Instinct oder Ueberlegung? (Die Gartenlaube 1878/30)
[504] „Instinct oder Ueberlegung?“ Zu der unter diesem Titel in Nr. 26 der „Gartenlaube“ berichteten kleinen Schwalbengeschichte bin ich in der Lage, in Folgendem ein noch interessanteres Gegenstück bringen zu können.
Vor einigen Jahren bemerkte ich, daß ein Schwalbenpaar die Absicht hatte, sich an eines der oberen Fenster meines zweistöckigen Hauses anzubauen. Um die in Aussicht stehende Beschmutzung meines Hauses zu verhindern, ließ ich mit einer Bohnenstange die angefangene Arbeit zerstören. Sofort wurde von den Thieren eine andere Baustelle im zweiten Fenster in Angriff genommen und, da jedes Mal von meiner Seite die Zerstörung folgte, später in fieberhafter Hast bald das eine, bald das andere der fünf Fenster attakirt. Als die Schwalben einsahen, daß alle Arbeit vergebens war, zogen sie endlich ab und, wie ich glaubte, auf Nimmerwiedersehen. Aber ich hatte mich gründlich geirrt. Nach kurzer Zeit wurden sämmtliche fünf Fenster gleichzeitig von einem großen Schwarm von Schwalben, wahrscheinlich sämmtlichen des ganzen Städtchens, mit einer solchen Energie in Angriff genommen, daß die Zerstörung nicht gleichen Schritt halten konnte. Endlich, nach vergeblichem Widerstande, ließ ich alle oberen Festerflügel nach außen öffnen, wodurch die Mauerecke verdeckt wurden. Ich saß mit meiner Familie auf der Freitreppe vor dem Hause in Erwartung dessen, was nun kommen würde. Da geschah denn auch das Sonderbarste von der ganzen Geschichte. Die Schwalben, in gedrängten Haufen hin und her fliegend, schienen sich zu berathen. Plötzlich erhoben alle ein großes Geschrei und flogen während mehrerer Minuten hin und her und so dicht an unseren Köpfen vorbei, als ob sie uns hätten attakiren wollen, sodaß wir oft abwehrend mit den Händen das Gesicht decken mußten. Dann zogen sie plötzlich wie auf Commando ab, ohne uns weiter zu belästigen.
Enger. Regierungsbezirk Minden.