Eines Bühnenhelden Glück und Ende

Textdaten
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Autor: Franz Wallner
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Titel: Eines Bühnenhelden Glück und Ende
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 168–170
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Nachruf auf Wilhelm Kunst
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Eines Bühnenhelden Glück und Ende.

Von Franz Wallner.

Im Frühling 1833 war’s, als alle Knospen sprangen und die Sehnsucht alles Lebende in’s Freie trieb. Wilhelm Kunst, der beliebteste Schauspieler Wiens, hatte mit der Aufführung des gerne gesehenen Stückes: „Das Irrenhaus zu Dijon“ ein brillantes Benefiz gemacht, und Director Carl, in dankbarer Anerkennung der Summen, die ihm das Talent des Künstlers eingebracht, hatte außer dem klingenden Ertrage dieser Einnahme noch einem Lieblingswunsche Kunst’s in großmüthigster Weise Rechnung getragen und diesem ein prachtvolles Reitpferd zum Geschenk gemacht. Zum Danke für diese bei Carl sehr seltne Generosität benutzte Kunst das Thier zu einem Probe- und Spazierritt von Wien nach – Hamburg, und „Roß und Reiter sah Carl niemals wieder.“

Die ganze künstlerische Laufbahn Kunst’s bestand in einem fortwährenden Abschiednehmen „sans adieu“, mit mehr oder weniger Eclat, bis sich am Ende die verschiedenen Bühnenleiter um sein Kommen so wenig kümmerten, als um sein Gehen; und der Mann, welcher während seines bewegten Lebenslaufes Summen verdient hatte, ausreichend zur sorgenfreien Existenz von zehn Familien, starb in der Nacht zum 17. November 1859 in einem verfallenen, unscheinbaren Hause in der Josephstadt, in einer winzigen Kammer; er, dem keine Wohnung reich und kostbar genug möblirt gewesen, fand seine letzte Ruhestätte in einem einfachen Armensarg, zu welchem die vier Wachskerzen, die denselben umstanden, von der Milde der Collegen bezahlt werden mußten, welche auch die letzten Lebenstage des Heimgegangenen vor dem bittersten Mangel geschützt und das Grab des „alten Cameraden“ mit einem Denkstein schmückte! –

Welch’ ein gewaltiger Contrast taucht in meiner Erinnerung an einen Abend auf, den ich als junger Mann in den Prunkgemächern der Kunst’schen Wohnung verlebte! Alle seine Collegen hatte der Gefeierte zu einer Soiree zu sich gebeten; was der raffinirteste Luxus an Naturalverpflegung erfinden konnte, war aufgeboten, um die Gaumen der Geladenen zu kitzeln, die Räume der Wohnung im Spielmann’schen Hause am Graben glänzten in einem Meere von Lichtern. Natürlich erhitzten sich auch die Köpfe der größtentheils aus jungen Leuten bestehenden Versammlung; immer toller, wüster und lärmender wurde das Gelage; einer der Anwesenden setzte sich an das Clavier, welches an der Thüre der an Kunst’s Wohnung stoßenden Zimmer aufgestellt war, die an seinen Nachbar, einen Graf M. von der spanischen Gesandtschaft, vermiethet waren. Wie ein Rasender ließ der tolle Gast seine Finger über die lärmenden Tasten fliegen, und entlockte diesen ein Charivari, welches nichts weniger als angenehm zu hören war, besonders um 2 Uhr Morgens und für einen jungen heißblütigen Spanier, der bei diesem nervenaufregenden Spectakel vergebens zu schlafen versuchte. Gewaltige Schläge an die benachbarte Thüre deuteten, auf allerdings sehr derbe Art das Verlangen nach Ruhe an, Schläge welche das übermüthige Künstlervolk seinerseits mit Wucher an derselben Thüre zurückgab.

Dieses Hin- und Hergeklopfe, von einer Seite immer unwilliger, auf der anderen immer toller und muthwilliger, hatte bereits eine Weile gedauert, als der anwesende, bereits sehr exaltirte Schauspieler Würth erklärte, er wolle diese „Ungezogenheit“ nicht länger dulden und den „Friedenstörer“ zur Rede stellen. Niemand achtete auf diese Renommage, als nach kurzer Panse Würth wieder mit dem Ausruf: „Ich bin getödtet!“ in’s Zimmer stürzte; aus der rechten Backe sprudelten zwei Blutströme fontainenartig heraus. Mit einem scharfen zweischneidigen Instrument war derselbe derartig verwundet worden, daß die Spitze sichtlich auf einer Seite der Backe hinein- und auf der anderen herausgestoßen worden sein mußte.

Man denke sich das Entsetzen der erst so tollfröhlichen Gesellschaft! Mit Mühe brachte man aus dem Verwundeten heraus, daß er sich in der Absicht, den Lärmer zur Rede zu stellen, in die Nebenwohnung verfügt habe, wo ein junger Mann ohne Weiteres auf ihn losgegangen sei und ihn mit einem Dolch in’s Gesicht gestoßen habe. Man denke sich die Verwirrung in den Kunst’schen Räumen! Während ein Theil der Anwesenden sich mit dem furchtbar blutenden Würth beschäftigte, riß Kunst, in sehr theatralischer Stellung, ein Schwert von der Wand und schrie fortwährend wuthentbrannt: „Laßt mich, laßt mich, ich muß den Hund tödten!“ Dies „laßt mich, laßt mich“ war eigentlich sehr überflüssig, denn es dachte eben so wenig irgend einer von uns daran, Kunst zu halten, als dieser Lust zu haben schien, wirklich sich in des gereizten Löwen Nähe zu begeben. Vor seiner Wohnung aber, unter der Eingangsthür am Flur lehnte in Nachtkleidern, die mit Blut überströmt waren, ein bleicher junger Mann, das bildschöne Gesicht, in dem unheimlich ein paar glühende Auge funkelten, umrahmt von einem tief-schwarzen Vollbart, die herabhängende Faust mit einem blitzenden Dolch bewaffnet. So bildete der spanische Gesandtschaftsattaché Graf W., in seiner lautlosen, entschlossenen Haltung, den schärfsten Contrast zu der andrängenden lärmenden Menge. Ich muß zu meinem Bedauern eingestehen, daß ich mehr Bewunderung für die classisch-schöne Erscheinung des wilden Fremdlings fühlte, als Mitleid mit meinem verwundeten Collegen, der noch immer winselnd unter den Händen des rasch herbeigeholten Wundarztes lag, welcher die Verletzung zwar für schmerzlich, aber nicht gefährlich erklärte.

Später ließ sich Würth für die Summe von ein paar tausend Thalern beruhigen und unterließ es, durch Vermittlung der Gesandtschaft eine Klage gegen den Graf M. anzustrengen. Die Narbe aber, die ihn an jene verhängnißvolle Nacht erinnerte, nahm Würth mit in’s Grab. Mit den ihm so unverhofft zugefallenen [169] Schmerzensgeldern übernahm er eine Theaterdirection in Krakau, die aber, als die Summe zugesetzt war, ein vorschnelles ruhmloses Ende erreichte. Nestroy behauptete, der Stich wäre ein so unverhofftes Glück für Würth gewesen, daß er jetzt im Lande herumreisen werde, um sich stechen zu lassen!

Ich habe diese Episode geschildert als charakteristische Bezeichnung für die Lebensweise Kunst’s, so lange er im Zenith seines Ruhmes stand. Kein deutscher Schauspieler war je von Natur und Glück so mit vollen Händen überschüttet worden, als er, und keiner hat je weniger für seine Ausbildung gethan, an seine Zukunft gedacht, und an’s Ende, als er, der die großen Summen, die er erwarb, leichtsinnig und nutzlos für sich und Andere vergeudete, bis die reiche Quelle versiechte und der Verschmachtende vor ihr erlag.

Als der Sohn eines armen Schuhflickers wurde Wilhelm Kunst 1799 in Hamburg geboren, wo er, nachdem er sich oft auf Liebhaberbühnen ohne sonderlichen Erfolg versucht hatte, seiner schönen Gestalt wegen am Stadttheater als Statist verwendet wurde. Nebenbei suchte er durch Bedienung der ersten Künstler des in jener Zeit in hohem Ansehen stehenden Institutes sich kärglich durchzubringen. Später nahm sich der damals berühmte und berüchtigte Komiker Wurm seiner an und unterrichtete ihn in den Anfängen seiner Kunst und in – manchem Anderen.

Im Jahre 1823 finden wir ihn bereits als vielbeliebten und gefeierten Schauspieler in Köln; ein Jahr später war er dort schon wieder, nach seiner Manier, sans adieu abgefahren und ging zum Director Carl nach München, 1825 aber mit diesem in dessen neue Entreprise nach Wien.

Wilhelm Kunst als Karl Moor.

Dort machte er durch seine glänzenden Mittel und seine wilde Genialität fast beispielloses Aufsehen, hauptsächlich in Rollen, die kein tieferes Nachdenken forderten, wie z. B. als Otto von Wittelsbach, als Wahnsinniger im Irrenhaus zu Dijon, und ganz besonders als Karl Moor.[1] So mochte sich Schiller in seinen kühnsten Träumen den löwenkräftigen Räuber gedacht haben, der mit dem sonoren, mächtigen, glockenähnlichen Organ und der prachtvollen Gestalt seine wilde Bande im Zügel hielt und alle Gesetze unter die Füße trat. Noch denke ich mit Bewunderung dieser kolossalen Leistung, neben welcher eben nur eine so geniale, fein berechnende Künstlernatur wie Carl La Roche als Franz Moor ebenbürtig bestehen konnte. Es war dies eine Zusammenleistung, wie sie gewiß nie wieder auf einer deutschen Bühne vorkommen wird. Wie dankbar aber für Kunst alle Aufgaben erschienen, wo seine volle Naturkraft in hinreißender Wildheit wirken konnte, so wenig vermochte er tiefere Gestalten, wie z. B. Wallenstein, Goethe’s Faust etc. wiederzugeben. Sein „Hamlet“ in der Schröder’schen Verballhornung war eine seiner Meisterleistungen, während der Shakespeare-Schlegel-Tieck’sche ihm total mißlang.

Obwohl ein Hauptmagnet des Carl’schen Unternehmens, von seinem Director reich bezahlt und auf den Händen getragen, gelangte er mit seiner genialen Rastlosigkeit doch zu keinem festen Domicile. So oft wechselte er ohne irgend eine Berechtigung, contractbrüchig und schuldenbelastet, seine Engagements, so oft versetzte er Carl in peinliche Verlegenheit und großen pecuniären Nachtheil, daß dieser ihn endlich steckbrieflich verfolgen ließ und in einem Circular an alle Theaterdirectoren (1832) die Bühne für ehrlos erklärte, welche Kunst Asyl oder Gastfreundschaft gewähren würde.

Nun begann er ein Wanderleben der eigenthümlichsten Art. Bald nach Art eines kleinen Fürsten in eigener Prachtcarosse, bald in einem schäbigen Hauderer, bald von einem Secretair und von zahlreicher Dienerschaft und manchem anderen Anhange begleitet, bald von aller Welt verlassen, durchreiste er die Länder, so weit die deutsche Zunge reicht. Keine Residenz und kein Städtchen, kein großes Hoftheater und kein Winkelbühnchen gab es, wohin nicht Kunst seinen Stab gerichtet hätte. Anfangs überall mit offenen Armen aufgenommen und der strotzendsten Cassenresultate theilhaftig, sah sich gegen den Schluß seiner Laufbahn der zudringlich immer Wiederkehrende, den seine Mittel verlassen, dessen Stern erblichen war, die kleinsten Wanderbühnen verschlossen.

Ein Wiener Blatt brachte nach seinem Tode Auszüge aus einem Tagebuche, einem trockenen Verzeichniß von Städten und Einnahmen, von Kunst’s eigener Hand, seit dem Jahre 1845, als sein Ruhm bereits sehr im Abnehmen war, Tag für Tag nachgetragen. Dann und wann sind diese Zahlenreihen unterbrochen von einem Worte „stürmisch hervorbrechender Empfindung“, welche sich unter diesen Ziffern ergreifender ausnimmt, als bogenlange Erörterungen.

Noch im Jahre 1845 finden wir unter der Rubrik: „Petersburger Gastspiel: 25. Mai. Räuber. 1882 Rubel. NB. Die Kaiserin zugegen“, und hierauf eine lange Reihe von Einnahmen von 1070 bis 900 Rubel.

Dann verschwinden zwar die höchst respectablen kaiserlich russischen Rubel, aber die Tagesrechnungen halten sich auf einer achtungswerthen mittleren Höhe von 176, 150, 100 Thalern etc. Selbst das verhängnißvolle Jahr 1848, welches Kunst wie in unbestimmter Vorahnung mit einem „Mit Gott“ anfängt, zeigt kein besonderes Eingreifen der damaligen gewaltigen Ereignisse in die Bühnenwirksamkeit Kunst’s. Von da ab aber tritt die düstere Wendung seines Schicksals mit immer grelleren Ziffern hervor.

Da finden wir in dem Verzeichniß die Tageseinnahmen mit fünf, ja zwei, selbst einem Gulden verzeichnet; da kommen an die Stellen des Erträgnisses Nullen und Ausrufungszeichen, wir stoßen auf Gastspielorte, welche zu den dunkelsten Stellen der Bühnengeographie zählen, wir verfolgen unwillkürliche Ausbrüche überströmender Empfindungen, z. B. 1850: „Ende des unglücklichen Jahres. Schaffhausen ist die schändlichste Stadt, die es auf der Welt giebt! Sie sei verflucht!“ Die Jahreseinnahmen fallen vom Jahre 1845 bis zum August 1859 von 4805 Thalern auf 473 Gulden. Hier bricht das Verzeichniß ab, es gab eben nichts mehr zu verzeichnen!

Im Jahre 1857 wendete er sich in einem herzbrechenden Briefe an mich, worin er mich bat, ihm einige Gastrollen zu bewilligen. Es sei eine Lebensfrage für ihn, wieder einmal an einem guten Theater zum Auftreten zu gelangen, und ich würde mich überzeugen, daß er noch „der Alte“ sei. Ach, er war nicht mehr der Alte in dem Sinne, wie er es meinte, sondern es war in der [170] eigentlichsten Bezeichnung des Wortes der „alte Kunst“, der zu mir eintrat. Abends in seiner Rolle Percival in Grifeldis fiel er total durch, und das Publicum verhöhnte den kokett geschminkten und gleich einem Seiltänzer herausgeputzten verfallenen Komödianten, der nicht eine Spur der einstmaligen Herrlichkeit, ja nicht einmal den Wortlaut seiner oft gespielten Rolle behalten hatte. Das Herz wendete sich mir im Leibe um, als ich, im Zuschauerraume anwesend, das harte Urtheil der jüngeren und rücksichtslosen Theatergänger anhören und dasselbe gerecht finden mußte. Auf die Vorwürfe, warum ich Kunst überhaupt spielen ließe, hatte ich nur ausweichende Antworten. Ich konnte den Fragenden ja nicht auseinander setzen, daß ich den Mann gekannt habe in der Blüthe seines Ruhmes, in Glanz und Reichthum, mit Jubel empfangen und aufgenommen von den verwöhntesten Kennern der Residenz, ein hochwillkommener Gast für den stolzesten Intendanten der stolzesten Hofbühne.

Nach der Vorstellung begab ich mich zagend in die Garderobe meines Gastes und fand denselben am Tische sitzend; einzelne bittere Thränen rollten ihm über die geschminkten Wangen herab. „Warum hat mich mein Vater keinen Bauer werden lassen!“ rief er mir, die Hand reichend, schluchzend entgegen. Einer kleinen Gesellschaft, die ich ihm und der Vergangenheit zu Ehren einige Tage darauf zu mir gebeten hatte, war er die unerquicklichste Erscheinung, die man sich denken konnte: – er selbst im abgetragenen schwarzen, zu eng gewordenen Leibrock in die Sophaecke gedrückt; meine Gäste in Verlegenheit, welches Gesprächsthema sie mit der verfallenen Größe anschlagen sollten; ich wohl der Befangenste unter Allen.

Als der wohlwollende und gutmüthige Dr. M. Ring, der die Leistungen Kunst’s in schonendster Weise besprochen hatte, aber aus Schwarz eben nicht Weiß machen konnte, in’s Zimmer trat, wollte er diesen durchaus zur Rede stellen, ja ich mußte Alles aufbieten, um eine für alle Theile ärgerliche Scene zu vermeiden.

Noch zwei Mal unternahm ich das Wagniß, den Gast dem Berliner Publicum vorzuführen, und dann beschloß ich, mich für die noch zu gebenden Rollen mit Auszahlung des Honorars abzufinden. Es war überflüssige Angst von mir, daß er mir dies übel deuten könne; die Hast, mit welcher er das versiegelte Paquet entgegennahm, die Bereitwilligkeit, mit welcher er um diesen Preis auf jedes fernere Auftreten verzichtete, bewiesen mir nur zu deutlich, daß der Mann bereits gewohnt war, Almosen und Unterstützungen als etwas Selbstverständliches hinzunehmen. Er reiste „sans adieu“ ab; ich habe ihn nie wieder gesehen!

Eine Zeit lang zog Kunst mit einem bildschönen Knaben herum, den er Sohn nannte und welcher später in Braunschweig, dann in Amerika als mittelmäßiger Schauspieler auftauchte. Die Mutter dieses Knaben blieb auch für die näheren Freunde Kunst’s ein Geheimniß, da man – mit Ausnahme seiner nach wenig Tagen wieder getrennten Ehe mit der gefeierten Sophie Schröder – nie von irgend einem Liebesverhältniß desselben erfahren hatte. Eine glückliche zufriedene Ehe, die Sorge für eine geliebte Familie hätte den Ruhelosen vielleicht in ein dauerndes Verhältniß festgebannt und zum Heile geführt; so aber wanderte er von Ort zu Ort, stets dieselben Rollen spielend, ohne Studium, ohne geistigen Fortschritt, bis ihm allmählich die glänzenden Naturmittel, auf welchen seine Erfolge basirten, versagten, seine Fehler immer greller an’s Licht traten, seine Vorzüge schwanden, sein Gedächtniß ihn verließ und er selbst vielleicht eines Morgens schaudernd die Entdeckung machte, daß seine Laufbahn zu Ende sei, die Rosen verblüht und sein künftiger Lebensweg nur mühselig durch wirres Dornengestrüpp sich winden werde.

Vor dem Abschluß dieser Laufbahn, als er schon mit einem einspännigen kleinen Wägelchen die Städte der für das Theater so unergiebigen Schweiz bereiste, um überall, wo es thunlich, von den letzten Resten seines Ruhmes spärliche Nachlese zu halten, traf ihn in Bern das erschütternde Unglück, daß der Begleiter, den er bei sich hatte, unter den Hufen seines eigenen wildgewordenen Pferdes zertreten, ja in gräßlicher Weise zerstampft wurde, ehe ihm irgend Jemand zu Hülfe eilen konnte. Dieser schreckliche Todesfall machte einen entsetzlichen Eindruck auf den alternden Künstler und ihm einige Zeit die Ausübung seines Berufes unmöglich. Von hier ab verschwindet der dramatische Ahasver – ein dem bereits kränkelnden alten Mimen von Nestroy 1855 aus Mitleid bewilligtes erfolglos vorübergehendes Gastspiel in Wien ausgenommen – nach und nach gänzlich aus der Theaterwelt, bis er im Juni 1859 wieder in den elendesten Umständen, krank, geistig und körperlich gebrochen, ein Bild des Jammers, in Wien eintraf und seitdem von milden Gaben seiner Collegen lebte, die ihm reichlich genug zuflossen, um seine letzten Tage vor Mangel zu schützen.

Wir finden ihn am 17. November 1859 als „stillen Mann“ wieder in einem kleinen verfallenen Hause der Josephstadt, in einem kleinen schmucklosen Stübchen, zu welchem der Weg über einen verfallenen morschen Gang führt. An dem einfachen Sarge hielt der Superintendent Pauer eine ergreifende Rede. „Erschüttert und bewegt,“ begann er, „stehen wir am Sarge eines Mannes, der in seinem Leben selbst so viele Herzen erschüttert und bewegt hat.“ Im Verlauf der Gedächtnißfeier fuhr Pauer fort, das vielbewegte Leben des Verstorbenen zu schildern, „dessen Heimath überall gewesen, wo er gewirkt, der viel gefehlt und gesündigt hat, der aber auch immer der Erste war, der sich selbst anklagte; darum werfe Niemand einen Stein auf ihn!“

Nach der Rede sang das Chorpersonal des Josephstädter Theaters ein Trauerlied von Gläser, dann bewegte sich der Zug hinter dem einfachen Sarge dem Kirchhof zu. Es war eine trübe Leichenfeier. Ein kalter schneidender Wind durchkältete das kleine Häuflein getreuer Collegen, die dem Dahingeschiedenen die letzte Ehre erwiesen. Schnee und Nebel senkten sich auf das offene Grab, um welches der eisige Nordsturm die entlaubten Blätter gepeitscht hatte. Die düstern Accorde eines Trauergesanges von Suppé mischten sich als letzte Scheidegrüße mit dem unheimlichen Gepolter der Erdschollen auf das einsame Grab, welches die Nummer 39 trägt.

So endete der größte Naturalist, den die deutsche Schaubühne je aufzuweisen halte. Es ist ein charakteristisches Zeichen, daß es dem Verfasser dieser Zeilen erst nach den angestrengtesten Mühen und mit Hülfe aller seiner Verbindungen in der Theaterwelt gelungen ist, eines der zahlreichen Costümbilder aufzutreiben, welche Kunst’s Darstellungen illustrirt hatten. Fast alle Andenken an seine Leistungen sind verschollen und vergessen, wie das Original, das wir mit all’ seinen Fehlern und seinen großen Vorzügen zu zeichnen versucht haben, als warnendes Beispiel, daß die glänzendsten Gaben der Natur nicht dauernd zu wirken im Stande sind ohne Verein mit der bildenden und veredelnden Kunst! – Friede seiner Asche!


  1. Unter seiner winzigen Verlassenschaft fand man ein Exemplar von Schiller’s Räubern aus der Bibliothek des Dichters, welches ihm der Sohn Schiller’s, als er ihn in der Rolle des Carl Moor (1835) bewundert hatte, mit einem höchst schmeichelhaften Schreiben verehrte. In welche Hände mag dies merkwürdige Buch gekommen sein? – Ob Schiller aber sich seinen Karl Moor in dem überschwänglichen Costüme gedacht hat, wie ihn Kunst zu geben pflegte, steht freilich zu bezweifeln.