Herr Philipp Ardinger
Herr Philipp Ardinger.
Es war an einem wunderbar milden klaren Abend im Frühsommer. Erquickt und ermüdet zugleich von einer köstlichen Wanderung durch den gesegneten Rheingau, saß ich in einer Rebenlaube dicht am Ufer des Stromes. Der freundliche Wirth hatte meine Einladung zu einer Flasche von seiner eigenen Auslese nicht abgeschlagen. Vor uns auf dem Tische standen neben den Römern zwei Kerzen in rothen Windglocken, um welche dann und wann ein verblendeter Nachtfalter mit leisem Klatschen herumflatterte. Von unten klang in unser behagliches Geplauder das gleichförmige Rauschen der Wellen hinein, und durch eine runde Oeffnung in der Rebenwand sah ich auf die Berge, an denen das Vollmondlicht langsam wie eine breite grünsilberne Decke hinwuchs.
Wir sprachen natürlich vom Rheingau und seinem Weine. Geschmeichelt nahm der wackere Wirth meine begeisterten Lobsprüche und Wanderfrüchte entgegen, die er ab und zu durch werthvolle Anmerkungen über besonders trinkbare Orte und Lagen ergänzte. Da sich aber meine Lernbegier gar nicht befriedigen ließ – man bringt doch gern von einer solchen Rheinfahrt auch ein wenig Weinzunge heim – so wies er mich nach der zweiten Flasche lächelnd an den einzigen Gast, der außer uns beiden noch in der Laube weilte. „Herr Philipp Ardinger ist der beste Weinkenner weit und breit, an den müssen Sie sich halten,“ mit diesen Worten verließ er uns und ging ins Haus, um als guter Hausvater nach dem Rechten zu sehen.
Herr Philipp Ardinger lud mich freundlich ein, an seinem Tischchen vor dem einsamen dritten Windlicht Platz zu nehmen, und bald war ich ganz vertieft in die weisen Lehren, welche er mir über die innersten Tugenden der verschiedenen Rheinweine vortrug. Sein Aeußeres entsprach durchaus dem Geiste, der diese Lehren beseelte. Eine stämmige Gestalt von Mittelgröße, mit freundlichem breiten Gesicht, Schnurr- und Knebelbart, das krause Haupthaar schon leise bereift, und auf Wangen und Nase ein zarter Weinschimmer. In den Ohrläppchen trug er kleine goldene Ringe; sonst war von Schmuck nichts an ihm zu bemerken, und auch seine bequeme Kleidung war anständig, aber durchaus nicht besonders vornehm.
Er trank eine gute Sorte, und er trank sie gut, wie ein richtiger Weinkenner, in kleinen oft wiederholten Schlucken, wobei er den edlen Tropfen mit der Zunge zerdrückte. Nach dem Einschenken hielt er den Römer gegen das Licht und blinzelte mit einem Auge liebevoll nach dem köstlichen Tranke, der hinter der grauen Glaswand glitzerte. Er sprach bedächtig, aber nicht schleppend – ungefähr so wie er trank; mit einem guten Humor, der kein grelles Lachen, aber ein herzliches Lächeln weckt. Nur wenn er von besonders theueren und seltenen älteren Jahrgängen sprach, zitterte durch seine Stimme etwas von der Klage:
„Du bist mir nah und doch so fern!“
und als er in seine Vorlesung ein kurzes Anathema gegen alle jene gefühllosen Menschen einflocht, welche ein Weingesetz nöthig machen, erhob sich sein Vortrag zu einem schönen sittlichen Zorn.
Es war spät geworden, als wir uns trennten. Meine dankbare Hoffnung, ihn in den nächsten Tagen wohl wieder hier zu treffen, beantwortete Herr Philipp Ardinger mit einigen etwas verlegenen Worten. „Alsdann so ging er“ – um in seiner Sprache zu reden – und ich sah ihn draußen auf dem mondhellen Wege längs dem Rheine langsam entschwinden, umkreist von einem weißhaarigen Spitz, der während unserer Unterhaltung mit sachkundigem Blinzeln neben seinem Stuhle gesessen hatte.
„Da haben Sie mir in der That eine angenehme, dankenswerthe Bekanntschaft vermittelt,“ bemerkte ich zu dem Wirthe, der während der letzten Stunden an unserer Sitzung wieder theilgenommen hatte.
„Sie sind nicht der erste, der diese Bekanntschaft lobt,“ antwortete jener lächelnd. „Leider werden Sie, da Sie nur acht Tage bleiben wollen, Herrn Ardinger schwerlich noch einmal hier treffen.“
„Wieso,“ fragte ich aufrichtig enttäuscht, „geht der Herr auf Reisen?“
„O nein, das nicht,“ meinte der Wirth. „Aber es ist heute der Samstag nach Vollmond, und nun dauert es wieder einen Monat, bis er kommt. Allein das muß ich Ihnen wohl noch näher erklären – wenn Sie nicht etwa zu müde sind.“
Ich verneinte eifrig. Wir nahmen wieder Platz, ich schenkte die Römer voll, und mein Wirth begann eine wunderliche Geschichte zu erzählen, eine richtige Rheingau-Geschichte.
Herr Philipp Ardinger war der Sohn eines reichen Weingut- und Schiffbesitzers. Der Vater hatte in seinen zwei letzten Jahrzehnten wenig mehr gethan, als die Zinsen seines Vermögens mit Umsicht und Geschmack ausgegeben, und der Sohn setzte nach seinem Tode dieses Geschäft erfolgreich fort. Ein Theilhaber leitete unterdessen die Verwaltung und Handlung. Leider verfiel dieser Theilhaber dem Laster, französische Weine und Cognak zu eigenem Genusse dem heimischen Wachsthum vorzuziehen, und mit den wälschen Getränken – wenigstens schien es dem Wirthe so – waren auch sonstige böse Geister in sein Herz gezogen. Eines Tages verschwand er mit der tröstlichen Versicherung, alles durch seine Spekulationen verspielte Gut dereinst wieder zu ersetzen, wenn er in Amerika Millionär geworden sei. Leider betrug aber dieses Gut genau so viel oder noch ein paar Tausend mehr, als Herr Philipp Ardinger besaß.
Da es Herrn Philipp nun völlig an Mitteln gebrach, als reicher Mann weiter zu leben, so wollte er wenigstens ein ehrlicher Mann bleiben. Durchaus aber widersprach es seiner Art, sich über das Nothwendige und Schickliche hinaus anzustrengen. Ein vornehmer Herr von auswärts übertrug ihm gegen freie Wohnung und einige Vergütungen das Amt als Burgwart in seiner oberhalb des Ortes belegenen, selten bewohnten Villa. Daneben eröffnete sich ihm ein schmales, aber zur Noth auskömmliches Verdienst, indem er sich kraft seiner auf Reisen erworbenen Sprachkenntnisse darauf verlegte, für die Winzer, Holzhändler und Schiffer etwaige Korrespondenzen nach England, Frankreich und Holland zu erledigen.
Auf diese Weise lebte er seit manchem Jahre mit seinem Spitze, schlecht und recht. Er rauchte Pfälzer und trank leichten Tischwein – mein Wirth zuckte mit den Achseln, um anzudeuten, wie leicht dieser Tischwein sei. Jeden Samstag im Vollmond aber, also ungefähr dreizehnmal im Jahre, machte er sich ein Fest. Dann überließ er die Wacht in der Villa einem treuen Knechte, erschien gegen Abend mit seinem Spitze in der Wirthslaube und [445] ließ sich von seiner alten Lieblingssorte vorsetzen, so weit das Geld reichte, das er sich die vier Wochen über zu diesem Zwecke in einer alten seidenen Börse aufgespart. Am folgenden Tage trank er wieder seinen leichten Tischwein, und so fort bis zum nächsten Vollmond. –
Auch diesmal hielt Herr Philipp Ardinger an seiner Regel fest. Es war mir nicht vergönnt, ihn noch einmal in der Laube zu sehen. Auf seiner Villa suchte ich ihn auf, aber da war er zur Besichtigung in den Weinbergen.
Und wieder an einem Sommerabend war’s, als ich nach fünf Jahren aufs neue bei meinem redlichen Wirthe von damals einkehrte.
Es versteht sich, daß ich mich gleich beim Willkommtrunk nach Herrn Philipp Ardinger erkundigte.
„O, mit dem hat sich’s wunderlich gewendet,“ berichtete der Wirth. „Zwar heute abend werden Sie ihn kaum noch hier sehen, obgleich er jetzt nicht bloß alle Monat einmal Einkehr hält.“
„So hat sich sein Beutel wieder besser gefüllt,“ fragte ich, „oder sollte er gar seinen Grundsätzen untreu geworden sein und über Vermögen zechen?“
Der Wirth schüttelte lachend den Kopf. „Nein, Herr Philipp Ardinger würde so leicht nicht auf die schiefe Bahn kommen. Aber er ist jetzt ein reicher Mann und kann sich’s leisten. Ostern sind es zwei Jahre geworden, seit ihm das Konsulat alles auf Heller und Pfennig mit guten Zinsen gezahlt hat, was ihm sein Kompagnon damals entwandt hatte. Der Kerl war wirklich drüben Millionär geworden, und als er trotz seiner Millionen sterben mußte, da hat er ein Einsehen gehabt und noch letztwillig die alte Schuld gedeckt.“
„Ei,“ rief ich mit herzlicher Freude, „das ist ja eine gute schöne Nachricht! So hat Herr Philipp doch Genugthuung für das Geschick erhalten, welches er so unverdrossen trug. Nun wird er ja wohl recht glücklich sein.“
Der Wirth zog die Stirn in bedenkliche Falten. „Ja, das sagen Sie so,“ meinte er. „Aber neuerdings ist Herrn Philipp noch etwas anderes zugestoßen. Mein Gott, er ist ja noch kein Greis, noch ein ganz trinkbarer Jahrgang – und da hat er sich eben verliebt. So ein acht Wochen ist’s etwa her, da hat sich oben neben seinem hübschen Weingut eine Herrschaft vom Niederrhein angekauft – ganz nette Leute, eine Witwe mit ihrer Tochter, die Frau soll eine geborene Oberländerin sein. Na – und da hat sich Herr Philipp eben in das Mädel vergafft. Er ist ganz verändert, schon seit vier Tagen fehlt er abends hier.“ Und mein wackerer Wirth griff seufzend nach dem Römer, voll zornigen Staunens darüber, daß die Liebe selbst im Rheingau über das Wirthshaus siegen sollte.
Am folgenden Nachmittag ließ ich mir den Weg zu Herrn Philipp Ardingers Weingut weisen. Breit, schön und behaglich lag das saubere, grünumsponnene Haus vor mir, und der Empfang übertraf alles, was ich billigerweise erwarten konnte. Herr Philipp hatte sich wenig verändert; vielleicht etwas umfangreicher war er geworden, der Glanz auf Wangen und Nase etwas metallischer. Aber sein Wesen war nicht anders und nicht älter geworden. Rheingauer Wein und rheingauer Luft erhält die Menschen merkwürdig sich selber gleich.
Als wir nun aber auf dem hölzernen Altan um den Mittelstock des Hauses wandelten und uns an der segenverheißenden Rundschau ergötzten, bemerkte ich im Nebengarten schimmernde Frauengewänder und hörte fröhliches Lachen von hellen Stimmen. Ich konnte mich nicht enthalten eine leise Anspielung zu machen.
„Ach so,“ meinte Herr Philipp ganz ruhig, „ich merke schon, der alte Weinzapf hat Ihnen auch schon so was erzählt, der Schwätzer, der! Na, aber die Wahrheit ist, ich bin noch zu nichts entschlossen – das kommt eben noch auf die Prob’ an.“
Das verstand ich nun freilich nicht, aber eine Frage wurde mir abgeschnitten durch die Mittheilung, die Frauen wollten sich just heute uachmittag zu einem Nachbarbesuch einstellen – ich wurde herzlichst eingeladen, zu bleiben, und ich blieb gern.
Aufs angenehmste überraschte mich der Anblick der Nachbarinnen, die sich bald einfanden, in Begleitung eines jungen Vetters, der vom Niederrhein zu Besuch gekommen. Die Tochter war ein reizender Blondkopf, ich schätzte sie auf kaum siebzehn Jahre, und die Mutter, welche ich mir als eine recht angejahrte Dame vorgestellt hatte, erwies sich als eine muntere schöne Frau, welche die Mitte der dreißiger Jahre eben überschritten haben mochte, mit vollem braunen Haar und lustigen braunen Augen. Der junge Herr Vetter, seines Zeichens Brauereibesitzer, war ein hübscher Mann von vertrauenswerthem festen Wesen und guten Manieren. Er war sehr zuvorkommend gegen das blonde Bäschen, und mir bangte etwas für Herrn Philipp, wenn ich versuchte, ihn mit Mädchenaugen mit dem Vetter zu vergleichen.
Herr Philipp aber war gegen uns alle gleich liebenswürdig und entwickelte eine glänzende Gastlichkeit.
Nach dem Kaffee hatten wir uns ein Weilchen im Garten ergangen, waren auf einen lohnenden Aussichtspunkt gestiegen und saßen nun in kühler Laube vor einer reichbesetzten Tafel. Bestaubte Rheinweinflaschen, einige fremdartige Gefäße mit wälschen Weinen, dazu Schalen mit Obst und Konfekt; etwas abseits stand auch ein Häuflein Bierflaschen. Derb und höflich zugleich stellte Herr Philipp uns die Wahl frei.
„Die Schönheit hat zu entscheiden,“ meinte der galante Vetter, „bitte, Bäschen Helene, bestimmen Sie!“
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Die wählte nicht lange. „Ach, ich bin so gräßlich durstig,“ lachte sie, „bitte, ein Glas Bier!“
Sogleich beeilte sich Herr Philipp Ardinger ihrem Wunsche nachzukommen. Als er aber auch der Mutter einschenken wollte, hielt diese mit komischem Entsetzen die hübsch geformte Hand über ihr leeres Glas. „Nicht doch,“ rief sie, „ich bltte Sie – Bier im Rheingau, wenn solche Flaschen winken! Gleiches Recht für alle, ich bitte um Rauenthaler!“
Auch ihrem Verlangen entsprach Herr Philipp mit gleicher ruhiger Höflichkeit. Der Vetter entschied sich für „erst Wein, dann Bier – weil man doch zuerst dem Lande eine Ehre anthun muß“. Er ging aber bald zu dem braunen Getränk über. Herr Ardinger und ich schlossen uns der Witwe an.
Solchergestalt hatten sich zwei Heerlager gebildet, aber ohne Feindschaft. Die blonde Helene hatte sogleich entdeckt, daß das Bier laut den aufgeklebten Zetteln aus der Brauerei des Vetters stammte. Hocherfreut belohnte der Vetter uns dafür mit einer eingehenden Vorlesung über den Unterschied von obergährig und untergährig. Von da kam das Gespräch auf den Weinbau, was im Verlauf des Abends Fräulein Helene veranlaßte, auf eine Frage des Herrn Philipp auch am Portwein ein wenig zu nippen. Später redete man noch über tausendundeins andere Dinge, man unterhielt sich vorzüglich, und als ich spät abends heimkehrte, entdeckte ich im verborgenen Winkel meines Herzens neben dem Mitleid für Herrn Philipp – denn der Vetter war doch zu gefährlich – bereits einen ganz schüchternen Ansatz zu einer zärtlichen Neigung für die schöne Witwe.
Den folgenden Tag benutzte ich dazu, auf einer herzerquickenden einsamen Berg- und Waldfahrt diese Neigung an manchen mir von früher her noch gar werthen Stätten herumzuführen und ein wenig mehr heranzuziehen. Als ich dann gegen Abend heimkehrte, kam ich an Herrn Philipps Haus vorbei. Da stand er breit vor der Thür und ersuchte mich freundlich, ihm zu seiner Verlobung Glück zu wünschen.
„Ei,“ sagte ich, indem ich meinem künftigen Stief-Eidam herzlich die Hand schüttelte, „das ist ja schnell gegangen.“ Er nickte mit seinem ruhigen stillzufriedenen Lächeln. „Ja,“ meinte er, „gestern sagte ich Ihnen ja, daß noch nichts recht entschieden sei. Drum hab’ ich eben die Weinprobe gestern veranstaltet. Sehen Sie, da ist es mir erst gewiß geworden: das ist eine Frau für einen Rheingauer, die kann hier glücklich leben. – Aber nicht wahr,“ brach er plötzlich mit ordentlich verklärtem Gesicht aus, indem er mich bei beiden Händen ergriff, „nicht wahr, das ist eine Frau!“
Mir dämmerte etwas. „Aber verzeihen Sie,“ brachte ich ziemlich ungeschickt hervor, „ich dachte doch, Sie hätten Fräulein Helene“ – –
Herr Philipp sah mich groß an. „Die?“ rief er ganz erstaunt, „aber ich bitt’ Sie, nein! Ein Mädel, das Bier trinkt, wann der Rauenthaler da steht, und nachher noch allerlei durcheinander oben ’nauf, – na, wissen Sie, das ist ja ein liebes, nettes Ding, aber – ’s hat keine Weinzung’! Nein, die heirathet ihren Vetter, der braut gutes Bier und ist ein junger Mann, hübsch und brav – das Pärchen paßt auch zusammen.“
Ich hielt es für aussichtslos, dieser Beweisführung etwas entgegenzustellen. Uebrigens hat die Zeit Herrn Philipp Ardinger auch diesmal wieder recht gegeben. Er hat in der Ehe mit der schönen Weinfreundin ein schier wolkenloses Erdenglück gefunden, und die blone Helene lebt kaum minder glücklich mit dem Vetter drunten am Niederrhein.