis sie scheinbar in das lichtübergossene Waldmeer, das sich vor meinen Blicken ausbreitete, hinabsank! Oder es stiegen vorher noch am Saume der Gebirgslinien phantastisch geformte Wolkenmassen, die dem Herbste ja so eigen sind, empor, welche die sich dahinter bergende Sonne mit goldenen Säumen schmückte, während die in höheren Regionen hinziehenden Luftgebilde von ihr mit rosigem Schimmer übergossen wurden. War aber mit dem Heimgange der Lichtspenderin auch an dem dahineilenden Gewölk der erborgte Glanz verblichen und es zog leise die Dämmerung herauf, dann stellten die weißen Nebel sich ein, die den Tiefen entstiegen und den alten Tannen die dunkeln Häupter umwallten. Tiefe Ruhe begleitete solche Momente, in denen dann selbst die letzten leisen Stimmen der Vogelwelt verstummten, und nur des Baches Rauschen aus der Thaltiefe traf das gespannte Ohr und trug hauptsächlich dazu bei, die heilige Stille des Waldes dem Menschen so recht vollbewußt werden zu lassen. Mit welcher Aufregung lauschte man aber dann, wenn dieselbe plötzlich noch einmal durch den rauschenden Flügelschlag eines Auerhahnes, der seinen Stand in dem Wipfel einer Fichte wählte, unterbrochen wurde! Schwer, als müsse der Gewaltige das Geäst seines nächtlichen Ruhesitzes herabbrechen, trat der urige Vogel auf, daß es weit hin den schweigsamen Forst durchhallte. Dann wurde es todtenstill – nicht ein Lufthauch rührte an solchen Abenden das dichte Gezweig der Tannen und Fichten, während die Finsterniß mit dunkeln Fittigen mehr und mehr den einsamen Wald umspannte. Diese trieb mich dann – erwartete ich keinen Mondschein – entweder nach Hause oder, was oft geschah, in die Baracke einer nahegelegenen Kohlenstatt, um in diesem Asyl zu übernachten und frühzeitig wieder auf dem Platze sein zu können. Manch’ heimliche Stunde hörte ich hier dem „Meilerfried“, so nannte man den Köhler, zu, wenn er mir die Begegnisse seines Waldlebens erzählte, wobei er besonders lebhaft wurde, kam er dabei auf die Vogelwelt zu sprechen; denn er war nicht nur leidenschaftlicher Liebhaber der kleinen gefiederten Sänger, sondern auch der eifrigste Fänger derselben, was mir alle Jäger der Umgegend bezeugten, ihm aber dafür nicht eben „grün“ waren. Hierbei will ich nicht unterlassen, wenigstens eine Geschichte aus dessen Leben wiederzugeben, die ihn so recht als „Vogel-Tobias“ charakterisirt.

Es war an einem jener Abende, wo düstere Wolken den Mond derart verhüllten, daß längeres Ausharren auf meinem Anstandsposten Thorheit gewesen wäre, als ich spät noch in Meilerfriedens Hütte trat. Ich glaubte ihn bereits schlafend auf seinem ärmlichen Lager zu finden, aber noch war er wach, und zwar saß er beim trüben Schein eines Lämpchens und erbaute sich aus einem alten Gebetbuche. Als Buchzeichen aber diente ihm, wie ich beim Herantreten sah, die Schwanzfeder eines Vögelchens, und an diese knüpfte er, als ich lächelnd und darüber scherzend dieses originelle Merkmal betrachtete, folgende Geschichte.

„Das war ein Fink’, von dem das Federchen ist – ein Fink’, für den ich’s Leben gelassen hätt’! Und bald war ich auch um seinetwillen darum gekommen,“ fügte er hinzu. Nachdem er das Buch, in das er sein theures Erinnerungszeichen sorgfältig barg, zugeklappt hatte, fuhr er fort: „’s war als mein selige Frau noch lebte, aber schon krank war und ich mit meiner Familie noch droben im Dorfe wohnte, daß ich an einem Gründonnerstage mit meinem ältesten Buben, der den vorhergegangenen Palmsonntag confirmirt worden war, nach dem nächsten Kirchdorf, das zwei Stunden von meinem Heimathorte liegt, zum heiligen Abendmahl gehen wollte. Da’s gar so schön und sonnig an jenem Tage war, so schlugen wir mitsammen einen Seitenpfad, der durch den Busch führte, ein; denn obgleich er nicht gerade der nächste war, so führte er doch auch nicht eben gar viel um, und man hörte doch dabei jedenfalls ein Bissel Vogelgesang; denn’s Wetter war, wie schon gesagt, so gar prächtig, daß es der liebe Gott nicht schöner machen konnt’, weshalb das liebe Viehzeug auch wirklich vor lauter Lust ganz des Teufels war. Da stieg wirbelnd die Baumlerch’ quer auf in die Luft und trillerte dazu wie auf einer Flöt’, bis sie wieder niederstieg und auf den Wipfel einer dürren Tanne auffiel, dabei ihr zia, zia, zia! lockend, während die Zippen ihr „David“ pfiffen. Es war eine Lust, und die Seel’ im Leibe lachte vor Freude mit über all das Gesing’ und Gepfeif’. Aber auf einmal höre ich ein Stück im Holze d’rin einen Reitzugfinken[1] schlagen – so glockenrein wie pures Silber. Himmelskreuzschnabel! wie fuhr mir das in die Glieder! Ich dachte gleich der Kuckuck sollte mich holen! Aber bald kam ich wieder zu Sinnen.

Höre Jung’, sagt ich zu meinem Fürchtegott, den Finken müssen wir haben! Du hast’n kleines Stündel daheim; lauf was Du kannst und bring mir meinen Lockfinken zur Stell und auch den Leim, denn da hilft kein Bedenken, soll uns der Reitzug nicht in die Fichten gehen. Ich bleibe hier und lasse, bis Du wiederkömmst, den Burschen nicht aus dem Aug’, weshalb Du nur, kehrst Du zurück und siehst mich nicht gleich, zu pfeifen brauchst; denn weit weg – will’s Gott! – bin ich nicht. Mein Jung’ der war nicht faul – im Trabe lief er heim, und keine anderthalb Stunden dauerte es, da war er wieder zur Stell’. Freud und Angst hatten mich derweil bald umgebracht, denn so’n Schlag, wie der Vogel im Leibe hatte, war mir noch gar nicht vorgekommen, und daher fürchtete ich jeden Augenblick, daß ein zweiter Hahn kommen könne und mir meinen Herzensfink fortstreiten möcht’. Doch er hielt ungestört aus, so daß, als mein Bube zurückkam, er seinen Stand noch um keine hundert Schritt geändert hatte. Geschwind waren nun die Leimruthen geschmiert und meinem Hauptlocker kreuzweis auf den Rücken geheftet. Herr mein Gott! nun hätten Sie ausschauen sollen, wie ich den Laufer[2] auf den Boden gesetzt hatte und der sein helles Pink, Pink! erhob. Wie eine Sternschnuppe kam auf diesen Ruf der Standfink’, das herrliche Beest, von seiner Buche, worauf er saß, ’runtergeschossen und auf meinen Locker drauf, daß er schon im nächsten Augenblick fest an ihm hing. Ich natürlich wie eine Katz’ drauf hin – da kommt der Teufelskerl los von dem Leim und flattert, weil noch die Ruthe an ihm haften geblieben, tief über den Haideboden hin einem jähen Hange zu.

In toller Hetze rennen wir, ich und mein Jung’, hinter dem Ausreißer her, und eben will ich ihn greifen, da huscht er mir unter der Hand wieder fort und über die Berglehne ’nunter. In der Hast fahre ich nach und komme dabei auf Geröll, das unter mir weicht, daß ich wie im Fluge eine Streck’ abwärts kollere, ehe ich mich wieder erraffen kann. Endlich gelang mir’s doch, und natürlich war’s mein Erstes, daß ich nach dem Fink’ ausschaut’. Zum Glück hatte ihn der Jung’ mit den Augen verfolgt und sagte mir, er habe den Vogel zuletzt gar nicht weit, ein Stück unterhalb von mir gesehen. Ich kraxe ’nunter, denn gebrochen oder sonst großen Schaden gelitten hatt’ ich nicht, obgleich’s nicht weit vom Halsbrechen gewesen war, suche und o heiliger Teufelsbolzen! – erwische den Schwerenöther richtig wieder. Na, diese Freud’! Als ich meine Beut’ im Schnupftüchel vor’m Entfliegen gesichert hatt’, ging’s den Berg wieder in die Höh’. Bald war ich oben bei meinem zurückgebliebenen Jungen, der unterdessen den Läufer in den Gebauer gethan hatte, und verschnaufte ein wenig. „Vater, wie siehst Du aber aus?!“ rief mich nun mein Fürchtegott an, und in der That verwunderte er sich nicht umsonst, denn mein gott’sbester Sonntagsrock hing voller Streu und Boden und hatte ein großes Loch, daß ich aussah, als läg’ ich in der Mauser. Meinen Hut aber hatte ich schon vor dem Hauptsturz vom Kopfe verloren, und das war gut, denn wäre er den Hang hinuntergepurzelt, so wäre er wahrscheinlich in die unten fließende Grünitzbach gekommen, wie’s mit meinem Beichtbuche geschehen war, das aber der „Schindermüller“ unten am Wehre wieder ’rausgefischt und mir später zurückgebracht hat. Doch was geschehen war, war geschehen, und ich hatte doch den Vogel! Freilich zur heiligen Communion konnten wir nicht mehr gehen, denn da war weder mehr Zeit dazu übrig, noch konnte ich doch in meinem verflixten Habit vor Gott’s Tisch erscheinen.“

Den Finken aber hatte der originelle Vogelfänger, wie er mich versicherte, jahrelang besessen, obgleich er ihn oftmals theuer hätte verkaufen können. „Aber,“ behauptete er, „ich konnt’ mich nicht freiwillig von meinem Staatsschläger trennen, bis er endlich eines Morgens todt im Futterkästel lag. Da hab’ ich mir zum Angedenken noch ein paar Schwanzfedern von ihm ausgerissen und dann das arme Beest im Gürtel unter die Linde begraben.“

[327] Doch kehren wir zurück zu unserer eigenen abgebrochenen Schilderung. Verwandte ich die Morgen und Abende, sowie theilweise ja auch die Nächte auf Erreichung meines jägerlichen Zieles, so gab ich mich den Tag über ausschließlich den stillbeglückenden Einflüssen der herrlichen Herbstnatur hin. Stunden lang konnte ich dann unter den dunkeln Tannen auf weichem Moose oder im verblühenden Haidekraute an einer Berglehne liegen und die Blicke über die Waldhänge und unter mir liegenden baumumrauschten Felsengruppen und über die Thäler hinstreifen lassen, bis sie an den jenseits emporsteigenden blauduftig übergossenen Höhenzügen hangen blieben. Oder das Auge ruhte mit Wonne auf der zunächstliegenden Umgebung, die unter der sonnendurchwärmten zitternden Luft ein reizendes Bild des farbenprangenden Herbstes bot; denn hier glühten in purpurner Pracht die Beerenbüschel der zartgefiederten Eberesche, die in Genossenschaft silberstämmiger und goldlaubiger Birken den mit mächtigen Steinblöcken besäeten Vordergrund überragten, während den Boden wogende goldene Schmälen und andere Grasarten, wilder Thymian und Eriken bedeckten. Dazu lauschte das Ohr den Locktönen auf dem Zuge begriffener Drosseln, die sich an solcher Stelle vom Anblick ihrer Lieblingsspeise, der Ebischbeeren, und von der schmeichelnden Sonne gern bestimmen ließen, kurze Zeit zu rasten.

Doch nicht lange mehr sollte es so bleiben; das Herz hatte Recht mit seinen Ahnungen – die Herrschaft des goldenen Herbstes erreichte ihr Ende! Die ersten Tage im November brachten düster bewölkte, rauhe Tage, an denen noch dazu heulender Sturm mit unwiderstehlicher Gewalt die Forsten durchwüthete und manch machtvollen Baumrecken zersplitterte oder entwurzelt zu Boden warf. Welch einen Gegensatz bot nun der sturmgepeitschte Wald zu seiner früheren elegischen Stille! Das brauste und stöhnte, ächzte und dröhnte, wenn der rasende Orkan die Kronen der wettertrotzenden Tannen zusammenschlug und ihre gewaltigen Schäfte mit schrillem Ton aneinander drängte, daß es wie ein Wehruf durch die Luft wimmerte; oder es erklang durch all dieses Toben das helle Knattern der berstenden Stämme und der dumpfe Fall aus dem Boden gerissener Bäume, die dem entfesselten Element zum Opfer fielen! Endlich aber legte sich das wilde Tosen, nur noch in dem Wipfelchaos alter Bestände ertönte ein hohles Rauschen, als murrten die hohen Häupter der vom Sturm durchwühlten Tannen über die ihnen geschehene Unbill, bis auch da Schweigen eintrat und der Wald wieder stumm und regungslos ward. Aber in düsterer Hoheit lag er nun vor uns; kein goldener Sonnenschein durchleuchtete und erwärmte ihn – nur graue schneeverkündende Wolken jagten über ihn hin, und eisige Luft strich von Norden her über die Höhenzüge hinweg.

Eines Morgens aber, beim Erwachen, überraschte mich der herrliche Anblick blendenden Schneefalls. Wie freute ich mich darüber! Denn nicht nur, daß mir dadurch der Genuß wurde, die großartige Gebirgs- und Waldlandschaft in so eigenthümlicher Schönheit betrachten zu können, sondern auch dem Jagdteufel in mir sagte diese Erscheinung gewaltig zu, denn nun gabs ja einen Spurschnee, mit dessen Hülfe doch eher ein Geschäft auf die böhmischen „Großjacken“[3] zu machen war; also welch hoffnungsreiche Aussicht! Und wie gewünscht, nachdem es den Tag über ununterbrochen fortgestöbert hatte, hörte es gegen Mitternacht mit Schneien auf und wurde klar und kalt, so daß des andern Morgens eine kostbare „Neue“ lag, die zu benutzen mein freundlicher Wirth nicht einen Augenblick anstand. Bald waren wir, der Förster und ich, dazu gerüstet und auf dem Wege nach der Grenze, um vor allen Dingen zuerst diese abzuspüren. Nachdem wir dort gefunden, daß Hochwild herübergetreten war, fingen wir an, die Dickungen, in die Fährten führten, einzukreisen; doch überall war das Wild nur durchgezogen, ohne sich „gesteckt“ zu haben. Schon glaubten wir deshalb die Hoffnung auf glücklichen Erfolg aufgeben zu müssen, denn nur noch ein schmaler Streifen ungefähr zehnjähriger Fichtenschonung blieb uns übrig zu umgehen, worin sich möglicherweise – aber kaum voraussichtlich – Wild geborgen haben konnte. Da das Dickicht nach der Grenzseite zu an ein Gehau stieß, dessen gegenüberliegender Rand schon Nachbarland berührte, so blieb es – selbst im glücklichen Falle, daß wir das Gesuchte antrafen und einer von uns zu Schuß kam – immerhin eine mißliche Jagd, schon um der nahen Grenze willen, wohin dann jedenfalls das beunruhigte Wild floh, so daß, wurde auch eins davon angeschossen, doch zu erwarten stand, das Opfer werde auf fremdem Boden verenden und uns also verloren gehen. Deshalb schritten wir auch ziemlich kleinmüthig zu unserem letzten Versuche. Die Grenzseite abzuspüren übernahm der Förster, wogegen ich mich unterzog, auf einem alten Wege, der die entgegengesetzte Seite des Dickichts umschloß, dasselbe zu thun.

Zu meiner freudigen Ueberraschung fand ich bald die Fährten zweier Hirsche, eines sehr starken und eines schwächeren, die in das Dickicht hineinführten, ohne daß ich sie auf meiner Strecke noch einmal herausspürte. Freilich stand noch die Wahrscheinlichkeit bevor, daß die Hirsche auf der andern Seite, Böhmen zu, hinausgezogen und über die Grenze gegangen waren, was ja mein Jagdherr auf seinem Pfade bald inne werden mußte. Deshalb erwartete ich mit Ungeduld das Zusammentreffen mit ihm, um ein sicheres Resultat zu erfahren. Bald sollte mir solches werden. Lautlos kam der Waidmann im molligen Schnee dahergeschritten, das Auge aufmerksam auf den Boden geheftet, bis wir aneinander waren. Mit leiser Stimme stattete ich ihm Bericht von dem Befund meines Kreisens ab, worauf er vergnügt erwiderte: „So bekommen wir die Burschen in’s Feuer, denn bei mir ist keiner derselben hinaus!“ Also jetzt war Aussicht, von der Büchse noch Gebrauch machen zu können; ob mit Erfolg? das war eine andere Frage, die, meiner Ansicht nach, nicht eben hoffnungsvoll zu beantworten war, denn der Umstand, daß wir nur ihrer zwei und ohne Hund waren, schien mir, der Sachlage zufolge, ein entschieden ungünstiger, da das Dickicht, worin die Hirsche steckten, zwar schmal, aber seiner Länge wegen schwer nach allen Seiten hin zu beschießen war. Dazu mußte nothwendiger Weise Einer von uns die Dickung durchgehen, während der Andere sich vorstellte. Vielleicht konnten da aber die Hirsche zu entfernt vom Schützen ausbrechen und unbelästigt über die Grenze entkommen. Doch der Förster glaubte darauf rechnen zu können, daß die böhmischen Ueberläufer ihren Wechsel, den er genau zu kennen behauptete, inne halten würden, besonders da der Wind vortrefflich stand; er theilte also mein Bedenken nicht.

Aber ein anderer Punkt führte zu Erörterungen, und zwar der: wer von uns Beiden vortreten sollte. Jeder lehnte für seine Person ab, um den Andern nicht um die Ehre des Schusses bringen zu wollen, bis wir das Loos entscheiden ließen. Eine Büchsenkugel und eine Poste gaben die Würfel des Schicksals ab; die Kugel galt dem Schützen, die Poste aber bestimmte das Treiberamt, welches letztere – mir zu Theil wurde. Bei allem Leid, welches ich empfand, daß ich nachstehen mußte, fiel mir doch – ich gestehe es offen – dadurch gleichsam ein Stein vom Herzen; denn hätte mich Diana durch den andern Posten begünstigt und ich hätte dann in der Hitze gefehlt – ich wäre meines Lebens nicht wieder froh geworden! – Und wie leicht konnte das passiren! – Deshalb übernahm ich wohlgemuth meine Stelle, die auch mit Geschick betrieben sein wollte. Ruhig verhielt ich mich so lange an der Stelle, wo die Hirsche in das Dickicht gezogen waren, bis ich mit Sicherheit vernehmen konnte, daß der Förster seinen Stand bereits eingenommen hatte. Dann drang ich sachte auf der Fährte in die Dickung ein. Es war ein beschwerliches Fortkommen d’rin, denn in Massen lag der frischgefallene Schnee auf dem dichten Gezweig der enggeschlossenen Fichten. Dabei mußte ich das Gewehr, das ich zur Vorsorge schußfertig – im Fall ich die Hirsche passend zu Gesicht bekommen hätte – im Arme trug, vor Schnee und Losgehen bewahren und doch auch die ganze Aufmerksamkeit auf die Fährten richten, die sich manchmal trennten, aber immer wieder zusammen kamen. Ohne Lärm, jedoch absichtlich nicht völlig geräuschlos – etwa wie ein schlechtpirschender Sonntagsjäger – zog ich, immer die Fährte des starken Hirsches annehmend, darauf fort und kam darauf bald zu den frisch verlassenen Betten; die beiden Cumpane waren also bereits vor mir flüchtig, doch, wie die weitergehende Fährte zeigte, nur langsam weiter gezogen; ja, oft waren sie wieder stehen geblieben, sicherlich um zu lauschen, woher die Gefahr komme. Da ich noch keinen Schuß vernommen, auch sonst nicht gehört, daß die Hirsche bereits das Dickicht verlassen hatten, so folgte ich stetig ihrem Wechsel, auf dem sie manchen Wiedergang gethan, als ich den schneedumpfklingenden Schuß meines Cameraden hörte und gleich darauf auch dröhnendes Geräusch vernahm, das von den fliehenden Hirschen herrührte, die mit gestählten Läuften den Schnee bis auf den harten Boden durchgriffen.

Nun gab ich meinen Schleichgang auf, und nachdem ich den [328] Hahn meiner Büchse in Ruh’ gesetzt, brach ich gleich einem flüchtigen Stück Wilde durch den Rest der Schonung durch, um nöthigenfalls mit der geladenen Büchse auf dem Wahlplatze von Nutzen sein zu können; aber nichts als den Förster, der eben mit Laden seiner Büchse fertig war, erblickte mein Auge. Beim Näherzusehen bemerkte ich wohl die sich im Schnee scharf kennzeichnenden Fährten beider Hirsche, die über die Blöße der Grenze zuführten. Als der Förster an mich herankam, versicherte er mich, daß er auf den starken Hirsch, den er als einen capitalen, hochgeweihten Burschen beschrieb, vortrefflich abgekommen sei und denselben auch gezeichnet habe. Und richtig, als wir auf den Anschuß kamen, lagen Schnitthaare da, und nicht weit durften wir auf der Fährte, die sich auch bald von der des schwächeren trennte, fortgehen, als wir Schweiß fanden.[4]

Natürlich folgten wir bis an die Grenze, wo wir leider vorerst Halt machen mußten, da wir die Nachfolge nicht hatten. Doch schob sich gerade an der Stelle, wo der Hirsch das Nachbarrevier betreten hatte, dasselbe nur als ein Keil in das meines Freundes herein, so daß möglicherweise, war der Hirsch nur noch fünfzig Schritt geradeaus weiter gekommen, er wieder meines Geleitsmannes Terrain erreicht haben mußte; deshalb zog ich, das Gewehr dem Förster übergebend, um als harmloser Spaziergänger auf fremdem Boden erscheinen zu können, auf der Fährte nach. Daß wir aber den Hirsch nicht erst krank werden ließen, lag in den Grenzverhältnissen, weil, befand er sich noch auf Nachbarrevier und war noch nicht verendet, er durch mein langsames Nachziehen rege werden mußte und dann jedenfalls auf das unsere, vor ihm liegende Terrain übertrat, wo wir ihm dann schon Ruhe gegönnt haben würden. Aber nicht lange brauchte ich zu suchen, denn kaum, daß ich die Zunge böhmischen Landes überschritten hatte und fünfundzwanzig Schritt weiter auf wieder heimischem Boden vorgedrungen war, erblickte mein Auge hinter Fichtenanflug die hingestreckte dunkle Gestalt des Hirsches. Wie flog ich auf den Gefällten zu und, nachdem ich die Enden des capitalen Vierzehnenders gezählt, nach meinem Freund Grünrock zurück, ihm die frohe Botschaft zu bringen! Bald waren wir nun Beide, das fremde Gebiet vermeidend, auf einem kleinen Umwege bei des Försters wohlerworbener Beute angelangt, deren Anblick den sonst ernsten Waidmann doch zu einem enthusiastischen Freudenruf hinriß. Da lag der stattliche Recke, der in seinem dunkeln Winterkleide, mit zottiger Halsmähne und dem weitausgelegten Schmuck seines Kopfes so recht ein Bild der Urwüchsigkeit bot. Hoch ragten die schwarzen, knorrigen Stangen mit ihrer respectablen Endenzahl aus dem blendenden Schnee empor, daß der Anblick dieser Trophäen wohl im Stande war, eines Jägers Herz vor Wonne hochauf schlagen zu lassen. Mit freudigem Stolze betrachtete deshalb der Erleger seine Beute, während ich ihm sein Jagdglück von Herzen gönnte, wenn auch nicht ganz ohne Beimischung eines etwas wehmüthigem Gefühles, dabei leer ausgegangen zu sein.

Da der Hirsch dicht an der Grenze Böhmens lag, wo man schon erwarten durfte, daß Unberufene darüber kommen könnten, so bat mich der Förster, der zuvor die Haken zu sich gesteckt hatte, so lange am Orte bleiben zu wollen, bis er Fuhrwerk aus einem nahen Dorfe requirirt haben werde, um den Hirsch nach dem Forsthause schaffen zu lassen. Gern übernahm ich die Wache, wobei ich mich auf die fast noch warme Beute setzte. Aber nicht lange durfte ich mich auf meinem originellen Divan einsamen Betrachtungen hingeben, denn bald erschien ein Bauer mit seinem Fuhrwerk, einem Schlitten, auf dem Platze. Nachdem der königliche Todte auf die Schleife gebunden worden war und der Fuhrmann sich vorn aufgesetzt hatte, ging die Fahrt dahin. Höchst malerisch, weshalb ich auch diese Scene bildlich beigegeben, gestaltete sich der Zug, als er durch einen Hohlweg in den heimlichen, schneebelasteten Hochwald einzog. Mit Energie schnaubte der zottige Braune vor seiner Last daher, daß den weitgeöffneten Nüstern der dampfendheiße Odem entströmte und in leichten Wölkchen dahinzog. Sein origineller Lenker aber, der gemächlich mit hereingezogener Mütze, dickem Pelze und plumpen Aufschlagstiefeln vorn auf dem Schlitten saß, repräsentirte so recht den Typus des biedern Erzgebirgers. Dabei war er – wie aus seinen Aeußerungen hervorging – eine von jenen Bauernaturen, welche die Jagd, wenn auch nicht selbst betreiben, doch über Alles lieben und sich gern – natürlich nur für Geld und gute Worte – zu Dienstleistungen bei derselben verwenden lassen. Diese Liebhaberei bewährte unser „Pelzbauer“, wie man ihn im Dorfe nannte, auch dadurch, daß er sich einen recht hübschen Schweißhund hielt, den er jung von einem Jäger bekommen hatte, und der das winterliche Jagdbild, die Abfuhr des Hirsches, nicht unwesentlich vervollständigte, indem er dem Zuge folgte.

Kaum hörbar glitt der Schlitten durch den weichen, tiefen Schnee, während des Rosses Hufe mit dumpfem Schall den Boden stampften. Massig entluden die schneebelasteten, niederhängenden Aeste der Tannen und Fichten ihren Schmuck, indem das Pferd sie beim Vorwärtsschreiten mit dem Kopfe streifte; oder der lose Winterflaum bröckelte aus höheren Zweigen hernieder, wenn Goldhähnchen und Meisen sich lustig darauf herumschaukelten. Aber bald hatte der kleine Jagdtroß den tiefen Wald hinter sich und zog, seine Beute zu bergen, ein in das erreichte Forsthaus, das mit seinen hirschgeweihgeschmückten Giebeln unter den verschneiten Linden höchst anmuthend vor uns lag.

Denselben Abend noch duftete gar würzig die gebratene Leber des erlegten Hirsches auf dem Tische meines freundlichen und fröhlichen Wirthes. Mir wurde das schmackhafte Gericht zum Abschiedsmahl, denn des andern Morgens folgte ich dem gebieterischen Muß – und eilte meiner Heimath zu.


  1. Ein Reitzugfink ist ein Finkenhahn, dessen Schlag (Gesang) sich mit der Endigung schließt, die wie „Reitzug“ klingt.
  2. Laufer: Ein Lockvogel, der an einen Faden gefesselt und mit verschnittenen oder gebundenen Flügeln, aber sonst frei auf den Boden gesetzt wird, um durch sein Locken und scheinbare Freiheit Individuen seines Geschlechts herbeizuziehen.
  3. Großjacken: scherzhafter Ausdruck für Hochwild.
  4. Daß man im November noch auf starke Hirsche schießt, da wo kein Wildschaden bezahlt wird, man also auch nicht hegen kann, besonders wenn die Grenznachbarn durchaus nicht schonen, wird kein Jäger dem andern verargen; denn dann kommt es ja nicht darauf an, ob der Hirsch an Wildpret gut ist, sondern es handelt sich, meiner Ansicht nach – zuerst um das Geweih und die Ehre, einen starken Hirsch geschossen zu haben.