Im Congoland/Congofahrt im Gebirge bis nach Vivi
Nach drei- bis vierstündiger Fahrt von Ponta da Lenha läßt der Dampfer das flache Land hinter sich, und folgt nun dem Stromlauf im Gebirge. Die Uferhöhen rücken ziemlich jäh einander näher und beginnen die Gewässer einzuengen. Die erste Kette felsiger Hügel erstreckt sich quer zur Richtung des Flußbettes von Südosten nach Nordwesten. Am Südufer erhebt sich der unbedeutende, steil abfallende Fetischfelsen, ihm gegenüber, doch weiter oberhalb am Nordufer, der Blitzfelsen, an dessen grasigem Gipfel eine hohe natürliche Steinsäule aufragt. Zwischen diesen beiden Landmarken wälzen sich die hier ungetheilten Gewässer des vier Kilometer breiten Congo wie durch ein Thor hinaus in die Niederung. Während der Dampfer von dem Fetischfelsen allmählich nach dem Nordufer hinübersteuert, tauchen die weißgetünchten Gebäude von Boma auf. Dort liegen, bis auf eine gesichert gegen das bedeutendste Hochwasser des Congo, in langer Reihe mehrere holländische sowie portugiesische Factoreien und je ein englisches, französisches und belgisches Haus. Eine französische Mission ist ebenfalls auf einem sehr günstigen Platze angelegt worden.
Bis vor Kurzem war Boma der am weitesten vorgeschobene Handelsplatz am Nordufer des Congo, und darum besonders wichtig, weil dorthin, wie bereits zur Zeit des Sclavenhandels, die Karawanen aus dem nördlichen Berglande kommen, die jetzt freilich nicht mehr Menschen, sondern Landesproducte bringen. Die Ansiedelung liegt weit freundlicher und gesünder als alle Factoreien der Niederung. Unbedeutende grasige Hügel umgeben sie, vor ihr rauscht der breite Congo, der hier wiederum durch eine große in holländischen Besitz übergegangene Insel getheilt wird. Herr Greshoff, der Abtheilungschef, hat daselbst Plantagen angelegt und den arbeitsunfähig gewordenen eingeborenen Bediensteten des Hauses eine Heimstätte geschaffen, wo sie in behaglicher Ruhe ihr Leben beschließen können.
Die Hochlande des Congo sind vor allem ausgezeichnet durch ihre Waldarmuth. Die Höhen um Boma tragen diese ganz besonders zur Schau und müssen schon seit langer Zeit gleich verödet gewesen sein; denn die nur in waldlosen Gebieten gedeihenden Affenbrodbäume stehen daselbst in auffälliger Anzahl allenthalben locker verstreut und haben eine theilweise erstaunliche Entwickelung erreicht. Einer, der als der hervorragendste unter den Riesenbäumen Bomas genannt zu werden verdient, der außer vielen anderen Namen von Besuchern auch den des vielseitigsten praktischen Kenners von Afrika, Richard Burton 1863, eingeschnitten trägt, mißt in Manneshöhe über dem Boden zwölf bis vierzehn Meter im Umfang. Seine breit ausgelegte, schön geformte Krone ist [731] jüngst von dem Besitzer des Grundstückes, einem Portugiesen, leider der mächtigsten Aeste beraubt, und damit ist das stolze Wahrzeichen Bomas für immer verunstaltet worden. Auf der gegenüber liegenden holländischen Insel haben wir indessen im vergangenen Jahre einen Affenbrodbaum aufgefunden, welcher sogar zwanzig Meter im Umfange mißt und gleich herrlich wie der ersterwähnte gewachsen ist. Er steht jedoch abseits, von Gestrüpp umgeben und wird selten besucht werden.
Der Viehstand Bomas ist der reichste des Congogebietes. Nicht nur giebt es dort die untergeordneten Hausthiere in Menge und in schönen Arten, sondern man sieht im Schatten der Affenbrodbäume auch Rinderheerden – ein seltener Anblick, denn an der Küste sind, mit Ausnahme von Muanda und Landana, alle Versuche gescheitert, Rinder einzubürgern. Stromaufwärts finden sie sich nochmals in der holländischen Factorei zu Musuku am Südufer, und im verflossenen Jahre hat sie Herr O. Lindner auch nach Vivi eingeführt. In Boma und Musuku ist in Folge dessen auch der niedliche und originelle Kuhreiher in großer Zahl zu finden, der unbekümmert auf großem und kleinem Hausgethier herumsteigt und das Ungeziefer abliest. Da er sowohl wie die nützliche schwarzweiße Krähe an den genannten Orten von jeder Verfolgung ausgeschlossen ist, geberdet er sich ungemein zutraulich.
Herr Greshoff, wie Herr de Bloeme in Banana ein großer Thierfreund, ist unter Anderem auch der glückliche Besitzer einer Familie von reizenden Zwergantilopen, die vollkommen frei leben und mit Vorliebe die Wohnzimmer besuchen. Lara, die älteste und zahmste derselben, ein verzogener Liebling, maßt sich das Recht an, gegen fremde Eingeborene eine strenge Hauspolizei auszuüben.
Oberhalb Boma blieb der Schiffsverkehr bis in das letzte Jahrzehnt ein verhältnißmäßig beschränkter; man begnügte sich, die Verbindung mit etlichen am Südufer vorgeschobenen Factoreien mittelst großer Segelboote zu unterhalten. Die Holländer sandten indessen ihre Dampfer bald bis Musuku hinauf. In sehr früher Zeit waren verwegene Sclavenhändler mit ihren guten Schoonern bereits bis Noki und in die Nachbarschaft von Vivi gesegelt.
Als Tuckey 1816 seine so unglücklich verlaufende Expedition nach dem oberen Congo unternahm, wurde von Kennern des Stromes vorgeschlagen, mittelst kleiner starker Dampfer bis zu den Yelalafällen vorzudringen; Consul R. Burton, welcher die letzteren im Jahre 1863 besuchte, befürwortete denselben Plan. Herr Stanley führte ihn im Jahre 1879 aus, indem er mit seinen kleinen Dampfern bis nach Vivi vordrang, dabei sogar die unterhalb der Station liegende erste schwache Stromschnelle Nkasi Yelala (Yelalas Frau) glücklich überwindend.
Seitdem wird diese Strecke, die indessen noch einige tausend Meter unterhalb der äußersten Grenze der Schiffbarkeit endet, regemäßig befahren, und auch die Holländer senden ihren neuen, sehr stattlichen Dampfer „Moorian“ seit einem Jahre bis nach Angoango oberhalb Noki.
Von Boma an verläuft das Flußbett in mehreren Biegungen ostwärts bis Musuku, dann auf eine kürzere Entfernung nordwärts; bis Noki und Vivi wiederholt sich dieselbe Gestaltung in kleinerem Maßstabe. Auf ersterer Strecke schwankt die Breite des Congo zwischen 900 und 2500 Meter, weiterhin nähern sich die Ufer auf 1200 und 700 Meter.
Die holländische Insel zur Rechten, die drei Kilometer oberhalb liegende, hart an das Nordufer geschmiegte große Insel Mbuku Mboma zur Linken lassend, setzt der Dampfer am nächsten Morgen seine Reise fort. An einzelnen Punkten hat er bereits mit einer bedeutenden Strömung zu kämpfen, die über zwei Meter Geschwindigkeit in der Secunde erreicht, also etwa gleich ist der der Donau bei Ulm und der des Rheines bei Basel während eines Hochwassers.
Der Congo ist jedoch zu breit und tief, sein Bett zu uneben, als daß diese starke Strömung sich gleichmäßig über die volle Breite geltend machen könnte. Rauschen an einer Stelle die Gewässer mächtig abwärts, so wälzen sie sich an einer anderen aufwärts, während zwischen diesen Hauptströmungen wiederum untergeordnete in verschiedenen Richtungen vordringen und verhältnißmäßig ruhig kreisende Flächen eingeschaltet sind. Zuweilen bilden sich an den Rändern derselben ansehnliche Wirbel oder schäumende Wassermassen brechen plötzlich mit erstaunlicher Heftigkeit hervor, als ob eine Riesenquelle im Flusse aufsprudelte.
Die gewaltige Wasserbewegung schwankt jedoch stetig innerhalb sehr weiter Grenzen und bietet sehr selten für längere Zeit den nämlichen Anblick. So mag wohl der Dampfer zeitweilig eine ihm günstige Strömung oder ruhige Flußpartie benutzen; aber plötzlich wird er wie von unsichtbaren Mächten hin- und hergeschoben, sodaß er weit sich überneigt und nur widerwillig dem Steuer gehorcht, oder er wird jetzt rasend schnell vorwärts getrieben, jetzt wie durch Zauberei an einer Stelle festgehalten, während die Maschine in jähem Wechsel bald übermäßig arbeitet und rasselt, bald stillstehen zu wollen scheint. Je mehr man sich Vivi nähert, um so stärker äußern sich diese Verhältnisse.
An der hügeligen Insel Mbuku Mboma entlang verfolgt das Fahrzeug seinen Weg. Die Höhen krönen mächtige Steinblöcke und Wälle, die an Burgruinen erinnern, wirres Gestrüpp bekleidet die Steilhänge, am Wasserrand stehen Gruppen von Oelpalmen und wilden Dattelpalmen zwischen stattlichen vielästigen Waldbäumen, die dem vielverschlungenen im Winde schaukelnden Rankennetze mannigfaltiger Lianen zur Stütze dienen. Hier an diesem unbewohnten und nur selten besuchten Stück Land erfreut man sich zum ersten Male an reizvollen, obwohl eng umrahmten Landschaftsbildern. In früher Morgenstunde kann man hier auch noch Affen, Banden lustiger Meerkatzen beobachten, die freilich in der Regel nur der Eingeweihte entdeckt, während der Ungeübte nichts erblickt, als heftig bewegtes Gezweig.
Oberhalb Mbuku Mboma liegt das Inselchen Tschisala inmitten zahlreicher Klippen, unter welchen eine, gleich einem Obelisken, etwa sieben Meter hoch aufragt. Die Oberhäuptlinge des Districtes werden auf diesem Eilande beerdigt. Der einsame Friedhof birgt jedoch auch drei vergessene Gräber von Europäern, dreier der wissenschaftlichen Begleiter Tuckey’s: Cranch, Tudor, Galwey. Sie starben, wie viele ihrer Unglücksgenossen, an Fieber und Entkräftung auf dem Expeditionsschiff „Congo“, welches 1816 bis hierher den Fluß hinaufsegelte und in der gegenüberliegenden Einbiegung am Südufer verankert wurde.
Bis Musuku, das in vier bis fünf Stunden erreicht wird, nimmt nun der Congo eine sehr bedeutende Breite an und gleicht fast einem Gebirgssee. Hier und dort ruht ein Felseneiland im Wasser. Rechts und links enden hart am Ufer eine große Anzahl eng an einander gedrängter Höhenzüge, welche durch schmale, schluchtenähnliche Thäler getrennt sind und nur selten einer Höhe von dreihundert Meter sich nähern. Die Grate und steilen Hänge sind unbewaldet und gleichmäßig mit wogenden Gräsern bestanden; lockeres Gestrüpp, sowie einsame Gebüschklumpen vermögen den öden Berghalden keinen Reiz zu verleihen. Erblickt man einmal auf einem fernen Gipfel ein Gehölz, so darf man mit Sicherheit schließen, daß es ein Dorf der Eingeborenen beschattet und von den letzteren vor Vernichtung bewahrt wird. Diese Scenerie bleibt dem Congo allenthalben getreu. Am Fuße der jäh in den Fluß abfallenden Höhen zeigt sich jedoch stellenweise etwas Baumwuchs, und wo in tieferen Buchten Schwemmland abgesetzt ist, da erheben sich auf den auenähnlichen Flächen die bekannten starren Fächerpalmen und im Hintergrunde Gruppen von Affenbrodbäumen und Oelpalmen. Zur Trockenzeit, wenn die Gräser abgestorben sind und das Hochland in braune und goldige Töne kleiden, wirkt die Scenerie am schönsten.
Dennoch entspricht sie nicht im Geringsten den allgemeinen Vorstellungen von der Pracht und dem Reichthume der Vegetation in tropischen Gebieten. Immer wieder wird man bei der Congofahrt im Gebirge an den Rhein erinnert, obwohl die anmuthende Staffage fehlt, der Strom viel breiter ist und die Höhenzüge zu niedrig sind.
In Musuku, am Südufer des Congo, sind eine holländische, eine französische, sowie mehrere portugiesische Factoreien errichtet, welche Producte des südlichen Gebirgslandes eintauschen. Von diesem Punkte hat man stromauf nach Norden eine lohnende Aussicht auf eine der reizvollsten und zugleich am meisten charakteristischen Partien (siehe die Abbildung S. 732) des ganzen Congogebirges bis zum Stanley Pool. Eng gedrängt steigen die Erhebungen hinter einander zu etwa dreihundert Meter Höhe auf, ein Stück Bergland bildend, das zwar gut zu betrachten, aber, wie die meisten Theile des Gebirges, außerordentlich schwierig zu durchwandern ist.
Von Musuku geht, mit Benutzung einer theilweise rückläufigen Strömung, die Fahrt am linken Ufer hin rasch von Statten bis [732] zur nächsten Ecke, wo der um den Diamondfelsen wendende Dampfer plötzlich gegen einen gewaltigen Wasserschwall anzukämpfen hat. Ist dieser überwunden, dann winken bereits in der Ferne die Factoreien von Noki, die in anderthalbstündiger Fahrt von Musuku erreicht werden. Hier wendet sich der Fluß abermals eine kurze Strecke nach Norden. An dieser, etwas oberhalb Noki und ebenfalls am Südufer, liegen die neuerdings errichteten Factoreien von Angoango, bis wohin die holländischen Dampfer fahren, und unweit davon grüßt die jüngst angelegte, ausgezeichnet eingerichtete Niederlassung der unter Herrn Comber’s Leitung stehenden englischen Baptisten-Mission, welche sich am Südufer des Congo bereits bis zum Stanley-Pool festgesetzt hat. Gegenüber Noki und Angoango stehen auf einem niedrigen hübschen Plateau und hohen Uferleisten neben Affenbrodbäumen die letzten Fächerpalmen in bedeutender Anzahl. Hinter Noki und Vivi gegenüberliegend, steigt bis etwa zu sechshundert Meter der höchste Berg des Gebietes an. Und Angoango schräg gegenüber erhebt sich wohl an hundert Meter hoch eine senkrechte, vielfach zerklüftete und düster-rothe Felswand. Sie umgrenzt den Teufelskessel, eine wildromantische Partie des Flußlaufes, wo die von Osten heranstürmenden Fluthen aufschäumend gegen das Gestein prallen und südwärts abweichen. Anfang November vorigen Jahres erschienen auf der Höhe dieser Felswand unerwarteter Weise einmal fünf Elephanten; von den schleunigst übersetzenden jagdlustigen Factoristen wurde einer derselben erlegt. Die Thiere sind sehr seltene und nur zufällige Gäste in dieser Gegend.
Wie am Diamondfelsen bei der Fahrt von Musuku, so trifft auch an der nahen Ecke der Dampfer auf eine gewaltige Strömung, die durchschnittlich volle drei Meter Geschwindigkeit in der Secunde besitzt und bei den, wie bereits geschildert, plötzlich eintretenden Veränderungen zuweilen noch schneller, manchmal aber auch langsamer läuft. Die Maschinen arbeiten mit äußerster Kraft, und dennoch rückt das Fahrzeug dicht am Südufer einige hundert Meter weit in Minuten nur Zoll um Zoll, Fuß um Fuß vorwärts, zuweilen feststehend oder sogar der Wucht des Wassers weichend. An dieser gefährlichen Ecke verlor Herr Stanley bei dem Beginne des Unternehmens ein mit Gütern beladenes eisernes Lastboot. Es wurde von dem anstürmenden Wasser auf die Seite gelegt, füllte sich und versank mit seiner werthvollen Ladung.
Auch dem scharfgebauten Dampfer wird übel mitgespielt bei dem jähen Eintreten in diese Strömung; er schwankt und neigt sich, wird hin und her getrieben, bis er diese bisher schlimmste Stelle endlich hinter sich hat. Am anderen Ufer liegt die letzte portugiesische Factorei zwischen einigen Baumgruppen am Fuße eines steilen, nach Osten gestreckten Hügels. Wie dieser sich allmählich beim Vorrücken des Dampfers verschiebt, öffnet sich der Blick auf eine letzte Krümmung des Congo und plötzlich tritt Vivi in den Gesichtskreis.
Vom Nordufer, von einem fast baumlosen, frei ausspringenden Hügelsporn und neunzig Meter über dem Congo thronend, grüßen die weißgetünchten Holzhäuser herab. Hoch und sicher wie eine Festung und freundlich wie eine Villenstadt sind sie von Weitem anzuschauen. Zur Linken liegt das Dorf der Sansibari und ein wenig tiefer, am Abhange, das der zahlreichen angestellten Kabindaträger.
Dem Südufer treu bleibend legt der Dampfer mühsam die kurze Strecke bis zur nächsten Biegung zurück. Dort liegt ein schöner Landungsplatz, Matadi, bis wohin der kleine Dampfer „Livingstone“ die Güter für die im Inland eingerichteten Stationen der englischen Livingstone-Mission befördert. Bis dorthin schaffte Tuckey bereits 1816 seine großen Segelboote, und von dort kreuzte er den Fluß auf demselben Wege, den nun der Dampfer einschlägt. Mit voller Kraft schießt er an dem vom Südufer ausgehenden Vorland entlang und in gleicher Richtung quer über den Strom. Um ihn wogen und wallen die Gewässer und wälzen sich schäumend unaufhaltsam durch das über tausend Meter [733] breite Bett, aufquellend, als wollte die Masse überkochen, und in allen Richtungen wirbelnd und kreisend. Hin und wieder geschleudert und nicht im Stande, für zwanzig Meter einen geraden Curs zu steuern, erreicht endlich der Dampfer unterhalb eines Felseneilandes eine ruhigere Ausweitung des nördlichen Ufers, wo der Lufu einmündet. In dieser Bucht halten sich gelegentlich noch einige Hippopotamen auf und mehrere vollwüchsige, sehr scheue Krokodile haben daselbst ihr Standquartier.
Zur Zeit des Hochwassers läuft der Dampfer in eine oberhalb des Eilandes gelegene winzige Bucht ein: Belgique Creek, wo auch Tuckey einst seine Boote befestigte und von wo er seinen unheilvollen, in Anbetracht der Verhältnisse jedoch außerordentlich erfolgreichen Marsch antrat, auf welchem er weit über Isangila hinaus gelangte und von dort an den Congo wieder schiffbar fand. Da der Landungsplatz schon benannt war, haben wir seinem Gedächtnisse zu Ehren das hübsch bewaldete Felseneiland Tuckey-Insel getauft.
Oberhalb Belgique Creek schieben sich eine Reihe von Felsriegeln mit zwischengelagerten Sandbänken vor, welche bei Niederwasser theilweise trocken liegen. Die untersten setzen sich als Klippenreihe durch die größere Hälfte des hier siebenhundert Meter breiten Stromes in der Richtung nach dem südlichen Vorlande fort. Diese Klippen bedingen die erste schwache Stromschnelle: Nkasi Yelala, Yelalas Frau.
Bei niedrigem Wasserstande vermag der Dampfer diese zu überwinden, indem er durch die nördlichste Rinne steuert. Er ruht dann eine Weile hinter der Tuckey-Insel, um Dampf aufzumachen für die letzte größte Kraftleistung. Dann schießt er an Belgique Creek vorüber, um den untersten Felsenwall wendend, mit scharfem Anlauf hinein in den gewaltigen ungebrochenen Strom der Rinne, für etwa zweihundert Meter wiederum nur Zoll für Zoll vorrückend.
Beginge der Steuermann, ein Kabinda, einen Fehler, bräche etwas an der Maschine, so wäre das dünnwandige stählerne Fahrzeug in den meisten Fällen verloren; es würde auf die Felsen geschleudert und von dem Anprall des Wassers zerdrückt oder überworfen werden. An eine Rettung der Menschen wäre nicht zu denken; selbst der geübteste Schwimmer würde die Strudel und Wirbel nicht überwinden können. Endlich ist auch diese schlimmste Strecke überwunden, und der Dampfer legt gerade unter dem Plateau von Vivi am sandigen Ufer fest.
Hier beginnt Herrn Stanley’s breiter Weg, der nach links an dem steilen Hange emporführt; von hier aus hat der unermüdliche Arbeiter sein ganzes ungeheures Material hinauf nach Vivi und von dort aus über das Gebirg, theils zu Land, theils wiederum zu Wasser, nach dem Stanley-Pool geschafft. Der Aufstieg nach Vivi ist verhältnißmäßig bequem für dieses Bergland, doch immerhin anstrengend genug. Die geebnete Höhe ist lang und schmal. Auf derselben stehen rechts und links am Hange weißgetünchte niedrige Holzhäuser, theils als Wohnungen, theils als Niederlagen dienend, sowie mehrere große Magazine von Stein, Holz oder Eisen. Zwischen ihnen zieht sich ein umzäunter Garten entlang, in welchem wegen Wassermangel kaum andere Pflanzen gedeihen als anspruchslose Melonenbäume, die jedoch immerhin nur recht geringe Früchte liefern.
Am Ende der Höhe von Vivi, wo sie steil nach dem Congo abstürzt, ist ein kleines erhöhtes Plateau hergestellt, auf welchem, die unteren beiden Häuserreihen abschließend, ein größeres Holzhaus mit Oberbau errichtet ist. Dahinter, auf dem höchsten Punkte, erhebt sich der Flaggenmast, und hart am Hange hat Herr Dr. von Danckelman sein kleines meteorologisches Observatorium eingerichtet, welches, obwohl immer noch unvollkommen, die einzige Freistätte der Wissenschaft in der Expedition ist. Von hier aus genießt man einen schönen Rundblick auf den unten rauschenden Congo mit seinen Uferhöhen, den gegenüberliegenden höchsten Berg von Noki, auf den rückwärts von Vivi steil aufragenden, an dreihundert Meter hohen Leopoldstein und nordwärts auf die Höhen, über welchen der Stanley-Weg nach dem Inneren führt.
Gleich den übrigen Partien des Gebirges entbehrt die Umgegend [734] von Vivi der reichhaltigen Vegetation. Die hohen Gräser, untermischt mit Zwergbäumen und Buschwerk, beherrschen Hügel und Hänge; blos an einigen Stellen der Bachbetten und des Congo-Ufers stehen Waldbäume in lichten Reihen. Auf den öden Berghalden findet sich hier zum ersten Male die Camoensia maxima (siehe Abbildung S. 730). Sie entwickelt vorzugsweise während der Trockenzeit lockere Sträuße ihrer schön gestalteten, vornehmen, zart weißen Blüthen, welche einen betäubenden Orangenduft aushauchen und bisweilen die Größe einer Hand erreichen. Der sonst unscheinbare, Ruthen wie Ranken treibende und wenig belaubte Strauch ist eine der Charakterpflanzen des Hochlandes.
Oberhalb Vivi, wo der Congo von links zwischen den jäh abfallenden Bergwänden hervorkommt, mündet am Südufer der wildbachähnliche Mposofluß. Von dort setzen die Eingeborenen in Canoes über den Strom. Vor seiner Mündung liegen einige spärlich bebuschte Klippen: die Burton-Klippen. Wir haben sie Consul Burton zu Ehren so benannt. Denn dort übernachtete der unermüdliche Reisende, der von Afrika mehr gesehen hat, als irgend ein Anderer, und von dort kreuzte er den Congo, als er, 1863 von Noki über Land dahin gelangt, als der erste Europäer nach Tuckey’s Expedition bis zu den Yelalafällen vordrang.
Der Yelala liegt hinter den Bergen versteckt, in gerader Linie etwa sechs Kilometer von Vivi entfernt; indessen bildet der Congo, wie bereits Tuckey und Burton hervorheben, dort nicht einen Wasserfall, sondern nur eine ungeheure, etwa zwei Kilometer lange, durch zahlreiche Klippen verursachte Stromschnelle. Zu manchen Zeiten schallt deren tiefes, mächtig vibrirendes Tosen deutlich bis nach Vivi herüber.