Schill und seine Offiziere

Textdaten
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Autor: Rudolf von Gottschall
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Titel: Schill und seine Offiziere
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 223–226
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Schill und seine Offiziere.

(Zu unserer Kunstbeilage.)

„Es zog aus Berlin ein tapferer Held,
Er fübrte sechshundert Reiter ins Feld,
Sechshundert Reiter mit redlichem Mut,
Sie dürsteten alle Franzosenblut!“

So beginnt das „Lied vom Schill“, das der wackere Ernst Moritz Arndt gedichtet, und noch andere dichterische Kränze, auf deren Schleifen Namen wie Max von Schenkendorf und Friedrich August Stägemann stehen, ruhen auf Schills Sarg. Die Sänger der Befreiungskriege haben den Vorläufer und Vorkämpfer derselben gefeiert, mehr sogar als die siegreichen Marschälle, welche Hunderttausende in den Kampf führten.

Die Befreiungskriege sind ein großes welthistorisches Heldengedicht; der Zug Schills und der Seinen ist ein Trauerspiel der Geschichte, und wenn wir hier auf unserem Bilde die tapfern Jünglinge sehen, welche dem Kriegsgericht zum Opfer fielen und von den Kugeln der Franzosen vor den Thoren von Wesel erschossen wurden, so weht uns aus der Begeisterung für das Vaterland, die bei dem schönen Opfertod aus ihren Zügen spricht, bereits der Geist entgegen, der später auf den Schlachtfeldern siegreich die Adler des Cäsars daniederwarf und auf allen deutschen Bergen die Siegesfeuer entzünden konnte.

Und die Gestalt dieses wackern Offiziers, der in seinem heißen Zorn über die Fremdherrschaft zum Bruch der Disciplin und zu seiner verwegenen That verleitet wurde, taucht wieder vor uns auf.

Der vielbesungene Held jenes ruhmvollen Freischarenzugs, der allerdings mit Truppen des Königs unternommen wurde, Ferdinand von Schill, war 1776 auf dem väterlichen Gute Wilmsdorf bei Dresden geboren. Sein Vater war ein tapferer Veteran, der in österreichischen und sächsischen Diensten gestanden hatte, ehe er in die preußischen übertrat. Noch 1806, in hohem Alter, sammelte er bei dem Ausbruch des Krieges gegen Napoleon ein Korps von Förstern und Jägern, das aber durch den dirigierenden Minister der Provinz, den Grafen Hoym, wieder aufgelöst wurde. Der alte Schill ließ es sich jedoch nicht nehmen, seinen tapfern Sohn in Pommern zu besuchen, wo dieser den französischen Heerscharen zähen Widerstand leistete.

Schon früh hatte sich der junge Schill dem Waffenhandwerk zugewendet und war bei der leichten Reiterei eingetreten; später nahm ihn General Graf Kalckreuth in sein eigenes Dragonerregiment Anspach-Bayreuth auf. Doch zeigte Schill keine großen militärischen Talente; er war nach einer siebzehnjährigen Dienstzeit noch Sekondelieutenant. Ein Offizier der alten Schule, der ihm früher nähergestanden hatte, rief später, als der Ruhm des kühnen Soldaten sich in weiten Kreisen verbreitet hatte: „Ei, wer hätte das gedacht! Wie hat doch aus dem Schill noch etwas werden können, der nicht einmal verstand, einen Zug gehörig anzuführen.“

In der Schlacht von Auerstädt 1806 wurde er nach tapferer Gegenwehr schwer verwundet. Er schleppte sich nach Kolberg und nahm, dort wieder genesen, einen regen Anteil an der Verteidigung der Festung. In kurzer Zeit sammelte er in der Umgebung ein Freikorps von 1000 Mann zu Fuß und zu Pferde. Durch eine Reihe kühner Streifzüge wurde sein Name berühmt.

Nach dem Frieden zu Tilsit im Jahre 1807 wurde den Schillschen Truppen die ehrenvolle Auszeichnung zu teil, die ersten unter den vaterländischen Kriegsvölkern zu sein, welche in die Hauptstadt zurückkehren und einen Teil der Garnison derselben bilden sollten. Die ganze Bevölkerung Berlins jubelte den Einziehenden entgegen. Schill war der Held des Tages, der Liebling des Volkes; auch im Theater wurde er mit stürmischem Beifall begrüßt.

Diese Huldigungen berauschten den kühnen Reiterführer, so daß er die richtige Schätzung seiner eigenen Bedeutung und der Weltlage verlor, und sie trugen nicht wenig bei zu dem verhängnisvollen Entschluß, den er später faßte und der die kühnen Offiziere und braven Truppen dem sicheren Verderben weihte.

Als im Jahre 1809 die Oesterreicher gegen Napoleon ins Feld rückten, als in Hessen unter dem Obristen von Doerenberg aufrührerische Bewegungen das Schattenkönigtum Jérômes bedrohten, da glaubte er den Zeitpunkt gekommen, der zögernden preußischen Kabinettspolitik einen mächtigen Impuls zu geben. Er übernahm es, auf eigene Hand Napoleon den Krieg zu erklären als ein bahnbrechender Vorläufer, dem die preußische Armee nachfolgen würde; er glaubte, es bedürfte nur eines mutigen Vorgehens, um den überall angehäuften Zündstoff der nationalen Erbitterung in lichten Flammen auflodern zu lassen. Sein Feuergeist, von der einen Idee beherrscht, reich an genialen Gedankenblitzen, aber wenig geneigt zu ruhiger Erwägung der thatsächlichen Verhältnisse, hatte die gleichgesinnten Gemüter der jungen Kameraden mitentzündet, und er durfte [224] darauf rechnen, daß sie an dem bisher geheimgehaltenen Unternehmen, das er plante, sich mit Begeisterung beteiligen würden, sobald er zu ihnen das entscheidende Wort gesprochen. Und so geschah es am 28. April 1809, als das Regiment dem Anschein nach zu einem Uebungsmarsch zum Halleschen Thor hinausrückte. Auf dem Wege nach Potsdam ließ der Befehlshaber plötzlich Halt machen und hielt eine Anrede an die Truppen, worin er ihnen erklärte, die Zeit sei gekommen, um gegen den großen Thronräuber, der ihr Vaterland in Unglück und Jammer gestürzt, ins Feld zu ziehen. Die begeisterten Worte zündeten um so mehr, als der Redner im überströmenden Erguß seines Herzens eine goldgestickte Brieftasche in die Höhe hielt, welche jeder als ein früheres kostbares Geschenk der Königin Luise erkannte. Offiziere und Gemeine erklärten sich bereit zu jedem Opfer für König und Vaterland. Alle glaubten, das Regiment sei nur der Vortrab eines größeren Heeres, welches ihm auf dem Fuß folgen werde.

Der Würfel war gefallen; vergeblich versuchte das Gouvernement von Berlin durch einen Stabsoffizier, Major von Zellin, Schill zum Rückmarsch zu bewegen. Dieser beharrte bei seinem Vorsatze; der Bruch der Disciplin wurde ein vollständiger, und auch später setzte Schill den Befehlen seines Monarchen entschiedenen Widerstand entgegen. Anfangs ging alles gut, Schill rückte in Dessau ein; überall kamen die Sympathien der Bevölkerung ihm entgegen. Da trafen die Unglücksnachrichten ein, die Niederlage der Oesterreicher bei Regensburg, die Unterdrückung des Doerenbergschen Aufstandes, die Beschlagnahme der Papiere Rombergs, der als Schills westfälischer Agent mit den dortigen patriotisch gesinnten Bauern verhandelte – alles dies beschleunigte den Entschluß Schills, den westfälischen Regimentern entgegen zu rücken, um vielleicht durch einen Sieg das Volk in jenen Gegenden zum Widerstand gegen die Fremdherrschaft zu entflammen.

Bei Dodendorf kam es zum Treffen: der Sieg neigte sich den Schillschen zu; die westfälischen Truppen wurden zersprengt, ihre Geschütze erobert; doch die französischen Kompagnien behaupteten sich auf dem steilen Kirchhofberge: der Mangel an Infanterie hinderte die Erstürmung der Höhe.

Schill zog sich nun die Elbe abwärts nach Stendal. Hier und dort kamen einzelne Zuzügler; doch von einer Volksbewegung konnte nicht die Rede sein. Die Siege Napoleons über die Oesterreicher hatten die Stimmung in Norddeutschland niedergedrückt. Der schwunghafte Aufruf Schills an die Deutschen, „meine in den Ketten eines fremden Volkes schmachtenden Brüder“, welchen der Tollkühne in Dessau hatte drucken lassen, fand nur ein geringes Echo.

Von Kassel aber kam die Erwiderung: ein Dekret des Königs Jérôme, das Schill als einen Briganten bezeichnete und seine Soldaten den bewaffneten Räuberbanden gleichstellte, allen Militärkommandanten und Civilbeamten befahl, auf ihn Jagd zu machen, ihn zu verfolgen, in Verhaft zu nehmen und sich seiner und der Seinigen tot oder lebendig zu bemächtigen; auf seinen Kopf wurde ein Preis von 10000 Franken gesetzt. Was half dem Geächteten das Manifest, das er darauf an die Einwohner Westfalens richtete und in dem er sie zu den Waffen rief: nicht an der Spitze einer Räuberbande sei er erschienen, sondern an der Spitze der tapfersten und edelsten deutschen Männer, welche bereit seien, alles zu opfern, was ihnen teuer ist, um das Joch des fremden Eroberers zu zerbrechen. Deutsche Nationalehre und deutscher Sinn sollten nicht länger unterdrückt sein; nach dem großen Beispiele der Spanier und Tiroler gelte es, sich dem gemeinschaftlichen Feinde unseres deutschen Vaterlandes kräftig entgegenzustellen.

Doch die westfälischen Truppen, die den „Räuber“ Schill einfangen sollten, waren schon unterwegs. Gleichzeitig traf die ihn noch empfindlicher berührende Achtserklärung ein, die König Friedrich Wilhelm III von Königsberg aus gegen ihn erließ. Der Major von Schill und alle, die mit ihm gegangen waren, sollten einem strengen Militärgericht unterworfen werden, die Gesetze des militärischen Gehorsams nach jener unglaublichen That geschärfte Anwendung finden. Jedermann wurde aufs ernstlichste verwarnt, sich ähnlicher Vergehungen schuldig zu machen.

Diese Bekanntmachung erschien zu spät, um den Ausmarsch eines Teiles des leichten Infanteriebataillons von Schill zu hindern, das unter Führung des Leutnants von Quistorp Berlin verlassen hatte und in Arneburg an der Elbe bei den Schillschen eingetroffen war. Quistorp eroberte bald darauf die kleine mecklenburgische Festung Dömitz. Indessen erfuhr man, daß der General Gratien mit einem Korps holländischer Truppen von der Weser aus anrücke. Die kleine Feste war unhaltbar, ihre Behauptung auch unnötig, nachdem Schill mit dem Hauptkorps bis an die Ostsee nach Wismar vorgerückt war; sie wurde von den Schillschen geräumt und von den Holländern besetzt. Nach einem siegreichen Gefecht bei Damgarten, in welchem mecklenburgische Truppen geschlagen wurden, rückte Schill nach Stralsund vor, wo er die ahnungslose kleine französische Besatzung überraschte, nach kurzem Kampf überwand und einen Artilleriepark von 100 Geschützen, sowie einen Vorrat von 300 Centnern Pulver und eine Menge anderer Kriegsbedürfnisse vorfand. Schill nahm Stralsund und die Provinz im Namen ihres rechtmäßigen Herrn, des Königs von Schweden, in Besitz, stellte die von den Franzosen gesprengten Festungswerke wieder her, berief den Landsturm von der Insel Rügen ein und rüstete sich zum Widerstand gegen holländische und dänische Truppen, die als Alliierte Frankreichs gegen die Festung anrückten.

Der Heldenkampf in Stralsund gehört zu den ruhmreichsten Erinnerungen der deutschen Kriege gegen Napoleon; es war ein Verzweiflungskampf; denn so sehr auch Schill darauf trotzte, Stralsund behaupten zu können, so sehr er sich gegen den Gedanken einer Flucht nach England wehrte, wozu von den Kameraden schon einige Vorbereitungen getroffen wurden – er wußte doch, daß seine Sache verloren sei, und er wollte, wie er an den Erzherzog Karl schrieb, aus Stralsund ein Saragossa machen.

In fieberhafter Aufregung traf er alle Anordnungen; er hatte den Ungehorsam, den Zweifel, den Spott niederzuhalten, der ihm bisweilen bei den Untergebenen entgegen trat; er war wie im Rausch – und als der Feind, die Holländer und Dänen, endlich in die Stadt drangen, da setzte er sich zur Wehr wie einer jener Berserker der alten Sage, blindwütig niederhauend, was ihm in den Weg kam.

Doch er konnte den Gang des Verhängnisses nicht aufhalten. Schill hatte an dem entscheidenden Tage, am 31. Mai, die Feinde am Triebseer-Thor erwartet; daß dieselben ihren Hauptangriff auf das Knieper-Thor richten würden, überraschte ihn. Hier war offenbar die schwächste Stelle der Befestigungen, und dies mußte der Feind durch irgend eine Verräterei erfahren haben; die Verschanzungen waren hier noch nicht vollendet und die am wenigsten geübten Mannschaften aufgestellt. Trotz tapferer Gegenwehr wurde die Landwehr auf den Wällen in die Flucht geschlagen; Dänen und Holländer drangen durch das Thor, die Schillschen Truppen schlugen sich in Einzelgefechten mit ihnen.

Schill selbst sprengte nach dem Hafen zu durch die Fahrstraße, geriet ins Handgemenge und erhielt von einem dänischen Husaren einen schweren Hieb über die Stirn. Er hielt die Hand über die klaffende Wunde und wollte gerade umkehren, als er auf einige Holländer stieß, die an einer Pumpe damit beschäftigt waren, einem verwundeten Soldaten vom Schillschen Korps die Wunde abzuwaschen. Dieser gewahrte seinen Chef, rief aus: „Da ist Schill!“ – und sogleich schoß einer der Holländer dem schwerverwundeten Schill eine Kugel durch den Hinterkopf, so daß er tot vom Pferde fiel. Die Holländer rissen ihm den Verdienstorden vom Halse, plünderten ihn ganz aus und trugen den Toten auf den Altmarkt zum General Gratien. Schills Leichnam wurde nach dem Rathause gebracht und auf einer der dort befindlichen Fleischbänke niedergelegt. Mitglieder des Stadtrats, Schillsche Soldaten, auch der schwedische Offizier v. Parsenow, in dessen Hause Schill gewohnt hatte, wurden herbeigerufen, um die Leiche zu rekognoscieren. Parsenow dankte in gezierten Redensarten in französischer Sprache dem General Gratien, daß er die Stadt von diesem Räuber befreit habe; doch dieser sprang auf und rief: „Schill war kein Räuber, er war ein Held!“

In den Straßen wurde noch immer planlos gekämpft und geschossen, und es war keine leichte Arbeit, dem Kampf ein Ende zu machen und die zerstreuten Truppen zu ihren Kompagnien zu sammeln.

[226] Dem allgemeinen Untergang hatte sich indes eine Abteilung der Schillschen unter Führung des Leutnants von Brünnow entzogen; es waren 150 Schillsche Husaren und 300 Mann Infanterie; die sich ihm anschlossen. Sie rückten gegen das Frankenthor an; alles, was ihnen in den Weg kam, wurde niedergehauen, die Passage durch das Frankenthor erzwungen.

Vor dem Thor nahm Brünnow Aufstellung; es befanden sich bei ihm einige zwanzig Offiziere; ein holländischer Parlamentär forderte sie zur Uebergabe auf. Brünnow erklärte, er würde sich unter keiner Bedingung ergeben; wenn man ihm nicht freien Abzug auf der Stelle mit Pferd und Waffen einräume, so werde er sich lieber bis auf den letzten Mann wehren und nach zehn Minuten zum Angriff auf Tod und Leben den Befehl erteilen. Gratien wollte sich auf den Kampf mit so entschlossenen kriegsgeübten Männern nicht einlassen, er bewilligte den verlangten Abzug und bestimmte, daß die Kavallerie auf Demmin, die Infanterie auf Greifswald marschieren solle. Ein dänischer Offizier wurde kommandiert, den Schillschen Truppen das Geleite bis zu jenen Städten zu geben. Außerdem wurde von den Schillschen Truppen noch eine Abteilung von etwa 500 Mann gerettet, die sich am 24. Mai nach Rügen eingeschifft hatte. Sie landete in Swinemünde und ergab sich General Blücher auf Gnade und Ungnade. Die Offiziere beider geretteter Abteilungen wurden vor ein preußisches Kriegsgericht gestellt und milde abgeurteilt. Der alte Blücher hatte sich ihrer angenommen; 900 Mann Infanterie und 240 Mann Kavallerie waren, wie er selbst schrieb, in seiner Verwahrung. Er habe an den König um ihre Begnadigung geschrieben, sie hätten „braff“ gethan; sowohl Offiziere wie Unteroffiziere und Gemeine seien schuldlos, da Schill ihnen gesagt, es geschehe mit königlicher Bewilligung, daß sie über die Elbe gingen.

Traurig gestaltete sich dagegen das Schicksal der Schillschen Krieger, welche in die Gewalt der Feinde geraten waren. Die gefangenen Soldaten wurden unter die französischen Galeerensklaven gesteckt. Die Offiziere schleppte man über Braunschweig und Kassel nach Thionville, von dort nach Wesel, wo sie in einer Kasematte der Citadelle eingesperrt und dann vor eine militärische Specialkommission gestellt wurden. Diese elf jungen Helden waren die Leutnants Jahn, von Keller, Gabain, von Flemming, von Keffenbrink, von Trachenberg, Albert von Wedell, Karl von Wedel! und Schmidt, sowie die zwei von Schill zu Volontäroffizieren ernannten Galle und Felgentreu. Zum Verteidiger war Jean Noel Perwez aus Lüttich ernannt worden, und er führte die Verteidigung mit Kraft und Unerschrockenheit; er hob hervor, daß die Angeklagten geglaubt hätten, Schill handelte auf Befehl des Königs, und daß die Bekanntmachung desselben, in welcher er das Schillsche Unternehmen mißbilligte, nicht zu ihrer Kenntnis gekommen sei. Der Major Schill sei kein brigand gewesen, noch weniger die Offiziere seines Regiments, die, nach den bestehenden Vorschriften, der militärischen Subordination verpflichtet gewesen seien, den Befehlen ihres Chefs Folge zu leisten; er berief sich darauf, daß man einem Teile des Schillschen Korps, welches in Stralsund gekämpft hatte, eine ehrenvolle Kapitulation zugestanden habe, die man ihnen nicht bewilligt haben würde, wenn man sie als brigands angesehen hätte. Perwez zog sich durch seine energische Verteidigung der Gefangenen den Zorn Napoleons zu; er wurde nach seiner Vaterstadt Lüttich verwiesen und dort unter polizeiliche Aufsicht gestellt. Was aber konnte die wärmste, nicht auf Trugschlüssen, sondern auf Thatsachen gestützte Verteidigung nützen, wenn das Urteil schon von Haus aus feststand? Hatte man doch schon bei Anbruch des Tages, an welchem das Urteil gesprochen werden sollte, drei Gräber für die Schlachtopfer bereit gehalten. Nach einer kurzen Beratung von einer Viertelstunde wurde bereits sämtlichen Offizieren das Todesurteil verkündet.

Man gestattete ihnen noch, an ihre Angehörigen zu schreiben. Dann wurden sie auf den Richtplatz geführt, zwei und zwei mit Stricken aneinandergekettet. Mutig schritten, wie Georg Bärsch in seinem Buche „Ferdinand von Schills Zug und Tod“ berichtet, die tapferen Jünglinge auf die Richtstatt, wo 66 Musketiere ihrer harrten; für jeden von ihnen waren sechs Kugeln bestimmt. Sie baten um nochmalige Verlesung des Todesurteils und um die Vergünstigung, daß ihnen nicht die Augen verbunden würden. Das wurde ihnen auch gestattet. Auf dem Richtplatz umarmten sie sich noch einmal und riefen: „Es lebe unser König, Preußen hoch!“ Flemming warf seine Mütze in die Höhe; 66 Musketen krachten und getroffen sanken zehn von den elf zu Boden. Nur dem einen, Albert von Wedell, war bloß der Arm zerschmettert worden. Er richtete sich auf und rief den Musketieren zu, besser auf das preußische Herz zu zielen. Da trat eine neue Sektion vor, gab Feuer, und auch Albert von Wedell sank tödlich getroffen zu Boden. Von einigen dazu kommandierten Pionieren wurden die blutigen Leichname entkleidet und in die mit Wasser gefüllten drei Gruben geworfen.

So starben die Jünglinge, deren Namen in der deutschen Ruhmeshalle aufgezeichnet bleiben. Noch wenige Jahre, und ihre Rächer waren erstanden und in der Völkerschlacht bei Leipzig wurde das Joch der blutigen Fremdherrschaft zerbrochen.

Rudolf von Gottschall.