Geburtstag (Die Gartenlaube 1893)

Textdaten
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Autor: Charlotte Niese
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Titel: Geburtstag
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, 52, S. 871–874, 887–891
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Geburtstag.

Humoreske von Charlotte Niese.

Heute ist der Geburtstag nicht mehr das schönste Fest, das man feiern kann; ehemals aber, als wir noch Kinder waren, gab es nichts Besseres, als den Tag festlich zu begehen, an dem wir das Licht der Welt erblickt hatten. Wir durften eine Kindergesellschaft haben, die um vier Uhr nachmittags mit Chokolade und Kuchen begann und um Acht mit Butterbrot und Glühwein endete. Glühwein! Noch heute werden wir Geschwister begeistert, wenn wir an den Glühwein denken, den unsere Mutter mit unübertrefflicher Kunst bereitete. Er bestand aus viel Wasser, etwas Rothwein, Nelken und Zucker und wurde aufgekocht. Wir hatten einmal einen Gast aus der Großstadt, der uns erzählte, daß er schon Champagner getrunken hätte. Auf diese Heldenthat bildete er sich etwas ein. Wir aber fragten ihn, ob er schon jemals Mamas Glühwein gekostet hätte. Er mußte die Frage verneinen, und darauf erklärten wir, daß er überhaupt von Wein gar nichts verstände, wenn er unseren Glühwein nicht kennte.

Ja, solch ein Geburtstag mit Chokolade und Glühwein war herrlich; aber man hatte an diesem Tage doch auch seine Aufregungen. Nämlich die, daß man nicht ganz genau wußte, was die Eingeladenen einem schenken und ob sie auch etwas schenken würden. Man that natürlich, als wäre einem die Gabe ganz einerlei, als freute man sich nur über die Anwesenheit des geliebten Freundes; im stillen aber rechnete man doch schon aus, ob man wohl ebensoviel Geschenke bekäme, wie man Spielgenossen eingeladen hatte.

Und was war es wohl, das sie, sauber in Papier gewickelt, auf den Geburtstagstisch legten? Man sah natürlich nicht gleich nach, man spielte den Unbefangenen und sprach vielleicht sogar vom Wetter, wie die Großen immer thaten – dann aber riß man doch mit eiligen Händen eine Papierhülle nach der anderen ab, während der Geber dicht dabei stand und meistens erzählte, wie viel das Geschenk gekostet habe. Es waren keine Unsummen, die ausgegeben wurden – manche brachten auch eine Gabe, die schon durch die halbe Stadt als Geschenk gewandert war, und die meisten schenkten eine Papeterie.

Das war ein großer buntbedruckter Umschlag, in dem sich drei bis vier mit Vergißmeinnicht und Rosen geschmückte Briefbogen, ebensoviele Kouverts und einige Gummi-Oblaten befanden. Es war ein hübsches Geschenk, wie Herr Metzger uns versicherte. Der handelte nämlich mit Papeterien und anderen schönen Dingen, und er verstand es ausgezeichnet, uns die Nützlichkeit dieser Sachen eindringlich darzustellen. Deshalb freuten wir uns auch immer, wenn wir eine Papeterie bekamen; als ich aber einmal an meinem Geburtstage zehn erhielt, da weinte ich doch ein wenig, und es bedurfte des Zuredens meiner gesamten Familie, um mir wieder die schöne Fassung zu geben, die ein Geburtstagskind nöthig hat. Aber seit dem Tage ärgerte ich mich doch, daß mein Geburtstag gerade in die Zeit fiel, wo Herr Metzger Ausverkauf zu halten pflegte, und im folgenden Jahre machte ich wochenlang vorher in meinem Freundeskreise bekannt, daß ich noch immer mehr als genug Papeterien hätte.

Ebenso ernsthaft, wie wir die Frage der Geschenke für uns selbst auffaßten, beschäftigten wir uns auch mit dieser Angelegenheit, wenn wir einen Freundesgeburtstag mitfeiern sollten. Sobald die Einladung erfolgt war, quälten wir uns mit dem Gedanken, was wir schenken könnten. Meistens hatten wir kein Geld, um eine Anschaffung zu machen, und so galt es also zunächst, die nöthigen Schillinge herbeizuschaffen. Wir hatten gottlob einen guten Großvater und an ihn wandten wir uns meistens in unsern Sorgen. Zwar mochte er nicht um Geld gebeten werden und behauptete auch, wir feierten jede Woche einen anderen Geburtstag; aber nachdem er tüchtig gewettert hatte, steckte er doch die Hand in die Tasche und fragte verdrießlich, wie viel wir haben wollten. Und da er häufig kein Kleingeld hatte und wir uns mit der größten Bereitwilligkeit anboten, in den nächsten Laden zu laufen, um wechseln zu lassen, so schenkte er uns für diese Mühe auch manchmal noch eine Kleinigkeit obendrein.

Eines Tages war ich ganz besonders vergnügt. Großvater hatte mir auf mein stürmisches Verlangen einige Schillinge für ein zu kaufendes Geburtstagsgeschenk gegeben und Herr Metzger mir einen Federkasten so billig verkauft, daß ich noch etwas Geld übrig hatte.

„An dem Kasten hab’ ich Schaden!“ sagte Herr Metzger, indem er das betreffende Stück vorsichtig einwickelte. „Der kostet mich selbst eine Kourantmark; aber weil Du es bist, bekommst Du ihn fast geschenkt. Nun wickle ihn nur nicht wieder aus!“

Mit dieser Ermahnung entließ er mich und ich lief nach Hause, um sofort meinen billigen Schatz wieder auszuwickeln. Denn wozu macht man Geburtstagsgeschenke, wenn man sie nicht einmal gründlich besehen darf? Der Geburtstag meines Freundes war überhaupt erst morgen – ich hatte also genügend Zeit, meine Gabe zu mustern und das Geburtstagskind durch einige geheimnißvolle Andeutungen sehr neugierig zu machen.

Der Kasten war wirklich hübsch, blank und zierlich. Auf dem Deckel stand „Souvenir“, ein Wort, das mir dunkel war und das ich deshalb sehr schön fand. Als ich aber diesen Deckeln öffnen wollte, fand es sich, daß das nicht ging. Ich mochte zerren und reißen, schieben und drücken, alles half nichts, und betrübt starrte ich auf den mir von Herrn Metzger so billig überlassenen Gegenstand. Da kam der Propst des Weges gegangen. Ich saß nämlich vor der Thür unseres Hauses und begrüßte alle Vorübergehenden, natürlich auch den Propst, einen ganz besonderen Freund der Familie. Er war ein großer Herr mit freundlichem Gesicht, der immer sehr gut gegen uns war.

„Was hast du denn da?“ fragte er, und ich zeigte ihm meinen Federkasten, den er alsbald in die Hand nahm, um an dem Deckel zu zerren. Seinen kräftigen Fingern gelang, was ich nicht erreicht hatte: der Deckel flog ab; aber der ganze Kasten ging aus dem Leim.

Ich schrie vor Entsetzen und auch der Propst erschrak. Aber das wollte er natürlich nicht merken lassen und lachte gezwungen. „Nun, nun, nicht so hitzig! Wie kannst Du so schreien, nur weil der dumme Kasten entzwei geht! Das schickt sich nicht!“

Ich war gewohnt, ausgescholten zu werden, wenn Erwachsene in meiner Gegenwart etwas verkehrt angriffen; aber ich mußte doch meinem Herzen Luft machen. „Den Kasten sollte Heinz Behrens haben,“ wimmerte ich. „Ich habe es ihm heute schon gesagt und morgen soll er ihn kriegen!“

„Heinz Behrens? Wird der nicht morgen zehn Jahre alt?“ fragte der Propst, der das Alter seiner sämtlichen Gemeindekinder, [872] der alten und der jungen, im Kopfe hatte und der es ihnen oft aufs unbarmherzigste sagte. Aber ich hörte nicht auf seine Frage.

„Was soll ich ihm nun schenken?“ stöhnte ich. „Ich besaß noch sechs Bankschillinge, aber ich habe mir gerade Chokolade gekauft!“

„Wie kannst Du nur so naschhaft sein!“ schalt der Propst, der verdrießlich geworden war. „Sieh’ ’mal, wenn Du das Geld noch hättest, dann würde ich Dir auch etwas dazu geben und Du könntest einen neuen Kasten kaufen!“

„Dieser war ja neu!“ erklärte ich, und der alte Herr betrachtete ihn nachdenklich. Dann seufzte er erleichtert.

„Ich will ihn Dir wieder zusammenkleben und Du holst ihn morgen früh bei mir ab. Mein Leim ist gut und er wird dann wie neu!“

Mit diesem Versprechen ging er davon und steckte die Trümmer des neuen Federkastens in die Tasche. Ich bedachte mich einen Augenblick, ob ich weinen sollte oder nicht; da aber gerade unsere große Hauskatze mit einem Hunde angebunden hatte und ihn ohrfeigte, so vergaß ich über diesem Anblick allen Kummer dieser argen Welt.

Aber den Federkasten vergaß ich deswegen doch nicht und der folgende Morgen sah mich in sehr früher Stunde in der Propstei. Dort wurde noch die große Diele gescheuert und das Mädchen erklärte, der Herr Propst sei noch nicht zu sprechen. Als ich dann nach einigen Stunden wieder vorsprach, hieß es, ich dürfe den Herrn nicht stören, er sei bei seiner Predigt. Ich war in großer Betrübniß, denn nun hatte die Uhr schon Neun geschlagen; ich mußte bald in die Lernstunde und hatte später wenig Zeit, herumzulaufen und ein Geschenk zu kaufen, selbst wenn ich mir das Geld dazu erjammert hätte. Nachdenklich ging ich über den Kirchhof, an den das Haus des Propstes grenzte, und als ich mich hier auf den grünen Erdwall setzte, der den Friedhof von der Straße trennte, liefen einige Thränen ganz von selbst über meine Wangen.

„Was weinst Du?“ fragte eine Stimme neben mir.

Der Sprecher, ein kleiner dicker Mann mit rothem Gesicht, stand plötzlich bei mir, und ich sah ihn ganz erschreckt an, weil ich ihn gar nicht bemerkt hatte.

„Was weinst Du?“ fragte er noch einmal und ich schluchzte tief und lange. „Heinz Behrens Geburtstag ist, und da –“ ich konnte nicht weiter vor Schmerz. Der Fremde zog ein rothes Taschentuch hervor. „Na, wisch’ Dich ’mal ab! Ist das denn schlimm, wenn Heinz Behrens’ Geburtstag ist?“

„Ich wollte ihm ja etwas schenken!“ erklärte ich und dann breitete ich das Taschentuch ats und betrachtete es unter Thränen und doch mit Entzücken. Es war auch ein wunderbares Taschentuch. Zwei Schiffe waren darauf abgebildet, die beide in Flammen standen, und in der Luft flogen Menschen herum.

Der Mann sah mir wohlgefällig zu. „Nicht wahr? Is ein feines Tuch und ganzen rein, weil ich eigentlich niemalen ein Taschentuch brauch’. Kannst Dich gern die Nase in putzen!“

„Weinst Du denn nie?“ fragte ich, seine Erlaubniß mit Freuden benutzend. Er lachte ein wenig.

„Nee – dieses thue ich nicht mehr!“ Manchmal sprach er nämlich richtig und manchmal verkehrt hochdeutsch.

„Ein fein Bild, nich?“ fuhr er fort und setzte sich neben mich. „Das is ‚Krischan[1] der Achte‘, der in Luft fliegt, und das is ‚Gefion‘. Weißt, was ‚Gefion‘ war? Das war auch ein Schiff und die Leute, die hier oben fliegen, sind tot. Na, und nu verzähl’ mich ’mal, warum Du weintest!“

„Ich habe ja kein Geburtstagsgeschenk!“ rief ich kläglich.

„Nun, freut Heinz Behrens sich nicht, wenn Du ohne Geschenk kommst?“

„Wie sollte er das thun? Das thut niemand. Er steht schon auf der Straße, ganz weit von seinem Hause entfernt, und wenn einer kommt, der bei ihm eingeladen ist, dann schreit er ganz laut: ‚Nu man rut mit de Geschenkens!‘“

Ich weinte schon wieder. Der Gedanke, vor versammeltem Volke mit leeren Händen zu kommen, erschien mir unerträglich. Dann erzählte ich die Geschichte vom Federkasten und der fremde Mann hörte mir theilnehmend zu.

„I, so kuck ’mal an! Der Propst hat Dein Kasten entzwei gemach und mach ihn nich wieder heil! Da soll doch ein Donner einslagen!“

„Er macht seine Predigt!“ entschuldigte ich; der andere zuckte die Achseln. „Da hat er nich viel Arbeit von. Lauter Bibelsprüchens und Gesangbuchversens. Das kann unsereiner auch! Sag’ ihn das man von mich, wenn ihm wieder siehst!“

„Wie heißt Du denn?“ fragte ich. Mein neuer Freund schob an seiner blanken Wachstuchmütze.

„Wie? Du kennst mir nich und ich bin doch Kaptein gewesen? Kaptein von die Brigg ‚Helene‘ aus Glückstadt. Abers ich mochte nich mehr – da is mich zu viel Verdruß bei die Segelei heutzutage – da wollt’ ich mir lieber ein büschen ausruhen!“

Es schlug vom Thurm halb Zehn und ich fuhr in die Höhe. „Ich muß in die Stunde und habe kein Geschenk für Heinz!“ rief ich kummervoll, aber der Kapitän legte seine braune Hand auf meinen Arm.

„Komm’ Du heut’ zu mich! Auf’n Norderende, Nümmer dreiunddreißig. Da kannst mir besuchen um den Glockenslag Drei, und wenn ich Dich denn nich ein Geschenk geb’, was Du mit Fug und Rech verschenken und vergeben kannst, denn will ich nich Friedrich Franz Weber heißen. Komm’ man und denn laß das Weinen!“

Punkt drei Uhr stand ich vor einer kleinen, sehr grellgrün bemalten Hausthür, die zur Hälfte offen stand. Es war noch eine von jenen Thüren, die aus einer oberen und einer unteren Hälfte bestanden. Da konnte man, wenn man den unteren Flügel schloß, bequem aus der Hausthür sehen, ohne daß sie doch geöffnet war, und konnte sich außerdem behaglich auf sie stützen. Kapitän Weber sah auf diese Weise aus der Thür. Er war in Hemdärmeln und trug eine rothkarrierte Zipfelmütze. Als er mich erblickte, öffnete er die untere Thür.

„Nu komm’ man ein! Gut, daß Du gekommen bist. Der alte Kaptein ist auch keiner von den Leuten, die zuerst ’was versprechen und dann gar nichts halten. Wenn ich Ja sage, denn meine ich auch Ja!“

Er lobte sich noch eine Weile und ich blickte mich inzwischen um. Auf der kleinen, mit rothen Ziegelsteinen belegten Diele sah es auch bunt genug aus. An der Wand prangten nicht allein Bilder von Schiffen verschiedener Art – von der Decke hing ein großer, ausgestopfter Fisch herunter, der das Maul weit geöffnet hatte und sehr durchdringend roch. Dazu lagen auf einem Wandbrett eine Reihe von schönen rosarothen und weißen Muscheln, die auf beiden Seiten von ausgestopften Vögeln bewacht wurden.

„Magst es leiden?“ fragte der Kapitän und ich nickte, während ich doch etwas zweifelhaft den großen Fach betrachtete.

„Nu, was möchtest Du dann wohl haben?“ fragte Friedrich Franz Weber, behaglich seine Zipfelmütze von einem Ohr auf das andere rückend, und ich sah mich noch einmal um.

„Den Fisch will ich nicht!“ erklärte ich dann nach einigem Besinnen. „Ich glaube, Heinz würde sich auch nicht darüber freuen!“

„Weshalb nicht?“ erkundigte sich der Kapitän lächelnd.

„Nun – er ist so groß und dann riecht er auch. Beinahe so wie Herrn Metzgers Eau de Cologne, das ich voriges Jahr zum Geburtstag bekam!“

„Den Fisch hättst auch nich gekriegt!“ erklärte der neue Freund. „Das ist ein Haifisch, der mir beinahe ’mal den Kopp abgebissen hätte. Aber ich war klüger als er! Nun komm’ man in Stube!“

Nach hinten lag ein kleines Zimmer, das wie eine Kajüte ausgestattet war. Alles sah sehr blank und sauber aus und auf dem Tische lagen verschiedene Kästchen aus Strohgeflecht oder Sandelholz. Von ihnen durfte ich mir eins aussuchen und dann entfernte ich mich unter vielen Dankesbetheuerungen und dem Versprechen, den Kapitän bald wieder zu besuchen.

Auf diese Weise bestand ich mit Ehren an Heinz Behrens’ Geburtstag und konnte meine Chokolade mit dem erhebenden Bewußtsein trinken, etwas geschenkt zu haben, von dem niemand den Preis sagen konnte, wie dies sonst bei den von Herrn Metzger gekauften Sachen immer der Fall war.

Am andern Tage begegnete mir der Propst.

„Nun,“ so redete er mich an, „weshalb hast Du Deinen Kasten nicht geholt? Er ist seit gestern fertig!“

„Dein Mädchen sagte, Du machtest Deine Predigt und ich dürfte Dich nicht stören!“

Er lachte. „So schlimm war’s nicht!“ Ich aber fuhr eifrig fort: „Herr Kapitän sagt auch, an Deiner Predigt könne nicht [873] viel Arbeit sein, weil Du mir Bibelsprüche aufsagest – und den Kasten verwahre mir nur, bis ein neuer Geburtstag kommt!“

„Wer ist der Herr Kapitän?“ fragte der gute Propst der etwas roth geworden war.

„Ach, kennst Du den nicht? Er heißt Friedrich Franz Weber und hat einen ausgestopften Haifisch von der Decke hängen!“

„Es scheint kein besonders netter Mann zu sein!“ sagte der Propst ernsthaft. „Du mußt wirklich nicht mit jedem anbinden – ich werde einmal mit Deinem Vater sprechen!“

Er ging und ich begab mich nach Hause, ohne daß die Drohung des alten Herrn meine natürliche Heiterkeit beeinträchtigt hätte. Er hatte nämlich noch nie uns bei Papa verklagt und würde mir sicherlich bald einmal Aepfel schenken, was er immer that, wenn er mich je etwas rauh angefahren hatte.

„Ich weiß ’was Neues!“ sagte Jürgen, dem ich an der Thür unseres Hauses begegnete. „Etwas ganz Neues!“

„Was ist’s?“ erkundigte ich mich neugierig.

„Hierher ist ein Mann gezogen, der hat einen großen großen Haifisch im Zimmer! Ob er lebendig ist, weiß ich nicht – ich glaube es aber!“

„Er ist tot!“ sagte ich triumphierend, denn es begegnete mir nicht häufig, mehr zu wissen als die Brüder. „Er ist tot, und ich habe ihn selbst gesehen!“

„So?“ Mein Bruder sah mich zweifelnd an. „Du hast ihn gesehen und hast mir kein Wort davon gesagt? Weißt Du denn auch, was der Haifisch gethan hat?“

Ich mußte beschämt den Kopf schütteln.

„Er hat – ja, denke Dir nur! – er hat dieses Mannes Frau aufgefressen! In einem einzigen Happen. Schwabb! hat er gemacht – und da war die Frau weg! Und dann klappte er das Maul zu und schwamm weiter!“

„Aber nun hat er doch das Maul offen!“ bemerkte ich, athemlos vor köstlicher Erregung.

„Nun ja, später ist ihm natürlich übel geworden. Eine ganze Frau liegt schwer im Magen, besonders wenn sie noch Kleider und seidene Mantillen oder so etwas an hat!“

„Vielleicht einen Pelzmantel oder einen Muff!“ schaltete ich ein, und Iürgen sah mich ärgerlich an. Er mochte nicht unterbrochen werden, wenn er im Erzählen war.

„Mit einem Muff ist sie wohl nicht im Wasser gewesen, wo es doch gewiß warm war. Die Haifische sind ja nur dort, wo –“

„Gott-o-Gott, Kinners, wenn Ihr noch mehr von so’n schreckliches Zeug snackt, denn beswiemel[2] ich und Ihr müßt mich Wasser und Hoffmannstropfen holen!“

Das war Line, die also sprach, unser Kindermädchen, das heutzutage gewiß Kinderfräulein genannt werden würde, weil sie so hübsch war, wie die Großen wenigstens sagten; wir selbst sahen nichts Besonderes an ihren dunklen Augen und ihren rothen Wangen. Sie saß mit unserem Jüngsten vor der Thür und hatte unseren Worten mit großer Aufmerksamkeit zugehört. Manchmal war sie sehr nett und dann mochten wir sie leiden; manchmal aber „predigte“ sie, wie wir es nannten, und dann mochten wir sie nicht leiden. Nun fing sie wieder an.

„Gott-o-Gott, wenn Ihr man bloß still sein wolltet von so ’was Gräsiges! Wovor giebt es überhaupt Kinners, wenn sie nich artig sein wollen! Als ich noch klein war – o was bin ich da artig gewesen!“

Wir hörten ihr ungerührt zu; denn wenn Line anfing, ihren Redestrom über uns zu ergießen, dann sagte sie eigentlich immer dasselbe und ihre Gedanken zeichneten sich nicht durch Neuheit aus.

„Nu bleibt man bei mich und verzählt mich ein büschen!“ setzte sie hinzu, als Jürgen und ich Anstalt machten, uns zu entfernen. „Sitzt die Frau da noch in Haifisch und hängt von Boden herab? O du mein Heiland, wie einmal schrecklich! Und den Mann, was sag’ den Mann dazu? Is das nich so’n hübschen kleinen dicken Mann, der hier mammichmal spazieren geht? Ja, was nich allens passieren thut! Und Geld soll er auch haben, ein ganzen Berg Geld! Nich?“

Ob Kapitän Weber Geld hatte, wußten wir nicht; der Gedanke beschäftigte uns auch weniger als der, daß seine Frau noch in dem Haifisch sitzen könnte. Wir geriethen hierüber sogar in eine fieberhafte Erregung, und Linens Zureden, bei ihr zu bleiben, half nichts. Der nächste Augenblick sah uns schon auf dem Wege zum Norderende, und bald klopften wir an des Kapitäns Thür. Sie war dieses Mal verschlossen; er öffnete aber gleich und begrüßte uns freundlich.

„Nun, meine Kinder, womit kann ich dienen?“

Wir aber sagten kein Wort und starrten unverwandt den großen Fisch an.

„Nun?“ sagte er noch einmal und ich faßte mir ein Herz.

„Sitzt sie noch drin?“ fragte ich halb verschämt. Der Kapitän sah mich verwundert an.

„Ich meine Deine Frau!“ fuhr ich hastig fort. „Der Fisch hat sie ja aufgefressen!“

[874] Herr Weber räusperte sich ein wenig und schob seine Zipfelmütze auf dem Kopf hin unb her.

„O, was die Leute doch snacken! Und denn schicken sie so’n unschuldiges Kind zu mich, daß es mir ausfragen soll! Als wenn ich daüber sprechen möchte, was doch nicht angenehm is, an zu denken!“

„Hatte sie alles Zeug an oder badete sie gerade?“ fragte nun auch Jürgen, und der Kapitän räusperte sich wieder.

„Du mußt nicht so viel fragen, mein Kind!“ bemerkte er dann auf hochdeutsch und in einem so ernsten Tone, daß wir uns unwillkürlich schämten. Aber er war gleich wieder freundlich. „Nu kommt man ein in die Stube und ich schenk’ Euch auch ’was!“

Mit einer Muschel, die sehr schön „kochte“, zogen wir dann wieder ab und warfen beim Gehen noch einen langen Blick auf den Haifisch. Es war doch schade, daß Friedrich Franz Weber nicht darüber sprechen wollte, wie seine Gemahlin aufgegessen worden und ob sie dem Raubfisch gut bekommen war. Im übrigen hatte er es eigentlich auch nicht nöthig; denn wenn er selbst auch nicht darüber sprach, so sprachen andere Leute desto mehr. Bald wußte jedes Schulkind ja fast jedes Wickelkind, daß Friedrich Franz Weber seine Frau auf eine sehr ungewöhnliche Weise verloren hatte und daß er eigentlich bloß durch diese tote Frau auf die Insel gehörte. Er war nämlich aus Mecklenburg und nur Frau Webers Wiege hatte in unserer Heimath gestanden. In welchem Dorfe oder ob in der Stadt – darüber gingen die Meinungen auseinander, und eigentlich war dies auch einerlei. Sie lebte ja nicht mehr und die ganze Landschaft konnte sich gewissermaßen freuen, daß sie einmal in ihr geweilt hatte. Denn das passiert nicht jeder Gegend, daß ihre Einwohner vom Haifisch aufgefressen werden.

[887] Eine Zeitlang sprachen wir Kinder viel über die Geschichte von dem Haifisch, besonders mit Line, die niemals genug davon hören konnte, obgleich sie jedesmal vorher drohte, „beswiemeln“ zu wollen, ohne es aber jemals zu thun.

„So’n netten Mann!“ sagte sie dann mit lautem Seufzen. „So’n furchtbar netten Mann und was is er hübsch! So dick und rund, grad’ wie ein klein’ Engel!“

Und dann dauerte es nicht allzu lange, daß unser Jüngster, der Lines Obhut anvertraut war und schon ziemlich gut sprechen konnte, auch seine Meinung äußerte. „Furchtbar netten Mann!“ sagte er eines Tages, als Line wieder von Herrn Weber sprach, und dabei lutschte er an einem riesigen Stück Gerstenzucker, das wir ihm natürlich wegnahmen, denn es war nicht gut für ihn. Er schrie in allen Tönen, tröstete sich aber bald.

„Morgen netten Mann mich Zucker geben. Line Kuß!“

Letztere Worte wiederholte er wohl zehnmal und lachte dabei so schelmisch, bis Line dunkelroth und wir sehr aufmerksam geworden waren. Das Kindermädchen schalt. Zuerst unsern unschuldigen Jüngsten, was wir sehr übelnahmen, und darauf uns, was uns kalt ließ, und dann vergaßen wir Herrn Weber und seine Frau über einer neuen Sorge.

Wir hatten wieder eine Einladung zum Geburtstag erhalten, und nicht allein Großvater war verreist, sondern auch unsere Eltern hatten die Insel verlassen, um einen kurzen Ausflug zu machen. Was sollten wir schenken und aus wessen Mitteln wollten wir die Gabe bezahlen? Da war guter Rath theuer, denn das Geburtstagskind, Fritz Iwersen, hatte jedem von uns eine Flasche mit „Rükels“, wie er sagte, geschenkt, die wicklich recht gut roch. Wir wußten natürlich auch, was das Parfüm gekostet hatte und daß es durchaus nicht billig gewesen war - da durften wir uns nicht lumpen lassen.

Schon dachten wir daran, bei Herrn Metzger „anschreiben“ zu lassen, was wir eigentlich durchaus nicht durften, da fiel mir der Federkasten ein, den der Propst noch immer in Verwahrung hatte. Da er so schön und nun auch tadellos war, konnten Jürgen und ich ihn wohl zusammen schenken, besonders da Fritz Iwersen im Laufe der Einladung erwähnt hatte, daß er sich keine Papeterie und auch kein Eau de Cologne wünsche.

Der Federkasten war weder das eine noch das andere und ich beschloß sofort, zum Propst zu gehen und mir das kostbare Geschenk zu holen. Es war dämmerig geworden und ich lief eilig über den Kirchhof, um nach dem Garten der Propstei zu gelangen, der an einer Seite hart an den Friedhof stieß. Man brauchte nur von der Friedhofmauer an einer bestimmten Stelle hinunter zu springen, dann befand man sich mitten im Garten. Wir benutzen diesen Weg meistens und auch heute wollte ich ihn einschlagen, als ich gerade dort, wo die Mauer niedrig war, einen Mann und eine Frau erblickte, die sich starr ansahen und mich gar nicht bemerkten. Sie saßen eng aneinander geschmiegt, drückten sich die Hände und manchmal küßten sie sich. Einen Augenblick betrachtete ich sie schweigend - dann besann ich mich, ob ich plötzlich vor sie springen und sie auf diese Weise zart erschrecken oder ob ich lieber einen andern Weg nehmen sollte. Ich wählte das letztere - nicht aus Zartgefühl, sondern weil ich die eben gesehene Neuigkeit sofort und ohne Störung ausposaunen wollte.

Der Propst war dieses Mal sofort für mich zu sprechen. Er kam mir in seiner mit blauem Qualm angefüllten Studierstube sehr freundlich entgegen und fragte nach meinem Begehr. Ja, er hatte den Federkasten, mußte ihn aber suchen, weil er ihn so gut verwahrt hatte, daß er sich seines Platzes nicht mehr entsann.

„Warten Sie einen Augenblick!“ sagte er zu einer Frau, die neben der Thür saß und deren Anwesenheit ich erst jetzt bemerkte. Sie trug ein schwarz und weiß karriertes Umschlagtuch und schien geweint zu haben, wie ich aus ihrer häufigen Benutzung des Taschentuchs entnahm. Frauen, die weinten, saßen auch bei uns häufig; entweder im Hausflur oder bei unserem Vater. Sie blieben oft sehr lange, und wenn sie eine kleine Unterstützung oder sonst einen Trost erhielten, kamen sie manchmal alle Tage wieder. Deshalb nickte ich dieser Frau auch zu wie einer alten Bekannten, obgleich ich sie nie gesehen hatte, und dann platzte ich mit meiner Neuigkeit heraus.

„Denke Dir, Herr Propst, Line küßt draußen auf dem Kirchhof einen Mann!“

„So?“ sagte der Propst. Er wühlte in einem Wandschrank und schien nicht so erschüttert von dieser Nachricht, wie ich es erwartet hatte. „Nun, dann will sie wohl heirathen. Kennst Du denn den Mann?“

„Gewiß, Herr Propst! Es ist der Mann mit dem Haifisch. Du weißt doch, der Haifisch, der von der Decke hängt und der seine Frau aufgefressen hat! Jürgen sagt, die Frau ist nicht mehr drin – ich aber meine –“

„Der Mann mit dem Haifisch?“ unterbrach mich der Propst. Ihm schien die Sache sehr gleichgültig zu sein; ich aber nahm ihm diese Geschmacksrichtung in meinem Eifer übel. Es that mir zu leid, daß er die schönsten Geschichten unserer Stadt so schlecht kannte. „Nun ja, Herr Kapitän Weber ist doch der Mann mit dem Haifisch. Ein furchtbar netter Mann, der viel Geld hat und sonst auch sehr gut ist. Aber seine Frau ist von einem Haifisch aufgefressen worden und zur Strafe dafür muß der Fisch immer hängen, und er selbst ist so allein. Ich meine, der Kapitän ist allein, der heute abend die Line küßte, und ich glaube –“ hier fiel mir manches andere wieder ein - „er hat sie wohl schon oft geküßt!“

„Du mein Heiland!“ sagte die Frau in dem karrierten Umschlagtuch; sie hielt ihr Taschentuch schon lange unbenutzt in der Hand und hatte mir starr zugehört: „Du großen Gott im Himmel!“ fuhr sie fort und dann stand sie auf. „Sehen Sie, Herr Propst, hab’ ich es Sie nich gesagt? So is er nu! Das nennt er nu den Ehestand, wo er hier auf die Insel andere Fruensminschen küßt und mir ganz allein in Altna in die kleine Brauerstraße sitzen läßt! Und denn verzählt er noch schenierliche Dinge von mich - daß ich von’n Haifisch aufgefressen bin, wo ich doch in mein ganzes Leben anständig gewandelt habe und so’n Diert niemalen zu Gesicht gekriegt hab’! Nich mal in’n soologischen Garten in Hamburch, wo ich an die billigen Tagens woll gewesen bin. Hab’ ich es Sie nich gesagt, Herr Propst? So is er nu und spielt sich hier auf’n Wittmann, wo er mir doch in die kleine Brauerstraße in Altna wußte, wo ich hingezogen bin, als ich mir so über ihm ärgerte!“

Sie hielt erschöpft inne und der Propst seufzte mit dem Seufzer desjenigen, der schon eine Stunde lang dasselbe vernommen hat.

„Sie müssen nicht auf die Worte eines Kindes hören,“ bemerkte er jetzt. „Es kann alles ganz anders zusammenhängen und die Geschichte mit dem Haifisch kenne ich überhaupt nicht. Besinnen Sie sich, liebe Frau, und kehren Sie nicht lieblos zu Ihrem Manne zurück, der wohl seine Fehler hat, den Sie doch aber sehr bestraften, da Sie so lange von ihm fortblieben. Eheleute sollen Geduld miteinander haben!“

Die Frau antwortete nicht, sondern weinte bitterlich. Der Propst aber drückte mir den Federkasten in die Hand unb schob mich sanft aus der Thür. Schweigend ließ ich mir alles gefallen, denn mein einziges Bestreben war, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Athemlos stürzte ich in die Kinderstube, wo der Jüngste von den großen Brüdern unterhalten wurde; denn Line war noch nicht erschienen, um ihn zu Bett zu bringen.

Hinter mir trat sie langsam ins Zimmer. Sie schien heiß zu sein, sah aber sonst aus wie immer; sie schalt uns alle der Reihe nach aus und sagte dann, wir sollten nur hinausgehen, der Kleine würde sonst so aufgeregt.

„Ich weiß was Neues!“ rief ich nun, und Line sah mich starr an.

„Is woll was Rechtes!“ meinte sie dann in einem Tone der Verachtung, der mich stets reizte.

„Ist auch was Rechtes!“ erwiderte ich trotzig. „Kapitän Webers Frau sitzt gar nicht im Haifisch –“

„Als wenn ich das geglaubt hätte!“ unterbrach sie mich höhnisch. „Die alte Person liegt irgendwo in den südländischen Ocean tot und begraben!“

„Sie wohnt in der kleinen Brauerstraße in Altona und ist gar nicht tot!“ schrie ich triumphierend; „und heute ist sie beim Propst; und als ich sagte, daß Du und der Kapitän Euch eben immerlos geküßt habt –“

[890] Weiter kam ich nicht, da Line, die viele Kräfte hatte, nicht allein mich, sondern auch die Brüder aus der Thür warf, wobei es viel Geschrei und Gelächter gab. Denn eine kleine Prügelei war doch immer das Allerschönste im Leben.

Aber am nächsten Tage liefen wir doch alle nach dem Norderende zum Häuschen des Kapitäns. Er sah gar nicht aus der Thür, und als wir sie vorsichtig aufklinkten, erschien auch nicht seine dicke kleine Gestalt, sondern die lange magere einer Frau, die uns wenig freundlich betrachtete. Als sie nach unserem Begehr fragte, murmelte Jürgen, daß er sich nach dem Befinden erkundigen sollte. Ihm fiel gerade ein, daß wir mit dieser Frage öfters dorthin, wo Kranke lagen, geschickt wurden, Frau Weber machte aber ein sehr saures Gesicht.

„Vielen Dank for die Erkundigung, und sag’ man wieder, daß ich von keine Krankheit in diesen Haus wußte und daß Du nich wieder zu kommen brauchst. Denn was mein Mann, der Kaptein Weber, is, der is gesund wie’n Fisch und was ich, die Frau Kapteinin, bin, so hab’ ich woll jeden Tag Smerzen in’n Kopp und beis Herz – das abers wird von Fragen nich besser!“

So zogen wir denn wieder ab und auf der Geburtstagsfeier, die an diesem Tage erfolgte, machten wir aus, daß es doch sehr merkwürdige Menschen gäbe, Warum hatte der Kapitän gesagt, seine Frau wäre vom Haifisch gefreffen worden, wenn sie in Altona lebte? Aber hatte er es denn gesagt? Darüber waren die Meinungen getheilt und niemand konnte behaupten, diese Nachricht von ihm selbst erhalten zu haben.

Line war in dieser Zeit sehr schlechter Laune und wurde erst wieder vergnügt, als der Commis beim Krämer sie jedesmal durch uns grüßen und dann zum Ball einladen ließ.

Es dauerte eine längere Zeit, ehe wir den Kapitän wieder sahen. Aus seiner Hausthür schaute er nicht mehr und von seiner rothkarrierten Zipfelmütze war erst recht nichts mehr zu erblicken. Als ich ihm eines Tages begegnete, war der erste Schnee gefallen und er trippelte vorsichtig darin herum. Ich sagte ihm freundlich Guten Tag; er nickte halb zerstreut.

„Nun, Kind, machst Du noch immer so viel Geburtstagsgeschenke?“

In dieser Zeit seien keine Geburtstage, versicherte ich ihm, und er lachte ein wenig.

„Geburtstage sind jetzt doch auch – morgen ist der Geburtstag meiner Frau.“ Er seufzte.

„Trinkt Ihr da Chokolade?“ erkundigte ich mich; aber er schüttelte den Kopf. „Sie is ein von die Strengen - so was mach sie nich - ich hab’ sie gar nich gratteliert in die letzten Jahrens -“

„Sie war ja auch in der kleinen Brauerstraße und Du –“

Er ging vorsichtig neben mir her während ich versuchte, einige Schneebälle zu machen.

„Ja, ja, da war ja ein büschen was zwischen uns gekommen,“ murmelte er. „Sie is ein von die Strengen – ich bin gar nich strenge - abers sie sorgt gut for mir und kocht gut und is sparsam und liest mich auch was vor, wo meine Augens swach sind - ‚Itzehoer Nachrichten‘, wo so viel Geschichtens ein stehen, abers grattelieren thu ich sie doch nich – da schenier ich mir. Von Geburtstag und so was is bei uns gar nich mehr die Rede. Schon lange nich. Sie mag mir ja eigentlich nich leiden, weil ich ja mannichmal ein büschen leicht war –“ er hustete. „Abers ich mein es nich böse, und wenn ich gewußt hatt, daß sie auch so nett sein konnte – abers dazumalen in Altna, als wir uns verzürnten, da war sie gräßlich, ganz gräßlich, bloß weil daß ich –“ er räusperte sich wieder. „Ja, da sagt’ meine Frau zu mich, sie wollt nix nich mehr mit mich zu thun haben, und sie blieb in die kleine Brauerstraße in Altna und ich konnt gehen, wo ich hin wollt. Na, da wurd ich denn auch doll; denn Mann bleibt Mann und in die Bibel steht ‚Er soll Dein Herr sein!‘ was ich in meinen ganzen irdischen Leben noch nich bemerkt hab’, daß so was wahr is. Abers stehen thut es doch ins erste Buch Moses, und da bin ich denn darum auch nich in Altna geblieben und bin hierher gegangen mit all mein Sachens, und wenn die Leute sagten, mein Frau wär tot, denn hab ich kein Wort dawider gesprochen!“

Er schwieg und zog das bunte Taschentuch mit dem Untergang „Christians des Achten“ hervor. Zu meiner Verwunderung bemerkte ich, daß er sich die Augen trocknete. Da ich aber gerade mit Mühe und Noth einen sehr schmutzigen Schneeball zusammengeklebt hatte, konnte ich nicht weiter darüber nachdenken.

„Nu is sie denn hierher gekommen, und zuerstens war es ja nich weiter schön, weil daß sie mir so auslümmelte und mich kein gutes Wort gab; abers mit die Zeit is sie gemüthlicher geworden. Und neulich hat sie an ihr Tante ein Brief geschrieben, wo ich einkuckte, als sie nich in die Stube war und da schrieb sie ein, daß sie in Altna ümmer Sehnsucht nach mich gehabt hätt’ und daß sie nu anfing einzusehen, daß ich doch kein slechten Kurakter hatt’!“

Der Kapitän putzte sich lange die Nase, ehe er fortfuhr zu reden, und in dieser Zeit fiel mein Schneeball wieder auseinander. Das war sehr ärgerlich und ich klagte laut; Herr Weber achtete aber gar nicht auf meinen Schmerz.

„Nu mocht ich sie woll ein büschen zum Geburtstag schenken und sie auch grattelieren, bloß, daß ich das partuh nich anfangen kann!“

Während ich mich bis dahin gelangweilt hatte, machte mich das Wort „Geburtstag“ wieder sehr aufmerksam. „Natürlich mußt Du ihr gratulieren!“ sagte ich mit Bestimmtheit. „Bei den Erwachsenen fängt das Gratulieren um zwölf Uhr mittags an. Da kommen alle – der Bürgermeister und der Propst, der Amtsverwalter und der Zollverwalter und alle mit ihren Frauen. Die Damen kriegen Chokolade und Kuchen und die Herren Pasteten und Wein. Um Drei ist es zu Ende. Das ist der Geburtstag für die Erwachsenen,“ setzte ich hinzu, als ich bemerkte, wie aufmerksam Friedrich Franz Weber mir zuhörte, „oder willst Du einen Kindergeburtstag feiern? Der fängt um vier Uhr an und -“

Der Kapitän unterbrach mich: „Nein, mein Kind; das laß man!“ Er fing wieder an hochdeutsch zu sprechen. „Aber ich will Dir etwas sagen. Komm’ Du morgen und gratuliere meiner Frau, wann Du Zeit hast; denn wir sind immer zu Hause! Sie wird sich freuen, daß ein Mensch ihren Geburtstag weiß.“

„Muß ich ihr dann nicht etwas schenken?“ fragte ich bedenklich, und Weber blieb stehen.

„Ich weiß was! Ich kauf’ Dich heute ein Pfund Schokkolade oder wie das alt Kram heißt, und Du schenkst sie das denn morgen! Denn hat sie ein klein Spaß, und vielleich daß wir Dir denn später einladen!“

Dieser letzte Satz verfehlte nicht seine Wirkung. Im Grunde genommen hatte ich eigentlich wenig Lust, Frau Weber zu gratulieren – sie war doch unfreundlich gegen mich gewesen. Aber mit einem Pfund Chokolade in der Hand sah die Sache schon anders aus, besonders wenn in der Ferne die Aussicht winkte, diese Gabe auch selbst mit vertilgen zu dürfen. So ließ ich mich denn willig zu dem Kaufmann geleiten, dessen Chokolade ich mit warmem Herzen empfehlen konnte, und erschien am nächsten Tage vor der Hausthür des Kapitäns.

Jürgen war natürlich mit. Ich wüßte mich keiner besonderen Gelegenheit zu erinnern, wo Jürgen mich nicht begleitet und wo er nicht Theil an meinen Erlebnissen gehabt hätte. Manchmal nahm ich mir allerdings vor, ihm von diesen und jenen Dingen nichts zu sagen; meine Vorsätze dauerten aber selten länger als eine Stunde. Deshalb war es auch ganz natürlich, daß Jürgen an diesem Tage mit vor Frau Weber erschien, die nur die halbe Hausthür öffnete und ihre Arme fest auf die untere Hälfte legte.

„Nu, Kinners,“ sagte sie scharf, „was wollt Ihr denn bei mich? Zu sehen is da nix mehr! Der Haifisch häng auch nich mehr hier, weil daß er so furchtbar stank, was kein Christenmensch aushalten konnt’! Ich hab’ ihm in Garten eingegraben, vielleicht daß da nächstes Jahr ordentlich Sellerie und Suppenkraut aus wächst. Nu, was kuckt Ihr mir noch an?“

„Wir wollten Dir gratulieren, Frau Weber!“ sagte ich nun feierlich. „Heute ist ja Dein Geburtstag und ich bringe Dir ein Geschenk! – Wir sollen etwas davon ab haben!“ setzte ich hastig zu, als Frau Weber mir das Paket ohne weiteres aus der Hand nahm und die untere Hausthür doch noch nicht öffnete.

„Mein Geburtstag?“ fragte sie mißtrauisch und dann roch sie an dem Paket. „Was wißt Ihr davon? Steht das bei Euch in Schornstein, wann ich geboren bin, oders –“ und hier wurde ihre Stimme drohend, „weiß Line, das häßliche alte Ding. das vielleich?“

Nun aber wurde ich beleidigt.

[891] „Frau Weber, Dein Mann hat mir das von Deinem Geburtstag gesagt und Line weiß gar nichts davon. Nicht das Allergeringste. Und häßlich ist sie auch nicht; der Commis bei Ahrt hat noch neulich gesagt, sie wäre hübsch und ich sollte sie vielmals grüßen, was ich gleich gethan habe. Und die Chokolade hat der Kapitän gestern gekauft - beste Sorte; vier Mark das Pfund. Er mochte es Dir nicht selbst geben - ich weiß nicht warum, aber er mochte nicht!“

„Ein Geschenk von mein Mann? Und er dachte an mein Geburtstag?“ Die untere Hausthür ging plötzlich wie von selbst auf und wir standen auf dem kleinen Flur, der nicht mehr so komisch roch wie ehemals.

„Ja, er sagte, Du wärest eigentlich ganz nett und Du läsest so gut vor, aber er möchte es nicht sagen!“ berichtete ich, und Jürgen nickte fortgesetzt mit dem Kopfe, als wenn er alles gehört hätte, was der Kapitän mit mir gesprochen hatte.

Das ärgerte mich etwas, wie jedermann begreifen wird; Frau Weber sah uns beide aber gar nicht an.

„Von mein Friedrich?“ sagte sie wie zweifelnd. „Würklich? hat er an mein Geburtstag gedach und schenk mich was? Oh, wo lange is es her, daß er mich was schenkte! Und nu denk er an mein Geburtstag, wo keiner an dachte, all die langen Jahrens!“

„Wir bekommen aber von der Chokolade etwas ab!“ rief ich noch einmal und Jürgen sagte dasselbe, was mich wiederum ärgerte. Er wußte doch eigentlich gar nichts davon und deshalb mußte ich ihm einen derben Rippenstoß geben, den er mit überraschender Promptheit erwiderte. Vermuthlich hatte er sich schon lange über mich geärgert, weil ich ganz allein die Unterhaltung führte. So kam es, daß mir uns ein wenig erzürnten und gar nicht merkten, daß Frau Weber plötzlich verschwunden war. Als sie wieder vor uns stand, wischte sie sich die Augen

„Liebe Zeit, Kinners,“ sagte sie und ihre Stimme war viel milder geworden, „man keine Streiterei! Da kommt bloß was Slimmes bei heraus, wo kein Mensch gut von hat! Und nu kommt ein in Stube, damit Ihr ein Sluck Wein kriegt, weil daß die Schokkolade noch nich fertig is. Abers heute nachmittag könnt Ihr man wiederkommen!“

Als wir in die kleine saubere Stube traten, kam der Kapitän uns entgegen. Er räusperte sich mehrere Male und gebrauchte öfters das schöne bunte Taschentuch mit den Schiffsbildern; sonst aber war er ganz unverändert. Nur als seine Frau die kleinen Spitzgläser mit gelbem Wein gefüllt hatte, hob er sein Glas mit etwas zitternder Hand. „Mein klein Frau, mein Friederike soll leben, und noch viele Jahrens! Nich wahr, mein Rike? Und nach die kleine Brauerstraße in Altna ziehst nich wieder, nich wahr?“

„Ganzen gewiß nich!“ sagte Frau Weber, während große Thränen ihr über die Wangen rollten. „Ganzen gewiß nich! Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden!“ Und dann gaben die beiden Eheleute sich einen Kuß und saßen Hand in Hand und so versunken nebeneinander, daß sie gar nicht merkten, wie Jürgen sich noch einmal verstohlen einschenkte. Denn er behauptete, er hätte zuerst kein volles Glas bekommen.

Als wir dann nach Hause gingen, war er sehr heiter und sagte, daß ein Geburtstag doch immer der schönste Tag im Jahre sei.

Dagegen protestierte ich eifrig; schon aus Aerger, weil ich das zweite Glas Wein nicht erhalten hatte; aber Frau Weber hat später immer Jürgens Ansicht beigepflichtet. Und sie mußte es eigentlich wissen.

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  1. Christian.
  2. ohnmächtig werden.