Gottfried Kinkel (Gartenlaube 1859)
[104] Gottfried Kinkel schließt einen Artikel: „Unsere Muttersprache“ in der neuesten Nummer seines „Hermann“ sehr schön, und wir möchten diese Worte den vielen Tausenden unserer Leser in Amerika, Rußland, Frankreich, Holland, Dänemark und Schweden namentlich den Müttern tief in’s Herz hineinprägen:
„Wir Deutsche im Auslande, was thun wir?
Wenn ich so frage, so meine ich nicht, daß wir in England oder Amerika uns der Kenntniß der englischen Sprache verschließen sollen. Das ist kein Nationalgefühl was aus Faulheit stammt. Im Gegentheil es ist frevelhaft, wenn der deutsche Arbeiter nur in deutscher Clique zusammenhält, wenn der Flüchtling oder Auswanderer es thöricht verschmäht, in der fremden Sprache das sicherste Mittel ehrlichen Erwerbes zu erringen, und wir haben nur Mitleid, aber kein Lob für den trägen Mann, dem nichts in der Fremde gelingt, weil seine Unwissenheit ihn immerdar zum lächerlichen Spielzeug jedes Gauners verdammt. Wer in England leben will, der lerne zuerst Englisch, nicht ein paar Redensarten, die nöthig sind, um hinter Yes und No die eigne Nationalität zu verstecken, sondern in dem vollen Umfang, der ihm zur Führung seines Geschäfts nothwendig ist. Dazu ist überall Gelegenheit; wir freuen uns, zu sehen, daß hier in London der Arbeiter-Bildungsverein einen unentgeltlichen Unterricht im Englischen durch einen wissenschaftlich gebildeten Mann empfängt; und in allen andern Städten dieses Landes stehen uns in den Mechanics' Institutes englische Abendclassen für ein Eintrittsgeld offen, das auch den Arbeiter nicht drücken kann, – Was aber soll man von deutschen Familien halten, die an ihrem eignen Heerde die Sprache der Heimath verleugnen?
Erhalte, o Deutscher in England und überall, deinem Kinde die edelste Mitgift des Vaterlandes! Last dich nicht von deinem Knaben, der die englische Schule besucht, auf das Gebiet der fremden Zunge verleiten! Bewahre deiner Tochter, du deutsche Mutter, den reichsten Schatz menschlicher Bildung, indem du ihr die Sprache rettest, in welcher Goethe und Schiller reden!
Wer seine Sprache verleugnet, der verleugnet seine Nation. Der Tag kommt, und viele von denen, die heute leben, werden ihn sehen, wo es in der Fremde ein Stolz sein wird, ein Deutscher zu heißen. Es ist leicht, ein Vaterland zu lieben, wenn es groß und mächtig die Welt beherrscht; einen rechten Charakter aber schätzt man danach, ob er die Mutter noch ehrt in ihrer Armuth und Niedrigkeit.“