Der Beleidigungsprozeß des Berliner Stadtkommandanten, Generalleutnants z. D. Graf Kuno von Moltke gegen den Herausgeber der „Zukunft“ Maximilian Harden
Die Homosexualität ist mindestens so alt wie die Weltgeschichte. Man geht gewiß nicht fehl, wenn man es als wahrscheinlich bezeichnet, daß schon in der vorgeschichtlichen Zeit die Homosexualität nicht unbekannt war. Man kann dreist behaupten: zu allen Zeiten und bei allen Völkern ist die Homosexualität mehr oder weniger in Erscheinung getreten. Wenn man erwägt, daß selbst bei Tieren, insbesondere bei Hunden und Affen Homosexualität zu beobachten ist, wenn man ferner erwägt, daß, obwohl im Mittelalter die homosexuelle Betätigung mit dem Feuertode bestraft wurde, die Leidenschaft nicht auszurotten war, sondern sich bis in unsere Zeit, zum mindesten unvermindert erhalten hat, dann wird man einsehen, daß es durch keinerlei Maßnahmen gelingen wird, die Homosexualität jemals aus der Welt zu schaffen. Als die Israeliten noch in der Wüste waren, muß die Homosexualität bereits sehr verbreitet gewesen sein, denn Moses belegt die homosexuelle Betätigung im fünften Buche des Alten Testaments, also zu einer Zeit, als dieser weise Gesetzgeber seinen Tod herannahen sah, mit einem Fluch. Aber selbst König David, der doch ein großer Freund der Frauen war, scheint von Homosexualität nicht ganz frei gewesen zu sein. Dafür spricht seine innige Freundschaft zu Jonathan, dem Sohne des Königs Saul. Als ihm sein Feldherr Abner die Nachricht brachte, Jonathan sei im Kriege gefallen (1033 vor Christo), da rief David klagend aus: „Größer als die Liebe zu den Frauen, war meine Liebe zu ihm.“ Welche Ausdehnung die Homosexualität im alten Griechenland und im alten Rom hatte, ist allbekannt. Wie die Geschichte berichtet, galt im alten Griechenland zur klassischen Zeit die Knabenliebe, allerdings die reine und edle, als ein Vorzug vor den Barbaren. Trotz aller Verfolgungen, gesellschaftlicher Ächtungen und Bestrafungen ist es in keinem Lande gelungen, diese Leidenschaft aus der Welt zu schaffen, ja es gewinnt fast den Anschein, als ob mit dem Fortschritt der Kultur die Homosexualität, und zwar sowohl die weibliche als auch die männliche, immer mehr an Ausdehnung gewinnt. Man kann das beklagen, der Chronist ist jedenfalls verpflichtet, nicht wie Vogel Strauß den Kopf in den Sand zu stecken oder gar die mit dieser Leidenschaft behafteten Leute zu beschimpfen, sondern mit der Homosexualität als mit einer vorhandenen Tatsache zu rechnen. Nach einer vor einigen Jahren vom „Wissenschaftlich-humanitären Komitee“ ganz oberflächlich mittelst Fragebogen angestellten Erhebung, die sich meines Wissens nach nur auf die Studierenden an deutschen Universitäten und technischen Hochschulen und auf die Metallarbeiter beschränkte, soll es in Deutschland weit über 1½ Millionen männliche Homosexuelle geben. In Berlin wurde schon vor mehreren Jahren die Zahl der männlichen Homosexuellen auf weit über 50000 geschätzt. Und zwar ist diese Veranlagung in allen Ständen und bei allen geschlechtsreifen Altersklassen zu finden. Damit soll keineswegs behauptet werden, daß alle diese Leute sich in roher-sinnlicher Weise betätigen; die weitaus große Mehrheit dieser Homosexuellen soll nur seelisch wider die Norm empfinden. Ein Arzt, der über jeden Verdacht erhaben ist, homosexuell veranlagt zu sein, sagte mir vor einiger Zeit: er behaupte, unter zehn männlichen Personen ist mindestens einer homosexuell. Der bekannte Nervenarzt Dr. Magnus Hirschfeld erzählte mir bei Gelegenheit eines anderen Prozesses, zu dem er als Sachverständiger geladen war: Eine große Anzahl Väter und Mütter aus den besten Gesellschaftskreisen kämen in seine Sprechstunde, um ihn zu konsultieren, was gegen die homosexuellen Neigungen ihrer erwachsenen Söhne zu unternehmen sei. Eine Reihe von Staaten haben den gesetzgeberischen Kampf gegen die Homosexualität längst aufgegeben. In Frankreich, Italien, Belgien, Holland, in einigen Schweizer Kantonen, in Spanien und Portugal ist die homosexuelle Betätigung straflos. Trotzdem habe ich z. B. in Holland, Belgien und Frankreich von homosexuellem Treiben, wenigstens äußerlich, nichts wahrgenommen. Vor Erscheinen des Norddeutschen, späteren deutschen Strafgesetzbuches (1869) war die homosexuelle Betätigung selbst in einigen deutschen Ländern wie Hannover und Hessen straflos. 1869 hat sich die Medizinischwissenschaftliche Deputation, bekanntlich die oberste Medizinalbehörde Preußens, gegen die Bestrafung der homosexuellen Betätigung ausgesprochen. Der Paragraph 175 wäre wohl auch nicht in das Strafgesetzbuch gekommen, wenn damals nicht der bekannte Prozeß gegen den Maler und Leutnant a. D. Alexander v. Zastrow das Berliner Stadtschwurgericht beschäftigt hätte. v. Zastrow war beschuldigt, den achtjährigen Knaben Emil Handtke in einer Weise mißbraucht zu haben, daß ihn die Geschworenen des versuchten Mordes und der widernatürlichen Unzucht, begangen an einem Knaben, schuldig sprachen. v. Zastrow, der auch im Verdacht stand, in der Nacht vom 25. zum 26. Febr. 1867 auf dem Grützmacher den 15jährigen Bäckerlehrling Corny geschändet und ermordet zu haben, wurde zu 15 Jahren Zuchthaus, 10 Jahren Ehrverlust und Zulässigkeit von Polizeiaufsicht verurteilt. Diese Verhandlung erregte in der ganzen Kulturwelt ein ungeheures Aufsehen und rief geradezu einen Sturm der Entrüstung hervor. In dem Vorentwurf zu dem neuen deutschen Strafgesetzbuch wird vorgeschlagen, auch die Homosexualität zwischen Frauen zu bestrafen. Beiläufig sei bemerkt, daß die Homosexualität unter den Frauen noch bedeutend mehr verbreitet sein soll, als unter den Männern. Sollte die erwähnte Bestimmung Gesetzeskraft erlangen, dann dürfte den Erpressungen Tür und Tor geöffnet sein. Eine Einschränkung oder gar Ausrottung der Homosexualität ist selbst durch strenge Bestrafungen jedenfalls nicht zu erwarten. Es erheben sich seit vielen Jahren gewichtige Stimmen, insbesondere von Ärzten und Juristen, die die Straflosigkeit der homosexuellen Betätigung verlangen. Schon in den 1870er Jahren haben sich einer von hervorragenden Ärzten und Juristen an den Reichstag gerichteten Petition zwecks Aufhebung des Paragraph 175 eine Anzahl höherer Polizeibeamter angeschlossen. Vor etwa 12 Jahren wurde eine derartige Petition wiederholt, der sich Männer wie Geheimrat Rubner, Bebel u. a. anschlossen. Der bekannte Berliner Kreisarzt Medizinalarzt Dr. Leppmann sagte vor einiger Zeit in einer im Hörsaale der Lassarschen Klinik abgehaltenen Versammlung der Gesellschaft für soziale Medizin und Hygiene und zwar unter vollem Beifall der bedeutendsten Psychiater, und vieler anderer Ärzte: Wenn zwei Erwachsene aus innerer Neigung sich homosexuell betätigen, ohne dabei ein öffentliches Ärgernis zu erregen, dann ist das eine reine Privatsache, die einen dritten nichts angeht. Deshalb fort mit dem Paragraphen. Der Staat hat jedenfalls kein Recht, hiergegen einzuschreiten. Es kommt hinzu, daß die Bestrafung der homosexuellen Betätigung ein Erpressertum großgezogen hat, das geradezu eine öffentliche Kalamität geworden ist. Es gibt tatsächlich nicht nur in Berlin, sondern in allen Großstädten der Welt eine ganze Anzahl Leute, in Berlin sollen sie nach Tausenden zählen, denen der Paragraph 175 des Strafgesetzbuches eine willkommene Handhabe bietet, ohne jede Arbeit ein geradezu schwelgerisches Leben zu führen. Das bekannte Sprichwort: „Calumniare audacter semper aliquid haeret“ („Verleumde nur immer kühn, es bleibt stets etwas hängen“, trifft ganz besonders hierbei zu. Es ist nichts leichter, als einen Menschen, den man aus irgendeinem Grunde ruinieren oder schädigen will, der Homosexualität zu beschuldigen. So lange der Paragraph 175 existiert, wird das Verleumder- und Erpressertum, dieses Schmarotzertum der menschlichen Gesellschaft, blühen. Wieviel hochachtbare, in Amt und Würden befindliche Leute durch das Verleumder- und Erpresserpack schon mit ihren Familien in Elend und Tod getrieben wurden, ist auch nicht annähernd zahlenmäßig festzustellen. Die Untaten des Rennfahrers Breuer, der einem hochgeachteten Fabrikbesitzer im Rheinland über eine Viertelmillion abgepreßt hat und das erpreßte Geld in unsinnigster Weise mit der weiblichen Halbwelt verpraßte, der schließlich sein wirtschaftlich ruiniertes Opfer niederschoß, dürften allbekannt sein. Vor einigen Jahren kam Landgerichtsdirektor Haße Vorsitzender der ersten Strafkammer am Landgericht Breslau, aus einer Sitzung, um sich nach Hause zu begeben. Der schon bejahrte Herr führte ein glückliches Familienleben. Sein ältester Sohn war bereits Regierungs-Assessor bei der königlichen Regierung in Breslau. Der zweite Sohn war Gerichts-Referendar. Der Landgerichtsdirektor betrat eine öffentliche Bedürfnisanstalt. Als er letztere verlassen wollte, traten zwei Männer auf ihn zu mit den Worten: „Was haben Sie mit unserem Bruder gemacht“? Der angebliche Bruder war ein 19jähriger, stellungsloser Handlungsgehilfe, das Werkzeug der beiden Leute, der sich in der Bedürfnisanstalt befand, als der Landgerichtsdirektor hineintrat. Dieser junge Mann behauptete kühn: der Landgerichtsdirektor habe ihn unzüchtig berührt und ihm einen unzüchtigen Antrag gemacht. Obwohl der Landgerichtsdirektor eine solche Handlungsweise mit vollster Entschiedenheit als Lüge bezeichnete, verfolgten ihn die drei Männer bis zu seiner Wohnung und drohten Lärm zu schlagen, wenn er nicht sofort eine größere Summe erlege. Um den Skandal im Keime zu ersticken, verstand sich der Landgerichtsdirektor, dem Verlangen der Erpresser zu entsprechen. Wenn solche menschlichen Raubtiere aber erst einmal Blut geleckt, d. h. Erpressungsgeld erhalten haben, dann kennen diese Vampyre keine Grenzen. Der Landgerichtsdirektor wurde, ganz besonders von dem damals 36jährigen Konditor Löchel derartig verfolgt, daß er ihm nach und nach 40000 Mark opferte. Kurz vor Weihnachten 1904 traf von Löchel wiederum ein Erpresserbrief in Breslau ein. Der Landgerichtsdirektor befand sich bereits am Rande des wirtschaftlichen Abgrundes. Er bestellte den Erpresser zum zweiten Weihnachtsfeiertag nach Berlin und zwar in die Nähe der Hedwigskirche. Als der Erpresser dort wiederum mit seinen Drohungen begann, da riß dem Landgerichtsdirektor der Geduldsfaden. Voller Wut riß er einen geladenen Revolver aus der Tasche und schoß blindlings auf seinen Verfolger. Alsdann begab er sich auf die nächste Polizeiwache, und meldete, daß er einen Mordversuch begangen habe. Er sagte sich: „Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.“ Die Polizei nahm den Landgerichtsdirektor fest und fahndete sofort nach dem Erpresser. Dieser hatte nur eine unbedeutende Verletzung an der linken Hand erhalten. Er war nach Hamburg geflüchtet und schrieb von dort einen neuen Erpresserbrief an den Landgerichtsdirektor nach Breslau. Der Brief wurde von dem ältesten Sohn, Regierungs-Assessor Haße, aufgefangen. Dieser benachrichtigte sofort die Kriminalpolizei. Letzterer gelang es, den Vampyr auf dem Postamt in Hamburg festzunehmen, als er nach der von ihm erhofften postlagernden Sendung fragte. Es ergab sich, daß dieses Scheusal in Menschengestalt das Erpresserhandwerk in dieser Form schon seit vielen Jahren in allen Großstädten Europas betrieb, und daß er, ohne zu arbeiten, eine glänzende Einnahme hatte. Er war bereits wegen räuberischer Erpressung bestraft. Die dritte Strafkammer des Landgerichts Berlin I verurteilte den Mann zu 9 Jahren, seine zwei Helfershelfer zu 6, bezw. 4 Jahren Gefängnis und Ehrverlust. Landgerichtsdirektor Haße wurde sehr ‚bald aus der Haft entlassen. Da angenommen wurde, daß er unter Ausschließung seiner freien Willensbestimmung gehandelt hat, wurde das Verfahren gegen ihn eingestellt. Er war aber genötigt, um seine Verabschiedung einzukommen, die ihm auch ohne Pensionskürzung sofort gewährt wurde. Ich könnte noch eine große Anzahl derartiger Fälle anführen, ich befürchte aber, mich dadurch zu weit von meinem Thema zu entfernen. Ich will nur noch bemerken, daß nicht bloß in Berlin, sondern in allen Großstädten fast täglich Prozesse gegen Erpresser stattfinden, aus denen zu entnehmen ist, daß die Erpresser sich selbst nicht scheuen, gegen regierende Fürsten, hohe geistliche Würdenträger usw. mit Drohungen vorzugehen. Dank dem energischen Vorgehen des verstorbenen Polizeidirektors v. Meerscheidt-Hüllessem, sowie des Kriminalpolizeiinspektors Walter, v. Tresckow I und des Kriminalkommissars Dr. Kopp und nicht zuletzt, dank der energischen Bestrafung durch die Gerichte in allen deutschen Städten, ist es gelungen, das Erpressertum einigermaßen einzudämmen. Vor einiger Zeit brachte das bekannte Witzblatt „Ulk“ einen Dialog von zwei Berliner Kaschemmenbrüdern. „Du Aujust,“ sagte der eine, „wat meenst du bloß dazu, sie wollen den Paragraph 175 aufheben.“ „Det wäre ja noch schöner,“ versetzte der andere, „von wat sollte denn dann unser eener Mittelstand leben?“ Es gewinnt in der Tat den Anschein, als sei der aus dem Mittelalter stammende Paragraph 175 lediglich im Interesse der schurkischen Verleumder und Erpresser in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Denn daß durch eine noch so harte Bestrafung die Homosexualität aus der Welt geschafft oder auch nur vermindert werden wird, dürfte kaum ein vernünftiger Arzt oder Jurist ernsthaft behaupten. Die Legende, daß bloß abgelebte Greise sich durch Verführung der Jugend homosexuell zu betätigen suchen, ist durch die Wirklichkeit längst widerlegt. Viele Gerichtsverhandlungen haben ergeben, daß es eine große Anzahl ganz junger Leute gibt, die homosexuell veranlagt sind. Der Einwand, daß nach Aufhebung des Paragraphen 175 die Homosexualität weiter um sich greifen würde, widerspricht jeder wissenschaftlichen Feststellung. Keinem Heterosexuellen wird es nach Aufhebung der Strafbestimmung auch nur im entferntesten in den Sinn kommen, homosexuell zu werden. Nach Aufhebung der Strafbestimmung wird es auch nicht einen einzigen Homosexuellen mehr geben als jetzt. Dem Erpressertum, das unser ganzes gesellschaftliches Leben auf ärgste gefährdet, würde aber der Garaus gemacht werden. Der Einwand, daß alsdann die gesellschaftliche Ächtung noch bliebe, mithin auch das Erpressertum weiter wuchern würde, ist hinfällig. Selbstverständlich wird es in der heutigen Gesellschaftsordnung nicht gelingen, das Erpressertum aus der Welt zu schaffen, es würde ihm aber dadurch der Lebensnerv unterbunden werden; darin dürfte mir jeder erfahrene Kriminalist zustimmen. Ich habe bereits erwähnt, daß die Homosexualität in allen Gesellschaftskreisen an- zutreffen ist. Es dürfte erinnerlich sein, daß vor einigen Jahren ein Königlicher Kammerherr, der in unserem Königshause eine sehr hervorragende Stellung bekleidete und den Vorzug hatte, vom Kaiser mit dem Vornamen angeredet zu werden, im Prinzessinnen-Palais in Berlin Teekränzchen veranstaltete, an der mehrere Prinzen des königlichen Hauses, die dem Monarchen verwandtschaftlich sehr nahe stehen, aber außerdem mehrere deutsche Fürstlichkeiten teilgenommen haben. Bei diesen Teekränzchen, so lauteten damals (Anfang Juni 1908) die bisher unwidersprochenen Zeitungsberichte) sollen in homosexueller Weise Dinge vorgekommen sein, die den Grundsätzen der Moral nicht entsprochen haben. Ein Prinz des Königlichen Hauses wurde vor einigen Jahren an einem schönen Sommerabend im Berliner Tiergarten wegen dringenden Verdachts der Homosexualität verhaftet. Als auf der Polizeiwache seine Persönlichkeit festgestellt war, wurde Königliche Hoheit selbstverständlich sofort entlassen. Es wurde ihm von allerhöchster Seite der Rat erteilt, auf einige Zeit ins Ausland zu gehen. Der bekannte Königlich Preußische Kommerzienrat Israel, Inhaber des Welthandlungshauses N. Israel in Berlin, wurde vor einigen Jahren von einem ehemaligen Offizier und zwei Preßbanditen wegen seiner homosexuellen Neigungen in einer Weise verfolgt, daß dieser vielfache, noch in jungen Jahren stehende Millionär sich im Reinickendorfer See ertränkte. Wäre der Erpresserparagraph 175 nicht vorhanden gewesen, dann wäre der unglückliche Kommerzienrat zweifellos noch am Leben. – Im Kreise Prenzlau in der Uckermark erhebt sich ein prächtiges, mit allem Komfort der Neuzeit ausgestattetes, feenhaft schönes, idyllisch gelegenes Schloß, das dem ehemaligen deutschen Botschafter am Wiener Hofe, Fürsten Philipp zu Eulenburg und Hertefeld zum Ruhesitz dient. Philipp Eulenburg, einer uralten Grafenfamilie entstammend, erfreute sich der ganz besonderen Gunst des deutschen Kaisers. Der Monarch kam oftmals nach Liebenberg zur Jagd, und war alsdann stets Gast des Fürsten Eulenburg. Aus diesem Anlaß wurde Graf Philipp Eulenburg vor einigen Jahren in den Fürstenstand erhoben. Er war außerdem zum Mitglied des Preußischen Herrenhauses auf Lebenszeit ernannt und Ritter des schwarzen Adlerordens, bekanntlich des höchsten Ordens, der nur ganz hochgestellten, zumeist fürstlichen Persönlichkeiten verliehen wird. In Schloß Liebenberg verkehrte aber auch der Stadtkommandant von Berlin, Generalleutnant Exzellenz Graf Kuno v. Moltke, Flügeladjutant des Kaisers, ferner der kaiserliche Flügeladjutant Generalleutnant Graf Wilhelm v. Hohenau, der Kommandeur der Leibschwadron des Gardekorps, Rittmeister Graf v. Lynar und der Botschaftsrat bei der französischen Botschaft am Berliner Hofe, Lecomte. Graf Hohenau ist ein echter Hohenzoller. Er ist der Sohn des im Jahre 1872 verstorbenen Prinzen Albrecht Vater, in morganatischer Ehe erzeugt. Prinz Albrecht Vater war der jüngste Sohn König Friedrich Wilhelm III., also der Großoheim des jetzigen Kaisers. Graf Lynar hat eine Prinzessin Solms, eine Schwester der jetzigen Großherzogin von Hessen-Darmstadt zur Frau. Im November 1906 erschienen in der von dem bekannten Schriftsteller Maximilian Harden herausgegebenen „Zukunft“ dunkle Andeutungen, die etwa besagten: Der Kaiser werde von einem Kreise von Personen umgeben, die einen ungünstigen Einfluß auf ihn ausüben, weil sie in psychosexueller Beziehung von der Norm abweichen. Dieser Freundeskreis werde die
genannt, zu der die erwähnten Herren gehören. Die Artikel wurden in mehreren Nummern der „Zukunft“ fortgesetzt. Eines Tages unterhielten sich in Potsdam zwei Offiziere des Gardekorps auf offener Straße ziemlich laut über diese Artikel der „Zukunft“. Der Kronprinz, der sich in der Nähe befand und einen Teil des Gesprächs angehört hatte, ersuchte die Offiziere um nähere Mitteilungen. Am folgenden Tage ersuchte der Kronprinz den Chef des Militärkabinetts und Generaladjutanten des Kaisers, Generalleutnant von Hülsen-Häseler, dem Kaiser über die Angelegenheit Vortrag zu halten. Graf Hülsen-Häseler lehnte aber ab. Aus diesem Anlaß machte der Kronprinz dem Herrn Papa von der Unterhaltung der beiden Potsdamer Offiziere selbst Mitteilung. Daraufhin befahl der Kaiser dem Chef des Militärkabinetts Grafen Hülsen-Häseler und dem damaligen Minister des Innern Dr. v. Bethmann-Hollweg, ihm Vortrag über diese Dinge zu halten. Letzterer erbat sich eine Frist, um sich noch näher zu informieren. Der Minister berief sogleich den damaligen Berliner Polizeipräsidenten von Borries, der sich zur Kur in Kissingen aufhielt, telegraphisch nach Berlin, damit dieser die Untersuchung in die Wege leite und unternahm eines Abends einen Informations-Spaziergang durch den Berliner Tiergarten. Es nahte sich sehr bald ein elegant gekleideter, hübscher junger Mann von weltstädtischen Manieren, der den Versuch unternahm, den ihm unbekannten preußischen Polizeiminister in seine Netze zu locken. Der Minister, der zwecks Bereicherung seiner Kenntnisse auf diesem Gebiete ein Abenteuer erleben wollte, nahm die Sache von der heiteren Seite auf. Er unterließ daher die Feststellung, bzw. Verhaftung des jungen Mannes zu verfügen. Die gesamte Liebenberger Tafelrunde fiel, nachdem dem Kaiser Vortrag gehalten war, sofort in Ungnade. Fürst Eulenburg beantragte gegen sich selbst die Einleitung eines Strafverfahrens wegen Verfehlung im Sinne des § 175 des Straf-Gesetzbuches und schlug Maximilian Harden als Zeugen vor. Harden erklärte jedoch zeugeneidlich: er sei entfernt gewesen, den Fürsten Eulenburg einer strafbaren Handlung im Sinne des § 175 zu bezichtigen. Er habe in den Artikeln nur zum Ausdruck bringen wollen: „Es ist eine Gefahr für das Vaterland, wenn ein Kreis anormal empfindender Männer Einfluß auf die Entschließungen des Herrschers gewinne.“ Darauf stellte das Prenzlauer Landgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Fürsten Eulenburg ein. Graf Kuno v. Moltke ließ sich zur Disposition stellen und Harden durch seinen Vetter, den Klosterpropst Grafen v. Moltke erklären: er versichere auf Ehrenwort, daß er niemals mit männlichen Personen verkehrt habe. Harden erklärte, er halte auch eine ideelle Männerfreundschaft, wenn sie Rückwirkungen auf die Politik habe, für bedenklich. Graf Moltke sandte darauf Harden eine Herausforderung zum Zweikampf, die dieser aber ablehnte. Darauf erhob v. Moltke Privatklage. Auch ein General des Gardekorps fiel damals in Ungnade, weil er es angeblich an der nötigen Aufmerksamkeit bezüglich dieser Vorgänge habe fehlen lassen. – Es wurde nämlich bekannt, daß der Kommandeur der Leibschwadron des Gardekorps Rittmeister Graf v. Lynar seinen Burschen in unzüchtiger Weise attackiert hatte. Der Bursche ersuchte eines Tages den Wachtmeister der Schwadron, ihn abzulösen, da ihm die Behandlung, die er seitens des Grafen erfahre, nicht passe. Nanu, sagte der Wachtmeister, der Graf ist doch herzensgut. Ja, er ist eben zu gut, versetzte der Bursche, deshalb wünsche ich abgelöst zu werden. Dadurch kamen die Verfehlungen des Grafen zur Kenntnis seiner vorgesetzten Behörde. – Der Reichskanzler Fürst von Bülow hatte es sehr bedauert, daß einer seiner tüchtigsten und begabtesten Beamten, gewissermaßen seine rechte Hand, der Geh. Legationsrat und vortragende Rat im Auswärtigen Amt, außerordentlicher Gesandter und Minister Paul von Below-Schlatau aus ähnlichen Gründen, wie die von Harden genannten Herren sich genötigt sah, seinen Abschied zu nehmen. Die Verabschiedung war wohl mit der gesetzlichen Pension, aber ohne Ordensverleihung und Rangerhöhung erfolgt. Die Ausscheidung dieses hohen Beamten soll für das Reich einen großen Verlust bedeutet haben. Zu der Liebenberger Tafelrunde gehörte, wie bereits erwähnt, der französische Botschafts-Attaché Lecomte. Der junge, nette Attaché der hiesigen französischen Botschaft, Monsieur Lecomte, war von seiner Regierung abberufen worden, da über sein Leben in der deutschen Reichshauptstadt Dinge bekannt wurden, die dem Vertreter einer Großmacht nicht gut anstanden. Monsieur Lecomte machte aus seiner anormalen Veranlagung keinerlei Hehl. Er soll eine vollständige Abneigung gegen das „schöne Geschlecht“ zur Schau getragen haben. Andererseits war er aber ein sehr lebenslustiger Herr und in den ihm verwandten Kreisen eine sehr bekannte Persönlichkeit. In den Bierlokalen, Kaffees usw., in denen diese Leute verkehren, soll der Attacheé vielfach anzutreffen gewesen sein. Bekanntlich gibt es derartige Lokale in allen Stadtgegenden Berlins. Auch im Berliner Tiergarten, in dem insbesondere an schönen Sommerabenden eine gewisse Prostitution sich breit macht, soll der Attaché vielfach gesehen worden sein. Er war jedoch nur unter dem Druck der öffentlichen Meinung in Deutschland abberufen worden, bei seiner Regierung war er nicht in Ungnade gefallen. Einmal hat man in Frankreich, wo es bekanntlich eine Gesetzesbestimmung, entsprechend dem § 175 des Str.-G.-B. nicht gibt, eine freiere Auffassung über derlei Dinge und andererseits soll Monsieur Lecomte ein außergewöhnlich begabter Diplomat sein. Er hat hier eine Zeitlang die Geschäfte des Botschafters vertretungsweise geführt. Ganz besonders wurde es ihm in Frankreich als Verdienst angerechnet, daß es ihm durch seine Beziehung zu dem Fürsten Philipp von Eulenburg gelungen war, in persönlichen, freundschaftlichen Verkehr mit dem deutschen Kaiser zu treten und somit die persönlichen Ansichten des Kaisers zu erfahren. Er wurde sehr bald zum ordentlichen Botschafter erhoben und als Vertreter Frankreichs an einen außereuropäischen Staat gesandt. – Am 23. Oktober[WS 1] 1907 begann vor der 148sten Abteilung des Schöffengerichts am Amtsgericht Berlin Mitte der Privatbeleidigungs-Prozeß des Grafen Kuno v. Moltke wider den Schriftsteller Maximilian Harden, der begreiflicherweise in der ganzen Kulturwelt mit größter Spannung verfolgt wurde. Die Verhandlungen fanden unter ungeheurem Andrange im kleinen Schwurgerichtssaale des alten Moabiter Gerichtsgebäudes statt. Den Vorsitz führte Amtsrichter Dr. Kern. Die Parteien waren persönlich erschienen. Graf Moltke hatte selbstverständlich Zivilkleidung angelegt. Sein Rechtsbeistand war Justizrat Dr. v. Gordon (Berlin). Als Verteidiger des Angeklagten Harden war Justizrat Bernstein aus München erschienen. Der Verhandlung wohnte zum großen Teil Amtsgerichtspräsident Dr. Herzog bei. Auch der zweite Sohn des Kaisers, Prinz Eitel Friedrich, soll einige Male inkognito im Zuhörerraum gewesen sein. Der Vorsitzende teilte mit: Vom Gericht sind als Zeugen geladen: Reichskanzler Fürst v. Bülow, der Chef des Militärkabinetts v. Hülsen-Häseler und Graf v. Lynar. Diese drei Zeugen sind verhindert, die beiden ersten wegen Abwesenheit von Berlin, der letztere wegen Krankheit. – Anwesend waren als Zeugen: Frhr. Alfred von Berger, der Leiter des Hamburger Deutschen Schauspielhauses, Frau Lili von Elbe, geschiedene Gräfin Kuno von Moltke, die als Sachverständige geladenen Dr. med. Magnus Hirschfeld und Dr. med, Merzbach. Ferner als Zeugen: Chefredakteur Dr. Paul Liman, Herr von Meyerinck, Kapitänleutnant a. D. Graf Ernst von Reventlow, Kammerherr Graf Edgar v. Wedel, Oberstleutnant a. D. Graf Otto v. Moltke, Justizrat Dr. Sello. Die Kriminalkommissare Walter von Tresckow und Dr. Kopp, Prinz Biron von Curland, Schriftsteller Victor Hahn, Leutnant Wolf von Kruse. Außerdem waren noch von der Verteidigung geladen mehrere Unteroffiziere, zwei Kassenboten, der Dompteur Thielbach, der Standartenträger Max Moldenhauer. Ausgeblieben war Fürst Philipp zu Eulenburg. Für diesen gab sein anwesender Hausarzt, Sanitätsrat Dr. Gennerich die Erklärung ab, daß der Fürst trotz seiner Krankheit nach Berlin gekommen, aber nicht in der Lage sei, an Gerichtsstelle zu erscheinen. Er sei bereit, sich in seiner Wohnung, Königin Augustastraße 42, vernehmen zu lassen. Ausgeblieben waren ferner die von den Parteien geladenen Zeugen Graf Fritz Eulenburg, Frau Emmy v. Heyden, geb. Gräfin Wartensleben, Generalleutnant a. D. Graf Wilhelm Hohenau, Graf Fritz Hohenau, Französischer Botschaftsrat Lecomte. Auf den von klägerischer Seite geladenen Grafen Danckelmann war verzichtet worden; statt seiner war Gräfin Hertha von Danckelmann erschienen. Der Angeklagte Maximilian Harden gab auf Befragen an: Ich bin 1861 in Berlin gegeboren, evangelischer Konfession, zweimal wegen Majestätsbeleidigung mit je sechs Monaten Festung und mehrere Male wegen Beleidigung durch die Presse zu Geldstrafen verurteilt. Seit 15 Jahren bin ich Herausgeber der „Zukunft“. – Auf die Frage, ob er die Verantwortung für die zur Anklage stehenden Artikel übernehme, antwortete Harden: „selbstverständlich!“ – Justizrat Bernstein teilte mit: Es seien von der Verteidigung noch mehrere Zeugen, unter diesen General v. Kessel und General Graf v. Wartensleben geladen. Nach Verlesung der inkriminierten Artikel fragte der Vorsitzende den Angeklagten: Haben Sie behaupten wollen, daß der Kläger homosexuell veranlagt ist? – Angekl.: Ich habe mit den Artikeln einen politischen Zweck verfolgt. Deshalb habe ich beiläufig auch die Person des Privatklägers erwähnt. Ich habe nicht ein Wort mehr gesagt, als mir zur Erreichung dieses Zweckes notwendig erschien. Ich habe nie ein Wort von dem, was ich gesagt habe, zurückgenommen, und werde nie ein Wort zurücknehmen. Nach meiner Überzeugung ist der Vorwurf homosexueller Veranlagung nicht erhoben. Was ich darüber denke, werde ich sagen, wenn ich darum gefragt werde. In diesen Artikeln habe ich nichts davon gesagt, sondern nur, daß nach meiner Überzeugung, die ich beweisen werde, Graf von Moltke abnorme sexuale Empfindungen hat. – Vors.: Was verstehen Sie darunter? – Harden: Ich unterscheide – mit der Wissenschaft – zwischen anormalem Empfinden und homosexuellen Neigungen. Es ist ein großer Unterschied, ob diese Veranlagung so weit geht, daß sie zu widernatürlicher Betätigung hinneigt, oder ob die Betreffenden nur anormales Empfinden haben, ungesunde Empfindungen, die der Normalität widersprechen. Wenn ich von einer Frau sage, sie ist etwas sinnlich veranlagt, so ist damit nicht gesagt, daß sie diese Sinnlichkeit auch nach außen hin betätigt. – Vors.: Wollen Sie sagen, daß ein Heterosexueller auch diese Abnormität besitzen könnte, von der Sie sprechen? – Harden: Es gibt da ungemein verschiedene Nuancen. Ich möchte unterscheiden zwischen dem, was hier gesagt ist, und was ich glaube. Ich habe ja nicht nötig, und ich mache mir ein Verdienst daraus, nicht mehr von diesen Dingen zu erwähnen, als unbedingt zur Charakteristik einer Gruppe notwendig wäre, nicht ein Wort mehr, das wäre taktlos und unanständig gewesen. Ich persönlich habe nach allem, was mir bekannt ist, über den Herrn Privatkläger die Meinung, daß er zweifellos ein vollkommen abnorm empfindender Mann ist. Ich sehe darin keine Beleidigung, sondern nur eine Konstatierung und werde beweisen, daß ich die Überzeugung haben mußte, und daß dem Herrn Privatkläger bekannt war, warum ich die Überzeugung haben mußte. – Vors.: Jedenfalls sind Sie der Ansicht, daß Sie eine Betätigung der Homosexualität nicht behauptet haben? – Harden: Mit keiner Silbe. – Vors.: Welche Stellung haben Sie bisher in der „Zukunft“ eingenommen inbezug auf die Abschaffung des § 175? – Harden: Ich habe vor Jahren, als der Fall des Grafen Wilhelm H. vorkam, darüber geschrieben und gesagt, die Aufrechterhaltung des § 175 habe keinen Zweck mehr. Ich habe dann Fachmänner gebeten, über die Frage in der „Zukunft“ zu schreiben, und habe mich immer für die Abschaffung des § 175 ausgesprochen. – Vors.: Würden Sie nicht einen Widerspruch darin erblicken, wenn Sie den § 175 bekämpfen und trotzdem jemand deshalb angreifen, weil er gegen diesen Paragraphen verstößt. Würden Sie aus diesem Grunde nicht auch bei politischen Gegnern Verstöße gegen diesen Paragraphen nicht erwähnen? – Harden: Ja, ich habe das getan und nichts davon erwähnt. In dieser Gruppe sind die Personen, die sich der schwersten homosexuellen Delikte schuldig gemacht haben. Dieses Material ist seit Jahresfrist in meinen Händen. Ich kann das beweisen und hier beweisen. Habe ich je davon gesprochen? Nie! Und wenn ich solche Delikte von dem Privatkläger behauptet hätte, dann wäre ja der Angriff unanständig gewesen. Bin ich ein Denunziant? Habe ich die Absicht, ihn ins Gefängnis zu bringen? Habe ich ein Wort vom Grafen Hohenau gesagt? – Justizrat Dr. von Gordon: Vielleicht äußert sich der Beklagte bestimmt, ob er bezüglich des Grafen Moltke irgendein Vergehen gegen den § 175 behaupten will? – Harden (erregt): Ich bin es müde, darauf Erklärungen abzugeben, ich habe hundertmal Erklärungen abgegeben. Ich werde beweisen, daß Graf Moltke sexuell abnorm ist. Ich denke nicht mehr daran, Erklärungen abzugeben. Solange ich Politiker war, konnte ich die Hand zum Vergleich bieten, jetzt als Beklagter nicht mehr. Ich habe niemals behauptet, daß Graf Moltke sich geschlechtlich strafbarer Handlungen schuldig gemacht habe. (Mit erhobener Stimme): Ich kenne die Geschichte der Ehe und Ehescheidung des Privatklägers seit fünf Jahren in allen Details, ich weiß, daß der Privatkläger seiner Frau, seiner Schwiegermutter, seinem Vater gegenüber sich stets darauf berufen hat, daß er absonderliche Gefühlsempfindungen hat. Ich habe in den Artikeln aber mit keinem Atom auf Geschlechtshandlungen des Privatklägers hingewiesen. – Justizrat Dr. v. Gordon: In einer früheren „Zukunft“, Nr. 39 vom Jahre 1902, hat der Beklagte, ohne irgendwie politisch genötigt worden zu sein, Anspielungen auf die Eheaffäre des Grafen Moltke gemacht, durch die er versucht hat, den Grafen lächerlich zu machen. – Justizrat Bernstein: Ich muß gegen die Verlesung dieses Artikels protestieren. Der Herr Privatkläger wird doch nicht erst seit heute Morgen Kenntnis von diesem Artikel erhalten haben, sondern schon lange vorher. Er hat aber nie irgendwie darauf Bezug genommen, deshalb bitte ich, von der Verlesung Abstand zu nehmen. Ich erkläre im übrigen: Herr Harden hat niemals den Grafen Moltke persönlich angegriffen, sondern sich nur mit ihm als Mitglied eines Freundeskreises beschäftigt. Diesem gehörten die Herren Lecomte, Graf Hohenau, Fürst Philipp Eulenburg und Graf Moltke an. Ich behaupte, daß besonders Herr Graf Hohenau mit dem Privatkläger befreundet ist – (Graf Moltke schüttelt verneinend den Kopf. – Harden: Nicht? – Na es wird sich schon noch finden!) Es wird sich nun fragen, will der Herr Kläger behaupten, dieser Freundeskreis gehe ihn überhaupt nichts an, er habe sich um die Dinge, die um ihn vorgingen, überhaupt nicht gekümmert oder nichts von intimeren Dingen gewußt, oder will er behaupten: daß die von Harden gemachten Vorwürfe gegen diesen Freundeskreis überhaupt unzutreffend und aus der Luft gegriffen sind, oder will er endlich, wie es schon in einem Schriftsatz in höchst verletzender Weise geschehen ist, behaupten, daß Harden aus reiner Sensationslüsternheit gehandelt hat? – Justizrat Dr. v. Gordon: Mein Mandant kennt eine solche Gruppe überhaupt nicht. Es gibt eine solche Gruppe in der Form, wie es von Harden behauptet wird, überhaupt nicht. Es besteht nur eine Freundschaft zwischen dem Grafen Moltke und dem Fürsten Eulenburg. Diese Freundschaft ist aber klar und rein wie die Sonne. Mit dem Grafen Hohenau besteht überhaupt keine nähere Freundschaft. Es handelt sich bei dem Grafen Moltke und dem Grafen Hohenau um Beziehungen, die selbstverständlich nur mit den amtlichen Stellungen der beiden Herren zusammenhängen. Beide gehören zu den sechs Flügeladjutanten Seiner Majestät und sind hierdurch in einen näheren Kontakt gekommen. Herr Lecomte ist dem Privatkläger vollkommen fremd, ebenso wie ein Herr von Below, der von Herrn Harden in neuester Zeit in den angeblichen Freundeskreis hineingezogen worden ist. Herr Graf Moltke hat mit mir zusammen erst aus dem Adreßbuch etwas Näheres über Herrn vor Below erfahren. (Mit erhobener Stimme): Es existiert kein Kreis, kein Grüppchen und auch keine Kamarilla. Die Taktik der Gegner ist, alle möglichen Menschen in die Sache hineinzubringen und in irgendeine Beziehung zu dem § 175 zu bringen. Ich kann mur nochmals erklären, die Freundschaft des Grafen Moltke zu dem Fürsten Eulenburg steht turmhoch über derartigen Verdächtigungen. – Harden: Alles was hier gesagt ist, ist unrichtig. Graf Hohenau ist diesem Privatkläger durchaus nicht fremd. Er ist seit Jahren mit ihm in unmittelbarer Nähe Sr. Majestät gewesen, und er ist ja auch mit ihm verwandt. (Der Privatkläger rief: Aber sehr entfernt!) – Justizrat Dr. v. Gordon: Wenn der Angeklagte noch gegen 200 Leute Vorwürfe erhebt, so kümmert mich das gar nicht. Mich kümmert hier nur der Privatkläger Graf von Moltke. Sie hätten Recht, wenn Sie gesagt hätten, es besteht eine Kamarilla, in der perverse Neigungen herrschen, und zu dieser Kamarilla gehört der Privatkläger. Ich habe aber dieses Band zerschnitten und behaupte nochmals: Diese Gruppe existiert nicht, und Graf von Moltke steht völlig rein da! – Vors.: Herr Privatkläger, wollen Sie sich auch dazu äußern? – Privatkläger Graf von Moltke: Ich kann nur wiederholen, daß ein solcher Kreis nicht existiert und gar nicht existieren kann! Denn dieser Kreis ist gedacht in der Umgebung der Allerhöchsten Person, und zwar in der allernächsten Umgebung. Ein solcher Kreis existiert nicht. Meine Freundschaft mit dem Fürsten Eulenburg besteht schon seit jungen Jahren und hat mit perversen Dingen absolut nichts zu tun. – Harden: Fürst Philipp Eulenburg, Graf Hohenau und Herr Lecomte stehen ja doch dem Privatkläger sehr nahe. Was ist also darüber zu reden, ob ein solcher „Kreis“ besteht? – Der Privatkläger bestritt, daß es ein Freundeskreis war. – Justizrat Bernstein: In dieser Gruppe sind verschiedene Stufen der Homosexualität vertreten. Niemals hat der Angeklagte angedeutet, daß der Privatkläger mit aktiver Betätigung homosexueller Neigungen hervorgetreten ist. Der Angeklagte wird beweisen, daß der Privatkläger in geschlechtlichen Dingen nicht so fühlt, wie die Mehrzahl deutscher Männer denn doch noch fühlt. Bezüglich des einen Herrn dieser Gruppe ist zu behaupten, daß er seine homosexuelle Wesensart in Handlungen schwerster Art umgesetzt hat. Und wenn der Privatkläger einer Gruppe angehört, zu der auch dieser Herr gehört, so kann der Angeklagte nicht bestraft werden, wenn er aus diesen Vorkommnissen solche Schlußfolgerungen zieht. Hat der Privatkläger gewußt, daß Graf Hohenau so ist, wie er geschildert worden ist, oder hat er wenigstens davon gehört? – Graf von Moltke: Ich habe das niemals gewußt. Es war mir absolut nicht bekannt. Ich bestreite es. – Harden: Ich muß die Bemerkungen des Privatklägers als unrichtig bezeichnen. Platzmajor Ernst von Hülsen und General von Kessel werden bekunden, daß dem Privatkläger die Verfehlungen des Grafen Hohenau bekannt waren, und sie ihm gesagt haben, es sei nicht recht von ihm, daß er nicht auf vorgeschriebenem Wege von diesen Verfehlungen Kunde gegeben habe. – Vors.: Herr Privatkläger! Der Angeklagte behauptet, Sie hätten eine Abneigung gegen das weibliche Geschlecht? Ist das richtig? – Graf von Moltke: Dann hätte ich wohl nicht geheiratet. – Justizrat Bernstein: Herr Harden kennt die Ehescheidungsakten des Grafen von Moltke ganz genau. Durch Zeugen wird eidlich bekundet werden, daß Graf Kuno von Moltke nicht einmal, sondern unzählige Male gesagt hat: Die Ehe ist eine Schweinerei, ich lebe nicht für meine Frau, sondern für meine Freunde, das gemeinsame Schlafzimmer ist nur eine Notzuchtsanstalt. Das alles war Herrn Harden bekannt, und so ist es doch nicht auffällig, daß er aus dieser seiner Kenntnis der Dinge zu seinen Schlußfolgerungen gekommen ist. – Justizrat Dr. v. Gordon: Daß dem Angeklagten die geschiedene Ehefrau des Privatklägers derartige Dinge mitgeteilt hat, gebe ich ja zu, aber er muß sich doch klar sein, welcher Wert den Äußerungen einer unglücklichen Frau, die in der Ehescheidung steht, bei- zumessen ist. Die Ehescheidung hat auf Antrag des Mannes stattgefunden, und die Frau ist als der schuldige Teil erklärt worden. Ich verstehe es, und es erscheint entschuldbar, wenn die Frau die Empfindungen hat, daß der Ehemann nicht so sexuell beschaffen ist, wie sie sich gedacht hat. Ein Mann kann gewiß für Frauen schwärmen und doch aus ganz bestimmten Gründen und Veranlassungen gegen eine Frau, die seine Ehefrau geworden, Abneigung haben. – Justizrat Bernstein: Es ist wahr, daß die Ehe des Grafen von Moltke geschieden ist auf Antrag des Klägers, weil er behauptet hat, daß seine Ehefrau sich schwerer Beleidigungen gegen ihn schuldig gemacht habe. Ich werde erweisen, was die Wahrheit in dieser Beziehung ist. – Justizrat Dr. v. Gordon: Die Ehe des Grafen Moltke ist im März 1896 geschlossen worden. In den Ehescheidungsakten ist deutlich hervorgehoben, daß bis zum November 1897 ein ehelicher Verkehr stattgefunden hat. Daraus geht schon das Gegenteil hervor von dem, was Herr Harden hier vorgebracht hat. Die damalige Gattin hat alle möglichen schweren Beschuldigungen gegen den Kläger erhoben, die ins Ungeheuerliche gingen. Bemerken will ich jedoch, daß die geschiedene Gattin des Grafen damals infolge einer Trionalvergiftung ihrer Sinne nicht mächtig war. – Harden: Ich will zur Vereinfachung der Sache etwas beitragen. Der Herr Kläger behauptet, daß ich durch die jetzige Frau v. Elbe persönlich Informationen erhalten habe. Ich erkläre, daß dies nicht richtig ist. Ich bin dagegen bereit, eine der höchsten Personen des Landes zu nennen, die sich über die hier in Frage kommenden Dinge in der krassesten Weise ausgelassen hat. Ich habe mich für die geschiedene Gattin des Herrn Grafen, die ich in einer Gesellschaft bei Geheimrat Schweninger kennen gelernt hatte, nur deshalb interessiert, weil ich fand, daß gegen die Dame mit Mitteln gekämpft wurde, für die sie als Frau zu schwach war. Die Dame hat nie versucht, mich gegen ihren geschiedenen Gatten aufzuhetzen. Erst nach langer Zeit habe ich bei einem hiesigen Anwalt die Akten in der Ehescheidungssache eingesehen, allerdings auf Wunsch der Dame. Da erst hatte sich mein Gesichtskreis nach einer gewissen Richtung hin erweitert. Ich bin nun fünf Jahre im Besitze der Kenntnis dieser Dinge gewesen. Wenn ich die Absicht gehabt hätte, dem Herrn Kläger irgendwie zu schaden, dann hätte ich längst schon irgendeine geringe, aber nach jeder Richtung hin erweisliche Tatsache in meiner Zeitschrift bringen können. Herr Graf Moltke hätte dann unbedingt die Uniform ausziehen müssen. Ich habe es nicht getan. Ich habe nur dagegen gekämpft, daß die Interessen des Privatklägers durch den ihm befreundeten Fürsten Eulenburg in der Nähe der höchsten Person des Landes in einer Weise wahrgenommen werden, die leicht eine Bevorzugung eines Günstlings genannt werden kann. – Justizrat Dr. v. Gordon: Ich muß ganz entschieden Verwahrung dagegen einlegen, daß hier Herr Harden behauptet, es befänden sich in den Ehescheidungsakten Dinge, durch die Graf Moltke genötigt gewesen wäre, seine Uniform auszuziehen. Ich erkläre dies für unwahr. – Harden: Die Frage ist klipp und klar: Ist Frau v. Elbe meineidig oder nicht, ist der Sohn meineidig? Mir ist es gleichgültig, wie der Prozeß verlaufen wird. Sind diese Personen, die die gravierendsten Tatsachen für die Abnormität des Privatklägers behaupten, meineidig oder nicht? Ich bitte, sie zu vernehmen. – Justizrat Dr. v. Gordon: Herr Harden vergißt, daß es noch feinere Unterscheidungen gibt als Meineid oder nicht. – Justizrat Bernstein: Ich bitte das Gericht, die genannten Zeugen zu vernehmen. Der Kläger hat vorhin erwähnt, daß eine Zeugin der geschiedenen Gräfin Moltke zur Last gelegt hat, sie hätte in Pariser Blättern den Kläger unmöglich machen wollen. Von dieser Zeugin habe ich einen Brief erhalten, in dem sie sich jetzt auf die Gegenseite stellt. Eine solche Zeugin hat doch wenig Wert! – Harden: Mir kommt es auf die Feststellung an, daß mir seit fünf Jahren Tatsachen und Äußerungen bekannt sind, von denen jede einzige genügen würde, den Herrn Privatkläger in der schwersten Weise zu schädigen, da sie erweislich wahr sind. Nichts davon habe ich benutzt. Ich habe, als die Dinge sich politisch und nach der Seite der Sexualität so gesteigert hatten, daß mir nach ernstesten Erwägungen ein Einschreiten nötig schien, in der taktvollsten Weise nur soviel gesagt, wie ich sagen mußte. Ich halte die Freundschaft des Privatklägers mit dem Fürsten Eulenburg für eine erotisch betonte, aber nicht für eine, die sich in Handlungen umsetzt. – Vors.: Herr Beklagter, haben Sie nicht das Bedürfnis, dem Herrn, der Ihnen gegenübersteht, der in den schlimmsten Verdacht gekommen ist, vor aller Welt eine Erklärung abzugeben, daß Sie sagen: ich will ihm eine strafbare Handlung nicht zur Last legen. Ich will von ihm auch nur behaupten, daß er in ungewöhnlichen Maße dem weiblichen Geschlechte abhold ist. Meine Schuld ist es nicht, daß diese Artikel so falsch aufgefaßt worden sind. Aber ich gebe zu, diese Artikel sind etwas zweideutig. Deshalb würde ich mich bereit finden, im Interesse des ganzen Landes hier einen Vergleich zu schließen? – Harden: Ich würde zu meinem Bedauern auf diese Anregung nicht eingehen können. Zwischen Graf Moltke und mir gibt es auf dieser Erde keine Möglichkeit eines Vergleichs. Niemals! Ich würde lieber ins Zuchthaus gehen, ehe ich mich mit ihm vergleiche, und zwar aus zwei Gründen: Der erste Grund ist: ich konnte als Politiker im Interesse des Landes die Möglichkeit eines Vergleichs haben. Der Herr Kläger hatte einen Verwandten zu mir geschickt. Als Angeklagter kann ich einen Vergleich nicht mehr eingehen. Ich kann nicht den Schein erregen, als hätte ich hier irgend etwas zu scheuen in dieser guten Sache, die ich gut vertreten habe, nach meinem Wissen so gut ich es kann. Als Angeklagter den Schein erregen, als wollte ich mich der Strafverfolgung entziehen, das tue ich nicht. Alles, was seit dem 11. Mai seitens des Privatklägers und seiner Freunde öffentlich und geheim, direkt und indirekt geschehen ist, macht mir unmöglich, auf einen Vergleich einzugeben. – Justizrat Dr. v. Gordon: Auch für uns ist ein Vergleich unmöglich. Die ganze Welt hat die Artikel so aufgefaßt, wie sie der Kläger auffassen mußte. – Vors.: Halten Sie, Herr Beklagter, die Freundschaft des Klägers mit dem Fürsten Eulenburg für eine ideale unter Ausschluß geschlechtlicher Delikte? – Harden: Ich bin der Überzeugung, daß die beiden Herren keine Geschlechtshandlungen vorgenommen haben, bin aber auch der Meinung, daß die Freundschaft eine erotische Betonung hat. Denn, wenn der Kläger das Taschentuch seines Freundes an die Lippen drückt und ruft: „Phili, mein Phili!“ und wenn er ihm schreibt: „Meine Seele, mein Geliebter!“ so kann ich das nicht anders ansehen als eine erotische Betonung. – Im weiteren Verlaufe wurde die Bedeutung des bekannten Artikels der „Zukunft“ erörtert, in dem der „Harfner“ und der „Süße“ auftritt. Harden gab zu, daß mit dem „Süßen“ der Privatkläger gemeint war und nicht der Botschaftsrat Lecomte. – Der Privatkläger erklärte, daß er durch diese höhnische Art in der er als der „Süße“ bezeichnet wurde, sich beleidigt fühle. – Harden machte dagegen darauf aufmerksam, daß der Privatkläger mit solchen Kosenamen, z. B. auch mit dem Namen „Tütü“ in seiner Familie bezeichnet worden ist. – Der Privatkläger erwiderte, er werde mit dem Namen „Tütü“ noch in der Erinnerung an seine Kindheit von zweien seiner Schwestern bezeichnet. – Harden: Bestreitet der Privatkläger, daß er Süßigkeiten gern ißt und beispielsweise Süßigkeiten, Pralines u. dgl. mit ins Theater zu nehmen pflegt, so daß man von ihm sagte: „Da kommt der Süße mit der Düte!“ – Graf von Moltke: Davon weiß ich nichts. – Harden: Wird bestritten, daß Graf Moltke Rot auflegt? – Privatkläger: Ja, das wird bestritten. – Harden: Ist es für den preußischen General Graf Kuno von Moltke eine Beleidigung, wenn er der „Süße“ genannt wird, während er durch den Kosenamen „Tütü“ nicht beleidigt ist? Es ist auch bereits vor langen Monaten zugegeben, daß die Herren Fürst Philipp zu Eulenburg und Graf Kuno von Moltke, die untereinander von einem „Liebchen“ sprachen, mit diesem Worte die höchste Person im Lande zu bezeichnen für gut befanden. Das haben die Herren mir gegenüber zugegeben durch einen mir zugesandten Freund. Es wird wohl nicht behauptet werden, daß Fürst Eulenburg und Graf Kuno Moltke auch nur einen Augenblick im Zweifel darüber waren, was der Artikel von dem „Harfner“ und und dem „Süßen“ zu bedeuten hatte. Sie wußten sehr genau, was es heißt, wenn gesagt wurde: „wenn er nur nichts davon erfährt.“ Darin sollte darauf hingedeutet werden, was die höchste Stelle im Lande wohl dazu sagen würde, wenn sie erführe, daß sie von dem Generaladjutanten mit dem Worte „Liebchen“ bezeichnet wird. Bei weiterer Erörterung der Bedeutung seiner Artikel blieb der Angeklagte dabei, daß er sich um die privaten Neigungen der Herren ganz und gar nicht kümmere, so lange sie nicht in die politische Sphäre übergreifen. Er habe sich doch auch nicht mit dem Grafen Wilhelm Hohenau oder mit noch höher betitelten Herren, die in Ungelegenheiten gekommen sind, beschäftigt. Der Verteidiger fragte den Privatkläger, ob er denn für Herrn Lecomte eintreten oder ob er erklären wolle, daß er sich in dessen Persönlichkeit geirrt habe. Graf v. Moltke: Ich kenne diesen Herrn gar nicht näher, aber ich fühle mich beleidigt, daß ich immer in den Kreis gezogen werde, zu dem Herr Lecomte, der jetzt sexueller Verirrungen bezichtigt wird, gehört. – Justizrat Bernstein: Der Privatkläger, der der intimste Freund des Fürsten Philipp Eulenburg ist, hat als Generaladjutant des Deutschen Kaisers nicht verhindert, daß dieser Herr Lecomte dem Kaiser vorgestellt wurde. Fürst Philipp Eulenburg und der Mann, der sich mit Emphase dessen Freund nennt, hätten wohl die Pflicht gehabt, ehe sie die allerhöchste Person mit diesem Herrn in Verbindung brachten, sich über letzteren genau zu orientieren. – Justizrat Dr. v. Gordon trat diesen Ausführungen nachdrücklich entgegen. Wenn ein Botschaftsrat der französischen Botschaft auf der Jagd des Fürsten Eulenburg dem Deutschen Kaiser vorgestellt wurde, so kann doch der Privatkläger nicht die Verantwortung dafür tragen. Der Angeklagte erklärte: Es ist doch unmöglich zu sagen: „Diese Herren gehen mich absolut nichts an, aber alles, was du über diese Herren gesagt hast, ist beleidigend für mich. Herr Lecomte ist auch dem Privatkläger keineswegs nur flüchtig bekannt. Wenn in kritischer Zeit höchster politischer Spannung, wo die Frage ob Krieg oder Frieden auf des Messers Schneide stand, der Botschaftsrat der französischen Republik intim mit dem Kreise verkehrt, der mit dem Deutschen Kaiser in nahen Beziehungen steht – so sollte der General-Adjutant des Deutschen Kaisers keinen Grund haben, sich über die Person des Herrn Lecomte zu orientieren? Graf Moltke: Es wurde ja über Herrn Lecomte gemunkelt, wie manchmal über jemand gemunkelt wurde und jetzt wohl über die meisten gemunkelt wird. Harden: Also der Generaladjutant des Deutschen Kaisers hat munkeln hören, daß der Vertreter einer fremden Macht derartigen Neigungen huldigt und er hat es geduldet, daß der Botschaftsrat in Verbindung mit dem Deutschen Kaiser gebracht wurde. – Privatkläger: Ich hatte gar keinen politischen Einfluß auszuüben. – Justizrat Dr. v. Gordon erklärte, daß jedermann aus den Artikeln den Vorwurf habe herauslesen müssen und auch herausgelesen habe, daß dem Privatkläger der Vorwurf der Päderastie gemacht werden sollte. – Harden bekämpfte diesen Gedanken mit großer Entschiedenheit unter nochmaliger Klarlegung seines politischen Zweckes, den er mit den Artikeln verfolgt habe. Er habe mit der äußersten Zurückhaltung nur das gesagt, was unbedingt notwendig war und hätte, wenn es ihm auf persönliche Beleidigungen angekommen wäre, hundertmal mehr sagen können. – Justizrat Dr. v. Gordon: Er werde nachweisen, daß das Wort „Liebchen“ in der harmlosesten Weise von der alten Gräfin Pourtalès in bezug auf den alten Kaiser Wilhelm in Anwendung gebracht und auch auf den jetzigen Kaiser gebraucht worden sei. – Harden schilderte den Besuch des Abgeordneten und Klosterpropstes Graf Otto v. Moltke, der ihm mitgeteilt habe, sein Vetter, der Kläger, habe ehrenwörtlich versichert, daß er keinen geschlechtlichen Umgang mit Männern gehabt habe. „Bei dieser Unterredung habe ich dem Vetter des Klägers verschiedene nähere Angaben gemacht, und der Herr Graf, Klosterpropst und Abgeordnete, hat aus dieser Unterredung, für deren Zustandekommen er mir noch dankbar war, die Grundlage für die Anklage gemacht; ich würde das nicht tun. – Graf Moltke: Es ist mir nicht eingefallen, meinem Vetter ein Ehrenwort deswegen zu geben, damit er es Herrn Harden weitergibt. – Justizrat Bernstein: Ich weise darauf hin, daß sich der Kläger beim Lesen der Artikel gar nicht beleidigt gefühlt hat, sondern erst mit dem Tage, wo er beim Kaiser in Ungnade fiel. – Justizrat Dr. v. Gordon: Ich behalte mir vor, durch das Zeugnis des Herrn Grafen Otto v. Moltke zu beweisen, daß der Angeklagte die Vorwürfe in seinen Artikeln in dem Sinne gemeint hat, wie sie der Kläger aufgefaßt hat, daß der Beklagte dabei nicht an harmlose, sondern an recht schwerwiegende Dinge dachte. Die Behauptung, ein Soldat empfindet normwidrig, ist schon geeignet, ihn herabzusetzen; der Beklagte ist aber noch viel weiter gegangen. – Es kam alsdann zu längeren Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern beider Parteien über die Zulässigkeit der Vernehmung verschiedener vom Beklagten vorgeschlagenen Zeugen. Justizrat Dr. v. Gordon wendete sich besonders gegen die Vernehmung der geschiedenen Gräfin Moltke, die unter den Folgen einer Trionalvergiftung gelitten habe. – Justizrat Bernstein: Die Gräfin hat nicht unter Trionalvergiftung, sondern unter der Behandlung durch ihren Gemahl gelitten. Wenn dem Grafen Kuno Moltke vor ganz Deutschland der Vorwurf gemacht wurde, er habe die Ehe eine „Schweinerei“, die Frauen „Klosetts“ und das Ehebett eine „Notzuchtanstalt“ genannt, so sollte er doch selbst ein Interesse an der Zurückweisung dieser Vorwürfe haben und sich nicht gegen die Zeugenvernehmung sträuben. – Justizrat Dr. v. Gordon: Wir sträuben uns gegen die Zeugenvernehmung, weil wir keinen Schmutz waschen wollen. – Nachmittags erklärte der Vorsitzende: Der Gerichtshof hat beschlossen, den Beweis, ob der Privatkläger dem weiblichen Geschlecht besonders abgeneigt ist, zuzulassen und zunächst die geschiedene Frau des Grafen von Moltke zu vernehmen. – Justizrat Dr. v. Gordon: Ich stelle dann den Antrag, die Öffentlichkeit auszuschließen, da hier geschlechtliche Dinge zur Sprache kommen werden, die geeignet sind, die öffentliche Sittlichkeit zu gefährden. – Vors. Amtsrichter Dr. Kern: Ich weiß gar nicht, weshalb gerade der Privatkläger zu diesem Antrage kommt. Er behauptet doch, daß die geschiedene Gattin nach keiner Richtung etwas aussagen werde, was ihm schaden könne. – Der Antrag auf Ausschluß der Öffentlichkeit wurde abgelehnt. – Zeugin Frau Lili v. Elbe, geb. v. Heyden, geschiedene Gräfin Moltke, eine schlanke, hübsche Blondine, 39 Jahre alt, bekundete auf Befragen des Vorsitzenden, ob der Privatkläger dem weiblichen Geschlecht besonders abhold ist: Ja, meine persönliche Ansicht ist, daß Graf Moltke dem weiblichen Geschlecht sehr abgeneigt ist. – Justizrat Bernstein: Ist es richtig, daß, als der Graf Moltke von der Reise zurückkam, er mit Beziehung auf das gemeinschaftliche Schlafzimmer äußerte: „Das ist ja die reine Notzuchtsanstalt! Wochenlang habe ich, Gott sei Dank, keine Weiber gesehen! – Zeugin (mit zitternder Stimme): Ja, das ist wahr! – Vert. Justizrat Bernstein: Ist es richtig, daß Graf Moltke Ihnen wiederholt erklärt hat und zwar in Gegenwart Ihrer Mutter: Die Ehe ist eine Schweinerei – und zwar soll er das nicht in dem Sinne gesagt haben, daß eine Ehe ohne Liebe eine Schweinerei sei, sondern die Ehe als Institut überhaupt. – Zeugin (bewegt): Ja, auch das ist wahr. – Vert.: Hat er nicht den Ausdruck gebraucht, als es sich um eine Frau handelte, die in anderen Umständen war? – Zeug.: Ja. – Vert.: Hat der Graf Moltke nicht zu Ihnen selbst, seiner Frau, gesagt: eine Frau ist für ihren Mann nicht mehr als ein Klosett, was bist du denn anderes? – Zeugin (mit weinerlicher Stimme): Ja, er hat sich so ausgedrückt. – Vors.: Ist Ihnen bekannt, daß der Privatkläger Männerverkehr pflegt? – Zeugin: Ich weiß nur, daß Graf Moltke seine Freunde über alles liebt. Eines Tages hatte Graf Philipp Eulenburg nach einem Besuch sein Taschentuch im Zimmer Graf Moltkes vergessen. Als Graf Moltke das Tuch fand, drückte er es inbrünstig an die Lippen und sagte: „Meine Seele, meine Liebe!“ Von seinen Freunden sprach er oft schwärmerisch, er war zu ihnen viel zärtlicher als zu seiner Gattin und belegte Phili Eulenburg mit Kosenamen wie: „meine Seele, mein Alterchen, mein einziger Dachs.“ Den ehelichen Verkehr gab er schon zwei Tage nach der Hochzeit auf; er begründete das damit, sein Freund Graf Eulenburg habe es gewünscht. Eulenburg sagte auch zu mir: „Geben Sie den Freund frei, geben Sie mir den Freund zurück.“ Darauf antwortete ich: „Graf Eulenburg, würden Sie das von Ihrer Tochter auch verlangen?“ Eulenburg erwiderte: „Meine Tochter hätte ich nie mit Kuno verheiratet.“ – Auf Befragen des Justizrats Dr. v. Gordon erklärte die Zeugin weiter: Sie habe in ihrer Verzweiflung oft geweint und hätte sich öfter gegen Mißhandlungen ihres Gatten wehren müssen. Graf Moltke habe ihr erklärt, jeder Mensch habe seine besondere Mission von Gott, er selbst habe die Mission, seiner Gattin Leiden zu bereiten. Gegen die Scheidung habe sie sich gesträubt. – Justizrat Dr. v. Gordon: Ist es richtig, daß Sie wegen übermäßigen Genusses von Trional während Ihrer Ehe außerordentlich nervös waren? – Frau v. Elbe: Mir war Trional verschrieben worden und ich bin infolgedessen erkrankt. Das war aber erst, als der Graf von Berlin zurückkam. – Justizrat Bernstein: Haben gnädige Frau nicht zu Ihrem Gatten kurz vor der Scheidung gesagt: „Was wird denn bloß Majestät dazu sagen, wenn wir so auseinander gehen und uns scheiden lassen. Ihr früherer Gatte soll darauf geantwortet haben: „Majestät wird gar nichts sagen können, denn Seine Majestät wird nur das erfahren, was ich will. Dafür werde ich sorgen!“ – Zeugin: Jawohl, das hat er gesagt. – Justizrat Bernstein: Hat Graf Moltke nicht ein anderes Mal gesagt: „Du bist mir nicht als Mensch zuwider, sondern nur weil du ein Weib bist.“ – Zeugin: Das stimmt ebenfalls. – Justizrat Bernstein: Hat Ihr früherer Gatte nicht auch wiederholt gesagt, er stelle die Freundschaft zwischen Männern höher als die Liebe zum Weibe und alles andere. – Zeugin: Jawohl, das hat er mir wiederholt gesagt und mir auch zu verstehen gegeben. – Justizrat Bernstein: Herr Graf Moltke soll u. a. auch gesagt haben, wenn er erst geschieden sei, werde es ihm gelingen, als Flügeladjutant zum persönlichen Dienst in die unmittelbare Nähe des Kaisers zu kommen. „Phili“ braucht nämlich längst wieder jemand in der Nähe von Majestät, um über alles aus der allernächsten Umgebung des Kaisers genau informiert zu sein. – Zeugin: Jawohl, das hat Graf Moltke zu meinem Vater gesagt. – Justizrat Bernstein: Ist es richtig, daß sich Graf Moltke in Wien stundenlang in der Botschaft aufgehalten hat und zwar mit dem damaligen Grafen Eulenburg zusammen. Diese Zusammenkünfte sollen auch mitunter bis in die Nacht gewährt haben. – Zeugin: Jawohl, mein damaliger Mann hat ständig mit Eulenburg zusammengelebt, obwohl wir in Wien wohnhaft waren. Die Schlafzimmer und sonstigen Räumlichkeiten waren auf Anordnung meines Mannes streng getrennt. – Justizrat Bernstein: An dem Weihnachtsabend in dem ersten Jahre Ihrer Ehe soll Graf Moltke sich gar nicht an der allgemeinen familiären Festlichkeit beteiligt, sondern einen schwärmerischen Brief an Eulenburg geschrieben haben. Hierbei soll er gesagt haben: „Das ist die schönste Weihnachtsfreude für mich, wenn ich an „Phili“ schreiben kann!“ – Zeugin: Jawohl, das hat Graf Moltke getan und gesagt. – Justizrat Bernstein: Haben Sie, gnädige Frau, damals schon, als Sie noch nichts von geschlechtlichen Beziehungen zwischen Männern wußten, das Verhältnis Ihres Mannes zu Eulenburg als sonderbar bezeichnet? – Zeugin: Dieses süßliche Anhimmeln und Getue war mir stets ekelhaft. – Auf zahlreiche weitere Fragen des Justizrats Bernstein erklärte die Zeugin: Die Redeweise, in welcher Graf Moltke mit und von seinen Freunden sprach, war immer sehr sentimental und schwärmerisch. Ein Brief an den Fürsten Eulenburg habe mit den Worten begonnen: „Meine geliebte Seele!“ Richtig sei es auch, daß Graf Moltke mehrfach dienstlich seinen Aufenthalt in Peterwitz angegeben hat, während er tatsächlich in Liebenberg weilte. Die Zeugin bestätigte weiter auf Befragen des Verteidigers, daß Graf Moltke ihren Eltern, bei denen sie sich über das Verhalten ihres Mannes beschwert hatte, geantwortet habe: Er habe doch seiner Frau gleich von Anfang an ein Buch Tolstois gegeben, in welcher eine Ehe beschrieben wird, die eigentlich keine Ehe war. – Justizrat Bernstein: Sie haben also aus Äußerungen und dem Verhalten des Grafen Moltke den bestimmten Eindruck empfangen, daß Graf v. Moltke den Verkehr zwischen Mann und Weib nicht billigt? – Zeugin: Ja. – Justizrat Dr. v. Gordon: Ist es richtig, daß Sie bald nach Ihrer Verlobung eine sehr aufgeregte Depesche nach Wien gerichtet haben, daß der Graf Moltke die Verlobung schon aufheben wollte, aber auf Ihr Bitten davon Abstand nahm? Die Zeugin schwieg. – Vert.: Ist Ihre Ehe überhaupt einmal eine Ehe gewesen? – Zeugin: Ich glaube nein! – Graf v. Moltke: Es ist sehr schwer für mich, darüber zu sprechen, denn es kommt mir da die Erinnerung zurück an trübe Zeiten meines Lebens. Wenn ich ein solches Scheusal von solcher Bestialität wäre und solche rohen Ausdrücke und Empfindungen bekundet hätte, so weiß ich nicht, warum die Frau nicht gleich am ersten Tage wieder von mir gegangen ist. – Zeugin: Darf ich das erklären ? Graf Moltke war so sehr musikalisch und das hat mich immer wieder gefesselt. – J.-R. Dr. v. Gordon: Ist es richtig, Frau Zeugin, daß Sie Ihrem damaligen Manne bei einer Szene den Kneifer und die Achselstücke her- abgerissen haben? – Zeug..: (weinerlich): Das habe ich nicht mit Fleiß getan, sondern mich nur gewehrt. – Harden: Die Mutter der Frau Zeugin, Frau v. Heyden geb. v. Wartensleben, hat mir mitgeteilt, und zwar schon vor Jahren, in wie schwerer Weise die Zeugin in der Ehe gemißhandelt worden ist. (Zur Zeugin): Ist es richtig, daß sich der Privatkläger nachts manchmal eingeschlossen hat, damit Sie nicht den Raum, in welchem er schlief, betreten konnten? – Justizrat Dr. v. Gordon: Das ist richtig, der Privatkläger ist vor der Zeugin geflüchtet. – Harden: Ist es richtig, daß die Verkehrsformen mit dem Fürsten Philipp Eulenburg so waren, daß nicht nur die Frau Zeugin, sondern auch ihr damals zehnjähriger Sohn, der jetzige Leutnant Wolf v. Kruse aus Brandenburg a. H., davon so impressioniert war, daß er spielend einem Bediensteten gegenüber nachgemacht hat, wie sich diese beiden Herren angehimmelt haben? – Zeugin: Ja, das ist ganz richtig. – Harden: Hatte Graf v. Moltke, wenn er von dem jetzigen Fürsten Eulenburg getrennt war, diesem Berichte und Briefe zu schreiben über das, was der deutsche Kaiser sagt und tut? – Zeugin: Graf Moltke hat mir selbst gesagt, daß er häufig Berichte an den Fürsten Eulenburg schicken müßte. – Harden: War der Botschafter Eulenburg nicht sehr indigniert darüber, daß Graf v. Moltke, anstatt in Berlin zu bleiben, nach Wien versetzt wurde? Glaubte er nicht, daß dies auf Sie zurückzuführen war? – Zeugin: Ja. Harden: Ist es richtig, daß der Privatkläger gesagt hat: Wir haben einen Kreis um S. M. geschlossen, da kommt niemand hinein! – Zeugin: Das habe ich von meiner Mutter gehört. – Der nächste Zeuge Leutnant Wolf von Kruse vom 6. Kürassier-Regiment, der Sohn der geschiedenen Gräfin Moltke, wurde darüber befragt, ob er bemerkt habe, daß Graf Moltke eine Abneigung gegen das weibliche und eine Vorliebe für das männliche Geschlecht hatte. Der Zeuge bekundete: Ich sah als Kind, wie Graf Moltke das Taschentuch Philipp Eulenburgs küßte und dabei rief: „Mein Geliebter, meine Seele!“ Ich war damals etwa zehn oder zwölf Jahre alt, aber mir kam dieses Benehmen eines Mannes schon ganz wunderlich vor. – Vors.: Haben Sie als Kind nicht auch ein Spiel gehabt, bei dem Sie den Verkehr des Grafen Moltke mit dem Grafen Eulenburg nachahmten? – Zeuge: Jawohl, wir machten das schwärmerische Anhimmeln der beiden Männer nach. – Justizrat Dr. v. Gordon: Es ist auffallend, daß dem Herrn Zeugen die Ereignisse aus seiner Kindheit noch so genau im Gedächtnis sind. Zeuge: Ich habe ein sehr gutes Erinnerungsvermögen. – Graf Moltke: Aus der Aussage des Zeugen ergibt sich, daß ich mich in Gegenwart von Frau und Kind frei bewegt habe. Das beweist, daß ich kein schlechtes Gewissen hatte. – Harden: Werden die Aussagen über die Taschentuchaffäre von der Gegenpartei interpretiert oder bestritten? – Graf Moltke: Es handelte sich hierbei um einen kleinen harmlosen Scherz. Meine Frau saß an demselben Tische wie ich und ich drückte scherzhaft Eulenburgs Taschentuch an die Lippen. – Justizrat Bernstein: Sie konnten doch Ihre Frau nicht mit dem Scherz erfreuen, daß Sie das Taschentuch Ihres Freundes an den Mund drückten. – Justizrat Dr. v. Gordon: Der Kläger wollte vielleicht mit dieser übertriebenen Schwärmerei die Befürchtungen der Frau hinsichtlich der Männerfreundschaft ins Lächerliche ziehen. Schon vor der Hochzeit war das Verhältnis zwischen dem Kläger und der Zeugin unhaltbar geworden und nur den Bemühungen der Frau v. Dankelmann gelang es, die Ehe doch zusammenzubringen. Frau v. Dankelmann hat sich deswegen Selbstvorwürfe gemacht. Das Verhalten der Zeugin ihrem Manne gegenüber war derartig, daß kein Mann der Welt mit ihr hätte glücklich sein können. In der fürchterlichsten Erregung hat sie ununterbrochen die Dienerschaft und ihren Mann gequält. Die Nächte waren ausgefüllt durch Szenen so furchtbarer Art, daß Graf Moltke oft flüchtete. Die Zeugen werden bekunden, daß dem Grafen oft von seiner Frau die Achselstücke von der Uniform gerissen und das Gesicht zerkratzt wurde. Der Kläger war bei diesen Szenen immer vornehm und ruhig. Ich benenne Fräulein Mille als Zeugin dafür, daß Frau v. Elbe sie beauftragt hat, in französischen Journalen ihren Gatten zu verleumden. – Vors.: Frau Zeugin, haben Sie vielleicht in dem Ehescheidungsprozeß aus prozessualen Gründen unrichtige Angaben über den ehelichen Verkehr mit dem Grafen Moltke gemacht? Der Herr Graf behauptet zum Beispiel, er habe bis zum Februar 1898 mit Ihnen in einem ehelichen Verkehr gestanden. – Zeugin: Der eheliche Verkehr hat, wie ich schon gesagt habe, tatsächlich nur zwei Tage gedauert. Der spätere „Verkehr“, von dem der Herr Graf spricht, hat lediglich darin bestanden, daß wir der Leute wegen in gemeinschaftlichen Zimmern wohnten. – Nach längeren Auseinandersetzungen zwischen den beiderseitigen Prozeßvertretern über diesen Punkt bat die Zeugin v. Elbe nochmals ums Wort: Ich bin so angegriffen worden in meiner Ehre als Frau und vor allen Dingen als frühere Gemahlin des Grafen Moltke. Ich kann nur sagen, ich bin vor dieser unglücklichen Ehe acht Jahre glücklich verheiratet gewesen und bin jetzt wieder seit vier Jahren ebenfalls sehr glücklich verheiratet. – Justizrat Dr. von Gordon erklärte, daß dies doch nicht, wenigstens nicht in der letzten Zeit der ersten Ehe, der Fall gewesen sei. – Justizrat Bernstein: Der erste Gatte der Zeugin Frau v. Elbe war schwer krank, trotzdem war die Ehe glücklich. Wenn der Herr Privatkläger sich nicht veranlaßt fühlt, zu erklären, daß er seine frühere Gattin keinesfalls für meineidig hält, so mag er, wenn er es für gentlemanlike hält, alles tun, um die Aussage der Zeugin unglaubwürdig zu machen, um den für ihn vernichtenden Eindruck der Aussage zu verlöschen. Gelingen wird es ihm wohl nicht. – Graf Moltke, vom Vorsitzenden befragt, erklärte: Er wolle nicht behaupten, daß seine Frau hier vor Gericht bewußt die Unwahrheit gesagt habe. Das Bild der Ehe werde aber von ihr verzerrt. Er habe über 1½ Jahre ehelichen Verkehr mit der Zeugin gehabt, diese habe aber durch ihr ganzes Verhalten und die vielen bösen Szenen, die sie aufführte, es dahin gebracht, daß schließlich jedes Gefühl für sie erloschen war. Bei der Zeugin haben Temperamente und Stimmungen gewechselt, sie war bald himmelhochjauchzend, bald zu Tode betrübt. – Vert.: Justizrat Bernstein: Ich verweise darauf, daß im Juli 1898 der Vater der Zeugin seiner Tochter schrieb, sie möge sich überlegen, ob sie es über sich gewinnen könne, nach dem Wunsche des Grafen Moltke als schönes Märchen an seiner Seite dahin zu schweben. Ich frage außerdem die Zeugin, ob es richtig ist, daß Graf Moltke, um allen Annäherungen von ihrer Seite aus dem Weg zu gehen, sich oft angekleidet ins Bett gelegt hat. – Zeugin: Ja. – Graf v. Moltke bestritt dies entschieden. – Zeugin: Der Graf v. Moltke ist mit Unterbeinkleidern und Strümpfen ins Bett gegangen und hat manchmal neben sich eine Schüssel kaltes Wasser gehabt. – Graf v. Moltke: Ich habe zur Linderung meiner Nervenschmerzen, die ich infolge eines im Jahre 1870 erhaltenen Schusses habe, manchmal kalte Umschläge machen müssen. – Justizrat Dr. v. Gordon stellte hierauf eine Reihe Beweisanträge. Es sollen zahlreiche Zeugen vernommen werden, daß die unglückliche Gestaltung der Ehe des Grafen die Schuld der Zeugin gewesen sei, die oft recht häßliche Lärm- und Streitszenen aufgeführt und die Fortsetzung der Ehe unmöglich gemacht habe. – Der Gerichtshof lehnte diese Beweisanträge ab. – Justizrat Dr. v. Gordon stellte nunmehr den weiteren Antrag, den Klosterpropst v. Moltke darüber zu vernehmen, was der Angeklagte ihm in der mit ihm gepflogenen Unterredung mit Bezug auf die Artikel gesagt hat. Ebenso sollen nach dem Antrage des Sachwalters die Kriminalkommissare v. Tresckow und Dr. Kopp vernommen werden, wie in den weitesten Kreisen die Tendenz der Artikel aufgefaßt worden ist. – Harden: Ich widerspreche grundsätzlich nicht jeder beliebigen Beweisaufnahme. Ich wiederhole aber, daß ich all das, was hier zur Sprache gekommen ist und noch viel mehr seit fünf Jahren genau kenne, und wenn ich trotzdem mich so beschränkt und so wenig angedeutet habe, so ist es doch wohl überflüssig, noch Beweise darüber zu erheben, welchen Zweck ich verfolgte. Ich habe keinerlei Skandal machen wollen, sondern nur den Zweck verfolgt, daß die beiden Freunde Fürst Eulenburg und Graf Moltke aus dem Lichtkreise des deutschen Lebens verschwinden. Ich kann deshalb wohl sagen: causa finita! – Der Gerichtshof lehnte auch die neueren Beweisanträge des Privatklägers ab. – Am zweiten Verhandlungstage beantragte Justizrat Dr. v. Gordon, eine Anzahl Zeugen zu laden, die bekunden werden: Graf Moltke habe den Verkehr mit edlen Frauen direkt gesucht und im Verkehr mit solchen Frauen sich in jeder Beziehung ritterlich benommen. Namentlich habe Graf Moltke über Ehe und Familie stets eine tief ethische und hohe Auffassung bekundet. Bei seiner vornehmen, idealen Gesinnung sei es vollständig unmöglich, daß er sich in bezug auf Ehe und Familie in so unglaublicher, zynischer, herabwürdigender Weise geäußert haben könnte, wie die Zeugin Frau v. Elbe gestern behauptet habe. – Ferner wurde die Verlesung eines Briefes der Frau von Elbe aus der Zeit, wo schon die Ehe getrennt war, beantragt. Aus diesem werde hervorgehen, daß die Äußerungen, die sie hier über das Verhältnis zu ihrem Manne gemacht hat, unzutreffend sein müssen. In diesem Brief erkläre die Zeugin, daß sie große Reue über ihr ganzes Verhalten empfinde und schmeichelnde, liebevolle Worte hinzufüge, die beweisen, es sei unmöglich, daß eine Frau, die so schreibt, in der Weise behandelt sein könnte, wie sie gestern geschildert habe. – Justizrat Bernstein: Im Interesse des Beklagten muß ich den Beweis führen, daß die Behauptung der Klage, nicht politische, sondern andere Gründe hätten den Beklagten veranlaßt, die Artikel zu schreben, falsch ist. Ich nehme für den Beklagten das, wofür die klägerische Partei ihn bestraft wissen will, als ein Verdienst um das deutsche Volk in Anspruch. Ich behaupte und will beweisen, daß der Beklagte mit diesen Artikeln Zustände bekämpft hat, die des Bekämpfens wert waren, Männer als Politiker zu vernichten gesucht hat, die als Politiker der Vernichtung wert waren, und daß es sein Verdienst ist, wenn diese Männer keinen politischen Einfluß mehr haben, wenn diese Zustände nicht mehr bestehen. Ein Merkmal dieser Zustände war es – und dafür will ich jetzt erst den Beweis erbringen – ein Merkmal dieser Zustände war es, daß die Herren, welche die allerhöchste Person umgaben, Päderasten waren. Das hat nicht Herr Harden in seinen Artikeln gesagt, denn damals das zu sagen, war nicht notwendig, das sage ich jetzt. Die Gruppe, welche Herr Maximilian Harden bekämpft, und ich glaube mit Erfolg bekämpft hat, hat in der Tat Päderastie getrieben. Ich benenne dafür die Zeugen Bollhardt, Ferenti, Krause, Liebmann, Lücke, Moldenhauer, Thielbart. Ich behaupte nicht, daß der Privatkläger sich aktiv an diesem Treiben beteiligt hat. Der Herr Privatkläger ist aber der einzige aus dieser Gruppe, von dem ich das nicht behaupte. Ich behaupte aber von dem Herrn Privatkläger, daß ihm die Qualität der anderen Herren kaum entgangen sein kann und seine Angaben, von diesen Dingen nichts gewußt zu haben, kaum glaubwürdig sind. Ich bemerke, was den Fürsten Eulenburg betrifft, so weiß ich im Augenblick noch nicht, ob Se. Durchlaucht an diesen päderastischen Orgien sich beteiligt hat. Ein Zeuge oder vielleicht mehrere werden Ihnen sagen, daß ein Herr dieses Namens sich an diesen Dingen und zwar sehr aktiv beteiligt hat. Ich weiß nicht, ob es der intime Freund des Herrn Privatklägers oder ob es der Bruder des intimen Freundes gewesen ist. Aber ich bitte das Gericht, sich hierüber Gewißheit durch Befragen dieser Zeugen zu verschaffen. Mein zweiter Beweisantrag geht dahin, daß die Behauptung des Privatklägers, er habe von dem hier eben gekennzeichneten Treiben, insbesondere in bezug auf den Grafen Hohenau, nichts gewußt, nicht wahr ist. Als Zeugen dafür benenne ich die Herren General v. Kessel und Platzmajor von Hülsen. Die weitere Behauptung, die gestern vom Privatkläger auf- gestellt wurde, daß ihm der Sinn der ersten Artikel des Beklagten entgangen sei, daß er erst später diese Artikel auf die Frage hin geprüft habe, ob darin Beleidigungen zu finden seien, ist nicht wahr. Als Zeugen dafür benenne ich Herrn Baron v. Berger. Herrn Dr. Liman benenne ich als Zeugen und Sachverständigen dafür, daß Herr Maximilian Harden als ein ernsthafter politischer Schriftsteller gilt und diese Artikel aus lauteren Motiven geschrieben hat, daß sie als politische aufgefaßt werden müssen und politisch gewirkt haben. Ich benenne den Grafen Reventlow als Zeugen dafür, daß die Angabe des Beklagten, daß er nicht aus Gehässigkeit und unlauteren Motiven, sondern nur aus politischen Motiven geschrieben hat, und daß es seine Absicht gewesen ist, von den ihm seit langem in bezug auf den Privatkläger und seinen Freunden bekannten Dingen nicht mehr zu sagen, als zu politischen Zwecken notwendig war. Ich benenne weiter Dr Hirschfeld und jeden sachverständigen Arzt dafür, daß die von dem Privatkläger bereits festgestellten Tatsachen schon genügen, die Qualifikation des Privatklägers in geschlechtlicher Beziehung, die ihm der Beklagte hat zuteil werden lassen, vollkommen zu begründen. Ich behaupte, daß von diesen Männern der Wissenschaft rund und knapp erklärt werden wird: Kuno Moltke empfindet geschlechtlich abnormal. Für die Behauptung, daß Fürst Eulenburg und seine Freunde dem Deutschen Reiche geschadet haben, bitte ich die Generale v. Kessel und v. Hülsen zu vernehmen. Ich behaupte weiter, daß schon zu der Zeit, als Fürst Eulenburg in Wien war, allgemeine Gerüchte gingen über seine homosexuelle Veranlagung, die auch dem Privatkläger bekannt waren. – Vors Amtsrichter Dr. Kern: Wollen Sie damit auch beweisen, daß der Privatkläger davon Kenntnis gehabt hat? – Justizrat Bernstein: Die Dinge sind so kraß und haben so lange gespielt, daß dem Privatkläger bei dem intimen Verkehr mit dem Fürsten Eulenburg dies unmöglich entgangen sein kann. Bezüglich der Neigungen des Grafen Hohenau hat er diese Kenntnis ja wohl zugegeben! – Justizrat Dr. v. Gordon: Mein Mandant hat gestern erklärt, daß er von den Neigungen des Grafen Hohenau keine Ahnung hatte. Anders hat er sich wohl über Herrn Lecomte geäußert. Was das neue Moment betrifft, daß Fürst Eulenburg schon in Berlin als homosexuell bekannt war, so bemerke ich, daß homosexuell nicht dasselbe ist wie päderastisch. Meine Anträge haben nicht den Zweck, festzustellen, daß Frau v. Elbe unzurechnungsfähig ist, sondern zu beweisen, daß in ihrem Kopf sich die Dinge anders malen, als sie sich abgespielt haben. Solche Sachen faßt jeder auf, wie er sie empfindet, und daß eine in Ehescheidung liegende Frau die Sache anders auffaßt, als sie bei nüchterner Betrachtung zu bewerten ist, ist doch selbstverständlich. Den Antrag, Herrn Chefredakteur Dr. Liman und andere über die Tendenz der Artikel zu vernehmen, halte ich für unerheblich. Mein Mandant steht politischen Dingen vollständig fern, und die Ansichten darüber, was dem Deutschen Reiche zuträglich ist oder nicht, sind ja auch verschieden. Politische Dinge sind doch wohl auch nicht vor dem Schöffengericht zu entscheiden. Was den Antrag betrifft, Beweis zu erheben, daß andere Leute Päderastie betreiben, so möge er meinetwegen erhoben werden, dadurch wird aber nicht erwiesen, daß mein Mandant irgendwie auch zu solchen Leuten zu zählen ist. – Justizrat Bernstein: Ich bin den Beweisanträgen, die der Herr Gegner zuerst gestellt hat, mit keinem Worte entgegengetreten und werde auch nach keiner Richtung hin diesen Anträgen entgegentreten, da Herr Harden ja selbst das allergrößte Interesse hat, eine vollständige Klärung der ganzen Sache herbeizuführen. Wenn der Herr Graf Moltke nur den schönen Gedanken aussprechen wollte, daß die Ehe ohne Liebe im höchsten Grade verwerflich sei, so hatte er es in einer anderen Weise zu tun, als in ziemlich deutlicher Weise zu erklären, jedes Frauenzimmer sei für ihn nur ein Klosett. – Harden: Im Interesse meiner Sicherheit und meines Rufes kann ich auf einige weitere Beweise nicht verzichten. 1. Es ist behauptet worden, der Generalleutnant Graf Kuno von Moltke habe von den Artikeln der „Zukunft“ erst verspätet Kenntnis bekommen, er habe den Sinn der Artikel erst später verstanden und deshalb könne von einer Verjährung keine Rede sein. Diese Behauptung des Privatklägers, die die Grundlage der ganzen Anklage bildet, ist bewußt unwahr! Ich berufe mich auf den anwesenden Frhrn. v. Berger, der mit dem Privatkläger schon im November von dem einen Artikel gesprochen und ihm vollständig in das Gesicht gesagt hat, was die Sache bedeutet. 2. Der Chefredakteur Dr. Liman wird bezeugen, daß der Komplex der Tatsachen, die später geschildert worden sind, in erster Reihe gar nicht auf den Generalleutnant Graf Kuno von Moltke zugespitzt ist, sondern auf den Fürsten zu Eulenburg. Ich bitte, Herrn Dr. Liman darüber zu hören, daß Fürst Bismarck über den Fürsten Eulenburg in der krassesten Weise den Vorwurf der Homosexualität ausgesprochen hat. Und wenn der Führer dieser Gruppe, zu der der Graf von Moltke gehört, in solcher Weise vom ersten Beamten des Reiches der Homosexualität beschuldigt wird, so liegen doch Rückschlüsse nahe. 3. Ich beantrage, beim Polizeipräsidium die Genehmigung für die Dezernenten des betr. Ressorts einzuholen, darüber Auskunft zu geben, was sie über den Fürsten Philipp zu Eulenburg, den Grafen Willi Hohenau und den französischen Herrn wissen. Als diese Dinge in der Öffentlichkeit spielten, erhielt ich einen Brief des Kapitänleutnants v. Reventlow, wonach er an der Hand eines früheren Gesprächs mit mir eidlich erhärten könne, daß ich von irgendwelcher tätlichen Verfehlung des Grafen v. Moltke nichts gesagt habe, und aus welchen Motiven ich gehandelt habe. Da der Privatkläger sich durch die Benennung „Der Süße“ beleidigt fühlt, so würde ich mich auf die kompetenteste Persönlichkeit, den Chef des Militärkabinetts, beziehen, der sich über den Privatkläger in Ausdrücken ergangen hat, die ich nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit wiederholen könnte. – Graf v. Moltke: Es ist mir hier von Herrn Harden vorgeworfen worden, daß ich unwahrhaftig sei, daß ich verschiedene Spitzen, die in den Artikeln enthalten waren, nicht als Spitzen erkannt habe. Ich erkläre, daß ich von Anfang an diese Verdächtigungen und Spitzen erkannt habe, ich habe aber bis zum Schluß gewartet, daß ich sie so erkennen konnte, um gegen Herrn Harden vorzugehen. Es wurde mir damals gesagt, es hätte gar keinen Zweck, Herrn Harden meine Sekundanten zu schicken. Es war dies derselbe Herr Baron von Berger, auf den sich Herr Harden bezieht. Dieser sagte mir, daß Herr Harden nicht mit der Waffe in der Hand für seine Handlungen eintreten werde. Ich weise es wiederholt mit aller Entschiedenheit zurück, daß in der Nähe Sr. Majestät ein Kreis von Personen existiert hat, welcher politisch zusammengewirkt hat und verderblich geworden ist. Dies ist lediglich eine Verdunkelung der Tatsachen, denn zur Bildung eines solchen Kreises sind die Ressorts bei uns viel zu streng geschieden. Ich habe die Überzeugung, daß ich gestern nicht genügend energisch den Dingen gegenübergetreten bin, die hier von der Frau von Elbe gesagt worden sind. Es wird mir niemand verdenken können, wenn es mir unendlich schwer wird, noch einmal die dunkelsten Tage meines Lebens in die Erinnerung zurückzurufen. Es ist mir außerordentlich peinlich gewesen, diese Dinge nochmals aufzurollen. Ich schätze als alter Soldat ein frisches Wort in der Front, wenn man aber, trotzdem ich Kläger bin, doch als Verdächtigter hier steht, so erstirbt einem das Wort. In einem sechsjährigen Prozeß sind alle diese Anklagen gegen mich von acht Richtern geprüft worden, und nicht ein Schatten ist aufrecht erhalten worden. Ich bitte deshalb, eventuell dieses Erkenntnis zu verlesen, durch welches die Affäre ihren Abschluß gefunden hat. – Justizrat Bernstein äußerte sich nochmals zu den Anträgen und Äußerungen des Gegners, geißelte die Art und Weise, wie der Privatkläger als Generalleutnant den Ehrenhandel mit dem Angeklagten betrieben habe und blieb dabei, dem Angeklagten sei nahegelegt worden, daß Fürst Eulenburg ins Ausland gehe und seinen politischen Einfluß aufgebe, so daß der Angeklagte seine Angriffe aufgeben könne. – Harden: Von seiten des Herr Gegners wird fortwährend weiter bestritten, daß er schon von Anfang an Inhalt und Sinn der Artikel gekannt habe. Er sagt, es wäre dies erst viel später geschehen und zwar – wie ich sage – so spät, daß die Antragsfrist gewahrt blieb. Ich behaupte aber und stelle es durch Vernehmung des Barons v. Berger unter Beweis, daß Graf Moltke von Anfang an über den Inhalt der Artikel sehr genau informiert war und auch den Sinn zur Genüge verstanden hat. Auf Wunsch des Herrn Grafen hat ihm Herr v. Berger noch nähere Aufklärung gegeben und zwar mit den Worten: „Können Sie denn irgendwie Zweifel haben, daß es Homosexualität ist, die Ihnen und Ihren Freunden vorgeworfen wird.“ Ich behaupte nach wie vor, daß auf alle mögliche Weise versucht worden ist, mich zum Schweigen zu bringen. Durch Beauftragte ist mir sogar nahegelegt worden, nichts mehr über diese Affäre zu bringen, die beteiligten Personen würden dann eine Reise antreten und ihre politische Tätigkeit einstellen. (Mit höchst erregter Stimme): Ich behaupte, daß Herr Graf Moltke gezwungen worden ist, gegen mich Klage zu erheben. Nur durch Zwang hat sich der Kläger veranlaßt gefühlt, das Gericht anzurufen, anderenfalls hätte er den Rock ausziehen müssen. Deshalb klagt er jetzt. – Justizrat Dr. v. Gordon: Das ist durchaus unzutreffend. Mein Mandant ist nicht gezwungen worden, es ist auch zu bezweifeln, ob die Anstrengung dieses Prozesses überall erwünscht war. Justizrat Dr. v. Gordon wendete sich im Anschluß an die Ausführungen des Privatklägers eingehend gegen die im Laufe der Erörterungen gemachten Andeutungen über den Ehescheidungsprozeß des Grafen v. Moltke. Er beantragte eventuell die Vorlegung der Ehescheidungsakten und die Vernehmung des Justizrats Dr. Sello.. – Justizrat Bernstein beantragte die Vernehmung des Sachverständigen Dr. Magnus Hirschfeld, daß nach dem ganzen hier durch die Beweisaufnahme festgestellten Verhalten des Privatklägers auf homosexuelle Neigungen zu folgern ist. Was die Kritik der Zeugin Frau v. Elbe betrifft, so spricht man immer von den Einwirkungen des „Trionals“. Ich dagegen sage nur immer „Gemahl“. Wenn die Frau jahraus, jahrein unzurechnungsfähig ist, und ich bemerke es nicht, so bin ich selbst unzurechnungsfähig. (Heiterkeit.) – Justizrat Dr. v. Gordon: Ich berufe mich auch noch auf das Zeugnis Seiner Majestät darüber, daß Graf Moltke niemals seine Stellung benutzt hat, um irgendwelche Wünsche politischer Art durchzudrücken. – Justizrat Bernstein: Gegen diesen Antrag habe ich gar nichts einzuwenden. Je mehr die Sache beleuchtet wird, desto mehr wird der Kläger ins Dunkle gerückt. Eine weitere Aufklärung über die Äußerung des Klägers: „Wir haben einen Kreis um Seine Majestät gebildet usw.“ ist doch interessant für das deutsche Volk. – Justizrat Dr. v. Gordon beantragte, außer Dr. Magnus Hirschfeld über das diesem zu unterbreitende Thema auch Dr. Merzbach zu vernehmen, ferner die Polizeikommissare darüber, daß ihnen von dem Privatkläger keinerlei homosexuelle Handlungen bekannt sind. – Harden: Zu der Behauptung, daß der Privatkläger zur Klage gezwungen ist, berufe ich mich eventuell auf den Fürsten v. Bülow und Herrn v. Hülsen-Häseler. – Der Gerichtshof beschloß darauf, die Beschlußfassung über die anderen Beweisanträge zunächst auszusetzen, aber in die Beweisaufnahme einzutreten, ob in dem Freundeskreise, zu dem Fürst Eulenburg, Graf Wilhelm Hohenau und der Privatkläger gehörte, Päderastie getrieben worden ist. Für diesen Teil der Verhandlung wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen, den Vertretern der Presse und den Zuhörern aus dem Kreise der Juristen aber die Anwesenheit gestattet. – Zeuge Bollhardt erklärte auf Befragen: Er sei im Jahre 1805 als Freiwilliger in das Regiment Garde du Corps eingetreten. Im Jahre 1896 habe ihm Graf Lynar, der seinerzeit Rittmeister war, einen unsittlichen Antrag gemacht. Er sei darauf eingegangen und habe sich mit einem anderen Kameraden nach der am Heiligensee gegenüber dem Marmorpalais gelegenen Adler-Villa des Grafen Lynar begeben. Hier seien in einem Saale mehrere Herren versammelt gewesen, darunter Graf Wilhelm Hohenau. Diese Herren hätten dann mit ihm Handlungen vorgenommen. Der Zeuge schilderte diese genau, die Wiedergabe muß jedoch aus Schicklichkeitsgründen unterbleiben. In dem Saale habe meist Halbdunkel geherrscht, so daß er (Zeuge) nicht genau erkennen konnte, ob der Privatkläger sich in der Gesellschaft befand, er glaube es aber, wenn der Kläger jetzt auch weniger Haare habe. Im Regiment wurde viel über die geschlechtlichen Exzesse hoher Offiziere gesprochen und als solche sich homosexuell betätigende Herren auch Prinz Friedrich Leopold, Prinz Friedrich Heinrich und der damalige Flügeladjutant des Kaisers Graf Moltke genannt. – Der Privatkläger erklärte hierauf, daß er allerdings in dieser Zeit Flügeladjutant in Potsdam war. Er habe aber niemals die Villa des Grafen Lynar aufgesucht. – Justizrat Dr. v. Gordon: Glauben Sie den Privatkläger als einen der Teilnehmer an den Orgien wieder zu erkennen? – Zeuge: Ja, ich glaube, daß er es war, er hatte aber mehr Haare. – Justizrat Dr. v. Gordon: Wurde im Regiment nicht von vielen Offizieren gesprochen, daß sie mit Soldaten widernatürliche Unzucht trieben? Kamen solche Exzesse nicht oft vor? – Zeuge: Jetzt ist es ja verboten. (Große Heiterkeit.) Ich meine, es ist jetzt verboten, mit weißen Hosen und langen Stiefeln auszugehen, früher war es erlaubt, das war gewissermaßen das Erkennungszeichen, und die Soldaten wurden in dieser Tracht sehr viel von Männern belästigt. – Harden: Mir sind von dem Zeugen am 15. Juni 1907 detaillierte Mitteilungen zugegangen über Dinge, die ich meist schon kannte. Die Herren Grafen Lynar und Graf Hohenau sind wegen dieser Verfehlungen in der Schwadron zusammengebrochen. Das ist ja bekannt, ebenso wie die Tatsache, daß Graf Lynar derjenige war, der dem Kronprinzen sagte: Wir müssen hier fallen und die da … Das weiß doch jeder. Graf Lynar und Graf Hohenau waren also zweifellos an den Orgien beteiligt. – Vors. Amtsrichter Dr. Kern: Den Grafen Hohenau haben Sie also bei jenen Zusammenkünften ganz bestimmt erkannt? – Zeuge: Jawohl, mit aller Bestimmtheit. – Vors.: Haben Sie auch den Grafen Eulenburg, den jetzigen Fürsten Philipp Eulenburg, dabei gesehen? – Zeuge: Ich glaube es eben- falls sagen zu können. – Vors.: Sie sagten vorhin, daß auch ein „Moltke“ dabei gewesen sei und dieser Flügeladjutant des Kaisers gewesen sei. – Zeuge: Ja, es wurde allgemein im Regiment davon gesprochen, daß Graf Moltke dabei gewesen sei. Es hieß auch, daß Graf Lynar nur der Unterhändler gewesen sei. Dieser suchte sich die Leute unter den Mannschaften aus. Ich selbst habe im Auftrage des Grafen Lynar einen früheren Unteroffizier, jetzigen Dompteur, der jetzt auch als Zeuge geladen ist, zu einem Besuch in die Villa eingeladen. – Im Anschlusse an diese Aussage entwickelte sich eine lebhafte und eingehende Auseinandersetzung darüber, ob Fürst Philipp Eulenburg sich an jenen Zusammenkünften beteiligt habe. Justizrat Dr. v. Gordon erklärte, daß dies auf eine Personenverwechselung mit dem jüngeren Grafen Friedrich Botho von Eulenburg zurückzuführen sei. Daß dieser wegen einer derartigen Affäre aus dem Regiment ausscheiden mußte, sei bekannt. – Harden wendete hiergegen ein, daß eine solche Verwechselung unmöglich sei. Er habe aus dem Gothaer Hofkalender das Bild des Fürsten Philipp Eulenburg dem Zeugen Bollhardt gezeigt, ohne dabei zu sagen, wen das Bild darstellte. – Justizrat Bernstein: Sie sollen hierbei sofort, ehe Sie den Namen gehört hatten, gesagt haben: „Das ist ja Eulenburg, der war auch dabei.“ – Zeuge: Ja. – Justizrat Dr. v. Gordon: Graf Eulenburg ist schon 1871 aus dem Regiment ausgeschieden. – Zeuge: Ja. – Justizrat Dr. v. Gordon beantragte wiederholt, den Grafen Hohenau und den Grafen Lynar als Zeugen zu laden, die bekunden werden, daß Fürst Eulenburg, den der Zeuge vor 10 Jahren im Dämmerlicht gesehen haben und nun noch nach dem Bilde erkennen will, nicht bei den Zusammenkünften beim Grafen Lynar war. – Der Zeuge Bollhardt blieb nach langen Kreuz- und Querfragen dabei, daß er nach dem Bilde, das ihm Herr Harden vorgelegt hat, den Fürsten Eulenburg erkennen zu können geglaubt habe. Er habe sich seinerzeit infolge der Zeitungsartikel selbst an Herrn Harden gewandt und ihm mitgeteilt, daß er in der Lage sei, ihm über die in der Villa des Grafen Lynar abgehaltenen Zusammenkünfte interessante Mitteilungen zu machen. Darauf sei er zu Herrn Harden beschieden worden und habe ihm diese Angaben gemacht. Herr Harden sei anfänglich mißtrauisch gegen ihn gewesen. – Graf v. Moltke: Ich habe von diesen traurigen Affären absolut nichts gewußt. – Harden: Herr Zeuge Bollhardt! Sie sagen also, daß der dem Generaladjutanten Grafen Kuno v. Moltke innig befreundete und verwandte Graf Wilhelm Hohenau widernatürliche Unzucht getrieben hat? – Zeuge: Ja! – Der nächste Zeuge, ein Wachtmeister vom Regiment Garde du Corps, erklärte, daß er nur dienstlich in der Villa des Grafen Lynar gewesen sei. Im Oktober v. J. habe sich der Bursche des Grafen Lynar bei dem Zeugen gemeldet mit der Bitte, abgelöst zu werden, da der Graf Lynar „zu liebenswürdig“ gegen ihn sei. Er habe diese Sache dienstlich weiter gegeben. „Richtig ist es, daß gerüchtweise behauptet wurde, Graf Lynar und andere Personen treiben mit Männern widernatürlichen Umgang. Dies wurde auch vom Grafen Hohenau erzählt, aber von dem Privatkläger ist so etwas nicht gesagt worden. – Hierauf erschien der als Zeuge vorgeladene Richard von Krause, ein 29jähriger Mann, der 1898 bis 1902 in Potsdam gedient hat. In seiner Gegenwart, so bekundete er, sei niemals darüber gesprochen worden, daß in der Villa des Grafen Lynar oder sonstwo von Offizieren widernatürlicher Verkehr mit Männern stattgefunden habe. Auf wiederholten Vorhalt seitens des Verteidigers erklärte er langsam und zögernd, daß er das, was er gehört, als Jokus aufgefaßt habe. Es wurde allerdings gesprochen, daß Graf Lynar und Graf Hohenau Umgang mit Männern haben. Vom Privatkläger sei nichts Derartiges gesagt worden. – Zeuge Unteroffizier Liedmann von den Gardesducorps: Es sei ihm nicht bekannt, daß im Hause des Grafen Lynar widernatürliche Unzuchtshandlungen vorgekommen seien. Er habe nur davon gehört, daß der Bursche des Grafen Lynar von diesem weggekommen sei, und daß Graf Lynar und Graf Hohenau vom Regiment weg seien. Der Zeuge blieb dabei, trotz vieler Vorhaltungen von seiten des Verteidigers. – Zeuge Moldenhauer, der längere Jahre in Potsdam gedient hat, erklärte gleichfalls anfänglich, daß er nichts von einem Gerücht weiß, wonach Offiziere mit Männern unsittlichen Umgang haben. Nach ernsten Vorhaltungen und Hinweisen auf den zu leistenden Eid gab der Zeuge zu: Gesprochen möge ja wohl so etwas sein, aber er habe nicht darauf geachtet. Er habe nur gehört, daß Graf Lynar wegen seines Burschen habe abgehen müssen. – Zeuge Dompteur Th. ist 1896 bis 1900 in Potsdam gewesen. Es wurde manchmal davon gemunkelt, daß beim Grafen Lynar unsittliche Dinge vorkämen. Richtig sei es, daß er aufgefordert worden sei, im Auftrage des Grafen Hohenau mit in die Villa des Grafen Lynar zu kommen. Er habe darauf gesagt: Solche Sachen mache ich nicht. – Vors.: Sie wußten also gleich, um was es sich handelte? – Zeuge: Na ja, weil man ja so allerlei munkelte. – Auf weiteres Befragen des Vorsitzenden verneinte der Zeuge, daß bei jenen Gerüchten auch der Name des Fürsten Eulenburg oder des Grafen Moltke eine Rolle gespielt habe. – Es wurde darauf General v. Kessel, kommandierender General des Gardekorps als Zeuge vernommen. – Vors.: Hat der Privatkläger mit Ihnen darüber gesprochen, daß Fürst Eulenburg in eine Affäre in Sachen widernatürlicher Unzucht verwickelt sei? – Zeuge: Es ist mir nichts davon bekannt.– Vors.: Wußten Sie, daß er mit ihm befreundet war? – Zeuge: Ja. – Justizrat Bernstein: Ist dem Zeugen nicht bekannt, daß der Privatkläger geäußert hat, er habe allerdings den Fehler gemacht, daß er bezüglich des Falles Hohenau nicht sofort dienstlich weiteres veranlaßt habe? – Zeuge: Ist mir ganz fremd. – Harden: Ist Ihnen etwas von einer Aktion bekannt, die die Polizei bezüglich des Grafen Hohenau unternehmen wollte. Hat das Gardekorps nicht den Wunsch gehabt, durch die Polizei von Fall zu Fall darüber orientiert zu werden? – Zeuge: Nein. – Harden: Ist Ihnen bekannt, daß die Absicht bestand, den Grafen Lynar zum Flügeladjutanten zu ernennen? – Zeuge: Nein. – Justizrat Bernstein wies daraufhin, daß er den General v. Kessel und den Platzmajor v. Hülsen nur deshalb habe laden lassen, um durch sie zu bekunden, daß der Privatkläger seine Stellung verloren habe, weil er den Dingen keineswegs so fern stand, wie er behauptete. Da General v. Kessel in dieser Beziehung versagte und der Platzmajor v. Hülsen nicht erschienen sei, bliebe ihm nichts weiter übrig, als sich auf den Chef des Militärkabinetts v. Hülsen-Häseler zu berufen. – Nachmittags überreichte Harden dem Vorsitzenden den Gothaer Almanach. Der Zeuge Bollhardt erklärte auf Befragen des Vorsitzenden: Nachdem er im Almanach das Bild des Fürsten Eulenburg gesehen, könne er aufs bestimmteste erklären, daß Fürst Eulenburg zu der Gesellschaft gehört habe, die in der Villa des Grafen Lynar die geschilderten Vorgänge inszeniert habe. Nach seiner Meinung muß dies der Herr sein, der damals in Zivil bei dem Grafen Lynar war. – Als darauf der Zeuge vereidigt werden sollte, erklärte Justizrat Dr. v. Gordon: Ich beantrage, jetzt den Fürsten v. Eulenburg in seiner Wohnung zu vernehmen. Er ist nicht reisefähig nach dem Ausspruche des Arztes; er ist aber doch hierher gekommen und bereit, sich auf Erfordern vernehmen zu lassen. Das von mir hier überreichte ärztliche Attest spricht deutlich aus, wie krank der Fürst ist. Er wird bezeugen: Daß er keine Ahnung hat von jenen Vorgängen in der Potsdamer Villa, daß er niemals mit diesem Kreise, der durch die Namen Graf Lynar und Graf Hohenau bezeichnet worden ist, zu tun gehabt hat, ihm viel- mehr vollkommen fern steht. Er wird auch bekunden, daß es gar nicht richtig ist, daß er die Anregung gegeben hat, Herrn Lecomte einzuladen, daß er selbst vollkommen intakt dasteht, seine Freundschaft mit dem Privatkläger durchaus rein ist, und er selbst keinerlei Empfindung davon hat, daß diese Freundschaft erotisch betont ist. Der Zeuge, der den Fürsten Eulenburg nach dem Bilde wiedererkennen will, hatte gesagt, der Mann, um den es sich handelt, sei 27 bis 30 Jahre alt gewesen, Fürst Eulenburg war aber damals 50 Jahre alt. Er hat gesagt, es habe auf ihn den Eindruck gemacht, als ob die Herren in der Villa des Grafen Lynar Offiziere waren. Fürst Eulenburg ist aber kein Offizier. Folglich kann der Zeuge den Mann in dem Bilde nicht wiedererkennen. Fürst Eulenburg erklärt es auch für absolut unwahr, daß er mit diesen Vorgängen in Potsdam irgend etwas zu tun gehabt hat. – Justizrat Bernstein: Von Herrn Harden wird nicht behauptet, daß Fürst Eulenburg mit diesen Dingen etwas zu tun gehabt hat, sondern er hat nur behauptet, daß von anderen Personen solche Dinge behauptet werden. Das ist ja doch geschehen. Wenn Fürst Eulenburg vernommen wird, werde ich mich selbstverständlich nicht mit der Frage begnügen, welche Beziehungen er zum Privatkläger hat, sondern ich werde mit ihm die Frage der Homosexualität überhaupt erörtern. – Justizrat Dr. v. Gordon: Ich habe ja selbst das Negative in dieser Beziehung behauptet. Die Dinge, die in Potsdam vorgekommen sein sollen, sind ja sehr beklagenswert, sie haben aber mit meinem Mandanten nichts zu tun! – Justizrat Bernstein: Ich glaube Anspruch auf das Anerkenntnis zu haben, daß ich sowohl wie Herr Harden in dieser Frage ganz loyal vorgehen. Wir haben den Grafen Lynar und den Grafen Hohenau schon von Anfang an gern hier sehen wollen, die Gegenpartei schien bisher dasselbe Interesse daran zu haben. – Hierauf wurde der Zeuge Bollhardt nochmals vorgerufen. – Vors.: Sagen Sie, Herr Zeuge, ist ein Irrtum ausgeschlossen? – Zeuge: Es muß der Herr sein, der an dem Abend dabei gewesen ist. – Vors.: Entweder Sie sagen: er ist es, oder Sie sagen: ich muß ihn erst sehen. – Zeuge: Gut, ich will ihn erst sehen. – Justizrat Dr. v. Gordon: Es ist doch auf der ganzen Welt nicht möglich, daß ein Mann auf Grund eines Bildes einen Herrn wiedererkennen kann, den er vor zehn Jahren einmal gesehen hat, zumal der Zeuge gesagt hat, es ist ein Herr von 27 bis 30 Jahren. Tatsächlich war er aber 50 Jahre alt. – Vors.: Wann kann Fürst Eulenburg hier erscheinen? – Justizrat v. Gordon: Er kann hier nicht erscheinen, aber er könnte kommissarisch vernommen werden. – Vors.: Der Fürst ist doch nur gichtleidend, kann er nicht hergetragen werden? – Justizrat v. Gordon: Ich bitte, das Attest zu verlesen. – Harden: Seit Wochen habe ich den Fürsten Eulenburg als Zeugen benannt. Es ist jetzt gesagt worden, man habe ihn und andere nicht in Gewissenskonflikt bringen wollen. Aber seine Gesundheit dürfte doch keinem stärkeren Chok ausgesetzt sein, wenn er hierher kommt. Um Berlin zu erreichen, mußte er zu Wagen von Liebenberg nach der Eisenbahn fahren, auf der Eisenbahn nach Berlin, vom hiesigen Bahnhof nach der Wohnung in der Königin Augustastraße. Ich sehe keinen Grund, weshalb er nicht hier nach dem Gericht mit demselben Wagen fahren kann. Ich sehe darin einen Versuch, die Verhandlung zur Vertagung zu bringen, daß der Herr hier nicht erscheint. Ich möchte darum bitten, endlich damit aufzuhören, nicht immer zu sagen, der Privatkläger hat nichts damit zu tun. Er ist doch ein Herr, der in der „Zukunft“ genannt wurde, der gleichzeitig mit dem Kläger aus dem Amt gesetzt wurde und unter Mißbrauch seines Amtes strafbare Handlungen begangen hat. Zwei Herren, die sich ganz genau kennen, wie der Privatkläger und der Graf Hohenau, den der Kläger duzt, mit dem er verwandt ist, der mit ihm lange Jahre als Flügeladjutant die gleiche Stellung einnahm, können doch nicht sagen, sie hätten miteinander nichts zu tun. Wo gibt’s denn noch eine Gemeinschaft, wenn das keine ist. Mein Verteidiger hat ausdrücklich gesagt, weshalb der Zeuge Bollhardt vernommen werden sollte. Nebenbei behauptet der Zeuge noch das und das vom Fürsten Eulenburg und hat das mir gegenüber immer behauptet. Ich habe davon aber keinen Gebrauch gemacht. Wenn Fürst Eulenburg hier ist, werden wir ihm sagen, was wir ihm beweisen. Wir bitten, er soll nun endlich kommen und für den vierzigjährigen geliebten Freund, der ihn seine „Seele“, seinen „Geliebten“ nennt, Zeugnis ablegen. – Justizrat Dr. v. Gordon: Herr Harden hat zum Schluß hier gegen den Privatkläger und den Fürsten Eulenburg einen Ton angeschlagen, auf den ich nicht eingehen möchte. Ich bitte einfach, den Fürsten Eulenburg als Zeugen für die von mir benannten Tatsachen zu vernehmen. Es ist Sache des Gerichts, zu entscheiden, in welcher Form dies geschehen soll. Weil ich weiß, daß er nicht kommen kann, habe ich der Einfachheit wegen die kommissarische Vernehmung angeregt. Wir haben von vornherein den dringenden Wunsch gehabt, daß er hier erscheint; auch der Fürst war der Ansicht. Schießlich sagte aber der Arzt, er setze sich einer dringenden Gefahr aus, wenn er als Zeuge erscheine. Mehr kann man nicht tun, um die Sache abzukürzen, als wenn wir die kommissarische Vernehmung des Fürsten beantragen. – Es wurde hierauf das von Sanitätsrat Dr. Gennerich ausgestellte ärztliche Attest von dem Vorsitzenden verlesen. Aus diesem ging hervor, daß Fürst Philipp zu Eulenburg seit vielen Jahren an Gicht und schwerer Neuritis leidet. Da außerdem seit April d. J. eine Nervenentzündung an Beinen und Armen hinzugekommen ist, so besteht die Gefahr, daß eine größere Aufregung schwere Folgen, ja selbst den Tod herbeiführen könnte. Das Leiden des Fürsten ist so erheblich, daß er sich nur an zwei Stöcken vorwärts bewegen und ohne menschliche Hilfe keine Treppen ersteigen kann. Außerdem leidet Fürst Eulenburg an Arteriensklerose, die ebenfalls sehr ungünstig auf den Körperzustand des Fürsten einwirkt. Ein Erscheinen vor Gericht ist deshalb unter keinen Umständen ratsam. – Justizrat Dr. v. Gordon: Ich gebe anheim, den Fürsten laden zu lassen. Ich weiß allerdings nicht, ob der Fürst erscheinen wird. Unverständlich ist es mir allerdings immer noch, was mein Mandant damit zu tun hat, wenn tatsächlich gegen den Grafen Hohenau irgendwelche Dinge gewisser Natur vorgebracht werden oder meinetwegen schon erwiesen sind. Beide Herren befanden sich unter den sechs Flügeladjutanten des Kaisers und sind, wie ich immer wieder betonen muß, keineswegs in nähere Verbindung gekommen. Mit demselben guten Recht könnte Herr Harden zweitausend andere Offiziere beschuldigen und verdächtigen, daß sie von diesen Dingen gewußt und geschwiegen hätten. – Harden: Ich behaupte, daß der größte Teil der deutschen Offizziere von diesen Dingen gewußt, aber aus begreiflichen Dingen geschwiegen hat. Es ist allgemein bekannt gewesen, daß sich Graf Hohenau jahrelang in Erpresserhänden befunden hatte, und da soll Graf Moltke, der mit Hohenau auf „Du und Du“ stand und täglich dienstlich und auch sonst gesellschaftlich mit ihm zu tun hatte, von allen diesen Dingen nichts gewußt haben? Mir ist es unverständlich und anderen Leuten wahrscheinlich auch! – Justizrat Bernstein: Ich will einmal eine einzige Frage an den Herrn Grafen Moltke richten: Will der Herr Kläger die Güte haben, uns zu sagen, weshalb er nicht mehr Stadtkommandant von Berlin ist? – Graf Moltke gab keine Antwort. – Das Gericht beschloß, den Fürsten Eulenburg als Zeugen zu laden. – Als am folgenden Tage Fürst Philipp Eulenburg als Zeuge aufgerufen wurde, meldete sich sein Hausarzt Sanitätsarzt Dr. Gennerich mit dem Bemerken: Ich habe den Fürsten noch einmal untersucht und ihm verboten, aufzustehen. – Vors.: Wird der Antrag auf kommissarische Vernehmung des Fürsten aufrechterhalten? – J.-R. Dr. v. Gordon: Ja, natürlich unter Konfrontation mit dem Zeugen Bollhardt. – Justizrat Bernstein: Was den Fürsten Eulenburg außer Möglichkeit setzt, vernommen zu werden, ist nach dem bisher vorliegenden Attest hauptsächlich der Gemütszustand. Die Gefahren in dieser Hinsicht würden bei einer kommissarischen Vernehmung dieselben sein, wie bei einer Vernehmung bei Gericht. Ich bitte jedenfalls, falls das Gericht die kommissarische Vernehmung beschließt, diese erst vorzunehmen, wenn die Beweiserhebung hier weiter vorgeschritten ist, damit die Vernehmung nicht wiederholt zu werden braucht. Es ist möglich, daß den Zeugenaussagen des Barons v. Berger und anderer Herren vom Privatkläger widersprochen wird. Er muß ihnen von seinem Standpunkt aus widersprechen. Der Herr Beklagte hat ein begreifliches Interesse daran, daß die Vernehmung des Fürsten Eulenburg vor voller Öffentlichkeit stattfindet. Wenn das nicht möglich ist, so muß das Interesse des Beklagten berücksichtigt werden. Ich fühle mich zu dieser Bemerkung veranlaßt dadurch, daß die klagende Partei keine Bedenken getragen hat, gegen eine unbescholtene Dame die Behauptung aufzustellen, daß das, was sie unter ihrem Eid aussagte, unwahr ist. Wenn Fürst Philipp zu Eulenburg unter Eid in Abrede stellt, daß er homosexuell veranlagt sei, und daß er diese Veranlagung betätigt habe, so werde ich versuchen, durch Zeugen den Beweis zu führen, daß diese Behauptung unwahr ist. Fürst Bismarck hat, wie Dr. Liman eidlich bestätigen wird, den Fürsten Eulenburg als Päderasten auf das allerdeutlichste bezeichnet. Fürst Bismarck hat bekanntlich seine Leute gekannt. Dem Beklagten gegenüber hat er dasselbe behauptet. Ich werde Zeugen vorführen, die Ihnen sagen werden, wie Fürst Bismarck zu dieser Meinung gekommen ist, Eulenburg sei homosexuell. Wenn dem vom Kläger widersprochen wird, werde ich es beweisen. – Justizrat Dr. v. Gordon: Fürst Bismarck war gewiß eine Autorität, aber doch ein Mensch, wie ein anderer. Wenn sich Gerüchte über einen Menschen verbreiten, vor denen ja schließlich niemand sicher ist, so kann auch die Berufung auf den Fürsten Bismarck ein solches noch nicht zur unbestreitbaren Wahrheit machen. Fürst Bismarck ist tot und man kann nicht wissen, worauf sich seine Wissenschaft stützt. Der Kollege hat doch auch soeben den Arzt gehört. Wollen Sie es verantworten, daß der Kranke hier vielleicht in der Öffentlichkeit tot hinsinkt? – Justizrat Bernstein: Ich habe seinerzeit erwartet, daß als erster Name auf der Zeugenladung des Gegners der Name Fürst Philipp zu Eulenburg stehen würde. Sobald als ich Herrn Harden das erste Mal sah und die Klageschrift gelesen hatte, sagte ich zu ihm: „Die Sache dieses Herrn steht sehr schlecht.“ Weder auf den Fürsten Eulenburg noch auf den Grafen Hohenau oder auf den Herrn Lecomte hat sich Herr Graf Moltke bezogen. Es zeigt dies, daß meine Schlußfolgerung durchaus richtig ist. Es erscheint mir praktisch, die Vernehmung des Fürsten Eulenburg vorläufig auszusetzen, da ja die Möglichkeit besteht, daß er in kurzer Frist vielleicht wieder hergestellt ist. – Harden: Bevor das Gericht beschließt, ob und wo der Fürst Eulenburg zu vernehmen ist, bitte ich festzustellen, in welchem Umfange es möglich ist, Se. Durchlaucht in der Wohnung zu vernehmen. Nach dem, was bis jetzt hier über den Gesundheitszustand des Fürsten gesagt worden ist, halte ich es selbst für ausgeschlossen, daß der Zeuge Bollhardt an Gerichtsstelle dem Fürsten Eulenburg augenblicklich gegenübergestellt wird. Ich selbst kann nur immer wieder erklären, mir liegt persönlich absolut nichts daran, daß diese Gegenüberstellung hier stattfindet, denn meine Anträge gehen gar nicht dahin, daß der Fürst Eulenburg sich homosexuell betätigt haben soll. Ich habe den Zeugen Bollhardt gar nicht geladen, um beweisen zu wollen, daß sich der Fürst Eulenburg homosexuell betätigt hat, sondern nur um zu beweisen, daß der Graf Hohenau, der zu jenem Kreis gehörte, sich verschiedene schwere Verfehlungen auf homosexuellem Gebiete hat zu schulden kommen lassen. Dies hat die gestrige Beweisaufnahme vollauf bewiesen. – Nach kurzer Beratung des Gerichtshofs verkündete Amtsrichter Dr. Kern: Es handelt sich darum, ob der Zeuge Bollhardt zu vereidigen ist. Er hat gestern erklärt, er möchte den Eid erst ablegen, wenn er den Fürsten Eulenburg gesehen hat. Es wird dem Zeugen Bollhardt aufgegeben, sich sofort zum Fürsten Eulenburg zu begeben und den Versuch zu machen, ihn zu sehen. Kriminalkommissar v. Tresckow wird ihn begleiten. Ich mache den Herrn Kommissar darauf aufmerksam, daß nach der Prozeßordnung die schon vernommenen Zeugen möglichst wenig in Verbindung kommen mit denen, die noch zu vernehmen sind. Sie werden also dafür sorgen, daß keine Zwiegespräche und dergleichen zwischen den Zeugen stattfinden. – Justizrat Bernstein: Wir haben den Zeugen Bollhardt nur genannt in Bezug auf den Grafen Hohenau, und nur ganz zufällig hat der Zeuge auch den Fürsten Eulenburg hier bei seiner Vernehmung vor Gericht erwähnt. Wir haben nicht behauptet, daß Fürst Eulenburg in der Villa des Grafen Lynar gewesen ist, aber es ist doch möglich, daß dies doch der Fall war. Fürst Eulenburg hat nun doch ein Interesse daran, von Bollhardt nicht erkannt zu werden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß jemand, wenn er weiß, daß er rekognosziert werden soll und die Rekognoszierung noch dazu in der Wohnung stattfinden soll und zwar ohne Kontrolle, doch Vorkehrungen trifft, daß die Rekognoszierung nicht zuverlässig ist. – Vors.: Der Zeuge Bollhardt soll ja nur vorläufig den Fürsten Eulenburg ansehen und er wird uns ja hier berichten. Ich frage jetzt den Herrn Vertreter des Klägers, ob er seine gestern angedeuteter Beweisanträge fixiert hat. – Justizrat Dr. v. Gordon: Ich wiederhole die gestern schon beantragte Vorladung derjenigen Personen als Zeugen, die über die ganze Gesinnung des Privatklägers über Damen im allgemeinen und über die Ehe aussagen können. Ich beantrage die Verlesung eines Briefes der Frau von Elbe aus der Zeit der Trennung von ihrem Ehemanne, in welchem sie in der liebevollsten Weise von dem Gatten spricht. Es wird bestritten, daß der Privatkläger die häßlichen Worte über Frauen und die Ehe gesprochen hat; er hat sich nur dahin ausgedrückt, daß die Ehe ohne sittliche Unterlage eine Cochonnerie sei. Mein allerwichtigster Antrag geht auf Vernehmung der Grafen v. Lynar und Hohenau als Zeugen darüber, daß der Privatkläger in keiner Weise bei den Vorgängen beteiligt ist, von denen der Zeuge Bollhardt spricht. (Mit erhobener Stimme): Wir wollen absoluteste Klarheit! Wir wollen, daß die befleckte Ehre des Privatklägers in jeder Beziehung wieder hergestellt wird und wir werden nicht eher ruhen, als bis kein Tipfelchen von Verdacht auf ihm ruht. Darum kann der Prozeß unter keinen Umständen zu Ende gehen, ohne daß diese beide Herren vernommen werden. Sie selbst könnten ja event. bezüglich ihrer eigenen Person die Aussage verweigern, aber nicht bezüglich des Privatklägers und sie werden als Ehrenmänner diese Aussage nicht verweigern. Ich habe gestern auch event. auf das Zeugnis Sr. Majestät des Kaisers hingewiesen. Mein Mandant hat dringend ersucht, die Person des allerhöchsten Herrn aus diesem Prozeß herauszulassen. Er ist der Ansicht, daß, wenn er als General vor aller Welt und vor seinem Kaiser erklärt, es sei nicht wahr, daß er Einfluß auf die Politik ausüben wollte, dies genügt. – Graf v. Moltke: Ich werde unter keinen Umständen dazu beitragen, daß die Person des allerhöchsten Herrn hier in die Debatte hineingezogen wird. Das widerspräche meinem eigenen Gefühl und aller Tradition. – Harden: Der Antrag, der bezüglich Sr. Majestät gestellt war, ging auf das Gegenteil dessen hinaus, was von uns behauptet ist. Der Gedanke, daß Graf Kuno v. Moltke auf eigene Faust Politik treibe und seine Beziehungen zum Deutschen Kaiser dazu ausnutze, liegt mir ganz fern. Denn es ist nicht zu denken, daß der hohe Herr davon nichts merken sollte, und es ist ganz klar, daß Graf Kuno v. Moltke sofort seiner Stellung verlustig gegangen wäre, wenn der Kaiser einen solchen Versuch gemerkt hätte. Wir behaupten aber, daß Graf Kuno v. Moltke den Fürsten Eulenburg konstant und jahrelang auf dem Laufenden gehalten hat über alle Dinge, die am Hofe passierten, über Stimmungen, Maßnahmen und Personalfragen usw. Das alles war für den Fürsten Eulenburg wichtig. Eine vom Kaiser zu extrahierende Aussage, wenn sie möglich wäre, würde also gar nichts beweisen. Die Gegenseite will die Grafen Lynar und Hohenau geladen haben und hat mit Emphase erklärt, daß dieser Prozeß nicht zu Ende gehen könne, ohne daß diese beiden Herren vernommen werden! Ich glaube nicht, daß diese beiden Zeugen nach den bisherigen Ergebnissen dieses Prozesses sich dazu verstehen werden, vor einem deutschen Gerichtshof auszusagen. Ich sehe in solchem Antrage nur den Versuch, den Prozeß zu verschieben. – Ferner macht man den Versuch, die furchtbare Aussage der Zeugin Frau v. Elbe, die hier schweren Herzens und wider ihren Wunsch Bekundungen gemacht hat, zu erschüttern, indem man sie als nicht ganz zurechnungsfähig infolge früheren Trionalgenusses hinzustellen versucht. Gerichtshof, Juristen und Laien hier im Saale werden darin einig sein, daß die Aussage dieser Frau nicht so zu bewerten ist, als ob jemand über Wahrnehmungen in der Straßenbahn usw. vernommen wird, sondern daß sie ein Komplex von ungeheueren Erlebnissen war. Sie ist entweder in toto richtig oder falsch. Man hat jetzt nicht mehr gewagt, diese Aussage als absichtlich falsch hinzustellen, vielleicht, weil sie nicht mehr, wie vor Jahren allein und ohne Hilfe dasteht, sondern jetzt zwei Männer an ihrer Seite hat, die sie schützen werden: ihren Mann und ihren Sohn. Die Bekanntschaft der Frau von Elbe habe ich erst in einer Gesellschaft des Geheimrats Schweninger gemacht. Frau von Elbe ist, wenn ich mich so ausdrücken kann, die Tante der jetzigen Gattin des Geheimrats Schweninger, der Frau Gräfin Lena von Moltke. Ich bitte dringend, wenn die Versuche, die Frau von Elbe als unglaubwürdig hinzustellen, wiederholt werden, Geheimrat Schweninger zu vernehmen, der seit 5 oder 6 Jahren mit der Frau von Elbe gesellschaftlich verkehrt. Der Herr wird dann bekunden, ob er jemals in der ganzen langen Zeit auch nur das geringste von einer geistigen Anormalität, von den Folgen einer Trionalvergiftung oder ähnlichen Dingen, mit denen hier auf Seiten des Gegners operiert wird, gemerkt hat. Ist das nicht der Fall, so wird sich die erschütternde und wahrhaft vernichtende Aussage der Frau von Elbe nicht abschwächen lassen. Ein besonders heikler Punkt ist die Vollziehung der Ehe mit dem Grafen Moltke. Ich bitte hierzu die Eltern der Dame ausführlich zu vernehmen. Eine mir gestern von der Frau von Heyden zugegangene Depesche besagt, daß sich Frau von Heyden in Stolp, Wasserstraße 7, in ärztlicher Behandlung befindet und hier ihrer kommissarischen Vernehmung entgegensehen will. Frau von H. wird nicht nur über die Eheschließung selbst interessante Mitteilungen machen, sie wird schwere Mißhandlungen bekunden, die der Graf Moltke seiner damaligen Gattin zugefügt hat. Sie wird weiter bekunden, daß der Kläger stets von einem Ring gesprochen hat, den er und seine Freunde um Se. Majestät gezogen haben und den zu sprengen, meine Aufgabe durch Veröffentlichung meiner Artikel geworden ist. Der Herr Vertreter des Herrn Grafen Moltke sucht immer hier einen Gegensatz herzustellen, der zwischen der jetzigen Aussage der Frau von Elbe und ihren Angaben im Ehescheidungsprozeß angeblich bestehen soll. Ich möchte hauptsächlich nur feststellen, es ist schon damals behauptet worden, daß es nur bis 2 Tage nach der Hochzeit zu einem ehelichen Verkehr gekommen ist. Herr Rechtsanwalt Illch, der damalige Prozeßvertreter der Dame, wird bestätigen, daß die jetzt vorgebrachten Dinge mit den damals behaupteten Tatsachen identisch sind. Eine Wiederholung dieser mehr als heiklen Sachen würde wohl nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden können. In einer allzu begreiflichen Verlegenheit ist Frau von Elbe wohl bisher nicht recht in der Lage gewesen, absolut frei zu sprechen und alles aus der traurigen Ehe hier zu erzählen. Ich werde die Dame dann genau fragen, welcher Art die Mißhandlungen waren, die ihr der Herr Graf Moltke damals zugefügt hat. Seitens des Herrn Gegners wird behauptet, Frau von Elbe wäre aggressiv gegen ihren damaligen Gatten vorgegangen, hätte ihm den Kneifer heruntergeschlagen, die Epaulettes heruntergerissen usw. Ich werde dann konstatieren, daß dies nur in ärgster Notwehr gegen brutale Angriffe geschehen ist. In einem Falle mußte sogar im letzten Augenblick eine neue Toilette der damaligen Gräfin geändert werden, weil die Dame braune und blaue Flecke aufwies. Ich komme zu Fräulein Mille, jener französischen Gouvernante. Es wird behauptet, daß sich die damalige Gattin des Militärattachés in Wien an ihre Gouvernante gewendet haben soll, um einen gehässigen Artikel in den „Gaulois“ zu lanzieren. Die hier im Saale anwesenden französischen Journalisten werden sich eines Lächelns nicht erwehren können, wenn man behauptet, daß der Herr Direktor Artur Meyer vom „Gaulois“ von einer Gouvernante einen Hetzartikel bringen wird. Jenes Fräulein Mille, hat übrigens, wie ich aus einem in meinen Händen befindlichen Brief ersehe, in jenem Ehescheidungsprozeß geschrieben: „Ich bitte mich kommen zu lassen, da man mich mißbraucht hat, um gegen Sie vorzugehen.“ Seitens des Herrn Gegners wird unter Bezugnahme auf verschiedene Briefe behauptet, daß Frau von Elbe auch noch kurz vor der Scheidung dem Grafen Moltke sehr freundlich gesinnt gewesen sei. Ich glaube, ich habe das richtige Gefühl, wenn ich sage, die Frau Gräfin wollte damals gar nicht geschieden sein. Sie befand sich in der glänzendsten gesellschaftlichen Position, sie war trotz ihres sonstigen Unglücks ihrem Gatten zugetan. Sie wollte ferner, daß eine Ehe, die unter den glänzendsten Bedingungen geschlossen ist, nicht ohne weiteres getrennt werde. Als Trauzeuge bei Schließung der Ehe des Grafen Moltke mit der jetzigen Frau v. Elbe war Se. Majestät selbst erschienen, und in dieser Ehe haben sich jene traurigen Dinge ereignet, die uns hier mitgeteilt sind. Es erscheint deshalb leicht begreiflich, weshalb sich die Dame seinerzeit gegen eine Trennung der Ehe gesträubt hat. Zum Schluß bitte ich aber noch den hier im Saale anwesenden jetzigen Gatten der Frau von Elbe, mit dem sie in denkbar glücklichster Ehe lebt, darüber vernehmen zu wollen, ob er jemals irgend etwas von geistiger Abnormität oder Nachwirkungen einer Trionalvergiftung bemerkt hat. – Justizrat Bernstein: Wenn das Gericht die Verlesung des Briefes der Frau von Elbe beschließt, dann beantrage ich, überhaupt die Ehescheidungsakten als Beweismittel anzuwenden. Ich habe keinen Anlaß, der Vernehmung der Zeugen Graf Lynar und Graf Hohenau zu widersprechen. Wir haben den Zeugen Bollhardt vorgeführt, um dem Gericht zu beweisen, daß Graf Lynar und Graf Hohenau sexuell unerlaubte Handlungen vorgenommen haben. Wir wollen beweisen, daß Herr Harden mit seinen Artikeln nur politische Zwecke verfolgte. Wenn irgend jemand die sexuelle Integrität dieser Herren auf seinen Eid nimmt, sei es Fürst Eulenburg oder ein anderer Zeuge, so werde ich den Beweis antreten, daß diese eidliche Versicherung falsch ist. Der Verteidiger wendete sich dann wiederum gegen die Bezweiflung der Aussage der früheren Gräfin Moltke. Die Gegenpartei solle doch den Mut finden, ihre Zweifel an der eidlichen Aussage dieser Frau in präzise Form zu kleiden und ihr Meineid vorwerfen. Dann werde man den Gegenbeweis erbringen können. Die Eltern der Frau v. Elbe wollen wir darüber vernehmen, daß der Kläger ihnen dieselben Angaben über seine Ehe und seine eheliche Fähigkeit oder besser Unfähigkeit gemacht hat, wie seiner Frau. Er kennt nicht nur die Richtigkeit der Angaben seiner Frau, er hat ihren Eltern dasselbe gesagt und er läßt, um die Aussage seiner früheren Frau abzuschwächen, hier durch seinen Vertreter sagen, das sei falsch. Dem Kläger wird nachgewiesen, daß er selbst die Tatsache, daß er impotent gewesen ist, seinem Schwiegervater mitgeteilt hat. Die Frau hat das hier aus ringender Seele unter Eid gesagt und der Herr Kläger hat den Mut, es in Abrede zu stellen. Ich bitte das Gericht, um sich von der Qualität eines Mitgliedes des Kreises um Eulenburg zu überzeugen, darüber Beweis zu erheben. – Dann bitte ich, Dr. Liman über die Äußerung des Fürsten Bismarck zu vernehmen. Fürst Bismarck hat nicht gesagt: es wird gemunkelt, er hat gesagt: Fürst Eulenburg ist ein Päderast. An diesen Worten ist nicht zu deuten. Es hat eine geschichtliche Bedeutung, daß der hier Beklagte den Einfluß dieses Mannes, den der Gründer des Reiches als einen Päderasten bezeichnet hat, ein Ende gemacht hat. Ich bitte dann um die Vernehmung des Dr. Hirschfeld, der in seinem „Monatsbericht des W. H. K.“ folgendes geschrieben hat: „Als eines Tages eine Gruppe von Offizieren sich im Kasino über diese Dinge unterhielt und einer der Herren daraufhin meinte, es sei dies gar nichts so Ungewöhnliches, es befänden sich doch noch an höheren Stellen eine ganze Anzahl von Persönlichkeiten ähnlicher Veranlagung, man brauchte ja nur die letzten Nummern der „Zukunft“ zu lesen, wandte sich der Kronprinz, der zufällig den letzten Teil der Unterhaltung gehört hatte, zu den Herren und bat um Aufklärung. Er ließ sich dann die betreffenden Nummern der „Zukunft“ geben und besprach mit dem Chef des Militärkabinetts, dem Grafen Hülsen-Häseler, ob es nicht notwendig sei, daß dieser dem Kaiser von der ganzen Angelegenheit Mitteilung mache. Graf v. Hülsen-Häseler lehnte dies ab, unter Hinweis darauf, daß Fürst Eulenburg, um den es sich ja in erster Linie handle, gar nicht Offizier sei, redete aber dem Kronprinzen zu, dem Kaiser selbst Mitteilung zu machen. Der Kronprinz wandte anfangs ein, daß er sich zu der Mission zu jung fühle, sprach aber am 2. Mai dann doch über die Vorgänge und Veröffentlichungen mit dem Kaiser. Dieser beschied darauf sofort den Chef des Militärkabinetts Grafen v. Hülsen-Häseler und den Minister des Innern von Bethmann-Hollweg zu sich, welch letzterer den Berliner Polizeipräsidenten von Borries aus Kissingen telegraphisch zurückbeorderte. Es fand eine mehrstündige Unterredung statt, in der in erster Linie Graf von Hülsen-Häseler das Wort führte und deren Endergebnis war, daß Graf Wilhelm Hohenau, bisher General à la suite des Kaisers, Graf Kuno v. Moltke, bisher Stadtkommandant von Berlin, und vor allem Fürst Philipp zu Eulenburg, einer der einflußreichsten Freunde des Kaisers, aus ihren hohen Stellungen verabschiedet wurden. Ein vierter der von Harden genannten Mitglieder des Eulenburgschen Freundeskreises, der Geheime Legationsrat von B., hatte es vorgezogen, noch vor Eintritt der Katastrophe seinen Abschied einzureichen, welcher ihm, freilich ohne die sonst üblichen Ehrungen, bewilligt wurde.“ Hier wird gesagt, der Kläger habe seine Stellung als Stadtkommandant wegen der vom Beklagten behaupteten homosexuellen Veranlagung verloren. In dem jetzigen Prozeß hat der Kläger behauptet, daß der Verlust seiner Stellung mit den das sexuelle Gebiet berührenden Angelegenheiten nichts zu tun hat. Wenn diese Erklärung des Grafen nicht richtig ist, so ist das ein weiterer Beitrag zur Lösung der Frage, ob ein Mann wie der Kläger geeignet gewesen ist, die Stellung zu Sr. Majestät einzunehmen, die er tatsächlich eingenommen hat und jetzt nicht mehr einnimmt. Es ist auch ein Beitrag zu der Frage, ob in der Tat das Ungeheuerliche geschehen ist, daß man angesichts der Wahrheit dieser Dinge, die niemandem besser bekannt sein mußten als dem Kläger, die Ungeheuerlichkeit gewagt hat, die Öffentlichkeit, ganz Deutschland über diese Dinge düpieren, ich will nicht sagen: belügen zu wollen. Ich bitte, Herrn Dr. Hirschfeld darüber zu vernehmen, ob er wegen dieses Artikels von dem Herrn Fürsten Eulenburg, vom Grafen Moltke oder irgend einem dieser Leute verklagt worden ist. Justizrat Bernstein beantragte dann noch die Vernehmung des Fräulein Mille, die bekunden soll, daß sie in einem Schreiben selbst zugegeben habe, sie sei von den Gegnern der Frau v. Elbe gemißbraucht worden zu der Verdächtigung dieser Frau. – Der inzwischen zurückgekehrte Kriminalkommissar v. Tresckow bekundete: „Se. Durchlaucht hat mich empfangen, ich habe meinen Auftrag ausgerichtet, und er hat es abgelehnt, den Zeugen zu sehen oder von ihm gesehen zu werden. Se. Durchlaucht lag krank im Bett und motivierte seine Ablehnung wie folgt: Der Zeuge könnte glauben, ihn zu erkennen und würde dann zum Eide zugelassen werden und schwören. Dazu möchte er es nicht kommen lassen, er möchte sich auch wehren können und bitte, ihn in Gegenwart von Gerichtspersonen dem Zeugen gegenüber zu stellen, und in seiner Wohnung zu vernehmen. Er wolle diesem Zeugen nicht wehrlos gegenüber stehen. – Vors.: Hatten Sie dem Fürsten gesagt, zu welchem Zweck Sie kämen? – Zeuge: Jawohl, ich hatte ihm gesagt, daß der Zeuge ihn sehen solle. Um was es sich handelte, wußte er aus den Zeitungen. – Justizrat Dr. v. Gordon: Die Erklärung des Fürsten Eulenburg ist eine durchaus korrekte und berechtigte. Ich lege nunmehr auch ein Attest des Gerichtsarztes Medizinalrats Dr. Leppmann über den Gesundheitszustand des Fürsten vor. Aus dem Attest, welches zur Verlesung gelangte, ging hervor, daß der Fürst krank im Bett liegt und nicht ausgehen kann. Eine Stelle des Attestes sprach auch davon, daß der Fürst in Krankheitsvorstellungen befangen sei. – Vert. Justizrat Bernstein: Ich sehe aus dem Attest eigentlich nur, daß der Fürst nicht wohl ist. (Heiterkeit.) – Vors.: Hält der Beklagte die Behauptung aufrecht, daß der Privatkläger sich in dem in den Artikeln geschilderten Freundeskreise bewegt hat? – Justizrat Dr. v. Gordon: Das wird entschieden bestritten. – Vert. Justizrat Bernstein: Ich brauche bloß darauf hinzuweisen, daß Fürst Eulenburg seit 40 Jahren der allerintimste Freund des Privatklägers ist! – Harden: Fürst Eulenburg und Graf Kuno v. Moltke sind die Intimsten der Intimen, Herr Lecomte ist seit vielen Jahren mit Eulenburg intim befreundet. Er war mit dem Privatkläger schon bekannt, als die jetzige Frau von Elbe noch Frau Gräfin Moltke war. Man braucht bloß auf das Wort „Tes amis sont mes amis“ hinzuweisen, und das Trio Eulenburg-Moltke- Lecomte ist gegeben. Bleibt Graf Hohenau. Graf Wilhelm Hohenau ist mit dem Privatkläger sehr genau bekannt, entfernt mit ihm verwandt, sie duzen sich, er ist der Sohn des Prinzen Albrecht (Vater), also ein Hohenzoller, der Kaiser duzte ihn und hatte ihn Willi genannt. Graf Wilhelm Hohenau und der Privatkläger amtierten in der allernächsten Nähe des Kaiserlichen Herrn. Ich dächte, das ist doch wohl eine Gruppe zu nennen! – Vors.: Bleiben Sie dabei, daß dem Privatkläger die homosexuellen Neigungen der übrigen Mitglieder der Gruppe bekannt waren? – Harden: Ich bin überzeugt, Graf Moltke hat gewußt, daß Fürst Eulenburg homosexuell veranlagt ist. Er hat bezüglich des Herrn Lecomte zugegeben, daß über ihn Gerüchte umliefen. Diese Gerüchte gingen über den Grafen Hohenau schon sehr lange um. (Mit erhobener Stimme): Die gegen den armen, schwer erblich belasteten Mann, den ich wahrhaftig hier nicht hineingezogen hätte, wenn ich mich nicht gegen einen Wust von Unwahrheiten und Verdächtigungen zu verteidigen hätte, erhobenen Vorwürfe und elenden Erpressungen waren so bekannt, daß ich es für unmöglich halte, daß der hier als „unpolitisch“ hingestellte Graf Kuno v. Moltke es nicht gewußt haben sollte. (Mit lauter Stimme und auf den Tisch schlagend): Ich habe es gewußt, ich wohne im Grunewald und bin Schriftsteller und ich weiß es seit Jahren! Es würde ein merkwürdiges Maß Naivetät verraten, wenn der Privatkläger es nicht gewußt haben sollte. Wenn Anreden gewechselt werden, wie „Mein Geliebter! Meine Seele! Ich halte mich verpflichtet, meinen Freunden zu leben! Ich kann auch nach meiner Veranlagung nur meinen Freunden leben“, derartige Sachen legen doch mindestens den Verdacht nahe, daß seine Freundschaft „erotisch betont“ war. (Mit zornbebender Stimme): Es schreiens ja doch die Spatzen von den Dächern!! Drängen Sie mich noch weiter, dann würde ich Ihnen Mitglieder von Herrscherhäusern vorführen, die da sagen: Ist es denn möglich, daß das überhaupt noch bestritten wird! (Auf den Privatkläger weisend und laut ausrufend): Dieser Mann hat sich ja doch den Rock nur zu erhalten gewußt durch eine Unwahrheit!! – Der Vorsitzende ersuchte den Angeklagten, sich zu mäßigen. – Justizrat Bernstein: In einer und derselben Stunde sind die drei in den Artikeln genannten Männer ihrer Stellung verlustig gegangen! Hat Graf Kuno Moltke wirklich den Mut zu leugnen, daß der Verlust der Stellung seitens der drei Herren in unlösbarem Zusammenhang mit ihren sexuellen Neigungen stand? Ich berufe mich eventuell in dieser Beziehung auf den Chef des Militärkabinetts von Hülsen-Haeseler. – Vors.: Herr Privatkläger wollen Sie sich einmal darüber äußern? – Graf Moltke: Es ist im allgemeinen nicht Sitte, daß man über militärische Intimitäten spricht. Ich äußere mich darüber nur so weit als es zulässig ist. Ich habe meinen Abschied eingereicht unter der Motivierung, daß ich unter einem Verdacht stehe, dessen Beseitigung zunächst nicht sofort möglich war, der es aber nicht angängig erscheinen ließ, daß ich unter der Wucht solcher Verleumdungen in meiner Stellung bleibe. Ich habe wegen dieser Anschuldigung meinen Dienst aufgeben müssen, meine 42jährige Karriere, die ich lieb gehabt habe, beendigt, meinen Rock, den ich in Ehren getragen, ausgezogen. Ich war Kommandeur der Leibkürassiere in Breslau und kann wohl kaum in solcher Stellung das süßliche Wesen gezeigt haben, wie es kaum einem Leutnant zuzumuten ist. Da ich durch den Angeklagten um mein Amt und meine Ehre gekommen bin, so hoffe ich, daß der Gerichtshof dies bei der Abmessung der Strafe berücksichtigen wird. – Vors.: Sind Sie also lediglich wegen dieser Artikel aus dem Dienst geschieden? – Graf Moltke: Ja. – Vors.: Sind Sie denn nicht von zuständiger Stelle irgend- wie befragt worden, ob es wahr ist, was in den Artikeln stand? – Graf Moltke: Ich habe darauf nein gesagt. – Justizrat Dr. v. Gordon: Ich beantrage, den Herrn von Hülsen-Haeseler zu vernehmen; er wird bezeugen, daß dem Privatkläger anderenfalls doch nicht die Uniform belassen worden wäre. Ich beantrage ferner, Herrn Staatssekretär von Bethmann-Hollweg und den Polizeipräsidenten v. Borries darüber zu vernehmen, daß die in der Zeitschrift des „Wissenschaftlich-humanitären Komitees“ gegebene Darstellung der Vorgänge nicht richtig ist. – Weiter: Wenn Fürst Bismarck geglaubt hätte, der Privatkläger sei ein Päderast, so hätte er doch das tun müssen, was unterlassen zu haben der Ange- klagte dem Privatkläger vorwirft: nämlich vor den Kaiser zu treten und ihm Vortrag zu halten. – Was schließlich die beabsichtigte Intrige in den Spalten des „Gaulois“ betrifft, so haben wir dies nicht behauptet, sondern es ist von einem Königlich preußischen Landgericht in einem Urteil festgestellt. – Graf Moltke: Ich erkläre nochmals, daß ich von den Neigungen des Grafen Hohenau nichts gewußt habe und berufe mich in dieser Beziehung auf meinen Neffen Herrn v. d. Marwitz. Übrigens ist es eine völlige Verkennung der Verhältnisse, wenn angenommen wird, es wäre meine Aufgabe gewesen, als Denunziant aufzutreten. Als Kommandant von Berlin hatte ich andere Aufgaben. – Justizrat Bernstein: Jedenfalls aber nicht die Aufgabe, mit Päderasten zu verkehren! – Graf Moltke: Das ist eben nicht wahr! – Harden: Der Herr Graf Moltke hat soeben hier gesagt, er habe einen Neffen, den Herrn von Marwitz, der beschwören werde, daß ihm der Kläger gesagt habe, er habe mit Hohenau nicht das geringste zu tun gehabt und wisse auch nichts von den gegen Hohenau erhobenen Anschuldigungen. Ich möchte wissen, weshalb er überhaupt etwas zu seinem Neffen über die Affäre gesagt hat. Ich nehme an, daß er deshalb nur darüber gesprochen hat, weil ihm mitgeteilt worden war, er sei ebenfalls darin verwickelt. Vielleicht beantwortet mir der Herr Kläger nun endlich die Frage: Weshalb sind die Herren Graf Hohenau, Fürst Eulenburg, der Herr Graf Moltke selbst und der französische Herr Lecomte aus ihren Ämtern verschwunden? Der letztere ist überhaupt aus Berlin verschwunden. Ich möchte fragen, ob wohl ein Gerichtshof, der diese Tatsachen kennt, daran zweifeln wird, daß dieses Verschwinden der Herren darauf zurückzuführen ist, daß deren Namen in der „Zukunft“ genannt worden sind. Ich glaube auch weiter, wenn nicht von der höchsten Stelle des Landes selbst Ermittelungen nach gewisser Richtung angestellt worden wären, die nicht wiederum ein gewisses Resultat gehabt hätten, so wären die Herren heute noch auf ihren alten Posten. – Über diesen Punkt entspannen sich äußerst heftige Auseinandersetzungen zwischen Harden und dem Grafen Moltke. – Justizrat Bernstein: Wollen mir der Herr Graf mitteilen, weshalb sich Fürst Eulenburg nicht mehr auf seinem Botschafterposten befindet? – Graf Moltke: Das weiß ich doch nicht, was geht mich das an! – Justizrat Bernstein: Der intimste Freund des Fürsten, der seit vierzig Jahren mit ihm verkehrt, soll nicht wissen, weshalb der Fürst von der Bildfläche verschwunden und in Ungnade gefallen ist. – Graf Moltke: Ich weiß es nicht, weshalb, ich habe auch kein Schriftstück gesehen. (Heiterkeit im Zuhörerraum.) – Darauf erstattete Dr. med. Magnus Hirschfeld, Spezialnervenarzt in Berlin, folgendes Gutachten: „Ich habe aus der Beweisaufnahme die wissenschaftliche Überzeugung gewonnen, daß bei dem Kläger, Herrn Grafen Kuno von Moltke, objektiv ein von der Norm, d. h. von den Gefühlen der Mehrheit abweichender Zustand vorliegt, und zwar eine unverschuldete, angeborene und m. E. in diesem Fall ihm selbst nicht bewußte Veranlagung, die man als homosexuell zu bezeichnen pflegt. Wir verstehen unter homosexuell[WS 2] jemanden, der homosexuell empfindet, der sich zu Personen des gleichen Geschlechts in wirklicher Liebe hingezogen fühlt. Ob er sich dabei homosexuell betätigt, ist vom naturwissenschaftlichen Standpunkt nebensächlich. Wie es Normale gibt, die keusch leben, so gibt es Homosexuelle, deren Liebe einen ausgesprochen seelischen, ideellen, „platonischen“ Charakter trägt. Die objektive Diagnose der Homosexualität ist im Einzelfalle nicht leicht, sie stützt sich im wesentlichen auf drei Punkte: einmal auf das Verhalten gegenüber Personen des andern Geschlechtes, dann auf das gegenüber Personen des gleichen Geschlechtes und drittens auf die geistige und körperliche Gesamtpersönlichkeit, welche bei einem homosexuellen Mann durch einen Einschlag femininer Eigenschaften, bei der homosexuellen Frau durch männliche Züge charakterisiert ist. Für diese Symptomendreiheit finden sich hier deutliche Anzeichen: In bezug auf das Empfinden für das weibliche Geschlecht lege ich den Hauptwert auf die Worte des Klägers wie: „Du bist mir nicht als Mensch, sondern als Weib zuwider,“ ferner „die Gattin solle als schönes Märchen wunschlos neben ihm leben.“ – Könnte Herr Graf von Moltke, wie seine Gattin von sich sagt, daß sie vor und nach ihrer Ehe mit Graf Moltke in glücklicher Ehe gelebt habe, auch seinerseits nachweisen, daß er vorher und nachher in normalsexuellen Beziehungen gestanden habe, so wäre dies von wesentlicher Bedeutung, denn der hier erwähnte geistige, ritterliche Verkehr mit edlen Frauen ist kein hinreichendes Argument. Ich erblicke in dem vorliegenden Fall die ganze furchtbare Tragik der Ehe eines Homosexuellen, wie ich sie schon häufig zu sehen Gelegenheit hatte, hier aber besonders dadurch kompliziert, daß sie mit einer 26jährigen Frau geschlossen wurde, die vorher 8 Jahre mit einem normalsexuellen Mann verheiratet war und offenbar, da sie den Herrn Kläger außerordentlich stark liebte, infolge mangelnder sexueller Befriedigung in einen hochgradig nervös gereizten Exaltationszustand verfiel. Ich möchte daran erinnern, daß das Wort Hysterie von hysteron (Uterus) abzuleiten ist, ein Zusammenhang, der neuerdings wieder von Professor Freund-Wien als ausschlaggebend betont wurde. Sollten die starken Worte des Kontrainstinkts, welche der Herr Kläger für die sexuelle Betätigung ohne seelische Liebe angewendet hat, so gefallen sein, wie sie hier zur Sprache kamen, so würden sie etwa den Ausdrücken entsprechen, wie sie der Normale gegenüber homosexuellen Beziehungen anwendet, und dadurch verständlich werden. Was nun das Verhalten des Herrn Grafen männlichen Personen gegenüber betrifft, so ist dies als ein ungewöhnlich schwärmerisches und gefühlvolles zu bezeichnen. Als besonders von der Norm abweichend erscheinen mir die Ausdrücke wie: „Mir sind meine Freunde die Nächsten“, „Wenn es nur bei meinen Freunden schön ist“, ferner die Anreden „Mein Alles, meine geliebte Seele“, sowie die Taschentuchepisode und die Szene am heiligen Abend. Wenn Herr Graf von Moltke diesen Zeugenaussagen gegenüber hervorhebt, daß er doch aus der Verehrung für seine Freunde kein Hehl gemacht habe, weil sein Gewissen rein und seine Freundschaft edel gewesen sei, so kann ich ihm hierin vollkommen beistimmen. Die homosexuelle Liebe kann ebenso rein sein, wie die normale, und es liegt hier in dem betreffenden Falle nichts vor, was für das Gegenteil spricht. Als der Herr Graf hier ausrief: „Meine Freundschaft ist klar und rein wie die Sonne“, erinnerte mich dies an eine Stelle aus einem andern Prozeß, bei dem auch die homosexuelle Frage eine Rolle spielte, dem Prozeß des unglücklichen englischen Dichters Oskar Wilde. Als der Richter Gill ihn fragte: „Von was für einer Liebe reden Sie denn eigentlich?“, antwortete Wilde: „Von einer edlen, herrlichen Form der Zuneigung, die in diesem Jahrhundert nicht ihren Namen nennen darf, von der Liebe, wie sie zwischen David und Jonathan bestand, wie sie Platon zur Grundlage seiner Philosophie machte, und wie wir sie in den Sonetten Michelangelos und Shakespeares finden, von jener Liebe, welche in unserm Jahrhundert so verkannt wird, daß ich ihretwegen jetzt da bin, wo ich mich heute sehe“. Der feminine Einschlag bei homosexuellen Männern ist, allgemein gesprochen, meist dadurch gekennzeichnet, daß eine größere Empfindsamkeit und Empfänglichkeit vorhanden ist, ferner ein Vorherrschen des Gefühlslebens, ein stark künstlerischer Sinn, besonders auch in musikalischer Hinsicht, vielfach auch ein Hang zum Mystizismus sowie allerlei weibliche Neigungen und Gewohnheiten in gutem und weniger gutem Sinne. Diese Mischung macht jedoch den Homosexuellen als solchen nicht minderwertig, er ist den Heterosexuellen zwar nicht gleichartig, aber doch gleichwertig. Inwieweit der feminine Einschlag bei dem Herrn Grafen Kuno von Moltke vorhanden ist, kann ich heute nicht mit Bestimmtheit beurteilen. Dazu kenne ich ihn zu wenig, es bedürfte hierzu einer viel längeren Beobachtung. An schwerwiegenden Anhaltspunkten fehlt es jedenfalls in dem Komplex der hier geschilderten Charaktereigenschaften nicht. Ich fasse daher mein Gutachten dahin zusammen: Der objektive Beweis des vom Herrn Beklagten behaupteten normwidrigen Empfindens und Verhaltens und einer von der Norm abweichenden Männerfreundschaft erscheint mir ohne Zweifel erbracht, wider die Norm ist aber nicht wider die Natur. Ich bin auf Grund meiner Beobachtungen, die sich auf über 5000 Homosexuelle erstrecken, zu der Überzeugung gelangt, daß die Homosexualität, die heute nicht häufiger ist, als zu irgendeiner früheren Zeit, die in höheren Ständen nicht öfter vorkommt, als in irgendeinem andern, und die in Deutschland nicht verbreiteter ist, als in den Vaterländern Raymond Lecomtes und Oskar Wildes, daß diese Homosexualität ebenso im Plane der Natur und Schöpfung liegt, wie die normale Liebe. Möge einst auch von diesem Prozeß gesagt werden können: „Ex tenebris lux“. – Um die Soldaten vor dem Mißbrauch der Dienstgewalt zu schützen, bedarf es nicht des auf gänzlich falschen Voraussetzungen beruhenden § 175, der schon mehr als genug Menschenopfer gefordert hat!“ – Vorsitzender Amtsrichter Dr. Kern: Herr Sachverständiger, gibt es nicht verschiedene Arten von Homosexualität? Wir wollen nicht von den schlimmen Arten sprechen, die gestern hier zur Sprache gekommen sind, sondern von den weit harmloseren. Würden Sie zum Beispiel darin, daß jemand das Taschentuch seines Freundes zärtlich an den Mund drückt, eine Betätigung einer homosexuellen Veranlagung erblicken? – Dr. Magnus Hirschfeld: Es kommt darauf an, wenn man in einer Betätigung der Homosexualität lediglich sexuelle Handlungen erblickt, so würde ich in der Handlung mit dem Taschentuch keine Betätigung erblicken. Trotzdem könnte man auch hierin im engeren Sinne einen homosexuellen Akt erblicken. Ich persönlich halte dies nur als ein Zeichen der Innigkeit des seelischen Empfindens. – Vors.: Gibt es auch Homosexuelle, die allein darin schon ihre Befriedigung finden, daß sie sich in den Kreisen homosexuell veranlagter Männer bewegen? – Dr. Hirschfeld: Vielen gewährt dies allerdings eine rein äußerliche Befriedigung. Ich bin jedoch zu der Überzeugung gekommen, daß die übrigen hier genannten Herren des Kreises es vielleicht verstanden haben, ihre Neigungen zu verbergen. Gerade ein Homosexueller ist immer gewillt, seine Neigung zu kaschieren. Es kommt häufig vor, daß ein homosexuell veranlagter Mann sich so bewegt, daß seine nächste Umgebung nichts von seiner Veranlagung bemerkt. Wenn dann plötzlich diese zur Kenntnis gelangt, hört man häufig, das hätte niemand geglaubt, daß er auch „so“ ist. – Justizrat Dr. v. Gordon: Würden Sie Ihre Ansicht ändern, wenn ich Ihnen sage, daß der Herr Graf Moltke in Breslau längere Zeit vor seiner Heirat ein weibliches „Verhältnis“ hatte? – Dr. Hirschfeld: Nein, das ändert nichts an meinem Gutachten. In Anknüpfung an das Gutachten des Dr. Hirschfeld entwickelte sich eine sehr lebhafte Erörterung über die einzelnen Schattierungen und Nuancen, die auf dem großen Gebiete der Homosexuakität zu beobachten seien. Es beteiligten sich daran die beiden juristischen Sachwalter, der Angeklagte und der Sachverständige Dr. Magnus Hirschfeld. Diese mehr wissenschaftlichen Ausführungen nahmen längere Zeit in Anspruch. Es wurde unter anderem davon gesprochen, daß es nicht ausschließt, daß Homosexuelle sich auch verheiraten, zumal sie mehrfach von ihrer Umgebung zur Verheiratung gedrängt werden, so daß alsdann zu dem Unglück ihrer anormalen Veranlagung auch noch das Faktum einer unglücklichen Ehe trete, daß viele Homosexuelle ihre Neigungen kaschieren. – Graf v. Moltke: Mein Freundschaftsverhältnis zum Fürsten zu Eulenburg ist ein durchaus reines und männliches. Es befestigte sich, als ich in München mit ihm zusammen kam und er mich in Künstlerkreise einführte, in Kreise, wo Lenbach, Kaulbach usw. verkehrten, wo es geistig hoch herging und wo man viele Anregungen empfing. Diese Freude über den Verkehr mit einem geistig anregenden Manne hat sich in unserem schriftlichen Verkehr ausgedrückt. – Verteidiger Justizrat Bernstein: Der Sachverständige hat sich ebenso wie Dr. Moll und andere selbst über Homosexualität in der „Zukunft‘“ geäußert und kennt doch wohl den Standpunkt des Angeklagten zu dieser Frage. Trauen Sie ihm zu, daß er jemand nur wegen seiner homosexuellen Neigungen in seiner Zeitschrift angreifen wird? – Sachverständiger Dr. Hirschfeld: Nein! Bei der weiteren Erörterung wurden hauptsächlich Fragen berührt, die sich auf die sexuellen und psychologischen Eigenschaften der Homo- sexuellen und die Folgen dieser Eigenschaften im ehelichen Verkehr beziehen. – Dr. Hirschfeld bemerkte hierbei, daß Graf Hohenau seine homosexuelle Veranlagung außerordentlich vorsichtig verborgen gehalten habe. – Harden: Würde der Herr Sachverständige bei dieser Meinung bleiben, wenn er erfährt, daß Graf Hohenau in Gemeinschaft mit dem Grafen Lynar mit den von ihnen gebrauchten Soldaten im Park der Villa Sekt getrunken hat, sich von ihnen beim Vornamen nennen ließ und ihnen Briefe geschrieben hat mit dem Aufdruck „Kgl. Schloß“? – Dr. Hirschfeld: Hier handelte es sich auch um Mitschuldige. – Harden: Herr Dr. Hirschfeld hat den Privatkläger lange gesehen und reden hören. Der Privatkläger wendet sonst vielleicht noch mehr kosmetische Mittel an als es hier der Fall ist. (Graf Moltke schlug erregt mit der Faust auf den Tisch.) Ich bitte, sich nicht zu erregen. Es ist beschworen, daß der Kläger Rot auflegt und die Verwendung kosmetischer Mittel ist doch nichts Ehrenrühriges. Ich frage, ob der Herr Sachverständige nach seinem persönlichen Eindruck von dem Privatkläger sagen kann: das ist ein normaler preußischer General. – Dr. Hirschfeld: Ich kenne den Kläger zu wenig, um darüber urteilen zu können. Den Homosexuellen ist allerdings meist ein femininer Einschlag eigen, ich kann aber noch nicht sagen, ob dies bei dem Privatkläger der Fall ist. – Graf Moltke: Ich bitte, meine beiden Diener darüber zu vernehmen, welche kosmetischen Mittel ich anwende. Man will mir hier einen weibischen Anstrich geben, den ich nicht besitze. In der weiteren Erörterung wies Harden darauf hin, daß Homosexuelle, die sich gezwungen sehen, ihre wahre Veranlagung vor der Welt durch eine Maske zu verbergen, durch diese innere Unwahrhaftigkeit leicht großen Schaden anrichten können, wenn sie in größerer Zahl sich um die Person des Monarchen gruppieren und diesem ein falsches Bild der realen Verhältnisse geben. – Dr. Hirschfeld bemerkte hierzu, daß die Charaktere der Homosexuellen sehr verschieden seien. – Auf eine bezügliche Frage des Justizrats Dr. v. Gordon setzte der Sachverständige Dr. Hirschfeld auseinander, daß er allerdings Michelangelo als Homosexuellen in Anspruch nehmen müsse. Was Friedrich den Großen betrifft, so sei das eine viel erörterte Frage. Es werde vielfach angenommen, daß bei Friedrich II. ein sehr starker homosexueller Einschlag vorhanden war. Der Sachverständige setzte des längeren auseinander, weshalb auch er dieser Meinung sei. Durch Friedrichs des Großen ganzes Leben zog sich eine Kette der ausgesprochensten innigsten Männerfreundschaft. – Graf Moltke: Ich muß noch einmal aufs entschiedenste wiederholen, daß ein solcher Kreis, wie er in der „Zukunft“ angedeutet ist, nicht existiert. Ich bestreite dies nachdrücklichst! Wenn ein solcher Kreis existierte, so müßte doch nachzuweisen sein, daß dieser Monsieur Lecomte einmal an der Tafel des Kaisers Platz genommen hätte, was nicht der Fall ist. – Verteidiger Justizrat Bernstein: Herr Harden hat niemals von der Tafel des Kaisers gesprochen. – Justizrat Dr. v. Gordon: O bitte, es steht doch in den Artikeln von der Tafelrunde. – Harden: Es ist nur von der Tafelrunde des Fürsten Eulenburg die Rede. – Justizrat Dr. v. Gordon hielt es für durchaus notwendig, nun auch den zweiten Sachverständigen, Dr. Merzbach, zu hören. – Hierauf wurde der Sachverständige Dr. med. Georg Merzbach (Berlin) vernommen. – Vors.: Sind Sie nach dem, was Sie gehört haben, vorausgesetzt, daß die Bekundungen der Frau v. Elbe richtig sind, der Meinung, daß der Privatkläger homosexuell veranlagt ist? – Sachverständiger Dr. Merzbach: Nein. Der hohe Gerichtshof hat das außerordentlich klare Gutachten meines Mitarbeiters gehört, doch glaube ich, daß ich zu einem anderen Ergebnis kommen muß. In den inkriminierten Artikeln ist von Herrn Harden dem Privatkläger das Vorhandensein normwidriger Triebe zum Vorwurf gemacht worden. (Harden ruft: Wo?) Was versteht man unter krankhaftem Geschlechtssinn und Geschlechtstrieb? Eine Norm ist im sexuellen Leben absolut nicht festgelegt. Der Privatkläger hat im Alter von 47 Jahren die Ehe geschlossen und Jahre hindurch ein ganz normales Leben geführt, bis dann eine sogenannte psychische Impotenz bei ihm eingetreten ist, die auf diese oder jene Eigenschaften der Frau zurückzuführen sein dürfte. Das Gerücht von dieser Impotenz ist von der Seite verbreitet worden, die sich unbefriedigt durch den Verkehr mit ihrem Gatten fühlte und auch das Gerücht von der Homosexualität ist von derselben Seite ausgegangen. (Harden und sein Verteidiger rufen laut: Beweise!) Dr. Merzbach fuhr fort: Frau v. d. Marwitz wird es bekunden. (Unruhe). – Justizrat Bernstein: Ich bestreite nach dieser Bekundung die Qualität dieses Herrn als Sachverständigen überhaupt. Ich beantrage an Stelle dieses Herrn Herr Prof. Eulenburg oder Herrn Dr. Moll als Sachverständigen zu vernehmen. – Harden: Woher ist dem Herrn Dr. Merzbach bekannt, was Frau v. d. Marwitz demnächst sagen wird? – Dr. Merzbach: Ich habe über das Geschlechtsleben des Grafen v. Moltke auch bei Personen seiner Umgebung Nachfrage gehalten und habe festgestellt, daß Graf v. Moltke ein durchaus korrektes, unantastbares Geschlechtsleben geführt hat und daß alsdann eine psychische Impotenz eingetreten ist. Was die Homosexualität betrifft, so hat der Privatkläger keine krankhaften Züge dem anderen Geschlecht gegenüber aufgewiesen. (Unterbrechung durch Harden.) Was die Homosexualität angeht, so liegt kein Anhaltspunkt vor, daß sein Verhalten dem Fürsten Eulenburg gegenüber irgendwelche Rückschlüsse gestattet. Graf v. Moltke ist eine ideale überschwängliche Natur und… Justizrat Bernstein unterbrechend: Ich bestreite dem Herrn Dr. Merzbach, daß er vermöge seiner besonderen Kenntnisse auf dem Gebiete als Sachverständiger qualifiziert ist. Der Vorsitzende war in der Lage, den Herrn wiederholt zu unterbrechen und ihn darauf hinzuweisen, daß er sein Gutachten nur auf Grund der Ergebnisse dieser Verhandlung abzugeben hat und nicht auf Grund privater Erkundigungen. Ein Sachverständiger, der in dieser Weise alle zwei Minuten unterbrochen werden muß, ist nicht imstande, hier als Sachverständiger zu fungieren. Ich protestiere gegen dessen weitere Vernehmung und schlage wiederholt Herrn Prof. Dr. Eulenburg oder Herrn Dr. Moll als Sachverständige vor. – Justizrat Dr. v. Gordon: Ich hatte gerade Herrn Dr. Merzbach vorgeschlagen, weil er der zweite Vorsitzende des wissenschaftlich-humanitären Komitees ist und genau dieselbe Grundanschauung hat, wie Dr. Hirschfeld. – Harden: Ich habe wohl 50 Briefe von Ärzten bekommen, in denen es hieß, daß ich gegen diesen Sachverständigen doch sofort protestieren müßte, da nicht der geringste Grund vorliegt, diesen Herrn als Sachverständigen gelten zu lassen. Ich frage, auf Grund welcher wissenschaftlichen Arbeiten Herr Dr. Merzbach, der in der Chausseestraße praktiziert und an seinem Hause ein Schild hat: „Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten“ zur Qualtät eines Sachverständigen kommen soll? – Vors.: Herr Dr. Merzbach sind Sie schon einmal medizinischer Sachverständiger gewesen? – Dr. Merzbach: Gewiß, schon sehr häufig! – Justizrat Bernstein: Ich wiederhole, daß sich dieser Sachverständige einseitig auf Angaben stützte, die ihm vom Privatkläger und dessen Freunden gemacht worden sind. Das Gutachten des Dr. Hirschfeld war das Muster eines völlig unparteiischen Gutachtens, Dr. Merzbach kann aber nicht als unparteiisch gelten. – Das Gericht zog sich zur Beratung über diesen Ablehnungsantrag zurück. – Vors.: Amtsrichter Dr. Kern verkündete darauf folgendes: Das Gericht will dem Sachverständigen durchaus nicht nahetreten, es ist aber der Ansicht, daß der Sachverständige außerhalb der Beweisaufnahmeein Bild gewonnen hat, welches er nunmehr in seinem Gutachten wiedergibt. Dies hält das Gericht nicht für zulässig; deshalb nimmt es von der weiteren Vernehmung Abstand. – Auf die Frage, ob noch weitere Beweisanträge gestellt werden, erklärte Justizrat Bernstein: Ich habe wesentliches Interesse an der Vernehmung des Chefredakteurs Dr. Liman, der wörtlich folgendes bekunden wird: „Im Laufe eines Gesprächs mit ihm hat Fürst Bismarck folgendes geäußert: Die Hintermänner im doppelten Sinne, auch im physischen – siehe Eulenburg – sitzen in Liebenberg. Diese Leute umgeben den Kaiser und schließen ihn ab. Der Kaiser glaubt, daß Niemand ihn beeinflußt, und für die amtlichen Berater trifft das zu; aber die Leute, diese Menschen, die ihm an Geist und Willen unterlegen sind, haben eine gegenseitige Lebensversicherung abgeschlossen. Diese männlichen Kinäden treiben alles von ihm fort, was ihnen paßt. Das Schlimmste ist, daß solche Leute immer die Meinung des regierenden Herrn haben. Wenn der Kaiser etwas sagt und sich umsieht, sieht er immer nur anbetende Gesichter auf sich gerichtet. Sie geben ihm immer recht und schaffen so ein Gegengewicht gegen die Berater, die ihm pflichtgemäß opponieren müssen.“ – Es erschien auf Aufruf in Majorsuniform der Platzmajor Ernst von Hülsen im Saal. – Vors.: Herr Major, Sie sollen darüber vernommen werden, ob der Herr Privatkläger Kuno v. Moltke wußte, daß sich in dem bekannten Freundeskreis Herren befanden, die homosexuell veranlagt waren. Hat Herr Graf Moltke einmal irgend etwas mit Ihnen darüber gesprochen? – Zeuge: Nein, darüber ist nichts gesprochen worden, wenigstens hat in meinem Beisein Exzellenz Graf Moltke hierüber nichts geäußert. – Vors.: Haben Sie selbst vielleicht eigene Wahrnehmungen darüber gemacht? – Zeuge: Nein, ich habe mich nicht darum bekümmert. – Justizrat Dr. v. Gordon: Haben Sie selbst etwas gewußt, daß sich Graf Lynar sexuelle Verfehlungen hat zuschulden kommen lassen? – Zeuge: Nein. – Justizrat Bernstein: Herr Major, ich lege auf folgende Frage besonderes Gewicht: Ist Ihnen bekannt, warum sich Graf Moltke, Fürst Eulenburg und Graf Hohenau nicht mehr in ihren früheren Stellungen befinden? – Zeuge (nach minutenlangem Zögern): Bestimmtes weiß ich nicht – – Vors.: Sie müssen aber auch dasjenige bekunden, was Ihnen überhaupt bekannt ist, wenn auch nicht bestimmt. – Justizrat Dr. v. Gordon: Ich möchte vor allen Dingen den Herrn Zeugen fragen, ob er von diesen Dingen etwa in dienstlicher Eigenschaft Kenntnis erhalten hat. In diesem Falle müßte er sein Zeugnis solange verweigern, bis er von seinem Vorgesetzten von der Schweigepflicht entbunden ist. – Vors.: In welcher Eigenschaft haben Sie denn Kenntnis von diesen Dingen erhalten? – Zeuge: Als Untergebener des damaligen Stadtkommandanten Grafen Moltke habe ich amtliche Schriftstücke zu Gesicht bekommen, in denen von solchen Dingen die Sprache war. Ich darf also hierüber nicht aussagen. Es handelte sich um eine amtliche Order, die im Bureaudienst durch meine Hände gegangen ist. – Justizrat Dr. v. Gordon: Ich habe absolut nichts dagegen, wenn der Herr Zeuge alles aussagen würde, was er weiß, aber der Herr darf das nicht. (Heiterkeit) – Zeuge: Ich bitte, noch einmal die Frage an mich stellen zu wollen, die ich beantworten soll. – Justizrat Bernstein: Sie sollen uns nur sagen, weshalb die Herren Fürst Eulenburg, Graf Moltke und Graf Hohenau sich nicht mehr in ihren Ämtern befinden? – Zeuge: Von Sr. Durchlaucht dem Fürsten zu Eulenburg weiß ich überhaupt nichts zu sagen. – Justizrat Bernstein: Hat der Herr Zeuge nie außeramtlich gerüchtweise etwas davon gehört, weshalb Fürst Eulenburg nicht mehr Botschafter z. D. ist? – Der Zeuge zögerte wieder längere Zeit mit der Antwort. – Vors.: Es hilft nichts, Sie müssen dies sagen. – Zeuge: Ich weiß nur, daß es hieß, Graf Eulenburg habe sexuelle Beziehungen unterhalten, die in die Öffentlichkeit gedrungen seien und ihm geschadet haben. – Justizrat Dr. v. Gordon: Wer hat Ihnen das mitgeteilt? – Zeuge: Es wurde allgemein unter Offizieren davon gesprochen. Wer mir es im speziellen gesagt hat, weiß ich nicht mehr. Es wurde im allgemeinen angenommen. – Justizrat Bernstein: Ich stelle nur fest, daß im allgemeinen davon gesprochen wurde. Das genügt mir. – Justizrat Dr. v. Gordon: Wurde denn mehr davon gesprochen, wie in den Zeitungen stand? – Zeuge: Jawohl! – Justizrat Bernstein: Es hieß also, Fürst Eulenburg sei aus seiner Stellung entlassen worden, weil er sich homosexuelle Dinge habe zuschulden kommen lassen? – Zeuge: Jawohl! – Justizrat Bernstein: Sind diese Mitteillungen auch geglaubt worden? – Zeuge: Jawohl, die sind auch allgemein geglaubt worden. – Justizrat Bernstein: Ist dem Zeugen amtlich bekannt geworden, weshalb sich der Herr Kläger nicht mehr in seiner Stellung als Stadtkommandant befindet? – Zeuge: Was ich amtlich erfahren habe, darf ich natürlich hier nicht aussagen. Meine Kenntnis über diesen Punkt rührt aus den Akten her, die mir als Bureauchef zugängig waren. – Justizrat Bernstein: Ich muß noch einmal auf das Thema Eulenburg zurückkommen. Ist der Herr Zeuge der Ansicht, daß von den Gerüchten über die homosexuellen Dinge dem Grafen Moltke nicht das geringste bekannt geworden sein mag und zwar bevor in den Zeitungen bzw. der „Zukunft“ etwas davon verlautbar wurde? Haben Sie nicht die Ansicht, daß auch Graf Moltke etwas oder bei seinem nahen Freundschaftsverhältnis zu dem Fürsten alles erfahren haben wird? – Zeuge: Jawohl, ich glaube, daß Exzellenz Moltke alles erfahren haben wird. – Justizrat Bernstein: Haben Sie außeramtlich etwas über die Gründe erfahren, weshalb der Herr Kläger nicht mehr Stadtkommandant ist? – Zeuge: Jawohl, es ist dasselbe wie bei dem Fürsten Eulenburg. Er wurde homosexueller Dinge beschuldigt, die auch in die Öffentlichkeit gedrungen waren. – Harden: Ist es richtig, daß ausschließlich militärtechnische Gründe, wie sie bei jeder Verabschiedung vorkommen, dazu geführt haben, daß Graf Moltke nicht mehr Stadtkommandant von Berlin ist? – v. Hülsen: Ausschließlich militärische Gründe sind es nicht gewesen, aber die Entlassung hat jedenfalls mit dem militärischen Dienstverhältnis in Verbindung gestanden. – Justizrat Bernstein: Hing das mit den hier wiederholt erwähnten Dingen zusammen. – Zeuge: Jawohl. – Justizrat Bernstein: Ist dem Zeugen bekannt, daß die verschiedenen Entlassungen der Herren Fürst Eulenburg, Graf Moltke, Graf Hohenau an demselben Tage von der entscheidenden Stelle beschlossen worden sind? – Zeuge: Meines Wissens sind sie nicht an demselben Tage beschlossen worden. – Justizrat Bernstein: Sind die Umstände, die zur Entlassung führten, nicht an demselben Tage in die Erscheinung getreten? – Zeuge: Das weiß ich nicht. – Justizrat Bernstein: Sie sagen also, daß Sie eine Auskunft über die Order betreffend die Entlassung des Grafen Moltke verweigern müssen, weil sie Ihnen amtlich zur Kenntnis kam? – Zeuge: Jawohl. – Justizrat Dr. v. Gordon: Waren es authentische Quellen, aus denen Sie außeramtlich Ihre Wissenschaft über die Entlassungsgründe des Fürsten Eulenburg und des Grafen Moltke schöpften? – Graf Moltke: Sind diese Gerüchte zu Ihnen gedrungen nach dem Erscheinen der „Zukunft“-Artikel? – Zeuge: Jawohl. – Graf Moltke beugte sich zu dem Zeugen und fragte mit leiser Stimme: Ist eine besondere Order über mich gekommen, von der ich keine Kennntis hatte? – Vors.: Das geht nicht, Sie müssen hier Ihre Fragen laut stellen. – Graf Moltke wiederholte die Frage. – Justizrat Bernstein: Wenn der Zeuge diese Frage beantwortet, dann verlange ich auch, daß er über den Inhalt der amtlichen Schriftstücke Auskunft gibt. – Der Zeuge verweigerte die Auskunft. Nachdem beide Parteien ihre Beweisanträge aufrechterhalten haben, verkündete der Vorsitzende nach kurzer Beratung, daß er auf Grund der Bestimmungen der Straf-Prozeßordnung die Beweisaufnahme nunmehr schließe. – Am folgenden Tage verlas der Privatkläger Graf v. Moltke etwa folgende Erklärung: Als die Beschuldigungen an den Kaiser gelangten, habe er dem General-Adjutanten v. Pleßen sein Ehrenwort gegeben, daß er niemals mit Männern sexuellen Umgang gehabt habe. Er habe alsdann sein Abschiedsgesuch mit der Begründung eingereicht, daß es nach seiner Meinung nicht angängig sei, daß ein Mann, der unter so schweren Verdächtigungen zu leiden habe, in der nächsten Umgebung des Kaisers bleibe. Er sei deshalb in der üblichen Form zur Disposition gestellt worden. – Darauf nahm der Rechtsbeistand des Privatklägers, Justizrat Dr. v. Gordon das Wort zur Schuldfrage: M. H.: Es ist wohl in diesem Saale niemand, der nicht mit tiefster Beschämung und Entrüstung von den Vorgängen Kenntnis genommen hätte, die in der Adler-Villa des Grafen Lynar in Potsdam sich ereignet haben. Es ist umso bedauerlicher, daß diese furchtbaren Dinge vorgekommen sind von den Führern der Garde, zu der aus allen Teilen des Reiches die Elite strömt und infolgedessen zu befürchten ist, daß von da die Anschauungen, die sie dort empfangen haben, hinausgetragen werden, in das Land. Was dadurch an Disziplin vernichtet wird, kann durch keinen Drill wieder gut gemacht werden. Die tiefe Entrüstung, die alle Deutschen über diese Vorgänge mit Recht erfüllt, hat ihren vollen Widerhall in dem Herzen des Privatklägers. Diese Entrüstung beweist, daß der Kern des deutschen Volkes mit diesen Schmutzereien nichts zu tun hat. Was haben diese schmutzigen Vorgänge aber mit diesem Prozesse zu tun? Ist etwa der Privatbeklagte derjenige gewesen, der in dieses Sodom und Gomorrha hineingeleuchtet hat? Hat er etwa der Tugend eine Stätte bereitet? Nein, dieses Verdienst kann er sich nicht zuschreiben, sondern es ist das Verdienst eines einfachen Mannes aus dem Volke, des Burschen des Grafen Lynar. Um das Bindeglied mit den Anschuldigungen gegen den Grafen Kuno von Moltke herzustellen, ist der Zeuge Bollhardt in die Erscheinung getreten, der die Behauptung aufstellt: er habe nach einer Zeit von zehn Jahren in einem Bilde des Gothaischen Kalenders den Privatkläger wiederzuerkennen geglaubt als einen Mann, der auch in der Adler-Villa verkehrt habe. Dieses Wiedererkennen nach so langer Zeit ist schon an sich sehr verdächtig; seine Behauptung leidet aber außerdem an großer innerer und äußerer Unwahrscheinlichkeit. Es ist dieser Herr Bollhardt, dieser verheiratete Mann, der um Verschweigung seines Namens ersucht hat. Er hat selbst seine Kameraden in jenen Kreis der Unsittlichkeit eingeführt und selbst an jenen Dingen teilgenommen und nach vielen Jahren Herrn Harden davon Mitteilung gemacht. Da möge jeder erwägen, welchen Glauben dieser Mann verdient. Ich bedaure unendlich, daß es nicht gelungen ist, eine Gegenüberstellung des Zeugen Bollhardt mit dem Fürsten Eulenburg zu ermöglichen. Positiv hat Bollhardt nur eine Beteiligung des Grafen Lynar und des Grafen Wilhelm Hohenau bekundet. Bollhardt sagte, der Privatkläger hat eine Ähnlichkeit mit einem der damaligen Beteiligten; auch glaube er bestimmt, sagen zu können, daß Graf Moltke dabei gewesen sei, nur habe er damals mehr Haare gehabt. Ich frage: Halten Sie es für möglich, daß sich Graf Moltke als bedeutend älterer Mann: im Kreise 27–30jähriger Männer vergehen wird? Ich halte das für vollständig ausgeschlossen. Graf Moltke hat sein Ehrenwort gegeben, daß er sich in keiner Weise nach dieser Richtung vergangen hat. Ich will nun auf die Vorgänge betreffs des Abschieds des Grafen Moltke zurückkommen. Als der Artikel in der „Zukunft“ erschien und Sr. Majestät vorgelegt wurde, hat Graf Moltke dem General-Adjutanten sofort sein Ehrenwort gegeben, daß die Behauptung des Blattes unwahr ist. Dann aber hat er sich gesagt: Ich bin so schwer belastet, so daß ich genötigt bin, einstweilen mein Amt niederzulegen, um mich gegen die Verdächtigungen zu wehren und mich reinigen zu können. Das ist der Standpunkt eines preußischen Offiziers. Das Amt ist nicht für den Mann da, sondern der Mann für das Amt. Erst mußte jeder Schatten eines Verdachts beseitigt werden. Wenn Seine Majestät der Kaiser in einer Kabinettsorder gesagt hat: „Ich stelle Sie hiermit zur Disposition“, dann versteht es sich von selbst, daß nicht eine Spur von Verdacht gegen den Grafen Moltke zu finden ist. Zur Disposition stellen heißt doch nur: „Halten Sie sich disponibel, damit ich Sie zu gegebener Zeit mit diesem oder jenem Posten betrauen kann.“ Dafür, daß Se. Majestät der Ansicht war, Graf Moltke steht unter einem gewissen Verdacht, spricht doch nicht das Mindeste. Graf Moltke hätte ja auch als Offizier und Edelmann sein Ehrenwort falsch gegeben. Dieses Ehrenwort ist dann später dem Grafen Otto v. Moltke gegenüber wiederholt worden, der Herrn Harden davon in Kenntnis gesetzt hat, daß auch nicht die Spur von dem Verdacht, Graf Moltke habe sich im Sinne des § 175 vergangen oder sich in ähnlicher Weise betätigt, besteht. Ich stelle dies an dem Geburtstage des großen Feldmarschalls Grafen Hellmuth v. Moltke, der heute vor 107 Jahren geboren wurde, fest und sage: Graf Kuno v. Moltke hat sich seines erhabenen Verwandten durchaus würdig gezeigt. Es fragt sich nun, hat Herr Harden meinem Mandanten den Vorwurf gemacht, sich homosexuell betätigt zu haben? Justizrat Dr. v. Gordon ging alsdann die einzelnen inkriminierten Artikel durch und kam zu dem Schluß, daß die von Harden angewandten Ausdrücke mit ihrem feinen Doppelsinn keine andere Deutung zulassen, zumal sie die bekannten Diminutive enthalten, die man allgemein bezeichnet als die Charakteristiken der weibischen Leute, der Homosexuellen. Es kommt nun darauf an, so etwa fuhr Justizrat Dr. v. Gordon fort, ob Herr Harden das Bewußtsein hatte, seine Artikel könnten in der von mir angedeuteten Weise verstanden werden. Diese Auffassung des dolus eventualis ist bekanntlich vom Reichsgericht zur Geltung gebracht bei der Majestätsbeleidigung, dann aber auch für die §§ 186 und 187. Herr Harden selbst, der ja seine Worte sehr gut auszuwählen versteht, hat durch die Blume, aber stets sehr deutlich, zweifellos die Vorstellung in dem Leser erwecken wollen, daß Graf Moltke sich ebensolche Dinge zuschulden komme lasse, wie Herr Lecomte, von dem er ja selbst hervorgehoben hat, daß seine Neigungen allgemein bekannt waren. Er hat dem Privatkläger direkt den Vorwurf gemacht, daß er nicht gewußt haben will, was die Spatzen von den Dächern pfeifen. Alle Welt, alle Zeitungen haben es so verstanden und Herr Harden hat es so laut in die Welt hinausgeschickt, daß die maßgebenden Stellen sich veranlaßt sahen, einzugreifen. Der Vorwurf der aktuellen Homosexualität ist gegen meinen Mandanten erhoben, daraus ergibt sich der Tatbestand des § 186 von selbst. Aber auch alles andere in den Artikeln entspricht nicht der Wahrheit. Herr Harden spricht fortgesetzt von „Gruppe“ und „Grüppchen“. Was hat die Beweisaufnahme ergeben? Gewiß! Seine Majestät der Kaiser hat den Fürsten Eulenburg und Graf Kuno von Moltke seiner Freundschaft gewürdigt. Aber wie kommt Herr Lecomte hier hinein? Um das Bindeglied herzustellen, sagte Herr Harden: „Die Freunde meiner Freunde sind auch meine Freunde“. Das ist sehr geistreich aber nicht sehr zutreffend. Es wird meinem Mandanten vorgeworfen, daß er die Einladung des Herrn Lecomte zu einer Jagd in Liebenberg nicht verhindert habe. Herrn Lecomtes Charaktereigenschaften sind doch ausschließlich Sache der französischen Botschaft. So lange Herr Lecomte in der französischen Botschaft ist, kann man doch gewiß mit ihm verkehren. Die französische Botschaft wird wissen, ob sie einen Mann, der angeblich nicht würdig ist, in seiner Stelle belassen will. Bezüglich des Grafen Hohenau ist keineswegs erwiesen, daß mein Mandant etwas gewußt hat. Was in aller Welt haben denn nun eigentlich diese Dinge mit der Politik zu tun? Wenn jemand auf dem Standpunkte steht, daß derjenige, der etwas feminin veranlagt ist, absolut nicht für politische Geschäfte paßt, daß dies ein Unglück ist, so läßt sich eine solche Haltung verstehen. Aber Herr Harden steht ja, wie wir auch von Dr. Hirschfeld hörten, nicht auf diesem Standpunkt. Er hat in seinen Artikeln unter Berufung auf Friedrich den Großen, Michelangelo und andere große Männer die Meinung vertreten, daß diese Männer durch ihre homosexuelle Veranlagung nicht gehindert wurden, hervorragend tüchtige Politiker und Künstler zu sein. Weshalb denn nun hier plötzlich so viel moralisches Bewußtsein bei dem Beklagten dafür, daß der eine oder der andere infolge seiner homosexuellen Veranlagung ungeeignet sei zur Politik. Weshalb? Ja, mit politischen, sachlichen Mitteln konnte Herr Harden seinen Zweck, den Fürsten Eulenburg zu verdrängen, nicht erreichen. Da griff er zu dem Mittel, diese angeblichen Perversionen zu benutzen und damit den Mann und die mit ihm zusammen waren, unmöglich zu machen. Fabelhaft glücklicher Gedanke. Fürst Bismarck hatte ihm ja gesagt, Eulenburg sei Päderast. Das fiel ihm jetzt ein: Halt, damit kann ich den Mann jetzt stürzen. Aber wenn der eine gestürzt werden sollte, wollte er auch den Freund mit stürzen. Deshalb mußte auch der ganz unpolitische Moltke mit hineingezogen werden. Nun trifft sich das so glücklich, daß zufällig der französische Botschaftsrat Lecomte in Liebenberg zu einer Jagd eingeladen und dort Sr. Majestät vorgestellt wurde. Schließlich wird der Graf Hohenau hineingebracht, der mit den übrigen Herren nichts zu tun hat. Wir sehen, wie fein die Intrige eingefädelt ist. (Harden lachte hierbei.) Es muß ein Kreis konstruiert werden, ein Kreis, der nicht existiert, der aber die Idee der Perversität stärkt. Nicht irgendwelche politischen Gesichtspunkte hat Herr Harden hier vorgebracht. Er würde diesen Vorwurf nicht erhoben haben, wenn er nicht auf der Seite derjenigen gestanden hätte, die in diesem Falle für „Weltbrände“ waren, sondern, wenn er auf Seiten derjenigen gewesen wäre, die auf der Seite des Weltfriedens waren. Ich glaube, auch der Weltfriede hat doch gewisse Meriten. Harden hatte neben seinem politischen Zwecke auch einen kleinen Nebenzweck und konnte bei dieser Gelegenheit erreichen, den Grafen Moltke zu vernichten, gegen den er während des Ehescheidungsprozesses interessiert war. Die Tafelrunde ist verschwunden, nichts ist davon übrig geblieben im politischen Sinne. Ich will noch kurz auch die Frage der Verjährung streifen. Eine Verjährung liegt nicht vor, sondern eine fortgesetzte Handlung. Die Artikel bilden gewissermaßen eine Rebusaufgabe, deren Lösung zuletzt gefunden wird. Herr Harden hat meinen Mandanten verhöhnt und lächerlich gemacht durch Anwendung von Worten wie „der Süße“, „Grüppchen“ usw. Ich hoffe, daß Sie sich nicht so isolieren von der allgemeinen Auffassung und nicht annehmen, daß es sich nur um eine psychische Veranlagung handelt. Eine psychische Analyse des Privatklägers hat nichts mit der Frage zu tun, ob § 175 vorliegt. Herr Dr. Hirschfeld ist als Sachverständiger über die Analyse gehört worden. Dr. Hirschfeld vertritt doch eine mehr oder minder neue Theorie. Dr. Hirschfeld hat im übrigen ein sehr sorgfältiges Gutachten abgegeben, aber was hat er für Unterlagen? Überall nur die Erklärung der Frau v. Elbe. Ich möchte sehen, wenn Sie aus dem intimsten Eheleben alle Ausdrücke an das Licht bringen, die einmal in der Erregung und in der Wut gesprochen werden, ob dann nicht manchem harte Ausdrücke nachgesagt werden können. Ich habe den Beweis angetreten, welche hohe sittliche und ungewöhnlich religiöse Auffassung mein Mandant von allen Dingen und von der Ehe hat. Danach ist es unmöglich, daß er solche Worte gesagt hat, wie Frau v. Elbe von ihm behauptet hat. Wenn ein Junggeselle von 50 Jahren eine temperamentvolle Dame von 26 Jahren heiratet, da mögen ja mancherlei Dissonanzen vorkommen. Wir haben für das Gutachten des Dr. Hirschfeld keine objektiven Unterlagen. Die kleine Geschichte von dem Taschentuch halte ich für vollständig harmlos, für einen Scherz! Frau v. Elbe mag es ja schwer gefallen sein, hier über die intimsten Dinge ihres Ehelebens auszusagen, aber es ist doch auch eigentümlich, daß sie die ganzen Ehescheidungsakten einem Publizisten zur Verfügung gestellt hat. Wenn mein Mandant auch vielleicht weich und feinfühlend ist, so spricht dies doch noch nicht für homosexuelle Eigenschaften. Also: es fehlen alle Unterlagen, aber auch die ganze Beweisführung Dr. Hirschfelds ist nicht schlüssig. Die Freundschaft zwischen Moltke und Eulenburg ist eine durchaus reine und ideale. Er ist mit ihm durch gleiche musikalische und schöngeistige Bande verbunden, er hat mit ihm in München schöne glückliche Stunden verlebt, und wenn er ihn „treue liebe Seele“ nennt, so soll das homsexuell sein? Der eine sagt: „alter Esel“ oder „alter Dachs“, Graf Moltke sagt „liebe Seele“. Nichts ist von erotischer Betonung erwiesen, nichts ist erbracht, was sich nicht vertrüge mit voller Manneskraft. Wenn jemand so dargestellt wird als weibisch und es sich noch um einen Offizier, um den Kommandanten von Berlin handelt, dann ist das beleidigend. Wir kranken jetzt daran, daß die Intellektuellen sich immer weniger am öffentlichen politischen Leben beteiligen. Das liegt daran, daß nicht jeder Lust hat, sich nach Belieben eines jeden beliebigen Dritten an den Pranger stellen zu lassen. Aber die Intellektuellen haben die Pflicht, daß sie im politischen Kampfe immer anständig bleiben und kommentmäßig sind! Ich erkläre, daß die Waffen des Herrn Harden unkommentmäßig waren, die verboten werden müßten auf der Haager Konferenz! – Was Herr Harden geschrieben hat, ist geeignet, das ganze Lebensglück eines Menschen zu zerstören. Mein Mandant hat eine Harmonie in sich, die tiefer wurzelt als äußerliche Ehren und vielleicht die Generalsstreifen. Wenn auch Herr Harden dem Grafen Moltke weibische Schwäche vorwirft, so kann ich nur sagen, ein Mann, der vor Sedan und Paris im blutigen Kampf gestanden hat, der an der Loire sich eine Schußverletzung und das Eiserne Kreuz geholt hat, ein solcher Mann wird es schon zu überwinden wissen, wenn Herr Harden sagt, er sei kein ganzer Mann. Ich gebe jetzt einem preußischen Gerichtshof die Ehre meines Mandanten in die Hand. Wählen Sie die Strafe, die Ihnen angemessen erscheint. Zeigen Sie dem deutschen Volke, daß ein Gerichtshof noch imstande ist, die Ehre eines Mannes zu wahren. Es wurde hier fort- während gesagt, der Kläger sei zur Erhebung der Klage gezwungen worden. Ich erkläre nochmals: Der Herr Graf Moltke hat unter keinem Zwange gehandelt, er hat als ganzer Mann alles auf sich genommen, was eine Gerichtsverhandlung mit sich bringt. Er hat mutig alle die großen Unannehmlichkeiten auf sich genommen. Wenn ich auch tief bewegt darüber bin, daß hier Dinge in die Öffentlichkeit gekommen sind, bei denen es besser gewesen wäre, sie wären niemals in dieser Form in die Öffentlichkeit gelangt, so muß ich doch anerkennen, daß dieser Prozeß ein bißchen gereinigt hat. Zeigen Sie nun durch Verhängung einer ernsten Strafe gegen den Beklagten, daß ein preußischer Gerichtshof in der Lage ist, die in den Schmutz getretene Ehre eines Mannes wieder herzustellen. – Verteidiger, Justizrat Bernstein (München): Ich beantrage, den Beklagten freizusprechen. Ich glaube, ich könnte hiermit die Verteidigungsrede schließen. Ich glaube ferner, daß nach den Ergebnissen der Verhandlungen nichts entgegensteht, diesem Antrage stattzugeben. Aber ich muß meine Pflicht erfüllen, die darin besteht, die Tatsachen, die die Verhandlung ergeben haben, ebenso zu würdigen, wie dies von seiten des Herrn Gegners natürlich in anderer Weise geschehen ist. Der Herr Gegner hat am Eingang seiner Ausführungen wiederholt gesagt: „Ich stelle fest, daß das so ist und das andere so – –“ Alles, was der Gegner festzustellen geglaubt hat, wackelt und wird ewig wackeln. Ich komme zuerst zu der juristischen Seite der ganzen Sache. Zunächst erhebe ich gegen die Klage den Einwand, daß sie zum Teil verjährt ist. Der zweite Einwand ist, daß, selbst wenn der Beklagte alles das gesagt hätte, was der Gegner aus den Artikeln herausgelesen hat, Herr Harden nicht bestraft werden kann, da ihm der Schutz des § 193 zur Seite steht, denn ich werde darlegen, daß das, was der Beklagte gesagt hat, wahr ist. Noch 100 Mal mehr ist wahr. Berechtigt war er als Staatsbürger dazu, diese absolut wahren Dinge zu veröffentlichen. Was den ersten Einwand anbetrifft, so erkläre ich, daß alles, was vor dem 16. März d. Js. veröffentlicht worden ist, nicht mehr zum Gegenstand der Klage gemacht werden kann. Der Gegner hat gesagt, daß er die Artikel nicht verstanden habe. Diese Behauptung ist eine bewußte Unwahrheit! Und ich werde später besonderen Wert darauf legen, dies dem Gericht darzutun, weil ich Ihnen den Mann in dem richtigen Lichte zeigen will, der es gewagt hat, zu versuchen, einen deutschen Schriftsteller, der nur die Wahrheit gesagt hat, ins Gefängnis zu bringen. Der Kläger weiß besser wie wir alle zusammen, daß alles, was Harden behauptet hat, wahr ist, ja, daß noch manches andere wahr ist, was vorläufig noch gar nicht behauptet worden ist. Ich erkläre, daß sich der Gegner nicht gescheut hat, einem preußischen Gericht mit einer bewußten Unwahrheit zu dienen. Der Herr Gegner hat ferner gesagt, er hätte nur deshalb erst so spät die Beleidigungsklage erheben können, weil Herr Harden sich so vorsichtig ausgedrückt hat, daß er gar nicht bemerkt habe, ob eine Beleidigung vorliegt, und daß man ihn gemeint habe. Wenn das der Fall ist, dann liegt eben keine Beleidigung vor. Wenn der Herr Gegner die Rede, die er soeben gehalten hat, in voriger Woche, vielleicht am 22. Oktober, gehalten hätte, so würde ich mich nicht darüber wundern. Nachdem aber sich die Ereignisse in der Verhandlung abgespielt haben, eine derartige Rede zu halten, ist mir mehr als unverständlich. (Mit erregter Stimme): Mir und jedem anderen Menschen ist und bleibt es unverständlich, wie mit einer Spur von sittlichem Pathos irgend etwas für den Herrn Grafen Kuno von Moltke noch vor einem Gericht in Anspruch genommen werden kann. Herr v. Berger, der Direktor des Deutschen Schauspielhauses zu Hamburg, hat mir geschrieben und ist bereit, seine Ausführungen eidlich zu erhärten: „Nach dem Erscheinen des Artikels ‚Nachtbild‘ – ‚der Harfner‘ und ‚der Süße‘ – habe ich dem Herrn Fürsten Philipp Eulenburg und dem Grafen Kuno v. Moltke, in deren Interesse und mit deren Wissen ich seit Jahren eine Verständigung mit Harden herbeizuführen versucht hatte, gesagt, Harden halte sie für sexuell abnorm und glaube, es sei aus patriotischen und psychologischen Gründen notwendig, daß sie aus dem Vordertreffen deutscher Politik zurücktreten. Irgend eine Regung persönlichen Grolles empfindet Harden gegen sie nicht. Das sagte ich ungefähr am 25. November 1906 dem Fürsten Eulenburg und dem Grafen Moltke. Mindestens seit diesen Einzelgesprächen, nach meiner Überzeugung aber sehr viel länger, wissen beide Herren, aus welchen auschließlichen Gründen Herr Harden sie gelegentlich bekämpft.“ – Traut Herr Graf Kuno Moltke dem Herrn Berger zu, daß er bereit ist, einen Meineid zu leisten, oder entschließt er sich endlich zu dem Geständnis, daß es nicht wahr ist, wenn er sagt, er habe die Artikel nicht verstanden. Jetzt hat er den traurigen Mut, den deutschen Richtern die Unwahrheit zu sagen. Entweder ist Reichsfreiherr v. Berger ein zum Meineid bereiter Mann, oder es steht fest, daß Graf Kuno v. Moltke dem Gericht seines Vaterlandes, der Reichshauptstadt, die bewußte Unwahrheit gesagt hat. Es liegt kein fortgesetztes Delikt vor, und der erste zur Anklage stehende Artikel ist verjährt. Selbst wenn aber der Angeklagte das gesagt hätte, was ihm der Beklagte unterstellt hat, so könnte er den Schutz des § 193 des Strafgesetzbuches für sich in Anspruch nehmen. Ich möchte den Privatkläger fragen, weshalb er bei der Aufzählung seiner Freunde in München gerade eine Reihe von Namen ausgelassen hat, bezüglich deren wir schließlich auch Anlaß zu Beweisanträgen nach der Richtung der früheren hätten. In den Artikeln stand deutlich zu lesen: Herr Lecomte, der Freund von Phili Eulenburg und Kuno Moltke ist Päderast. Was mußten denn die Herren tun, als die Angriffe erschienen, wenn sie sich unschuldig fühlten? – Klagen! Das deutsche Wort: Klagen! Und wenn sie nicht klagen, dann sind sie schuldig! Denn für einen Ehrenmann, dem man so etwas nachsagt, gibt es nur eins. Herr Lecomte konnte abreisen, aber er mußte vorher einen deutschen Rechtsanwalt mit der Anstrengung der Klage beauftragen. In den ersten fünf Minuten, nachdem wir zusammen waren, habe ich Herrn Harden schon gesagt: Die Freunde werden den Moltke vorschieben und ihm sagen, dir kann man vielleicht nicht viel beweisen, dann haben wir doch wenigstens geklagt. So ist es auch gekommen. Vor Verleumdungen soll man nicht fliehen. Wenn Herr Lecomte nicht allein so viel Ehrgefühl hat, so hätten ihn die anderen als Ehrenmänner dazu zwingen müssen. Der einfachste Beweis des Grafen Moltke wäre für ihn doch die Zeugenvernehmung der Herren Fürst Eulenburg, Graf Hohenau und Lecomte gewesen, – wenn er sich unschuldig gefühlt hätte. Herr Graf Moltke hatte den Staatsanwalt ersucht, ex officio einzuschreiten. Der Staatsanwalt hat es abgelehnt. Bei der Beschwerde darüber ist der Kläger in allen Instanzen abgewiesen worden. Ihm wurde überall gesagt: „Diese Sache machen Sie gütigst allein!“ (Heiterkeit.) Ich denke mir, daß die königlich preußische Staatsanwaltschaft, wenn einem Manne, der vor ganz kurzem noch Stadtkommandant von Berlin war, eine Verfehlung gegen die Strafgesetze vorgeworfen wird, es für geboten erachtet hätte, die öffentliche Klage zu erheben. Wenn die Staatsanwaltschaft hiervon abgesehen hat, so geschah es wahrscheinlich, weil der Staatsanwalt mit der Sache nichts zu tun haben will, weil sie nicht geeignet scheint, die Autorität des Staates dafür einzusetzen! Es gibt allerdings auch noch die Möglichkeit, daß nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ja gar keine Beleidigung vorliegt. Der Kläger ist ein ganz eigentümlicher Herr und eigentümlicher Freund seiner Freunde! Er hat einen intimen Lebensfreund, den Fürsten zu Eulenburg. Man sollte es nicht für möglich halten, daß für diesen Orest dieser Pylades niemals vor den Richter zu bringen ist! (Heiterkeit.) Fürst Philipp Eulenburg zeugt nicht, weil er sich vor der Gesetzesbestimmung fürchtet, welche auf Meineid Zuchthaus setzt! Das ist es, warum er hier nicht erscheint und warum er den Zeugen Bollhardt nicht sehen will. Alles andere ist Schein, Spiel, Komödie! Der Viertelsachverständige, der gestern nur ein Viertelgutachten abgeben konnte, sagt, der Privatkläger sei eine ideale, überschwengliche Natur. Das ist ganz unglaublich! Die ganze Verhandlung hat doch wohl so viel ergeben, daß Graf von Moltke nicht ganz rein ist, die Charakteristik, die Herr Harden von ihm gegeben, vollständig zutrifft und die menschlichen Eigenschaften des Privatklägers das abfällige Urteil des Herrn Harden rechtfertigen. Ich glaube, ich kann beinahe die Behauptung aufstellen, daß Fürst Eulenburg ein Päderast ist. Das kann man nach dem Zeugnis des Zeugen Bollhardt doch wohl annehmen, und Herr Harden ist im Recht, wenn er den Kaiser aus solcher Umgebung befreien will. Es soll der Sänger mit dem König gehen, aber es soll nicht der Päderast mit dem König gehen! (Heiterkeit.) Charakteristisch ist die Behandlung, die der Privatkläger seiner ehemaligen Frau hier im Gerichtssaale hat angedeihen lassen. Diese Frau als unglaubwürdig hinzustellen, ist ganz ungeheuerlich. Es war die letzte unverzeihliche Rettungsmöglichkeit! Wenn er, um sich noch zu salvieren, das bißchen, was er noch hat, gegen einen Mann wie Harden kräftig verteidigt, so mag das hingehen. Aber eine achtbare Dame, die geschworen hat, unglaubwürdig machen zu wollen, trotzdem er weiß, daß es richtig ist, dafür gibt es keinen für den Gerichtssaal würdigen Ausdruck. Wie muß es aussehen im Innern eines Mannes, wie verloren muß jemand seine Sache glauben, und welchen Charakter muß man besitzen, um einem andern Meineid vorzuwerfen, wenn man genau weiß, daß die erhobenen Vorwürfe wahr sind. Ich habe ja den Brief des Vaters der Frau v. Elbe hier vor mir, in welchem dieser seiner Tochter mitteilt, daß nach der Meinung des Grafen Kuno v. Moltke seine Frau „wie ein Märchen“ an seiner Seite gehen soll. Wer solchen Charakter hat, muß aus der Umgebung Sr. Majestät entfernt werden! Wer dies anstrebte, tat ein gutes Werk! Um den deutschen Kaiser sollen und müssen ganze Männer sein, denn sonst kommen wir zu dem verwerflichsten Höflingstum im Deutschen Reiche, und davor wolle uns alle der Himmel bewahren. Herr Graf Moltke soll eine „ideale, überschwengliche Natur“ sein! Was soll Europa denken, wenn man so etwas liest! Unser großer Nationaldichter Schiller hat nicht gedichtet die „Würde des Klosetts“, sondern die Würde der Frauen! (Heiterkeit) Empörend ist es, daß gesagt werden kann, ein Mann, der die Frauen als Klosetts bezeichnet, ist ein deutscher Mann! (Mit lauter Stimme) Nein! Nein! Nein! Unsere Frauen, unsere Mütter, unsere Töchter sind durch solches Wort geschändet! Wenn solches Wort von einem Zuhälter seiner Dirne an den Kopf geschleudert wird, dann erhält er eine Ohrfeige! Nein, meine Herren! Ziehen Sie einen scharfen Grenzstrich zwischen Männern wie Eulenburg, Hohenau, Moltke und den Männern Deutschlands! Dann entsprechen Sie dem allgemeinen Empfinden! Solche Männer in der Umgebung der allerhöchsten Person sind gefährlich. Man sagt: der Privatkläger und Fürst Eulenburg seien durch ideale Bestrebungen verknüpft. Mögen sie musizieren, so viel sie wollen, aber aus der Nähe des Monarchen sollen sie fortbleiben! Denken Sie an die Taschentuchepisode! Wenn der Privatkläger das ominöse Taschentuch so behandelt hätte wie seine Frau, und seine Frau lieber wie das Taschentuch gehabt hätte, dann hätten wir den ganzen Prozeß, nicht. (Heiterkeit) Ist ein Mann, der seine geistige Nahrung aus den „Mitteilungen des Geistes Emanuel“ schöpft, befähigt und berechtigt, in der Nähe der höchsten Person des Landes, von der das Geschick des Deutschen Reiches abhängt, einen Einfluß auszuüben? Der Indizienbeweis der Päderastie ist in diesem Prozesse geführt, kein Mensch wird das bestreiten, also können Sie es auch nicht in Ihrem Urteil. Wie sich der Herr Kläger in der Verhandlung selbst verhalten hat, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Ich will auch nicht näher auf das Zeugnis der Frau von Elbe, des Zeugen Bollhardt und auf das Gutachten des Dr. Hirschfeld eingehen. Nur über eines will ich sprechen, und zwar über dasjenige, was Herr Platzmajor von Hülsen gestern hier gesagt hat. Ich habe nicht geglaubt, daß nach der Vernehmung des Herrn von Hülsen der Herr Gegner den Mut hat, einem Gericht gegenüber noch zu behaupten, daß der Herr Graf noch versucht hat, sich als unschuldig zu bezeichnen. Das ist ein Wagemut, für den ich eigentlich kein vor Gericht anwendbares Eigenschaftswort finde. Einige Dutzend Male habe ich im Verlaufe der Verhandlung an den Kläger die Frage gerichtet: Weshalb sind Sie nicht mehr Stadtkommandant? “Ausreden, nichts als leere Ausreden erhielt ich zur Antwort! Als ich das erste Mal diese Frage stellte und der Herr Graf nicht eine ausreichende und aufklärende Antwort gab, war eigentlich schon das Urteil gefällt. Das aber will ich Ihnen hier sagen, wenn mir der Herr Graf antwortet: Das sind militärtechnische Dinge, über die ich nicht sprechen darf! so sage ich, es ist ein starkes Stück, mir so etwas zuzumuten. Wenn ein Schulbube, der aus der Schule kommt und sich unterwegs geprügelt hat, Ausreden in dieser Form macht, so – na, ich will den Satz gar nicht zu Ende sprechen. Die bewußte Unwahrheit ist auch in diesem Falle von dem Grafen Moltke gesagt[WS 3] worden. Er weiß ganz genau, daß es nicht „militärtechnische“ Dinge sind, er will nur das Wort nicht aussprechen. Da war der Herr von Hülsen, den wir gestern hier gesehen haben, ein richtiger Soldat. Glauben Sie mir, es ist Herrn von Hülsen nicht leicht geworden, das harte Wort hier auszusprechen. Er mußte sagen, daß Fürst Eulenburg wegen homosexueller Dinge aus dem Amte entfernt worden ist, so unangenehm es ihm auch war. Als dann Herr Platzmajor v. Hülsen auf meine Frage bezüglich des Grafen Moltke antwortete: „Na, es sind so dieselben Dinge!“ Da sagte ich mir, dann ist ja alles erledigt, und der Prozeß ist aus. Wenn ich sehe, wie seit Monaten ein deutscher Schriftsteller, der nur seine politische Pflicht getan hat, verfolgt wird mit wissentlichen Unwahrheiten, so habe ich Mühe, mich zu halten, man lüge doch nicht ganz Deutschland an!! Außerdem ist mein Herr Gegner leider von seinem Mandanten falsch informiert. Von ihm rührt jene in den Zeitungen publizierte Erklärung her, in der es heißt: Die maßgebenden Instanzen haben sich von der Grundlosigkeit der erhobenen Verdächtigungen überzeugt. Der Herr v. Hülsen hat nun das Gegenteil gesagt, und da hat Herr Graf Moltke eine derartige öffenliche Erklärung vom Stapel gelassen. Wollen Sie mir nun die Frage beantworten: Wer kämpft hier mit unreinen Waffen – ich muß das Wort sagen, ich kann nicht anders –, wer ist hier derjenige, der lügt? Fürst Eulenburg hat in der Presse verbreitet, daß der Friedensstifter, Herr v. Berger, ohne Auftrag von ihm oder vom Grafen Moltke gewirkt habe. Fürst Eulenburg Durchlaucht erzählt dem deutschen Volk damit eine faustdicke Lüge. Warum lügen die beiden Herren das deutsche Volk so an, weil die Wahrheit das Bekenntnis ihrer Schuld wäre? Die Herren werden doch dem Gericht nicht vorreden wollen, sie hätten beim Erscheinen unbegründeter Verleumdungen erst einen Vermittler zu Harden geschickt, um ihn zur Einstellung seiner Angriffe zu bewegen. Das dürfen Sie keinem deutschen Gericht vorreden, das glaubt höchstens ein Dienstmann, wenn er dafür bezahlt wird. (Heiterkeit.) Nun zur Erklärung des Privatklägers über die Gründe seiner Entlassung. Graf Moltke behauptet, ein deutscher Mann und Soldat müsse sein Amt niederlegen, wenn er angegriffen worden ist, um sich dann erst zu verteidigen. Wenn jemand verleumdet ist und ein gutes Gewissen hat, dann braucht er sein Amt nicht ohne weiteres niederzulegen. Ist der deutsche Reichskanzler kein deutscher Mann, kein deutscher Edelmann, steht er nicht an einer Stelle, wo jeder Anhauch vergiftend wirken muß? Dieselben Beschuldigungen sind auch gegen den deutschen Reichskanzler Fürsten Bülow – ich glaube, mit absolutestem Unrecht – erhoben worden. Was hat er getan? Er wäre ja verrückt, wenn er deswegen sein Amıt niedergelegt hätte. Er hat es nicht getan, warum? Er ist unschuldig, er hat sich nicht zu fürchten. Dem Reichskanzler Fürst Bülow hat es die Staatsanwaltschaft auch geglaubt, daß er unschuldig ist, und weil sie es ihm geglaubt hat, deswegen hat sie die öffentliche Klage für Bülow erhoben und für Moltke abgelehnt. Nicht ein deutscher Edelmann und Soldat mußte so handeln wie der Kläger, sondern ein Schuldiger. Wir schonen noch immer den Privatkläger, ich glaubte sicher, er würde schon am zweiten Verhandlungstage die Klage zurücknehmen. Der Kläger widerspricht sich selbst, wenn er auf der einen Seite erklärt, seine Entlassung habe mit den sexuellen Dingen nichts zu tun, und dann den Wunsch daran knüpft, Harden solle recht hart verurteilt werden, weil er an dem Verlust des Amtes schuld sei. Glauben Sie denn, daß die bloßen Artikel der „Zukunft“ die Amtsentlassung des Fürsten Eulenburg und des Grafen Moltke veranlaßt hätten, wenn sie nicht wahr wären? Diese Meinung wäre ja beinahe eine Majestätsbeleidigung. Für den Kaiser ist die Annahme absolut beleidigend, und die Annahme ist deshalb absolut falsch, daß so ernste Entschließungen, wie die Entfernung der Träger alter Namen aus ihren Ämtern, ohne genügende Prüfung gefaßt werden. Für mich ist die Frage: Sind Fürst Eulenburg und Graf Kuno Moltke so aufgetreten, daß das Vorgehen des Schriftstellers Harden berechtigt war?, für mich ist diese Frage bereits entschieden, und zwar von allerhöchster Stelle durch Se. Majestät den Kaiser. Ich berufe mich auf Se. Majestät, um dessen Meinung über den Grafen Kuno Moltke zu hören. Er denkt über ihn so, daß er trotz alles dessen, was der Verteidiger an dem Kläger rühmte, ihn aus seiner Stellung und aus seiner Nähe entfernt hat. Das ist das Urteil, das schon gefällt worden ist in dem Beleidigungsprozeß Moltke contra Harden. Alles, was die Gegenseite gegen die Tendenz des Angeklagten und die Berechtigung seiner Artikel gesagt hat, ist durchaus falsch – alles, was in den Artikeln steht, ist durchaus wahr und zwar erweislich wahr! Wenn man einen Päderasten einen Päderasten nennt, so ist das doch keine Perfidie, wie von der Gegenseite behauptet wurde. Herr Harden hat von Herrn Lecomte gesprochen und von anderen Päderasten, und es ist doch merkwürdig, daß, wenn jemand ruft: Päderast! nun Herr Graf Moltke die Tür aufmacht und fragt: Wer hat mich hier gerufen? (Heiterkeit.) Was geht den Grafen Moltke die aktive Homosexualität des Herrn Lecomte an? Weshalb stellt er den Strafantrag, wo es sich um Herrn Lecomte handelt? Ich bin am Ende. Der gegnerische Kollege hat gesagt: Heraus mit der Sprache! Ich sage: Heraus mit den Männern! Was der Kläger mit dem Prozeß eigentlich will, will ich Ihnen sagen! Er will appellieren gegen das Urteil Sr. Majestät! Dort ist er verurteilt, denn es ist eine Verurteilung, wenn der Kaiser den Privatkläger unter solchen Umständen, wo dieser so schwer beschuldigt wurde, nicht hält, sondern ihn zur Disposition stellt. Der Kaiser muß doch seine triftigen Gründe dafür gehabt haben. Beleidigend für Se. Majestät ist der Gedankengang, aus dem heraus der Kläger sich rechtfertigen will! Der Gegner hat gesagt: Die intellektuellen Leute fürchten sich, in das politische Leben einzutreten; er hat das Gericht ersucht, durch sein Urteil den Männern wieder den Mut zu stärken. Ja, stärken Sie den deutschen Männern den Mut, stärken Sie den deutschen Bürgern, die Schriftsteller sind, den Mut die Wahrheit zu sagen. Stärken Sie auch den anderen Bürgern den Mut, indem Sie ihnen die Zuversicht geben, daß, wenn sie in den Raum des Deutschen Reiches eintreten, in einen reinlichen und sauberen Raum eintreten! Geben Sie durch Ihr Urteil Ausdruck, daß Sie Leute, die den Anschauungen und Betätigungen des Klägers huldigen, nicht als führende Männer für das deutsche Volk anerkennen wollen. Wenn Sie Herrn Harden verurteilen, werden Sie deutsche Männer nicht ermutigen, sich mit Politik zu beschäftigen. Dann werden diejenigen, die da glauben, daß es wahr ist, was Harden geäußert hat, sagen: Wenn man in Deutschland die Wahrheit sagt, wird man bestraft! Nun sagen Sie durch Ihr Urteil: Im Deutschen Reiche darf ein deutscher Mann die Wahrheit sagen! – Justizrat Dr. v. Gordon trat den Worten des Verteidigers in längeren Ausführungen entgegen. Die Tatsache, daß die Staatsanwaltschaft die Erhebung der öffentlichen Anklage abgelehnt hat, suchte er zu erklären, indem er auf folgenden Satz in dem Beschlusse hinweist: „Wenn den Mitgliedern der Tafelrunde homosexuelle Dinge vorgeworfen werden, so handelt es sich um Dinge aus dem allerintimsten Privatleben der dazugehörigen Herren, welche natürlich ein öffentliches Interesse nicht beanspruchen können.“ – Alsdann erhob sich, sichtlich in großer Erregung, der Privatkläger Kuno von Moltke und machte, unter Zuhilfenahme eines Konzepts, folgende Ausführungen: Würde ich hier stehen, wenn ich nicht vor Gott und den Menschen sagen könnte, ich fühle mich nicht schuldig! Ich begreife es nicht, weshalb man mir immer wieder die Frage vorlegt, weshalb ich nicht mehr Stadtkommandant bin. Denken Sie denn, ich kann als Kommandant in Uniform hier sitzen und mir zwei Stunden lang Lügenhaftigkeit und andere Beschuldigungen vorwerfen lassen? Dann soll ich hinausgehen und soll verlangen, daß ein Mann auf der Straße mich grüßt, mir mit Achtung und Respekt begegnet? Nein! Das geht nicht, und das ist die ganz einfache Lösung dieser Frage. Jeder Soldat weiß, daß dies nicht geht! (Mit zitternder Stimme): Ich bin selbst nur ein einfacher Soldat, ich besitze keine rhetorische Gewandtheit, ich bin nicht gewöhnt, mich vor einem Forum gegen Verdächtigungen und den Vorwurf der Lügenhaftigkeit zu wehren. Aus der Kabinettsorder vom 24. Mai geht nur hervor, daß ich zur Disposition gestellt worden bin, nichts weiter. Wenn gesagt wird, es sei angeblich noch eine geheime Order vorhanden, so erkläre ich das für unwahr. Eine solche Order, in der mir eine Perversion vorgeworfen wird, existiert nicht. Ich bin in allen Ehren entlassen worden. Es ist hier vorgebracht worden, daß die Staatsanwaltschaft die Erhebung der öffentlichen Klage abgelehnt hat. Ich werde eine andere Erklärung für diese Ablehnung geben: Die Staatsanwaltschaft hat einen Skandal vermeiden wollen, der bis an die Stufen zum Thron heranreichen würde, nicht zum Segen des Vaterlandes. Das Mißtrauen und die Ansicht, die durch diesen Prozeß in das Volk eingedrungen ist, daß „oben“ alles versumpft sein soll, ist schwer wieder auszurotten. (Mit lauter Stimme): Ich hätte es wahrlich bequemer gehabt, wenn ich mich von Anfang an zurückgezogen und mich um nichts gekümmert hätte, aber ich wollte es nicht, ich wollte mich gegen diese Angriffe verteidigen. Wenn ich hierher kam, so tat ich es, um meine in den Schmutz getretene Ehre als alter Soldat mir wieder selbst herzustellen. (Wiederholtes Bravo! im Zuhörerraum. Der Vorsitzende rügte diese Kundgebung auf das energischste.) Als Beweis führe ich an, daß ich des Königs Rock, den ich so gern und mit vollem Stolz 42 Jahre getragen habe, in dem ich geblutet habe für das Vaterland, ausgezogen habe, um überhaupt hier erscheinen zu können, denn als Soldat durfte ich hier nicht stehen, als Soldat durfte ich mich hier nicht beschimpfen lassen. Ein Offizier durfte sich hier nicht so angreifen lassen, deshalb mußte erst der Rock herunter. (Mit vor Erregung fast heiserer Stimme): Das Geflüstere, das Geraune, das nun entstanden ist, das heimliche Tuscheln, das entsteht, wenn man mich sieht, das gibt mir recht. Das durfte ein Offizier in Uniform sich nicht bieten lassen. Heute am Geburtstage des seligen Feldmarschalls Moltke sollte ich in Uniform die Linden entlang gehen, wo es mir von den Zeitungshändlern gellend entgegengerufen wird, wie man den Namen Moltke in den Schmutz zieht. Damals herrschte Jubel an diesem Tage Unter den Linden und heute – man möchte heute rufen: „Kreuzige ihn!“ –, wo man damals Hosianna rief. Unter diesen Umständen eine Uniform tragen, geht einfach nicht, nachdem ich durch Schuld jenes Mannes in aller Leute Mund gekommen bin. Das ist das Motiv, weshalb ich den Rock ausgezogen habe, und ich bin Sr. Majestät dankbar, daß er mir dazu verholfen hat, meine Ehre reinzuwaschen. – Ich betone es nochmals, niemals hat die Freundschaft zwischen mir und dem Fürsten Eulenburg einen erotischen Zug gehabt. Ich erkläre ferner hier nochmals: wenn ich vor Gericht eidlich als Zeuge vernommen worden wäre, so hätte ich unter meinem Zeugeneide ausgesagt: „Ich habe nicht gewußt, daß seitens des Grafen Hohenau oder der anderen Herren irgend eine homosexuelle Veranlagung vorliegt.“ – Ich habe 42 Jahre des Königs Rock mit Stolz getragen, und niemand hat daran zu tasten gewagt und mir auch nur das geringste nachsagen können; dieser Mann, der dort sitzt (mit der Hand auf Harden weisend), dieser Mann hat es gewagt, und es ist ihm geglückt, mich in meiner Ehre zu kränken. Im In- und Auslande ist mein Name in aller Munde. Ich habe das feste Vertrauen zu einem preußischen Gerichtshof, daß er meine Ehre zu wahren wissen wird, und lege alles vertrauensvoll in Ihre Hände! (Vereinzelte Bravorufe im Zuhörerraum.) – Verteidiger Justizrat Bernstein führte nochmals aus: Wenn man anerkennt, daß sich Dinge ereignet haben, die uns in allen Augen herabsetzen, dann kann man doch nicht denjenigen bestrafen, der diese schmählichen Mißstände beseitigen will. Diese Mißstände sind doch da und existieren, und man muß dankbar sein, daß jemand die Eiterbeule aufzustechen wagte. Und wenn der Kläger noch zehnmal beweglicher spricht: er hat Dinge behauptet, die nicht wahr sind und deren Unwahrheit er kannte! Wenn das irgendwie bezweifelt wird, dann bitte ich, in die Beweisaufnahme nochmals einzutreten und den Frhrn. Alfred v. Berger als Zeugen zu vernehmen, der bekunden wird, daß, in Bezug auf seine Vermittelungsbeziehungen und in Bezug auf die Kenntnis des Klägers über die Bedeutung der Hardenschen Artikel, Fürst Eulenburg und Graf Kuno v. Moltke bewußt die Unwahrheit gesagt haben. Herr Harden hat lediglich aus politischen Gesichtspunkten gehandelt und nur das angedeutet, was er andeuten mußte. – Graf v. Moltke: Ich stehe hier für mich allein und kann nur für mich allein kämpfen. Hier stehe ich, ich kann nicht anders! Ich muß den Vorwurf der Unwahrheit mit aller Entschiedenheit nochmals zurückweisen. Ich habe keinen anderen Ausweg gefunden, gegen Herrn Harden vorzugehen als, nachdem ich den Rock ausgezogen habe, mit Hilfe des Gerichts. Die kleinen Spitzen und Andeutungen habe ich in den ersten Artikeln wohl gemerkt, aber ich habe den Zusammenhang der Dinge erst in dem Artikel vom 17. April erkannt, so daß ich dann erst den Weg der Privatklage beschreiten konnte. Man fragt hier immer wieder: warum ist der Graf Kuno v. Moltke nicht mehr Stadtkommandant von Berlin? Ich habe meinen Rock ausgezogen wegen der Verleumdungen und Verdächtigungen in den Artikeln der „Zukunft“ und wegen keiner anderen Sache. – Justizrat Dr. v. Gordon bedauerte in einer nochmaligen Erklärung auf das tiefste, daß der Chef des Militärkabinetts v. Hülsen-Haeseler nicht vernommen wurde, denn durch dessen Bekundungen würden die Behauptungen der Gegner über das Ausscheiden aus dem Dienst einfach widerlegt werden. – Es nahm darauf das Wort Angeklagter Maximilian. Harden: Meine Herren Richter! Sie haben mich in diesen Tagen leidenschaftlich gesehen, vieleicht mitunter mehr als es angemessen war. Entschuldigen Sie mich einstweilen, Sie werden hören, was mich dazu trieb. Ich bitte um die Erlaubnis, mich zunächst einen Augenblick, ehe ich auf das eingehe, was den Kern meiner Schlußrede bilden soll, mit der Erklärung zu beschäftigen, die der Herr Privatkläger vor einigen Stunden gegeben hat und die geschickt, gut, wirksam jeder nennen muß, der sich nicht blenden läßt und der nicht zu fragen hat, wie weit jeder Ton aus derjenigen Tiefe kam, die solchen Tönen Resonanz gibt. Meine Aufgabe als des Angeschuldigten ist, ruhig zu prüfen: was ist darin gesagt? Was ist dadurch an dem Ergebnis dieser Beweisaufnahme geändert. Der Herr Privatkläger hat gesagt: heute ist der Geburtstag Moltkes. Der Schatten des Namens schwebt über allem. Das wußte ich von der ersten Stunde dieser Aktion an. Dieser Name und noch eine Reihe anderer preußischer Namen schwebten als Schatten darüber. Ich lasse es dahingestellt, wie weit der Privatkläger eine persönliche Gemeinschaft mit dem großen Marschall, dem Stolz Deutschlands, gehabt hat. Ein Blutsverwandter ist er nicht. Dieser Marschall Moltke, der dann eines Tages der große Marschall werden sollte, hat eines Tages in seiner Jugend, wie Sie aus seinen Briefen wissen, eine Leiche aus der Ferne nach Deutschland gebracht, die Leiche eines preußischen Prinzen, wenn ich nicht irre, hieß er Heinrich, der Bruder Friedrich Wilhelms III. Dieser preußische Prinz war geschlechtlich pervertiert gewesen und war deshalb vom Hofe verbannt worden. Und es war ein Moltke, Helmut der Große später, der diese Leiche zurückbrachte. Ich glaube, der Herr Privatkläger sollte nicht eine Leiche zu retten versuchen; er sollte nicht eine Leiche auf seinen Rücken laden, bloß deshalb, weil er, vielleicht selbst in gutem Glauben, den ich nicht angezweifelt habe, Jahrzehnte lang in seinem Leben mit dieser Leiche, die ich jetzt als solche ansehe, befreundet war. Es steht doch unzweifelhaft fest, daß die früheren Behauptungen des Privatklägers, wonach er erst spät über die wahre Bedeutung der Artikel aufgeklärt worden sei, unrichtig waren. Erst jetzt hat er zugegeben, daß die Darstellung des Herrn v. Berger richtig ist. Warum hat er das nicht früher anerkannt? Wenn man ein alter General ist, sollte man seinem Gegner doch auch zugeben, was nicht zu bestreiten ist. Der Privatkläger sagt: wie kann man ernstlich einem alten General solche Dinge zutrauen? Nun, Wilhelm von Hohenau war ein ebenso alter General wie Graf von Moltke, und wir wissen, wie Tieftrauriges, Entsetzliches sich an seinen Namen knüpft. Wenn der General von Moltke sich heute als General, als Patriot fragt: sollten alle Widerwärtigkeiten, die er durchzumachen hatte, trotzdem in ihm den Wunsch aufkommen lassen, daß ein Mann, wie der Graf Wilhelm Hohenau noch weiter vom Kaiser geduzt werde und der andere Mann noch am Ruder wäre, so meine ich, er muß antworten: es ist gut, daß es so gekommen ist! Der Herr Graf Moltke klagt in beweglichen Tönen über die üble Lage, in die er gebracht worden, hier vor Gericht auf Herz und Nieren sich prüfen zu lassen. In derselben üblen Lage haben sich schon andere, nicht unbedeutendere Herren befunden: ein Miquel, ein Marschall und Fürst von Bülow wird demnächst in dieser Lage sein. Wenn einer etwas gewagt hat in dieser Sache, so bin ich es. Ich habs gewagt! Und wenn ich auch nicht einen Rock trage mit buntem Kragen, und wenn ich mir meinen Namen selbst gemacht habe, so habe ich doch die Ehre dieses Namens ebenso ernst zu wahren. Was die Entlassung des Privatklägers betrifft, so datiert das Eingreifen des Kronprinzen vom 2. Mai 1907, das Abschiedsgesuch des Privatklägers vom 3. Mai und am 24. Mai ist das Abschiedsgesuch genehmigt. Meine seltsamen Erlebnisse machen es mir schwer, auf den regierenden Herrn eine Hymne zu singen, aber das wird mir doch kein Mensch einreden wollen, daß der regierende Herr die Entlassung eines Generals, der ihm sehr nahe stand und den er mit Beweisen seiner Huld überschüttet hat, dekretieren wird, bloß weil ein hundsgemeiner Kerl – als der ich ja verschrien werde – ein Paar Worte geschrieben hat, die in einer gewissen Sphäre einige Leute bespritzten. Nebenbei bemerkt: Graf Kuno v. Moltke weist den Verkehr in der Villa Adler mit Entschiedenheit zurück. Habe ich jemals gesagt, daß er in der Villa Adler mit männlichen Personen Umgang gehabt habe? Es wäre aber doch freundlich von dem Privatkläger gewesen, wenn er mitgeteilt hätte, daß er zwei Häuser von der Villa Adler in Potsdam wohnte, und daß er seine Wohnung vom Grafen Lynar übernommen hat. Ich stehe hier für eine lautere Sache ein, für mich und meine Existenz! Ich habe die Artikel nicht geschrieben, um den General v. Moltke in Schmutz zu ziehen. Nein, ich habe ihn davor bewahrt, solange ich es konnte! Die Homosexualität, die eigentlich eine unendlich kleine Rolle in diesem Prozeß darstellt, ist hier in ausgedehnter Weise behandelt worden. Der Angeklagte legte alsdann in eingehender Weise seine Stellung zu dieser Frage dar und verlas einen Artikel der „Zukunft“, in welchem für Aufhebung des Paragraph 175 plädiert wurde. Daran knüpfte sich eine historische Klarlegung der einzelnen Phasen, die schließlich zur Veröffentlichung der Artikel geführt haben. Diese verfolgten einzig und allein einen politischen Zweck, so etwa fuhr Harden fort, nämlich den Zweck, Leute, deren Einfluß auf den Kaiser mir verderblich zu sein schien, aus dieser ihrer Position zu entfernen. Aus dem Tagebuch des alten Chlodwig Hohenlohe ging deutlich hervor, welche unheilvolle Rolle Fürst Eulenburg gespielt hat. Es mußte mich zum Eingreifen veranlassen, daß ein Mann von der enormen, noch heute maßlos unterschätzten Bedeutung des Fürsten Eulenburg solche Gepflogenheiten hat, daß er nicht dulden will, daß sein Freund mit seiner Gemahlin ehelich verkehrt. Ist es normal, daß man vom Deutschen Kaiser als vom „Liebchen“ spricht? Das sind schlimmere Dinge als die unter Friedrich Wilhelm IV. Da mußte ich sprechen, wenn kein anderer den Mut dazu fand. All die vom gegnerischen Anwalt aus meinen Artikeln herausgelesenen beleidigenden Andeutungen auf das Geschlechtsleben des Privatklägers stehen ja gar nicht darin. In den inkriminierten Artikeln ist in beleidigender Weise von dem Grafen Moltke nicht die Rede, und die Auslegung, die der Privatkläger und sein Vertreter diesen Artikeln gibt, widerspricht jeglicher Logik und ist überaus gequält. Wenn ich das hätte sagen wollen, was die Gegenseite behauptet, dann hätte ich ja nur die Darstellungen in vorhandenen Akten zu veröffentlichen brauchen, und was wäre dann gewesen? Dann hätte ich auch noch nicht bestraft werden können. Baron v. Berger würde, wenn er in diesem Saale als Zeuge vernommen worden wäre, auf meine Fragen geantwortet haben: er habe am 25. November dem Fürsten zu Eulenburg klaren Wein eingeschenkt, daß Harden ihn für einen Mann von abnormer Sexualität hält und es am besten sei, wenn der Fürst von der Bildfläche verschwinde. Dann würde ich den Baron v. Berger weiter gefragt haben: Und was hat der Fürst darauf geantwortet? Ich würde die Antwort erhalten haben: Nichts! Dann würde ich weiter gefragt haben: „Hat er irgendwie darauf reagiert?“ und Baron Berger würde darauf geantwortet haben: „Ja, er hat die Augen niedergeschlagen!“ – Glauben Sie, ich hätte je den Wunsch gehabt [WS 4], den Herrn Stadtkommandanten von seinem Posten zu verdrängen? Ich hatte gar kein Interesse daran, ich wollte einen anderen treffen! Für einen Politiker wie Fürst Eulenburg ist es von unschätzbarem Wert, durch einen zuverlässigen Mann alles aus der Umgebung des Kaisers zu erfahren. Es ist beschworen, daß tatsächlich zeitweise täglich vom Grafen Moltke an den Fürsten Eulenburg solche Berichte gesandt wurden. So also malt sich mir das Verhältnis. In dem Moment, wo sich der Fürst Eulenburg zurückzog, war für mich die Person des Grafen Moltke völlig uninteressant. Der Fürst kam zurück, und es kamen böse politische Dinge über Deutschland. Da nahm ich die Aktion wieder auf und sagte, die Herren möchten sich zurückziehen. Die Bemerkungen waren nur verstanden worden von dem Fürsten Eulenburg und dem Grafen Moltke. Diese Herren wurden noch vom Baron v. Berger darauf aufmerksam gemacht. Damals hat Graf Moltke die Möglichkeit eines Duells nicht benutzt, sondern erst nach Monaten, nachdem er auch schon gehört hatte, daß ich eine Herausforderung nicht annehmen würde. Sehr bald nach diesen Artikeln begann dann die Aktion des Kronprinzen, denen Vorträge folgten, darunter eine dreistündige Unterredung des Herrn v. Hülsen-Haeseler. Keiner der Herren, die in meinen Heften genannt waren, ist auf seinem Posten geblieben. Hab’ ichs bewirkt? Nein, Exzellenz v. Moltke! Dazu habe ich nicht die Macht – leider nicht, denn sonst würde ich vielleicht manches Revirement versuchen. Ich habe wirklich nicht die Macht dazu, und es war ein freundlicher Scherz eines Spaßvogels, der da sagte: Um Gotteswillen, der Harden regiert jetzt Preußen! Nachher kam der Spektakel in den Zeitungen, und man schrie in die Welt hinein: Der Harden kneift! Das ist ganz und gar nicht der Fall, und deshalb schrieb ich den Artikel „Nur ein paar Worte“, welchen wieder verschiedene Herren von der Presse als einen Rückzug, als eine Art Feigheit erklärten. Jetzt werden sie dies hoffentlich nicht mehr behaupten. Die Herren von der Presse hatten übersehen, daß ich nicht journalistisch, sondern politisch wirken wollte. Ich kannte doch alle die Dinge, um welche es sich handelt, ich hatte ja die Briefe nicht nur der Frau v. Elbe, sondern auch des Vaters und der Mutter, ich hatte alles schwarz auf weiß in meinem Schreibtisch, dickleibige Akten und hätte doch tausendfach mehr veröffentlichen können, als ich veröffentlicht habe. Was die Haltung der Staatsanwaltschaft betrifft, so glaubt doch der Privatkläger im Ernst nicht, daß die Staatsanwaltschaft dem Harden im Grunewald zu Liebe von der Erhebung einer öffentlichen Anklage abgesehen hat – nein, die Staatsanwaltschaft hat eine Beleidigung überhaupt nicht in den Artikeln gefunden, und wenn eine solche vorhanden sein sollte, sich nicht damit befassen wollen. Ich habe auch keine mächtigen politischen Hintermänner, sondern pflege selbst für mich einzustehen und selbst das zu tun, was ich für richtig finde. Ein paar politische Worte will ich noch hinzufügen. Es ist hier erzählt worden, was Fürst Bismarck über den Fürsten Eulenburg gesagt hat, an dessen Sturz der letztere auch nicht ganz unbeteiligt war. Wodurch ist diese weltgeschichtliche Tragödie entstanden? Ich habe Tage lang von früh bis spät bei dem Fürsten Bismarck geweilt. Ich sage es hier ganz offen: Fürst Bismarck war einer der schlechtesten Menschenkenner, den es je gegeben hat! Ah, ich sehe, Herr Justizrat Dr. v. Gordon macht sich sofort eine Notiz; er wird nun sagen: also kann er sich auch bezüglich des Fürsten Eulenburg getäuscht haben. Ich erwarte dies ruhigen Herzens. Dieser schlechte Menschenkenner, dieser kraterhafte Mann hatte sich auch in der Natur des dritten Kaisers getäuscht, und der psychologische Hauptgrund zu dem Sturz Bismarcks war, daß der Kanzler dem jungen Herrscher zwar ehrerbietig, aber kraftvoll vor Zeugen sachlich entgegenzutreten wagte. Neben der Persönlichkeit des vorwärtsstrebenden Monarchen war ein Grüppchen, das eigentlich große Ziele für das Deutsche Reich nicht verfolgte, aber auch nicht vaterlandsverräterische natürlich, das aber in seiner Weise doch nur ganz kleine Etappen vorrückte und vor allem den Wunsch hatte, im richtigen Licht zu stehen und den Herrn bei guter Laune zu erhalten, auch ihm nicht lästig zu werden durch Widerspruch. So hat Bismarck ganz ungeheure Schwierigkeiten dadurch gehabt, daß seiner durchaus männlichen offenen Art entgegenstand dieses sehr himmelnde Wesen der anderen Seite. Der zweite Kanzler ist in Liebenberg gestürzt worden, der dritte war Hohenlohe. Dieser alte Herr ist so weit gekommen, daß er schäumte, wenn der Name dieses Eulenburg auch nur genannt wurde. Der vierte Kanzler, der noch im Amte ist, ja der ward Kanzler durch den Fürsten Eulenburg. Bülow war Botschafter in Rom, und Fürst Eulenburg war Botschafter in Wien und wollte Bülow zum Kanzler machen. Hier in diesem Hause, in diesem Saale ist der damalige Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Freiherr Marschall v. Biberstein unterlegen in der Tausch-Affäre, einer Affäre, über die der frühere Botschafter in Wien, wenn er uns die Ehre seiner Anwesenheit geschenkt hätte, genötigt gewesen wäre, sehr viele Sachen mitzuteilen. Marschall war nicht mehr möglich, aber Fürst Eulenburg ist, trotzdem er eng verwickelt war in diese Angelegenheit, noch stark genug gewesen, den Nachfolger selbst zu kreieren. Er ersah dazu den Bülow in Rom. Bülow wollte nicht; er hatte eine italienische Gemahlin, die fuhr zu Eulenburg, aber dort war nichts zu machen. Ich erwähne das ausdrücklich, da es beweist, daß es tatsächlich eine okkulte Instanz gab, die die Sache machte. Die Frau fuhr nicht nach Berlin und stellte Majestät die Sache vor, sondern nach Wien und bat Eulenburg, er möchte sie in Rom lassen. Eulenburg sagte: Bernhard muß nach Berlin – die Herren duzten sich ja auch. Als sie meinte: Tun Sies doch lieber!! sagte Eulenburg: „Nein, ich will Könige machen, aber nicht König sein!“ – Das ist einer dieser Fälle, von denen ich Ihnen eine ganze Reihe aufzählen könnte. Auch dieser vierte Kanzler ist in Todfeindschaft geraten mit dem Manne, der ihn kreiert hatte. Auch dadurch geht ein tiefer, äußerlich kaum verhüllter Haß. Vier Kanzler haben es versucht, seinen Einfluß zu beseitigen, es ist ihnen nicht gelungen. Ich habe den Versuch auch gemacht. Er ist mir nicht gelungen, aber ich habe mitgewirkt, daß es geschehen ist. Ich habe mitgewirkt daran, daß heute Fürst Eulenburg keinen politischen Einfluß mehr hat; daß der Herr Botschaftsrat Lecomte nicht mehr in Berlin ist. Ich glaube nicht, daß er unsere Stadt wieder betreten wird. Halten Sie das für ein nationales Glück oder für ein nationales Unglück? Ich halte es für ein Glück. Wissen Sie, was geschehen war, wissen Sie, daß wir unmittelbar vor einem Kriege standen mit zwei Nationen? Wissen Sie, warum wir zu der Marokkoaffäre kamen? Hatten wir da was zu suchen, haben wir je daran gedacht, in Marokko Eroberungen zu machen? Bülow selbst hatte im Reichstage gesagt, daB wir daran nicht denken; Bismarck hatte gesagt: Laßt die Franzosen Marokko nehmen, um so sicherer sind wir im Elsaß. Was ist hier geschehen? Die allerhöchste Person im Deutschen Reich ist in den Glauben versetzt worden, in Frankreich sei die Stimmung soweit gediehen, daß eine offiziell sichtbare, deutlich ostentativ bezeichnete Versöhnung stattfinden könne. In Frankreich waren gewisse Leute zu dem Glauben gebracht worden, Deutschland sei so weit, daß es nachgeben oder gewisse Konzessionen machen werde, daß es vom Frankfurter Frieden etwas nachlasse. Der Präsident der französischen Republik war aufgefordert worden, ein Zusammentreffen mit dem Deutschen Kaiser an der italienischen Küste zu haben. Und als diese Möglichkeit sich im letzten Moment als eine Unmöglichkeit erwies, als sich zeigte, daß es noch lange nicht in Frankreich ruhig sei, da empfand man das hier als eine Brüskierung, weil man getäuscht worden war über die Stimmung in Frankreich. Durch wen? Durch den Freund des Schloßherrn von Liebenberg – Lecomte. In dieser Sache ist alles fast abenteuerlich, was mein Erleben betrifft. Die Tatsache, daß Herr Lecomte in Liebenberg mit dem Kaiser zusammengetroffen ist, ist eigentlich ein Unikum, denn die Staatsoberhäupter verkehren nur mit den Chefs der Ressorts und nicht mit den Botschaftsräten. Diese Tatsache des Zusammentreffens des Monarchen mit dem Botschaftsrat Lecomte habe ich nicht von Geheimrat Holstein erfahren, sondern er von mir. Ich habe es erfahren von einem Freunde des Fürsten Eulenburg, von einem Ritter des Schwarzen Adlerordens. Dieser Herr sagte, so schlimm sind die Sachen in Liebenberg gar nicht, die Herren unterhalten sich dort nur über – Kunst und französische Architektur, und auch als S. M. mit „Phili“ und Lecomte im Garten ein paar Stunden spazieren gingen, wurde nur über Kunst gesprochen. Mit Lecomte? fragte ich. Ja, S. M., Phili und Lecomte! Es war mir schmerzlich, das zu hören. Daß diese ganze langnachwirkende Marokkoaffäre durch eine Täuschung entstanden ist, durch eine Täuschung der maßgebenden Stelle über das, was heute schon in Frankreich möglich ist. Wir haben nur dann das einmal Eroberte nicht wieder aufzugeben. Man hat hier viel zu früh geglaubt, ernten zu können. Eine zweite solche Täuschung ist in der Zeit der Konferenz geschehen, und es hat 3½ Monate gewährt, daß zwei Politiken in Deutschland verfolgt wurden, deren eine nichts von der andern wußte; eine Politik der allerhöchsten Person und eine Politik des Kanzlers. Es hat einen Moment gegeben, wo der Botschafter der französischen Republik zum Staatssekretär des Auswärtigen Amtes sagte: Was Sie da erzählen, ist ja interessant, aber Euer Kaiser denkt ganz anders. Woher wußte es der Botschafter? Von seinem Botschaftsrat. Weil ich finde, daß dieser Mann ganz ungeheuerlich lange Botschaftsrat an einer Stelle war, weil er seiner Regierung hier unschätzbare Dienste leisten konnte, weil ich wußte, daß daraus Dinge entstehen mußten, die dem Deutschen Reich sehr schädlich würden. Darum gehört dieser Mann in die Gruppe. Er ist ein ganz intimer Freund des Fürsten Eulenburg von München her und wenn der andere intime Freund so nahe seinem Kaiser steht, so kann ich, wenn ich auch nicht an seiner guten Absicht zweifle, das nur für ungeheuer schädlich für das Deutsche Reich halten. Es war auch nötig, darauf hinzuweisen, daß diese Persönlichkeiten Abweichungen von der Norm zeigen. Das gibt eine Gemeinschaft, die dem andern nicht sichtbar ist; das gibt eine Verbündelung, von der der andere, der Entscheidende nichts ahnt. Deswegen brauche ich gar nicht vom Päderasten zu sprechen, ich habe das auch nicht getan. – Ich habe nichts weiter getan, als daß ich die Grundform des Wesens eines zusammehängenden Grüppchens objektiv unheilvoll wirkend bezeichnet habe. Das, was ich in dieser Beziehung erweisen wollte, habe ich erwiesen und was nebenbei in sexuell-pathologischer Beziehung zu erweisen war, ist hier auch erwiesen. Das Verfahren hier hat doch einen merkwürdigen Verlauf genommen. Von allen Zeugen, die ich zu meiner Entlastung vorgeladen habe, sind ja die meisten nicht erschienen. Ich habe nicht die obszönen Dinge an die Öffentlichkeit gezogen, die widerwärtigen Dinge, die jetzt schon jeder weiß: daß sich schon ein ganzer Soldatenstrich in den Zelten in Berlin entwickelt hat, daß ganze Kavallerieregimenter verseucht sind, daß dem Minister von Bethmann-Hollweg – dem Polizeiminister! – unsittliche Anträge gemacht werden konnten. Mich gingen diese Dinge gar nichts an: ich habe nach meinen besten Kräften nur dazu mitzuwirken gesucht, eine schädliche politische Entwickelung abzuwenden. Nun ist mein Hauptzeuge, der Fürst Eulenburg, ausgeblieben. Merkwürdig, er ist immer todkrank, wenn es sich um heikle Dinge handelt. Er war krank, als er im Tausch-Prozeß aussagen sollte, er war krank, als Baron Berger in Unterhandlungen eintrat und ist jetzt wieder krank. Ich hätte warten können, bis der Zeuge Fürst Eulenburg als Zeuge hier erscheinen kann, aber was hier zu erweisen war, ist erwiesen worden! Nach dem ersten Tag der Verhandlung mußte ich sagen, morgen muß doch Graf Moltke aufstehen und sagen: ich selbst bin unschuldig, aber ich muß anerkennen, daß dieser Harden, der seit fünf Jahren alles weiß und davon keinen Gebrauch machte, hier nicht die Absicht hatte, Skandal zu machen, sondern, daß er als Politiker mit seinen Artikeln einen Zweck verfolgte, der von seinem Standpunkte aus berechtigt erschien. Da ich Christ, Edelmann und ein Moltke bin, will ich ihm nicht den unberechtigten Vorwurf machen, er habe hier nur verleumden wollen. Ich nehme deswegen die Klage zurück. Die Argumente des Privatklägers, daß er General ist und 40 Jahre treu gedient hat, sind ja nicht zu bestreiten, aber an höchster Stelle hat man ihn trotzdem seines Postens enthoben. Nicht in derselben Weise wie die anderen. Man hat ihm die Uniform gelassen und ich bin der letzte, der dahin wirken würde, daß er sie auszieht. Es gibt einen Kreis von Personen, ich kenne ihn auch ganz genau und könnte ihn hier im Gerichtssaale nennen, der das wollte, aber „oben“ hieß es: Eulenburg weg, Hohenau ganz weg, gegen Moltke liegt gar nichts Bestimmtes vor, aber wir müssen ihn zur Disposition stellen und er soll seine Integrität nachweisen. „Gereinigt oder gesteinigt!“ Diese Worte sind an höchster Stelle gesagt worden. Und wenn ich in dieser Sache ein Verdienst habe, so will ich das am Ende sagen: Was wäre denn geschehen, wenn eines Tages alles im „Vorwarts“ stand, alle diese Sachen, ich will’s nicht ausmalen, und mein Verdienst ist sehr groß an der Sache. Mein Verdienst ist nämlich dieses, daß der „Vorwiarts“ nicht zuerst eingegriffen hat. Der erste, der eingegriffen hat, das war der deutsche Kaiser, der hat gehandelt, bevor die Sache an die Öffentlichkeit kam, und der die Dinge so lange der Öffentlichkeit vorenthielt, das ist Ihr ergebenster – – und das ist mein Verdienst allerdings. Und wenn Sie vom Ausland sprechen, so ist mir das ganz gleichgültig. Das Ausland kann, wenn es gerecht und vernünftig urteilen will, nur sagen: Deutschland ist ein Land wie andere, da kommen solche Dinge auch vor. Aber es muß sagen: Donnerwetter, es sind doch famose Kerle; der erste, der eingriff, war der Kaiser und der ihn dazu angeregt hat, das war sein erstgeborener Sohn, der Kronprinz. Und wenn ich vor 13 Jahren in diesem Hause ein Erkenntnis erstritten habe, in der Strafkammer, vor dem Landgerichtsdirektor Schmidt, wo ich gesagt habe, es gibt auch eine andere Art dem Kaiser zu dienen, als vor ihm zu knien, nämlich ihm mit der Wahrheit zu dienen, so habe ich mich jetzt an dieses Erkenntnis gehalten und ich glaube, ich kriege noch ein solches. Ich habe nichts mehr zu sagen. (Lebhafte Bravorufe.) – Am fünften Verhandlungstage wurde das Urteil gesprochen. Sogleich nach Eröffnung der Sitzung erklarte der Rechtsbeistand des Privatklägers, Justizrat Dr. v. Gordon: Ich habe gestern ermitteln können, daß der Zeuge Bollhardt, der große Physiognomiker, der in dem 27jahrigen Offizier den 50jährigen Botschafter erkannte, und sagte, „es wäre eine gewisse Ähnlichkeit zwischen einem Beteiligten und dem Grafen Moltke vorhanden“, daß diese Persönlichkeit schwer bestraft ist, und zwar durch Urteil des Kriegsgerichts der Garde-Kavalleriedivision vom November 1903, wegen Unterschlagung in mehreren Fällen, Mißbrauchs der Dienstgewalt und wegen anderer Vergehen. Er ist deshalb degradiert und in die zweite Klasse des Soldatenstandes versetzt, was mit dem Verlust des Rechtes, die Nationalkokarde zu tragen, verbunden ist. Er ist auf die Festung Spandau geschickt worden. Dies ist der einzige Mann, der es gewagt hat, meinen Mandanten mit den Schmutzereien in Verbindung zu bringen. Es kommt mir darauf an, hier vor der Öffentlichkeit dies festzustellen, damit die Welt erfährt, was für ein Mann dieser Zeuge ist. Herr Harden wird mir wohl auch dankbar dafür sein, daß ich ihn über die Qualität und den Wert dieses Zeugen aufgeklärt habe, damit er sich im weiteren Ver- fahren nicht mehr auf diesen Zeugen beruft. – Vors. Amtsrichter Dr. Kern: Herr Justizrat! Der Zeuge Bollhardt war dafür benannt, daß in einem Kreise, in welchem der Privatkläger verkehrte, sexuelle Ausschweifungen vorgekommen seien, dann waren zwei andere Zeugen benannt, die bekunden sollten, daß der Privatkläger Kenntnis davon gehabt hat. Dieser zweite Beweis ist mißlungen, und es liegt deshalb wohl keine Veranlassung vor, auf das Zeugnis des Bollhardt zurückzukommen. – Justizrat Dr. v. Gordon: Dann habe ich nichts weiter zu bemerken. – Der Vorsitzende, Amtstichter Dr. Kern, verkündete darauf folgendes Urteil: Das Gericht hatte allein zu prüfen, was der Angeklagte in diesen acht Artikeln, die der Anklage beigefügt sind, gesagt hat. Es ist unerheblich, wie er später seine Ausdrücke gedeutet hat. Es ist auch ganz unerheblich, was er hierzu in der jetzigen Hauptverhandlung behauptet hat. Es kommt also zunächst der Artikel vom 27. September 1906 in Frage. Da sagt der Angeklagte: „Zwei Ästheten von sehr verschiedener Sinnesrichtung“ mit Bezug auf den Privatkläger und einen Hohenzollernprinzen. Der Angeklagte deutet das so, daß der eine dem weiblichen Geschlecht sehr zugeneigt sei, während der Privatkläger dem weiblichen Geschlecht abgeneigt sei. Das Gericht ist aber der Ansicht, daß der Ausdruck „Sinnesrichtung“ gegen diese Auslegung spricht, denn daraus ist zu entnehmen, daß das Sinnesempfinden des Privatklägers eine bestimmte Richtung gehabt hat, und daß, wenn auch selbstverständlich eine Abneigung gegen das weibliche Geschlecht vorlag, diese auch mit einer Zuneigung zum männlichen Geschlecht verbunden war. Es wird dem Kläger also der Vorwurf gemacht, er sei sexuell anormal. Dann kommt der zweite Artikel vom 17. November 1906. Es heißt darin: „Lauter gute Menschen, musikalisch, poetisch, spiritistisch, so fromm, daß sie vom Gebet mehr Heilwirkung erhoffen, als von dem weisesten Arzt. Das alles wäre ihre Privatangelegenheit, wenn sie nicht zur Umgebung des Kaisers gehörten.“ Hier wird die erwähnte Freundschaftlichkeit offenbar zum Vorwurf gemacht, denn der Angeklagte selbst sagt, er ließe diese Freundschaftlichkeit als Privatangelegenheit gelten, aber da er, der Privatkläger, sich in politische Dinge mischt, müsse er diese Privatangelegenheit zur Sprache bringen. Es muß also eine Freundschaft sein, die von der Norm abweicht. Faßt man die beiden ersten Artikel zusammen, so wird man daraus den Schluß ziehen, daß der Angeklagte dem Privatkläger Homosexualität vorwirft. In der Nummer vom 8. Dezember ist derselbe Gedankengang enthalten. Hier heißt es: „Ich würde es mir dreimal überlegen, ehe ich von einem Manne behaupte, er unterhalte intime Beziehungen zu Eulenburg.“ Daß er dies dem Kläger vorwirft, geht aus einem vorhergehenden Satze hervor. Hier ist die Behauptung der Homosexualität noch deutlicher. Er spricht auf der andern Seite auch wieder von dem „Grüppchen“, dem er jedes Privatvergnügen gönne, Es kommt die Nummer vom 30. April 1907. Das Gericht hält hier nicht für nachgewiesen, daß der von dem Angeklagten gebrauchte Ausdruck, den ihm vom Privatkläger untergelegten beleidigenden Sinn haben, sondern nur eine normwidrige Annäherung an Männer angedeutet werden sollte. Ausgeschieden sind sämtliche anderen Artikel. Da ist das bekannte Nachtgespräch des „Süßen“ mit dem „Harfner“. Der Privatkläger hat selbst angegeben, daß er zunächst nicht gewußt habe, wer mit dem „Süßen“ gemeint sei. Zum Tatbestand der Beleidigung gehört aber nach einem Reichsgerichtsurteil, daß mindestens eine für den Beleidigten verständliche Andeutung bei der Beleidigung vorhanden ist. Die auf diesen Artikel gestützte Anklage aus § 185 (Beleidigung), muß also fallen. Ausgeschieden hat das Gericht die Artikel vom 2. Februar und vom 6. April 1907. In dem ersten Artikel ist überhaupt nicht zu ersehen, wo eine Beleidigung stecken soll. Im zweiten Artikel ist nur von Lecomte die Rede, und es ist nicht ersichtlich, wodurch hier der Privatkläger beleidigt sein soll. Nun kommt der letzte Artikel vom 20. April, wo von der „vita sexualis“ die Rede ist. Dies ist aber nur eine Anspielung auf den Fürsten Eulenburg. Was hat der Angeklagte in den vier Artikeln behauptet? Offenbar behauptet er damit: Der Kläger hat ein anormales Sexualempfinden, er ist homosexuell! An sich mag diese Behauptung noch nicht beleidigend sein, aber andererseits wird doch damit weiter behauptet, dieser Trieb wäre seinen Freunden gegenüber erkennbar. Der Privatkläger habe also diesen Trieb nicht unterdrückt. Für die Frage, ob diese Behauptung geeignet ist, den Kläger verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, hat das Gericht die Ansicht vertreten, daß hier tatsächlich eine Herabwürdigung vorliegt. Denn von einem Manne in der Stellung des Privatklägers erwartet man, solange das Gesetz den § 175 kennt, also die Homosexualität, wenn auch nur in der schärfsten Form ihrer Ausführung verbietet, daß er einen solchen sexuellen Trieb derart unterdrückt, damit er keinem anderen erkennbar wird. Es ist nun vom Angeklagten die Frage der Verjährung angeregt worden. Das Gericht hat angenommen, daß sämtliche Artikel einem einheitlichen Entschluß entsprungen sind. Der Angeklagte wollte offenbar den Privatkläger so lange herabwürdigen, bis seine vermeintliche politische Tätigkeit aufgehört hätte. Das Gericht nimmt ferner an, daß in jedem einzelnen Artikel die Merkmale der Beleidigung gegeben sind, und hält ein fortgesetztes Delikt für vorliegend. Nun ist eine Beleidigung nur dann strafbar, wenn die Tatsache, die behauptet war, nicht erweislich wahr ist. Das Gericht hat angenommen, daß der Beweis der Wahrheit dem Angeklagten geglückt ist. Zunächst ist der Privatkläger homosexuell? Dafür kommt in erster Linie in Betracht die Aussage der Frau von Elbe. Diese Aussage ist dem Gericht an sich glaubwürdig erschienen; aber sie wird noch wesentlich verstärkt durch das Auftreten des Privatklägers selbst. Das Gericht will durchaus nicht denselben Weg gehen wie die Verteidigung und etwa hier dem Grafen Moltke bewußte Unwahrheit vorwerfen. Dieser Vorwurf basierte auf Beweisen, die überhaupt gar nicht erhoben worden sind. Es waren also nur Unterstellungen. Das Gericht nimmt sogar an, daß der Privatkläger einen großen Zug von Wahrhaftigkeit an den Tag gelegt hat. Als hier gefragt wurde nach der Vernehmung der Frau v. Elbe: Herr Graf, sind die und die Behauptungen Ihrer früheren Gattin falsch, hat diese Frau einen Meineid geleistet? Da hat der Herr Graf geschwiegen. Er wußte, er muß, um seine Sache günstig zu gestalten, sagen: Die Aussage ist falsch. Er hat aber als Ehrenmann geschwiegen, und hieraus entnimmt das Gericht, daß auch er die Aussage für wahr gehalten hat. Wenn er auch später wirklich entgegengesetzte Beweisanträge gestellt hat, so ändert das doch nichts daran. Auf die Einzelheiten der Aussagen der Frau v. Elbe und ihres Sohnes wollen wir nicht eingehen. Bringen wir hiermit das durchaus zuverlässige Gutachten des Herrn Dr. Magnus Hirschfeld in Zusammenhang, so sind wir zu dem Schluß gekommen, daß tatsächlich der Privatkläger homosexuell veranlagt ist. Die Voraussetzung trifft zu: er ist dem weiblichen Geschlecht abgeneigt, hat eine Zuneigung zu dem männlichen Geschlecht und hat gewisse feminine Eigenschaften. Alles Merkmale der Homosexualität. Es ist nicht etwa ein Beweis dagegen, daß der Graf eine Ehe eingegangen ist, denn der Sachverständige Dr. Hirschfeld hat selbst gesagt, daß solche Ehen Homosexueller entweder auf Anraten von Verwandten oder um die sexuelle Veranlagung zu kachieren, öfter eingegangen werden. Der Kläger ist homosexuell veranlagt. Es fragt sich nun: Ist diese Homosexualität anderen gegenüber erkennbar geworden? Die Zeugen, die hier unter Ausschluß der Öffentlichkeit vernommen wurden, sollten bekunden, daß in den Kreisen des Privatklägers Ausschreitungen vorgekommen sind. Es waren dann Zeugen dafür benannt worden, daß der Privatkläger diese Ausschreitungen gekannt hat. Die letztgenannten Zeugen haben vollkommen versagt, darüber ist gar kein Beweis erbracht. Also kommt die Aussage namentlich des Zeugen Bollhardt gar nicht in Frage. Nach Abgabe des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Hirschfeld konnte auch von weiterer Beweisaufnahme Abstand genommen werden, da durch die innige Freundschaft des Herrn Grafen zum Fürsten Eulenburg, die fast liebkosenden Anreden und auch durch die vielerörterte Taschentuchepisode, ein Anzeichen der Tatsache der Homosexualität gegeben ist. Diese Tatsache ist den Zeugen Frau v. Elbe und deren Sohn Leutnant Wolff von Kruse deutlich erkennbar gewesen. Das geht aus ihren Aussagen hervor. Der Kläger hat sie nicht bestreiten können. Das Gericht nimmt also an, daß der Beweis der Wahrheit erbracht ist. Es muß ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß nicht etwa hier festgestellt ist, der Graf Moltke habe strafbare Betätigung der Homosexualität an den Tag gelegt. Es ist lediglich als festgestellt erachtet: er ist homosexuell und hat diesen Trieb andern gegenüber nicht unterdrücken können. Es erübrigt sich ein weiteres Eingehen auf die politischen Ausführungen des Angeklagten. Diese sollten nur nachweisen, daß er in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt habe. Es liegt eine strafbare Handlung nach Paragraph 186 (üble Nachrede) nicht vor, ebensowenig ist Paragraph 185 (einfache Beleidigung) anwendbar, da aus der Form die beleidigende Absicht nicht zu schließen ist. Das Urteil lautet dahin: Der Angeklagte ist der fortgesetzten Beleidigung nicht schuldig, er wird freigesprochen, die Kosten des Verfahrens werden dem Privatkläger Grafen von Moltke, auferlegt. – Das Urteil wurde von einem Teile des Publikums mit stürmischen Hochrufen begrüßt. Gegen dieses Urteil legte der Privatkläger Berufung ein. Inzwischen nahm die Staatsanwaltschaft des Landgerichts Berlin I die Sache in die Hand. Am 19. Dezember 1907 gelangte der Prozeß in der Berufungsinstanz und zwar vor der vierten Strafkammer des Landgerichts Berlin I zur Verhandlung. Den Gerichtshof bildeten Landgerichtsdirektor Lehmann (Vorsitzender) und die Landgerichtsräte Dr. Fritzschen, Gohr, Simonson und Gerichtsassessor Dr. Langes (Beisitzer). Die Anklage vertraten Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel und Staatsanwalt Raasch. Der Privatkläger, bisheriger Stadtkommandant von Berlin und Generalleutnant z. D., Exzellenz Graf Kuno v. Moltke, schloß sich der nunmehr von der Staatsanwaltschaft erhobenen An- klage als Nebenkläger an. Mit seiner juristischen Vertretung hatte er Justizrat Dr. Sello (Berlin) betraut. Die Verteidigung führten Justizrat Bernstein (München) und Justizrat Kleinholz (Berlin). Als Sachverständige waren geladen: Gerichtsarzt, Medizinalrat Dr. Hoffmann, Geh. Sanitätsrat Dr. Zwingenberg, Geh. Medizinalrat Professor Dr. Eulenburg, Sanitätsrat Dr. Moll, Dr. med. Magnus Hirschfeld und die Kriminalkommissare v. Tresckow I und Dr. Kopp. Als Zeugen waren erschienen General Alex, Graf v. Wartensleben, Botschafter a. D. Fürst Philipp zu Eulenburg und Hertefeld, Freiherr Alfred v. Berger, Graf Ernst v. Reventlow, Königl. Kammerherr Graf Edgar v. Wedel, Freiherr v. Wendelstadt, Frau v. Elbe, geschiedene Gräfin Moltke und deren Sohn aus erster Ehe, Kürassierleutnant Wolff v. Kruse. – Fürst Philipp Eulenburg, ein großer, starker Herr von 60 Jahren, erschien, von einem seiner Söhne und einem Diener geführt, auf zwei Krücken gestützt, im Saale. Es war außerdem geladen der Schweizerische Gesandte in Berlin Alfred de Claparede nebst Gemahlin. Das Auswärtige Amt hatte der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, daß dem Gesandten von seiner Regierung nicht gestattet sei, als Zeuge zu erscheinen. – Der Angeklagte Maximilian Harden gab auf Befragen des Vorsitzenden an: er habe das französische Gymnasium in Berlin bis zur Obersekunda besucht, sei aus persönlichen Gründen von der Schule abgegangen. Von einem gewissen Freiheitsdrange getrieben, sei er als blutjunger Mensch zur Bühne gegangen, habe ihr etwa drei Jahre angehört, sich alsdann weiter gebildet und etwa 1888 angefangen, sich schriftstellerisch zu versuchen. 1892 habe er die „Zukunft“ begründet. – Vor Eintritt in die materielle Verhandlung beantragten die Verteidiger auf Grund des Paragraphen 16 der Strafprozeßordnung, das Verfahren einzustellen. Die Anklage sei zu einer Zeit erhoben, bevor das Verfahren vor dem Amtsgericht Berlin (Mitte) rechtskräftig abgeschlossen war. Das gegenwärtige Verfahren verstoße außerdem gegen den Grundsatz: Ne bis in idem.“ – Es entspann sich darauf eine längere juristische Auseinandersetzung zwischen dem Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel, dem Vertreter des Nebenklägers Justizrat Dr. Sello und den Verteidigern über den Antrag auf Einstellung des Verfahrens. – Der Gerichtshof beschloß, den Antrag abzulehnen und in die materielle Verhandlung einzutreten. – Es entspann sich alsdann zwischen dem Vorsitzenden und dem Angeklagten eine lange Auseinandersetzung über die Frage, ob Harden dem Grafen Moltke den Vorwurf der Homosexualität im Sinne des Paragraphen 175 hat machen wollen. Der Vorsitzende verwies auf den letzten Artikel und auf den Brief Hardens an den Klosterprobst v. Moltke, in denen der Angeklagte selbst zugegeben habe, daß er den Grafen Moltke normwidriger Gefühlsregungen beschuldigt habe. Normwidrig sei aber doch dasselbe, was jeder gewöhnliche Mensch als homosexuell versteht. Die meisten Leser hätten das so aufgefaßt, und die Artikel hatten doch auch den Zweck gehabt, den Fürsten Eulenburg und seine Freunde mit einem Makel zu behaften, um sie aus ihrer politischen Stellung zu verdrängen. Wenn mit dem Vorwurf der Normwidrigkeit der Eulenburg-Gruppe nicht der Makel der Homosexualität angehängt werden sollte, dann hatten die Artikel doch ihren Zweck verfehlt. – Harden: Ich kann mich in meiner Zeitschrift nicht auf den Standpunkt stellen von Menschen, die gar nichts von solchen Dingen gehört haben. Wenn ich, „normwidrig“ schreibe, so kann ich nicht darauf Rücksicht nehmen, was der oder jener sich darunter denkt. Ich habe dieses Wort aber gar nicht geschrieben, es ist etwas anderes, wenn ich das Wort später anwandte, um meine Artikel zu interpretieren. Meine Artikel waren längst erschienen, da ist das Ereignis am Hofe eingetreten, die Forderung des Privatklägers zum Zweikampf, und dann kam eine Reihe von Zeitungsartikeln, in denen das Hundertfache von dem behauptet wurde, was ich geschrieben hatte. Darauf mußte ich antworten. Ich habe damals schon erklärt, daß ich von alledem, was aus meinen Artikeln herausgelesen wurde, nichts geschrieben habe. – Der Vorsitzende wies immer wieder darauf hin, der Angeklagte hatte sich als Menschenkenner doch sagen müssen, daß andere Leute eine andere Deutung aus den Artikeln herauslesen mußten. Der Angeklagte erwiderte, daß eine solche Auffassung erst nach den von ihm ganz unabhängigen Ereignissen aufgetaucht sei. Als er die Artikel geschrieben, habe ihm niemand eine solche Auffassung entgegengehalten. Auf den Vorhalt, daß eine fortgesetzte Handlung vorliege, erklärte Harden, daß es ihm gar nicht eingefallen sei, eine Serie von Artikeln gegen den Fürsten Eulenburg und den Grafen von Moltke zu schreiben. Er habe bei Gelegenheit anderer politischer Erörterungen hier und da wieder eine Ecke diesen beiden Herren gewidmet. Es vollziehen sich in der Seele eines Schriftstellers die Sachen doch nicht so, daß man sie später zu einem Ganzen zusammenhaken kann. – Vors.: Was verstehen Sie unter normwidrigen Gefühlsregungen? – Angekl.: Normwidrig sind nach meiner Auffassung alle die Gefühlsregungen, die dem widersprechen, was Norm der Männer in diesen Dingen und Gepflogenheiten ist. Wenn Männer sich so anschwärmen, in derartiger inniger Weise ihr Leben aneinanderketten, so weit gehen, daß sie sich besondere Namen zulegen, wenn ihre Gefühle zueinander so stark sind, daß sie nach einer kurzen Abwesenheit voneinander ergriffen werden, wenn ihre Gefühle eine große Süße annehmen, so weicht dies von der Norm der Männer ab, so kann es schädlich werden, wenn es in die Politik übergreift. – Vors.: Die breite Öffentlichkeit wird es doch kaum anders verstehen, als daß unter normwidrigen Gefühlsregungen, doch nur Homosexualität gemeint sein soll, oder Sie hätten andernfalls sich so deutlich ausdrücken müssen, daß ein Mißverständnis unmöglich war. – Angeklagter: Ich glaube, daß ich mich meinem Leserkreise gegenüber nicht anders auszudrücken brauche. Wenn solche Massensuggestion aber dann Platz greift, wie es hier der Fall war, dann wird natürlich aus den Dingen etwas ganz anderes, als sie sich ursprünglich darstellen sollten. Mir gegenüber hat niemand eine solche andere Auffassung ausgedrückt, auch der Nebenkläger hat sie ja ursprünglich nicht gehabt. Ich habe hier gesagt, was ich mit meinen Artikeln bezweckt habe, ich bitte, es mir zu glauben, und wenn ich mich geirrt haben sollte, so muß ich die Konsequenzen tragen. – Vors.: Der Zweck der Artikel war doch, die Herren zu beseitigen. Angekl.: Die Artikel haben einen ganz anderen Hintergrund. Von etwa 120 Seiten handelt kaum eine halbe Seite vom Grafen Moltke. Fürst Eulenburg sollte bekämpft werden und seine Freunde, Graf Moltke ist nicht bekämpft worden, es mag sein, daß er hier und da ein wenig sich geärgert haben mag. Vors.: Haben Sie sich nicht gesagt, daß die Artikel auch formell beleidigend sind, da sie den Grafen Moltke verhöhnen, von dem „Süßen“ sprechen usw. – Angekl.: Das habe ich mir durchaus nicht gesagt. Auch heute nicht. Satire ist doch noch erlaubt, und wenn ein Witzblatt ein Bild bringen würde mit der Unterschrift „Der Süße“, so würde es deshalb gewiß nicht angeklagt werden. Hohn und Spott sind doch erlaubte Waffen im politischen Kampf, Spott ist doch nicht gleich eine ehrverletzende Beleidigung. Ich habe nur das Grüppchen politisch bekämpft und nur hin und wieder ein Wort eingefügt, was auf Sexualempfindungen hindeutet. – Vors.: Falls nun aber das Gericht dazu kommt, den Vorwurf der Perversität in den Artikeln zu finden – wollen Sie dann den Wahrheitsbeweis antreten? – Angekl: Nein, ich habe ganz und gar nicht die Absicht, etwas zu beweisen oder zu enthüllen. Ich stehe hier als ein Mensch, der bestimmte Artikel geschrieben hat, in welchen nichts davon steht, was die Anklage behauptet. Ich glaube, dem Lande einen Dienst zu erweisen, wenn ich nicht darauf zurückkomme. Dem Gerichtshofe liegen meine Artikel vor, er hat gehört, wie ich sie erkläre, und er möge sein Urteil sprechen. Ich habe auch das erstemal nicht den Wunsch gehabt, Beweise beizubringen. Der Gang der Dinge hat mir aber damals die Beweisführung aufgezwungen; wir haben alle darunter gelitten, Graf Moltke und auch ich. Ich habe das bestimmte Gefühl, daß ich den Grafen nicht beleidigt habe. Ich denke nicht daran, den Beweis zu führen, daß sich der Nebenkläger homosexuell betätigt hat. Ich habe gar kein Interesse an irgendwelchen Beweisen. Wollen Sie mich schuldig sprechen, so muß ich es über mich ergehen lassen. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Ich bitte, nur eine einzige Frage möglichst präzise zu beantworten: Hat der Angeklagte mit all den Andeutungen in seinen Artikeln dem Grafen Moltke die Gefühle seiner Hochachtung oder seiner Mißachtung zum Ausdruck bringen wollen? – Angekl.: Diese Pointierung ist ganz ausgezeichnet. Ich habe aber keinen Grund, dem Grafen Moltke meine Hochachtung zu beweisen, und von einer Mißachtung ist mir nichts bewußt. Ich habe eben politische Artikel geschrieben. – Vors.: Die Wirkung der Artikel ist doch aber gewesen, daß Graf Moltke seinen bunten Rock ausgezogen hat. – Angekl.: Meines Wissens ist Graf Moltke noch im Besitze seiner Uniform. – Vors.: Jedenfalls hat er sein Amt als Stadtkommandant niedergelegt. – Angekl.: Ich habe noch keine Klarheit bekommen, aus welchen Gründen dies geschehen ist. – Vors.: Die Gründe hängen jedenfalls mit Ihren Artikeln zusammen. – Harden: Nach meiner Ansicht liegen für die Entlassung noch andere Gründe vor: Vorträge und Dissonanzen persönlicher Art, an denen ich nicht beteiligt bin. Ich sehe in meinen Artikeln kein einziges Wort, das für Graf Moltke beleidigend ist. – Vors.: Man kann auch mit halben Worten beleidigen, und das wird Ihnen zum Vorwurf gemacht. – Justizrat Bernstein: Herr Harden steht auf dem Standpunkt, den er heute präzisiert hat, daß er nämlich den Privatkläger in den inkriminierten Artikeln nicht beleidigt hat. Herr Harden hat bis zum Überdruß schriftlich und mündlich erklärt, daß er den Grafen Moltke nicht beleidigen wollte. Darauf ist ihm immer seitens der Anklagebehörde gesagt worden: Das ist nicht richtig, Sie haben schwer beleidigt! Dadurch ist sehr gegen unser Empfinden und unseren Willen uns die Beweisführung, welche so viel Mißempfinden erregt hat, aufgezwungen, aufgedrängt worden. Hätte man dem Wunsch, den Herr Harden als Ehrenmann und als anständiger Schriftsteller hegte, entsprechend seinen Versicherungen, daß er den Privatkläger nicht beleidigen wollte, geglaubt, so wäre zu einer Beweisaufnahme nicht der mindeste Anlaß gewesen. Durch die Nichterfüllung seines Wunsches ist Harden die Beweisführung aufgezwungen worden. Unsere Absicht ist, dasselbe wieder zu tun, was in erster Instanz geschehen ist, nur so weit mit der Beweisführung über die tatsächlichen Dinge zu gehen, wie im Interesse des Angeklagten notwendig ist. Es wird also lediglich von der Stellung der Anklagebehörde und des Gerichts abhängen, wieweit er Beweise zu führen hat. Da wir uns jetzt im öffentlichen Verfahren befinden, so hat ja nicht mehr der Angeklagte allein darüber zu entscheiden, sondern das Gericht. – Vors.: Falls das Gericht dazu kommt, anzunehmen, daß die Äußerungen in den Artikeln dazu angetan sind, auf Grund des § 186 StGB. eine Bestrafung herbeizuführen, dann würden die Äußerungen nur straflos werden, wenn der Beweis der Wahrheit erbracht wird. Somit muß der Angeklagte den Beweis führen. – Justizrat Bernstein: Herr Harden behauptet, daß die Artikel die Wirkung, die ihnen von der Anklage zugeschrieben, erst dadurch erzielt hätten, daß aus ihnen etwas herausgelesen wurde, was der Angeklagte gar nicht geschrieben hat. – Justizrat Kleinholz: Der Angeklagte sagt, er habe nie beleidigen wollen, habe auch nicht das Bewußtsein gehabt, daß diese Artikel beleidigen können, infolgedessen erklärt er: „Ich bin nicht der Beleidigung schuldig.“ Es ist ihm doch unmöglich, den Wahrheitsbeweis für Beleidigungen zu führen, die er nach seiner Auffassung gar nicht ausgesprochen hat. Das würde ihn in die unangenehme Lage bringen, jetzt erst mit Behauptungen vorzutreten, die er in den Artikeln nicht ausgesprochen hat. Deshalb sträuben wir uns gegen die Beweisaufnahme und wollen das vermeiden, was in der vorigen Sitzung aufgerollt wurde. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Das wäre alles sehr schön und gut, was die Herren da sagen, wenn sie das nur in der ersten Instanz im Privatklageverfahren gesagt hätten. Dann würde ich nur den Gerichtshof zu bitten brauchen, sich zurückzuziehen und zu entscheiden. So liegt die Sache aber nicht. Als ihm in der ersten Instanz gesagt wurde, er hätte den Grafen Moltke beleidigt, sagte der Angeklagte zwar erst: „Ich habe es nicht getan, wenn es aber behauptet wird, dann will ich den Beweis der Wahrheit antreten.“ Da hat Herr Harden den ganzen unerquicklichen Beweis aufgerollt. Deshalb muß ich dagegen protestieren, wenn er jetzt sagt, ihm ist der Beweis aufgezwungen worden. Herr Harden ist es, der den Ehescheidungsprozeß hineingebracht hat. Die Erklärungen des Angeklagten und seiner Verteidiger sind ja sehr dankenswert, aber dann verstehe ich nicht, warum die Herren so viele Zeugen geladen haben. Ich werde von meinem Standpunkt aus nicht zugeben, daß hier zunächst über die Vorfrage entschieden wird, ob Harden das gesagt hat, was ihm zur Last gelegt wird. Die Tatbestandsmerkmale hat allerdings der Staatsanwalt nachzuweisen. Deshalb werde ich beweisen, daß die behaupteten Tatsachen nicht erweislich wahr sind. – Harden: Ich habe gesagt, was mein Wunsch in der Sache ist; wenn meine Herren Verteidiger Zeugen geladen haben, so hat sie ihr juristisches Gewissen dazu getrieben. Justizrat Dr. Sello: Die Verteidiger haben meinem Wunsch nicht entsprochen, mir über das, was die von ihnen geladenen Zeugen bekunden sollen, Angaben zu machen. Ich werde deshalb einen umfangreichen Beweis antreten müssen, dessen ganze Wucht sich gegen die Frau v. Elbe richten soll. – Es wurde alsdann Klosterpropst, Oberstleutnant v. Moltke als Zeuge vernommen. Er bekundete: Ich kenne den Generalleutnant Grafen Kuno Moltke schon seit 25 Jahren. Ich habe mit ihm in Breslau nicht allein in derselben Garnison, sondern auch in demselben Truppenteil zusammen gedient. Wir waren beide Eskadronschefs beim Leibkürassierregiment. Ich habe ihn beobachten können in seinem kameradschaftlichen und gesellschaftlichen Verkehr, er hat auch viel in meinem Hause verkehrt. In späteren Jahren, als er hier Stadtkommandant war, und ich meinen Abschied genommen hatte, habe ich oft wochenlang in seinem Hause als Gast gewohnt. Ich glaube, ich bin in der Lage gewesen, seinen ganzen Verkehr und Umgang beobachten zu können. Ich habe nun zunächst festzustellen auf meinen Eid hin, daß Graf Kuno v. Moltke in der Zeit, wo wir uns kannten, bei seinen Kameraden nicht allein, sondern auch bei seinen Untergebenen sich einer ganz besonderen Beliebtheit und Hochachtung erfreute, einer Hochachtung, die ein gewisses autoritatives hatte, einer Hochachtung, die begründet war auf dem allgemeinen Gefühl, daß man es mit einem pflichttreuen, tüchtigen und ehrenhaften Offizier zu tun hatte. Sowohl in Breslau als auch in Berlin hat Graf Kuno v. Moltke in den besten Familien und mit edlen Frauen verkehrt und ist überall ein lieber Gast gewesen. Es ist mir nicht allein das Gefühl gewesen, sondern mir auch von anderen gesagt worden, daß er zu jenen Personen gehört, die diejenigen, die zu ihm in freundschaftlichen Beziehungen treten, nicht herab-, sondern heraufziehen. Graf Kuno v. Moltke hat mit vielen edlen Frauen, die auch ich kenne, in innigem, regen brieflichen Verkehr gestanden. Ich habe vielfach Gelegenheit gehabt, nicht durch Stunden allein, sondern tagelang, ihn im Verkehr zu beobachten und auch im Verkehr mit seinen Freunden und bin dabei gewesen, als Fürst Philipp zu Eulenburg als Gast bei ihm weilte und ebenso, als Graf Moltke in Liebenberg bei dem Fürsten als Gast weilte und dort übernachtete. Ich konstatiere auf meinen Eid, daß ich in den Beziehungen des Grafen Moltke zum Fürsten Eulenburg nichts Sexuelles, Erotisches, Unreines, der Sittlichkeit Widersprechendes bemerkt habe. Das erste Mal ist mir darauf bezügliches aus der „Zukunft“ bekannt geworden. – In der Schöffengerichtssitzung hat Herr Harden eine Aussage dahin gemacht: Der Chef des Militärkabinetts Graf v. Hülsen-Häseler habe eine Äußerung über den Grafen Moltke getan, die er nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit mitteilen könnte. Ich habe im Auftrage des Grafen Moltke dem Grafen Hülsen-Häseler, der sich damals in Wien befand, geschrieben und ihn ersucht, mir umgehend mitzuteilen, ob Herr Harden irgendwie begründeten Anlaß zu dieser Angabe hatte. In einem hier zur Stelle befindlichen Schreiben des Herrn v. Hülsen-Häseler vom 28. Oktober heißt es: „Ew. Hochgeboren erwidere ich auf das Schreiben vom 25. Oktober, daß nach meiner Ansicht Herr Harden zu der mich berührenden Aussage irgend begründeten Anlaß nicht hat. Ich habe niemals mit Herrn Harden gesprochen, kenne ihn überhaupt nicht, es muß ihm also die angebliche Äußerung von mir von einer dritten Person überbracht worden sein. Ich bin mir nicht bewußt und muß es bestreiten, jemals über den Grafen Kuno v. Moltke eine Äußerung gemacht zu haben, die nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit wiederzugeben wäre.“ – Auf Wunsch meines Vetters, des Grafen Kuno v. Moltke, so etwa fuhr der Zeuge fort, habe ich am 11. Mai d. J. Herrn Harden einen Besuch abgestattet. Der Zweck meines Auftrages, den ich zugleich auch als Kartellträger übernommen hatte, sollte sein, in einer persönlichen Unterredung mit Herrn Harden festzustellen, was er mit den Artikeln eigentlich beabsichtige und welche Auffassung er über meinen Vetter habe. Ich sagte zu Harden: Ich komme als ein Ihnen völlig Unbekannter und habe die Überzeugung, daß es uns gelingen wird, volle Klärung zu schaffen. Mein Vetter und ich gehören nicht zu den ständigen Lesern der „Zukunft“, aber wir haben aus verschiedenen Artikeln ersehen, daß Sie ihn der perversen Neigungen beschuldigten. In der Nummer vom Herbst 1906, in welcher von dem Prinzen Joachim Albrecht die Rede ist, der einer allzu großen Zuneigung zu dem weiblichen Geschlecht geziehen wird, sprechen Sie von „zwei Ästheten von verschiedener Sinnesrichtung“. Aus dem von Ihnen konstruierten Gegensatz muß man unbedingt herauslesen, daß eine Zuneigung zu dem männlichen Geschlecht bei meinem Vetter vorhanden sei. Ich bat Herrn Harden, mir seinen Standpunkt zu erklären. Herr Harden antwortete: Ich gebe zu, die fraglichen Artikel verfaßt zu haben, erkläre aber, daß ich sie nicht etwa aus gemeiner Sensationslust geschrieben habe, sondern im Interesse der allgemeinen politischen Lage, für das Gemeinwohl, um eine engere Verbindung zu sprengen, die geeignet ist, das Staatswohl zu gefährden. Ich habe mir die Überzeugung gebildet, daß Herr Graf Kuno v. Moltke nach männlicher Richtung hin sexuell veranlagt ist. Aus dem Kreise derjenigen, die mit Ihrem Vetter früher in sehr enger Verbindung standen, ist mir öfter gesagt worden, daß Graf Moltke anormal veranlagt ist. Die Gewißheit habe ich erst erlangt, als ich das in den Ehescheidungsakten vorhandene Material kennen lernte und Frau v. Elbe bei mir Schutz suchte. Ich (Zeuge) schaltete nun ein, daß jetzt aber ein ganz neues Moment in Erscheinung getreten sei. Ich erklärte Herrn Harden, daß mir mein Vetter am Abend zuvor, als er mir das Kartell übertrug, mir sein Ehrenwort gegeben, daß er niemals mit Männern geschlechtlich verkehrt hat. Ich ersuchte nun Herrn Harden, diesem Ehrenwort gegenüber eine bündige Erklärung abzugeben. Herr Harden antwortete mir, er würde glauben, sich selbst zu nahe zu treten, wenn er an diesem Ehrenwort zweifeln wollte. Dieses Ehrenwort eines Edelmanns und Offiziers ändere die ganze Sachlage. Ich bat um eine schriftliche Erklärung hierüber: Am nächsten Tage erhielt ich von Herrn Harden folgendes Schreiben: „Euer Hochgeboren hatten die Güte, mir mitzuteilen, daß Ihr Herr Vetter, Graf Kuno Moltke, mit seinem Ehrenwort Ihnen bekräftigt hat, er habe niemals mit männlichen Personen geschlechtlichen Umgang irgendwelcher Art gehabt. Auf diese Mitteilung erwidere ich gern, daß ich keinen Grund habe, an der Wahrhaftigkeit des Euer Hochgeboren gegebenen Ehrenwortes zu zweifeln.“ Herr Harden äußerte dann noch im Laufe der weiteren Unterredung, daß er kaum einen Namen kenne, der ihm so achtungswert sei, wie gerade der Name Moltke. Er (Harden) wolle mir sein Ehrenwort geben, daß ihn, soweit ihn nicht seine politische Pflicht dazu zwingen würde, nichts mehr dazu veranlassen könnte, sich mit der Person des Grafen Kuno von Moltke des weiteren zu beschäftigen. Der Zeuge versicherte hierauf unter seinem Eid, daß er die Angaben des Protokolls auch jetzt noch aufrecht erhalte. Er verlas schließlich das bekannte Schreiben Hardens, in dem dieser einen Zweikampf ablehnt mit der Begründung, daß durch einen solchen Zweikampf eine spätere Feststellung der Wahrheit unmöglich werden würde. – Justizrat Bernstein: Herr Harden ist der Meinung, daß die Artikel der Zukunft erst in einer den Grafen Moltke verletzenden Weise interpretiert worden sind, als man in der Öffentlichkeit die bekannten Entschlüsse Seiner Majestät erfuhr und nun daraus Folgerungen zog, die man vor diesen Entschlüssen aus den Artikeln nicht gezogen hatte. Nun ist der letzte der inkriminierten Artikel in der Nummer vom 27. April erschienen. Sie haben bekundet, daß Graf Moltke Sie um ein Eingreifen am 8. Mai ersucht hatte. Zwischen dem 27. April und dem 8. Mai liegt das Bekanntwerden der Beschlüsse Sr. Majestät. Erst infolge dieser Ereignisse ist der Lärm entstanden. Da Graf Moltke vor dem 27. April diese Artikel als beleidigend aufgefaßt haben will, so ist es auffallend, daß er den Herrn Zeugen erst am 8. Mai mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hat. – Zeuge v. Moltke: Ich bin mit der Sache erst Anfang Mai befaßt worden. Eine Äußerung meines Vetters, daß er über die Zeit vom November bis Ende April diese oder jene Auffassung von den Artikeln hatte, ist mir nicht erinnerlich. – Auf weitere Fragen erklärte der Zeuge, daß der Nebenkläger ihn erst Anfang Mai gesprochen habe, als er (Zeuge) nach Berlin gekommen sei, um sein Abgeordnetenmandat auszuüben. Etwa am 5. oder 6. Mai sei Graf Kuno von Moltke zu ihm gekommen und habe ihm gesagt: er sei in schwere Bedrängnis geraten und bitte um seinen Beistand. – In der Erörterung über dieses Thema erklärte Justizrat Bernstein, daß diese Sache für die Verteidigung von besonderer Wichtigkeit sei, denn der Angeklagte behauptet, daß die Interpretation seiner Artikel nach der Seite hin, daß sie beleidigend seien, erst aufgetreten sei nach den bekannten Ereignissen, also ex post. Der Nebenkläger habe nach Hardens Ansicht in der Tat vor dem 2. oder 3. Mai die Artikel nicht als beleidigend erachtet. – Justizrat Dr. Sello stelle hierzu fest, daß der Nebenkläger sein Abschiedsgesuch am 3. Mai eingereicht hatte und dies erst am 22. Mai bekannt gegeben worden sei. Diese „Ereignisse“ hätten also auf die Interpretation der Artikel keinen Einfluß ausüben können. – Angeklagter Harden: Am 1. Mai wurde bei mir antelephoniert, es meldete sich ein Abgeordneter bei mir an, dessen Namen ich nicht verstehen konnte. Ich war deshalb durch den Besuch des Zeugen überrascht. Irgendeine Aufzeichnung über das Gespräch ist zwischen uns beiden nicht vereinbart worden. Wenn ich gewußt hätte, daß dieses Gespräch hier einen Teil des Verfahrens der Anklage hätte bilden können, so würde ich den Grafen gebeten haben, daß wir gemeinsam das Protokoll aufnehmen. Nach meiner Erinnerung hat der Herr Graf weder von dem Fürsten Eulenburg zu mir gesprochen, noch bestimmte Artikel in dieser Ausführlichkeit herangezogen. Er hat mich gefragt, ob daraus die Ansicht hervorgehen soll, daß ich Herrn Grafen Kuno Moltke der Perversion verdächtige. Darauf habe ich ihm gesagt: Gedruckt ist davon nichts, meine Ansicht aber Ihnen zu verhehlen, würde ich für eine Feigheit halten. Ich sage Ihnen darum offen: ich habe allerdings seit Jahren die Überzeugung gewonnen, daß Graf Kuno v. Moltke ein von der Norm abweichendes Empfindungsleben hat nach der Richtung hin, daß er die Freundschaft zu Männern mit einer Überschwenglichkeit, mit einem leise erotischen Ton empfindet, die man nicht als normal bezeichnen kann. Der Zeuge machte mir darauf die Mitteilung von dem Ehrenwort des Grafen Kuno v. Moltke. Ich sagte, ich könne die Wahrhaftigkeit des Klägers nicht bezweifeln, das falle aber nicht in das Gebiet meiner Behauptungen. Nachdem mich Graf Moltke verlassen hatte, überlegte ich das Gespräch noch einmal und schrieb dann sofort den hier schon verlesenen Brief. Meine Anschauungen über das Empfindungsleben des Grafen Kuno Moltke hatte ich aber schon lange vorher dem Freiherrn von Berger mitgeteilt, und dieser hatte bereits im Jahre 1906 dem Kläger darüber Klarheit gegeben. Was die Äußerung des Chefs des Militärkabinetts über den Privatkläger betrifft, so ist mir von glaubwürdigen Personen, die ich als Zeugen benennen könnte, gesagt worden, daß Graf v. Hülsen-Häseler Äußerungen getan hat, die verletzend sein müßten für die Herren, die damals in der Umgebung des Kaisers sich befanden. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Der springende Punkt in den Auslassungen des Angeklagten liegt darin, daß er behauptet, er habe dem Zeugen erklärt, in den Artikeln stehe nichts von den Beschuldigungen. Der Zeuge sagt aber das Gegenteil. – Zeuge: Ich konnte meinen Auftrag nur so auffassen, daß volle Klarheit über den Inhalt der Artikel geschaffen werden sollte. Des- halb habe ich immer bei der Unterredung auf diese Artikel Bezug genommen. – Justizrat Dr. Sello: Ich bitte den Herrn Zeugen, sich nochmals darüber zu äußern: Ihr Kartellauftrag ging doch dahin, festzustellen, was mit den Artikeln festgestellt sein sollte, nicht aber, die Herzensmeinung des Herrn Angeklagten festzustellen. – Zeuge: Das ist richtig. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Mir wird mitgeteilt, daß das Leiden des Fürsten Philipp zu Eulenburg sich wesentlich verschlimmert hat. Er hat daher darum gebeten, sobald als möglich vernommen zu werden, da er sonst vielleicht verhindert sein könnte, Zeugnis abzulegen. Ich möchte das Gesuch des Herrn Zeugen unterstützen, denn niemand ist ja, wie Herr Harden aus eigener Erfahrung weiß, Herr seiner Gesundheit. Fürst zu Eulenburg hat, wie ich wiederhole, dringend gebeten, ihn möglichst sofort abzufertigen, weil er an einer schweren Bronchitis leidet. Es würde sich daher empfehlen, ihn vor dem Grafen Kuno v. Moltke zu vernehmen. – Justizrat Kleinholz: Die Verteidigung muß doch Wert darauf legen, daß der Herr Nebenkläger zuerst vernommen wird, da auf Grund seiner Bekundung weitere Fragen an den Fürsten zu Eulenburg zu richten sein werden. – Justizrat Dr. Sello: Wir schließen uns der Bitte an, den Herrn Fürsten zu Eulenburg zunächst zu vernehmen. Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Ich beantrage die Vernehmung des Fürsten zu Eulenburg bei verschlossenen Türen stattfinden zu lassen, dagegen halte ich es für zulässig, den Herrn Nebenkläger in öffentlicher Sitzung zu vernehmen, falls er nicht selbst den Ausschluß der Öffentlichkeit wünscht. Für die Vernehmung der Frau v. Elbe und deren Mutter der Frau v. Heyden beantrage ich den Ausschluß der Öffentlichkeit. Die Justizräte Kleinholz und Sello schlossen sich dem Antrage des Staatsanwalts voll an. – Angekl. Harden: Ich schließe mich durchaus dem Wunsche an, bei der Vernehmung des Fürsten Eulenburg die Öffentlichkeit auszuschließen. – Bevor sich der Gerichtshof zurückzog, trat der Obersekretär des Landgerichts Berlin I, Rechnungsrat Prestel vor und meldete, daß Fürst Eulenburg mit Rücksicht auf seinen sehr kranken Zustand gebeten habe, von seinen Söhnen in den Gerichtssaal begleitet und gestützt zu werden, da er befürchtet, daß ihm etwas zustoßen könnte. – Justizrat Kleinholz: Wir haben nur das Bedenken, die Herren Söhne zuzulassen, weil in unseren Anträgen gerade Stellen enthalten sind, von denen wir wünschen müssen, daß die Söhne lieber keine Kenntnis davon erlangen. Nach kurzer Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende: Die Öffentlichkeit wird im Interesse der öffentlichen Sittlichkeit ausgeschlossen nur für die Vernehmung des Fürsten zu Eulenburg, des Grafen v. Moltke, der Frau v. Elbe, deren Mutter und weiterer Zeugen. Auch die Presse wird ausgeschlossen. Wann wir die Öffentlichkeit wieder zulassen können, bleibt späteren Beschlüssen vorbehalten. – Der Ausschluß der Öffentlichkeit wurde sehr streng gehandhabt. Den beteiligten Personen wurde es als Pflicht auferlegt, nichts über die unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindende Verhandlung verlautbaren zu lassen. Trotzdem wurde bekannt, daß Vergleichsverhandlungen im Gange seien. Die Grundlage für einen Vergleich sollte ganz besonders durch die Aussage der Frau v. Elbe geschaffen worden sein. Diese sollte in nichtöffentlicher Sitzung bekundet haben: Sie habe ihrem früheren Gatten, dem Grafen Kuno v. Moltke nicht homosexuelle Veranlagung nachsagen wollen, er sei vielmehr ein durchaus einwandfreier und vornehmer Kavalier gewesen. Kriminalkommissar v. Tresckow bekundete in nichtöffentlicher Verhandlung: Er habe niemals gehört, daß Graf Kuno v. Moltke homosexuell veranlagt sei; er sei auch nie an solchen Orten gesehen worden, wo sich Leute von anormaler Gefühlsrichtung aufzuhalten pflegen. Ein anderer Graf Moltke aus der dänischen Linie sei einmal in Erpresserhände gefallen. Auch über den Fürsten Philipp zu Eulenburg seien ihm Tatsachen über etwaige Verfehlungen gegen § 175 absolut nicht bekannt. Über Herrn Lecomte dürfe er sich nicht äußern, da dieser der Vertreter einer fremden Macht sei. Auf Befragen erklärte v. Tresckow, daß homosexuelle Menschen in den höchsten und in den niedrigsten Kreisen vorkommen. Kriminalkommissar Dr. Kopp schloß sich dieser Bekundung an. Gerüchte über den Grafen Moltke seien in sehr vager Form aufgetaucht, sie seien aber erst nach den Ehescheidungsvorgängen entstanden. Kriminalwachtmeister Tietze wußte über homosexuelle Neigungen des Nebenklägers gleichfalls nichts. Er habe gerüchtweise nur folgendes gehört: ein Mann, der an Gehirnerweichung gestorben sei, habe vier Wochen vor seinem Tode erzählt, daß ein Graf Moltke dänischer Linie einem Erpresser 3000 Kronen aus Kopenhagen gesandt habe. Vom Grafen Kuno v. Moltke wisse er absolut nichts. Hierauf wurde die Öffentlichkeit wiederhergestellt. Es erschien zunächst als Zeugin die Krankenpflegerin Schwester Hedwig Lange, die Frau v. Elbe in der Zeit vom Herbst 1899 bis 1900 während schwerer Krankheit gepflegt hat. Sie bekundete: Frau v. Elbe sei sehr nervös gewesen und habe sehr wenig über ihren Gatten geredet. Es ist der Zeugin nicht aufgefallen, daß Frau v. Elbe unwahr oder unglaubwürdig sei. – Vors.: Wie hat sich Frau v. Elbe denn über ihren Gemahl geäußert. – Zeugin: Sie sagte gesprächsweise, der Graf wäre eifersüchtig auf seinen Stiefsohn. – Justizrat Dr. Sello: Wie ist das zu verstehen: der Graf sei eifersüchtig auf seinen Sohn, sollte damit gemeint sein, daß der Graf meinte, der Stiefsohn entzöge ihm die Liebe seiner Gemahlin? – Zeugin: Ich habe selbst nicht darüber nachgedacht. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Hat Frau v. Elbe niemals Ihnen gegenüber den Grafen Moltke beschuldigt, er habe sie unfreundlich behandelt, habe sie geschlagen oder dergleichen? – Zeugin: Niemals. – Vors.: War Frau v. Elbe während Ihrer Pflege sehr krank? – Zeugin: Ja, sie hat schwer phantasiert und hat erst allmählich wieder gehen gelernt; sie erholte sich sehr langsam. – Professor Dr. Eulenburg: Haben Sie bemerkt, daß während Ihrer Pflegezeit das Gedächtnis der Frau v. Elbe schwach war? – Zeugin: Nein, davon habe ich nichts bemerkt. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Die Gräfin hat niemals Ihnen gegenüber den Grafen Moltke beschimpft? – Zeugin: Nein. – Es wurde hierauf zur Vernehmung der Zeugin Rosenbauer geschritten, die bei Frau v. Elbe als Gesellschafterin tätig war. Die Zeugin erklärte auf Befragen des Vorsitzenden: Ich war von Juli 1900 bis Mai 1901 bei Frau v. Elbe Gesellschafterin. Frau v. Elbe hat mir öfters von ihrer zweiten Ehe und ihrem Ehescheidungsprozeß erzählt und dabei gesagt: „Einen von uns kostet es den Kragen, hoffentlich ihn.“ – Vors.: Wie kamen Sie auf das Gespräch? – Zeugin: Wir haben beim Spazierengehen und auch im Hause häufig gesprochen, dabei kam auch oft die Rede auf die zweite Ehe. Sie sagte mir mit Bezug auf die Aussage einer früheren Gesellschafterin, diese habe ihr die Äußerung nachgesagt: „Graf Moltke liebt mich nicht, er liebt nur seine Freunde.“ Darauf hin sei sie bei der Ehescheidung als alleinschuldiger Teil erklärt worden. In Wirklichkeit hätte sie aber diese Äußerung nicht getan, sondern nur gesagt, das Zusammenleben mit dem Grafen sei nicht so, wie es ein Ehemann mit seiner Frau führt. Er sei spät zu Tisch gekommen und habe sie warten lassen; er habe auch den Ausdruck gebraucht: die Frau sei ein Klosett. – Justizrat Dr. Sello: Hat die Frau Gräfin Ihnen nicht einmal selbst erklärt, sie hätte gelogen? – Zeugin: Ich hielt Frau Gräfin vor, wie unrecht sie mir mit ihren Anschuldigungen getan hätte. Sie sagte mir darauf, ja, sie hätte gelogen und bäte mich um Verzeihung. Um mir zu zeigen, wie lieb sie mich habe, schenkte sie mir dann noch ein Buch. – Frau v. Elbe: Ich bitte dabei zu berücksichtigen, daß ich mit Fräulein Rosenbauer sehr herzlich verkehrte und unsere Gespräche als durchaus vertraulich betrachtete. Was ich alles gesagt habe, um unsere Differenzen wieder in Reih und Glied zu bringen, kann ich jetzt nicht sagen. – Justizrat Dr. Sello: Ich habe ja auch die Briefe, die die Zeugin aus freien Stücken an den Grafen v. Wartensleben gerichtet hat, will aber davon jetzt keinen Gebrauch machen. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel zu Fräulein Rosenbauer: Hat Frau v. Elbe nicht auch davon gesprochen, daß sie sich mit Journalisten in Verbindung setzen wollte, um den Grafen bloßzustellen? – Zeugin: Frau v. Elbe hat mich gefragt, ob ich ihr nicht Journalisten nennen könnte, namentlich solche aus Wien, denen sie Material aus ihrer zweiten Ehe zur Verarbeitung geben könnte. Dieses Material hat sie aber nicht näher bezeichnet. – Justizrat Bernstein: Was wollte die Gräfin damit sagen: das Zusammenleben mit dem Grafen Moltke war nicht so, wie sonst zwischen Eheleuten? – Zeugin: Sie meinte, es wäre kein richtiges Familienleben gewesen; wenn sie vor einem Schaufenster stehen blieb, so ging der Graf weiter und ließ sie allein stehen. – Beis. Landgerichtsrat Dr. Simonson: Hat Frau v. Elbe die Bekanntschaft eines Schriftstellers gesucht, um aus ihrer zweiten Ehe Veröffentlichungen zu machen und den Grafen Moltke bloßzustellen? Das haben Sie voriges Mal nicht gesagt. – Zeugin: Wir sprachen gelegentlich von einigen Schriftstellern, da sagte Frau v. Elbe: Verschaffen Sie mir die Bekanntschaft irgend eines dieser Herren, ich habe viel Material über meine zweite Ehe, um den Grafen Moltke bloßzustellen. – Justizrat Dr. Sello: Sie hat also ausdrücklich gesagt: „um den Grafen bloßzustellen“. – Zeugin: Jawohl, ich habe das damals genau aufgezeichnet. – Frau v. Elbe: Erinnert sich die Zeugin genau, daß ich das schreckliche Wort „bloßzustellen“ gebraucht habe, oder ist sie erst aus dem Gespräch zu ihrer Auffassung gekommen? – Zeugin: Ja, das Wort ist gebraucht worden. – Auf einige weitere Fragen des Vert. Justizrats Kleinholz bekundete die Zeugin Frl. Rosenbauer: Frau Gräfin v. Moltke war oft sehr gereizt und sehr launisch, wenig wahrheitsliebend, ich konnte es ihr nie recht machen. Ich habe oft namenlos gelitten, wurde krank und mußte in ärztliche Behandlung. Die Mutter der Frau Gräfin, Frau v. Heyden, versuchte mich fortzubringen. Ich wollte schon nach einem Vierteljahr das Haus wieder verlassen, blieb dann aber wieder, weil ich dachte, die Erregung sei auf den Ehescheidungsprozeß zurückzuführen. Die Gräfin hat mir wiederholt gesagt: Hüten Sie sich vor meiner Mutter, sie sucht jeden, mit dem ich zufrieden bin, wegzubringen. Als ich dann wieder beabsichtigte, wegzugehen, blieb ich wieder, weil sie mir sagte, ich möchte sie doch nicht verlassen, da sie noch nicht wüßte, was aus ihrem Prozeß werde. Die Frau Gräfin hat dann, als ich weg war, über mich selbst allerlei verbreitet, was absolut unwahr ist. Auf die Frage des Oberstaatsanwalts erklärte die Zeugin: die Frau Gräfin habe ihr nichts von unsauberen Freundschaftsverhältnissen ihres Gatten gesagt, ebensowenig, daß er sie geschlagen, mit Füßen getreten, daß sie schwarze Flecke gehabt habe. – Oberstaatsanw. Dr. Isenbiel: Hat Ihnen die Frau Gräfin nicht einmal gesagt: ursprünglich habe ja der Graf die Schuld im Ehescheidungsverfahren auf sich nehmen wollen, weil der Graf ursprünglich gesagt habe, er wolle sich wegen unüberwindlicher Abneigung scheiden lassen? – Zeugin: Ich weiß nur, daß sich die Gräfin nicht scheiden lassen wollte, weil sie ihre gesellschaftliche Stellung nicht gerne aufgeben wollte. – Auf eine Frage des Justizrats Dr. Sello bestätigte die Zeugin weiter, daß sie einmal aus gänzlich nichtiger Veranlassung von der Gräfin beschuldigt worden sei, ein Liebesverhältnis mit einem Diener angefangen zu haben. Alles, was man tat, wurde einem anders ausgelegt, die Gräfin bewegte sich immer in Extremen. – Frau v. Elbe erklärte, sie erinnere sich nicht, eine solche Beschuldigung ausgesprochen zu haben. – Vors.: Das war noch zu der Zeit, als Sie an Trionalvergiftung litten. – Die Zeugin schwieg. Inzwischen verbreitete sich das Gerücht, daß die Einigungsverhandlungen endgültig gescheitert seien, da ein allerhöchster Befehl vorliege, wonach gewünscht werde, daß die Verhandlungen weitergehen und die Sache durch ein gerichtliches Urteil zur Erledigung kommen soll. – Im weiteren Verlauf bekundete Dr. med. Frey (Wien) als Zeuge und Sachverständiger: Er habe Frau v. Elbe, frühere Gräfin Moltke 1897 eine Zeitlang behandelt. Die Frau, die an Blinddarmentzündung litt, sei hochgradig hysterisch gewesen. – Vors.: Hat die damalige Frau Gräfin Moltke Äußerungen gemacht, daß ihr Gatte homosexuell sei? – Dr. Frey: Ich bitte, mir die Beantwortung dieser Frage zu erlassen. Ich bin als Arzt gezwungen, das Berufsgeheimnis zu wahren. – Es erhoben sich über die Frage, ob der Zeuge zur Ablehnung einer Antwort auf diese ihm unterbreitete Frage berechtigt sei, kurze Erörterungen. Der Oberstaatsanwalt erklärte: Es sei ja bedauerlich, daß man diesen hochinteressanten und hochwesentlichen Punkt nicht wird aufklären können, aber man müsse doch nach Lage der Sache darauf verzichten. Er habe aber noch viele andere Zeugen zur Hand, um die Frau Gräfin zu kennzeichnen. Der Oberstaatsanwalt fragte den Zeugen nochmals ausdrücklich, ob die Frau Gräfin eine hochgradig hysterische Person sei. – Dr. Frey: Er könne bestimmt bekunden, daß er bei der früheren Gräfin Moltke eine außerordentliche hysterische Veranlagung für dargetan erachte. Die Frau Gräfin habe eine hohe Intelligenz, eine tiefe Geistesbildung, ein hohes ethisches Empfinden, gepaart mit seltener Vorurteilslosigkeit. Damit stehe ihre Handlungsweise in einem so diametralen Gegensatz, daß schon aus diesem Grunde das Vorliegen von Hysterie wahrscheinlich sei. Dazu haben sich ganz bestimmte Stigmata der Hysterie gesellt, daß nach seiner Ansicht die Gräfin für viele ihrer Handlungen und Aussprüche nicht verantwortlich gemacht werden könne, da die Phantasie dabei hervorragend mitspiele. Infolge der Hysterie könne von solchen Leidenden manches in dem Bilde vollster Wahrhaftigkeit erzählt werden und sie reden sich manches ein, was sie schließlich selbst glauben und was andere Leute ihnen gleichfalls glauben. Alle Angriffe der Gräfin auf den Grafen Moltke beruhen nach seiner Ansicht auf Phantasie, wenn sie auch selbst die Angaben für begründet halte. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Heißt es nicht in der Medizin Quaevis hysterica mendax? (Jede Hysterische ist lügenhaft.) – Dr. Frey: Jawohl! – Auf weitere Fragen bekundete der Zeuge noch: die Gräfin sei von einer großen Launenhaftigkeit gewesen, zeigte einen hochgradigen Wechsel ihrer Gefühle, sie war gewissermaßen „himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt.“ Sie habe chronische Zuckungen an verschiedenen Teilen des Körpers, dagegen könne er die Frage des Oberstaatsanwaltes, ob die Gräfin hypererotisch sei, nicht bejahen; er könne auf Grund seiner Beobachtungen sie kaum für eine sehr sinnliche Natur erkennen. Daß sich hysterische Leute auch unter Umständen zu Boden werfen und mit dem Kopf an die Wand schlagen, komme vor. – Justizrat Dr. Sello stellte durch Befragen und an der Hand eines Briefes des Zeugen vom 21. November 1898 fest, daß der Zeuge sich der Gräfin gegenüber habe verwahren müssen, daß sie ihm eine Äußerung über die angebliche Perversität des Grafen Moltke in den Mund legen wollte, die sie in Wahrheit selbst getan hatte. – Justizrat Bernstein suchte aus anderen Briefen des Dr. Frey festzustellen, daß dieser augenscheinlich früher selbst von den glänzenden Eigenschaften der ehemaligen Gräfin Moltke überzeugt gewesen und wohl erst später zu einer abweichenden Auffassung über die Glaubwürdigkeit der Frau Gräfin gekommen sei – Dr. Frey: Er müsse mit aller Bestimmtheit dabei bleiben, daß bei der Frau v. Elbe eine schwere Hysterie vorhanden sei. Von seiten des Geh. Medizinalrats Prof. Eulenburg und des Dr. Magnus Hirschfeld wurde eine Reihe medizinischer Fragen gerichtet. – Justizrat Dr. Sello machte das prozessuale Bedenken geltend, daß das Schweningersche Ehepaar vor der Vernehmung nicht wieder vereidigt werden könne, da diese beiden Zeugen vielleicht dem Angeklagten Mitteilungen über den Moltkeschen Ehezwist zum Zwecke der publizistischen Veröffentlichung gemacht haben. Es wäre also immer noch die Möglichkeit gegeben, das Ehepaar Schweninger noch wegen übler Nachrede zur Verantwortung zu ziehen. Das könne sich erst nach ihrer Vernehmung ergeben. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Ich habe keinen Verdacht, daß sich diese Zeugen irgendwie der Beihilfe schuldig gemacht haben. Wie ich Herrn Harden kenne, hat er gewiß ganz selbständig gehandelt, und ich habe nicht das geringste Bedenken, das Ehepaar Schweninger sofort zu vereidigen. – Angekl. Harden: Herr Geh. Rat Schweninger hat mir niemals auf diese Sache Bezügliches mitgeteilt, um es zu veröffentlichen. Er hatte keine Ahnung davon, was und wie ich schreiben würde, er ist an meinem Artikel völlig unbeteiligt. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Hat Herr Harden nicht auch einmal den Versuch zu einer Verständigung zwischen dem Ehepaar Moltke machen sollen. – Harden: Es handelt sich nicht um einen Ausgleich, sondern darum, daß ich gebeten wurde, den Versuch zu machen, mit Justizrat Sello die Ehescheidungssache zu besprechen; das war der Wunsch, der mir von der Frau Gräfin und deren Anwälten ausgesprochen wurde. Mit Justizrat Sello war ich sehr gut bekannt und glaubte, etwas Nützliches zu erreichen. – Ein weiterer Zeuge war Chefredakteur Dr. Paul Limann. Verteidiger Justizrat Kleinholz: Sie sollen vernommen werden über eine Äußerung des Fürsten Bismarck betreffend den Fürsten Eulenburg. – Zeuge: Es kann sich nach meiner bestimmten Erinnerung nur um eine Unterredung handeln, die ich mit dem Fürsten Bismarck hatte in der Zeit, als die Prozesse gegen Leckert-Lützow und v. Tausch schwebten im Jahre 1896/97. In dieser Zeit war ich oft in Friedrichsruh als Gast des Fürsten. Es wird hierdurch die Möglichkeit geschaffen, daß ich Äußerungen aus zwei verschiedenen Unterredungen in meiner Erinnerung zusammenfasse. Bei diesen Unterredungen bildete das Hauptthema die Frage, wie weit der Prozeß Tausch gegen den Fürsten Bismarck geführt wurde. Es trat damals in den Zeitungen die Behauptung auf, die Hintermänner des Herrn von Tausch befänden sich in Friedrichsruh. Diese Behauptung erhielt noch einen gewissen sachlichen Nachdruck durch die Tatsache, daß ich in der Voruntersuchung über Herrn v. Tausch vernommen worden bin, und zwar mit mehreren Fragen auch über die Beziehungen zwischen Tausch und Fürst Bismarck. Man fragte mich auch über die Äußerungen des Fürsten bei Tisch über von Tausch. Als ich dem verewigten Fürsten hiervon Mitteilung machte, geriet er in sehr heftige Erregung, namentlich auch wegen der Anwendung des Wortes „Hintermänner“ auf ihn und seinen Sohn. Bei dieser Gelegenheit war es, wo er das Wort „Die Kamarilla der Hintermänner“ und später die „Kamarilla der Kynäden“ prägte. Ich muß gleich sagen, er hat auch dann auf einen fragenden Blick von mir keinen Zweifel darüber gelassen, daß er den Ausdruck noch in einem besonderen Sinne meinte, und ich habe damals verstanden, daß dieser Sinn auszudrücken wäre mit den Worten, mit denen Götz von Berlichingen die Kommissare des Kaisers verabschiedet. Diese Bemerkungen waren wesentlich gerichtet gegen den damaligen Grafen Philipp v. Eulenburg, der ja auch in dem Prozeß irgendwie beteiligt war. Daß bei dem Ausdruck „Kamarilla der Kynäden“ sexuelle Momente den Fürsten irgendwie beeinflußt haben könnten, kann ich nicht sagen. Das habe ich damals nicht angenommen und nehme es auch jetzt nicht an. Diese Auffassung kann nur durch eine Ideenassoziation erweckt worden sein durch Veröffentlichungen, die heute in der Presse kursieren. Ich hatte den Eindruck, als wenn der Fürst bei seiner Äußerung auf einen Schelmen anderthalbe setzen wollte, als wenn er sagen wollte: Die Hintermänner sind ja anderswo. Bei dieser Gelegenheit fiel das Wort von der „Liebenberger Tafelrunde“, das von Bismarck zuerst geprägt wurde. Es wurde im Anschluß daran das Thema der Beeinflussung des Kaisers durch unverantwortliche Ratgeber erörtert. Bei dieser Gelegenheit sprach der Fürst davon, daß der Kaiser umgeben sei von einer Anzahl von Männern, die nicht beamtet sind, die dennoch aber auf ihn, der sich selbst gegen alle Eingriffe gefestigt glaube, einen starken Einfluß ausüben. Dieses Thema ist dem Fürsten nahegelegt worden durch die Tatsache, daß von ihm die Ursache seiner Entlassung in dem Einfluß dieser Ratgeber erblickt wurde. Er ist dauernd der Ansicht gewesen, daß Liebenberger Einflüsse auch dafür die Ursache waren, daß später die Entfremdung zwischen dem Kaiser und ihm nicht abgenommen hat. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Sie bewegen sich in einem gewissen Widerspruch. Sie sagten: „Männer, die nicht beamtet waren.“ Im Jahre 1896-97 war doch Fürst Eulenburg beamtet als Botschafter. – Zeuge: Aber nicht an verantwortlicher Stelle. Ein Botschafter in Wien ist doch schließlich nicht verantwortlich für das, was hier vorgenommen wird. – Oberstaatsanwalt: Harden hatte ausdrücklich betont, daß Fürst Bismarck ein außerordentlich schlechter Menschenkenner wäre. – Harden: Ich habe mich darüber ausführlich ausgesprochen, auch wie ich das meinte. Ich weiß nicht, ob ich das wiederholen muß? – Fürst Eulenburg: Ich habe zu dem Hause Bismarck stets in den allerfreundlichsten Beziehungen gestanden und zwar deshalb, weil meine Eltern bereits mit dem Fürsten und seiner Gattin seit Jugend auf bekannt waren, weil meine einzige Schwester die intimste Freundin der Tochter des Fürsten war und weil mich nachher die allerintimste Freundschaft mit dem Grafen Herbert Bismarck verbunden hat, eine Freundschaft, die den Charakter ungefähr trug, wie sie mich mit dem Grafen Moltke verbindet. Nachher, als die außerordentlich beklagenswerte Trennung zwischen dem Fürsten Bismarck und Seiner Majestät statt- fand, hat der Verkehr vollkommen zwischen mir und dem Hause Bismarck aufgehört. Man hätte mich in diesem Hause auch wohl nicht mehr gesehen, denn es ist ja bekannt, welche Formen diese Gegensätze damals angenommen haben. Mir ist aber sehr wohl von unendlich vielen Seiten bekannt geworden, in welcher Weise man mein Auftreten in Friedrichsruh damals beurteilt hat. Ich halte es für möglich, daß man geglaubt hatte, weil ich gerade zu dem Hause Bismarck bisher in guten Beziehungen stand als Beispiel dafür kann ich anführen, daß ich stets das Recht hatte uneingeladen an den Tisch des Fürsten zu kommen und daß ich dort wohl so viel erlebt habe, daß ich ein gutes Recht hätte, meine Erinnerungen niederzuschreiben, was ich aber sicher nicht tun werde, da ich Erinnerungen im allgemeinen mehr für Wahrheit und Dichtung halte – man hat infolgedessen das Gefühl gehabt, als der Fürst ging, hätte ich auch gehen müssen. Das habe ich nicht getan und aus guten Gründen nicht getan. Die Feindseligkeit hat lange angedauert, von allen Seiten ist mir diese Feindseligkeit entgegengetreten und ich kann mit gutem Gewissen versichern – und ich stehe hier unter meinem Eide – daß ich wahrhaftig nicht geschürt habe und in der unglückseligen Zeit der Gegensätze wahrhaftig nicht dazu beigetragen habe, die Gegensätze noch zu verschärfen. Ich darf wohl auch noch auf ein häßliches Wort zurückkommen, welches der Fürst von mir gesagt haben soll. Der Fürst war eine vulkanische Natur und gebrauchte vulkanische Ausdrücke, er war auch vulkanisch in seinem Haß und wenn er das Wort gebraucht hat, so war das ein Partherpfeil, der sehr geschickt gewählt war und der wohl seine Wirkung nicht verfehlen konnte. Aber wie gesagt, ich denke mit Dankbarkeit, mit tiefer Dankbarkeit an die Zeit zurück, in der ich das Glück genossen habe, in seinem Hause zu weilen, und ich denke mit Trauer an die Zeit zurück, wo ich von jener Seite Feindschaft erlitten habe. – Zeuge Dr. Paul Limann: Noch einige Bemerkungen gegenüber dem Wort „Partherpfeil“. Ich habe tatsächlich unter dem Ausdruck „Kamarilla der Kinäden“ nichts anderes verstanden, als eine Übersetzung des Wortes „Kamarilla der Hintermänner.“ Dieser Ausdruck ist in der Presse schon vorher gebraucht worden und ich habe ihm eine besondere Färbung nach einer anderen Seite hin nicht geben wollen. – Fürst zu Eulenburg: Es ist von Herrn Dr. Limann gesagt worden, Fürst Bismarck habe sich darüber beklagt, daß in der nächsten Umgebung des Kaisers sich unverantwortliche Ratgeber befunden hätten, mit anderen Worten, keine beamteten. Se. Majestät hat das Recht, zu sich zu rufen wen er will und welchen Beamten er will. Ich bin Beamter gewesen, vereidigter Beamter; habe drei Kaiser begleiten müssen, sogar in Vertretung des Auswärtigen Amtes, so und so oft auf Nordlandreisen, Jagdausflügen usw. Dazu kann der Kaiser wählen wen er will. Ich bin deshalb unendlich oft mit Sr. Majestät in amtlichen Gesprächen und in amtlichen Aufträgen beschäftigt gewesen. Ich habe niemals darin auch nur den Schatten von einem Unrecht empfinden können. Wäre ich Besitzer von Liebenberg und weiter nichts gewesen und hätte der Kaiser mich rufen lassen, so hätte ich dem Kaiser gesagt: Von den Dingen bitte ich mir nichts zu sagen, denn ich könnte in den Geruch kommen, unverantwortlicher Ratgeber zu sein. – Justizrat Dr. Sello: Ich möchte von Herrn Dr. Limann Auskunft haben, ob das von ihm erwähnte Urteil des Fürsten Bismarck über die unverantwortlichen Ratgeber zurückzuführen ist auf die Zeit nach dem Ausscheiden des Fürsten aus dem Amte. – Dr. Limann bestätigte dies, verneinte aber die weitere Frage, ob der Fürst die eigene Entlassung auf die Tätigkeit der unverantwortlichen Ratgeber schieben wollte. Justizrat Dr. Sello: Ich habe den Fürsten zu Eulenburg doch richtig verstanden, daß der Botschaftsrat Lecomte nach Liebenberg gekommen ist auf ausdrückliche Anregung des Hofmarschallamtes Sr. Majestät. Es ist also nicht richtig, daß Herr Lecomte erst durch den Fürsten Eulenburg Sr. Majestät vorgestellt worden ist? – Fürst zu Eulenburg: Das wäre vollständig absurd, denn ein Botschaftsrat wird stets durch den Chef der Mission Sr. Majestät vorgestellt. Und Herr Lecomte ist nur ein einziges Mal in Liebenberg auf Wunsch Sr. Majestät gewesen. Das erste Begegnen Sr. Majestät mit diesem Beamten der französischen Botschaft hatte schon längst auf dem vorgeschriebenen Wege stattgefunden. – Harden: Ich habe auch niemals behauptet, daß der Fürst zu Eulenburg den Herrn Lecomte Seiner Majestät vorgestellt hat. – Oberstaatsanwalt: Um jedes Mißverständnis auszuschließen, möchte ich auf folgendes hinweisen: Wenn Se. Durchlaucht Fürst zu Eulenburg sagte, Herr Lecomte sei nur einmal in Liebenberg gewesen, so heißt das nur: er sei nur einmal zu gleicher Zeit mit Sr. Majestät dort gewesen. – Fürst zu Eulenburg: Das ist allerdings so gemeint gewesen. Herr Lecomte war nur einmal mit Sr. Majestät zusammen und dann noch einige Male zum Besuch bei mir und meiner Familie. – Vorsitzender: Wann hörte Ihre Botschaftertätigkeit auf? – Fürst zu Eulenburg: Im Jahre 1902. Ich habe von dem Moment an auch nicht einen Augenblick Politik getrieben. – Vorsitzender: Nur das eine Mal, als Herr Lecomte Ihnen Nachrichten aus Paris brachte, sind Sie, wie Sie sagten, zum Reichskanzler gegangen und haben ihm Mitteilung gemacht? – Fürst zu Eulenburg: Ich begegnete Herrn Lecomte in Berlin, der eben von Paris kam. Ich fragte ihn, was es neues gebe, – damals spielte gerade die Marokkoangelegenheit – er erzählte mir über die in Paris herrschende Stimmung. Das war mir so interessant, daß ich zum Reichskanzler, mit dem ich sehr befreundet bin, ging und ihm dies mitteilte. Das ist das Ganze, was ich bezüglich Marokkos getan habe. Ich habe mit Sr. Majestät niemals über Marokko gesprochen, mit Sr. Majestät überhaupt nicht über Politik gesprochen. – Der nächste Zeuge, Graf Ernst von Reventlow bekundete: Am Abend des 13. Dezember vorigen Jahres habe ich mit Herrn Harden eine mehrstündige Unterhaltung gehabt. Kurz vorher waren in der „Zukunft“ Andeutungen gefallen, die teilweise von der übrigen Presse aufgenommen, soweit ich es beurteilen kann, aber nirgends verstanden worden waren. Die Unterhaltung drehte sich ausschließlich um politische Dinge. Herr Harden hat mir wiederholt ausgedrückt, daß es ihm sehr unangenehm gewesen sei, das sexuelle Moment in diese Sache mit hineinziehen zu müssen. Er sagte dabei auch noch, er habe die Gewißheit, daß ihn die Beteiligten verstehen werden. Als erste Folge der Artikel betrachte er die Abreise des Fürsten zu Eulenburg nach dem Süden, so daß er nicht nötig habe, noch deutlicher zu werden. Wie mir Herr Harden wiederholt versicherte, habe er sich verpflichtet gefühlt, diese Andeutungen erscheinen zu lassen, da er eben aus der behaupteten sexuellen Normwidrigkeit die politische Schädlichkeit ableitete. Ich erkundigte mich speziell über den Grafen Moltke, weil die liberale Presse seinerzeit Andeutungen gebracht hatte, nach welchen Graf Kuno Moltke als zukünftiger Reichskanzler in Betracht komme. Herr Harden erklärte mir, daß es ihm außerordentlich peinlich sei, schon wegen des denunziatorischen Charakters, den die Öffentlichkeit seinen Artikeln unterlegen könne, in dieser Weise zu Werke gehen zu müssen. Nach diesem Gespräch war ich der festen Überzeugung, daß für Herrn Harden bei der Veröffentlichung der Artikel ausschließlich politische Gründe maßgebend waren. – Vors.: Sie sind doch später noch einmal mit Herrn Harden zusammengetroffen? – Zeuge: Jawohl, es war dies im vergangenen Sommer. Bei dieser Unterredung sagte Herr Harden, es wäre ihm besonders unangenehm, daß es nun doch zum Skandal gekommen sei. Die ganze Sache hätte man viel geräuschloser erledigen können. Auch dieses Mal versicherte mir der Angeklagte, daß ihm von vornherein jede Absicht einer Beleidigung ferngelegen habe. Er habe keinesfalls an das sexuelle Moment als Hauptsache gedacht, sondern nur politische Momente in erster und einziger Linie berücksichtigen wollen. – Vors.: Das sexuelle Moment sollte doch aber das Mittel, sein, um jenen angeblichen „Kreis" zu sprengen. – Zeuge: Es war ja auch allgemein bekannt, daß im Milieu des Hofes ein eigentümlicher Ton herrscht, der anderen höchst merkwürdig vorkam. Derartige Gerüchte bestanden schon seit langer Zeit, ohne daß natürlich jemand an eine Beimischung eines sexuellen Moments dachte. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Weshalb hatte denn Herr Harden einen so tiefen Haß gegen den Grafen Moltke? Er hat doch vor dem Schöffengericht die Anregung zu einem Vergleich mit der Erklärung abgelehnt, daß es zwischen ihm und dem Grafen keinen Vergleich gebe und er lieber ins Zuchthaus gehen würde. – Zeuge: Haß hat ihm ferngelegen, er hat vielmehr bedauert, daß er auf den Grafen Moltke zurückgreifen müsse, denn er halte ihn für sehr unbedeutend. – Auf eine Frage des J.-R. Dr. Sello bestätigte der Zeuge, daß er der Verfasser des Buches: „Kaiser Wilhelm und die Byzantiner“ sei. Das Buch sei im vorigen Herbst erschienen. Er habe aber trotzdem kein so großes Interesse an den Persönlichkeiten gehabt, um bei jener Unterredung mit Harden danach zu forschen, wer mit dem „Süßen“ gemeint sei. Harden meinte, die Betreffenden, die es angeht, hätten ihn schon verstanden; er folgerte dies aus der Tatsache, daß Fürst Eulenburg nach dem Süden abgereist war. Von der Clique Eulenburg habe er schon lange Zeit sprechen hören; daß Graf Moltke dazu gehörte, sei ihm nicht bekannt gewesen. Nach seiner Meinung hatte der Angeklagte wohl die Ansicht, daß jener ganze Kreis in der Abneigung gegen das weibliche Geschlecht einig sei. – Vors.: Das kann man vom Fürsten Eulenburg wohl kaum sagen, denn dieser hat doch acht Kinder. – Harden: Ich habe den Zeugen geladen, um folgendes von ihm zu hören: 1. daß er in dem Gespräch vom 13. Dezember den bestimmten Eindruck gewonnen hat, daß mir der Gedanke, sexuelle Verfehlungen zu betonen und der Standpunkt eines Sittenrichters völlig ferngelegen habe, es für mich vielmehr nur auf die Schilderung einer gewissen Atmosphäre ankam; 2. daß er das bestimmte Gefühl hatte, daß ich ausschließlich in dem Wunsche geschrieben habe, nach meinem subjektiven Wissen dem Reiche zu nützen. Auf diese Feststellung, daß ich schon damals diesen Standpunkt eingenommen und nicht erst später – wie mir imputiert wird kommt es mir besonders an. Ich bin nicht von einem Rachegefühl oder dem Wunsch, einen Menschen zu ärgern, geleitet worden, sondern von dem – vielleicht irrigen – Wunsche, mit dieser Sache und in dieser Situation dem Vaterlande nützlich zu sein. – Graf Reventlow bestätigte dies aus dem Eindruck, den er gewonnen, und bekundete auf verschiedene Fragen des Justizrats Bernstein, daß er Harden schon eine Reihe von Jahren kenne und fest davon überzeugt sei, daß dieser bei seinem Vorgehen unlautere Motive nicht gehabt habe. Er sei auch fest überzeugt, daß Harden bei allen seinen politischen Aktionen nur immer den Nutzen des Vaterlandes im Auge habe. Er habe in diesem Sinne an einige Zeitungen geschrieben, aber diese Bemühungen seien ohne Erfolg geblieben. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Offenbar waren diese Zeitungen anderer Meinung. – Graf Reventlow: Es gibt Zeitungen, die es nicht für opportun halten, ihre Meinung zu äußern, selbst wenn sie der Ansicht sind. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel wies nochmals auf Hardens Erklärung hin, daß er lieber ins Zuchthaus gehe, als sich mit dem Grafen zu vergleichen, Harden entgegnete, daß dies mit einem „Haß“ gegen den Grafen Moltke gar nichts zu tun habe. Er habe solchen Haß nie empfunden und empfinde ihn auch heute nicht. – In der folgenden Sitzung wurde die kommissarische Aussage des inzwischen in München vernommenen Geh. Medizinalrats Prof. Dr. Schweninger verlesen. Danach hat Geh. Rat Schweninger bekundet: er habe den Grafen Kuno v. Moltke, den Oheim seiner Gattin, Anfang der 1880er Jahre bei dem Obertribunalsrat Hollberger in Tutzing kennen gelernt. Es sei möglich, daß er einmal mit dem Grafen in Friedrichsruh ein längeres Gespräch geführt habe, jedenfalls sei er dem Grafen, mit dem er nur auf dem Höflichkeitsstandpunkt stand, nicht feindlich gesinnt. „Harden habe ich 1882 in Varzin kennen gelernt. Er wurde mir dort vom Fürsten Bismarck vorgestellt. Aus dieser Begegnung entwickelte sich ein dauernder Verkehr, der noch heute besteht. Wir duzen uns seit etwa drei bis vier Jahren. Harden hat mich einige Male hier im Schloß Schwaneck besucht. Bei beiden Besuchen war die Frau Erbprinzessin von Sachsen-Meiningen zugegen, die etwa 14 Tage lang in dieser Zeit hier in meiner Behandlung war. Herr Harden wußte, ich nehme das als wahrscheinlich an – von dem Aufenthalt der Frau Erbprinzessin. Er fragte telephonisch bei mir an, ob er kommen dürfe. Ich meldete es zunächst der Frau Erbprinzessin. Die hohe Frau erklärte sich mit dem Kommen Hardens einverstanden. Harden wurde in diesem Sinne telephonisch benachrichtigt. Ich möchte aber ausdrücklich bemerken, daß der Besuch Hardens mir und meiner Frau galt. Harden aß mit uns und der Frau Erbprinzessin zusammen und blieb bis etwa 10 Uhr abends bei uns. Ob an diesem Abend zwischen der Frau Erbprinzessin, Harden, meiner Gattin und mir ein Gespräch über den schwebenden Prozeß und über die ganze fragliche Angelegenheit stattfand, kann ich heute nicht mehr sagen. Bei dem zweiten kürzeren Besuch Hardens, am folgenden Tage, wurde, soweit ich mich zu entsinnen glaube, zwischen Harden und der Frau Erbprinzessin kurz über den Grafen Hohenau gesprochen. Frau Erbprinzessin äußerte ihr Bedauern, Erstaunen und ihre Ungläubigkeit über die angeblichen Verfehlungen des Grafen Hohenau und setzte ungefähr hinzu: „Allerdings kommen ja solche Dinge wohl bis in die höchsten Kreise hinein vor, wie man weiß.“ Seit der Zeit, wo ich hier in Schloß Schwaneck bin, habe ich mit Harden bis zum Juni dieses Jahres in brieflichem Verkehr, aber in sehr magerem, gestanden. Seit Juni habe ich, glaube ich, von ihm keinen Brief mehr bekommen. Die frühere Gräfin Moltke, jetzige Frau v. Elbe, habe ich meines Wissens erst 1900 während meines Lichterfelder Aufenthaltes kennen gelernt. Gehört hatte ich von Frau v. Elbe bereits vorher durch meine Gattin, jedoch eigentlich weiter nichts, als daß sie Gräfin Moltke sei und sie meiner Frau auf der Hochzeitsreise mit Graf Moltke in München einen Besuch gemacht hatte. Ich glaube während der Zeit, wo die Gräfin mit mir und meiner Frau verkehrte, die Gräfin ziemlich genau kennen gelernt zu haben. Unsere Gespräche waren nicht nur rein konventionelle, sondern wurden allmählich sehr vertraulich insofern, als sie sowohl ärztliche Fragen als auch die ehelichen Zerwürfnisse betrafen. Meine Unterredungen auf ärztlichem Gebiete waren nicht von langer Dauer, da ich es im allgemeinen abgelehnt habe, Frau v. Elbe ärztlich zu behandeln. Von einer Trionalvergiftung bei Frau v. Elbe habe ich nichts bemerkt. Hysterie hielt ich für ausgeschlossen. Ihre Darstellung war ruhig, klar, kalt und gelassen und für eine in einen so schwierigen Prozeß verwickelte Frau sogar ungewöhnlich verständig und sicher abgegeben. Es ist mir nicht bekannt, daß sie sich selbst mitunter zu Boden geworfen, sich mit dem Körper gegen Möbel gewälzt und mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen habe. Sie hat einmal betreffs des Verhältnisses des Grafen Moltke zum Fürsten Eulenburg in meiner Gegenwart ungefähr geäußert: „Der Graf hat den Fürsten mehr lieb als mich.“ Im übrigen sind mir Gerüchte über angebliche perverse geschlechtliche Neigungen im Kreise des Fürsten Eulenburg schon zu Lebzeiten des Fürsten Bismarck zu Ohren gekommen. Der Name des Grafen Moltke ist bei diesen Gerüchten nicht erwähnt worden. Tatsachen in dieser Richtung weiß ich nicht. Ich persönlich hatte den Eindruck, daß Graf Moltke ein süßlicher, weibischer Mann war, ein Eindruck, der meines Wissens in Schlesien und in der Bekanntschaft meiner Frau geteilt wurde. Ich kann mich erinnern, daß die Gräfin in meiner Gegenwart von den angeblichen Äußerungen ihres Gatten: „Frauen sind Klosetts“, „er wolle sie als Märchen haben“, erzählt hat. Auch Kosenamen ihres Gatten gegenüber dem Fürsten Eulenburg hat sie mir genannt. Die angebliche Taschentuchaffäre habe ich, wie ich glaube, erst aus den Zeitungen erfahren. Den Wunsch, Harden kennen zu lernen, hat die Gräfin uns, d. h. meiner Frau und mir, gegenüber geäußert. Sie sagte dabei, meiner Erinnerung nach, Harden könne ihr vielleicht einen guten Rat geben. Auf Grund dieses Wunsches haben wir, d. h. meine Gattin und ich, die Gräfin mit Harden bekannt gemacht. Ich erinnere, daß ich Herrn Harden, der nach meiner Ansicht keine rechte Freude an der Sache hatte, gebeten habe, sich der Frau und ihrer Lage anzunehmen, da sie Mitleid verdiene. In den Gesprächen mit Harden ist von mir erwähnt worden, Graf Kuno Moltke treibe zwar nicht selbst Politik, sei für seinen Freund Eulenburg aber als Beobachter und Vertrauensmann und Berichterstatter sehr wichtig. Woher ich dieses weiß, ob ich es insbesondere von Frau v. Elbe weiß, kann ich heute nicht mehr sagen. Ich kann mich auch nicht erinnern, daß ich Herrn Harden über den Grund der angeblichen Antipathie Eulenburgs gegen Frau v. Elbe Mitteilungen gemacht habe. Ich habe Herrn Harden gegenüber bei diesen Gesprächen auch Bismarcks Urteil über den Fürsten Eulenburg erzählt. Insbesondere, daß der Fürst Otto v. Bismarck und sein Sohn Herbert das Wirken des Fürsten Eulenburg, namentlich auf dem Gebiete der Personalien und in der Rolle eines befreundeten unverantwortlichen Ratgebers für unheilvoll gehalten und wiederholt auch von einer geschlechtlich abnormen Veranlagung des Fürsten Eulenburg gesprochen hat, die, verbunden mit einer Neigung ins Mystische, nebelhaft Schwärmerische, den Fürsten Eulenburg nicht zum Vertrauten eines regierenden Fürsten qualifiziere. Woher die Ansicht des Fürsten Bismarck stammt, der Fürst Eulenburg sei geschlechtlich abnorm veranlagt, kann ich nicht sagen. Ich erinnere mich ferner an die Äußerung des Fürsten Bismarck: „Ein kaiserlicher Adjutant, der sich offiziell gar nicht mit Politik beschäftige, könne auf politische Entschlüsse mehr Einfluß haben als ein Reichskanzler, schon, weil er den Herrn öfter sehe und sich schmiegsamer dessen Stimmungen anpasse.“ Ich erinnere mich auch dem Sinne nach an folgende Worte, mit denen Bismarck die Ableugnung einer Kamarillapolitik abzutun pflegte: „Wenn solche Sachen so dumm gemacht würden, daß der regierende Herr die Absicht merkt, oder daß sie von draußen haarscharf nachweisbar sind, könnte sich eine Kamarilla nirgends halten.“ Ich glaube, auch diese Äußerungen Herrn Harden mitgeteilt zu haben. Ich kann jedoch nicht mit Bestimmtheit sagen, ob diese politischen Äußerungen von mir Herrn Harden im Zusammenhange mit den Äußerungen der Frau v. Elbe gemacht worden sind. Ich erinnere mich ferner, daß in meiner Gegenwart von Frau v. Elbe davon gesprochen worden ist, Graf Moltke habe, solange er dem Berliner Hofe nahe war, sehr häufig dem Fürsten Eulenburg über die politischen Vorgänge und Stimmungen berichtet. Wenn ich einen Zweifel an der Glaubwürdigkeit und der ungetrübten Geisteskraft der Gräfin gehabt hätte, dann würde ich Harden, dessen schlechten Gesundheitszustand und Überbürdung mit ernster, ehrlicher Arbeit ich kannte, nicht gebeten haben, Zeit und Mühe an die Sache der Gräfin zu verwenden. Wenn ich sagen soll, warum Harden die inkriminierten Artikel geschrieben hat, so kann ich nur meiner Überzeugung dahin Ausdruck geben, daß Harden sich weder von persönlichem Haß noch von unlauteren Motiven hat leiten lassen, und daß er den Grafen Moltke nicht als unehrenhaften Mann, sondern das an einer bestimmten Stelle schädliche Werkzeug eines anderen bezeichnen wollte, auch daß er als Politiker diese Erwähnung im Reichsinteresse für nötig hielt. Gerüchte über den Grafen Moltke in sittlicher Beziehung sind insofern zu meinen Ohren gelangt, als ich gelegentlich über ihn und seine Freunde den Ausdruck „Frontverwechselung“ gehört habe. Es ist dieser Ausdruck meines Wissens schon vor der Trennung der beiden Ehegatten gebraucht worden. Wo der Ausdruck gefallen ist, kann ich aber nicht sagen. Ich habe mich nicht darum gekümmert, ob dieser Ausdruck eine tatsächliche Grundlage hat. – Frau Geheimrat Schweninger hatte in kommissarischer Vernehmung bekundet: Ich bin die Nichte des Grafen Kuno von Moltke. Zwischen meinen Verwandten und mir ist nach meiner Scheidung eine Entfremdung eingetreten. Welchen Grund sie hatte, kann ich nicht angeben. Meine erste Ehe mit Franz von Lenbach ist meiner Erinnerung nach 1896 getrennt worden. Vor meiner Trennung waren die Beziehungen zum Grafen Moltke sehr freundschaftliche. Eine feindliche Stimmung gegen meinen Onkel habe ich niemals gehabt, habe sie auch jetzt nicht. Mit Frau v. Elbe bin ich auf Grund eines Briefes, in dem sie mich bat, sie einmal zu besuchen, näher bekannt geworden. Es kann das 1900 gewesen sein. Auf Grund dieses Briefes bin ich zu ihr gegangen. Es war das nur ein kurzer Besuch… Wir traten dann auch wegen des Mitleids, das ich mit ihr empfand, in näheren Verkehr, ohne daß daraus eine direkte tiefe Freundschaft geworden ist. Mir ist es so, als wenn Frau v. Elbe später den Wunsch ausgesprochen habe, mit Harden bekannt zu werden. Es kann aber auch sein, daß mein Mann oder ich ihr den Namen Harden zuerst genannt hat. Wir haben dann Frau v. Elbe mit Harden bekannt gemacht. – Harden betonte im Anschluß an die Verlesung, daß die Hilfe, die er der Frau v. Elbe bringen, nicht darin bestehen sollte, etwas aus ihrem Ehescheidungsprozeß zu veröffentlichen. Seine Hilfe sollte nur darin bestehen, daß er sich mit Justizrat Dr. Sello, den sie für einen scharfen Verfolger hielt, in Verbindung setzen und für einen Ausgleich ein wenig plädieren sollte. – Justizrat Dr. Sello: Er sei mit Harden mehr als bekannt und sehr erstaunt gewesen, eines Tages von Herrn Harden einen Brief zu erhalten, in welchem er etwa schrieb: „Ich möchte gern einmal kriminalistisch mit Ihnen plaudern. Ich habe über einen Prozeß, den Ihr Kollege, Herr Rechtsanwalt Dr. Silberstein, für den Grafen Moltke führt, Mitteilungen erstaunlicher Art zu machen. Ich habe Material zur Hand, das einen der größten politischen Skandale in Deutschland hervorgerufen könnte.“ Er sei darüber ganz entsetzt gewesen und habe Herrn Harden ersucht, nicht nur eine Person zu hören, sondern beide Teile, und habe ihm angeboten, auch das der Gegenseite zu Gebote stehende Material zur Kenntnis zu nehmen. Bald darauf habe die Korrespondenz einen sehr gereizten Ton angenommen und ihm sei nicht mehr Gelegenheit gegeben worden, Herrn Harden sein Material zu unterbreiten. – Angeklagter Harden widersprach dieser Darstellung, indem er behauptete, Justizrat Sello habe zuerst einen gereizten Ton angeschlagen. Ich habe, so bemerkte Harden auf einen Einwurf des Oberstaatsanwalts, nur darauf hingewiesen, daß sich diese Sache zu einem großen politischen Skandal auswachsen könnte. Solchen zu verhindern, war der Zweck meines Schreibens. Ich habe aus der Ehescheidungsgeschichte der Frau v. Elbe nichts, aber auch gar nichts publiziert. – Graf Moltke: Nach der Scheidung der Frau Geheimrat Schweninger von Prof. Lenbach sei ein tiefer Riß in dem Verhältnis zwischen seiner Nichte und deren Mutter eingetreten, und dadurch sei auch das gespanntere Verhältnis zwischen ihm und der Nichte erfolgt. – Fräulein Meye, die 1897 eine Zeitlang Kammerfrau bei der damaligen Gräfin Moltke, jetzigen Frau v. Elbe, in Potsdam war, erklärte, daß sie in dieser ihrer Tätigkeit furchtbar unter der Launenhaftigkeit der ganz unberechenbaren Frau zu leiden gehabt habe. Der Graf, der allen Angestellten sehr leid getan habe, sei stets liebenswürdig zu aller Welt gewesen, auch zu seiner Frau, die ihn furchtbar gequält habe. – Die nächste Zeugin, Frau v. d. Marwitz, geborene v. Prillwitz, eine Nichte des Grafen Moltke, erzählte, die Mutter der Frau v. Elbe, Frau v. Heyden, habe ihr bei einer Gelegenheit ihr Herz über ihre, wie sie sagte, ungeratene und verlogene Tochter ausgeschüttet. Sie habe ihr schon viel Kummer gemacht, sie sei in jeder Weise lieblos und verlogen gewesen. Als die Ehescheidung im Gange war, habe sie Frau v. Elbe gebeten, zwischen ihr und dem Grafen Moltke zu vermitteln. Sie gab dabei zu, daß sie an allem schuld und ihr Gatte immer sehr lieb zu ihr gewesen sei; sie liebe ihn sehr. – Baronesse Saß war Gesellschafterin bei Frau von Kruse bis zu deren Verheiratung mit dem Grafen Moltke. Sie schilderte den Charakter der jetzigen Frau v. Elbe als einen sehr leichtfertigen. – Gräfin Danckelmann, geb. Gräfin Moltke, Schwester des Privatklägers, bekundete: Ich habe den Namen der Frau v. Kruse, der jetzigen Frau v. Elbe, zum erstenmal im Herbst 1892 aus einem Brief meines Bruders, des Grafen Kuno Moltke, gehört, der mir von dem tiefen Eindruck schrieb, den es auf ihn gemacht hätte, als er an der Seite eines schwer- kranken Mannes eine blühende Frau sah, die den Mann zu pflegen hatte. Im Herbst erhielt ich dann von ihm einen Brief, in dem er mir mitteilte, er sei verlobt mit Frau v. Kruse. Dieser Brief schloß mit den Worten: „Etwas des Glücks zuviel für einen alten Knaben wie ich.“ Darauf sah ich den Bruder Anfang September, wie er mit dem Kaiser nach Breslau kam: total verändert, strahlend vor Glück und ganz begeistert von der Frau. Als wir allein waren, fragte ich ihn, wie das alles so schnell gekommen sei. Darauf sagte er mir: „Ja, wir haben aus unserer langen Korrespondenz gemerkt, wie wir uns verstanden. Ich habe ihr aber doch noch ein Buch Tolstois geschickt, damit sie lesen könnte über das Problem einer Ehe zwischen verschieden gearteten Menschen. Die Antwort hat mich sehr beruhigt.“ Dann bin ich im Januar mit ihr zusammengekommen, „so etwa fuhr Frau Gräfin Danckelmann fort,“ ich war von dem ersten Eindruck sehr befriedigt, sie zeigte sich geistvoll und liebevoll. Die ersten Launen von ihr habe ich an mir selbst erfahren. Als ich im Opernhaus einen Ohnmachtsanfall bekam und mein Bruder mich ins Foyer brachte, war sie darüber sehr gereizt, beim nachfolgenden Souper rührte sie nichts an. Bei einer anderen Gelegenheit, als sie über Blinddarmentzündung klagte, hatte ich ihr einen Arzt geschickt, der sie untersuchen sollte. Sie war darüber sehr ungehalten; der Arzt sagte mir, er hätte keine Spur von einer Blinddarmentzündung gefunden. Schließlich wurde sie immer launischer; sie war eifersüchtig auf mich und auf alle Freunde meines Bruders, der inzwischen nach Wien gereist war. Er erhielt nach Wien von Frau von Kruse viel schlechtgelaunte Briefe und schließlich ein Telegramm, das so gereizt klang, daß mir mein Bruder telegraphierte, ich möchte nach Wien kommen. Bei meiner Ankunft sagte er mir, er hätte an Frau v. Kruse geschrieben, daß es besser sei, die Verlobung zu lösen. Darauf kam eine Mitteilung von ihr, sie würde nachts ankommen. Sie erschien dann in später Nachtstunde an der Tür meines Schlafzimmers, schrie und tobte. Sie könne das Telegramm nicht geschrieben haben, sonst wäre sie wahnsinnig gewesen, sie liebe meinen Bruder viel zu sehr. Endlich brachte ich sie so weit, daß sie nach Hause fuhr, es war wohl ½2 Uhr morgens. Am anderen Morgen suchte sie mich wieder auf. Sie warf sich immer gegen die Tür, rang die Hände, fiel mir zu Füßen, immer beteuernd, sie liebe Graf Kuno so grenzenlos, sie machte auch Andeutungen, daß sie nicht leben könnte ohne meinen Bruder. Ich sagte, sie sollte doch auch an die Erziehung ihres Sohnes denken, noch sei es an der Zeit, von dem Bruder zu lassen. Sie erwiderte: „Ich liebe nur Kuno und will ihn besitzen, was ist mir der Sohn?“ Diese Szenen setzten sich fort. Am nächsten Tage war der Dienst Moltkes vorbei. Bei dem Wiedersehen hing sie an seinem Halse und schwor, daß alles Mißverständnisse seien. Sie bat und flehte mich an, ich glaubte ihr und bat meinen Bruder, sich mit ihr zu versöhnen. (Mit schluchzender Stimme:) Das ist die schwerste Schuld meines Lebens, denn mein unglücklicher Bruder mußte darunter auf das tiefste leiden. Zwei Tage darauf frühstückten wir zusammen, da war Frau v. Kruse schon wieder launisch. Sie bat mich dann, mit ihr nach Berlin zu fahren, um die Brautkleider zu kaufen. Sie sagte mir, wie peinlich es ihr sei, allein vom Hotel zu ihrer Hochzeit zu fahren und niemand zu haben. Auf meine Hinweise auf den Vater und die Mutter der Frau v. Kruse sagte sie mir: Der Vater ist mir nichts, die Mutter ist nicht präsentabel. Darauf erklärte ich mich bereit, in diesem Falle Mutterstelle zu vertreten. All meine Rührung aber verschwand, als ich sah, wie Frau v. Kruse bei den Einkäufen bei Gerson die armen Modistinnen behandelte und quälte. Bei der Zentenarfeier 1897 zeigte sich ihre Launenhaftigkeit auch darin, daß sie mich und Gräfin Perponcher ignorierte, weil wir Billetts zum Weißen Saal erhalten hatten und sie nicht. Dann waren wir auf Peterwitz im Schloß der Gräfin Pourtalès. Dort machte sie meinem Bruder erregte Szenen, man hörte das Schreien bis auf den Schloßplatz. Als dann die unglückselige Nordlandreise kam, an der Graf Moltke teilnehmen sollte, wollte Frau v. Kruse meinen Bruder von der Teilnahme an dieser Reise abhalten. Vor der Reise gab es eine furchtbare Szene. Frau v. Kruse forderte meinen Bruder auf, mit ihr im Garten spazieren zu gehen. Er kam nach zwanzig Minuten zurück, bleich und aufgeregt. Er bat meinen Sohn, den Grafen Danckelmann, doch einmal im Garten zu suchen, die arme Lilly sei ganz verzweifelt wegen der Nordlandreise. Nach langem vergeblichen Suchen kam die Gräfin schreiend auf Graf Danckelmann zu, klammerte sich an seinen Arm und sagte: „Rette mich vor ihm, dein Vater ist mir erschienen!“ Als sie ins Schloß zurückgekehrt war, hörten wir sie noch oben schreien. Ich ging in mein Zimmer und sah wie mein Bruder sie um die Taille gefaßt hatte und zu beruhigen versuchte. Sie riß sich los und warf sich gegen die Schlafstubentür mit Kopf und Rücken. Ich verbat mir solche Szenen und legte die Gräfin ins Bett. Am andern Tage zeigte sie mir lächelnd ein Billett des Grafen Kuno v. Moltke und sagte dabei: „Dies Billett hat mir der gute Kuno geschickt.“ Ich sagte darauf: „Ja, er ist eben zu gut.“ Sie meinte dann, sie bedauere nun doch nicht, damals das Telegramm nach Wien geschickt zu haben. Vom Fürsten Eulenburg erhielt ich dann einen Brief, in dem es hieß: „Ich kann Dir nicht sagen, wie ich unter dem Geschick Kunos leide. Ich habe keine Ruhe und zerbreche mir Tag und Nacht den Kopf, wie das zu Ende gebracht werden könnte, denn das muß es, wenn wir den Kuno nicht zugrunde gehen lassen wollen. Seit gestern hat er ein geschwollenes Auge.“ Das war im März 1902. Acht Tage darauf traf mein Bruder ein. Er sah so aus, daß ich ihn nicht wiedererkannte. Nach und nach erzählte er mir das ganze Elend seiner Ehe. Schließlich streifte er den linken Ärmel auf und zeigte mir Wunden, wohl an zwanzig, wie von einem Raubvogel mit Krallen herausgehackt. Er sagte, diese Wunden hätte ihm seine Frau beigebracht. Er fuhr dann zu einem Justizrat, um sich bei diesem über Scheidungsgründe zu erkundigen. Ich erhielt alsdann von der Gräfin einen Brief, in dem sie mich bat, einen Versöhnungsversuch zu unternehmen. Sie sei zu dieser Bitte durch eine spiritistische Manifestation gekommen. In einem geschlossenen Buch auf ihrem Tische wäre am anderen Morgen die Stelle unterstrichen gewesen: „Wende dich an sie.“ Das sollte von meinem verstorbenen Mann herrühren. Auf Befragen des Oberstaatsanwalts und des Justizrats Sello bekundete die Zeugin noch, ihr Bruder habe viele Frauenfreundschaften gehabt, er sei immer ein edler Charakter gewesen. – Es folgten die Gutachten der Sachverständigen. Medizinalrat Dr. Hoffmann antwortete auf die Frage, ob nach seiner Ansicht der Graf Moltke homosexuell sei: Ich möchte sagen, auf Grund dessen, was wir hier gehört und gesehen haben, habe ich keinerlei Anhaltspunkte gefunden, daß bei dem Herrn Nebenkläger Homosexualität vorliegt. Aus der Verhandlung ist hervorgegangen, daß die Aussage der Frau von Elbe eine der Quellen ist, wenn nicht die einzige Quelle, aus der die Anschuldigungen gegen den Grafen Moltke geflossen sind. Da muß man Frau v. Elbe ärztlich darauf hin beleuchten, ob diese Quelle eine solche ist, aus der die rein objektive, lautere Wahrheit quillt. Ich glaube ja, daß Frau v. Elbe meint, nach bestem Wissen die Wahrheit zu sagen, aber man muß doch an ihre schwere Trionalvergiftung aus dem Jahre 1898–99 denken. Frau von Elbe hat mehr als 5/4 Pfund Trional genossen; solche chronische Trionalvergiftung hat ganz bestimmte Erscheinungen im Gefolge und gibt ein Krankheitsbild, wie es sich bei der Frau v. Elbe zeigt. Aus einer solchen Zeit kann man keine klare Erinnerung haben. Frau v. Elbe hat ja hier selbst bekundet, daß sie eine Lücke in ihrem Gedächtnis hat. Bei einer solchen Patientin kommen durch die Phantasie Zeichnungen und Bilder zutage, die der objektiven Wahrheit nicht entsprechen. Dr. Frey hat uns hier eingehend dargetan, daß Frau v. Elbe schwer hysterisch, ihre Einbildungskraft sehr groß sei, sie leicht in Erregung gerate, und der Herr Oberstaatsanwalt hat ganz recht, wenn er auf das Wort hinwies: quaevis hysterica mendax. (Jede Hysterische ist eine Lügnerin.) Wenn man aus solcher Quelle schöpfen soll, dann darf man der betreffenden Person nur so weit trauen, als man sie kontrollieren kann auf ihre Reproduktionsfähigkeit. Frau v. Elbe war keine zuverlässige Quelle. Sie war eifersüchtig gegen jedermann. Aus dieser Quelle können wir nichts folgern, was als Unterlage für unser Gutachten dienen kann. Die Äußerungen, die von der Frau dem Grafen Moltke in den Mund gelegt werden, sind nicht gegen die Ehe im allgemeinen gerichtet gewesen, sondern hatten nur auf diese Ehe Bezug. Die Behauptung, daß der Graf Rot auflege und was Frau von Elbe in bezug auf die ihr einmal verdorbene Weihnachtsfreude gesagt, hat in der jetzigen Verhandlung eine mehr als harmlose Aufklärung erhalten, ebenso die Szene mit dem Taschentuch, die als Persiflage jetzt hier dargestellt ist. In den Augen der Frau v. Elbe ist daraus ganz etwas anderes geworden. Es kann aus dem, was diese Verhandlung ergeben hat, absolut nichts gefolgert werden, was für eine Homosexualität des Grafen Moltke sprechen könnte. Es mag sein, daß der Verkehr des Grafen mit seinem Freunde, dem Fürsten Eulenburg, ein etwas schwärmender oder, wie Herr Harden sagt, verhimmelnder war, aber es handelt sich dabei doch nur um ideale, künstlerische Schwärmerei. In dem kürzlich in der Voss. Ztg. hervorgehobenen Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, Wagner und Liszt kommen noch ganz andere schwärmerische Ausdrücke vor, ohne jeden erotischen Beigeschmack. Gegen ein etwaiges Vorhandensein einer „unbewußten Homosexualität“ müßte man im vorliegenden Falle energisch Front machen, denn hier handelt es sich nicht um einen jungen Mann, sondern um einen Mann, der die Liebe selbst genossen hat und wissen muß, ob seine Freundschaft frei von erotischem Beigeschmack ist. Ich halte Homosexualität nicht für vorliegend. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Damit jeder Zweifel völlig ausgeschlossen ist, bitte ich, durch nochmalige Frage an den Herrn Medizinalrat festzustellen, daß nicht nur nicht genügend Gründe zur Annahme einer Homosexualität des Grafen Moltke vorliegend sind, sondern daß auch nicht der leiseste Grund zu dieser Annahme vorliegt. Medizinalrat Dr. Hoffmann bestätigte dies und erklärte auf weiteres Befragen: Es sei eine bekannte Tatsache, daß Hysterische ihre Stimmungen und Gefühle sehr leicht wechseln und vielfach aus einem Extrem in das andere fallen. So wie Frau v. Elbe ihren Mann früher geliebt habe, so hasse sie ihn jetzt. – Auf Befragen des Justizrats Kleinholz erklärte Dr. Hoffmann, daß es für einen Laien wie Herrn Harden sehr schwer, wo nicht unmöglich gewesen sei, den geistigen Zustand der Frau v. Elbe zu erkennen. Es sei möglich, daß sie auf Harden den Eindruck einer ganz gesunden Frau gemacht habe. – Vors.: Meinen Sie, daß Herr Harden, wenn er von den Ehescheidungsakten Kenntnis gehabt hat, bei der Annahme festhalten durfte, daß Graf Moltke homosexuell sei? – Medizinalrat Dr. Hoffmann: Wenn der Angeklagte die Gutachten in der Ehescheidungssache gelesen hatte, so mußte er sehr vorsichtig sein. – Justizrat Kleinholz: Glauben Sie, Herr Sachverständiger, daß der Angeklagte damit rechnen konnte oder mußte, daß ihm Frau v. Elbe die bewußte Unwahrheit mitteilen würde? – Medizinalrat Dr. Hoffmann: Herr Harden ist nicht der einzige und wird auch nicht der letzte sein, der von einer hysterischen Frau getäuscht wird. – Justizrat Bernstein: Ich bemerke, daß das erste Gericht dem Zeugnis der Frau v. Elbe vollen Glauben geschenkt hat. – Graf Moltke: Ich bitte darum, hier nochmals sagen zu dürfen, daß ich niemals die Äußerung gebraucht habe: „Ich hasse diese Frau.“ Jene Äußerungen von der Ehe als Cochonnerie (Schweinerei) und so weiter habe ich nicht in der Wut gesagt und auch nie auf meine eigene Ehe bezogen. Ich will hier nochmals feststellen, daß ich gesagt habe: Wenn die Liebe und Hochachtung als sittliche Basis einer Ehe fehlt, dann ist tatsächlich die Ehe eine Schweinerei. – Sachverständiger Sanitätsrat Dr. Moll: Ich habe aus der Verhandlung keine Spur von Homosexualität des Grafen Moltke entnehmen können, keine Spur von homosexueller Veranlagung oder irgendwelcher homosexueller Richtung, weder bewußter, noch unbewußter. Ich kann sagen, daß ich nicht das geringste gefunden habe. Die Freundschaft mit dem Fürsten Eulenburg darf nicht so bewertet werden wie eine gewöhnliche Freundschaft. Selbst wenn solche zärtlichen Ausdrücke zwischen den Freunden gewechselt sind, wie behauptet worden, so muß man doch daran denken, daß es sich hier um eine Freundschaft handelt, die 40 Jahre währt, in welcher die beiden Freunde durch gemeinsame künstlerische Interessen verbunden sind. Ich habe während der ganzen Verhandlung absolut nichts von einem sogenannten femininen Einschlag bei dem Grafen Moltke bemerkt, keine Spur von weibischer Richtung. Höchstens könnte ein Übelwollender in dieser Beziehung vielleicht geltend machen, daß hier Graf Moltke hin und wieder ein Riechfläschchen benutzte. Aber selbst bei femininen Einschlägen kann man überhaupt nicht gleich auf Homosexualität schließen. Auch in dem Benehmen des Grafen gegenüber seiner Ehefrau ist nichts Homosexuelles zu bemerken. Bis kurz vor der Trennung der Ehe hat der Graf seine ehelichen Pflichten erfüllt. Ich lege den Aussagen der Frau v. Elbe gar keine Bedeutung bei. Den Satz „quaevis hysterica mendax“ kann ich nicht unterschreiben. Es gibt eine ganze Anzahl Hysterischer, die ebenso wahrheitsliebend sind wie andere. Aber hier hat sich doch, namentlich nach der Darstellung der Gräfin Danckelmann, ein Bild der Hysterie dargestellt, daß ich aus diesem Grunde einer solchen Persönlichkeit so leicht nicht Glauben schenken würde. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Da bei böswilliger Auslegung des Gebrauchs des Riechfläschchens auf femininen Einschlag gedeutet werden könnte, müßte doch festgestellt werden, ob der Herr Graf immer das Riechfläschchen anwendet, oder nur hier während der Verhandlung. – Graf Moltke: In dem Fläschchen befindet sich englisches Riechsalz, welches ich benutze, weil ich seit Oktober meinen Schlaf eingebüßt habe. – Auf eine Frage des Justizrats Bernstein gab Sanitätsrat Dr. Moll zu, daß Harden keine besondere Veranlassung haben mochte, an der Glaubwürdigkeit der Frau v. Elbe zu zweifeln. Er selbst habe mit Behauptungen hysterischer Frauen in Ehescheidungssachen die Erfahrungen gemacht, daß er in solchen Dingen überhaupt nichts mehr glaube. Er habe die „Zukunft“ von ihrem Erscheinen an gelesen und würde annehmen, daß an der Überzeugungstreue Hardens bei dem, was er sagt, kaum zu zweifeln sei. – Harden: Ich betone auch hier, daß ich niemals eine Homosexualität des Nebenklägers behauptet habe, sondern nur eine erotisch betonte Freundschaft und ein Abweichen von der Norm des Sexualempfindens. Wird es für den Herrn Sachverständigen von Einfluß sein, daß diese Freundschaft zu einem anderen Manne (Eulenburg) bestand, von dem nach zwei beschworenen Aussagen der Gründer des Deutschen Reiches gesagt hat, daß er pervers veranlagt sei? – Vors.: Von zwei beschworenen Aussagen kann noch keine Rede sein, denn Dr. Limans Aussage war doch anders. – Auf Befragen Hardens bemerkte Sanitätsrat Dr. Moll: Der Nachweis, daß Fürst Eulenburg eine perverse Neigung dem Grafen Moltke gegenüber betätigt habe, sei nicht geführt. Voraussetzung sei überhaupt die Richtigkeit des Bismarckschen Urteils. – Vors.: Bismarck war doch ein schlechter Menschenkenner, wie der Angeklagte selbst zugab. – Oberstaatsanwalt: Nach dem, was hier in der Beweisaufnahme festgestellt ist, kann also von einer erotisch betonten Freundschaft nicht die Rede sein? – Dr. Moll: Nein. – Geheimrat Prof. Dr. Eulenburg: Ich kann mich den beiden Vorgutachtern unbedenklich anschließen. Ich habe keine Spur von irgendeiner homosexuellen Veranlagung, Empfinden oder Betätigung bei dem Grafen Moltke erkennen können. Eine unbewußte Homosexualität kann ich überhaupt nicht zugeben. Auch ich kann den Satz „quevis hysterica mendax“ nicht als richtig ansehen. Es gibt ja hysterische verlogene Personen, die aber schon vorher verlogen waren. Eine Hysterische lügt niemals, sie sagt aber auch niemals die Wahrheit, diese beiden Begriffe kennt sie eben nicht. Die Möglichkeit, von Hysterischen getäuscht zu werden, ist außerordentlich groß, auch mir ist das oft passiert. Niemand ist vor solcher Täuschung sicher, am wenigsten ein Laie. Ich kenne Harden seit langen Jahren, ich würde ihm bei jeder Art seines Vorgehens niemals unlautere Motive zutrauen. – Graf Moltke: Ich möchte, um alle Mißverständnisse zu beseitigen, noch einmal die mysteriöse Taschentuchaffäre erörtern. In der Schöffengerichtsverhandlung wurde eidlich ausgesagt, diese Szene sei aus dem Nebenzimmer beobachtet worden von Frau v. Elbe und ihrem Sohn. Hier ist es schon nicht mehr ganz so zweifelsfrei gelassen worden. Ich möchte diesen Gegensatz nur konstatieren. Ich hatte wochenlang nicht in persönlichem Verkehr mit dem Eulenburgschen Hause gestanden, nur um Szenen zu vermeiden. Als ich das Taschentuch fand, wollte ich einen gewissen Fühler kurz vor dem Zusammenbruch unserer ganzen Ehe ausstrecken, um zu sehen, ob das eine Brandfackel bilden oder harmlos hingenommen würde. – Es wurde hierauf Dr. med. Magnus Hirschfeld vernommen: Ich habe mein Gutachten vor dem Schöffengericht über den jetzigen Herrn Nebenkläger – in der Hauptsache – auf die beeidete Zeugenaussage der Frau v. Elbe gestützt. Es lag damals keine Veranlassung vor, an der Wahrheit dieser Aussage zu zweifeln, zumal sie von dem Herrn Vorsitzenden des Schöffengerichts ausdrücklich als Grundlage des zu erstattenden Gutachtens bezeichnet worden war. Diese Grundlage ist durch die neue Beweisaufnahme vor der Strafkammer wesentlich erschüttert worden, und zwar zunächst dadurch, daß die Zeugin Frau v. Elbe ihre frühere Aussage in tatsächlicher Beziehung abgeschwächt, bezw. nicht mehr in der früheren bestimmten Form aufrecht erhalten hat. Sie selbst hat während dieser Verhandlung, als ihr eine subjektive Färbung der Ereignisse vom Herrn Oberstaatsanwalt vorgehalten wurde, ausgerufen: „Kann denn ein Mensch, der solche Nöte erlitten hat, noch objektiv sein?“ Es kommt hinzu, daß bei der Zeugin nach dem Gutachten des Herrn Dr. Frey ein neuropathischer Zustand vorlag, namentlich auch während der Zeit der Ehe, welcher geeignet war, sowohl ihr Empfindungsleben als auch die Erinnerungsbilder stark zu beeinträchtigen. Endlich steht der beeideten Aussage der Frau v. Elbe jetzt das beeidete Zeugnis des Grafen Moltke entgegen, der, im Gegensatz zu der früheren Verhandlung, eingehende Erklärungen zu den einzelnen Behauptungen der Zeugin abgegeben hat, deren Darstellung die Zeugin zum Teil selbst bestätigte. Von vornherein kann es sich auf Grund der Beweisaufnahme vor der Strafkammer wieder lediglich um die Frage handeln, welche ich auch das vorige Mal nur erörtern konnte, ob bei dem Herrn Nebenkläger eine ihm selbst unbewußte Abweichung seines sexuellen Empfindens vorliegt. In dem konkreten Fall kommt es weniger auf die Gefühlsrichtung und die Gefühlsstärke als auf den Gefühlston an. Daß dieser Gefühlston in dem vorliegenden Falle den Freunden gegenüber ein ungewöhnlich inniger ist, muß zugegeben werden. Selbstverständlich könnte man daraus allein keine Homosexualität folgern. Entsprachen aber die von der Frau v. Elbe mitgeteilten scharfen Äußerungen über die Frauen, die Ehe usw. der Wahrheit, so konnten sie bei einem Manne von so hohem ästhetischen Empfinden und solcher Feinfühligkeit nur durch tiefe Kontrainstinkte gegen das Weib erklärt werden. Waren sie aber objektiv unrichtig, so entfielen natürlich damit auch die daraus gezogenen Schlüsse. Der Herr Nebenkläger selbst erklärt seine Abneigung in dem besonderen Falle durch die „psychisch und physisch ungewöhnlich große Leidenschaftlichkeit“ seiner Ehegattin. Nach allem resumiere ich mein Gutachten über die Beweisfrage wie folgt: Aus den Grundlagen, wie sie diese Verhandlung vor der Strafkammer ergeben hat, läßt sich ein Schluß auf eine homosexuelle Veranlagung des Grafen Moltke nicht mehr ziehen. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Sie hatten doch früher in der politischen und musikalischen Veranlagung des Privatklägers einen femininen Einschlag erblickt. – Dr. Hirschfeld: Nur in ihrer Gesamtheit habe ich die einzelnen Eigenschaften als Kennzeichen des femininen Einschlags betrachtet. – Vors.: Auf poetisch-musikalischem Gebiet ist doch aber die Minderwertigkeit des weiblichen Geschlechts so groß. – Dr. Hirschfeld: Das ist richtig, aber auf der andern Seite hat gerade der stark brutale Vollmann meist keine Begabung auf diesem Gebiete aufzuweisen. – Oberstaatsanwalt: Dann würden Sie unter Vollmännlichkeit nur eine gewisse Roheit verstehen. – Dr. Hirschfeld: Nein, ganz gewiß nicht. Männlichkeit und Weiblichkeit sind sehr schwankende Begriffe. – Oberstaatsanwalt: Es ist das wohl auch bloß das Geschützfeuer, das den eklatanten Rückzug decken soll. Sie treten doch wohl vollständig von Ihrem Gutachten vor dem Schöffengericht zurück? – Dr. Hirschfeld: Jawohl, das muß ich tun; ich glaube, das kann mir nur zur Ehre gereichen, wenn ich bei der veränderten Grundlage zu anderen Schlüssen komme. – Oberstaatsanwalt: Meinen Sie nicht, daß die Grundlage für Ihr damaliges Gutachten nicht nur verändert, sondern vollständig beseitigt ist? – Dr. Hirschfeld: Diese Frage kann ich bejahen. – Oberstaatsanwalt: Ich kann wohl feststellen, daß jetzt nach Ihrer Meinung beim Grafen Moltke weder Anhaltspunkte für Homosexualität noch für erotisch betonte Freundschaft vorhanden sind. – Dr. Hirschfeld: Ich halte den Ausdruck „erotisch betonte Freundschaft“ nur für ein Synonym für „geistige Homosexualität“. – Als letzter Sachverständiger wurde Geh. Sanitätsrat Dr. Zwingenberg vernommen, der 37 Jahre in der Familie des Grafen Moltke ärztlich tätig war und vier Generationen kennen gelernt hat. Auch er erklärte, daß Graf Moltke weder homosexuell war, noch ist. – Es entspann sich hierauf ein längerer Disput über die Aussage des Dr. Liman. – Justizrat Bernstein las aus seinem Notizbuch die Äußerung Dr. Limans vor, die dieser vor dem Schöffengericht machen wollte, aber nicht machen konnte, da er nicht vernommen wurde. In dieser Äußerung, die Dr. Liman dem Verteidiger diktiert habe, heißt es, Fürst Bismarck habe von den Hintermännern im doppelten Sinne, auch im physischen Sinne gesprochen und mit Bezug auf die Liebenberger Hintermänner das Wort „Kinäden“ gebraucht. Er beantragte die nochmalige Vernehmung des Zeugen Dr. Liman. Auf telephonischen Anruf erschien hierauf Dr. Liman nochmals als Zeuge. Er wiederholte, Fürst Bismarck habe, als davon gesprochen wurde, daß im Tauschprozeß auf Hintermänner im Sachsenwalde hingewiesen wurde, dies übertrumpfen wollen und den Ausdruck „Kamarilla der Kinäden“ in Anwendung gebracht. Ein geschlechtlicher Beigeschmack sollte damit nach seiner Ansicht nicht verbunden sein. – Justizrat Bernstein hielt dem Zeugen wiederholt vor, daß dieser ihm doch genau die Stelle diktiert habe, in welcher es hieß: Fürst Bismarck habe von den „Hintermännern auch im physischen Sinne – siehe Eulenburg –“ gesprochen. – Dr. Liman erklärte hierzu, daß er dem Justizrat nur mitgeteilt habe, was er vor dem Schöffengericht habe aussagen wollen. Was er diktiert habe, habe nur ein Leitfaden sein sollen, er habe über die Worte des Fürsten weiter keinen Kommentar gegeben, sondern sei sofort auf das übergegangen, was ihm wichtig schien. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Ich bitte, präzise die Frage zu beantworten: Hat Fürst Bismarck die Worte gebraucht: „Hintermänner im doppelten Sinne, auch im physischen?“ – Zeuge: Nein. – Hierauf wurde allseitig entgültig auf jede weitere Beweisaufnahme verzichtet. – Am folgenden Tage begannen die Plädoyers. Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel führte etwa folgendes aus: Herr Harden nahm an, daß sich in der Umgebung des Kaisers eine Gruppe hochstehender und einflußreicher Personen befunden habe, die dem Wohle des Vaterlandes abträglich gewesen sei. Er hielt sich für berufen, diese Gruppe zu sprengen. Wen er eigentlich zu dieser Gruppe rechnete, war nicht ganz klar. Er nannte Fürst Eulenburg und Graf Kuno v. Moltke. Er scheint ferner noch zu dieser Gruppe zu rechnen die Herren v. Varnbühler, v. Below, den französischen Botschaftsrat Lecomte. Auch der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Herr v. Tschirschky ist an einer Stelle erwähnt. Herr Harden glaubte jedenfalls in der Lage zu sein, den Fürsten Eulenburg und den Grafen Moltke vernichten zu können. Vor einigen Jahren hat er einige Kenntnis von dem Eheleben des Grafen Moltke und von nicht ganz verständlichen Andeutungen des Fürsten Bismarck erlangt. Auf dieser Grundlage glaubte er, der Gruppe perverse Geschlechtlichkeiten nachsagen zu können. Wegen dieser seiner Überzeugung ist er richterlich nicht zu bestrafen, sondern nur, weil er einen Teil seiner Überzeugung in der „Zukunft“ veröffentlicht hat. Er hat sich dabei in wenigen Zeilen mit dem ihm eigenen Geschick ausgedrückt. Herr Harden behauptet, er habe keine Beleidigung ausgesprochen, sondern den Herren nur eine normwidrige erotische Freundschaft nachgesagt. Aber auch das ist strafbar. Der Oberstaatsanwalt erörterte alsdann in eingehender Weise die inkriminierten Artikel und fuhr darauf fort: Soviel Rücksicht man auch auf krankhafte Triebe nehmen will, mag der § 175 aufgehoben werden oder nicht, der Vorwurf geschlechtlicher perverser Triebe, des Umgangs von Männern untereinander ist für Deutsche etwas Herabwürdigendes, etwas Gemeines, eine Hundemoral. Ich glaube nachgewiesen zu haben, daß Harden dem Grafen Moltke den Vorwurf der Homosexualität gemacht hat. Von diesem Vorwurf ist nicht ein Atom wahr. Wir haben gesehen, wie dieser Vorwurf haltlos zusammenbrach. Nicht eine Spur von Homosexualität, nicht ein Atom femininer Eigenschaften ist dem Grafen Moltke nachgewiesen. Alle Sachverständigen sind darüber einig, und wir haben unter ihnen die hervorragendsten Vertreter der Sexualwissenschaft. Auch einer, der zuerst anderer Meinung war, hat sich jetzt bekehrt, Herr Dr. Hirschfeld. Errare humanum est. Ich mache Herrn Dr. Hirschfeld für seine Bekehrung mein Kompliment. Ich habe mich sehr ausführlich mit der Frage der Homosexualität beschäftigt. Und nun stehe ich hier und kann meine mühsam erworbenen Kenntnisse auf diesem Gebiete nicht verwerten, denn von dieser Leidenschaft ist hier gar keine Rede mehr. Ich kenne Herrn Harden seit langer Zeit, habe seinen Werdegang und den der „Zukunft“ genau verfolgt. Ich kenne seinen Streit mit Lindau, Delbrück, Mehring, Leuß und anderen, und ich muß sagen: er ist in seiner Art ein Genie. Er ist der arbeitsreichste Publizist der Neuzeit; er hat Scharfsinn, einen eigenartigen, unnachahmlichen Stil, eine faszinierende Persönlichkeit. Aber diesen glänzenden Eigenschaften stehen sehr häßliche Mängel gegenüber. Er ist von einer brutalen Rücksichtslosigkeit, er geht bei Verfolgung eines Zieles über Leichen. Herr Harden hat, als er seine Aktion ins Werk setzte, den obersten Rechtsgrundsatz verletzt: „Eines Mannes Rede ist keine Rede, man muß sie billig hören beede“. Er hat nicht einmal auf eines Mannes, sondern auf eines kranken hysterischen Weibes Rede hin gehandelt. Das war leichtfertig, vielleicht mehr als das. Herr Justizrat Bernstein hat im ersten Prozeß gesagt: „Wenn ich die Tür aufmache und rufe Päderast, da steckt Graf Moltke den Kopf zur Tür herein.“ Diese Äußerung hat ja Herr Justizrat Bernstein klipp und klar zurückgenommen. Aber Herr Harden hat eine Tür aufgemacht, die verboten ist, deren Geheimnis jedem Gebildeten heilig ist, die Tür zum Ehegemach. Er hat einen Ehrenmann zum Lotterbuben stempeln wollen. Das war unverantwortlich, unsühnbar. Ich habe einen alten Brief Hardens gelesen, in dem er den Adressaten „Mein Herz“ anredet. Und trotzdem halte ich Herrn Harden nicht für anormal. Der Mann, der in so schrecklicher Weise hier mit Schmutz beworfen worden ist, Graf Kuno v. Moltke, geht gereinigt aus diesem Saal. Nicht ein Stäubchen ist auf seinem Ehrenschild haften geblieben. Ein Edelmann vom Kopf bis zum Fuß. Der Staatsanwalt hat sich über nichts zu freuen und über nichts zu ärgern, er hat streng seine harte Pflicht zu tun. Nicht als Beamter, aber als Mensch freue ich mich, daß Fürst Eulenburg so rein aus dieser Verhandlung hervorgegangen ist. Der große Altreichskanzler, der Alte im Sachsenwalde, hat sich in heiligem Zorn gegen die Hintermänner, die ihm das Leben schwer gemacht haben, zu einer Äußerung hinreißen lassen. Er hat von Kinäden gesprochen. Wir wissen, wie explosiv Fürst Bismarck war. Es liegt nahe, daß er sich ebenso wie Dr. Liman über den von ihm gewählten Ausdruck nicht klar geworden ist. Ich bin überzeugt, wenn dieser große Mann jetzt aufstehen könnte aus seiner Gruft, dann würde er uns sagen, daß er mit dem Wort Kinäden keine Verdächtigung aussprechen, sondern nur schimpfen, fluchen und wettern wollte. Nun noch ein Wort in eigener Sache. Ich weiß nicht, was Seine Majestät der Kaiser mit Graf Moltke gesprochen hat, aber ich bin der Ansicht, Majestät wird gesagt haben: Gehen Sie hin, Moltke, reinigen Sie sich, treten Sie das Otterngezücht zu Boden, jetzt haben Sie Ihren Abschied und die nötige Ellbogenfreiheit. Ich habe beiden hervorragenden Männern erst Gelegenheit gegeben, ihre Sache selbst zu vertreten, als aber das öffentliche Interesse begann, bin ich sofort eingeschritten. Herr Harden hat am ersten Tage gesagt: er glaubte, dem Lande, dem er angehöre und das er liebe, einen guten Dienst zu leisten. Ich glaube ihm das, weil ich Herrn Harden kenne, und weil ich weiß, daß er vielfach gute Zwecke verfolgt. Aber er hat seinem Vaterlande einen herzlich schlechten Dienst geleistet. Er hat sein Vaterland vor dem Auslande diskreditiert. Lesen Sie nur die Blätter des Auslandes, da werden Sie sehen, wie man jubelt, daß an unserem Kaiserhof eine Gruppe perverser Leute sich gebildet habe, die um unseren geliebten tatkräftigen Kaiser ihre Fäden spinne. Wie einst der Sohn des Dädalos mit wachgehaltenen Flügeln zur Sonne strebte und ins Meer stürzte, so ist Herr Maximilian Harden, der nach der Majestät zu fliegen glaubte, mit seinen schwachen Kräften hineingestürzt in ein Meer von Lüge und Entstellung. Der § 193 kann Harden nicht zur Seite stehen, denn der Schutz des Paragraphen ist nicht uferlos. In der ersten Verhandlung hat sich der Vertreter der Privatklage darauf beschränkt, eine strenge Bestrafung anheim zu geben. Ich kann mich darauf nicht beschränken. Ich habe alles erwogen. Der Angeklagte hat sich täuschen lassen, wie manche anderen klugen Leute. Er hat von den Mitteilungen der Frau v. Elbe Gebrauch gemacht und muß dies vertreten. Ich habe lange erwogen, ob eine Geldstrafe möglich wäre. Allein ich muß Gefängnisstrafe in Antrag bringen, weil der Angeklagte unsägliches Unglück angerichtet hat über den Grafen Moltke, den Fürsten Eulenburg und unseren Staat. Ich beantrage deshalb gegen den Angeklagten 4 Monate Gefängnis, Publikationsbefugnis für den Nebenkläger in mehreren Zeitungen und in der „Zukunft“. Außerdem beantrage ich, die gesamten Kosten, auch die Kosten des Privatklageverfahrens, dem Angeklagten aufzuerlegen. Ich möchte Herrn Harden zum Schluß noch eine vielleicht erfreuliche Mitteilung machen. Herr Harden hat begeisterte Anhänger, die bereit sind, für ihn in den Tod zu gehen. Ich habe kürzlich einen Brief erhalten, in dem mir gedroht wird, falls Herr Harden verurteilt wird, dann wird man mich aus dem Hinterhalt erschießen. Ich würde mich selbst verachten, wenn ich glaubte, daß Herr Harden diesen Brief veranlaßt hätte; aber ich habe in meinem Leben wissentlich nie jemandem unrecht getan. Ich sage mit Herrn Hardens großem Freund, dem verstorbenen Fürsten Bismarck, der bekanntlich, wenn er gut gelaunt war, plattdeutsch sprach: „Da lach ich ewer.“ – Als Vertreter des Nebenklägers nahm hierauf Justizrat Dr. Sello das Wort: Ich habe in meiner Verteidigertätigkeit immer der Ansicht gehuldigt auf das bißchen Plädieren ist gar kein so großer Wert zu legen. Was hätte ich denn hier noch aufzuklären und zu erläutern. Die Tatsachen stehen doch jetzt felsenfest. Frau v. Elbe hat vielen Leuten unrecht getan, auch mir, indem sie die falsche Ansicht ausgesprochen hat, daß ich ein fanatischer Verfolger ihrer Person sei. Das bin ich ganz gewiß nicht, viel eher bin ich jemand, der wirkliches Mitleid mit ihr hat. Ich werde mich darauf beschränken, den Nebenkläger zu rechtfertigen gegen den Vorwurf, daß er an einer krankhaften Gestaltung seiner Sinnesrichtung leide. Dieser Vorwurf ist beleidigend. Trotz der übertriebenen Tätigkeit des wissenschaftlich-humanitären Komitees ist dieser Vorwurf ein Schimpf, nicht bloß in unserem Vaterlande, sondern, wie ich kürzlich aus einem Buche über Sibirien ersehen habe, selbst dort. Der Angeklagte kann nicht davon freigesprochen werden, daß er der eigentliche Urheber der unendlichen Flut von Schmutzliteratur gewesen ist, die sich dieser Affäre bemächtigt hat und einen Schandfleck in unserem Volksleben bildet. Er ist der Urheber dieser Flut, die er vorausahnen mußte, einer Flut von Schmutz, Ekel und Entwürdigung. Das wird er von seinen Rockschößen nicht mehr los, wie der Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nicht wieder los wurde. Die Beleidigungen in den Artikeln des Angeklagten waren von tödlicher Tragweite und mußten den Erfolg haben, daß der Angegriffene in den Abgrund der Lächerlichkeit versank. In einer längeren dialektisch meisterhaften Ausführung suchte Justizrat Dr. Sello darzulegen, daß alle Interpretationskünste nicht über den wirklichen Sinn der Artikel hinwegtäuschen können. Der gute Glaube soll Herrn Harden nicht abgesprochen werden, denn es wäre doch teuflisch, wenn man annehmen wollte, daß jemand im politischen Kampfe zum Mittel der bewußten Lüge greifen würde. Harden ist ein Opfer seiner durch Parteinahme getrübten Intelligenz geworden, und ihn trifft der Vorwurf, den Satz des alten römischen Rechts: „audiatur et altera pars!“ nicht befolgt zu haben, der Vorwurf, daß er die leidenschaftlichen Ergüsse einer durch ihren Ehescheidungsprozeß verärgerten Frau ohne weiteres für bare Münze genommen hat und seinen Angriffen, die ohne Gleichen an Tötlichkeit sind, zur Grundlage gemacht hat. Und doch hätte er durch Einsicht des der anderen Seite zu Gebote stehenden Materials seine Ansicht korrigieren können. Was Fürst Bismarck im Ingrimme über seine politischen Gegner gesprochen hat, kann er nicht für sich verwerten, da nicht einmal feststeht, in welchem Sinne es gesprochen ist. Wir haben aber gehört, daß ein Ohrenzeuge geschlechtliche Beziehungen in diesen Worten nicht erkannt hat. Es wäre leicht, die Schale unseres Zornes auf das Haupt der Frau v. Elbe auszugießen. Aber wir tun es nicht. Ich habe Mitleid mit dem Leide der Frau v. Elbe, in welches sie sich selbst gebracht hat. Nie habe ich daran gedacht, daß sie ihren Zeugeneid verletzt hat, aber ihre Krankheit hat ihr das schönste Recht des sittlichen Menschen, das Recht, wahr zu sein, genommen. Der fanatischste Gegner, der gehört hat von den Sachverständigen, wie bemitleidenswert entartet die Psyche der Frau v. Elbe ist, wird genau meiner Ansicht sein. Wir haben, der Herr Nebenkläger und ich, keine Veranlassung gehabt, irgendwelche Sachverständige zu laden, obwohl uns Dutzende von Autoritäten zur Verfügung stehen, die wir gegen die damalige Ansicht des Herrn Dr. Magnus Hirschfeld ins Feld führen konnten. Wir haben es nicht getan, aus guten Gründen. Wir stehen auf dem Standpunkt: „Ich sehe aus der Ferne schadenfroh zu, wie sich der Feind von selbst vernichtet.“ Unser schon von Anfang an eingenommener Standpunkt hat sich auf das glänzendste bewährt. Die von der Verteidigung geladenen Sachverständigen haben hier unter ihrem Eide ausgesagt, nicht der Schatten eines Verdachts liegt vor, daß bei dem Grafen Moltke eine erotisch betonte Freundschaft vorhanden ist. – Als Frau v. Elbe hier im Gerichtssaal in dieser zweiten Verhandlung das erste Wort gesprochen hatte, war der Prozeß eigentlich schon zu Ende. Wer ist es denn gewesen, der in der Verhandlung erster Instanz durch die genau detaillierten Fragen an Frau v. Elbe einen Sturm der Entrüstung in dem deutschen Blätterwalde angefacht hat? Wer ist es gewesen, der ihr die Geheimnisse des Ehebettes entlockt hat? Wir nicht! Ich rufe alle als Zeugen dafür auf, daß ich mich stets dem widersetzt habe, daß diese Dinge hier zur Sprache kommen. – Möge doch endlich die unheilvolle Frucht verdorren, die aus dieser Drachensaat entsprossen ist! Als hier im Gerichtssaal gestern durch das Zeugnis der Schwester des Grafen Moltke, der Gräfin Danckelmann und anderer Zeugen, die Wolken von dem Himmel gefegt wurden, die die Ehe verdunkelt hatten, da überkam es mich eigenartig, gewaltig: Der Wahrheit war zum Siege verholfen worden. „Und Stille wie des Todes Schweigen, lag überm ganzen Hause schwer, als wenn die Gottheit nahe wär!“ Ich selbst erkannte wieder einmal, daß wir nicht nur ein Handwerk mit Worten betreiben, wie uns vielfach angegriffenen Anwälten oft nachgesagt wird. Selbst wetterharte Gerichtsberichterstatter, die tragische Szenen gewöhnt sind, haben mir erklärt, daß bei der ergreifenden Schilderung der Gräfin Danckelmann über das Eheleben des Grafen Moltke ihnen die Tränen nahe waren. Dem gegenüber steht die Aussage der Frau v. Elbe, durch deren Zeugnis die Person des Grafen Moltke zu einem elenden Zerrbilde gemacht werden sollte. Als ihm in den Schloßgefilden von Netzow eine Blume erblühte, hat Graf Moltke mit ritterlicher Minne um sie geworben. Zaghaft und mit feinsinnigem Verständnis hat Graf Moltke durch den Mund des Dichters um diese Blume geworben. Als er das Jawort erhielt, brach er in die rührenden Worte aus: „O, zu viel Glück für mich alten Knaben!“ Gleich den schleimigen Schneckenspuren zog sich die ekle Verleumdung hinter einem anderen Worte her – ein Märchen fürs Leben wollte sich Graf Moltke gewinnen. Die Ohren, die für Reinheit unempfänglich sind, haben hieraus sogar etwas herauskonstruiert. Herr Medizinalrat Dr. Hoffmann hat sich sehr richtig ausgedrückt, wenn er von einem Märchen sprach, das dann später die Krallen auszustrecken begann. Glauben Sie uns das eine, wir haben hier nicht den zehnten Teil aus dem Eheleben des Grafen Moltke zur Sprache gebracht. Unendlich viel Traurigeres, Schmählicheres könnten wir hier vorbringen, um die Ehegeschichte des Herrn Nebenklägers in dem richtigen Lichte darzustellen. Nicht wie ein Held der modernen Erzählungskunst hat Graf Moltke diese Sachen hier vorgebracht – nein, wie ein Held aus der alten guten Zeit hat Graf Moltke geschwiegen. Er hat geschwiegen, als ihn sein Freund, mit dem er in dem behaupteten so sehr nahen Verhältnis angeblich stehen sollte, fragte, woher die Spuren von Mißhandlungen kämen. Er hat die wahre Ursache verschwiegen und hat erklärt, das blaue Auge rühre von einem Sturz gegen eine Etagere her. Als Graf Moltke, an Leib und Seele gebrochen, seiner Schwester, der Gräfin Danckelmann, seine eheliche Leidensgeschichte eingestand und ihr an seinem linken Arm die blutigen Nageleindrücke zeigte, als die damalige Gräfin Moltke, wie ein Raubvogel seine Krallen, ihre Fingernägel in den Arm ihres gequälten Ehegatten eingeschlagen hatte – als da seine Schwester in gerechter Empörung über diese Vorgänge nach Breslau fuhr, um dort mit ihrem Bruder einen Rechtsanwalt aufzusuchen und die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten auch da noch schwieg Graf Moltke. An der Tür des Anwalts kehrt er um, da er seine Schande nicht offenbaren wollte. Meine Herren, das ist der Mann, dem in der vorigen Verhandlung hier gesagt wurde, es wäre nicht anständig, tapfer, christlich und nicht deutsch, wenn man das Zeugnis der Frau v. Elbe als unwahr bezeichne. Das Herz muß sich einem zusammenkrampfen, wenn man diese dialektische Verdrehung hört. – Das ist der Mann, von dem hier gesagt worden war, er habe sich einer Lüge bedient, um seinen Rock zu behalten, das ist der Mann, von dem hier an bedeutungsvoller Stelle gesagt wurde: Auch Graf Moltke ist nicht ganz rein! Der hohe sittliche Ton des Herrn Oberstaatsanwalts wird allen hier ins Herz gedrungen sein, mit dem er die Persönlichkeit des Grafen Moltke in so trefflicher Weise charakterisierte. Wer reiner ist als er, der stehe hier jetzt auf. Der Paragraph 193 ist meines Erachtens auf den Angeklagten gar nicht anwendbar, es müßte denn ein Umschwung des Rechts eintreten. Ich werde mich in die Erörterung über das Strafmaß nicht einmischen. Auch der Nebenkläger will das nicht. Selbst das Leid dieser Tage hat in dieser Seele keinen Haß zu erregen vermocht. Ich meine aber, daß sich nicht bloß der kämpfende Journalist auf seinen Journalismus berufen darf, sondern daß auch wir uns eines gewissen Patriotismus rühmen dürfen. Kein Patriotismus lodert in heller Freude auf darüber, daß endlich die volle und ungetrübte Sonne des Rechts über dem Wirrsal dieses unheilvollen Prozesses aufzugehen im Begriff steht, die Sonne eines neuen Jahres, eines neuen Lebensjahres hoffentlich für uns alle, und daß diese Sonne den Namen Moltke, auf den jeder Deutsche stolz ist, in altem Glanze wieder herstellt. Ich hege die Überzeugung, daß die Tat, die wir hier in angestrengter Arbeit verrichtet haben, nicht im Dienste der Göttin Politik mit den leidenschaftlich verzerrten Zügen, deren Priester meinen, daß zur Bekämpfung des Gegners jedes Mittel recht sei, sondern im Dienste der Göttin Gerechtigkeit geschehen ist. Ich bin überzeugt, daß unser Vaterland diese Tat uns dermaleinst danken wird, danken, daß wir die Ehre deutschen Namens, deutschen Mannestums und die Ehre eines Mannes, der im wirklichen Sinne des Wortes sein Blut auf dem Schlachtfelde vergossen hat für das Vaterland, wiederhergestellt haben im In- und Ausland. Das Gute, was aus diesen Artikeln entsprungen ist, ist das, daß wir in Zukunft jedem Rauner, Flüsterer, Hintertreppenkolporteur, der nachher von nichts etwas gesagt haben will, von „Frontwechsel“ und dergleichen spricht, den Mund werden stopfen und ihm zurufen können: „Du lügst!“ Auch die Spatzen im Grunewald, auf die sich Herr Harden in der ersten Verhandlung berufen hat, werden, nachdem die Wahrheit ihren Triumph hier gefeiert hat, in Zukunft ein anderes Lied pfeifen als vorher. – Nebenkläger Graf Kuno v. Moltke: Ich möchte hier noch in breiter Öffentlichkeit die Frage beantworten, weshalb ich mein Abschiedsgesuch eingereicht habe: Als ich den Artikel der Zukunft vom 27. April zur Kenntnis nahm, ging ich zu meinem direkten Vorgesetzten, dem Gouverneur Generalfeldmarschall v. Hahnke. Ich habe ihm dargelegt, ich glaube informiert zu sein, daß der Herr Angeklagte sich eine Gruppe konstruiere und dann sie angreife in der Art, um sich nicht mit ihr zu schlagen, sondern um sie in breiter Öffentlichkeit in der Art zu verdächtigen, daß sie unmöglich wird. Ich beriet mit meinen Anwälten, in welcher Weise gegen ein solches Vorgehen eingeschritten werden könnte. Zwei Tage darauf kam zu mir General von Plessen, der Chef des allerhöchsten Hauptquartiers, dem ich mein Ehrenwort gegeben habe, daß ich nie mit Männern geschlechtlichen Umgang gepflogen habe. Ich habe darauf gleichzeitig mein Abschiedsgesuch meiner innersten Überzeugung nach eingereicht, unter der Motivierung, es erscheine mir nicht angängig, daß eine Persönlichkeit in meiner Stellung unter einem nicht gleich zu beseitigenden Verdacht fernerhin im Dienst stehen könne. General v. Plessen schien durchaus meiner Meinung zu sein. Am 24. Mai habe ich meinen Abschied von allerhöchster Stelle in Gnaden bewilligt bekommen, in der üblichen Form. Ich bin dankbar dafür Sr. Majestät, weil er mir dadurch die Freiheit gab, auf dem Wege der Klage vorzugehen, wie es meine Pflicht erfordert und meine Ehre. Ich will nicht auf die Schöffengerichtsverhandlung weiter zurückkommen, ich will nur betonen, daß sie mir noch qualvoller gewesen wäre, wenn ich sie in der Uniform hätte aushalten müssen, die ich seit 42 Jahren in Ehren getragen habe. Nun möchte ich noch mit einigen Worten eine Darstellung zerstreuen, wie sie auch die Darlegungen des Grafen Reventlow enthielten, nämlich, daß an unserem Hofe ein süßer, unmännlicher Ton geherrscht hätte oder überhaupt herrschen könnte. Ich bin hier im Augenblick der einzige im Saale, der persönlich durch lange Jahre hindurch darüber berichten kann und deshalb sich auch verpflichtet fühlt, davon Kenntnis zu geben. Ich habe sieben Jahre als Flügeladjutant und General à la suite Sr. Majestät Dienst getan und versichere demnach: Niemals hat ein süßer, unmännlicher Ton am kaiserlichen Hofe geherrscht. Dafür bürgt schon die frische ursprüngliche Persönlichkeit des Kaisers. Niemals hat ein Grüppchen existiert, niemals eine politische Zuträgerei, niemals eine Kamarilla; auch eine Tafelrunde hat nie existiert in der Art, wie sie der Angeklagte andeutete. Die Tafelrunde ist an unserem kaiserlichen Hofe die kaiserliche Familie mit den wenigen dazu Befohlenen, und das Bild dieser kaiserlichen Familie, zu dem das engere und weitere Vaterland mit Stolz und Hochachtung emporblickt, das wollen wir uns nicht verkümmern lassen. – Auf die Frage des Vorsitzenden erklärte Graf Moltke die Richtigkeit dieser seiner Aussage auf seinen Eid. – Verteidiger Justizrat Bernstein (München): Fast drei Stunden haben wir hier zwei glänzende Redner für die Schuld des Angeklagten sprechen hören. Bewiesen haben sie diese Schuld aber nicht. Man hat von allen möglichen Dingen gesprochen, von Katull bis zu den Spatzen im Grunewald, aber den Beweis, daß diese Artikel strafbare Beleidigungen enthalten, ist man schuldig geblieben. Dem Oberstaatsanwalt ist zu danken für die loyale Art, in welcher er die Persönlichkeit des Angeklagten beleuchtet hat, aber die Vorwürfe, die von beiden Seiten gegen Maximilian Harden erhoben werden, sind vollständig unbegründet und beruhen auf unrichtiger Beurteilung der Sachlage, sowie absolut falschen tatsächlichen Annahmen. Herr Harden ist ein anständiger Mann und ein anständiger Schriftsteller und kann beanspruchen, daß ihm das konzediert werde, was daraus folgt, nämlich, daß man ihm glaubt, wenn er erklärt, in welchem Sinne er die Artikel geschrieben hat und welches ihre Bedeutung ist. Herr Harden ist kein Pamphletist, kein gewerbsmäßiger Verleumder, kein unanständiger Skribent. Der Oberstaatsanwalt wirft ihm brutale Rücksichtslosigkeit und Unbedenklichkeit in der Wahl seiner Mittel vor. Inwiefern ist dieser Vorwurf berechtigt? Gar nicht! Herr Harden hat niemals und auch vor Gericht nie gelogen, und man wird es ihm glauben können, daß er mehr weiß, als er sagt. Was er vorgebracht hat, beruhte nicht auf Phantasien von Flüsterern und Lügnern, sondern auf Mitteilungen eines Mannes wie Geh. Rat Schweninger und dessen Ehefrau, die die eigene Nichte des Grafen Moltke ist. Er ist nicht leichtfertig vorgegangen und hat nicht zu schnell geglaubt. Dieser Vorwurf würde auch alle anderen treffen, die die Frau v. Elbe für glaubwürdig erachteten, auch den ersten Gerichtshof. Harden ist nicht aus Lust am Skandal an die Sache herangetreten, sondern er ist in die Sache eigentlich wider seinen Willen hineingedrängt worden. Ihn kann nicht der Vorwurf treffen, daß er aus den Ehescheidungsakten vor der Welt etwas mitgeteilt hat, denn aus den Artikeln kann niemand ersehen, ob Graf Moltke überhaupt verheiratet ist oder nicht. Harden ist der anständige Mensch, der über Familienverhältnisse schweigt, selbst wenn er sie näher kennt! Die Behauptungen von der „Kamarilla“ und der „Liebenbergerei“ sind doch keine Erfindungen Hardens. Nun sehe man doch überhaupt einmal die Artikel an: sie füllen 120 Druckseiten, und alle Stellen, in denen vom Grafen Moltke die Rede ist, machen zusammen kaum eine Seite aus! Der Verteidiger ging die einzelnen Artikel durch und suchte nachzuweisen, daß in keinem der Sinn liege, den der Oberstaatsanwalt herausgelesen habe. Er fragte wiederholt unter Anführung einzelner Stellen: Darf man das in Deutschland nicht sagen? Selbst wenn aber die Artikel so gedeutet werden könnten, wie behauptet wird, so würde Harden für die beiden ersten Artikel nicht bestraft werden können, da nach der Auskunft des Frhrn. v. Berger bezüglich ihrer Verjährung eingetreten ist. Ein fortgesetztes Delikt liegt nicht vor. Kein Mensch hat die Artikel so verstanden und so interpretiert, wie es jetzt geschieht. Der Lärm, der nachträglich entstanden, ist ihm nicht aufs Konto zu setzen. Ich bin nunmehr bei den Personen angelangt, die Harden in seinen Artikeln erwähnt hat. Da muß ich nun in erster Linie sagen: Wo sind denn eigentlich die Herren Hohenau und Lynar? In der Verhandlung sind bisher diese Namen nicht genannt worden, ich will mich deshalb auch nicht weiter mit ihnen beschäftigen. Derjenige, von dem Herr Harden am meisten gesprochen hat, war der Fürst zu Eulenburg. Der Herr Oberstaatsanwalt hat hier von mir verlangt, daß ich dem Fürsten Eulenburg, den ich allerdings scharf angegriffen hatte und angreifen mußte, Abbitte leiste. Ich erkläre hier, ich bin nicht feindselig gegen den Fürsten, ich habe ihm und er mir niemals etwas getan. Wenn es nicht meine Pflicht gebietet, habe ich noch niemals einem Menschen etwas übles nachgeredet. Ich mußte aber als Anwalt und Rechtsvertreter des Angeklagten so handeln. Ich kann zu meinem Bedauern der Aufforderung des Staatsanwalts nicht entsprechen. Ich kann meine Vernunft, meine Logik nicht zwingen. Es wäre nicht gewissenhaft und nicht anständig, wenn ich jetzt sagen würde, um des lieben Friedens willen will ich das alles jetzt zurücknehmen. Ich will ganz offen erklären, daß ich vielleicht etwas weit gegangen bin, aber ich trete auch voll dafür ein. Fürst Eulenburg hat zu Baron Berger damals gesagt: Harden nimmt an meiner politischen Tätigkeit Anstoß, ich gehe nach Territet.“ Fürst Eulenburg ging dann nach Hause und schrieb an den Baron Berger sofort einen Brief, in dem er nochmals erklärte, daß er nach Territet gehe. Weshalb schrieb denn wohl Fürst Eulenburg diesen absolut überflüssigen Brief? Meiner Ansicht nach liegt der Grund darin, daß der Brief Herrn Harden gezeigt werden und er Ruhe und Frieden halten sollte, da Eulenburg ja gehe. Harden sollte sich dann sagen: „Der Fürst geht, du brauchst ihn ja dann nicht weiter anzugreifen.“ Baron Berger hat dies ebenso verstanden. Hätte Fürst Eulenburg so handeln brauchen, wenn nicht irgend wo etwas faul im Staate Dänemark gewesen wäre? Das scheint mir alles nicht auf dem geraden Wege zu gehen. Ich will aber trotzdem dem Fürsten Eulenburg nicht Unrecht tun, aber erklärt hat er diese eigenartige Stellung keinesfalls. Die Anklage liest aus den Artikeln den Vorwurf der Homosexualität heraus. In Frage kommen hierfür nur die vier genannten Personen, nämlich Fürst Eulenburg, Graf Moltke, Graf Hohenau und der französische Herr Lecomte. Ich kann meinem logischen Denken nicht Gewalt antun, ich kann es mir nicht erklären, woher es kommt, daß, wenn vier Personen in einer ganz gleichen Weise beschuldigt werden – d. h. bezüglich des Grafen Moltke ist ja nie eine derartige Beschuldigung ausgesprochen worden – nur einer von ihnen sich rechtfertigt, wenn die ausgesprochene Beschuldigung fälschlich ausgesprochen worden ist. Graf Moltke hat auf den Vorwurf mit einer Klage geantwortet. Er hat gesagt: Hier wird mir etwas vorgeworfen, ich erkläre, es ist nicht wahr, wenn Ihr es könnt, so beweist es.“ Das ist der normale gerade Weg, den jeder ehrliche und anständige Mann beschreitet. Was soll ich mir denken, wenn der Mitbeleidigte, ja, der Hauptbeleidigte, der um die gleiche Zeit Kenntnis von den Beschuldigungen erhalten hat, keinen Strafantrag stellte. Herrn Harden ist wenigstens bis zum heutigen Tage keine Privatklage des Fürsten Eulenburg zugestellt worden. Das alles gab mir zu schwerwiegenden Bedenken Anlaß. Ich will Ihnen weiter sagen, weshalb ich hier von dem, was ich gegen den Fürsten Eulenburg in der Schöffengerichtsverhandlung gesagt habe, nichts zurücknehme und nicht, die von mir verlangte Abbitte leiste. Ich will Ihnen klarlegen, was mich dazu zwingt, meiner Überzeugung treu zu bleiben. Wenn ein Mann wie Fürst Bismarck ein Wort gebraucht, so ist wohl ohne weiteres anzunehmen, daß er auch die Bedeutung des Wortes kennt. Ich kann mich nicht dazu entschließen, wenn Fürst Bismarck auf den Fürsten Eulenburg das Wort „Kinäde“ gebrauchte, daß er dann nicht gewußt haben soll, was das Wort „Kinäde“ bedeutet. Ich kann mich nicht entschließen, mich mit der jetzt von Herrn Chefredakteur Dr. Liman gegebenen Interpretation einverstanden zu erklären. Fürst Bismarck hätte, wenn er das Wort „Kinäde“ in der jetzigen Auslegung verstanden hätte, nicht auch noch die bekannte Äußerung Götz von Berlichingens gebraucht. Ich muß dies um so mehr annehmen, da auch der Geheimrat Schweninger und Andere ähnliche Äußerungen des Fürsten Bismarck über den Fürsten Eulenburg bekundeten. In München und Wien haben ebenfalls derartige Gerüchte über den Fürsten Eulenburg lange genug kursiert. Herr Kriminalkommissar v. Tresckow, der Vertreter des Polizeipräsidiums, hat von dem Grafen Moltke die Erlaubnis gehabt, alles auszusagen, was er von Gerüchten über ihn wisse. Fürst Eulenburg hat jedoch die Erlaubnis nicht gegeben, über Gerüchte hier auszusagen, die über ihn möglicherweise zirkulierten. Soll man bei all dem nicht darauf kommen, daß von dem Fürsten Eulenburg in dieser Sache nicht immer der gerade Weg gegangen ist? Herr Lecomte hat seinerseits nicht reagiert. Und dann die Art, wie Fürst Eulenburg in dem Prozeß Brand unter seinem Eide die Beschuldigung des damaligen Angeklagten widerlegte! Sie stach ganz bedeutend von der Art ab, wie der Reichskanzler seinen Eid leistete. Fürst Bülow hat rund und nett der wahnsinnigen Verleumdung nach jeder Richtung hin den Boden entzogen. Fürst Eulenburg schwor aber sehr juristisch, daß er niemals Verfehlungen gegen Paragraph 175 St.-G.-B. begangen habe. Auffällig war doch auch, daß Fürst Bülow, der nach der Behauptung des Fürsten Eulenburg dessen Freund sein soll, bei jener Verhandlung im Brand-Prozeß nach den Berichten der Zeitungen mit diesem seinem Freunde kein Wort gewechselt haben soll. In diesem Prozeß haben wir hier eine halbe Stunde über die dem Fürsten Eulenburg betreffenden sexuellen Fragen gesprochen, ohne daß er eingegriffen hat. Er hat nur erklärt: „Ich habe niemals Schmutzereien gemacht.“ Das Gericht stellt sich auf den Standpunkt, daß darüber genügende Feststellungen gemacht sind, nachdem der Nebenkläger unter seinem Eide erklärt hat: er stelle es in Abrede, daß ihm bezüglich des Fürsten Eulenburg etwas Unschickliches bekannt sei. Ich erkläre hierzu: wir bezweifeln durchaus nicht, was Graf Moltke unter seinem Eide gesagt hat, aber damit wird doch nicht die Tatsache aus der Welt geschafft, daß wir einen Antrag gestellt hatten, der das Gegenteil von dem beweisen sollte, was Fürst Eulenburg dargetan hatte. Deshalb bin ich nicht in der Lage, der Aufforderung des Staatsanwalts zu entsprechen. Der Herr Oberstaatsanwalt weist auf den Lärm hin, den die Artikel verursacht haben. Wer an diesem Lärm schuld ist, ergibt sich aus den einzelnen Daten, in denen sich die Vorgänge abspielten. Die bekannt gewordene Tatsache, daß Se. Majestät gewisse Entschlüsse gefaßt habe, war es, die Aufsehen erregte. Ich glaube nicht, daß Se. Majestät so schwerwiegende Beschlüsse bloß auf Artikel der Zukunft hin faßt. Diese konnten doch nur die Veranlassung sein, die Sache sich anzusehen. Hardens Schuld ist es nicht, daß Graf Moltke anders zu Sr. Majestät steht als früher. Der Oberstaatsanwalt verweist auf das Ausland und auf den Jubel, den die zur Sprache gebrachten Dinge dort verursacht haben. Dabei ist auch mein Verhalten ein wenig gerügt worden. Nun, ich kann in der Form fehlen – das hat doch aber gar nichts mit der Sache zu tun, wenn die Verteidigung zu wenig höflich ist. Ist denn Harden an den Zuständen schuld, die in jener Verhandlung enthüllt wurden? Nein! Ein Schriftsteller kann seinem Vaterlande keinen größeren Dienst leisten, als wenn er auf Mißstände aufmerksam macht, die im Vaterlande herrschen. Ist es denn beklagenswert, daß die Adlervilla geschlossen ist und diejenigen entfernt sind, die der Kriegsminister mit Recht „Buben“ nannte? Düngerhaufen muß man entfernen, nicht zudecken! Die Krankheit ist das Übel, nicht der Arzt! Der deutsche Schriftsteller muß das Recht haben, auf Übelstände hinzuweisen, ohne sich eine Anklage zuzuziehen. Man sagt: die erste Verhandlung hat Schmutz in die Familien getragen. Einige Zeitungen kämpften in Leitartikeln gegen den Schmutz, und auf der zweiten Seite stand der ausführliche Verhandlungsbericht. Wer trägt denn den Schmutz in die Familie? Die Zeitungen haben allerdings nur ihrer publizistischen Pflicht genügen müssen, und da soll Harden auf der Anklagebank nicht das Recht haben, solche Dinge zur Sprache zu bringen? Harden hat von Anfang an gesagt, homosexuelle Dinge habe er vom Grafen Moltke nicht behauptet. Er war aber durch den Gang der Verhandlung gezwungen, schließlich etwaige Beweise dafür heranzuziehen. Ich meinerseits hätte eine Pflichtvergessenheit begangen, wenn ich mich von etwas anderem hätte leiten lassen, als von dem Interesse meines Klienten. Ich habe nichts getan, was ich nicht tun zu müssen glaubte, und mehr kann vor Gott und den irdischen Richtern niemand von mir verlangen. Was der Oberstaatsanwalt über die juristische Seite des neuen Verfahrens vorgebracht hat, ist mir nicht einleuchtend. Auch alle deutschen Rechtslehrer mit Ausnahme des Herrn v. Lilienthal-Greifswald sind darin einig, daß das jetzige Verfahren unzulässig ist. Paragraph 193 muß dem Angeklagten zugebilligt werden, denn Vaterlandsliebe und deren Betätigung sind doch gewiß berechtigte Interessen. Der Oberstaatsanwalt, der trefflich alle Gründe angeführt hat, die für eine Geldstrafe sprechen, ist mit seinem Antrage plötzlich vom Wege abgewichen. Von einer Freiheitsstrafe kann nach meiner Meinung gar nicht gesprochen werden, von einer Geldstrafe nur, wenn Paragraph 193 dem Angeklagten nicht zugute käme, was doch in ausgiebigstem Maße der Fall ist. Ich bitte zum Schluß den Gerichtshof, die Schuldfrage zu prüfen lediglich vom gesetzlichen und juristischen Standpunkt aus und sich um die politische Aktion und die etwaigen schlimmen Folgen nicht zu kümmern. Der Angeklagte hat, wie der Oberstaatsanwalt selbst anerkennt, aus einem Beweggrund gehandelt, der ihn allein schon vor einer Freiheitsstrafe schützen müßte: nämlich dem Vaterlande zu nützen. Wir sollten uns nicht möglichst wenige, sondern recht viele Menschen wünschen, für die die Vaterlandsliebe das Motiv zum Handeln ist. So zahlreich sind die Männer nicht, die einmal ein mutiges Wort wagen. Dies zu wagen ist ein Recht, auf das der individuell geachtete Deutsche besonders stolz ist, und dieses Recht möge auch ferner erhalten bleiben: Auch im neuen Jahre das alte Recht! – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Ein Wort der Wahrheit zu wagen, wirds hoffentlich auch in Deutschland immer Männer geben. Hier handelt es sich aber nicht um ein Wort der Wahrheit, sondern um ein Wort der Unwahrheit. Es ist ja gerade als unwahr erwiesen, was der Angeklagte dem Grafen Moltke nachgesagt hat. Deshalb war Herr Harden durchaus nicht berechtigt, solche Worte auszusprechen. Es ist doch nicht etwa das Verdienst des Herrn Harden, daß die „Adlervilla“ geschlossen worden ist, die vom Zeugen Bollhardt vorgebrachten Dinge lagen doch schon viele Jahre zurück. Die Behauptung des Herrn Justizrats Bernstein, wir wollten die Folgen des Eingreifens eines Mächtigeren auf die Schultern des Herrn Harden legen, ist unlogisch. Herr Harden muß nun die Folgen dessen tragen, weswegen der Mächtigere eingegriffen hat. – Justizrat Dr. Sello: Graf Moltke hat doch als Zeuge unter seinem Eid ausgesagt, daß ein Artikel der Zukunft ihm Anlaß gegeben hat, am 3. Mai d. Js. seine Verabschiedung zu erbitten. – Verteidiger Justizrat Kleinholz: An der Ruhmespyramide, die der Herr Oberstaatsanwalt und der Herr Vertreter des Nebenklägers für den Angeklagten errichtet haben, will ich nicht weiter arbeiten. In dieser Pyramide ist ein Bestandteil von großem Wert, nämlich die Eigenschaft des Anstandes und der Wahrhaftigkeit, die meinem Klienten zugebilligt wurde. Herr Harden ist ein wahrhaftiger Mann, er würde das nicht ableugnen, was er geschrieben hat, und man muß ihm glauben, wenn er sagt, er habe die Beleidigungen, die ihm imputiert wurden, überhaupt nicht in die Worte hineinlegen wollen. Ein fortgesetztes Delikt kann unter keinen Umständen vorliegen, selbst wenn man tatsächlich das Vorhandensein der Beleidigungen annehmen wollte. Bei den ersten beiden Artikeln ist aber auch die Verjährung schon eingetreten. Der gute Glaube wird dem Angeklagten nicht bestritten werden können. Der erste Grund zu seinem Vorgehen war die Äußerung Bismarcks. Dieser Äußerung durfte Harden glauben, denn Bismarck überlegte immer sorgfältig, was er sagte. Auch Frau v. Elbe mußte Herrn Harden durchaus glaubwürdig erscheinen, ihr haben doch auch so viele andere Ärzte und Laien, geglaubt. Sie hat mehrfach Angaben dahin gemacht, daß zwischen Fürst Eulenburg und Graf Moltke nicht bloß eine innige Freundschaft besteht, sondern daß auch Perversitäten vorgekommen seien. Der Schutz des Paragraphen 193 muß dem Angeklagten zugebilligt werden. Er wollte die berechtigten Interessen des Staates vertreten. Im 15. Bande der Reichsgerichtsentscheidungen, 8. 19, ist ausdrücklich angeführt, daß Paragraph 193 auch dort in Anwendung kommen muß, wo die öffentliche Besprechung als der einzig geeignete Weg erschien, Mißstände zu kennzeichnen. Der Presse muß es anheimgegeben werden, in dieser Richtung tung vorzugehen, denn die Presse muß als Stimme der Allgemeinheit dafür sorgen, daß das Staatswohl in jeder Beziehung gewahrt bleibt. Als eine Gefährdung des Staatswohls mußte es dem Angeklagten aber erscheinen, wenn ihm mitgeteilt wurde, Graf Moltke habe erklärt: „Wir haben um den Kaiser einen Ring gebildet, den niemand mehr durchbrechen kann“ und er habe zu seiner Gattin gesagt: „Wenn ich erst geschieden bin, werde ich als Flügeladjutant aus der Nähe Sr. Majestät immer Bericht erstatten können.“ Der Angeklagte erblickte in der Kamarilla eine Schädigung des Staatsganzen. Sie hat gegen eine Versöhnung des Kaisers mit Bismarck gearbeitet. Drei Kanzler sind durch ihre Wirksamkeit entfernt worden, auch der alte Hohenlohe hat nur mit wutentbranntem Herzen von Eulenburg gesprochen. Wenn also in den Artikeln des Angeklagten wirklich etwas Strafbares enthalten sein sollte, dann dürfte schon auf eine Gefängnisstrafe nicht erkannt werden mit Rücksicht auf den guten Glauben und die lauteren Motive des Angeklagten. Aber ich bestreite nach wie vor, daß die Artikel etwas Strafbares enthalten, denn man kann doch in solche Worte nicht etwas hineinlegen, was der Schreiber gar nicht hineinlegen wollte. Auch der Kläger hatte eine Beleidigung ursprünglich nicht herausgelesen. Die Aufgabe des Klosterprobstes war es ja, Harden zu fragen, was eigentlich mit den Artikeln gemeint sei. Die Beleidigungen sind erst nach der allerhöchsten Entschließung herausgelesen worden. Der Reichskanzler hat es als eine höchst lobenswerte Tat bezeichnet, daß der Kronprinz die Zukunftshefte dem Kaiser vorgelegt hat. Um wieviel mehr ist demnach der Angeklagte zu loben, der im Interesse des Vaterlandes handelte. Er verdient nicht Strafe, sondern den Dank des Volkes. – Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel: Wenn man die Verteidigung hört, muß man sich wundern, daß Graf Moltke nach Kenntnisnahme der Artikel sich nicht hingesetzt hat, um dem Angeklagten herzlich zu danken. (Heiterkeit.) Das ist doch eine Interlinear-Akrobatik. Harden selbst hat zugegeben, daß er Spott und Hohn anwenden wollte, um die Herren aus der Nähe des Kaisers zu bringen. Es hat keine Gruppe bestanden, die Herrn Harden zu seinen Artikeln veranlassen konnte. Die Existenz einer solchen Gruppe besteht nur in dem Hirn des Herrn Harden. Die Gruppe ist ein Irrtum von ihm, ebenso die Beleuchtung der Homosexualität. Herr Graf Moltke ist ein gänzlich unpolitischer Mann, wie Harden selbst nicht bezweifelt. Ein Mann, der eine solche Macht besitzt, wie ein Redakteur der „Zukunft“ – mehr Macht, wie ein kommandierender General – ist zu allergrößter Vorsicht verpflichtet, und diese hat der Angeklagte nicht geübt, denn er ist auf das Geschwätz einer hysterischen Frau reingefallen! Davon kann ihn kein Wasser reinwaschen. Der Oberstaatsanwalt bedauerte im weiteren Verlauf, daß die elende Verdächtigung gegen den Fürsten Eulenburg noch immer nicht ganz zurückgezogen werde und suchte nachzuweisen, daß Fürst Bismarck, selbst wenn er das Wort „Kynäden“ in dem schlechten Sinne gebraucht hätte, es doch schließlich nicht begründet hat und er sich doch auch getäuscht haben kann. Justizrat Dr. Sello: Keinem Menschen sei es eingefallen, dem Angeklagten bösen Glauben vorzuwerfen. Es müsse aber behauptet werden, daß er bei seiner Informationseinziehung objektiv, unparteiisch, sachlich nicht gewesen ist. – Die Verhandlung mußte einige Tage ausgesetzt werden, da der Angeklagte Harden erkrankt war. Als am 3. Januar 1908 die Verhandlung wieder aufgenommen wurde, kam es noch zu einer längeren Auseinandersetzung zwischen dem Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel und dem Verteidiger J.-R. Bernstein über den Fürsten Eulenburg. Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel führte aus: Von Herrn Harden ist hier ein hochwichtiger Zeuge, Fürst Bismarck, der längst im Grabe ruht, angeführt worden, der zu ihm selbst, zu Dr. Liman, Geh. Rat Schweninger und seinem Sohne Herbert ein gewisses Wort, auf den Fürsten Eulenburg bezüglich, gebraucht haben soll. Ich verehre den großen Altreichskanzler im Innersten meines Herzens, aber auf dieses eine Wort des Fürsten Bismarck würde ich es nicht wagen, irgend jemand etwas Schlechtes nachzusagen. Mit einem Schimpfwort kann man doch nicht einem Menschen Zeit seines Lebens einen untilgbaren Mangel anheften. Das von Bismarck gebrauchte Wort „Kinäde“ soll übrigens, wie mir von durchaus sachverständiger Seite versichert worden ist, auch mit der Bedeutung „Weichling“ gebraucht werden. Selbst wenn aber Fürst Bismarck das Wort in der schlimmsten Bedeutung gebraucht hat, so folgt daraus noch nicht das mindeste für eine Verfehlung des Fürsten Eulenburg. Der Oberstaatsanwalt wiederholte dann die von ihm abgegebenen Mitteilungen über die Aktion des Freiherrn v. Berger zur Verständigung zwischen Harden und Eulenburg. In einem offenen ehrlichen Kampfe würde man dem Fürsten Eulenburg nichts anhaben können. Zu bemängeln sei auch ein Artikel in der Zukunft vom 30. November, in der die bekannte Geschichte des meineidigen Ritters Lindenberg erzählt wird unter der Überschrift „Lindenberg und Liebenberg“, obwohl Fürst Eulenburg schon am 6. November den Eid im Bülowprozeß geleistet hatte. Auch die Aussage des Kriminalkommissars v. Tresckow, der erklärte, er habe nicht die Genehmigung, von Gerüchten über den Fürsten Eulenburg auszusagen, sei nicht so aufzufassen, wie es Justizrat Bernstein aufgefaßt habe. – Verteidiger Justizrat Bernstein: Ich bin dem Fürsten Eulenburg nicht feind, ich habe gegen ihn nicht das geringste Gefühl der Animosität. Hier aber ist er einfach Zeuge. Gericht, Staatsanwalt und Verteidigung sind vollkommen frei in ihrer Beweiswürdigung. Sie haben das Recht, auch einem beschworenen Zeugnis den Glauben zu versagen. Auch der Herr Oberstaatsanwalt hat von diesem Rechte Gebrauch gemacht, indem er über Frau von Heyden, welche ebenfalls ihre Aussage beeidigt hatte, gesagt hat: „Als Zeugin glaube ich ihr kein Wort.“ Auch Fürst Eulenburg muß es sich als Zeuge gefallen lassen, daß seine Aussage bezweifelt wird, daß gegen ihn Argumente vorgebracht und Gegenbeweis durch andere Zeugen geführt wird. Solche Argumente hat die Verteidigung vorgebracht, solchen Gegenbeweis durch andere Zeugen, die sie dem Gericht genannt hat, angeboten. Im gegenwärtigen Augenblick besteht die Verteidigung nicht darauf, daß diese Argumente jetzt einzeln diskutiert und diese Beweise jetzt erhoben werden, da es sich hier zunächst nicht um den Fürsten Eulenburg, sondern den Herrn Grafen Moltke handelt. Aber dem Gericht ist gesetzlich jederzeit die Erhebung jedes Beweises freigestellt. Die Verteidigung hat nichts dagegen. Damit ist wohl auch die Frage der mir angesonnenen Abbitte erledigt. Wenn ich in irgendeinem Falle mich überzeugen würde, daß ich als Verteidiger durch ungünstige Beurteilung einer Zeugenaussage mich geirrt, so würde ich, aus Gründen der Billigkeit, es offen aussprechen. Aber auch dann würde ich das Bedauern, dem allgemeinen Menschenlose des Irrtums nicht entgangen zu sein, niemals in die demütigende Form einer Abbitte kleiden. Denn damit würde ich der für die Berufsausübung notwendigen und gesetzlich gewährleisteten Prärogative der Verteidigung etwas vergeben. Ich würde damit gegen die Anwaltspflicht, welche mir die Aufrechterhaltung der Würde meines Standes gebietet, mich verfehlen. Hier kommt all dies überhaupt nicht in Frage: Die Verteidigung hat eine Zeugenaussage bezweifelt und Gegenbeweis angeboten. Das ist ihr gesetzliches Recht. Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft sogar freigesprochenen Angeklagten Abbitte geleistet, sind mir übrigens vollkommen unbekannt. (Heiterkeit.) – Nun noch ein Wort über die Person des Angeklagten, von der vor Gericht bisher in dieser Verhandlung sehr wenig die Rede war. Ich will gar nicht panegyrisch von dem Angeklagten sprechen, dem der Staatsanwalt in loyaler Weise ja schon sein persönliches Recht hat zuteil werden lassen. Ich will keine Idealfigur aus dem Angeklagten machen. Angenommen aber, der Nebenkläger hätte recht, wenn er etwas aus den Artikeln herausliest, was nach der Behauptung des Angeklagten nicht darin steht, angenommen, der Angeklagte hätte so etwas schreiben wollen, er hätte Beweise gebracht und der Beweis wäre mißglückt – was hat er dann getan? Er hätte von einer Gruppe etwas behauptet, was auf einen dieser Herren nicht zutrifft. Dann kann man sagen: in bezug auf den Nebenkläger hat sich der Angeklagte geirrt. Würde da – selbst wenn § 193 nicht zutreffen würde – eine so schwere Strafe, wie sie beantragt ist, am Platze sein bei einem Manne, der seit 1½ Dezennien über alles schreibt, was das öffentliche Interesse in Anspruch nimmt und der sich nun einmal geirrt hat? Wer seit 1½ Jahrzehnten im Felde steht als Kämpfer, hat auch Feinde, und der Angeklagte ist ein gefährlicher Gegner wegen seines Mutes und seiner Geschicklichkeit. Daher kommt es, daß er sehr viele erbitterte, zahlreiche und mächtige Gegner hat, die nun Harden alles aufbürden wollen, was infolge des Prozesses an Mißständen und Abscheulichkeiten enthüllt worden ist. Was hat er denn getan, daß der Sturm der öffentlichen Meinung sich so sehr gegen ihn wendet? Er hat einige Männer von Einfluß, den er für schädlich hält, bekämpft. Wenn er dabei beleidigt hat, was nach wie vor bestritten wird, so mag er wegen der Beleidigung, die er demjenigen, der geklagt hat, zugefügt, bestraft werden. Aber wer nicht geklagt hat, muß aus dieser Verhandlung herausbleiben. Es darf unter keinen Umständen durch Mitteilungen, die ein Dritter an den Oberstaatsanwalt hat ergehen lassen, das Urteil des Gerichts auch nur um ein Atom beeinflußt werden. Wenn dem Angeklagten die bona fides konzediert wird und man ihm auch lautere Motive konzediert, so muß ihm doch sicher der Schutz des § 193 zugebilligt werden. Sogar die Anklage konzediert ihm, daß er aus lauteren Motiven gehandelt hat, in dem Bestreben, seinem Vaterlande nützlich zu sein. Der Quell seiner Handlungen ist doch eine billigenswerte Gesinnung, und deshalb liegt, wenn der Angeklagte überhaupt strafbar erscheint, keinerlei Veranlassung vor, den Mann ins Gefängnis zu schicken. – Hierauf erhielt der Angeklagte Harden das Schlußwort: – Angeklagter Harden: Ich möchte zunächst ein Wort auf die tadelnden Bemerkungen und Aufforderungen des Herrn Oberstaatsanwalts an mich erwidern. Er erwähnte einen kleinen Artikel vom Ritter Lindenberg. Weder der Verfasser noch ich haben den Artikel in irgendwelchem Zusammenhang mit wirklichen oder vermeintlichen Verfehlungen des Fürsten Eulenburg gebracht. Zweitens: Was den Fürsten Eulenburg betrifft, von dem ich ja noch zu sprechen haben werde im Zusammenhang mit diesem Prozeß, so möchte ich dem Herrn Oberstaatsanwalt sagen, daß nach seinem Appell von mir aus alles geschehen wird, was zur vollen Aufklärung der Wahrheit dienen kann und daß ich in vollem Vertrauen dabei die Hilfe der königlichen Anklagebehörde in Anspruch nehmen werde. – Ich bitte nun den hohen Gerichtshof um Entschuldigung, daß ich gestern hier nicht erscheinen konnte. Ich glaube, daß der Vorwurf des Oberstaatsanwaltes, der bei dieser Gelegenheit erhoben wurde, daß ich selbst so schroff gewesen sei, nicht begründet ist. In dem Stenogramm der Schöffengerichtsverhandlung befindet sich nirgends eine Äußerung von mir, wonach es mir gleichgültig wäre, ob Fürst Eulenburg im Gerichtssaale tot hinsinkt. Ich habe im Gegenteil in jener Verhandlung gesagt, daß es mir fern liegt, den kranken Mann zu quälen. Hoher Gerichtshof! Ich bin in diese Verhandlung als Invalide eingetreten, ich habe mich auf das Allernotwendigste beschränken müssen und eigentlich ohne jede Aktivität habe ich teilgenommen. Deshalb muß ich leider, so schwer es mir wird, körperlich, und so sehr ich empfinde, daß die Herren nach den vielen Tagen wie Fafnir das Ende herbeisehnen, doch Ihre Geduld noch ein kleines Weilchen in Anspruch nehmen und Sie bitten, noch einmal, von aller Suggestion losgelöst, mich anzuhören und mich sagen zu lassen, was mir unerklärlich erscheint. Die Tatsachenreihe, die jetzt mit dem Namen „Elbe“ etikettiert ist, hat hier einen so großen Rahmen eingenommen, daß ich davon zunächst sprechen möchte. Ich hatte im Hause des Fürsten Bismarck Eindrücke empfangen über den Eulenburgschen Kreis und insbesondere über die Person des Fürsten Eulenburg, die nicht nur ein Wort hervorgerufen hatte, nicht ein mißverstandenes Wort, sondern die auf ganz ruhigen, sachlichen, sehr häufig wiederholten Äußerungen beruhen. Der Kanzler hatte eine ungünstige Meinung über den damaligen Grafen Eulenburg. Er sah in ihm nicht etwa einen Bösewicht, schlechten Patrioten oder Ähnliches, er hielt ihn an einer gewissen Stelle für gefährlich und wies häufig darauf hin, daß ein Teil dieser Gefährlichkeit auf sexualpsychischen Momenten beruhe. Wie deutlich er sich in dieser Hinsicht ausgedrückt hat, ist leider erwähnt worden, ist auch beschworen. Ich möchte in dieser Beziehung nicht mehr sagen als unerläßlich ist. Mir waren die Worte des Fürsten Bismarck bekannt, mir war auch bekannt, daß ein Mann wie er, ehe er ein so hartes Urteil in dieser Beziehung fällte, doch am Ende geprüft hat, was vorliegt. Einige Jahre später nahm sein Arzt und dessen Gattin, die Nichte des Grafen Moltke, mein Interesse für die damalige Gattin des Nebenklägers in Anspruch. Der Eindruck, den die Dame machte, war wirklich ein absolut zuverlässiger. Sie zeigte keinerlei Exzentrizität im Wesen. Sie sprach durchaus nicht gehässig von ihrem früheren Gatten, wenn sie auch manches sagte, was mich in einzelnen Punkten mißtrauisch machte. Zwei so wirklich gesunde Leute wie die Schweningerschen Eheleute sahen nicht den geringsten Grund zu einem Mißtrauen gegen diese Frau, und auch ihre Rechtsvertreter hielten sie für durchaus glaubwürdig. Ich habe dann eingehend die Ehescheidungsakten geprüft und mir mein Urteil gebildet. Fünf Jahre lang habe ich diese Sachen wie andere Erlebnisse bei mir gehabt, es war gar kein Grund vorhanden, mich irgendwo mit der Angelegenheit zu beschäftigen. Ich habe ja auch von der Ehe gar nichts geschrieben. Harden erörterte hierauf eingehend die einzelnen Artikel, um zu zeigen, daß die darin gesuchten Beleidigungen nicht ausgesprochen seien. Er wendete sich u. a. dagegen, dạß nur er es gewesen sei, der von einer Kamarilla gesprochen habe. Ich habe im Gegenteil, so etwa fuhr Harden fort, nie etwas von einer Kamarilla in die Welt gebracht. Dutzende von andern Zeitungen haben lange Zeit vorher schon etwas von einer Eulenburg-Kamarilla veröffentlicht. Ob eine Kamarilla bestand oder nicht, wird schwer nachzuweisen sein, denn solange es Höfe gibt, wird sich niemand bereit finden zu beeiden, daß es eine Kamarilla gibt. Das Wesen einer solchen besteht ja gerade darin, daß sie unsichtbar ist. Eine Kamarilla wird natürlich nicht im Telephonbuch zu finden sein. Ebenso wie meine politischen Gegner mitunter Tatsachen veröffentlichen, deren Richtigkeit sie vor Gericht nicht beweisen können, so ist es auch in diesem Falle sehr schwer, in derartigen Dingen einen vollgültigen Beweis zu erbringen. Wenn z. B. jemand schreibt, ein Minister ist aus diesem oder jenem Grunde gegangen, und er soll dies vor Gericht beweisen, so wird es heißen, er ist aus Gesundheitsrücksichten gegangen. – Der von mir in dem bekannten „Nachtgespräch“ gebrauchte Ausdruck „der Süße“ kann zwar für den so Genannten ein gewisses unangenehmes Gefühl verursachen, niemals aber beleidigen. Wenn man sich die moderne satirische Literatur ansieht, so wird man noch ganz andere, viel schärfere Ausdrücke finden, ohne daß mit diesen belegte Personen sich beleidigt fühlen können. Der Angeklagte wendete sich ferner dagegen, daß von seiten des Fürsten Eulenburg und des Grafen Moltke in der Verhandlung behauptet worden sei, es hätte sich bei den vielfachen Unterredungen zwischen dem Fürsten Eulenburg und dem französischen Herrn Lecomte niemals um politische Dinge gedreht. Es sei dies genau so als wenn er selbst sagen würde, er habe in den letzten vierzehn Tagen nicht mit den Justizräten Bernstein und Kleinholz über den Prozeß gesprochen. Er habe lediglich in diesem Zusammentreffen zwischen Eulenburg und Lecomte eine Gefahr gesehen, und wenn er das sage, so spreche er nicht von seiner eigenen kleinen Person, das hätten ihm auch andere Leute gesagt, die heute noch an verantwortungsreiche Stelle stehen. Dies müsse er heute aussprechen. – Die Verbindung des Wortes „warm“ mit „Gunst“, so führte der Angeklagte weiter aus, ist leider eine stilistische Schwäche von mir. Ich habe zu verschiedensten Zeiten und in verschiedenen Artikeln von „warmen Eckchen“ und dergleichen gesprochen, und kein Mensch hat daran gedacht, diesem Worte einen schmutzigen Beigeschmack zu geben. – Diese Artikel also und diese Sätze haben das alles hervorgerufen, was nun geschehen ist! Niemand hatte in der ganzen Zeit gesagt: Hier wird dem Grafen Moltke Schmutzerei vorgeworfen. Die Sachen sind überhaupt gar nicht verstanden worden, oder sie wurden nicht beachtet. Die Möglichkeit, irgend etwas darin zu finden, war ganz ausgeschlossen. Der einzige, der sich über das, was ich meinte, offen ausgesprochen hat, war ich. Es ist für mich gar keine Frage, daß ich keine Absicht der Beleidigung, nicht einmal das Bewußtsein der Beleidigung hatte. Ich habe gestattet, daß Freiherr v. Berger den Herren gesagt hat, welche Anschauung ich über die Herren habe. Freiherr v. Berger hat hier unter seinem Eide gesagt, daß ich nur gewisse Normwidrigkeiten des Empfindens gemeint habe. Im Buch des Sanitätsrats Dr. Moll über „Konträres Sexualempfinden“ sind die verschiedenen Zwischenstufen bezeichnet, die auf diesem Gebiete in Frage kommen. Man soll doch also mir nicht immer unterschieben, daß ich etwas gesagt haben soll, was nicht in den Artikeln steht. Ich habe nur den Standpunkt eingenommen, daß mir die Herren aus psychologischen und politischen Gründen in ihrer Stellung nicht Vertrauen erweckend waren. Wenn der Stärkere von ihnen seine Hand aus dem Spiele ließe, wäre mir das andere gleichgültig, denn ich habe gegen den Grafen Moltke nie etwas gesagt; wir haben im Gegenteil eine ganze Reihe gemeinschaftlicher Freunde und Freundinnen v. Berger, v. Keßler, Lilli Lehmann, Graf Voß u. a. Ich habe niemals öffentlich ein Wort gesagt, was die Ehre des Grafen Moltke affizieren könnte. Graf Moltke muß doch selbst lange Zeit dieses Gefühl gehabt haben, denn es dauerte sehr lange, ehe er den Klosterpropst Otto v. Moltke zu mir schickte. Dieser kam nicht als Kartellträger, sondern er behielt sich die Möglichkeit vor, als Kartellträger demnächst einzugreifen. – Über die Unterhaltung, die ich mit dem Herrn Klosterpropst gehabt habe, ist nicht ein Wort fixiert worden. Der Herr Klosterpropst trat dann aber plötzlich mit einem Schriftstück hervor, welches er Protokoll nennt. Ich will ihm keineswegs die bona fides absprechen, ich kann doch aber wohl behaupten, daß ihn sein Erinnerungsvermögen im Stich gelassen hat. Wenn jemand, der zu mir in mein Haus kommt, in diesem meinem Hause solche Sätze gesprochen hätte, wie sie jenes Protokoll enthält, so wäre doch gewiß ohne weiteres das Gespräch mit diesem Besucher sofort beendet gewesen. Jeder weiß, wie schwer es ist, ein Gespräch, welches man in seinem eigenen Hause mit einem plötzlich eintretenden Besucher hat, in seinen feinsten Nuancen nach langer Zeit widerzugeben, so daß man es beschwören kann. Ich glaube nicht, daß das, was der Klosterpropst Otto v. Moltke ein Protokoll nennt, irgendeine Grundlage für diese Verhandlung bieten kann. Wenn Herr Klosterpropst v. Moltke ein Protokoll hätte feststellen wollen, so hätte er mir sagen müssen: „Wir wollen jetzt den Inhalt unseres Gespräches fixieren“; jetzt ist dies Protokoll doch zu einseitig, um gegen mich verwertet werden zu können. – In meinen Artikeln war eine Silhouette des Grafen v. Moltke entworfen, die nicht zu gefallen brauchte, die nicht Hochachtung ausdrücken sollte, aber auch nicht Mißachtung ausdrücken konnte nach meiner Überzeugung, eine Silhouette, die für mein Bewußtsein nichts Beleidigendes hatte und hat. Graf Moltke war darin mit ganz kleinen Strichen so charakterisiert, wie ihn sehr nahe Verwandte – ich könnte mich auch auf einen Neffen des Grafen berufen –, geschildert haben. Die Dominante darin ist das, was ich offen, aber ohne bitteren Beiklang die Hingebung an den Fürsten Eulenburg nennen muß. Jrgend etwas Weitergehendes hat meines Wissens niemand in den Artikeln gefunden, insbesondere nicht Frhr. v. Berger, insbesondere nicht Graf Reventlow. Beide Herren haben’s beschworen. Da kam das Ereignis des kaiserlichen Eingriffs. – Niemand ist legitimiert, hier darüber zu sprechen, als Graf Moltke selbst. Er hat ja einiges darüber gesagt. Ich glaube nur, daß vielleicht die begreifliche tiefe Mißstimmung gegen mich, der Groll, den die Umstände rechtfertigen, daß dieses Gefühl die Darstellung ein klein wenig beeinflußt hat. Denn wenn Graf Moltke meint, ich sei schuld daran, daß er aus dem Amt geschieden ist, so ist er vielleicht nicht ganz gerecht, vielleicht auch in seiner Erinnerung nicht ganz zuverlässig. Ich glaube, daß er über ganz andere Instanzen zu klagen hätte in dieser Angelegenheit als über mich. Ich will nicht wiederholen, was Herr Justizrat Bernstein schon darüber gesagt hat, daß nicht anzunehmen sei, der deutsche Kaiser richte sich bei seinen Beschlüssen danach, was in der „Zukunft“ gestanden hat. Das Wort: „Alles hängt davon ab, wie dem Kaiser die Sache dargestellt wird“ hat ja seine Berechtigung. Damals hieß es aber, es seien langwierige Vorträge gehalten worden und dann sei die Verabschiedung der Herren verfügt worden. Jetzt seit kurzer Zeit geht eine andere Version um, jetzt heißt es: ja, den Herren ist gar keine Ungnade widerfahren, sondern man hat ihnen nur Gelegenheit gegeben, sich zu reinigen, und sie werden wiederkehren in dem alten oder noch höherem Glanz. Das könnte mich, was die Person des Grafen Moltke betrifft, nur freuen. Aber ich halte diese Version doch für unwahrscheinlich, ich kann mich überhaupt nicht des Falles erinnern, daß Persönlichkeiten in hoher Stellung bei uns, well etwas über sie geschrieben ist, was man für unwahr hält, sich aus dieser Stellung entfernen. Es ließen sich viele Beispiele für die Richtigkeit meiner Auffassung anführen. Wenn die letzte Version zuträfe, dann kann ich mir nicht denken, daß der Vertreter der Anklagebehörde den Strafantrag abgelehnt und die Herren auf den Weg der Privatklage verwiesen hätte. Ich glaube, daß man es in verschiedenen Redaktionen damals anders angesehen hat. Wenn das ganz Unwahrscheinliche Ereignis geworden wäre, daß man in Preußen auf ein paar Zeilen hin aus einer Zeitschrift, die sich nicht gerade der Gunst des Thrones erfreut, einen General à la suite aus seiner Stellung entfernt hätte, so wäre das ein völlig unvorhergesehenes Ereignis gewesen, das mich recht schmerzen müßte und schmerzen würde. Aber ich glaube nicht, daß es so war, ich glaube, daß dazwischen einige Persönlichkeiten stehen, deren unfreundliche Gesinnung schädlicher gewirkt hat als das, was Harden gesagt hat. Ich wäre in der Lage, wenn ich nicht als Angeklagter hier stände, die rechte Hand zu erheben und zu sagen: jemand hat gesagt: „Man hat mich ja gar nicht gehört!“ Ich bitte mich nicht mit Dingen zu belasten, für die ich nicht verantwortlich bin, und ich bitte, in keinem Schmerz und Groll auch nur um eine Nuance anders zu empfinden, als man zu empfinden hat. – Herr Justizrat Sello hat sich geirrt, wenn er meinte, die Mitteilung von dem Ehrenwort des Grafen Moltke sei mir ein Novum gewesen. Ich kannte dieses Ehrenwort, aber es berührt gar nicht das, was ich behauptet habe. Ich war sehr erstaunt darüber, daß dieses Ehrenwort einen so begrenzten Umfang hatte, das ist das Unglückseligste an dieser ganzen Affäre. Es verhielt sich damit ähnlich wie mit der Zeugenaussage des Fürsten Eulenburg, der nur bekundete, er habe nie gegen den bekannten Paragraphen verstoßen, während doch noch ganz andere Möglichkeiten vorlagen. Leid getan hat mir, daß mir damals niemand, auch Frhr. v. Berger und viele andere Freunde, Bekannte und Verwandte nicht, gesagt hat: Das alles ist ein Irrtum, die hängen ja gar nicht so eng zusammen. Mir ist nur immer gesagt worden: Ja, es ist so. Hätte man mir damals das gesagt, was jetzt unter Eid gesagt worden ist, dann wäre vieles anders. Dann kam noch ein anderer Faktor hinzu: die Tagespresse. Die Tatsache, daß ich eine Herausforderung erhalten und abgelehnt hatte, wurde in die Zeitungen gebracht, und daraus wurden Rückschlüsse gezogen auf das, was geschehen sein sollte. Entweder hatten die Herren überhaupt nicht gelesen, was ich geschrieben habe, sie erinnerten sich nicht daran, oder sie wollten zeigen, daß sie alles schon vorher gewußt haben; kurz: es erschien eine große Zahl von Artikeln, in denen alles mögliche dem Fürsten Eulenburg, dem Grafen Hohenau usw. vorgeworfen wurde, zum Teil in recht beleidigender Form. Am 6. Januar war noch alles wahr. Dann bildete sich ein Nebelschleier um alles das, was ich in dem halben Jahr geschrieben hatte. Da trat ich auf und sagte: Das ist ja gar nicht wahr, das habe ich ja gar nicht behauptet. Nun hieß es überall: Harden kneift. Ich hatte in einigen umfangreichen Artikeln ganz kurze kleine Warnungssignale erlassen und dabei einige Herren sekundenlang beleuchtet. Es ist nicht nachweisbar, daß durch diese kleinen Bemerkungen große Sensation erregt werden konnte. Wenn wirklich verfügt worden ist: Reinigt euch! so hat sich bisher doch nur einer gereinigt: Graf Moltke. Der eine Graf, der jetzt vor dem Kriegsgericht steht, ging ins Ausland, Lecomte wurde abberufen, Eulenburg machte den mißglückten Versuch, mich in derselben Sache, wo ich angeklagt war, als Zeuge ver- nehmen zu lassen, und nur Moltke klagte. Da mußte ja der Glaube entstehen, nur Moltke kann klagen. Ein Irrglaube! Als die Verhandlung kam, habe ich den Fehler gemacht – zum ersten und letzten Mal – mich durch die Presse in meiner Haltung beeinflussen zu lassen. Ich sagte mir: Jetzt will ich nichts tun, was als Schwäche gedeutet werden könnte. Dadurch kam in Verbindung mit der häßlichen Protokollangelegenheit des Klosterpropstės das pathetische Wort zustande: Lieber ins Zuchthaus als vergleichen! Ich bedaure die glänzenden Stilisten, die auf diesem Wort, das in der Hitze der Verhandlung fiel, herumreiten und nun darauf verweisen, daß doch Vergleichsverhandlungen schwebten. Ja, diese Verhandlungen haben geschwebt, ich war nicht aktiv daran beteiligt, aber ich wäre bereit zu einem Vergleich gewesen. Wer will mir daraus einen Vorwurf machen? Die ganze Verhandlung will ich nicht rechtfertigen, soweit sie mich betrifft, obgleich ich (zu Bernstein gewendet) ja immerhin nicht der Schlimmste war. (Heiterkeit.) Ich sagte auch dort: Zwingen Sie mir nicht Beweise auf, die ich nicht führen will. Das Gericht hat mich zu den Beweisen gezwungen, für die sich mein Verteidiger gerüstet hatte. Ich habe an dem Ergebnis des Prozesses keine rechte Freude gehabt, weil ich wußte, die Sache wird noch fürchterliche Folgen haben und weil nach meiner Meinung auch dem Grafen Moltke viel zu viel geschehen war. Man ist doch schließlich im Schöffengericht zu einem freisprechenden Urteil gekommen, man hat doch auch dort die Frau v. Elbe für glaubwürdig gehalten. Und ein Jurist hat doch zum mindesten auch im damaligen Gericht gesessen. Muß ich nun die Sachen anders gesehen haben? Nach dem Prozeß habe ich nur einen Wunsch gehabt: die völlige Entgiftung der Sache. – Ich habe in diesem Verfahren von Anfang an die äußerste Resignation bewiesen, ich habe in jedem Stadium der Sache ausschließlich nach politischen Motiven gehandelt. Ich habe es für notwendig gehalten, in jedem Stadium den Haß auf mich zu nehmen, habe mich nicht in Eitelkeiten gewiegt oder gesagt, man werde mir Kränze flechten – und so ist es denn gekommen, daß in der ganzen Sache nur auf mich geschimpft worden ist. Es ist doch beispiellos, daß man während eines schwebenden Prozesses in öffentlichen Organen versucht, aus tausend Schlünden den Gerichtshof noch immer wilder zu machen und Artikel zu schreiben gegen meine Person, die dem Richter nahelegen, daß dieses Scheusal doch in die Wolfsschlucht geworfen werden müsse. Das ist eine Schmach für den ganzen Beruf! Wenn die Dezernenten des Polizeikommissariats bemerken: Über den Vertreter einer fremden Großmacht ist uns verboten, irgend etwas auszusagen, und wenn sie von den beiden anderen sagen: Ich kenne die beiden Herren; von dem einen kann ich alles aussagen, über den anderen kann ich mich nur über positive Tatsachen im Sinne des § 175 verneinend äußern, so gibt das doch zu denken. Wenn man bedenkt, um wen es sich handelt, so kann ich doch nicht sagen, daß Erfindung und Leichtfertigkeit vorliegt, und zwar um so weniger, wenn ich nach Potsdam hinübersehe, wo doch einige Dinge an das Tageslicht gekommen sind und Verfügungen gezeitigt haben, welche beweisen, daß ich doch auch einiges Nützliche bewirkt habe. – Was das Ausland anbetrifft, so hat es anfänglich überwiegend gesagt: In Deutschland sind es doch famose Kerle; wie das doch gleich funktioniert und angefaßt wird. Später allerdings begann die öffentliche Meinung alles zuzudecken und Harden allein sollte und mußte daran glauben. – Ich könnte das Schreiben eines Diplomaten vorlegen, der von seinem hiesigen Botschafterposten jetzt in sein Vaterland zurückgekehrt ist. In diesem Schreiben heißt es: „Alle leitenden Männer dieses Landes sind einig darin, daß Sie etwas Ausgezeichnetes getan und man bewundert, wie in Deutschland alles ausgezeichnet funktioniert.“ Auch bei uns haben mir recht viel, recht mächtige Männer mit recht gutem Namen gesagt: Es war doch eine recht anständige und mutige Sache. Ich habe sie jedenfalls als solche gefühlt. – Was konnte mir die Aktion nützen? Nicht den geringsten Vorteil hatte ich von ihr. Wenn ich heute zurückblicke, so muß ich sagen: So tief bedauerlich es mir persönlich ist, daß ein Mann, den ich aus den Schilderungen anderer Leute gekannt habe und der mir als ein ganz charmanter und liebenswürdiger Herr geschildert ist, sehr viel gelitten hat, so muß ich sagen, es ist das nicht meine Schuld. Menschenwerk ist immer Stückwerk! Wo ist der Meister, der da nicht einen Fehler macht? Fürst Bismarck hat einmal gesagt, daß bei allen Fehlern, die man ihm vorwirft, er doch immer das Bestreben gehabt hat, seinem Lande zu dienen. Ähnliches kann ich, in die viel kleineren Verhältnisse übertragen, auch von mir behaupten. Nun soll ich dafür eingesperrt werden, und ich soll eine ganz ungeheure Geldstrafe, nämlich die hohen Prozeßkosten, auch der ersten Instanz tragen? Wenn ich mich prüfe in meinem Bewußtsein, so muß ich sagen, ich habe es nicht verdient! Aber ich appelliere nicht an Ihre Milde. Wenn Sie glauben, daß es notwendig ist und es dem Lande nutzt – dem Grafen Moltke wird es nicht nutzen – dann verurteilen Sie mich! Ich bitte um Ihren Spruch! – Nach 23/4 stündiger Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Lehmann, folgendes Urteil: – 1. Der Angeklagte wird wegen Beleidigung im Sinne des § 186, in Tateinheit mit § 185 St.-G.-B. zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. – 2. Alle Exemplare der Zukunft, die die inkriminierten Artikel enthalten, werden eingezogen, und die Platten und Formen sind zu vernichten. – 3. Die Kosten des Verfahrens, mit Einschluß der dem Nebenkläger erwachsenen notwendigen Auslagen, werden dem Angeklagten auferlegt. – 4. Dem Nebenkläger Generalleutnant Grafen Kuno von Moltke wird die Befugnis zugesprochen, den Urteilstenor 6 Wochen nach Ausfertigung des Urteils in der „Zukunft“ auf der ersten Textseite, ferner in der Vossischen Zeitung, dem Berliner Tageblatt, der Kreuzzeitung, dem Hannoverschen Courier und der Kölnischen Zeitung auf Kosten des Angeklagten öffentlich bekanntzumachen. – In prozessualer Beziehung wendet der Angeklagte ein, daß das Privatklageverfahren auch nach Übernahme der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft weiter seinen Gang hätte gehen müssen. Es sei unzulässig gewesen, daß das Privatklageverfahren unter Aufhebung des ersten Urteils eingestellt und auf Grund einer neuen Anklage das jetzige Verfahren erfolgt sei. Nun stellt sich aber das gegenwärtige Verfahren, wenn es auch durch den auf Intervention der Staatsanwaltschaft im Privatklageverfahren ergangenen Einstellungsbeschluß veranlaßt worden ist, als ein neues Verfahren dar, welches auf einem selbständigen Eröffnungsbeschluß beruht und durch keine andere prozessuale Voraussetzung als diejenige des Strafantrages des Beleidigten bedingt war. In diesem Verfahren ist für die Entscheidung der innerhalb dieses Bereichs liegenden Frage, ob der Einstellungsbeschluß mit Recht oder Unrecht ergangen ist, kein Raum. Selbst wenn er zu Unrecht erfolgt wäre, fehlt doch dem zur Entscheidung des gegenwärtigen Verfahrens berufenen Gericht jede prozessuale Möglichkeit, in das Gebiet des Privatklageverfahrens zurückzugreifen und den Beschluß in Wegfall zu bringen. Deshalb hat das Gericht den gegenwärtigen Eröffnungsbeschluß ohne Rücksicht auf die Vorgänge im Privatklageverfahren zu erledigen. – In materieller Hinsicht weist der Angeklagte den Vorwurf der Anklage zurück, daß er in den inkriminierten Artikeln den Grafen Moltke als homosexuell hingestellt habe. Er will lediglich darauf hingewiesen haben, daß zwischen dem Fürsten Eulenburg und seinen Freunden, zu denen auch Graf Moltke gehörte, eine normwidrige, wenn auch ideelle Männerfreundschaft bestehe, und daß diese dem Kaiser nahestehenden Personen wegen ihres süßlichen, weibischen Wesens einen unheilvollen Einfluß ausgeübt haben. Als politischer Schriftsteller habe er sich verpflichtet gehalten, diesen Einfluß zu brechen. Infolgedessen habe er, wie er selbst in einem Artikel zugibt, die Angehörigen des Freundeskreises gehöhnt und verspottet und auf das Normwidrige einzelner zum Liebenberger Kreise gehörigen Personen hingewiesen. Die Verhandlung hat aber ergeben, daß er mehr getan hat, er hat den Grafen Moltke und den Fürsten Eulenburg als homo- sexuell hingestellt. Der erste Angriff gegen ihn ist in dem „Zukunft“-Artikel zu finden, in dem von „zwei Ästheten mit verschiedener Sinnesrichtung“ die Rede ist. Durch die starke Betonung des Gegensatzes wird zum Ausdruck gebracht, daß das Schöne und Genußreiche, was der Prinz beim weiblichen Geschlecht findet, der Graf in entgegengesetzter Richtung, also beim männlichen Geschlecht, findet. So ist die Stelle sofort vom Frhn. v. Berger gelesen und verstanden worden und auch vom Angeklagten gemeint gewesen, denn er leitete aus der sexuellen Normwidrigkeit die politische Schädlichkeit ab; wie er dem Grafen Reventlow gegenüber selbst erklärt hat, als er sagte, daß er aus diesem Grunde das sexuelle Moment hineinziehen mußte. Auch bei den übrigen inkriminierter Artikeln ist der Gerichtshof der Auslegung des Oberstaatsanwalts gefolgt und hat die Einwendungen des Angeklagten nicht für stichhaltig angesehen. Der Angeklagte hat nach der Ansicht des Gerichts den Grafen Moltke als einen an Perversion des Geschlechtstriebes leidenden Mann hingestellt. Nicht anders sind die Artikel in der Öffentlichkeit aufgefaßt worden, sie sind vielfach sogar dahin aufgefaßt worden, daß er den Mitgliedern des Kreises strafbare Bekundungen des homosexuellen Triebes nachsagen wollte. Der Angeklagte hat auch dem Freiherrn v. Berger und dem Klosterprobst Otto von Moltke zugestanden, daß er den Nebenkläger für homosexuell halte und auf seine normwidrige Veranlagung hingedeutet habe, um dessen politischen Einfluß zu brechen. Ähnliches habe er dem Grafen Reventlow gesagt. Der Angeklagte meint nun, es stehe nichts von homosexueller Betätigung in den Artikeln, er mußte sich aber klar darüber sein, daß ein Homosexueller ein solcher Mensch sei, der sich homosexuell betätigt, daß dies also mit aktiver Homosexualität identisch ist. Deshalb hat der Angeklagte einen Erfolg der Artikel nach dieser Richtung hin unzweifelhaft in seinen Willen aufgenommen und ist strafrechtlich dafür verantwortlich zu machen. Es sind dies Tatsachen, die geeignet sind, den Nebenkläger verächtlich zu machen und ihn in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Schon durch den bloßen Vorwurf homosexueller Neigung wird nach der Auffassung aller normaldenkenden Volkskreise der davon Betroffene in seinem moralischen Wert herabgesetzt; geradezu verächtlich aber wird er, wenn er diese Neigung betätigt. Der Makel wird um so größer, wenn es sich um einen Mann handelt, der vermöge seiner hervorragenden Stellung dienstlich und moralisch vorbildlich wirken soll. Die mündliche Verhandlung hat nun ergeben, daß der gegen den Grafen Moltke erhobene Vorwurf nicht nur nicht erweislich wahr, sondern direkt unwahr ist. Graf Moltke hat eidlich bekundet, daß er nicht in unsittlicher Neigung zu Männern hingezogen wird und nicht normwidrige Gelüste an sich gespürt, geschweige denn betätigt hat. Die Beweisaufnahme hat auch nicht den geringsten Anlaß gegeben, an der Richtigkeit dieser Erklärung zu zweifeln. Graf Eulenburg hat ebenfalls eidlich bekundet, daß zwischen ihm und dem Grafen Moltke lediglich ein rein ideelles Freundschaftsverhältnis besteht, welches, in jungen Jahren in jugendlicher Schwärmerei geschlossen, durch gemeinsame künstlerische Bestrebungen sich immer mehr gestaltet und bis ins Alter den idealistischen Zug beibehalten hat. Von Erotik ist dabei keine Spur. Auch Frau v. Elbe hat eidlich bekundet, daß sie den Grafen Moltke nicht für homosexuell hält, daß sie auch keine Momente dafür anführen kann, die auf Erotik, namentlich gegenüber dem Fürsten Eulenburg, schließen lassen. Ebensowenig kann aus dem Eheleben des Nebenklägers irgendein Anhalt für homosexuelle Veranlagung entnommen werden. Aus Äußerungen, die vom Grafen Moltke zu seiner Gattin im engsten Familienkreise gemacht sind und Ausbrüche schlechter Stimmung und Gereiztheit darstellen, ist auf homosexuelle Veranlagung gar nicht zu schließen. Von einer solchen ist also bei dem Grafen Moltke gar keine Rede. Der Angeklagte hat ihn vollständig zu Unrecht bezichtigt. Graf Moltke steht sittenrein da, kein Makel haftet ihm an und blank und fleckenlos steht sein Ehrenschild da. Harden, der diese Ehre durch üble Nachrede verunglimpft hat, ist nach § 186 zur Rechenschaft zu ziehen. Er hat sich aber auch nach § 185 schuldig gemacht. Zunächst dadurch, daß er den Nebenkläger als „Süßen“ bezeichnet hat, ferner dadurch, daß er mit Bezug auf die Liebenberger Tafelrunde sagte, „sie haben’s schon warm genug.“ Dadurch hat er auf die Homosexualität der Mitglieder der Tafelrunde hingewiesen und einen Anklang an eine landläufige Bezeichnung geliefert. Die Beleidigungen sind auch nicht verjährt, denn es handelt sich um ein einheitliches fortgesetztes Delikt; die beleidigenden Äußerungen beruhen auf einem einheitlichen Vorsatz und sind als eine Tat anzusehen, die erst in dem letzten Angriffsartikel ihren Abschluß erlangte. Der Strafantrag ist hiernach rechtzeitig gestellt. Der Angeklagte kann auch nicht den Schutz des § 193 in Anspruch nehmen, denn auch als politischer Schriftsteller hat er nicht das Recht, politische Interessen unter Verletzung der Ehre anderer zur Geltung zu bringen. Was die Strafzumessung betrifft, so konnte von einer Geldstrafe bei der außerordentlichen Schwere der Beleidigung nicht die Rede sein; sie war nur durch eine Gefängnisstrafe zu sühnen. Daß der Angeklagte als politischer Schriftsteller seine politischen Gegner so scharf wie möglich bekämpft, ist sein Recht, aber dreimal hätte er es sich überlegen sollen, ehe er die vita sexualis bestimmter Personen in die Öffentlichkeit zerrte. Der Verdacht kann nicht zurückgewiesen werden, daß auch eine Sensationslust mit im Spiele war. Gerade die von ihm gewählte Form seiner Artikel deutete darauf hin. Die schärfste Rüge verdient es aber, wenn mit einer Leichtfertigkeit, wie in diesem Falle, vorgegangen wird. So wie im vorliegenden Falle darf kein ernster politischer Schriftsteller handeln. Er muß sich bewußt sein, daß er damit Unheil anstiftet, welches nie wieder gutzumachen ist. Die Grundlage seiner Beschwerden und Beschuldigungen sind einige Bemerkungen des Fürsten Bismarck über die Hintermänner der Kinäden, ferner Gerüchte, die wahrscheinlich auf diese Äußerungen zurückzuführen sind und Mitteilungen der Frau von Elbe. Die Äußerungen des Fürsten Bismarck sind wahrscheinlich im Zorne gefallen, aus ihnen konnte und durfte der Angeklagte nichts auf Homosexualität des Fürsten Eulenburg und seiner Freunde Hinweisendes entnehmen. Ganz besonders unvorsichtig war es, einer Frau Glauben zu schenken, die einen erbitterten Ehescheidungskampf geführt hat und bei der es doch nahelag, daß sie die Dinge subjektiv gefärbt ansah –, mag auch die Person der Dame dem Angeklagten und anderen Personen einen glaubhaften Eindruck gemacht haben. Ihm war aus den Ehescheidungsakten bekannt, daß die Dame von Dr. Frey als hysterisch bezeichnet war und an schwerer Trionalvergiftung gelitten hatte. Es wäre doch wahrlich wohl geboten gewesen, ehe er einen Mann in so exponierter Stellung wie den Grafen Kuno von Moltke mit so viel Schimpf und Schande öffentlich bewarf, nicht seiner eigenen Diagnose zu trauen, die trotz seines reichen Wissens doch immer nur die eines Laien war, sondern einen der ihm zur Verfügung stehenden großen fachmännischen Spezialisten zu Rate zu ziehen. Wenn der Gerichtshof trotz all dieser erschwerenden Momente dem so maßvollen Antrage der Staatsanwaltschaft lediglich beigetreten ist, so ist das in Rücksicht darauf geschehen, daß die Gefängnisstrafe den Angeklagten bei seiner geschwächten Gesundheit härter trifft als einen andern gesunden Menschen. Danach rechtfertigt sich die Entscheidung des Gerichts. – Gegen dieses Urteil legte Harden Revision ein. Inzwischen beschworen Milchhändler Riedel (München) und Fischer Jakob Ernst (Starnberg) in einem von Harden angestrengten Beleidigungsprozeß gegen den Redakteur eines Münchner Blattes, daß sie vor vielen Jahren mit dem Fürsten Eulenburg, als dieser preußischer Gesandter in München war, Dinge getrieben haben, die im Sinne des § 175 des Str.-G.-B. strafbar seien. Aus Anlaß dieser im April 1908 vor dem Münchner Schöffengericht eidlich erhärteten Bekundungen wurde gegen den Fürsten Eulenburg das Strafverfahren wegen wissentlichen Meineids und versuchter Verleitung zum Meineid eröffnet und auch die Verhaftung des Fürsten beschlossen. Letztere stieß allerdings wegen des Krankheitszustandes des Fürsten auf große Schwierigkeiten. Der Fürst mußte sofort nach seiner Verhaftung in der königlichen Charité in Berlin untergebracht werden. Am 27. Juni 1908 begann die Verhandlung gegen den Fürsten Philipp Eulenburg vor dem Schwurgericht des Landgerichts I wegen wissentlichen Meineids und versuchter Verleitung zum Meineid. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte Landgerichtsdirektor Kanzow. Die Anklage vertraten Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel und Staatsanwalt Raasch, die Verteidigung hatten Justizrat Max Wronker und Justizrat Ludwig Chodziesner übernommen. Der Angeklagte mußte täglich in einem Koppschen Krankenwagen, unter persönlicher Leitung des Herrn Kopp, von der Charité nach dem alten Moabiter Gerichtsgebäude gefahren und alsdann in den im ersten Stock belegenen großen Schwurgerichtssaal getragen werden. Die Verhandlung fand wegen Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Dem Vernehmen nach wurde Fürst Eulenburg sehr belastet. Der Angeklagte bestritt mit großer Entschiedenheit, schuldig zu sein; er behauptete: die beiden Münchner Zeugen und einige andere seien von der Gegenseite beeinflußt. Nach etwa 12tägiger Verhandlung erklärten die Ärzte: Es sei unmöglich, den Angeklagten nach dem Schwurgericht zu bringen, ohne seine Gesundheit aufs ärgste zu gefährden. Es wurde deshalb dem Gericht in der Charité ein Sitzungssaal zur Verfügung gestellt und in diesem, nachdem der Angeklagte, im Bett liegend, in den Saal getragen war, die Verhandlung fortgesetzt. Nach drei Tagen erklärten aber die Ärzte: Die Verhandlung, deren Ende nicht abzusehen sei, müsse auf unbestimmte Zeit vertagt werden. Durch die fortgesetzte Anstrengung und Aufregung sei für das Leben des Angeklagten das Schlimmste zu befürchten. Oberstaatsanwalt Dr. Isenbiel beantragte daraufhin die Vertagung, fügte aber hinzu, daß er auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme den Antrag auf Schuldig stellen müßte. – Die Verteidiger schlossen sich dem Antrage auf Vertagung an. Der Angeklagte protestierte jedoch gegen den Antrag. Er stehe unter dem Druck einer furchtbaren Anklage; er fühle sich stark genug, der Verhandlung weiter zu folgen, in dem Bewußtsein seiner vollen Unschuld. Er zweifle nicht, daß es ihm gelingen werde, seine volle Unschuld nachzuweisen. – Der Gerichtshof beschloß jedoch die Vertagung auf unbestimmte Zeit. Ende September 1908 wurde die Haftentlassung des Fürsten Eulenburg gegen eine Sicherheitsleistung von 500 000 Mark beschlossen. Daraufhin kehrte der Fürst nach seinem Schloß Liebenberg zurück. Im Mai 1909 erschienen im Auftrage der Staatsanwaltschaft einige Mitglieder der Medizinischen Wissenschaftlichen Deputation in Liebenberg. Diese erklärten den Fürsten nach vorgenommener Untersuchung für verhandlungsfähig. Die am 17. Juli 1908 unterbrochene Verhandlung begann daher am 7. Juli 1909 von neuem. Allein zwei Stunden nach Eröffnung erlitt der Angeklagte einen derartigen Schwächeanfall, daß die Ärzte das Schlimmste befürchteten. Die Verhandlung mußte deshalb abgebrochen und wiederum auf unbestimmte Zeit vertagt werden. – Im Mai 1908 fand vor dem zweiten Strafsenat des Reichsgerichts die Revisionsverhandlung gegen Harden statt. Nach zweitägiger Verhandlung beschloß der Senat, das Urteil der vierten Strafkammer des Landgerichts Berlin I, nebst allen tatsächlichen Feststellungen aufzuheben und zur noch- maligen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausschlaggebend für diesen Beschluß des Reichsgerichts waren, daß ein Zeuge, der bereits entlassen, noch einmal vorgeladen und vernommen wurde, ohne ihn nochmals zu vereidigen. – Aus Anlaß des Beschlusses des Reichsgerichts gelangte die Angelegenheit am 20. April 1909 nochmals vor der vierten Strafkammer des Landgerichts Berlin I zur Verhandlung. Den Vorsitz des Gerichtshofes führte wiederum Landgerichtsdirektor Lehmann. Die Anklage vertrat Oberstaatsanwalt Dr. Preuß. Für den Nebenkläger Grafen Kuno von Moltke war Justizrat Dr. Sello erschienen. Die Verteidigung führte Justizrat Bernstein (München). Sofort nach Eröffnung der Sitzung überreichte der Verteidiger dem Gerichtshof folgende Schreiben: 1. Herr Harden wiederholt die in seiner Zeitschrift, vor dem Schöffengericht und vor dem Landgericht abgegebene Erklärung, daß er in seiner Wochenschrift Seine Exzellenz den Herrn Grafen Kuno Moltke nicht der Homosexualität beschuldigt hat. Seine Exzellenz Generalleutanant z. D. Graf Moltke akzeptiert diese Erklärung. Beide Herren sind der Überzeugung, daß sich nach diesen Erklärungen jede Beweisaufnahme erübrigt. Berlin, den 19. März 1909. Graf Kuno Moltke. Maximilian Harden. 2. In der Strafsache gegen Harden beehren sich die unterzeichneten Parteien die anliegende Erklärung in der Annahme zu überreichen, daß dadurch eine Unterlage für eine rasche und einfache Erledigung gegeben ist, gegen dessen Einstellung sie nichts einzuwenden haben. Berlin, den 22. März 1909. Graf Kuno Moltke. Maximilian Harden. – Justizrat Dr. Bernstein beantragte auf Grund dieser beiden Schreiben die Einstellung des Verfahrens. – Oberstaatsanwalt Dr. Preuß: So sympathisch mir der Vergleich an und für sich ist, so halte ich die Einstellung des Verfahrens aus prozessualen Gründen nicht für zulässig. Eine andere Frage ist ja, wie weit man auf die Vergleichsverhandlungen Rücksicht zu nehmen haben wird erstens bei der Beweisaufnahme und dann vor allen Dingen nachher bei Abmessung der Strafe; ich darf vielleicht auch hier gleich betonen, daß meiner Meinung nach von einer Beweisaufnahme vielleicht wird ganz abgesehen werden können, falls der Herr Angeklagte und der Herr Nebenkläger uns ausreichende Erklärungen noch weiterhin über einzelne Punkte, die von Wichtigkeit sein können, abgibt. – Justizrat Dr. Sello: Ich bin der Meinung, daß die vom Herrn Kollegen Bernstein angeregte Unzuständigkeitsfrage der ernstesten Beachtung wert ist, und muß seine Einwendungen unterstützen. Da kein Zweifel bestehen kann, daß bei richtiger, zutreffender Auslegung des § 417 der Str.-P.-O. die Strafkammer als Erste Instanz zur Aburteilung dieser Sache nicht berufen sein kann, wäre eine Fortsetzung des Verfahrens mit dem Keim einer unheilbaren Nichtigkeit behaftet. – Nach längerem Disput zwischen dem Oberstaatsanwalt, dem Vertreter des Nebenklägers, dem Verteidiger und dem Angeklagten beschloß der Gerichtshof, den Antrag auf Einstellung des Verfahrens abzulehnen. – Auf Antrag des Oberstaatsanwalts wurde darauf beschlossen, die Öffentlichkeit während der ganzen Dauer der Verhandlung, einschließlich der Vertreter der Presse, auszuschließen. – Der Vorsitzende forderte Harden auf, sich über die inkriminierten Artikel und deren Motive zu äußern. – Harden: Graf Moltke hat erklärt, daß er in den inkriminierten Artikeln keine Beleidigung mehr findet. Er wünscht keine Beweisaufnahme. Ich bin und bleibe auch als Angeklagter ein Mann von leidlicher Lebensart und werde den Versuch machen, auf dem Boden dieser Erklärung mich zu halten. Das kann aber nur geschehen, wenn von keiner Seite der alte Streit, der geschlichtet worden ist, aufgenommen wird. Ich äußere mich also einstweilen auf die Anklage nicht und antworte auf keine Frage. Auf Ersuchen des Vorsitzenden äußerte sich der Angeklagte über die Gründe, die nach seiner Überzeugung gegen jede Beweisaufnahme sprechen, ungefähr folgendermaßen: Harden: Ich habe in den inkriminierten Artikeln einen Kreis von Menschen zunächst leise gewarnt und dann angegriffen, die höchst unheilvoll im Deutschen Reich gewirkt haben, deren Treiberei mir seit vielen Jahren bekannt und deren Haupt Philipp Eulenburg war. Ich habe sehr lange gezögert, auch die Seite der Perversität zu beleuchten. Ich bin aber endlich dazu gezwungen worden, auch das zu tun; denn man hat in diesen Kreis abnorm empfindender Menschen auch Vertreter des Auslandes aufgenommen; ich nenne nur den Botschaftrat Lecomte, der in Berlin der König der… hieß. Diesen Herrn Lecomte hat man in die Nähe des Deutschen Kaisers gebracht; hat überhaupt auf allerlei Gipfel und Gipfelchen homosexuelle Menschen hingesetzt. Dadurch ist eine sehr gefährliche Situation geschaffen worden. Der Kaiser konnte nicht wissen, durch welchen Kitt diese Menschen zusammengehalten wurden. Ich mache eine Parenthese: Mir liegt nichts ferner als eine fanatische Bekämpfung der Homosexuellen. Unter anderen Lügen, die über mich verbreitet worden sind, ist auch die, ich habe eine Petition gegen den § 175 unterschrieben. Ich habe es nicht getan, habe mich geweigert, es zu tun; erstens schien mir die Sache aussichtslos und zweitens bin ich der Meinung, daß im Deutschen Reiche heute für andere Freiheit gekämpft werden muß als für die Freiheit perverser Triebe. Aber ich bin weit von dem Wahn entfernt, dieser Paragraph sei ein wirksames Heilmittel, und weit von dem Wunsch, drakonische Maßregeln gegen Homosexuelle zu erreichen. Kein vernünftiger Mensch kann aber daran zweifeln, daß es gefährlich ist, ganze Gruppen solcher Menschen an irgendeiner Stelle zu versammeln; mag es nun in einem Polizei- oder Landgerichtspräsidium geschehen. Die Gefahr ist natürlich viel, viel größer, wenn es sich um die höchste Stelle im Staat handelt, und sie ist unermeßlich bei einer Persönlichkeit, die von Schmeichlern sogar impulsiv und impressionabel genannt wird. Ich habe behauptet und behaupte heute, daß an allen Konflikten, die der Deutsche Kaiser von der ersten Stunde an mit seinen Landsleuten und mit andern gehabt hat, Philipp Eulenburg und seine Leute mitschuldig gewesen sind; daß sie höchst unheilvoll auf diese für das Reich wichtigste Seele eingewirkt haben. Wie weit es gegangen ist: ich komme hoffentlich nie in die Notwendigkeit, es zu sagen. Aber ich glaube, Sie werden heute meine Worte anders beurteilen als vor anderthalb Jahren, wo hier von der „Hardenschen Mär“ gesprochen und getan wurde, als sei das von mir Gesagte als falsch erwiesen. In dem Prozeß Eulenburg ist nicht ein irgendwie wichtiger Zeuge aufgetreten, der nicht von mir dem Untersuchungsrichter genannt worden war; auch in dem Verfahren gegen den Grafen Hohenau war ich durch den Eid gezwungen, alle Hauptzeugen zu nennen. Leider. Ich rühme mich dessen nicht. Aber Sie dürfen nicht mehr annehmen, daß ich unhaltbare Geschichten verbreite. Was ist geschehen? Ein Hohenzollernprinz, zwei Eulenburg, zwei Hohenau, Graf Lynar, Graf Edgar Wedel, Baron Wendelstadt, Lecomte: alles erledigt. Ich glaube es ist genug. Im weiteren Verlauf bemerkte Harden: In den Artikeln wird gesagt: Wir treiben im Deutschen Reich eine viel zu süßliche und weichliche Politik. Wenn wir, im Bewußtsein unserer Kraft, jede unwürdige Zumutung ablehnten, wenn wir zeigten, daß im Notfall das Schwert gezogen werden kann, gezogen wer- den wird, sobald die Ehre und die Zukunft der Nation es fordert, dann würde unsere Weltstellung besser sein. Daß der Gedanke richtig war, ist ja jetzt erwiesen. Aber darauf kommt es hier nicht an. Eine Ursache dieser weichlichen Politik sah ich (mit Recht oder mit Unrecht) darin, daß Mystiker, Süßholzraspler, Spiritisten, kränkliche Männer aller Sorten sich um die Person des Monarchen geschart hatten. Damals gab es zweierlei Politik: die amtliche und die eulenburgische. Die zweite, die okkulte, wurde von Herren betrieben, die den Kaiser umknieten. Ich bitte, das nicht nur bildlich zu nehmen. Diese Herren haben den Enkel Wilhelms des Nüchternen in eine ungesunde, ihren Zwecken ersprießliche Romantik zu zerren versucht. Sie sind weg: und der Dunst ist zerflattert. Weggekommen sind sie nach meinen Artikeln. Ich bitte, endlich sich einmal von dem Gedanken loszumachen, hier handle sich’s um die Bekämpfung und Entschleierung Homosexueller. Die Angegriffenen waren Spiritisten, meinetwegen Theosophen, Mystiker, Leute, die kranke Menschen und Tiere durch Gebete heilen wollten und von denen einzelne auch sexuell abnorm waren. Wird etwa geleugnet, daß solche Abnormität auf die Gesamtpsyche wirkt? Lassen Sie sich von der wissenschaftlichen Literatur, von Krafft Ebing bis auf Kraepelin, belehren! Daß solche „Männer“ von Eulenburg an solche Stelle gebracht wurden, war ein nationales Unglück. Dadurch ist die Atmosphäre entstanden, die eine so schwache, eine so weiche Politik, eine so verhängnisvolle Täuschung über die Realitäten ermöglichte. Und da einzugreifen, war nach meiner Überzeugung meine Pflicht. Daß es dabei zu Enthüllungen kam, die Menschenleben vernichteten, ist nicht meine Schuld. Ich habe niemanden denunziert; trotzdem ich mir dadurch manches erspart hätte. Habe ich nicht hier in diesem Saal gesessen und den biederen Eulenburg ruhig schwören lassen? Ich hätte ihn jeden Moment vernichten können. Heute wissen Sie es. Ich wollte nicht. Ich habe Justizrat Bernstein gebeten, ruhig zu sein, als er aufspringen und sagen wollte: Sie haben falsch geschworen, Herr Fürst. Ich wollte und konnte Ihr Urteil abwarten. Dann, nach den Hymnen, den Barettorgien, dem Urteil, das mich entehren sollte, mußte ich handeln. Hätte ich’s nicht getan, so wäre Eulenburg, als ein Gereinigter, am Ende gar in die Gunst zurückgekehrt. Das durfte nicht sein. – Auf nochmaliges Befragen erklärte Harden wiederholt: Er habe dem Grafen Kuno von Moltke den Vorwurf der Homosexualität nicht gemacht und auch nicht machen wollen, er sei daher der Meinung, daß sich eine Beweisaufnahme erübrige. – Der Verteidiger Justizrat Bernstein und der Vertreter des Nebenklägers, Justizrat Dr. Sello schlossen sich dieser Erklärung an. – Graf Kuno von Moltke erklärte nach vorheriger Vereidigung auf Befragen des Vorsitzenden: Ich bin meiner festen Überzeugung nach nicht homosexuell veranlagt, habe nie zu männlichen Personen eine sinnliche Leidenschaft empfunden und nie mit männlichen Personen geschlechtlichen Umgang gehabt. Auf weitere Beweißaufnahme wurde verzichtet. Oberstaatsanwalt Dr. Preuß beantragte 600 Mark Geldstrafe, Einziehung der inkriminierten Artikel und Auferlegung der Kosten. – Vertreter des Nebenklägers, Justizrat Dr. Sello: Ich habe nur nochmals zu erklären, daß mein Herr Klient mit dem Herrn Angeklagten in der Anerkennung der Tatsache übereinstimmt, der Vorwurf der Homosexualität sei in den Artikeln dem Grafen Moltke nicht gemacht. Eine andere Erklärung ist in diesem Stadium nicht abzugeben. – Verteidiger Justizrat Bernstein: Ich stelle fest, daß für die Annahme, dem Nebenkläger sei in den Artikeln Homosexualität vorgeworfen worden, nicht der Schatten eines Beweises erbracht worden ist. Jeder Angeklagte, selbst der obskurste, erst recht aber einer von Ruf und Ansehen, darf verlangen, nicht ohne Beweis für unglaubwürdig gehalten und verurteilt zu werden. Der Verteidiger wies alsdann darauf hin, daß ein großer Teil der Tagespresse auf Sensation erpicht sei. Glauben Sie, daß diese nicht einen Riesenlärm gemacht hätte, wenn in der Zukunft zu lesen gewesen wäre: Die bekanntesten Hofherren seien homosexueller Vergehen schuldig. Sie hat aber derartiges in der Zukunft nicht gefunden. Der Verteidiger schloß: Geben Sie Herrn Harden ein Urteil, bei dem er als Ehrenmann sich beruhigen kann, das ihn nicht nötigt, den Schleier noch weiter zu lüften, und freuen Sie sich des Rechtes, diese Sache so zu beenden! Herr Harden hat mich gebeten, über Strafart und Strafmaß kein Wort zu sagen. Wie Sie auch urteilen mögen: der Satz, mit dem ich schließen will, wird von keinem Unparteiischen bestritten und von der höchsten Instanz, von der Geschichte, bestätigt werden. Der Satz: In der Sache, die ihn heute zum vierten Male vor ein deutsches Gericht bringt, hat Maximilian Harden sich um das Deutsche Reich und das deutsche Volk unvergängliche Verdienste erworben. – Angeklagter Harden: Nie werde ich der Spottsucht den Weg in die Beletage des Deutschen Reiches bahnen und die Vernichtung von Leuten, die noch im Glanze sitzen, herbeiführen, wenn sich’s um keine andere Gefahr handelt als um die meiner möglichen Bestrafung. Darum den Boulevards Futter auf die Pharisäerkrippe schütten? Da gibt’s für mich gar kein Schwanken. Ob und wie ich bestraft werde: Das ist mir vollkommen gleichgültig. Ich sage Ihnen ganz ruhig: Je härter ich bestraft werde, in dieser Sache, in diesem Forum, nach diesem Verfahren, nach diesen Aussagen, um so besser; um so lehrreicher für Mitlebende und Nachwachsende. – Ich gehe auf Einzelheiten gar nicht mehr ein. Es wäre ein Verbrechen gegen Sie, aber auch gegen mich, wenn ich zum aberhundertsten Mal die Artikel interpretieren wollte. – Der erste politische Eindruck meines Lebens, so äußerte sich Harden im weiteren Verlauf, entstand durch die außerordentliche Freundlichkeit, ja, ich darf sagen: Freundschaft, die Fürst Bismarck mir gewährte. Ich darf es sagen, denn er hat es ja selbst oft so genannt. Freilich konnte ein so viel jüngerer und so viel kleinerer Mensch nur in begrenztem Sinn als Freund gelten; er hatte ja viel mehr zu empfangen als zu geben. Dieser Mann hat mir immer wieder gesagt: „Ihnen mißfällt der Kaiser als politische Persönlichkeit in vielen wesentlichen Zügen; mir auch. Aber Sie können mir glauben: alle oder mindestens neun Zehntel dieser nicht erfreulichen Seiten wären nicht sichtbar, wenn Philipp Eulenburg nicht seine Sippschaft an ihn herangebracht hätte. Das sind gräßliche Leute; ganz anders als wir; sentimental, geistergläubig, spukscheu (Eulenburg hat an dem Herrn neben anderen Wunderqualitäten ja das zweite Gesicht der Stuarts entdeckt); ohne Sinn für die Nüchternheit des politischen Lebens, ohne den Nerv der Tapferkeit, die eine große Nation braucht; und der größte Teil ist auch noch geschlechtlich abnorm und nicht sauber. Da gibt’s Zusammenhänge und Hautsympathien, die unsereins gar nicht versteht.“ Das habe ich in Varzin, Friedrichsruh und Schönhausen oft gehört und besprochen. Aber nie in meiner Zeitschrift erwähnt. Ich habe den Fürsten Eulenburg manchmal politisch, wenn es mir nötig schien, bekämpft, aber nie diese Sachen erwähnt. – Da geschah das Entscheidende. Der Deutsche Kaiser wies diesen Männern die Tür. Fest steht die Tatsache, daß Graf Kuno von Moltke niemals gehört worden ist, sich niemals irgendwie rechtfertigen durfte, daß der ewige Plessen ihm einfach brüsk das Abschiedsgesuch abverlangt hat. Ist anzunehmen, daß meine Artikel der „Zukunft“ zu diesem Schritt getrieben haben? Leben wir in einem Reich, wo die beliebtesten Herren weggejagt werden, weil in einem leidlich angesehenen, aber vom Kaiser durchaus nicht geliebten Blatt ein paar Artikel gegen sie erschienen sind? Darum werden alte Freunde, die man duzte, einfach hinausgeworfen? Darum wird dem Vertreter des beurlaubten Polizeipräsidenten gesagt: Über Eulenburg, Moltke, Hohenau, Lecomte brauchen Sie mir nichts mehr zu erzählen; die sind erledigt; aber von den anderen aus Hof und Garde will ich schnell eine Liste? – Als die Geister ausgeräuchert waren und Graf Moltke in die Presse sickern ließ, er habe mich gefordert, kam der Lärm. Und nun wollte jeder Esel natürlich längst alles gewußt haben. Meine Artikel waren in der Erinnerung verblaßt oder auch nie gelesen worden. Hatte da nicht was von Päderasten gestanden? Gewiß. Und das Spektakel war fertig. Ich wurde gebeten, der Meute abzupfeifen; und tat’s vielleicht etwas zu laut. Aber wenn Sie die ganze Weltgeschichte durchgehen: Sie können niemals eine schwierigere Aufgabe finden als den Kampf eines einzelnen gegen eine Hofclique. Der hat kaum jemals zum Siege geführt. Das ist beinahe unmöglich. Und Fehler? Wer hat in dieser Sache denn keine Fehler gemacht? Sie, meine Herren? Die Staatsanwaltschaft? Graf Moltke? Meine Fehler sind noch lange nicht die ärgsten, scheint mir; sind nicht sehr beträchtlich neben denen der anderen Beteiligten. – Genug. Zu viel schon. Ein Mann, von dem wir alle gern noch Großes hoffen möchten und der das Reich, das Volk repräsentiert, hatte, ohne es zu ahnen, diesem unheilvollen Einfluß die Schleußen geöffnet. Vier Kanzler hatten sich vergebens bemüht, den Eulenphili um seine okkulte Macht zu bringen; und der größte, der einzig große der vier hat mir oft gesagt: Manches mag Ihnen noch gelingen, aber nie, Eulenburg zu stürzen. Und doch ist’s gelungen; und die Folgen waren heilsam für Reich und Kaiser. Das sage nicht etwa ich nur: Das sagen alle Sachverständigen, die wissen, was geschehen war. Darum kann ich verächtlich das Gesindel belächeln, das brüllt, ich habe das Reich geschädigt. Recht hohe Leute haben’s mir anders geschrieben. Ein aktiver Botschafter, zum Beispiel, den der Kaiser öffentlich seinen Freund genannt hat und dem ich vorher den bittersten Hohn nicht erspart hatte, schrieb mir spontan, wie allgemein auch von den besten Männern des Landes, in dem er akkreditiert sei, mein Handeln anerkannt werde. Ich will Ihnen solche Briefe nicht vorlegen. Wozu? Sie, nicht die Politiker, sind ja hier Richter. Nur: glauben Sie den Lügnern nicht, die sagen, durch mich habe das Reich gelitten. Wir konnten und können uns sehen lassen. Ich habe lange gezögert. Ich ließ den Rädelsführer zweimal schwören. Doppelt hält besser, sagt der Volksmund. Schließlich hat der Mann selbst den Schlaukopf in die Schlinge gelegt; und die Möglichkeit, sich selbst zu henken, würde ich auch minder kräftigen Schädlingen nicht vereiteln. Seitdem ist’s bei uns besser geworden und die letzten Vorposten werden wohl auch bald von den Gipfelchen verschwinden. Heute liegt es anders. Für das Reich wäre nichts zu gewinnen? Und um mich einer Strafe zu entziehen, werde ich den Sumpf nicht aufrühren. Auch nicht, wenn es mich nur einen Griff in ein Kuvert kostete, der Sache eine andere Wendung zu geben. Niemals. Ich hoffe noch, auch Ihr Spruch wird mich nicht zwingen, so zu handeln, wie ich nicht handeln wollte. – Harden schloß: Ihr Urteil kann mir nicht ernstlich schaden. Ich glaube, von allen Beteiligten habe ich Ihr Urteil am wenigsten zu fürchten. Und deshalb bitte ich Sie, in Ihrem Beratungszimmer viel mehr an sich als an mich zu denken. Daran, daß unter einem neuen Fehlspruch wieder Ihr Name stünde. Lange würde er ja nicht gelten. Denn wenn Ihr Urteil mich unerträglich dünkt: es gibt mehr als ein wirksames Mittel dagegen. Das habe ich Ihnen bewiesen. Auch diesmal würde es vielleicht eine Weile dauern. Aber wir würden uns wiedersehen. Nur: Ihr Name wäre auch von diesem Dokument deutscher Rechtspflege nicht wegzukratzen. Ich habe nichts mehr zu sagen. – Nach längerer Beratung des Gerichtshofes verkündete der Vorsitzende: Der Angeklagte wird, als Verbreiter nicht erweislich wahrer Tatsachen, die einen anderen in der öffentlichen Achtung herabsetzen, zu einer Geldstrafe von sechshundert Mark und zur Tragung der in allen drei Verfahren entstandenen Kosten verurteilt; das Gericht hat ihn in allen Punkten schuldig gefunden. Am Tag nach dem Termin ließ Graf Moltke dem Verurteilten sagen, er sei ihm für die „Ritterlichkeit seiner Haltung“ aufrichtig dankbar. Vorher war an den Generalleutnant z. D. Grafen Kuno Moltke der folgende Brief („eingeschrieben“) abgegangen:
- Eurer Exzellenz
- teile ich das Folgende mit:
Auf Ihren Wunsch und im Vertrauen auf eine loyale Durchführung des im Lauf der letzten Wochen auf Ihre Anregung Vereinbarten habe ich am einundzwanzigsten März meinen Namen unter die Erklärung gesetzt, die Sie am Neunzehnten unterzeichnet hatten und die wir, mit einem gemeinsamen Begleitschreiben, am zweiundzwanzigsten März der Königlichen Staatsanwaltschaft eingereicht haben.
Ihr Herr Prozeßvertreter wird Ihnen bestätigen, daß ich in der Hauptverhandlung das dem Menschenmaß Erreichbare geleistet habe, um eine schonende Behandlung der Sache und der Person zu ermöglichen und dadurch Eurer Exzellenz Schmerzliches zu ersparen. Durch Ihr Verhalten haben Sie mir die Fortsetzung dieser Taktik unmöglich gemacht und mich zugleich von der Verantwortung für alles Weitere entbürdet. Ich bin an das Vereinbarte nicht mehr gebunden und habe heute an die Königliche Staatsanwaltschaft geschrieben:
„Der Königlichen Staatsanwaltschaft beehre ich mich mitzuteilen, daß ich nach den gestrigen Aussagen des Grafen Kuno von Moltke von den beiden am zweiundzwanzigsten März der Königlichen Staatsanwaltschaft eingereichten Erklärungen meinen Namen zurückziehe und mich von den darin ausgesprochenen Wünschen lossage. Ich ersuche den Herrn Ersten Staatsanwalt, diese Mitteilung unverzüglich dem einstweilen zuständigen Gericht, der Vierten Strafkammer am Königlichen Landgericht I Berlin, zugänglich zu machen.“
- In vorzüglicher Hochachtung
Harden legte gegen seine Verurteilung Revision ein. Die Verhandlung vor dem zweiten Strafsenat des Reichsgerichts sollte am 5. Juli 1909 stattfinden. Am 12. Juni 1909 erhielt Harden folgenden Brief:
- „Seiner Hochwohlgeboren Herrn Maximilian Harden.
- Eurer Hochwohlgeboren
- theile ich, in Beantwortung Ihres Briefes vom einundzwanzigsten April, folgendes mit:
- Eurer Hochwohlgeboren
Sämtliche von meinem Anwalt, Herrn Justizrat Dr. Sello, vor Gericht abgegebenen Erklärungen entsprechen meinen Intentionen und dem von mir unterzeichneten Vergleich. Auch ich habe in meiner Vernehmung zum Ausdruck bringen wollen, daß in den streitigen Artikeln der ‚Zukunft‘ der bewußte Vorwurf nicht gemacht worden ist. Wenn meine in der Erregung vor Gericht gemachte Aussage die Auslegung zulassen sollte, als ob ich mich nicht streng an den wohlerwogenen Wortlaut und Sinn des Vergleiches gehalten hätte, wie dies in der Beweisaufnahme Euer Hochwohlgeboren in loyaler Weise getan haben, so bedaure ich dies und kann nur wiederholen, daß dies meiner Absicht nicht entsprach.
Diese Erklärung läßt mich annehmen, daß auch Euer Hochwohlgeboren sich wieder auf den Boden des Vergleiches stellen und die Angelegenheit als erledigt ansehen werden.
- Mit vorzüglichster Hochachtung
- Darauf antwortete Harden:
- Sr. Exzellenz dem Generalleutnant
- Herrn Grafen Kuno v. Moltke.
Diese (zur Veröffentlichung bestimmte) Erklärung genügt mir. Um Ihren Wunsch zu erfüllen, habe ich am fünfzehnten Juni dem Zweiten Strafsenat des Reichsgerichtes mitgeteilt, daß ich auf die Revision des Urteils vom zwanzigsten April verzichte.
- Mit vorzüglichster Hochachtung
Anmerkungen (Wikisource)