Hervorragende Persönlichkeiten in Dresden und ihre Wohnungen: Jean Louis Ebenezer Reynier
← Joachim Murat | Hervorragende Persönlichkeiten in Dresden und ihre Wohnungen (1918) von Adolf Hantzsch Jean Louis Ebenezer Reynier |
Armand Augustin Louis de Caulaincourt → |
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext. |
[164] Nr. 160. Reynier, Jean Louis Ebenezer, Graf, 1771–1814, außerordentlich kriegsgeübter französischer General. Von Beruf Ingenieur trat er 1792 bei der Artillerie ein, erstieg verhältnismäßig schnell hohe militärische Rangstufen und stand schon bei Napoleons Feldzug nach Ägypten 1798 an der Spitze einer Division. Von dort zurückgekehrt, kämpfte R. in Italien, später gegen Österreich. In dem Feldzuge nach Rußland 1812 befehligte er die sächsische Armee, die das siebente Korps des gewaltigen französischen Heeres bildete. Im nächsten Jahre focht R. in den Schlachten von Großgörschen den 2. Mai, Bautzen den 20. und 21. Mai, Großbeeren den 23. August und Dennewitz den 6. September, wurde aber in dem Völkerringen bei Leipzig gefangengenommen. Zwar erhielt er durch Auswechselung bald seine Freiheit wieder, so daß er nach Paris zurückkehren konnte. Freilich war seine Lebenskraft durch schwere Krankheit völlig gebrochen, die denn auch bereits Ende Februar 1814 seinen Tod herbeiführte.
Als R. am 8. März 1812 in militärischen Angelegenheiten zum ersten Male nach Dresden kam, hielt er sich eine Woche hier auf. Fand sich auch keine Angabe darüber, in welchem Gebäude er damals gewohnt hat, so erscheint es doch wahrscheinlich, daß es das von ihm später benutzte Brühl'sche Palais gewesen ist. Am 4. März 1813 traf R. von Bautzen kommend, abermals in unserer Stadt ein und nahm in dem erwähnten schönen Bau Augustusstraße 3 Wohnung. Obgleich er auch diesmal nur sieben Tage hier weilte, wurden sie für ihn eine höchst unruhige Zeit, weil man es auch in Dresden nicht verschmerzen [165] konnte, daß der Feldzug nach Rußland so vielen sächsischen Soldaten ein frühes und trauriges Ende bereitet hatte. Als daher R., der den Sachsen überhaupt nicht wohlgesinnt war, durch seine sofort getroffenen Maßnahmen zeigte, daß er in Dresden die Festungswerke, die in den letzten Jahren auf Napoleons Anordnung hatten teilweise geschleift werden müssen, wieder in Verteidigungszustand setzen wollte, und sogar, freilich auf Befehl des Vizekönigs Eugen, damit beginnen ließ, auf Altstädter Seite den vierten Pfeiler der Augustusbrücke anzubohren und zu unterhöhlen, um ihn bei Annäherung der Russen und Preußen sprengen zu können, da entstand am Morgen des 10. März unter der auf und an der Brücke angesammelten gewaltigen Volksmenge eine bedenkliche Erregung. Diese steigerte sich bald zu allgemeiner Erbitterung, und nun kam es zwei Tage lang nicht nur zu lärmenden Kundgebungen, sondern auch zu sehr ernsten Ausschreitungen. Schreiende Volkshaufen zogen vor R's. Wohnung, deren Fenster sie „sogar bis ins oberste Stockwerk“ einwarfen, wobei die Rufe erschollen: „Franzosen fort!“ „Reynier heraus!“ „Fort mit Reynier!“ „Vivat Alexander!“ Erst nach wiederholtem Einschreiten der Bürgergarde und sächsischer Infanterie gelang es, glücklicherweise ohne Blutvergießen, die Ruhe in der Stadt wiederherzustellen. R., dem am Vormittag des 11. März eine Abordnung des Rates und der Bürgerschaft ihr Bedauern über die in den letzten Tagen stattgefundenen Vorkommnisse ausgesprochen hatte, verlangte natürlich die Bestrafung der Haupträdelsführer. Etwa 15 der verdächtigen Personen wurden ermittelt und zehn von ihnen auf dem Königstein gefangengesetzt, jedoch bereits im nächsten Monat auf ausdrückliche Anordnung Blüchers wieder freigelassen. – Da sich infolge behördlicher Bekanntmachungen und der Verhängung des Belagerungszustandes über die Stadt deren Einwohnerschaft beruhigt hatte, war in der Nacht zum 12. März, allerdings unter starker militärischer Bewachung, die Bohrarbeit an dem vierten Brückenpfeiler wieder aufgenommen, aber von dem genannten Tage an der volle Verkehr über die Brücke gestattet worden.
Da der äußerst harte und gänzlich gefühllose Marschall Davout am Spätvormittag des 13. März in Dresden einzog, Graf R. unter ihm aber nicht dienen wollte, verließ dieser ohne höhere Erlaubnis sofort seine Truppen und die Stadt und begab sich mit seiner Begleitung nach dem im benachbarten Plauen gelegenen Reisewitz'schen Garten. Die Räume des dort befindlichen, 1892 aber abgebrochenen Wasserpalais dienten R. einen Tag zur Wohnung. Am 14. März verließ er die hiesige Gegend für immer.