Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 3
KRIMINAL-PROZESSE
VON
KULTURHISTORISCHER BEDEUTUNG
DARSTELLUNG MERKWÜRDIGER
STRAFRECHTSFÄLLE
AUS
GEGENWART UND JÜNGSTVERGANGENHEIT
NACH EIGENEN ERLEBNISSEN
VON
HUGO FRIEDLAENDER
GERICHTS-BERICHTERSTATTER
EINGELEITET VON JUSTIZRAT DR. SELLO-BERLIN
BERLIN W 30 | 1911 |
HERMANN BARSDORF VERLAG |
ALLE RECHTE, AUCH FÜR AMERlKA, VORBEHALTEN
Dieser dritte Band von Friedländers Kriminalprozessen scheint mir allgemeiner Beachtung nicht minder würdig als seine Vorgänger, die von berufenen Urteilern mit so lebhaftem Beifall begrüßt worden sind. In der Tat verdient das Bestreben des Herrn Verfassers, die merkwürdigsten unter den berühmten Kriminalprozessen unserer Zeit, des Zeitalters der kriminalistischen causes célèbres, dem Grabe zu entreißen, das ihnen in den Spalten der heut gelesenen und morgen vergessenen Tageszeitungen beschieden ist, volle und dankbare Anerkennung. Nur wer selbst einmal auf diesem Gebiet die zeittötenden und nervenmarternden Forschermühsale des ewigen Suchens und Nichtfindenkönnens durchgekostet, wer sich zum Beispiel wie ich jahrelang vergeblich bemüht hat, sich das Material für die wissenschaftliche Würdigung des berühmten Münchener Falles der Stiftsdame von Heusler zu beschaffen, vermag Friedländers Verdienst um die Erleichterung kriminalistischer Forschung nach Gebühr zu würdigen. Ich wüßte beispielshalber nicht, wo ich mich in unserer Literatur anderswo nach einer umfassenden Darstellung des Falles der Gräfin Tarnowska umschauen sollte, dieser sozialen Tragödie, die uns in den Schicksalen ihrer drei gleich unerfreulichen Helden: der hysterischen gräflichen Dirne und der beiden männlichen Sklaven ihrer Wollust und ihrer Habgier, mit so erschütternder Klarheit zeigt, welchem Ende eine Gesellschaft zusteuert, die als Gesetz ihres Handelns einzig die Laune und das Gelüst des Augenblicks gelten läßt.
[IV] Sehen wir schon im Falle Tarnowska jene unheimliche Macht am Werke, die wir Suggestion nennen, jene Macht, die den Willen des Menschen zum unfreien Werkzeug eines fremden Willens herabwürdigt, und in deren Erkenntnis wir heut einen Schlüssel zur Deutung so mancher rätselvollen Erscheinung des menschlichen Seelenlebens zu besitzen glauben, so tritt uns der unheilvolle Einfluß solcher seelischen Ansteckung als ein Phänomen der Massenpsychologie in den berüchtigten Judenhetzprozessen aus dem letzten Viertel des verflossenen Jahrhunderts vollends greifbar vor Augen. In der anschaulichen Darstellung dieser Vorgänge erblicke ich das Hauptverdienst des vorliegenden Bandes.
Daß noch immer dicht unter der dünnen Decke unserer gerühmten Kultur die uralten Menschenfeinde, die Dämonen des Aberglaubens, des Rassenhasses, des Neides und der Habgier nur auf die Gelegenheit lauern, ihre schwachen Fesseln zu sprengen und die Menschen in wahnwitziger Betörung aufeinander zu hetzen – wo könnten wir des mit erschreckenderer Deutlichkeit inne werden, als in der beschämenden Erinnerung an jene von uns selbst miterlebte Volksseuche, die in dem Kulturleben unserer Zeit einen der dunkelsten Flecke bedeutet?
Unser Herz krampft sich zusammen, wenn wir der aberwitzigen Ausgeburten der Antivernunft und Antimoral gedenken müssen, die noch vor wenigen Jahrzehnten in den Hirnen und Herzen von Leuten spuken konnten, die sich gebildet, die sich gar mit Stolz Christen nannten.
Welche Gefahren insonderheit der Rechtspflege von solcher gewissenlosen Aufpeitschung des Volksempfindens noch heutigen Tages drohen, lehrt uns Friedländers geschichtlich treue Darstellung der Konitzer Vorgänge, die um so tiefer [V] wirkt, als sie sich von jeder sensationellen Parteitendenz freihält.
Wir werden diesen Teil des Friedländerschen Buchs als einen wertvollen Beitrag zu der leider noch immer erst zu schreibenden Geschichte der antisemitischen Bewegung unserer Tage schätzen dürfen, und wir Juristen insbesondere als einen ungewöhnlich lehrreichen zu der wichtigen Lehre von der Psychologie der Zeugenaussage. Der Zeuge, der in borniertem Fanatismus der vermeintlich guten Sache zu dienen glaubt, wenn er mit dreister Stirn seinen Meineid schwört, und der noch weit gefährlichere Zeuge, der sich in unbewußter Verblendung Dinge einredet, die er nicht gesehen und nicht gehört haben kann, sie alle und andere wohlbekannte mehr: der Zeuge mit dem von Vernehmung zu Vernehmung wachsenden Erinnerungsvermögen, der auf die Indizienjagd versessene Zeuge – all diese gefährlichen Wahrheitsfeinde treten uns in diesen Prozessen in mustergültiger Ausprägung vor die Augen, zu eindringlicher Warnung vor jener selbstgefälligen Selbsttäuschung, daß die Greuel mittelalterlicher Hexen- und Judenverfolgungen für uns, die wir es ja so herrlich weit gebracht, nur noch eine verklungene Schauermär aus längst vergangenen Tagen seien. –
Neben den Betörten die Betörer.
Wenn wir jenen, der unwissenden, verblendeten Menge, unser Mitleid nicht ganz versagen dürfen – welche Empfindung ist diesen, den berufsmäßigen Hetzern gegenüber am Platz, wie wir sie in Konitz bald in dieser bald in jener Gestalt behaglich und gewissenlos in den trüben Fluten der von ihnen selbst entfesselten Volksleidenschaft fischen sehen?
Doch – so könnte man mit dem Dichter[WS 1] fragen:
Wozu begrabnes Leid lebendig singen
Und gegen Tote Haß dem Herzen bringen?
[VI] Aber es[WS 2] ist gut und nützlich, von Zeit zu Zeit die Erinnerung an erlebte Schmach wieder aufzufrischen.
Vielleicht beugt man dadurch ihrer allzu frühen Erneuerung vor.
Vielleicht. –
Dürfen wir gar sagen: hoffentlich?
Berlin, 13. Mai 1911.
[VII][U1]
- INTERESSANTE
- KRIMINAL-PROZESSE
- VON KULTURHISTORISCHER BEDEUTUNG VON
- HUGO FRIEDLAENDER
- GERICHTS-BERICHTERSTATTER
DER TARNOWSKA-PROZESS ZU VENEDIG (MIT DEM PORTRÄT DER GRÄFIN TARNOWSKA)
DIE ERMORDUNG DES GYMNASIASTEN ERNST WINTER IN KONITZ
[U2]Inhalt von Band I: Ein Raubmord im Eisenbahncoupé. Der Kwileckiprozeß. Der Hannoversche Spielerprozeß (Olle ehrliche Seemann). Die Leiche im Koffer. Der Raubmörder Hennig. Der Knabenmord in Xanten. Die Geheimnisse eines Klosters. Der Hauptmann von Köpenick (Wilhelm Voigt). Der Judenflintenprozeß. Die Engelmacherin Wiese. Der Erbe-Buntrock-Prozeß. Die Ermordung des Rittmeisters von Krosigk in der Reitbahn zu Gumbinnen.
- Das Spiritisten-Medium Anna Rothe. 242 Seiten.
Inhalt von Band II: Der Hau-Prozeß. Der Mordprozeß Gönczi. Der Prozeß gegen den Fähnrich z. S. Hüssener. Erschießung zweier Musikschülerinnen. Der Mord im Essener Stadtwalde. Das Dynamit-Attentat gegen den Polizeioberst Krause. Der Prozeß gegen den Räuberhauptmann Kneißl. Der Prozeß gegen den Bankier August Sternberg wegen Sittlichkeitsverbrechen. 319 Seiten.
Der vierte Band erscheint noch im Laufe des Sommers
und wird den Leckert-Lützow-Prozeß (Flucht des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts Freiherrn Marschall von Bieberstein in die Öffentlichkeit und Verhaftung des Kriminalkommissars von Tausch im Gerichtssaal), den Ruhstratprozeß, die Ermordung der Lucie Berlin, die Hölle von Mieltschien (Pastor Breithaupt) noch einige andere interessante Prozesse enthalten.
Bereits aus diesen nackten Titelangaben ist ersichtlich, daß Friedlaenders „Sensationelle Kriminal-Prozesse“ in der Tat ein Werk von eminenter kulturhistorischer Bedeutung ist und auf ein großes, allseitiges Interesse rechnen darf, denn es gibt einen ebenso wahrheitsgetreuen als eine eindringende Sprache redenden Beitrag zur Sittengeschichte der Gegenwart und Jüngstvergangenheit. Seine Darstellung hält sich fern von trockenem Prozeßbericht, sie ist vielmehr stets dramatisch bewegt, so daß sein Werk den Leser von Anfang bis zu Ende in Spannung erhält, wie dies der modernste Roman nicht besser tun könnte.
[U3]„Das verruchteste Buch der Weltliteratur“, „Die Bibel der Hölle“, „Eins der schauderhaftesten und unsittlichsten Schriftwerke“ nennt in unzähligen Varianten die Presse aller Länder dies wichtige Kulturdokument der Menschheit! – Es erschien zuerst im Jahre 1489 in lateinischer Sprache.
Schmidts Fakirbuch will aufklärend wirken! Es geht den angeblich übernatürlichen Kräften der Fakire, die heutzutage genug Verwirrung in schwachen Köpfen anrichten, auf den Grund! Bei dem hohen Interesse, das gerade jetzt wieder für alles, was mit Mystik zusammenhängt, in weiten Kreisen vorherrscht, ist dieses Buch wie kein zweites geeignet, eine Lücke auszufüllen. Es ist eine hochinteressante, von Anfang bis zu Ende spannende Lektüre!
[U4]Die berühmten Memoiren der Markgräfin von Bayreuth, der Freundin Voltaires, der geistreichsten Frau des 18. Jahrhunderts, waren seit ihrem ersten Erscheinen eine Fundgrube für den Kultur- und Sittenschilderer. Sie gibt mit jener Naivetät im Ausdruck, wie sie dem 18. Jahrhundert eigen, ein ebenso interessantes als pikantes Bild des Lebens und Treibens an den Fürstenhöfen Europas. Mit ihrer scharfen märkischen Zunge schont sie weder Kind noch Kegel und, eingeweiht in alle, selbst die intimsten Intrigen der hervorragendsten Höfe ihrer Zeit, schildert sie urwüchsig bis zum Außersten alle Personen, die in ihren Gesichtskreis treten. Vor allem sind es der preußische und englische Hof, die wir von König und Königin bis hinab zum Kammerdiener kennen lernen. Oft hat man der Markgräfin zum Vorwurf gemacht, daß ihre Schilderungen unwahr seien, aber die strenge Geschichtsforschung hat doch ergeben, daß sie fast stets richtig wiedergab, einige unbedeutende Ungenauigkeiten und persönliche Färbungen ausgenommen. Daher bilden ihre Denkwürdigkeiten auch heute noch einen der interessantesten Beiträge zur Kultur- und Sittengeschichte des 18. Jahrhunderts, eine wahre Fundgrube für alle Liebhaber von Hof- und Intrigengeschichten.
6 Bände. 8. und 9. Auflage. 1900–1909. Elegant broschiert M. 25.–. In 6 Original-Leinwandbänden M. 30.–. In 6 Original-Halbfranzbänden M. 34.–
Dasselbe: Wohlfeile Ausgabe. 6 in 2 Leinwandbänden geb. M. 20.–. Enthält genau den Text der großen Ausgabe, ist aber nur komplet käuflich. Inhalt: 1. Die Emigrantenliteratur. 2. Die romantische Schule in Deutschland. 3. Die Reaktion in Frankreich. 4. Der Naturalismus in England. 5. Die romantische Schule in Frankreich. 6. Das junge Deutschland. Börne, Heine usw.
Als Georg Brandes’ Hauptwerk, die „Hauptströmungen der Literatur des 19. Jahrhunderts“ zum ersten Male erschien, glichen dessen einzelne Bände Kriegern, welche zu Streit und Kampf auszogen und sich durchkämpfen mußten. Jetzt ziehen sie wie ein siegreiches Heer durch die Lande. Beim Erscheinen der Volksausgabe seiner Werke hieß es in dänischen Blättern, daß Georg Brandes gesiegt habe. Was bedeuten diese Worte, welchen Sieg gewann Brandes, was ist geschehen? – Georg Brandes hat eine neue ästhetische Methode eingeführt... �
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Nikolaus Lenau: Die Albigenser, Schlußgesang (1842).
- ↑ Vorlage: est