Textdaten
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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Im Raubvogelgebauer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 164–168
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Aus dem Zoologischen Garten Hamburg
Nr. 3 der Reihe Bilder aus dem Thiergarten
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Bilder aus dem Thiergarten.
Von Brehm
3. Im Raubvogelgebauer.

Der Unterschied zwischen Thiergärten und Thierschaubuden springt hauptsächlich dann in die Augen, wenn man sich von den Raubsäugethieren zu der übrigen Bewohnerschaft eines Thiergartens wendet. Die Raubsäugethiere können leider auch im Garten kaum anders gehalten werden, als in der Menagerie: – starke, eiserne Gitter vor einem verhältnißmäßig kleinen Käfig sind die Bedingungen, welche der Beschauer wegen nicht wohl umgangen werden können. Man hat zwar in der Neuzeit auch für die Katzen würdigere Wohnräume zu bauen angefangen, und namentlich dem Thiergarten zu Dresden gebührt der Ruhm, zuerst ein entsprechendes Raubthierhaus errichtet zu haben; im Allgemeinen aber gehören gerade die Raubthiere noch zu den beklagenswerthesten Gefangenen eines Thiergartens.

Anders ist es mit ihren Vertretern in der zweiten Classe. Die Raubvogelgebauer fast aller Thiergärten sind mehr oder minder großartig und verfehlen deshalb auch den beabsichtigten Eindruck nicht. Freilich ist auch der größte Gebauer dem Adler ein erbärmlicher Käfig; freilich kann von uns kein Raum geschaffen werden, welcher ihm genüge; dem ungeachtet muß man anerkennen, daß wenige Gehege in den Thiergärten so zweckentsprechend eingerichtet sind, wie gerade die für die Raubvögel bestimmten Gebauer. Man darf behaupten, daß die Vögel eben soviel Freiheit erhalten, als sie erhalten dürfen. Sie finden, wenn der Raum im Uebrigen zweckentsprechend eingerichtet ist, Alles, was ihnen Noth thut, und beweisen durch ihr Benehmen bald genug, daß es ihnen in ihrem Gefängnisse wohl behagt.

Das Raubvogelgebauer des Hamburger Thiergartens gehört zu den besteingerichteten, welche bis jetzt erbaut worden sind. Der ganze Bau ist freilich, wie sich bereits herausstellt, für Hamburg viel zu klein, die einzelnen Räume aber genügen größtentheils dem

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Das Raubvogelgebauer des Hamburger Thiergartens.
Nach der Natur aufgenommen von H. Leutemann.

[166] Erforderniß. Namentlich der mittelste, mit welchem die durchaus wahrheitsgetreue Zeichnung unseres Leutemann den Leser bekannt macht, ist ein prächtiger Bau von 25 Fuß Tiefe, 30 Fuß Breite und 36 Fuß Höhe, an welchen sich nach hinten ein bedeckter kammerartiger Raum anschließt, dazu bestimmt, den Vögeln bei sehr rauhem und unangenehmem Wetter zum Rückzug zu dienen. Zwei Eichbäume und ein künstlicher Felshaufen gewähren ihnen innerhalb des Gebauers die nöthigen Ruheplätze, ein großes seichtes Wasserbecken bietet ihnen Gelegenheit zu dem Allen unumgänglich nothwendigen Bade, und der geräumige, mit reinlichem Kies bedeckte Fußboden endlich ein von Allen ersehntes Lager zur behaglichen Ruhe. So können sie sich nach Belieben bewegen; sie können laufen, fliegen, sich reinigen, miteinander kämpfen und endlich sich gemüthlich hinstrecken, um sich im Strahle der Sonne zu wärmen. Ihr Leben fließt deshalb verhältnißmäßig sehr angenehm dahin, und es will fast scheinen, als hätten sie alle Sehnsucht nach der goldenen Freiheit verloren.

Die Geräumigkeit eines solchen Gebauers bietet aber noch andere Vortheile. Sie ermöglicht, verschiedene Raubvogelarten zusammenzuhalten. Es will mir scheinen, als wage man in den meisten Thiergärten nicht, dies zu thun; ich bin aber von allem Anfang an meinen eigenen Grundsätzen gefolgt, weil ich mich immer bemüht habe, das Freileben der Thiere als für das Gefangenleben maßgebend zu betrachten. So sind denn vom Anfang an sehr verschiedene Raubvogelarten in dem großen Käfig zusammengesperrt worden, selbstverständlich aber mit sorgfältigster Berücksichtigung der Eigenthümlichkeiten dieser Arten. Meine früheren Beobachtungen der freilebenden Thiere haben mich die Gesellschaft kennen gelehrt, welche zusammen paßt, d. h. einfach die, welche sich verträgt oder wenigstens erfolglos befehdet. Daß diese Gesellschaft eine sehr gewählte sein muß, wird Jeder glauben, der Raubvogel kennen lernte, und weiß, daß diese mit einem nicht zu ihnen gehörigen Thiere nicht viele Umstände zu machen, sondern es ohne Gewissensbisse zu überfallen und aufzufressen pflegen. Das Letztere haben auch unsere Raubvögel gethan, als ich, natürlich mit werthlosen Thieren, weitere Versuche machen wollte, für deren Gelingen mir die im Freien gesammelten Beobachtungen fehlten, während sich dagegen herausstellte, daß alle diejenigen, welche in der Wüste z. B. an einem Geiermahle theilnahmen, auch im Käfig zusammengehalten werden dürfen.

Gegenwärtig beherbergt der Mittelraum des Raubvogelgebauers einige zwanzig Vögel, welche sieben verschiedenen Arten angehören und sich als ebenbürtig betrachten. Daß damit keineswegs gesagt sein soll, diese Ebenbürtigen lebten fortwährend im tiefsten Frieden zusammen, beweist unsere Abbildung schlagender, als ich dies mit Worten ausführen könnte. Ohne Kampf und Streit geht es nun einmal im Räuberleben nicht ab, ja, Kampf und Streit ist gewissermaßen die Würze desselben.

Die beiden edeln Recken, welche sich soeben auf unserm Bilde zu einem Zweikampfe anschicken, gehören zwei verschiedenen Familien an: der schwebende ist ein Adler und zwar der Seeadler, der stehende ein Geier und zwar der größte altweltliche, der Ohrengeier. Zwischen ihnen streckt der schöne Sperbergeier, welchen ich wissenschaftlich zu Ehren Rüppel’s benamst habe, ein Afrikaner, seinen Hals vor, rechts davon beschäftigt sich ein gewöhnlicher Gänsegeier eifrig mit den glücklich eroberten Knochen, während ein Mönchsgeier, unbekümmert um den losbrechenden Kampf, die günstige Gelegenheit wahrnimmt, den Zankapfel der beiden Streitenden für sich auszunutzen. Die Stein- und Goldadler, welche denselben Raum bewohnen, sind auf diesem Bilde nicht sichtbar.

Mit Ausnahme des Sperber- und des Ohrengeiers sind die hier gezeichneten Raubvögel wahrscheinlich alle Bekannte meiner Leser. Der eine oder der andere wird von den reisenden Thierkundigen von Messe zu Messe, von Jahrmarkt zu Jahrmarkt geschleppt und hier dem lernbegierigen Beschauer gebührend vorgestellt. Da ist zunächst der Mönchsgeier, ein Bewohner Südeuropa’s, von dunkelbrauner Farbe, mit ziemlich befiedertem Kopfe, ein gutmüthiges, fast harmloses Geschöpf, welches sich ausschließlich von Aas nährt: ihm liegt es ob, als „Vogel Greif“ sein Publicum zu fesseln. Der Gänsegeier, ein etwas bissigerer, aber im Ganzen auch sehr unschuldiger Geselle, an seinem nackten Hals und der bräunlichen Färbung kenntlich, ist der verrufene „Lämmergeier“ der Thierschausteller, derselbe, welchem auf den mehr oder minder gelungenen, immer aber romantischen Menageriebildern die schwere Aufgabe zufällt, Ziegen, Schafe, Rinder und andere gewichtige Beutestücke durch die Lüfte zu tragen, mit furchtbar bewaffneten Jägern ingrimmig zu kämpfen und andere Schandthaten auszuüben, von denen sein Herz sich Nichts träumen läßt. Der Seeadler endlich, ebenfalls ein gewöhnliches Schaustück der Herren wandernden Naturforscher, weil er, als der häufigste deutsche Adler, für wenig Geld erworben werden kann, ist der in Wahrheit zu fürchtende Adler, welcher unter Umständen an einem kleinen Kinde oder einer kleinen Ziege sich vergreifen kann. Ohren- und Sperbergeier bekommt man in den Schaubuden nicht zu sehen: sie sind zu selten und zu theuer. Hinsichtlich des Letzteren ist dies nicht zu bedauern, weil er nur den Kundigen besonders anzieht, der Ohrengeier dagegen verdient wohl von jenen phantasiereichen Thierbeschreibern verherrlicht zu werden. Er ist mindestens so groß, wie der Kondor, von der Schnabel- bis zur Schwanzspitze fast 4 Fuß lang und von einer ausgebreiteten Schwinge zur andern 101/2 Fuß breit (wonach, beiläufig bemerkt, die Angaben über Länge und Breite eines Kondors zu berichtigen sind), besitzt einen gewaltigen Kopf und einen wahrhaft furchtbaren Schnabel, welcher im Stande ist, mit einem Bisse die stärkste Lederhaut eines Thieres zu zerreißen, hat eine ganz bedeutende Kraft und erhebt sich fliegend in ungeheure Höhen, bietet also Stoff genug zu ausführlicher Schilderung. Zählen wir den genannten nun noch Gold- und Steinadler, die edelsten Gestalten ihrer Familie, zu, so ersehen wir, daß wir es wirklich mit einer sehr theilnahmswerthen Gesellschaft zu thun haben.

Die meisten Besucher unseres Thiergartens werden von den Raubvogeln nicht in dem Grade gefesselt, als man erwarten sollte. Es ist dies einfach auf Mangel an Kenntniß des Lebens und Treibens dieser Thiere zurückzuführen. Auch in dem großen Raume bleibt der gefangene Geier oder Adler immer ein Gefangener, welcher nicht im Stande ist, sich in seiner vollen Schönheit zu zeigen. Den größten Theil des Tages über sitzt er still und ruhig mit lässig getragenem Gefieder auf dem einmal gewählten Platze so hoch als möglich, dem Wind und Wetter oft rücksichtslos, d. h. ganz ohne Noth, preisgegeben. Im Freileben widmet er seinem Flugspiele einen großen Theil des Tages. Er kreist oft zwecklos umher, beschreibt wundervolle Schraubenlinien, erhebt sich zu Höhen, daß er dem menschlichen Auge verschwindet, schwebt langsam wieder herab und zieht hin und her, so recht im Vollgefühl seiner gestählten Kraft. Ermüdet von diesen Spazierflügen sucht er sich eine Felszacke oder hohen Baum, läßt sich hier nieder und verfällt in einen träumerischen Halbschlummer, wobei er gelegentlich, gleichsam unbewußt, in seinem Federwamse nestelt. Unter günstigen Verhältnissen beansprucht seine Nahrung nur einen kleinen Theil des Tages. Dem scharfen Auge entgeht eine sich bietende Beute nicht, und wenn diese hinreichend groß ist, genügt sie nicht blos für einen, sondern oft für mehrere Tage. Da bleibt also viel Zeit zum Spielen und viel Zeit zur Ruhe übrig, und zwischen diesem Beiden wechselt der Tageslauf. Anders gestaltet sich das Leben des Raubvogels während der Brutzeit. Die Ernährung der wenigen Jungen verursacht viel bedeutendere Anstrengungen und gewährt wenig Zeit zu den Spielen, obwohl gerade diese während der Fortpflanzungszeit am lebhaftesten betrieben werden; denn vor der Paarung kreisen die beiden Gatten viel länger als sonst in der Nähe des gewählten Nistplatzes umher, und während das Weibchen brütet, unterhält es das Männchen, welches für Jenes Ernährung zu sorgen hat, in der ihm bleibenden freien Zeit durch prächtige Flugspiele. Dann beginnt die Lehre und der Unterricht der Jungen, und auch dies verlangt eine angestrengte Thätigkeit der Alten. Der gleichmäßige Tageslauf fängt also erst nach der Brutzeit an. In heißen Gegenden oder im Sommer wird sonst noch ein Theil des Tages der gründlichen Reinigung des Gefieders, d. h. dem Baden, gewidmet und hierauf ein halbes Stündchen in träger Ruhe verbracht.

Ein solches Freileben vermag der gefangene Raubvogel natürlich nicht zu führen, und eben deshalb erscheint er langweiliger, als er in Wahrheit ist. Der regelmäßige Beobachter aber überzeugt sich bald, daß das stolze Thier auch in der Gefangenschaft der Beachtung würdig ist. Die scheinbare Ruhe der ganzen Gesellschaft eines derartigen Gebauers, wie wir es vor uns sehen, wird augenblicklich unterbrochen, wenn sich Gelegenheit zum Handeln bietet. Namentlich in den Frühstunden um die Futterzeit geht es oft sehr lebhaft in unserem Gehege her, noch viel lebhafter, als man nach [167] unserer Zeichnung annehmen mag. Das für die gesammte Bewohnerschaft bestimmte Futter wird nicht jedem Einzelnen besonders zugetheilt, sondern einfach in den Raum geworfen, und jedem Hungrigen bleibt es überlassen, sich selbst seinen Theil zu erbeuten.

Sofort nach Ablegung des Fleisches stürzen sie sich, groß und klein, von der Höhe herab, und um die Nahrung bildet sich ein wirrer Haufen von Streitlustigen, in welchem jeder Einzelne der Gesammtheit feindlich gegenübersteht und diese ihm. Es wird mit allen Waffen gekämpft und zu jedem Mittel gegriffen, um sich des besten Bissens zu bemächtigen; nicht blos durch die rohe Gewalt, sondern auch durch abgefeimte List sucht der Einzelne seinen Zweck zu erreichen, doch geht es auch hier wie überall: der Mächtigste und Gewandteste hat das größte Recht. Man würde irren, wenn man glauben wollte, daß der Stärkste derjenige wäre, welcher die Andern beherrscht und übervortheilt. In unserm Raubvogelgebauer kommt regelmäßig der Sperbergeier am besten weg, Dank seinem Muthe oder richtiger seiner listigen Bosheit. Wenn Alles von oben sich herabstürzt, ist er bereits unten angelangt und erwartet die Kommenden. Das Gefieder gesträubt, den langen Hals eingezogen, sitzt er mit funkelndem Auge vor dem Fleische, ohne es anzurühren, aber augenscheinlich bedacht, es gegen jeden Andern zu vertheidigen. Der zusammengekröpfte Hals schnellt wie ein Blitz vor, nach allen Seiten hin, und jeder seiner Genossen fürchtet sich, einen der Bisse zu erhalten. In solchen Augenblicken hat das Verfahren des Sperbergeiers täuschende Ähnlichkeit mit der Art und Weise, wie eine Giftschlange sich zum Bisse anschickt, und diese Aehnlichkeit wird um so größer, weil der Vogel dabei fortwährend ein heiseres, ich möchte sagen, giftiges Zischen vernehmen läßt. Es ist eine alte Erfahrung von mir, daß die langhälsigen Geier viel boshafter sind, als die kurzhälsigen, welche durch eine gewisse Gutmüthigkeit sich auszeichnen; erst hier aber habe ich erfahren, daß von allen Langhälsen der Sperbergeier der kühnste, rauflustigste und deshalb der gefährlichste ist. Der unsrige hält nicht blos die Ohren- oder Mönchsgeier und die Seeadler im Zaum, sondern auch die ihm so nahe verwandten Gänsegeier, welche oft gemeinsam sich anschicken, ihm eine gefaßte Beute zu entreißen.

Die Unverschämtheit dieses Vogels, welcher es regelmäßig dahin bringt, seine Genossen so lange vom Fressen abzuhalten, bis er sich selbst gesättigt hat, entrüstet die Andern in hohem Grade; weil aber Keiner wagt, sich an ihm zu vergreifen, macht sich diese Entrüstung immer in einem Kampf zwischen den Uebrigen Luft. Der Seeadler, welcher eben einen wohlgezielten Biß von dem Sperbergeier empfangen hatte, wendet sich zornig gegen den vollkommen unschuldigen Ohrengeier, welcher seinerseits natürlich sofort den Kampf aufnimmt und sich nun mit Jenem herumzaust. Der Anstifter nimmt eine solche Gelegenheit schleunigst wahr und würgt die besten Bissen hinab, ohne jedoch seine drohende Miene auch nur einen Augenblick aufzugeben. Erst wenn er sich gesättigt hat, erlaubt er auch Andern, diesen oder jenen Brocken wegzunehmen, und außerdem gelingt es namentlich den Adlern oft durch kunstgerechtes Niederstoßen ein Stück Fleisch zu erbeuten und auf die Seite zu schaffen. Dann fallen freilich regelmäßig die Gänsegeier über den Glücklichen her und nehmen ihm das sauer Erworbene wieder ab.

Es ist überaus anziehend, das Gesammtspiel dieser Vögel zu beobachten. Jeder Einzelne bekundet die größte Aufmerksamkeit, Jeder ist eifrig bedacht, den günstigen Augenblick zu benutzen, und jeder Einzelne kämpft nur mit sichtlichem Widerstreben gegen den, welcher ihn durch rohe Gewalt in seinem Vorhaben zu stören sucht; aber jeder Einzelne muß kämpfen, denn so lange noch ein Bissen erobert werden kann, ist die ganze Gesellschaft fortwährend in Bewegung. Die Hauptmenge ist unten auf dem Boden im Kampfgewühl, die Listigsten aber stoßen nur bei gelegener Zeit von der Höhe zur Tiefe hernieder und steigen so schnell als möglich wieder nach oben empor. Dazwischen hört man lebhaftes Zischen, kicherndes und gackerndes Schreien, das Fuchteln der Flügel und das Schnappen der Schnäbel. Manchmal wird Einer ohne seinen Willen mitten in das Kampfgewühl gezogen, die ganze Rotte fliegt, flattert und wälzt sich über ihn her, und er hat große Noth, wieder davon zu kommen, falls ihn der Vorfall nicht so entrüstet, daß er ebenfalls zum thätigen Streiter wird. Allein eine gewisse Ruhe tritt schließlich dennoch ein. Gerade durch den heftigen Streit ist die Nahrung auseinander gezerrt und auf verschiedene Stellen des Käfigs vertheilt worden; der eine und der andere Adler hat sich ein schönes Stückchen erobert und verzehrt es oben auf dem Felsen oder sichern Baum; ein Geier hat einen hübschen Knochen erwischt, an dem noch etwas abzunagen, und schleppt diesen vergnügt einem Winkel zu, weil er dort meint, ihn am besten decken zu können; Einer und der Andre ist auch satt geworden und dann gewissermaßen froh, dem Gewühl zu entgehen; kurz, schließlich sieht man nur noch Diejenigen, welche in der Hitze des Gefechts am wenigsten glücklich waren, einzelne Knochen benagen. In einer guten halben Stunde ist das Mahl gewöhnlich beendet und außer einigen abgebissenen Federn und den sorgfältig entfleischten Knochen keine Spur des Streites mehr zu entdecken.

Bald nach dem Fraße gruppirt sich die edle Gesellschaft in den prächtigsten Stellungen auf den Felsen und Bäumen. Jeder Einzelne hat das Gefieder wieder in Ordnung zu bringen, zu putzen und zu glätten. Ein freundlicher Sonnenblick wird von Allen gewissermaßen mit Jubel begrüßt und sofort möglichst benutzt; zumal die Geier erfreuen sich der Wärme, breiten so recht behaglich ihre Flügel aus, um sie ganz zu genießen, und verweilen halbe Stunden in dieser Lage. Einige Zeit später geht es zum Baden. Das große, aber seichte Wasserbecken, welches tagtäglich mehrmals mit reinem Wasser gefüllt wird, ist jetzt der gesuchteste Ort im ganzen Gehege. Alle Raubvögel ohne Ausnahme sind sehr reinliche Thiere und dulden keinen Schmutz an ihrem Gefieder, so lange es in ihrer Macht steht, diesen zu beseitigen. Sie legen sich so tief in das Becken, daß das Wasser ihren ganzen Körper umspült, und wälzen und bewegen sich lebhaft umher, bis sie von Nässe triefen. Dann beginnt eine neue Ordnung des Gefieders und hierauf bei Sonnenschein ein Mittagsschläfchen, wobei sie sich sehr oft wie unsere Hühner platt auf den Bauch legen und die Beschauer verleiten, sie als todt oder wenigstens sehr krank und sterbend zu bedauern. Gegen Abend sucht sich dann Jeder seine gewohnte Schlafstelle in der Höhe auf.

So kluge Thiere, wie die Raubvögel es sind, lernen ihren Wärter und Pfleger sehr bald kennen. Alle Geier achten den Menschen, welcher sie füttert, und wagen es nicht, ihn anzugreifen, so muthig sie sonst den sich ihnen Nähernden auch entgegentreten; doch geben sie kein Zeichen von Vergnügen kund, wenn ihr Wärter sich naht. Dies thun nur die Adler und unter ihnen wieder vorzugsweise die Seeadler. Ihr prächtiges Auge unterscheidet den Wärter auf große Entfernungen, und sie verfehlen niemals, ihn mit lautem hellem Schreien zu begrüßen, wenn er von fern sich zeigt. Die gleiche Ehre wird mir zu Theil, sobald ich mich dem Gebauer nähere, und wenn erst Einer begonnen hat, fällt dann regelmäßig die ganze Gesellschaft jubelnd ein. Nach und nach hat sich zwischen den Wärtern und ihren Gefangenen ein wahres Freundschaftsverhältniß ausgebildet.

Aber noch mehr. Ich habe nicht ohne Grund gesagt, daß unsere Gefangene ihren Käfig wirklich liebgewonnen haben, sondern kann dies auch beweisen. Eines Morgens flog einer der Seeadler so heftig gegen die biegsamen Eisenstangen des Gebauers, daß diese aus den Nuten sprangen und dem Vogel Durchlaß gewährten. Er schien sehr beglückt zu sein über die erlangte Freiheit und machte denn auch von ihr sofort in wirksamster Weise Gebrauch. Mit fröhlichem Geschrei erhob er sich hoch in die Lust und strich nun über den Garten dahin, zu großer Freude der gerade dort sich befindenden Besucher. Am obern Teich ließ er sich auf Augenblicke nieder, und wir schmeichelten uns schon mit der Hoffnung, daß er vergessen haben könnte, wie leicht es ihm sei, uns zu entrinnen. Er ließ sich jedoch nicht fangen, sondern erhob sich von Neuem und entschwebte bald unsern Blicken. Wir gaben ihn natürlich verloren. Aber siehe da – nach Verlauf weniger Tage war er plötzlich zurückgekehrt, wurde jubelnd begrüßt von den aufmerksamen Cameraden unten im Käfig, antwortete nicht minder erfreut und ließ sich oben auf der Decke des Gebauers nieder. Selbstverständlich wurde sofort berathschlagt, in welcher Weise der Flüchtling wieder erlangt werden könne, und der Beschluß gefaßt, ihm oben auf dem Gebauer ein Tellereisen zu stellen. Am ersten Tage war dies vergeblich; denn der Vogel entfloh bei Annäherung des mit dem Fallenstellen beauftragten Mannes, ließ sich aber auf einem der nächsten Bäume nieder und blieb hier sitzen, bis er von Vorübergehenden entdeckt und durch Steinwürfe zum Auffliegen genöthigt wurde. Nunmehr wandte er sich einer der nächsten Straßen zu und ließ sich hier auf der First eines Daches nieder, bis er, auch von dort vertrieben, wiederum die Weite suchen mußte. Am [168] folgenden Tage war er schon bei guter Zeit wieder im Garten und nahm wie vorher oben auf dem Raubvogelgebauer Platz, aber auch an diesem Tage entging er allen Nachstellungen. Der dritte Tag erst brachte ihn in unsere Gewalt. Die rauhe Fremde draußen mochte ihn unwürdig empfangen und ihm das Wichtigste, die Nahrung, versagt haben. Durch seinen langen Aufenthalt im Käfig verwöhnt oder vielleicht nicht einmal von seinen Eltern gehörig unterrichtet, verstand es der Arme nicht, nach Art anderer Räuber das tägliche Brod sich zu erbeuten. Er dachte sicherlich mit Sehnsucht an die Fleischtöpfe Aegyptens, als er das erste Mal sich anschickte, zu seinem alten Wohnsitze zurückzukehren. Der Hunger war es auch, welcher den Verlust seiner Freiheit herbeiführte. Lange Zeit und sehnsüchtig hatte er durch die Gitter nach den Fleischstückchen und bereits abgenagten Knochen gespäht, da kam ihm die leckere Lockspeise zu Gesicht, unbedacht versuchte er sich derselben zu bemächtigen und war im nächsten Augenblick mit einer unbehaglichen Halskrause geziert. Der achtsame Wärter befreite ihn so rasch wie möglich aus der Falle und brachte ihn wieder nach dem Gesellschaftskäfig, in welchem er heute noch lebt, scheinbar sehr zufrieden mit sich und der Welt.

Auf die anderen Bewohner des Käfigs hatte der Vorfall offenbar einen großen Eindruck gemacht. Sie alle waren mit Theilnahme dem frei in den Lüften umherfliegenden Cameraden gefolgt; sie hatten ihn jubelnd begrüßt, als er sich wieder zeigte, und wahrscheinlich eingeladen, zu ihnen herabzukommen. Als er oben auf der Höhe des Käfigs saß, waren Aller Augen nach ihm gerichtet, und jede seiner Bewegungen wurde theilnehmend verfolgt. So wurde denn auch das Gelingen der tückischen Menschenlist von sämmtlichen Raubvögeln wahrgenommen. Sie hatten gesehen, daß das Aufnehmen des Fleisches unter Umständen gefährlich werden konnte, und dies war ihnen genug. Mißtrauisch schauten sie das ihnen bald darauf vorgeworfene Futter an, und Keiner wollte, nachdem, was er soeben erfahren, seinen Hals wagen. Sie sahen mit lüsternen Blicken hernieder, blieben aber hartnäckig in der Höhe des Gebauers. Endlich konnte einer der Geier seine Begierden nicht länger zähmen, er flog herab, nahte sich vorsichtig dem Fleischhaufen, betrachtete ihn aufmerksam prüfend von allen Seiten, versuchte schüchtern ein Bröckchen zu nehmen, erfuhr, daß dies mit durchaus keiner Gefahr verknüpft war, und begann dann auch sofort eifrig zu fressen. Solch Beispiel verfehlte seine Wirkung nicht: wenige Minuten später hatte sich um das Fleisch das gewöhnliche Gewühl und Gewimmel gebildet.