Alaska. Reisen und Erlebnisse im hohen Norden
Nur sparsam waren aus dem nordwestlichen Theile Nordamerika’s, so lange dieses gewaltige Ländergebiet unter russischer Hoheit stand, Nachrichten zu uns gedrungen, und auch diese beschränkten sich vorzugsweise auf die wenigen Handelsposten, welche als Centralpunkte für den Pelzhandel mit den Indianern von den Russen theils an der Küste des Stillen Oceans, theils auf den davorliegenden Inseln errichtet waren. Erst seitdem die beabsichtigte Telegraphen-Verbindung zwischen Amerika und Asien eine genauere Durchforschung der unwirthlichen Gestade beider Erdtheile erheischte, als amerikanische und russische Ingenieure unter unsäglichen Strapazen sich dieser mühsamen Aufgabe unterzogen, endlich seitdem das russische Amerika in Besitz der nordamerikanischen Union übergegangen war und die wachsenden commerciellen Interessen eine nähere Untersuchung der zu den indianischen Binnenstämmen führenden Land- und Wasserstraßen nothwendig machten, begann die wissenschaftliche Forschung den winterlichen Schleier, welcher jene Gegenden umhüllt, zu lüften. Das vorliegende [89] Werk haben wir als einen Erstlingsversuch zur Bereicherung unserer Kenntnisse jener Gegenden zu betrachten, ein Buch, dessen Verfasser – ein Bruder des durch seine Forschungsreisen in Grönland bekannten Whympers – als Maler die verschiedenen von den Vereinigten Staaten zur Untersuchung der Küsten Amerikas und Asiens ausgesandten Expeditionen begleitete und seine Fahrten mit einer Beschiffung des Jukon bis zum Fort Jukon beschloß. Es ist eine Reihe von Schilderungen, die, wenn sie auch nicht gerade auf strenge Wissenschaftlichkeit Anspruch machen, doch immerhin viel Neues bieten, und von der frischen, jovialen, durch kein Ungemach getrübten Künstlernatur des Verfassers Zeugniß ablegen. Wir übergehen hier die Kreuz- und Querzüge des Verfassers von San Francisco aus durch die Küstenstriche von British Columbia, durch Vanconver – von den theilweise recht abenteuerlichen Wanderungen durch diese Insel hätten wir namentlich einen größeren Gewinn für die Geographie gewünscht –, sowie seine persönlichen Erlebnisse auf seinen verschiedenen Reisen nach der Küste Kamschatka’s, auf welchen er sich den Telegraphen-Ingenieuren angeschlossen hatte, und ziehen es vor, ihn auf seiner Fahrt auf dem Jukonfluß, dessen Lauf er stromaufwärts bis zum Einfluß des Porcupine folgte, zu begleiten. Nach einem Besuch der Mündung des Anadyr und der Plover Bai wandte sich unser Reisender nach dem amerikanischen Gestade zurück zur Erforschung des Jukon, des mächtigsten aller in den Stillen Ocean mündenden Flüsse. Da eine Beschiffung dieses Stromes, der von 158° westl. L. Gr. an seine westliche Richtung in einen gewaltigen Bogen nach Süden ändert, stromaufwärts zu zeitraubend gewesen wäre, so ging Whymper’s Streben dahin, den Mittelauf des Jukon auf einem näheren Wege zu erreichen. Solcher Straßen gab es zwei, die erstere von der auf der St. Michaelisinsel gelegenen Redout Michaelowski (nach Zogoskin’s Berechnung 63° 28′ nördl. Br. und 161° 44′ westl. L. Gr., nicht 16°, wie fälschlich im Text steht) zum Jukon etwa 230 engl. Meilen lang, die zweite von dem gleichfalls am Norton Sound an der Mündung des Unalachleet gelegenen russischen Handelsposten gleichen Namens (63° 53′ 33″ nördl. Br. – 160° 30′ 16″ westl. L. Gr.), letztere etwa 170 Meilen lang. Diese wählte der Verfasser und brach von dem Posten Unalachleet am 27. October 1866, wohlausgerüstet mit Schlitten und Lebensmitteln, auf. Soweit der gefrorene Fluß es erlaubte, wurde seine Eisdecke als Fahrstraße benutzt, während an manchen Punkten, wo Sandbänke und Stromschnellen das Gefrieren verhindert hatten (S. 164 5. Z. v. o. muß „Unalachleet“ statt „Jukon“ stehen), Landwege, auf denen die Reisegesellschaft freilich mit manchem Ungemach zu kämpfen hatte, eingeschlagen werden mußten. Hinter dem Indianerdorf Igtigalik wurde der Fluß verlassen und zunächst der noch offene Ululuk-Fluß, ein Seitenarm des Unalachleet, an dem die Ingelete-Indianer ihre Hauptdörfer haben, überschritten und dann die Reise ausschließlich zu Lande längs des Ululuk-Gebirges bis zum Jukon fortgesetzt, von dessen Steilufern die Reisenden am 10. November zuerst auf die mächtige Eisdecke des Stromes herabblickten. „Denkt man sich, sagt der Verfasser, einen Fluß von 2000 engl. Meilen Länge, der von diesem Punkte an auf seinem ganzen Laufe eine bis fünf Meilen breit ist, von der Quelle bis zur Mündung als eine unter Schnee liegende Eismasse, so kann man sich den Jukon im Winter denken. Keine Feder und kein Pinsel vermag von der furchtbaren Größe, der ungeheuren Monotonie, dem unermeßlichen [90] Raum, der sich vor uns entfaltet, eine Vorstellung zu[WS 1] geben.“ – Bis zum 13. November wurde in dem am Ufer liegenden Ingelete-Dorf Coltog gerastet und dann die Schlittenreise auf dem Jukon, mit Ausnahme der Stellen, wo Flußkrümmungen auf Landwegen abgeschnitten werden konnten, bis nach Nulato, dem nördlichsten Posten der russischen Pelzhandelgesellschaft (64° 42′ 11" nördl. Br., 157° 58′ 18″ westl. L. Gr.) fortgesetzt. Auf diesem einsamen, im J. 1842 von Derabin gegründeten und von Zagoskin im folgenden Jahre ausgebauten Posten blieben Whymper und der Bostoner Naturalist Dall den Winter über, während ihre beiden Begleiter, der Kapitain Ketschum und der Officier Labarge ihre Weiterreise auf dem gefrorenen Jukon zu dem oberen Quellgebiet dieses Flusses fortsetzten. Die Beschreibung des Winteraufenthaltes im Fort Nulato dürfte für spätere Besucher dieser Gegenden freilich wenig Anziehendes bieten. So zeigte in dem von Whymper bewohnten Zimmer das Thermometer am Fußboden +° F., oben hingegen +60–65° F., und es ereignete sich, daß das Skizziren mit Wasserfarben innerhalb des Hauses aus dem Grunde aufgegeben werden mußte, weil der Pinsel, obgleich in warmes Wasser getaucht, sich während des kurzen Weges vom Topf bis zum Papier mit einer dünnen Eishaut überzog. Im Freien war am 5. December, dem kältesten Tage, das Thermometer bis –58° F. (–40° R.) herabgesunken. Der Januar war der kälteste Monat und hatte drei Tage, an denen die Temperatur unter dem Gefrierpunkt des Quecksilbers war, aber obgleich die mittlere Kälte die des December übertraf, waren einzelne Tage des letzteren doch strenger gewesen. Im December gab es 6 Tage, an denen das Thermometer unter dem Gefrierpunkt des Quecksilbers stand, und im ganzen Winter kamen elf solcher Tage vor. Nur das Fehlen von Wind und Schnee ermöglichte einen längeren, zur Erhaltung der Gesundheit nothwendigen Aufenthalt im Freien, der denn auch vielfach zu Jagdausflügen über den hier ¾ engl. Meilen breiten Fluß benutzt wurde. Am 19. Mai begann endlich der Aufbruch des Jukon, auf dem nun tagelang in ununterbrochener Reihe gewaltige Eisschollen, entwurzelte Baumstämme und Treibholz vorbeitrieben, und obgleich das Fahrwasser nach acht Tagen noch an vielen Stellen mit diesen für die Schifffahrt so gefährlichen Riffen bedeckt war, so wagten doch bereits am 29. Mai die Reisenden mit ihrer Dienerschaft, in zwei Baidarren vertheilt, die Bergfahrt auf dem Jukon, auf der sie zunächst mit dem mächtigen Stamme der Co-Jukon-Indianer in nähere Berührung kamen, welche das ganze Gebiet von der Einmündung des Co-Jukon bis Nuclukayette an der Vereinigung des Tanana mit dem Jukon bewohnen. Zwar in Bezug auf Sprache den Ingelete’s nahe verwandt, unterscheiden sich doch die Co-Jukon-Indianer in ihrer äußeren Erscheinung und ihrem Charakter so wesentlich von jenen, daß Whymper geneigt ist, sie für Autochthonen zu halten. Trotz ihrer gefürchteten Wildheit zeigten sie sich doch im Verkehr mit den Reisenden äußerst friedlich, so daß diese bereits am 23. Juni unbehelligt das Fort Jukon erreichten. Der Aufenthalt in diesem im Jahre 1847 gegründeten Fort bot dem Verfasser mannigfache Gelegenheit zum Verkehr mit den verschiedenen Indianerstämmen, da hier der Centralpunkt für den Pelzhandel der Anwohner des oberen Jukon und seiner Nebenflüsse ist, und der Maler fand daher in dem rings um das Dorf aufgeschlagenen Zeltlager der Indianer ein reichhaltiges Material für seine ethnographischen Skizzen. Am 29. Juni kehrten auch die beiden obenerwähnten [91] amerikanischen Officiere Katcham und Labarge wieder von ihrem Ausfluge, auf welchem sie bis zu der verlassenen und zerstörten Niederlassung Selkirk am oberen Jukon vorgedrungen waren, zurück; dieselben hatten zur Fahrt auf diesem Fluße stromaufwärts von Fort Jukon bis Selkirk 29 Tage (600 engl. Meilen) gebraucht, während sie die Thalfahrt, den nothwendigen Aufenthalt abgerechnet, in 4 Tagen zurücklegten. Mit einer ähnlichen Schnelligkeit wurde auch von der nun wieder vereinigten Reisegesellschaft die Rückfahrt auf dem Jukon bis zu seiner Mündung ausgeführt, da die 1300 engl. Meilen lange Thalfahrt nur 15½ Tage in Anspruch nahm, nämlich 5 Tage 20 Stunden vom Fort Jukon bis Nulato und 9½ Tage von dort bis zur Uphun-Mündung. – Beachtenswerth sind die Bemerkungen des Verfassers über den Zusammenhang der grönländischen Eskimo’s im Osten mit den aus Asien über die Aleuten hinüber gewanderten Mameluten und Tschuktschen im Westen, wie denn der Verfasser überhaupt als Maler den ethnographischen Verhältnissen eine größere Aufmerksamkeit geschenkt hat, als den geographischen, und diese durch eine Reihe sauber ausgeführter Illustrationen zur Anschauung gebracht hat. Weniger befriedigend freilich ist die Karte; wir wollen jedoch darüber mit dem Verfasser nicht zu sehr rechten, da die von Arrowsmith auf Grund der Kompaß-Peilungen und Distanz-Schätzungen Whympers entworfene Karte des mittleren und oberen Laufes des Jukon erst später durch die wissenschaftlicheren Arbeiten der Herren Katchum und Labarge rectificirt und in dieser allerdings von den Whymperschen Angaben wesentlich verschiedenen Neugestaltung von dem Bostoner Naturalisten Herrn Dall bereits in den Petermann’schen Mittheilungen (1869. S. 361 ff.) publicirt worden ist. – Was die Uebersetzung und Ausstattung betrifft, so schließt sich dieses Buch wiederum würdig den früheren Publicationen der Westermann’schen Buchhandlung an.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: su