Geist der Zeit
(1889.)
Sie stiegen auf aus ew’ger Nacht, aus Kohlenstaub und gift’gen Schwaden,
Sie stiegen auf aus tiefem Schacht, wo schaffend sie in Schweiß sich baden,
Doch nicht, um schon nach kurzer Rast die Haue wiederum zu schwingen,
Um unermüdlich Last auf Last empor ans goldne Licht zu bringen,
Er wußte gut, daß er „vor Ort“ so bald nicht wieder stehen werde.
Daß er für den geringen Lohn gesprengt, gehauen und gegraben
So viele schwere Jahre schon – das sollte nun ein Ende haben,
Und wenn kein günstig, willig Ohr das Fordern der Gedrückten fände,
Dann sank im mächtigen Bereich, in dem die Förderkörbe steigen,
Auf jedes Kohlenwerk zugleich die Todtenstille und das Schweigen;
Und sollten sie mit Weib und Kind elendiglich dabei verhungern.
Des Schweigens und des Todes Bann lag auf den Stätten rüst’gen Fleißes,
Und staunend und ergriffen fand man heldenmüthig dieses Ringen,
Sah einen bitterarmen Stand man unerhörte Opfer bringen.
Und als der Trotz der Werke brach, weil obgesiegt der Arbeit Schaaren,
* * *
Sie standen vor dem Mastenwald, der an die Docks herangeschwommen,
Sie haben finster, spöttisch bald, die Reih’n in Augenschein genommen,
Doch Keiner regte seinen Arm und Keiner straffte seine Sehnen,
Man sah der starken Männer Schwarm stumm an den Brüstungsgittern lehnen,
Sie standen viele Tage schon, die Hände trotzig in den Taschen.
Was war’s, das plötzlich in sie fuhr, gleich einem Blitz, und nicht vergebens?
Das war ja die Elite nicht der Workingmen, geschult in Kämpfen,
Das war der tiefste Bodensatz, aus dem wir ohne Ende schöpfen,
Denn wir – wie ist das Wort am Platz! – nach „Händen“ zählen, nicht nach Köpfen.
Und nun der Trotz, der gleiche Geist in jeder Stirn, in jedem Herzen,
Die Klarheit, die sich Ziele weist durch Elend, Hunger, Noth und Schmerzen?
Wie sollten fürder sonst die Herrn zu jeder Form die Masse kneten?
Und doch, sie litten stumm und groß, sie hungerten und darbten stoisch,
Sie kämpften für ein menschlich Loos bewußt, besonnen und heroisch,
Und als nach Jammer, Krampf und Schmerz sie obgesiegt in gutem Streite,
* * *
Wer hat, bei Braten und bei Fisch prassend, des Volks Gemüth „vergiftet,“
Wer hat, die ihr doch Alles wißt, gedroht, versprochen und gebettelt,
Wer hat mit schnöder Hinterlist heimlich das Alles angezettelt?
Die Ehre, die der Rost benagt, wird unermüdlich neu vergoldet;
Hat Keiner von der heil’gen Schaar den Namen dessen euch verrathen,
Der alles Uebels Vater war, des ränkelust’gen Demokraten?
Wo steckt, der in Bewegung setzt mit einem Wink die träge Masse,
Ihr schweigt? Ihr kennt ihn selber nicht, ihr, die ihr Alles wissen müßtet –
Er kam euch diesmal nicht in Sicht, so sehr euch auch danach gelüstet.
Was dieser Männer Brust durchloht mit Kampfesernst, der bar des Neides,
Das war die grimme nackte Noth, das war das Uebermaß des Leides;
Die unerreicht und ungeweckt bisher in fahlem Dämmern schliefen,
Sie waren ur-elementar, wie wenn ein Krampf den Erdball schüttelt.
Da halten keine Floskeln Stich, – in diesen Streiks, die sie gewonnen,
Anmerkungen (Wikisource)
Ebenfalls abgedruckt in:
- "Der Wahre Jacob" Nr.84 S.665 (Titelseite , 1889)
- Lavant, Rudolf (d. i. Richard Cramer): Gedichte. Hrsg. v. Hans Uhlig. Berlin, Akademie Verlag 1965 (Seite 31).