Heinrich Schaumberger (Die Gartenlaube 1899/7)
Heinrich Schaumberger.
Vor fünfundzwanzig Jahren, am 16. März, verstarb im Alpenkurort Davos, kaum dreißig Jahre alt, einer der liebenswürdigsten Dichter, die deutsches Volks- und Landleben mit treuem Erfassen geschildert haben, der thüringer Volksschullehrer Heinrich Schaumberger. Nur fünf Jahre waren ihm zum Schaffen vergönnt; in diesem kurzen Zeitraum sind „Vater und Sohn“, „Im Hirtenhaus“, „Zu spät“, „Fritz Reinhardt“, die „Bergheimer Musikantengeschichten“ entstanden. Als Schaumberger starb, waren seine Werke nur teilweise und nur in engeren Kreisen bekannt; Friedrich Hofmann, als er 1876 in der „Gartenlaube“ dem verstorbenen Landsmann den warmempfundenen Aufsatz „Der nordfränkische Zschokke“ widmete, war einer der ersten, die seiner Dichtung ihrem vollen Wert nach gerecht wurden. Seitdem ist die Gemeinde Schaumbergers immer mehr angewachsen, und am 16. März d. J. ist in seiner Vaterstadt Neustadt, im Herzogtum Koburg, der Grundstein zu seinem Denkmal gelegt worden, das zu Pfingsten feierlich enthüllt werden soll. Dem Komitee, das sich dort unter dem Vorsitz von Rektor Lange gebildet hat, haben sich zahlreiche Männer aus allen deutschen Gauen angeschlossen; möge der Aufruf desselben, welcher um Beiträge bittet, bei den Lesern der „Gartenlaube“ wärmste Teilnahme finden!
In den Dienst des Unternehmens tritt auch eine Gedächtnisschrift, verfaßt von Dr. W. Rullmann in Graz, der das große Verdienst hat, den Dichter auf dem dornenvollen ersten Weg an die Oeffentlichkeit einst wesentlich gefördert zu haben. Dieser als Beitrag zur Enthüllungsfeier geplanten Festschrift können wir schon heute im Auszug den folgenden treuen Bericht über Schaumbergers schlichten und doch so ergreifenden Lebensgang entnehmen, welch letzterer von Hugo Möbius in einer umfangreicheren Biographie eingehend geschildert worden ist.
In einem Dachstübchen des Schulhauses von Neustadt im Herzogtum Koburg hat Heinrich Schaumberger am 16. Dezember 1843 das Licht der Welt erblickt. Der Vater, Fritz Schaumberger, bekleidete dort die Stelle eines Kantors und Lehrers, die Mutter Margarete war die Tochter eines Grundbesitzers von Weißenbrunn vorm Walde. Der junge Heinrich war sechs Jahre alt, als sein Vater nach Weißenbrunn versetzt ward, und dies Heimatsdorf der Mutter wurde nun seine zweite Heimat und später der Schauplatz verschiedener seiner Erzählungen.
Der Knabe war zehn Jahr alt, als sein Inneres von dem ersten großen Schmerz berührt wurde. Er verlor die gute Mutter, die leider das Halsleiden, an dem sie starb, dem Sohn vererbte. Später hat Schaumberger schöne Worte gefunden, um das Glück der Kindheit zu schildern; daß auch damals schon dunkle Schatten in das sonnige Glück seiner Kinderjahre fielen, zeigen die nachfolgenden Aufzeichnungen seines Tagebuchs: „Der Vater kümmerte sich wenig um mich und die Großeltern verzogen mich. Oft wochenlang sah der Vater nicht nach mir und fragte nie, ob ich etwas lerne oder was ich sonst treibe. War er dann einmal übelgelaunt, großer Gott! wie ging mir’s! Der Vater und die Großeitern lebten nicht gut zusammen und all ihren wechselseitigen Zorn mußte ich erfahren.“
Nach seiner Konfirmation blieb der Knabe noch drei Jahre, in denen er sich häuslichen Beschäftigungen und der Arbeit auf dem Felde widmen mußte, in dem Hause des Vaters, der zum zweiten Male geheiratet hatte. Endlich ging ihm der Wunsch seines Herzens in Erfüllung: im Mai des Jahres 1861 bezog er das Seminar in Koburg, um sich dem Lehrerberufe zu widmen. Am Schlusse der Seminarzelt erteilte er einige Monate hindurch Unterricht an der Mädchenschule in Koburg; im Frühjahr 1864 bestand er das Examen und Ende desselben Jahres finden wir ihn als Lehrer in dem kleinen Orte Einberg thätig. Im Sommer 1866 machte der junge Lehrer von hier einen Ausflug nach Seidmannsdorf, um seinen Kollegen Bauer zu besuchen, und dort lernte er dessen achtzehnjähriges Töchterchen Klara kennen. Die Schönheit und der Liebreiz des jungen Mädchens machen einen tiefen Eindruck [227] auf das Gemüt des Dichters; es erwacht eine Neigung in ihm, die erwidert wird, und nachdem Schaumberger eine etwas besser bezahlte Stellung in Ahlstadt gefunden, konnte am 16. September 1866 das junge Paar die Hochzeit feiern. Leider sollte dieser Bund schon bald genug wieder gelöst werden; die Geburt eines Knaben im Februar 1868 gab der Mutter den Tod. Traurig schaute nun Schaumberger in die Zukunft. Was ihm das Leben lebenswert gemacht hatte, war ihm für immer geraubt worden. Und dasselbe Unglücksjahr, das seinen Geist so schwer niederschlug, sollte auch seinem Körper gefährlich werden: es zeigten sich die Anfänge eines Halsleidens, das ihn bis zu seinem Tode nicht mehr verlassen sollte. Der nächste Frühling bringt ihm einen neuen Schicksalsschlag: den Tod des Vaters, mit dem er in den letzten Jahren in bestem Einvernehmen gelebt hatte. Er wird der Nachfolger des Vaters in dem Weißenbrunner Lehramte, und eine bedeutungsvolle Epoche seines Lebens beginnt mit dem Tage, an dem er sein Amt in dem Heimatsdorfe der Mutter und auf der Stätte seiner Kinderjahre antritt.
Das geschah im Mai des Jahres 1869; Anfang August traf auch ein neuer Seelsorger in Weißenbrunn ein, und bald spannen sich zwischen dem Pfarrhause und dem Schulhause Beziehungen hin und her, die für Schaumberger und die Entwickelung seines Talents von größter Wichtigkeit waren. Pfarrer Bagge hatte sich bereits als Volksschriftsteller in weiteren Kreisen einen bekannten und geachteten Namen gemacht. Unter dem Pseudonym Josias Nordheim hatte er mehrere Erzählungen veröffentlicht, in denen er sich als ein humor- und gemütvoller Darsteller des Volkslebens bewährt hatte. Bagge besaß zudem eine gründliche wissenschaftliche Bildung, war ein vortrefflicher Klavierspieler, seine Zeichnungen wurden von Kennern gerühmt. Auch Schaumberger hatte sich mit Glück als Zeichner und Maler versucht; wenn er im Pfarrhause seine Violine zur Hand nahm, begleitete ihn der Freund auf dem Klavier. Vor allem aber ermutigte das Beispiel Bagges als Volksschriftsteller den poetisch gestimmten jungen Lehrer zu eigenen Versuchen und wies ihm die Richtung. Im Frühjahr 1871 ward die Freundschaft der beiden Männer noch fester geknüpft. In der Tochter des väterlichen Freundes fand Schaumberger einen Ersatz für die verlorene Lebensgefährtin und eine zweite Mutter für seinen Knaben.
Leider fiel die Verlobung mit einer Verschlimmerung seines Leidens zusammen, die ihn zwang, die Ausübung seines Lehramts zu unterbrechen. Da beschließt er, nach Davos zu gehen; der Ort hat schon an vielen Wunder gethan, die kränker waren als er. Wenn er dann als Gesunder oder wenigstens als Genesender in die Heimat zurückkehrt, darf er hoffen, daß das Mädchen seiner Liebe unter Einwilligung der Eltern bereit sein wird, sein Schicksal mit ihm zu teilen. Am 15. Juni 1871 kommt Schaumberger in Davos an. Bald kann der Arzt eine erfreuliche Wendung zum bessern konstatieren. Dabei wirkt die Großartigkeit der Hochgebirgswelt erfrischend und belebend auf seine Seele ein. Und während er die Gegenwart genießt, denkt er der Vergangenheit nach; mit dem Entzücken über die erhabene Schönheit der Natur, die ihn umgiebt, mischt sich die Sehnsucht nach der Heimat. „Ihm ward,“ sagt sein Biograph, „die Trennung von der Heimat zum Quell der Poesie.“ Von älteren Entwürfen sind es die „Schaumburg“ und „Umsingen“, die ihn in dieser Zeit beschäftigen. Mit besonderer Hingebung widmet er sich der Arbeit an „Vater und Sohn“. Aber so sehr das poetische Schaffen gedieh – er war kein Genesener, als er Anfang April 1872 wieder in der Heimat eintraf. Dennoch fand Magdalene Bagge den Mut, ihr Schicksal an das des Leidenden zu knüpfen. In ihrer Seele lebte ein großer kühner Gedanke: das Leben des über alles geliebten Mannes dem Tode abzuringen.
Am 26. Mai 1872 schlossen Heinrich und Magdalene den Bund fürs Leben. Sie ahnten beide nicht, wie kurz die Spanne Zeit von der Vorsehung bemessen war, für die sie vereinigt bleiben sollten. Von ärztlicher Seite hatte man Schaumberger die tröstliche Aussicht eröffnet, daß er bei längerem Aufenthalt in Davos doch genesen werde. Seine dichterischen Leistungen hatten Beachtung gefunden und er konnte daran denken, sich eine Existenz als Schriftsteller zu gründen. Am 10. August reiste das junge Paar nach dem Süden ab. Vier Tage darauf kam es in Davos an, wo man im sogenannten Schlößchen ein kleines Logis mietete. In diesen Räumen hat der arme Schaumberger anderthalb Jahre hindurch ein Martyrium durchlebt, das nur durch die aufopfernde Liebe seines Weibes und die Freude über seine ersten litterarischen Erfolge gelindert wurde. Der plötzliche Tod des Pfarrers Bagge verdüsterte dies Schicksal noch. Das eigene Leiden mit schweigender Geduld zu tragen, hatte Schaumberger längst gelernt; der Schmerz seiner Magdalene um den Vater, der ihm selber der treueste Freund gewesen war, drückte ihn ganz danieder. In dieser Stimmung schrieb er am „Fritz Reinhardt,“ dem „Roman eines Dorfschullehrers“, seinem reifsten Werk. Noch konnte er am 15. März 1874 die Nachricht empfangen, daß auch dieser Roman einen Verleger gefunden habe. In der Morgenfrühe des folgenden Tages bat der Sterbende, man möge den Fensterladen öffnen, damit er das Tageslicht noch einmal erkennen könne. Es geschah, und noch einmal fiel der Blick des Dichters auf die vom Frührot überglänzten Riesen des Hochgebirges.
Längst liegt die Ernte dieses kurzen Dichterlebens in einer stattlichen Gesamtausgabe in neun Bänden vor, welche ein zehnter mit H. Möbius’ Biographie ergänzt. Sehr verdient um den Erfolg der Schriften Schaumbergers hat sich sein Verleaer Julius Zwißler in Wolfenbüttel gemacht. Ihm ist auch das schöne Denkmal zu danken, das dem Genius des Dichters vor drei Jahren in der Illustrierten Ausgabe seiner Werke, mit den Bildern von Rud. Koeselitz, erstand. Schaumbergers Witwe, die ihres Gatten einziges Kind in treuer Pflege heranzog, bis auch dieses einem frühen Tode verfiel, lebt, dem Kultus der Erinnerung hingegeben, in Dresden, wo sie ein Pensionat leitet.