Geographie des Welthandels
[91] Carl Andree, Geographie des Welthandels. Bd. I. Vom II. Bande Lief. 1. 2. Stuttgart (J. Maier) 1867–69. gr. 8.
In dem vorliegenden höchst lebendig und geistvoll geschriebenen Werke findet jeder Freund der Erdkunde einen Reichthum von Darstellungen und Betrachtungen über die Eigenthümlichkeiten der Länder und Völker, über ihre historische Entwickelung und die Geschichte der Verkehrswege, wie über die Bedeutung der gegenwärtigen Handelswege und Handelsplätze, mit sorgfältiger Benutzung und dem Nachweis der neuesten Quellen, und zum Theil wörtlicher Einführung der Beobachter an Ort und Stelle, so daß ein großartiges Gemälde entrollt wird, das wir nur dankbar begrüßen können. Der Verfasser ist sehr fern davon geblieben, ein trockenes Gerippe der Handelsgeographie zu entwerfen, er stellt die Handelsbewegung und das Verkehrsleben selbst dar, begründet die Ursachen und Wirkungen und die Bedeutung des Kaufmanns als Vermittler der Civilisation. Nur Eines vermissen wir: die Anerkennung, daß auch hierin das göttliche Walten sich offenbart, wie trotz aller Schwächen und Verbrechen der Menschen der Fortschritt zur wahren Cultur des Seelenlebens der Völker sich dennoch erfüllen muß. Die oft heillose Verwirrung und blutige [92] Reaction, welche durch christliche Missionen herbeigeführt wurden, die durchaus unerfüllt gebliebenen Voraussetzungen falsch geleiteter Missionsanstalten sind mit Recht scharf hervorgehoben, doch glauben wir, daß außer den materiellen Fortschritten der Handelsverhältnisse doch die geistigen Interessen der Völker mehr Beachtung verdient hätten. – Nach interessanten, einleitenden Betrachtungen über den Weltverkehr in neuester Zeit, und über die Stellung des Kaufmanns in alter Zeit und in unseren Tagen, werden die verschiedenen Arten des Handelsbetriebs, verschiedene Werthmesser und die Weltverkehrssprachen, dann die Bedingungen für Messen und Märkte in den ersten Kapiteln geschildert, und die Bedeutung der verschiedenen Märkte für den Weltverkehr mit historischen Rückblicken characterisirt. Darauf wird in einem umfangreichen Abschnitt (gegen 200 S) der Karawanenhandel, dessen Betrieb und Verzweigungen in den verschiedenen Erdtheilen, großentheils geschichtlich entwickelt, mit Charakterisirung der den Verkehr bedingenden Verhältnissen der Gegenwart, so daß dieser Abschnitt schon eine lebendige Darstellung sehr umfassender und ins Detail gehender, mannichfaltiger Verhältnisse zur Kenntniß der verschiedenen Landschaften und Völker gewährt.
In einem noch umfassenderen Abschnitt (248 S.) wird der Welthandel auf dem Ocean in sehr vielseitigen Betrachtungen besprochen: die Bedeutung des oceanischen Handels für die germanischen Völker und seine Fortschritte; die Gefahren der Seeschifffahrt und die Gegenwirkungen, die dadurch hervorgerufen sind; der Seeraub von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart; Einwirkung von klimatischen Verhältnissen als Hindernisse; Gestaltungen der Küsten und des Meeresbodens; Salzgehalt und Dichtigkeit; Wellen und Fluthen; Strömungen und Winde; die Verschiedenheit der Oceane und ihrer Theile; der große Fischfang, sein Betrieb und seine Bedeutung. – Mit dem VIII. Capitel (133 S.), die geographische Verbreitung der wichtigsten Handels-Ereignisse, schließt der erste Band des inhaltreichen Werkes, dem ein Inhaltsverzeichniß und Register beigegeben sind.
Die beiden ersten Lieferungen des 2. Bandes beginnen mit den Darstellungen Afrikas und Asiens. Zuerst werden die Nordküsten Afrikas und ihre Beziehungen zum Innern des Continents, dann die Westküsten mit ihren Ansiedlungen und ihrem Einfluß auf den europäischen Handel und die Fortschritte der Civilisation ausführlich und geschichtlich behandelt, zugleich mit der Betrachtung der Niger-Länder und der westafrikanischen Inseln. Dann werden die Cap-Region und alle Einwirkungen, die von dort aus auf das Leben der Kaffern und Betschuanen ausgingen, geschildert, und hierauf der immermehr absterbende Einfluß der portugiesischen Niederlassungen an der Ostküste Afrikas. Dann folgt die geschichtliche Darstellung des Verkehrs der Araber mit den ostafrikanischen Küstenländern und dem Innern Afrikas, und die europäischen Verkehrsverhältnisse mit den Küstenländern, die von dem Sultan von Sansibar beherrscht werden. Hierauf wird eine ausführliche Betrachtung der ostafrikanischen Inseln, der Kuli-Einwanderung in diese und ihre Bedeutung geliefert. Dann folgen Blicke auf die Region des rothen Meeres mit einer Beleuchtung der möglichen Bedeutung des Canals von Suez, dem jedoch für die Entwicklung des Welthandels eine geringere Einwirkung zugeschrieben wird, als dies der Fall sein würde für die Küstenländer [93] des Mittelmeeres. Ihnen schließt sich die Betrachtung des östlichen Sudan und der Region der Aequatorial-Seen, und zuletzt die Darstellung Aegyptens in seiner Bedeutung für die Gegenwart an.
Bei der lebensvollen und vielseitigen Behandlungsweise und der Art der Eintheilung des vorgetragenen Stoffes, ist manche Wiederholung und manche Hinweisung auf schon früher Vorgetragenes nicht zu vermeiden gewesen, doch verdient die Klarheit und Lebendigkeit der Darstellung volle Anerkennung. Sie verbreitet oft ein durchaus neues Licht auf viele Beziehungen, die bisher in Dunkel und Unbestimmtheit geblieben sind, und sind besonders werthvoll für die ethnographischen, wie für die gegenwärtigen Verhältnisse.
Von Asien giebt die 2. Lieferung des 2. Bandes zunächst nach allgemeinen culturhistorischen Betrachtungen die ausführliche und vielseitige Darstellung Arabiens, mit Benutzung der neuesten Berichte aus diesem Lande, dann die Beleuchtung Vorderasiens, namentlich der syrischen (phönicischen) Küstenregion und Palästina’s, Kleinasiens mit den Sporaden und der pontischen Küste, dann Armeniens, Kurdistans und der Landschaften des unteren Euphrat und Tigris, wobei auch die Bedeutung der projectirten Euphratbahn besonders hervorgehoben ist. Die Eigenthümlichkeiten Persiens, seine Producte, sein Handelsbetrieb und seine Industrie, werden dann charakterisirt, die Durchgangslandschaften Beludschistan und Afghanistan in ihrer Bedeutung beleuchtet, und hierauf die Länder der Turkmanen, sowohl der westlichen Chanate Turkestans, die zum Theil dem Fortschreiten Rußlands nach Inner-Asien unterworfen worden, als des östlichen Turkestans, das erst in den letzten Jahren seine Unabhängigkeit von der Chinischen Herrschaft erkämpft hat. Die Betrachtung der Chinesischen Nordprovinzen am Himmelsgebirge und ein Ueberblick der allgemeinen Verkehrsverhältnisse Inner-Asiens geht dann der ausführlichen Beschreibung der russischen Besitzungen in Asien voran, und wird hier bei der Behandlung von Trans-Kaukasien, der Kirgisen-Steppe, der weiten Regionen Sibiriens und der Amur-Länder manches Interessante und Neue beigebracht. Hierauf folgt eine historische Darstellung der Eröffnung des Handelsbetriebs mit dem japanischen Inselreich, die Schilderung seiner Producte und seiner eigenthümlichen Civilisation, so wie des jetzigen Standpunktes des europäischen Verkehrs mit diesem Reiche. Das chinesische Reich und seine Nebenländer werden erst zum Theil in dieser 2. Lieferung des 2. Bandes abgehandelt; der Handelsgeist und die Gewerbsamkeit dieses großen Volkes, die Bedeutung der fortgesetzten Auswanderungen der Chinesen nach allen Erdtheilen, die Bedeutsamkeit der deutschen Seeschifffahrt in diesem fernen Osten, die Folgen der erweiterten Dampfschifffahrt auf den chinesischen Strömen geben dem Verfasser Veranlassung zu höchst interessanten Bemerkungen.
Alles Vorstehende, dessen Gehalt hier nur kurz characterisirt werden konnte, zeigt die große Bedeutung dieses hoffentlich ungehindert fortschreitenden Werkes für die Erdkunde. Es ist in Lexicon-Format mit engem, doch deutlichem Druck gut ausgestattet, und gehört alles bis jetzt Erschienene zu dem I. Hauptstück, das den practischen, für den Kaufmann besonders bestimmten Theil der Geographie des Welthandels geben soll. Die folgenden Hauptstücke sollen Luft, [94] Land, Wasser und eine Characteristik der Handelsvölker im Allgemeinen umfassen, und wird das Ganze mit einer handelsstatistischen Uebersicht abschließen.
Bei dem Bestreben des Verfassers, in jedem gelieferten Abschnitt so umfassend und eingreifend wie möglich seinen Gegenstand durchzuführen, ist freilich bereits so Manches aus dem noch verheißenen allgemeinen Theile berührt worden, doch kann dem weiteren Abschluß des ganzen Werkes nur mit großem Interesse entgegen gesehen werden.