Gemüthliche Wartburgfahrt

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Titel: Gemüthliche Wartburgfahrt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 464
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[464] Gemüthliche Wartburgfahrt. Wenn man sich erinnert, auf welche Weise politische Verbrecher auf ihrem Transporte nach dem Gefängniß und in demselben jetzt gewöhnlich behandelt werden, so wird Manchem nicht uninteressant sein, zu vernehmen, mit welcher Gemächlichkeit im Anfange dieses Jahrhunderts beim Transport eines Gefangenen im Großherzogthum Weimar verfahren wurde, obgleich derselbe, wenn auch kein gemeiner Verbrecher, doch zu schwerer Strafe verurtheilt war. Der Hergang ist der Wahrheit getreu erzählt und ich lasse den damals Verurtheilten selbst reden.

Im Jahre 18– studirte ich in Jena und wurde in eine Pistolen-Duellgeschichte verwickelt, die leider zu einer gerichtlichen Untersuchung führte und mir eine zweijährige Gefängnißstrafe zuzog. Zur Abbüßung derselben sollte ich nach der Wartburg transportirt werden. Eisenbahnen gab es damals noch nicht und meine Uebersiedelung geschah auf meine Kosten in einem bequemen Wagen. Am Tage vor der Abfahrt wurde mir ein Unbekannter in meine Zelle geführt, der mich fragte, ob ich wohl erlauben wollte, daß er morgen mitführe. Er müsse nach Eisenach und habe gehört, ich führe morgen nach der Wartburg und hätte noch Platz im Wagen. Ich sagte ihm, daß ich darüber wohl nichts zu bestimmen haben könnte, da ich als Gefangener nach der Wartburg transportirt würde, sonst aber recht gern Gesellschaft haben möchte, weil die Reise lang genug wäre; er solle sich doch an den Unterofficier wenden, dem ich zum Transport überwiesen sei. Ja, meinte er, gerade der habe ihm davon gesagt und habe nichts dagegen, sobald ich einwilligte.

„So fahren Sie getrost mit,“ sagte ich, „morgen früh um drei Uhr geht’s fort.“

Zur gedachten Stunde traf der Herr auch pünktlich ein und mit ihm mein Unterofficier, ein recht gemüthlich aussehender, dicker Kerl. Er grüßte mich freundlich und sagte, indem er auf sein vollständig ausgerüstetes Gewehr zeigte und seinen Mund lächelnd bis an die Ohren zog: „Is nich geladen.“

Ich lachte, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: „Brauchen’s auch nicht.“

Wir gingen nun hinunter. Der Regen floß in Strömen. Ich mußte zuerst in die Kutsche, hierauf kam der blinde Passagier und dann schlug der Unterofficier den Wagen zu und wollte sich auf den Bock setzen.

„Um Himmelswillen, kommen Sie doch bei dem scheußlichen Wetter mit in den Wagen!“ rief ich.

„Nun, wenn Sie’s erlauben. Aber – es geht doch nicht, ich bringe mein Gewehr nicht in den Wagen hinein.“

„Dann lassen Sie es doch draußen!“

„Ja, das darf ich nicht. Aber – das Wetter ist doch gar zu schlecht. Sie werden mir nicht weglaufen, ich will es riskiren.“

So wurde das Gewehr dem Kutscher übergeben und mein Unterofficier setzte sich zu uns in den Wagen. Unterwegs wurde hie und da ein Bischen gekneipt, bis wir gegen Mittag nach Erfurt kamen. Dort wohnte ein Onkel von mir und zu ihm zog ich in Begleitung meiner Militärbedeckung und unseres Gefährten. Wir wurden mit Freuden aufgenommen, brillant bewirthet und bestiegen vollgestopft und vollgetrunken in sehr heiterer Stimmung wieder unsern Wagen. Gegen Abend kamen wir nach Eisenach und vermehrten dort unsere Heiterkeit noch durch einige Seidel, bevor wir den Weg auf die Burg antraten, den wir zu Fuß abmachten, weil unser Kutscher aus Schonung für seine Pferde uns gebeten hatte, ihm die Strecke auf die Höhe zu erlassen. Das Wetter war schon gegen Mittag schön geworden. Unser Gefährte blieb in Eisenach zurück.

Als wir ungefähr zehn Minuten gegangen waren, schrie der Unterofficier plötzlich:

„Alle Donnerwetter! ich habe mein Gewehr und meine Handschuhe unten gelassen.“

„Was schadet denn das?“ sagte ich. „Sie haben, dächt’ ich, doch nun zur Genüge gesehen, daß Sie es nicht brauchen.“

„Um Himmelswillen, das geht nicht!“ rief er, „wie soll ich mich oben präsentiren mit einem Gefangenen ohne Gewehr und ohne Handschuhe? Das wäre eine schöne Geschichte! Nein, nein, es geht durchaus nicht.“

„Nun, so laufen Sie zurück und holen Sie die Sachen!“

„Und soll Sie hier allein lassen? Das ist doch fast zu arg!“

„Dummes Zeug! laufen Sie schnell zurück; ich gehe langsam weiter, und Sie werden mich bald wieder eingeholt haben.“

Der Unterofficier schüttelte zwar den Kopf, trabte aber davon. Ich war beinahe bis an die Burg gelangt, als er keuchend und schweißtriefend wieder ankam. Nun ging’s in die Burg hinein und zum Castellan. Der war nicht da, aber seine Frau.

„Ach, schönen guten Abend! Die Herren wünschen wohl die Burg zu sehen. Mein Mann kommt gleich.“

„Um Vergebung,“ sagte ich, „ich denke, ich werde wohl noch Zeit genug haben die Burg zu sehen. Ich bin als Gefangener hier.“

„Als Gefangener? Davon wissen wir ja gar nichts. Sie können heute nicht hier bleiben; wir – nun, da kommt mein Mann.“

Jetzt trat der Unterofficier auf den Castellan zu und meldete militärmäßig mich als Gefangenen an.

„Einen Gefangenen!“ sagte dieser. „Davon wissen wir hier nichts. (Später stellte es sich nämlich heraus, daß aus Versehen die gerichtliche Benachrichtigung nicht angelangt war.) Es ist nichts vorbereitet und der Gefangene kann nicht hier bleiben.“

„Ja, was sollen wir da machen?“ sagte der Unterofficier.

„Machen Sie was Sie wollen; hier bleiben kann er heute Nacht nicht. Gehen Sie mit ihm zum Herrn Director, der ist jetzt unten in Eisenach in seiner Wohnung, und hören Sie was der sagt.“

Es blieb uns nichts Anderes übrig; wir stiegen wieder hinab und gingen zum Burgdirector in Eisenach. Der wußte auch von nichts. Uebrigens hatte ich aber an ihn eine Empfehlung von einem meiner Verwandten.

„Ich freue mich sehr Ihre Bekanntschaft zu machen,“ sagte er. „Es muß ein Versehen sein, daß wir gar keine Nachricht bekommen haben. Hm! Was machen wir nur? Ich würde Sie sehr gern bei mir im Hause beherbergen, aber ich habe die Räumlichkeit nicht dazu. Wissen Sie was! Gehen Sie doch für eine Nacht in den ‚Mohren’; das ist ein sehr guter Gasthof, und morgen begeben wir uns dann zusammen auf die Wartburg. Sie geben mir natürlich Ihr Ehrenwort, daß Sie nicht durchbrennen.“

Das gab ich und ging in den „Mohren“, wo sich der Unterofficier bei mir verabschiedete. Andern Tages ging ich mit dem Director auf die Burg und wurde als Gefangener installirt, d. h. ich erhielt ein sehr gutes Zimmer und ausgezeichnete Kost, die ich mir gegen Bezahlung nach Belieben bestellte.

„Wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie keinen Fluchtversuch machen wollen,“ sagte mir am Nachmittag der Castellan, „so könnten wir hier oft zusammen auf die Jagd gehen; es hat hier einen schönen Wildstand.“

So jagte ich, aß und trank vortrefflich und lebte so angenehm, daß es mir beinahe leid that, als ich erfuhr, daß meine Haft im Wege der Gnade von zwei Jahren auf vier Wochen herabgesetzt worden war.